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Leistungsantrag: Genehmigungsfiktion bei nicht fristgerechter Bescheidung durch die Krankenkasse

SG Kiel, Az.: S 10 KR 292/15

Urteil vom 13.12.2016

Der Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 2015 in der Fassung des Bescheides vom 5. September 2016, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2016 wird aufgehoben, und die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin mit einer Bauchdeckenstraffung und einer beidseitigen Oberschenkelstraffung als Sachleistung zu versorgen.

Die Beklagte erstattet der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten dieses Verfahrens.

Tatbestand

Leistungsantrag: Genehmigungsfiktion bei nicht fristgerechter Bescheidung durch die Krankenkasse
Foto: vchal/Bigstock

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Bauchdeckenstraffung und einer beidseitigen Oberschenkelstraffung als Sachleistung zu Lasten der Beklagten.

Die 1977 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet nach einer bariatrischen Magenbypass-Operation im Jahr 2013 und anschließender Gewichtsreduktion an überschüssigen Hautpartien an Bauch und Oberschenkeln.

Am 6. August 2015 beantragte sie bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Operation zur Bauchdeckenstraffung und beidseitigen Oberschenkelstraffung und legte in diesem Zusammenhang eine Verordnung vom 1. Juli 2015 sowie entsprechende ärztliche Atteste vor, in denen diese Maßnahme empfohlen wird.

Die Beklagte übergab die Unterlagen dem MDK zur Prüfung der Operationsindikation und wies die Klägerin mit Schreiben vom 8. September darauf hin, dass das Prüfungsverfahren durch den MDK noch eine Weile in Anspruch nehmen werde. Konkrete Angaben, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei, enthielt dieses Schreiben nicht.

Mit Bescheid vom 7. Oktober 2015 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin unter Berufung auf eine gutachterliche Stellungnahme des MDK vom 14. September 2015 ab.

Hiergegen erhob die Klägerin am 16. November 2015 Widerspruch und am 21. November 2015 Klage. Mit der Klage macht die Klägerin geltend, die begehrte Operation gelte bereits nach § 13 Abs. 3a SGB V als genehmigt, da die Beklagte nicht innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist über den Antrag entschieden habe. Das Schreiben der Beklagten an die Klägerin reiche für eine Verlängerung dieser Frist nicht aus.

Im Laufe des Klageverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 5. September 2016 eine gegebenenfalls eingetretene Genehmigungsfiktion nach § 45 SGB X zurückgenommen und den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 2016 zurückgewiesen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß, den Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 2015 in der Fassung des Bescheides vom 5. September 2016, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin mit einer Bauchdeckenstraffung und einer beidseitigen Oberschenkelstraffung als Sachleistung zu versorgen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden. Die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V sei nicht eingetreten. Jedenfalls sei sie aber mit Bescheid vom 5. September 2016 wirksam zurückgenommen worden.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG ausdrücklich zugestimmt.

Ergänzend wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Kammer konnte das Verfahren nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Parteien sich hiermit ausdrücklich einverstanden erklärt haben.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 2015 in der Fassung des Bescheides vom 5. September 2016, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten Anspruch auf Gewährung der begehrten Bauchdeckenstraffung und einer beidseitigen Oberschenkelstraffung als Sachleistung.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung erfüllt, da ihr Antrag nach § 13 Abs. 3a SGB V als genehmigt gilt, weil die Beklagte über den Antrag nicht fristgerecht entschieden hat.

Nach § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a S. 2 SGB V). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§ 13 Abs. 3a S. 3 SGB V). Eine hiervon abweichende Frist ist nur für den Fall der Durchführung eines im Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) vorgesehenen Gutachterverfahrens bestimmt (§ 13 Abs. 3a S. 4 SGB V). Kann die KK die Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs. 3a S. 5 SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 13 Abs. 3a S. 6 SGB V). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die KK zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (§ 13 Abs. 3a S 7 SGB V). Für Leistungen zur medizinischen Reha gelten die §§ 14, 15 SGB IX zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbstbeschaffter Leistungen (§ 13 Abs. 3a S. 9 SGB V).

Voraussetzung für den Eintritt der Genehmigungsfiktion ist daher zunächst ein sich nicht auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation beziehender (vgl. BSG vom 8. März 2016, Az. B 1 KR 25/15 R, Rn. 12 – juris), hinreichend bestimmter Leistungsantrag (vgl. BSG aaO., Rn. 23). Insofern kommt die Fiktion der Leistungsbewilligung nämlich immer nur dann in Betracht, wenn der Antrag so konkret ist, dass die Behörde nur ja oder nein zu sagen braucht. Ein solcher Antrag ist vorliegend gegeben, denn die begehrte Operation stellt eine Leistung der Krankenbehandlung im Sinne von § 27 SGB V dar. Darüber hinaus lässt sich den dem Antrag beigefügten medizinischen Unterlagen auch ein hinreichend bestimmtes Leistungsbegehren entnehmen, denn den Unterlagen ist zu entnehmen, dass die Klägerin eine Operation zur Bauchdeckenstraffung und beidseitigen Oberschenkelstraffung begehrt.

Die Klägerin durfte diese Maßnahme, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt, auch für erforderlich halten. Diese sich aus dem Zweck der Regelung ergebenden Einschränkungen (vgl. BSG aaO., Rn 25) sind dabei eng auszulegen. Sie dienen lediglich dazu, Leistungsmissbrauch auszuschließen und zu verhindern, dass vollkommen abwegige Maßnahmen im Wege der Genehmigungsfiktion zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden müssen. Ist dem Versicherten aber – wie hier – von seinen behandelnden Ärzten zu einer bestimmten Krankenbehandlung geraten worden, darf dieser die Behandlung regelmäßig für erforderlich halten.

Schließlich ist die Genehmigungsfiktion eingetreten, weil die Beklagte nicht innerhalb der Fristen des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V eine Entscheidung getroffen hat. Der Antrag der Klägerin datiert auf den 6. August 2015. Eine Entscheidung ist von der Beklagten aber erst am 7. Oktober 2015 getroffen worden, also mehr als 8 Wochen nach Antragseingang. Die Beklagte hat die Frist auch nicht wirksam verlängert, denn hierzu wäre sie verpflichtet gewesen, die Klägerin (jeweils) vor Fristablauf von einem hierfür hinreichenden Grund und einer taggenau bestimmten Fristverlängerung in Kenntnis zu setzen (vgl. BSG aaO.). Diesen Anforderungen wird das Schreiben vom 8. September 2015 – das zudem erst nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist ergangen ist – nicht gerecht.

Aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion kann die Klägerin die begehrte Leistung als Sachleistung unmittelbar von der Beklagten verlangen. Dem steht auch nicht die vor Inanspruchnahme der Leistung erfolgte Ablehnungsentscheidung entgegen, denn die Wirkung der eingetretenen Genehmigungsfiktion kann allenfalls nach den allgemeinen Grundsätzen über Erledigung, Widerruf oder Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes beseitigt werden (vgl. BSG aaO., Rn. 31). Ein solcher Regelungsgehalt lässt sich den streitgegenständlichen Bescheiden – unabhängig vom Vorliegen der erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen – jedoch nicht entnehmen.

Auch durch den Rücknahmebescheid vom 5.September 2016, der nach § 96 SGG Gegenstand des laufenden Verfahrens geworden ist, hat die Beklagte die Genehmigungsfiktion nicht wirksam zurückgenommen.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Rücknahmebescheides ist § 45 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), wenn er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nach § 45 Abs. 2 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X muss die Behörde die Rücknahme innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen, vornehmen.

Diese Vorschrift ist zwar grundsätzlich auch auf nach § 13 Abs. 3a SGB V fingierte Bewilligungen anwendbar (vgl. BSG aaO.), ihre Voraussetzungen sind aber nicht erfüllt. Dabei kann vorliegend offen bleiben, ob der Rücknahmebescheid bereits wegen der Nichtausübung von Ermessen durch die Beklagte rechtswidrig ist – wofür einiges sprechen dürfte – denn der Eintritt der Genehmigungsfiktion war in jedem Fall nicht rechtswidrig. Anfänglich rechtswidrig ist eine Entscheidung nämlich nur dann, wenn ihre Tatbestandsvoraussetzungen zum Zeitpunkt des Erlasses nicht vorgelegen haben. Wie oben ausgeführt lagen aber zum Zeitpunkt des Eintritts der Genehmigungsfiktion sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen vor, denn die medizinische Erforderlichkeit oder ein materieller Anspruch auf die begehrte Leistung ist hierfür gerade nicht erforderlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Sie folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

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