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Krankenversicherung – Genehmigungsfiktion für eine Liposuktion

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg – Az.: L 9 KR 110/17 – Urteil vom 11.02.2020

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 19. Januar 2017 sowie der Bescheid der Beklagten vom 27. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2014 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Liposuktion an beiden Armen und Beinen zu gewähren.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Liposuktion.

Die 1979 geborene, bei der Beklagten versicherte Klägerin beantragte am 09. August 2013 mündlich bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine chirurgische Therapie bei Lipödem. Sie überreichte dazu eine ärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Allgemeinmedizin S vom 09. August 2013, in welcher die Ärztin mitteilte, die Klägerin leide an einem Lipödem, die Ärztin empfehle eine chirurgische Therapie und bitte um Kostenübernahme.

Die Beklagte gab den Antrag laut einem Aktenvermerk als einen solchen auf außervertragliche Behandlung am 28. August 2013 zurück und forderte von der behandelnden Ärztin weitere Angaben auf einem Fragebogen zum „Antrag auf außervertragliche Behandlungsmethoden“.

Die Ärztin S gab auf dem Fragebogen für die Klägerin am 28. August 2013 zur Krankheit an, es lägen Lipödeme vor. Es sei eine Behandlung mit manueller Lymphdrainage sowie Kompressionsstrümpfen und einer Kompressionsstrumpfhose erfolgt, die Klägerin habe Sport getrieben, es bestehe eine psychische Belastung aufgrund der Erkrankung. Aufgrund der psychischen Behandlung sei eine leichte Besserung der Begleitsymptome erfolgt, alternative vertragliche Therapiemöglichkeiten bestünden keine. Bis auf die OP zur Fettabsaugung gebe es keine Behandlungsmethode, die zur Heilung der Erkrankung beitrage. Bei Nichtbehandlung sei mit einer Verschlechterung der psychischen Erkrankung, einer Anpassungsstörung, zu rechnen.

Die behandelnde Fachärztin für Psychosomatische Medizin Dr. K befürwortete in einem Schreiben vom 24. September 2013 den operativen Eingriff in Form einer Fettabsaugung bei genetisch bedingten Lipödemen der Extremitäten. Säulenartig geformte Beine bis zum Sprunggelenk und Polster im Bereich der Oberschenkelinnenseiten bei schlanker Taille bestimmten das Körperbild. An den Armen sei die Symptomatik weniger stark ausgeprägt. Die Klägerin leide sehr unter ihrem Körperbild. Zur Stärkung des Selbstwertgefühls halte die Ärztin den operativen Eingriff für sinnvoll.

Am 4. Oktober 2013 teilte die Beklagte der Ärztin S unter Berufung auf einen Antrag der Klägerin auf „Fettabsaugung Lipödeme“ ergänzend mit, es würden noch weitere Unterlagen benötigt, um über den Antrag entscheiden zu können. Sie erbat von der Ärztin eine Fotodokumentation des betroffenen Bereichs, epikritische Befundberichte, z.B. vom Krankenhaus sowie eine Dokumentation der Körpermaße und Angaben zur Entwicklung der Umfänge der betroffenen Stellen. Die Ärztin wurde aufgefordert mitzuteilen, in welchem Krankenhaus der Eingriff im Fall einer positiven Leistungsentscheidung durchgeführt werden solle. Unter dem gleichen Datum informierte die Beklagte die Klägerin, die Bearbeitung des am 01. Oktober 2013 eingegangenen Antrags auf Lipödem-Entfernung sei ohne weitere medizinische Informationen nicht möglich, diese hätte die Beklagte bei der behandelnden Ärztin angefordert. Sobald die Unterlagen vorliegen würden, werde sie den Antrag weiterbearbeiten.

Unter dem Datum 4. November 2013 empfahl die Ärztin S als ausführende Klinik das Plastische Zentrum der C in B. Sie übersandte Fotos der Klägerin.

Am 14. November 2013 informierte die Beklagte die Klägerin unter dem Betreff „Ihr Antrag auf Kostenübernahme zur Fettabsaugung Lipödem – Zwischennachricht“ darüber, dass zu den weiteren eingegangenen medizinischen Unterlagen eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) eingeholt werde und beauftragte den MDK mit einer Stellungnahme.

Unter dem 27. November 2013 erstellte der MDK ein sozialmedizinisches Gutachten zu Kostenübernahme für eine Liposuktion aufgrund eines Lipödems an den Oberschenkeln. Die medizinische Notwendigkeit sei insoweit nicht belegt. Nach der aktuellen wissenschaftlichen Literatur gebe es keine wissenschaftlichen Belege mit hinreichender Evidenz dafür, dass die beantragte Methode in der Behandlung des Lipödems den konservativen Behandlungsstrategien überlegen sei. Die Liposuktion bei Lipödem befinde sich noch im Stadium der wissenschaftlichen Erprobung. Für den vertragsärztlichen Bereich bestehe keine Möglichkeit der Abrechnung. Die Leistung sei nicht im einheitlichen Bewertungsmaßstab „EBM“ enthalten und dürfe daher grundsätzlich nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung ambulant erbracht werden. Es liege keine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vor, somit bestehe für die Behandlung grundsätzlich keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine konservative Behandlung bestehe in regelmäßigen mindestens zweimal wöchentlich durchgeführten Lymphdrainagen, auch außerhalb des Regelfalles sowie in dem Tragen einer Kompressionsstrumpfhose der Kompressionsklasse zwei. Soweit in fortgeschrittenen Fällen eine alleinige Kompression zur Ödembeseitigung nicht möglich sei, sei das Mittel der Wahl die komplexe physikalische Entstauungstherapie. Eine psychische Belastung sei hinsichtlich der Liposuktion nicht leistungsauslösend. Psychische Beweggründe bedürften einer fachärztlichen psychologischen bzw. psychiatrischen Betreuung, lösten aber keine risikobehafteten operativen Korrekturen zur Behebung des psychischen Unbehagens aus.

A

Krankenversicherung - Genehmigungsfiktion für eine Liposuktion
(Symbolfoto: Von Dmytro Zinkevych/Shutterstock.com)

m 20. Dezember 2013 sprach die Klägerin bei der Beklagten vor, sie habe von einer Ablehnung von ihrer behandelnden Ärztin Frau S erfahren, daraufhin teilte die Beklagte ihr die Ablehnung der Kostenübernahme mündlich mit, die Klägerin forderte eine schriftliche Entscheidung, damit sie dagegen in Widerspruch gehen könne.

Am 27. Dezember 2013 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine Liposuktion schriftlich gegenüber der Klägerin ab. Der Bescheid wurde der Klägerin vorab per E-Mail übersandt, noch am gleichen Tag legte die Klägerin per E-Mail Widerspruch ein, am 7. Januar 2014 legte sie dann mittels Faxnachricht Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid ein.

Die Beklagte veranlasste eine ergänzende Stellungnahme des MDK, unter anderem zu der Frage, ob die Leistung stationär erbracht werden müsse oder es sich um eine ambulante Therapie handele.

Die Klägerin reichte am 26. Februar 2014 ein fachärztliches Gutachten von Dr. M O, Chirurg und Phlebologe, vom 20. Februar 2014 ein. Der Befund mache drei Operationen an den Unter- und Oberschenkeln sowie an den Armen erforderlich. Beigefügt war ein Kostenvoranschlag für eine (ambulante) Liposuktion von Oberschenkel und Unterschenkel sowie beider Arme mit Kosten in Höhe von 3.950 € (Oberschenkel beidseits), 2.960 € (Unterschenkel beidseits) sowie 3.950 € (Arme beidseits).

Der MDK begutachtete die Klägerin persönlich und erstattete am 26. März 2014 ein ergänzendes sozialmedizinisches Gutachten. Das beschriebene Lipödem lasse sich durch die persönliche Untersuchung bestätigen. Die Diagnose werde nicht infrage gestellt, es werde auch nicht infrage gestellt, dass es sich nicht um eine kosmetische Indikation handele. Bei der Liposuktion handle sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme lägen nicht vor. Es bestünde die Möglichkeit der konservativen Behandlung.

Nach einem Telefonvermerk vom 03. April 2014 wurde die Klägerin über die Ablehnung des Antrages und die Gründe informiert, sie teilte zunächst mit, den Widerspruch nicht aufrechtzuerhalten, deshalb werde sie einen neuen Antrag stellen und eine Kostenbeteiligung der Beklagten in Höhe von 20 % an den Behandlungskosten beantragen. Nach einem persönlichen Gespräch am 10. April 2014 wolle die Klägerin nun doch in Widerspruch gegen die Ablehnung der Kostenübernahme gehen und bat um Zusendung des MDK Gutachtens vom März 2014. Am 11. April 2014 erhob sie schriftlich Widerspruch gegen „die Ablehnung der Liposuktion“. Laut ihres Gefäßchirurgen Dr. H sei ein Lipödem nicht mit Kompressionsstrümpfen oder Lymphdrainagen heilbar, sie bitte um eine Kostenübernahme der Beklagten für eine Liposuktion. Sie übersandte eine Stellungnahme des Arztes Dr. O zum MDK Gutachten vom 27. März 2014.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 6. Januar 2014 gegen die Ablehnung der Kostenübernahme für eine ambulante Liposuktion zurück. Sie bezog sich dabei auf den Antrag der Klägerin vom 09. August 2013 auf Kostenübernahme.

Die Klägerin hat am 07. Juli 2014 Klage zum Sozialgericht Potsdam erhoben und zunächst beantragt, die Kosten einer ambulanten Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems an beiden Armen und Beinen zu übernehmen. Sie hat sich zur Begründung auf das sozialmedizinische Gutachten des MDK vom 27. März 2014 bezogen. Später hat sie mitgeteilt, die geplante Behandlung solle in einer Privatklinik stationär erfolgen, insofern werde der Klageantrag umgestellt.

Auf die Anforderung des Sozialgerichts nach einer vertragsärztlichen Verordnung von Krankenhausbehandlung zur Behandlung des Lipödems hat die Klägerin eine ärztliche Verordnung zur Krankenhausbehandlung von Frau Dr. S sowie einen Überweisungsschein vom 07./13. April 2015 übersandt. Der Zustand der Klägerin habe sich so verschlechtert, so dass sie sicher nur in einem Krankenhaus einer Liposuktion unterzogen werden könne.

Die Beklagte hat einer Klageänderung für eine Liposuktion in einem Krankenhaus nicht zugestimmt. Gegenstand des Vorverfahrens sei nur eine ambulante Behandlung gewesen.

Mit Urteil vom 19. Januar 2017 hat das Sozialgericht die Klage auf die Verpflichtung der Beklagten zur Versorgung mit einer stationären Liposuktion gemäß der Verordnung der Ärztin Dr. S vom 07. April 2015 abgewiesen. Die Klageänderung auf Gewährung einer stationären Versorgung sei sachdienlich, da sie einen neuen Prozess zwischen den Beteiligten vermeide. Die begehrte Liposuktion gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Gericht beziehe sich hierzu auf eine Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen vom 30. April 2016 (L 16/1 KR 303/15). Ein Versorgungsanspruch aus § 137c Abs. 3 SGB V bestehe nicht, denn die Klägerin gehöre nicht zum Personenkreis mit einer schweren Erkrankung. Auch ein Systemversagen oder ein Systemmangel liege nicht vor.

Die Voraussetzungen eines Anspruch nach § 13 Abs. 3a SGB V bestünden ebenfalls nicht, weil sich der Antrag auf eine Leistung beziehen müsse, die grundsätzlich zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre. Da die begehrte Liposuktion aber nicht vom Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte erfasst werde, könne diese Behandlung auch nicht Gegenstand der Genehmigungsfiktion sein. Dies sei der Klägerin auch klar gewesen, da sie, ebenfalls wie die Ärztin S, den Fragebogen zu außervertraglichen Behandlungsmethoden erhalten habe. Im Übrigen sei festzuhalten, dass die Klägerin nach ihrem ursprünglichen Klageantrag, der ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren bekräftigt habe, lediglich eine ambulante Liposuktion beantragt habe.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 13. Februar 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. März 2017 Berufung eingelegt. Der Streitgegenstand habe sich im Laufe des Prozesses – anders als die Beklagte nun meine – nicht geändert. Die Klägerin habe stets eine Liposuktion beantragt, ob diese nun ambulant oder stationär erfolge, sei für den Streitgegenstand nicht relevant. Darauf habe der Senat bereits in seinem Schreiben vom 12. Dezember 2019 unter Berufung auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) hingewiesen. Die Klägerin sei lediglich den Hinweisen des Sozialgerichts gefolgt und sei unsicher gewesen, ob die Liposuktion ambulant oder stationär vorgenommen werden müsse.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Potsdam vom 19. Januar 2017 zu verurteilen, die Klägerin mit einer Liposuktion gemäß der Verordnung der Ärztin S vom 13. April 2015 und deren Überweisungsschein vom 07. April 2015 im Rahmen eines stationären Klinikaufenthalts zu versorgen und den Bescheid vom 27. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Das Sozialgericht habe die Klageänderung rechtsfehlerhaft für sachdienlich und deshalb zulässig gehalten, es fehle an einem Vorverfahren, bereits deshalb sei die Berufung unbegründet. Der Antrag der Klägerin vom 09. August 2013 sei zweifelsfrei nicht Gegenstand des anhängigen Berufungsverfahrens, da sich die Klägerin explizit auf die Verordnung der Ärztin S vom 13. April 2015 in ihrer Klage berufen habe. Außerdem habe die Klägerin auf eine fiktive Genehmigung aus ihrem Antrag vom 09. August 2013 verzichtet, so dass es treuwidrig wäre, würde sie aus diesem Rechte geltend machen. Sie habe zwar ursprünglich ihre Klage darauf gestützt, sich dann aber im Klageverfahren auf den Antrag vom 13. April 2015 gestützt und sich so endgültig von ihrem früheren Antrag abgewandt. Allein diesen Antrag verfolge sie auch mit ihrer Berufung weiter. Daran müsse sie sich festhalten lassen. Eine Berufung auf die Genehmigungsfiktion sei daher jedenfalls verwirkt.

Die Revision sei zuzulassen, denn es sei höchstrichterlich bisher nicht geklärt, ob eine Klageänderung dazu führe, dass eine vermeintlich eingetretene Genehmigungsfiktion suspendiert werde und ob ein Versicherter einen Leistungsanspruch, den er kraft Genehmigungsfiktion erworben habe, überhaupt verwirken könne. Da das BSG bereits geklärt habe, dass eine Genehmigungsfiktion grundsätzlich gleiche materiell-rechtliche Wirkung entfalte wie ein ausdrücklicher Bewilligungsbescheid und den Regelungen der §§ 45 ff. SGB X unterfalle, sei auch eine Verwirkung der Bewilligung nach § 13 Abs. 3a SGB V möglich.

Mit Schreiben vom 15. Juni 2017 hat der Senat zunächst darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen. Am 06. Februar 2020 hat ein Termin zur Erörterung mit den Beteiligten stattgefunden. Diese haben zu einer Entscheidung im Weg des schriftlichen Verfahrens durch die Berichterstatterin ihr Einverständnis erteilt.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, die, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

Der Senat durfte im Wege der Entscheidung durch die Berichterstatterin ohne mündliche Verhandlung über die Berufung entscheiden. Die Beteiligten haben dazu ihr Einverständnis erteilt (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 und § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 19. Januar 2017 ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung einer Liposuktion an beiden Armen und Beinen.

I. Die Klage, gerichtet auf Gewährung einer (stationären) Liposuktion, ist zulässig.

Streitgegenstand ist die Gewährung einer Liposuktion als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund des Antrags der Klägerin vom 09. August 2013. Allgemein ist das von einem Kläger oder einer Klägerin aufgrund eines bestimmten Sachverhalts an das Gericht gerichtete Begehren der im Klageantrag bezeichneten Entscheidung maßgeblich (B. Schmidt, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Aufl., § 95 Rn. 5 m.w.N.). Nicht maßgeblich ist hingegen die rechtliche Begründung des Begehrens oder einer gerichtlichen Entscheidung. Das Gericht ist zudem nicht nur an die Fassung der Anträge gebunden, wohl aber an das von Klägern Gewollte (B. Schmidt, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, aaO). Außer vom so verstandenen Klageantrag wird der Streitgegenstand durch den Lebenssachverhalt umrissen. Das Leistungsbegehren der Klägerin war während des gesamten Verfahrens auf die Gewährung einer Liposuktion an Armen und Beinen als Sachleistung auf der Grundlage ihres an die Beklagte am 09. August 2013 gestellten Antrags gerichtet. Ohne Bedeutung ist, dass sie dieses vor dem Sozialgericht zunächst auf eine ambulante Erbringung der Leistung stützte, später dann auf die Hinweise der Beklagten und des Gerichts hin, wonach die Leistung nicht zum Kreis der ambulanten Leistungen gehört, auf eine Leistungserbringung im Krankenhaus setzte. Allein im Hinblick darauf und auf Veranlassung des Sozialgerichts hat sie eine notwendige ärztliche Verordnung (vom 13. April 2015) eingereicht. Damit änderten sich weder der Lebenssachverhalt und das Leistungsbegehren, letzteres war weiter auf die aus ihrer Sicht notwendige chirurgische Therapie der Lipödeme an Armen und Beinen gerichtet.

Selbst wenn aber rein nach der Fassung der Anträge davon ausgegangen wird, dass der Streitgegenstand zunächst allein ein Anspruch auf ambulante Liposuktion war, welcher dann auf eine stationäre Leistung umgestellt wurde, liegt darin eine zulässige Klageänderung gemäß § 99, § 153 Abs. 1 SGG. Diese war – wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat – jedenfalls sachdienlich (§ 99 Abs. 1 SGG). Sie beruhte weiter auf dem Leistungsantrag vom August 2013; eine Entscheidung über die Frage, ob sie einen Anspruch auf Liposuktion hat, ist geeignet, den Streit zwischen den Beteiligten endgültig beizulegen (B. Schmidt, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Aufl., § 99 Rn. 10 m.w.N.). Die so geänderte Klage ist auch zulässig. Für eine allgemeine Leistungsklage aus einer Genehmigungsfiktion laufen keine Klagefristen und ist kein Vorverfahren vorgesehen. Die Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der Beklagten in der schriftlichen Fassung vom 27. Dezember 2013 hat die Klägerin nicht geändert (dazu II.).

II. Gegenstand des Rechtsstreits sind die in einer Klage im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG) zusammen verfolgten zulässigen Klagebegehren: die allgemeine Leistungsklage auf Gewährung der Liposuktion (§ 54 Abs. 5 SGG) und die isolierte Anfechtungsklage gegen die Ablehnungsentscheidung (dazu zuletzt BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 14/19 R –, Rn. 8). Die Leistungsklage ist begründet, weil die Klägerin einen Sachleistungsanspruch auf Gewährung der beantragten Liposuktion aus einer fingierten Genehmigung hat. Die ablehnende Verwaltungsentscheidung der Beklagten ist angesichts dessen rechtswidrig und daher hat auch die Anfechtungsklage Erfolg (3.).

1. Für die Klägerin entstand gegen die Beklagte ein Anspruch auf Versorgung mit den beantragten Liposuktionen als Naturalleistung kraft fingierter Genehmigung des Antrags. Die Voraussetzungen der Fiktion der Genehmigung sind erfüllt. § 13 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V, hier i.d.F. vom 20. Februar 2013, BGBl. I, 277) erfasst die von der Klägerin im August 2013 beantragten Leistungen nicht nur zeitlich (a.), sondern auch als eine ihrer Art nach der Genehmigungsfiktion zugängliche Leistungsart (dazu b). Die Klägerin war leistungsberechtigt (dazu c). Sie erfüllte mit ihrem Antrag die Voraussetzungen eines genehmigungsfähigen, den Lauf der Frist auslösenden Antrags auf Versorgung mit Liposuktionen (dazu d). Sie durfte die beantragte Leistung für erforderlich halten (dazu e). Die Beklagte hielt die gebotene Frist für eine Verbescheidung nicht ein (dazu f).

a. Die Voraussetzungen einer fingierten Genehmigung sind erfüllt. Entscheidet eine Krankenkasse über den Antrag eines (oder einer) Berechtigten nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von grundsätzlich drei Wochen nach Antragseingang, ohne diesen vor Fristablauf hinreichende Gründe schriftlich mitzuteilen, warum sie die Frist nicht einhalten kann und wann die Nachfrist taggenau endet, gilt die beantragte Leistung als genehmigt (vgl § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V). Gilt eine beantragte Leistung als genehmigt, erwächst Antragstellern hieraus ein Naturalleistungsanspruch als eigenständig durchsetzbarer Anspruch und bei Selbstverschaffung der genehmigten Leistung ein Kostenerstattungsanspruch (Satz 7). Diese Regelung ist auf den Antrag der Klägerin vom 09. August 2013 anwendbar, davon ging auch der Widerspruchsbescheid der Beklagten (zu Recht) aus. Die Norm erfasst Anträge auf Leistungen, die Berechtigte ab dem 26. Februar 2013 stellen (BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 14/19 R –, Rn. 10). Die Klägerin hat am 09. August 2013 bei einer persönlichen Vorsprache in den Geschäftsräumen der Beklagten einen Antrag gestellt. Das belegt der Aktenvermerk der Beklagten, gefolgt von einem kurzen Schreiben der behandelnden Ärztin S vom gleichen Tag, in welchem die Ärztin eine chirurgische Therapie des Lipödems befürwortet. Anträge auf (Sach-)Leistungen des SGB V können auch mündlich gestellt werden (allgemein Mroznski, § 16 SGB I Rn. 6a).

b. Die Regelung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ist auf den Antrag der Klägerin sachlich anwendbar. Die Regelung erfasst u.a. Ansprüche auf Krankenbehandlung, nicht dagegen Ansprüche, die unmittelbar auf eine Geldleistung oder auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gerichtet sind. Die Klägerin beantragte eine Krankenbehandlung.

c. Die Klägerin ist als bei der Beklagten Versicherte leistungsberechtigt im Sinne der Regelung. „Leistungsberechtigter“ ist derjenige, der berechtigt ist, Leistungen nach dem SGB V zu beanspruchen. Hierzu zählen u.a. in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Krankenkasse (BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 36/18 R –, Rn. 18). Die Klägerin war und ist versichertes Mitglied der Beklagten.

d. Die Klägerin beantragte als Leistung hinreichend bestimmt Liposuktion an Armen und Beinen. Damit eine Leistung als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Der Antrag hat eine Doppelfunktion als Verfahrenshandlung und als materiell-rechtliche Voraussetzung. Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf seiner Grundlage fingierte Genehmigung ihrerseits i.S. von § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) hinreichend bestimmt ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Davon ist bei dem Antrag der Klägerin auszugehen, denn der Naturalleistungsanspruch, die Liposuktion als Krankenbehandlung zu erhalten, kann Grundlage einer Vollstreckung sein. Eine nähere Bezeichnung, ob die Leistung auf ambulantem oder stationärem Wege zu erbringen ist, ist nicht Voraussetzung. Es reicht aus, wenn das Behandlungsziel klar ist, die Mittel zu seiner Erfüllung i.S. einer Konkretisierung der vertretbaren Handlung aber noch der Beratung oder näheren Einschätzung von Ärzten bedürfen (deutlich in diesem Sinne: BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 36/18 R –, Rn. 20). Der Antrag der Klägerin vom 09. August 2013 war bereits bei Ersteinreichung, spätestens aber am 28. August 2013 auf ein klar bestimmtes Ziel gerichtet. Dies ergibt sich jedenfalls, wenn auch auf die ärztliche Stellungnahme von Frau S auf dem von ihr ausgefüllten (ergänzenden) Fragebogen zum Antrag auf außervertragliche Behandlung abgehoben wird. Darin benennt die Ärztin klar die „Fettabsaugung“ als Behandlungsmethode für die Lipödeme der Klägerin. Die Klägerin war nicht darauf festgelegt, sich nur stationär oder nur ambulant behandeln zu lassen, sondern wollte nach ihrem klaren Antrag das medizinisch Erforderliche (vergleichbar dem Ausgangsfall des BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 36/18 R –, Rn. 21).

e. Der Antrag der Klägerin betraf auch eine Leistung, die sie für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt. Erfasst werden mit dem in Satz 7 verwendeten, aber für Satz 6 ebenso geltenden Begriff der erforderliche Leistungen solche, die subjektiv für den Berechtigten erforderlich sind und nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen.

Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen. Rechtsmissbräuchlich wäre es, Leistungen zu beanspruchen, die objektiv offensichtlich die Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwinden würden, die jedem Versicherten klar sein müssen. Gleiches gilt für Leistungen, bei denen es rechtsmissbräuchlich wäre, wenn der Berechtigte sie subjektiv für erforderlich hält (BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 36/18 R –, Rn. 22). Die von der Klägerin begehrten Leistungen (Liposuktionen) liegen, gemessen daran, nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (so deutlich BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 36/18 R –, Rn. 24). Dies ergibt sich bereits daraus, dass die behandelnden Ärzte sie fachlich befürworteten und es für Liposuktion im stationären Bereich Abrechnungspositionen gibt (BSG, aaO, Rn. 21).

f. Die Beklagte beschied den Antrag nicht innerhalb der Drei- oder Fünf-Wochen-Frist, sondern erst nach Fristablauf. Die Frist begann spätestens am 28. August 2013 zu laufen. Maßgeblich für den Fristbeginn ist der Tag nach Eingang des Antrags bei der Beklagten (vgl. § 26 Abs 1 SGB X i.V.m § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). Hierbei ist es unerheblich, ob die Beklagte meinte, der maßgebliche Sachverhalt sei im Fall der Klägerin noch aufzuklären (BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 36/18 R –, Rn. 25). Spätestens am 28. August 2013 war mit den Erläuterungen der Ärztin S der Antrag bearbeitungsreif und konnte die Beklagte ihn prüfen. Ausgehend davon endete die Drei-Wochen-Frist am 18. September 2013 und die Fünf-Wochen-Frist am 02. Oktober 2013. Es galt die Drei-Wochen-Frist, denn die Beklagte informierte die Klägerin nicht innerhalb dieser Frist über die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme (§ 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V). Erst am 14. November 2013 teilte sie der Klägerin im Wege der Zwischennachricht mit, dass sie eine Stellungnahme des MDK einholen werde. Auf die Nachricht vom 04. Oktober an die Klägerin und ihre Ärztin S kann nicht abgestellt werden, denn darin forderte die Beklagte die behandelnde Ärztin lediglich auf, weitere medizinische Unterlagen einzuholen. Sie erwähnte die gutachterliche Stellungnahme des MDK jedoch – auch gegenüber der Klägerin – nicht. Selbst wenn aber aufgrund der Ermittlungen zugunsten der Beklagten die Fünf-Wochen-Frist zur Anwendung gelangen sollte, wäre diese am 14. November 2013, dem Tag der Zwischennachricht, bereits verstrichen. Selbiges gilt, wenn zugunsten der Beklagten angenommen wird, dass jegliche Fristen erst ab dem 02. Oktober 2013 zu laufen begannen, dem Tag nach dem 01. Oktober 2013, den die Beklagte in ihren Schreiben vom 04. Oktober 2013 als Tag des Antragseingangs gegenüber der Klägerin und ihrer Ärztin S benannte. Allerdings erschließt sich dem Senat nicht, warum gerade der 01. Oktober 2013 als Antragseingang gelten sollte. Ausgehend von diesem Datum hätte die Beklagte ebenfalls bis zum Ablauf des 22. Oktober 2013 der Klägerin Mitteilung von der beabsichtigten Einschaltung des MDK machen müssen, um die Fünf-Wochen-Frist ausnutzen zu können. Das hat sie nicht getan. Es kommt daher nicht darauf an, dass auch diese Fünf-Wochen-Frist für eine Entscheidung noch vor dem 14. November 2013 abgelaufen wäre. Die Beklagte beschied die Klägerin erst am 20. Dezember 2013 mündlich (§ 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X) und auf deren Antrag am 27. Dezember 2013 auch schriftlich. Es kam keine Verlängerung der Fünf-Wochen-Frist in Betracht, denn die Beklagte hat die Klägerin auch nicht rechtzeitig über die voraussichtliche, taggenau bestimmte Dauer der Fristüberschreitung jenseits der Fünf-Wochen-Frist informiert (§ 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V, dazu BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 36/18 R –, Rn. 26). Ohne eine taggenaue Verlängerung der Frist könnte die Klägerin aber nicht erkennen, wann die Fiktion der Genehmigung eingetreten ist (dazu BSG, Urteil vom 11. September 2018 – B 1 KR 1/18 R –, BSGE 126, 258-268, Rn. 30).

g. Der entstandene Anspruch aufgrund fingierter Genehmigung für eine Liposuktion ist auch nicht später erloschen, die Klägerin kann sich auf ihn berufen. Auch eine fingierte Genehmigung bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 36/18 R –, Rn. 28). Die Voraussetzungen eines Erlöschenstatbestands sind nicht erfüllt. Die Beklagte regelte mit der am 20. Dezember 2013 mündlichen und am 27. Dezember 2013 schriftlich bestätigten Ablehnung der Leistung weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine Rücknahme, eine Aufhebung oder einen Widerruf der fingierten Genehmigung (vgl. §§ 45, 47, 48 SGB X). Die Ablehnung der Genehmigung ist vielmehr aufzuheben, denn sie ist rechtswidrig (dazu unter 3., BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 36/18 R -, Rn. 28).

Die Genehmigung hat sich auch nicht auf andere Art und Weise erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X). Sie könnte sich – wie sonstige Verwaltungsakte – erledigen, wenn ihr Fortbestand von vornherein an eine bestimmte Situation gebunden ist, dann wird sie gegenstandslos, wenn diese nicht mehr besteht. Für die fingierte Genehmigung nach § 13 Abs. 3a SGB V kann das der Fall sein, wenn die behandlungsbedürftige Krankheit entfällt, z.B., durch zwischenzeitliche vollständige Heilung. Das ist bei der Klägerin nicht der Fall, sie hat im Erörterungstermin vor dem Senat mitgeteilt, die Krankheit bestehe weiter und ihr Interesse an der medizinischen Behandlung sei nicht entfallen. Gegenteilige Informationen hat der Senat nicht.

Die Klägerin hat die Genehmigung schließlich nicht verwirkt. Dabei kommt in ihrem Fall keine Verwirkung des Rechts aus § 13 Abs. 3a SGB V auf Eintritt der Genehmigung in Betracht, sondern die Verwirkung der mit Fristablauf unmittelbar kraft Gesetzes entstandenen Genehmigung auf Liposuktion selbst. Es kann offen bleiben, ob die Verwirkung neben den für die Aufhebung und Rücknahme geltenden allgemeinen Vorschriften der §§ 44 ff. SGB X (dazu oben) überhaupt als allgemeines Rechtsinstitut einen eigenen Anwendungsbereich hat. Jedenfalls liegen ihre Voraussetzungen offensichtlich nicht vor. Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung setzt voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebiets das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden „besonderen Umstände“ liegen vor, wenn Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens der Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass diese das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut haben, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihnen durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstanden ist (vgl. BSG, SozR 2200 § 1399 Nr. 11 und SozR 3-2400 § 4 Nr. 5). Im Fall der Klägerin fehlt es bereits daran, dass sie ihr Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat. Sie hat ihren Anspruch auf Liposuktion seit August 2013 kontinuierlich verfolgt. Darüber hinaus hat sie kein Verhalten gezeigt, aufgrund dessen die Beklagte berechtigterweise davon ausgehen konnte, die Klägerin werde ihr Recht nicht mehr geltend machen. So hat sie ihren Widerspruch nicht im Widerspruchsverfahren mit ihrer telefonischen Erklärung vom 03. April 2014 wirksam zurückgenommen. Ebenso wie die Einlegung des Widerspruchs bedarf auch seine Rücknahme einer schriftlichen Erklärung (Kastner in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, § 69 VwGO Rn. 19 m.w.N.). Eine solche hat die Klägerin zu keinem Zeitpunkt abgegeben.

Ein widersprüchliches Verhalten liegt auch nicht darin, dass die Klägerin zunächst eine ambulante und später eine stationäre Leistung für erforderlich hielt. Die Beklagte selbst hat in ihrem Widerspruchsbescheid über die Ablehnung vom 18. Juni 2014 allein Ausführungen zu § 135 SGB V und einer ambulanten Liposuktion getätigt, obwohl die Klägerin zu keinem Zeitpunkt ihr Begehren darauf beschränkt hat und die Fiktion für eine Liposuktion in Gestalt der Leistungserbringung, die medizinisch erforderlich ist, bereits entstanden war. Dem folgend konkretisierte die Klägerin die begehrte Leistung vor dem Sozialgericht zunächst auf eine ambulante Leistungserbringung und schwenkte dann auf die stationäre Erbringung um. Daraus konnte die Beklagte aber nicht das berechtigte Vertrauen schöpfen, die Klägerin habe von der Liposuktion als Inhalt der Genehmigung Abstand genommen oder sich allein auf eine bestimmte Art der (ambulanten) Leistungserbringung festgelegt, die eine andere, medizinisch erforderliche bereits genehmigte ausschließt. Eine solche Interpretation wäre eine solche zu Lasten der Versicherten, die mit Sinn und Zweck der Genehmigungsfiktion nicht im Einklang steht.

Ob allein eine stationäre Leistungserbringung notwendig ist, um die geschuldete Liposuktion praktisch gewährleisten, bleibt der (fach-)ärztlichen Einschätzung vorbehalten. Die Genehmigungsfiktion ist insoweit auf den medizinischen Erfolg gerichtet und umfasst alle dazu notwendigen Maßnahmen.

2. Es kann im Hinblick auf den Anspruch aus der Genehmigungsfiktion offen bleiben, ob die Klägerin einen Sachleistungsanspruch auch auf § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V stützen könnte. Zwar liegt bei ihr eine Krankheit i.S. der gesetzlichen Grundlagen vor, dies bescheinigte der MDK in seinen sozialmedizinischen Stellungnahmen und dem Gutachten, welches er zuletzt im Widerspruchsverfahren erstattet hat. Ungeklärt ist, ob ein Anspruch auf die ambulant erbrachte ärztliche Leistung weiter an § 135 SGB V scheitert. Das gilt auch für die Frage, ob die begehrte Maßnahme zumindest in einer stationären Leistungserbringung in einem zugelassenen Krankenhaus (§§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, § 108 SGB V) unter Geltung eines modifizierten Qualitätsgebots erbracht werden dürfte.

An der vom GBA im Januar 2018 beschlossenen Erprobungsstudie nach der Erprobungs-Richtlinie (Beschluss vom 18. Januar 2018, BAnz AT vom 09. April 2018 B1) kann die Klägerin deshalb nicht mehr teilnehmen, weil das Interessensbekundungsverfahren für eine Studienteilnahme am 31. Dezember 2019 abgeschlossen ist. Außerdem besteht auf die Teilnahme kein Anspruch, sondern nur ein solcher auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (BSG, Urteil vom 24. April 2018 – B 1 KR 13/16 R).

3. Die Ablehnungsentscheidung vom 27. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides verletzt die Klägerin in ihrem sich aus der fiktiven Genehmigung ihres Antrags ergebenden Leistungsanspruch (BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 36/18 R, Rn. 42).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und ergibt sich aus dem Ergebnis in der Sache.

Die Revision war nicht zuzulassen, denn die Entscheidung folgt den Entscheidungen des BSG zu Voraussetzungen und Grenzen der Genehmigungsfiktion i.S. des § 13 Abs. 3a SGB V.

 

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