Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 1 KR 59/21 – Urteil vom 28.11.2022
1. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Krankengeld oder Entgelt fort zu zahlen ist vor dem Hintergrund der Frage, ob der Kläger wegen derselben oder wegen einer anderen Krankheit arbeitsunfähig gewesen ist.
Der Kläger war in der Zeit vom 18. März 2019 bis zum 29. März 2019 arbeitsunfähig erkrankt, als Diagnose wurde ICD-10 M54.4 (Lumboischialgie) angegeben. Sodann war der Kläger wegen ICD-10 M53.1 (Zervikobrachial-Syndrom) arbeitsunfähig krankgeschrieben in der Zeit vom 15. April 2019 bis zum 10. Mai 2019 sowie wegen ICD-10 M53.1 (Zervikobrachial-Syndrom), M50.2 (Sonstige zervikale Bandscheibenverlagerung) und M62.98 (Muskelkrankheit, nicht näher bezeichnet) vom 20. August 2019 bis zum 30. August 2019. Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit, dass die Wirbelsäule als ein Organ betrachtet wird. Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule stünden im Zusammenhang.
Mit Bescheid vom 8. November 2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ab dem 25. August 2019 Krankengeld an ihn zahle. Die Vorerkrankungen berücksichtige sie als anrechenbar.
Gegen den Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 13. November 2019 Widerspruch. Es lägen zwei unterschiedliche Krankheitsbilder vor. Beide erreichten jeweils für sich nicht einen Zeitraum von über sechs Wochen. Insoweit bestehe noch ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 2020 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Sozialmedizinisch sei bei den Arbeitsunfähigkeiten vom 18. März bis 29. März 2019, vom 15. April bis 10. Mai 2019 und vom 20. August bis 30. August 2019 von einem inneren Krankheitszusammenhang auszugehen. Der Arbeitgeber habe die Entgeltfortzahlung am 24. August 2019 enden lassen, so dass die Beklagte den Krankengeldanspruch für die Zeit vom 25. August 2019 bis zum 30. August 2019 zu erfüllen hätte. Sofern der Kläger der Auffassung sein sollte, dass für diese Zeit ein arbeitsrechtlicher Entgeltfortzahlungsanspruch nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz bestehe, werde anheimgestellt, diesen zuständigkeitshalber gegenüber dem Arbeitgeber geltend zu machen.
Daraufhin hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, er gehe davon aus, dass er in den Zeiträumen 18. März 2019 bis 29. März 2019 und 15. April 2019 bis 10. Mai 2019 auf andere Erkrankungen krankgeschrieben gewesen sei mit der Folge, dass für den Zeitraum 20. August 2019 bis 30. August 2019 kein Krankengeld zu zahlen gewesen sei, sondern der Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung verpflichtet gewesen sei. Aus seiner Sicht bestehe kein Zusammenhang zwischen Lumboischialgie und Zervikobrachialsyndrom. Zwar handele es sich bei der Wirbelsäule um ein Organ, dieses sei aber in drei Abschnitte unterteilt. Es könne deshalb keine Zusammenrechnung erfolgen, durch welche für beide Krankengeldansprüche schon der doppelte Zeitraum verbraucht werde. Das wiederum führe dazu, dass innerhalb der 3-Jahresfrist der Anspruch auf Krankengeld für beide Krankheiten unberechtigt reduziert sei. Solange nicht die Rahmenfrist für beide Krankheiten abgelaufen seien, bestehe ein Rechtschutzinteresse an der Feststellung, die er begehre.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 27. April 2021 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Dem Kläger fehlten das Rechtschutzbedürfnis bzw. das besondere Feststellungsinteresse für seine Klage. Der Kläger erstrebe vor dem Erlass einer von ihm befürchteten behördlichen Verfügung, nämlich der Ablehnung der Zahlung von Krankengeld nach Ausschöpfen der Höchstdauer des Krankengeldanspruchs, vorbeugenden Rechtsschutz. Es handele sich hierbei um eine vorbeugende Unterlassungsklage gegen den Erlass eines entsprechenden Verwaltungsaktes. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen vorbeugenden Unterlassungsklage sei aber ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse. An diesem qualifizierten Rechtschutzinteresse fehle es vorliegend. Das notwendige qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis liege nicht vor, solange ein Betroffener auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden könne. Es sei nur dann zu bejahen, wenn etwa die Gefahr bestehe, dass bei Abwarten der Entscheidung vollendete Tatsachen geschaffen würden oder hierdurch irreparabler Schaden bzw. unzumutbare Nachteile entstünde. Vorliegend seien derartige Nachteile oder irreparable Schäden nicht ersichtlich und auch nicht dargelegt. Es sei dem Kläger zuzumuten, im Falle des Erlasses eines solchen zukünftigen Bescheides, dann gegen diesen mit den gesetzlich vorgesehenen nachträglichen Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln vorzugehen. Auch ein Feststellungsantrag des Klägers sei unstatthaft. Mit der Feststellungsklage könne gem. § 55 SGG begehrt werden, die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, die Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig sei, die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundes-versorgungsgesetztes sei oder die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes. Mit dem Begehren des Klägers, festzustellen, dass seinen Arbeitsunfähigkeiten nicht dieselbe Krankheit zugrunde lag, liege keiner der genannten Fälle einer Feststellungsklage vor.
Der Kläger hat gegen den seiner Bevollmächtigten am 25. Mai 2021 zugestellten Gerichtsbescheid am 18. Juni 2021 Berufung eingelegt. Es müsse bereits jetzt ein Rechtsschutzinteresse für die Frage der möglichen Dauer eines Krankengeldanspruchs angenommen werden. Dies könne in diesem Verfahren zeitnah geklärt werden. Ein Verweis auf ein späteres Verfahren sei daher nicht zulässig. Der Bescheid der Beklagten sei auch hinsichtlich der Annahme einer einheitlichen Erkrankung rechtswidrig. Zudem sehe die Rechtsbehelfsbelehrung ausdrücklich vor, dass ein Rechtsbehelf eingelegt werden könne.
Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. November 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2020 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht gem. §§ 143, 151 Abs. 1 und 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und daher zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet. Zutreffend hat das Sozialgericht erkannt, dass die Klage bereits unzulässig ist. Auf die Ausführungen des Sozialgerichts wird Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass das Rechtsschutzsystem des SGG (ebenso das der VwGO) schon aufgrund des Grundsatzes der Gewaltenteilung auf eine nachträgliche Überprüfung der Entscheidungen der Exekutive ausgelegt ist. Der Kläger wendet sich der Sache nach gegen einen Teil der Begründung des streitigen Bescheides der Beklagten – nämlich der Begründung hinsichtlich der Frage, ob eine einheitliche Erkrankung vorliegt. In dem streitigen Bescheid hat diese Begründung aber keine Auswirkung auf dessen Tenor. Nur insoweit könnte sich aber eine Beschwer des Klägers ergeben. Dies kann – muss aber nicht – bei späteren Entscheidungen der Fall sein, gegen die der Kläger dann ggf. vorgehen kann.
Soweit der Kläger meint, ihm stehe statt des Krankengeldes Entgeltfortzahlung zu, so ist es an dem Kläger, gegenüber dem Arbeitgeber einen entsprechenden Anspruch geltend zu machen. Die Regelungen zum Verhältnis einer Lohnzahlung zum Krankengeld in § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGG reagieren nur auf eine Entgeltzahlung – und zwar mit dem Ruhen des Krankengeldanspruchs. Dabei ist nicht etwa ein Entgeltanspruch, sondern dessen tatsächliche Zahlung entscheidend (vgl. Becker/Kingreen/Joussen, 8. Aufl. 2022, SGB V § 49 Rn. 3). Solange also keine Entgeltfortzahlung erfolgt, solange ruht auch der Krankengeldanspruch nicht.
Dem Hinweis des Klägers auf das Vorhandensein einer Rechtsbehelfsbelehrung ist nur zu entgegen, dass selbstverständlich auch ein vollständig rechtmäßiger Verwaltungsakt eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten muss. Das Vorhandensein einer Rechtsbehelfsbelehrung ist kein Indiz für die Rechtmäßig- oder Rechtswidrigkeit eines Bescheides und ebenso keine Garantie für den Erfolg eines eingelegten Rechtsbehelfs.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.