SG Speyer – Az.: S 7 KR 71/12 – Urteil vom 13.01.2014
1. Der Bescheid der Beklagten vom 09.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2011 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Kosten für die im August 2011 durchgeführte adipositaschirurgische Operation in Höhe von 8.305,19 € zu erstatten.
2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung für eine Magenbypassoperation.
Die am 01.08.1952 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 24.11.2010 beantragte sie bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Operation zur Implantation eines Magenbypasses. Zur Begründung führte sie aus, dass sie seit ca. 20 Jahren gegen ihr Übergewicht kämpfe. In der Vergangenheit habe sie an einer 16-stündigen Ernährungsberatung in der Praxis Dr. … und an dem DMP Diabetes Typ II Programm der Beklagten teilgenommen, ein dreiwöchiges Heilfasten mit Ernährungsberatung in einer Kureinrichtung am Bodensee absolviert, 3 Jahre Weight Watchers, Hypnose, Akupunktur, eine psychische Beratung bei der Psychotherapeutin, ERGOFIT, Medikamente von italienischen Ärzten in Frankfurt, verschiedene Diätprodukte und Heilpraktikerleistungen zur Unterstützung des Stoffwechsels ausprobiert und selbst bezahlt. Leider seien die Erfolge, wenn überhaupt, nur kurzfristig, weil sie dann wieder „Heißhunger“ bekomme und esse. Sie habe durch ihr Übergewicht große Probleme mit den Gelenken und Knien, einen Bandscheibenvorfall, Nierenprobleme durch die Diabetes-Medikamente und die Prognose sei ohne diese Operation für die Zukunft nicht positiv. Ihre einzige Chance auf ein Leben ohne Schmerzen und Medikamente bestehe aus einer Operation und der daraus resultierenden dauerhaften Gewichtsabnahme. Beigefügt waren Atteste des Internisten und Diabetologen Dr. … vom 18.11.2010 und des Dr. … (Chefarzt der chirurgischen Abteilung des … Krankenhauses Zweibrücken) vom 12.11.2010. Dr. … teilte mit, dass sich das Gewicht der Klägerin von März 2008 bis August 2010 von 124,2 kg auf 130 kg erhöht habe. Zwischenzeitlich habe die Klägerin im Jahr 2009 bis zu 137 kg gewogen. Die von ihr durchgeführten Behandlungsmaßnahmen (Ernährungsberatungen, Hypertonieschulung, medikamentöse Behandlung) hätten allenfalls zu kurzfristigen Gewichtsänderungen mit Gewichtsabnahme sowie nachfolgend erneuter Zunahme bei teilweise ausgeprägtem Impulsessen geführt. In Verbindung mit dem ausgeprägten Übergewicht sei es inzwischen zu ausgesprochen belastenden Beschwerden durch Bandscheibenvorfall sowie Gonarthrose und statischen Fußbeschwerden gekommen. Komplizierend bestehe seit längerer Zeit eine deutliche Einschränkung der Nierenfunktion. Auch bei der gebesserten diabetischen Stoffwechsellage bestehe aufgrund des kardiovaskulären Risikoprofils und der deutlich schlechteren Gesamtprognose bei fortbestehender Adipositas in dem vorliegenden Ausmaß eine eindeutige Indikation zu einer operativen Therapie (bariatrische Chirurgie). Die möglichen konservativen Behandlungsmethoden seien weitgehend ausgeschöpft. Dr. … führte aus, dass derzeit ein Body-Maß-Index (BMI) von 49,5 vorliege. Es liege eine dringend behandlungsbedürftige Adipositas vor. Die Richtlinien der Deutschen Adipositasgesellschaft zur operativen Therapie erfülle die Klägerin. Auf Grund des Essverhaltens und Vorgeschichte der Klägerin empfehle er die Anlage eines Schlauchmagens oder Y-Roux-Magenbypasses.
Aufgrund dessen holte die Beklagte ein sozialmedizinisches Gutachten bei dem Arzt … vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Dieser kam am 03.03.2011 nach Aktenlage zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin zwar eine krankhafte Adipositas vorliege und sie sicherlich Bemühungen zur Gewichtsreduktion unternommen habe. Konkrete Angaben lägen jedoch nicht vor. Dies hinsichtlich durchgemachter Diäten, ebenso in Bezug auf Ernährungsberatungen, die nur im Rahmen einer Diabetes- und Hypertonieschulung erfolgt seien. Ein Basisprogramm müsse aber im Rahmen eines strukturierten Programms erfolgen, unter kompetenter Führung und nachweislich dokumentiert sein. Die Maßnahmen seien dann nicht als Ausnahmezeiten zu organisieren, sondern stellten die Grundlage dar, sie in Eigenverantwortlichkeit fortzuführen. Motivation und Disziplin seien unabdingbar für langfristige Erfolge, da sowohl bei konservativen als auch nach chirurgischen Maßnahmen die Lebens-/Verhaltensweise verändert blieben. Aus den vorliegenden Unterlagen könne die gewünschte operative Maßnahme zur Behandlung der Adipositas nicht als „ultima ratio“-Entscheidung abgeleitet werden. Vorrangig sei eine konservative Therapie im Sinne eines multimodalen Gesamtkonzeptes.
Mit Bescheid vom 09.03.2011 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin unter Hinweis auf den MDK ab. Hiergegen legte die Klägerin am 09.04.2011 mit der Begründung Widerspruch ein, mittlerweile liege eine neue S3-Leitlinie der Deutschen Adipositasgesellschaft (DAG) „Chirurgie der Adipositas“ von April 2010 vor, welche beim MDK völlig unberücksichtigt geblieben sei. Diese Leitlinie führe ein weiteres Beurteilungskriterium ein, nämlich den Begriff der „geringen Erfolgsaussichten“. Ließen demnach Art und/oder Schwere der Krankheit bzw. psychosoziale Gegebenheiten bei Erwachsenen annehmen, dass eine chirurgische Therapie nicht aufgeschoben werden könne oder die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg sei, könne in Ausnahmefällen auch primär eine chirurgische Therapie durchgeführt werden (Punkt 3.2 der Leitlinie, S. 16). Ein solcher Ausnahmefall liege hier vor. Zudem leide die Klägerin an einem Diabetes mellitus Typ II, welcher nur durch die begehrte operative Maßnahme in den Griff zu bekommen sei.
Die Klägerin ließ die beantragte Operation zur Implantation eines Magenbypasses am 09.08.2011 auf eigene Kosten durchführen. Hierbei wurden der Klägerin seitens des … Krankenhauses Zweibrücken am 31.08.201 1 insgesamt 8.709,71 € in Rechnung gestellt, wobei die Summe auch einen 1-Bett-Zimmer-Zuschlag in Höhe von 404,52 € beinhaltet.
Die Beklagte holte ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage bei den Ärzten … und Dr. … vom MDK ein, die am 04.09.2011 zu dem Ergebnis kamen, dass die adipositaschirurgischen Eingriffe einer besonderen Rechtfertigung bedürften. Dieser besonderen Rechtfertigung werde auch in den im Widerspruch angemerkten S3-Richtlinien in gleicher Weise Rechnung getragen. Die bariatrische Operation als originäre Diabetesbehandlung anzuführen sei abwegig und entspreche nicht im vorgetragenen Sinn den Leitlinien einer Diabetes mellitus Behandlung. Zusammenfassend ergäben sich keinerlei neuen Aspekte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.2011 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und bezog sich dabei im Wesentlichen auf die Begründung des Ausgangsbescheides.
Hiergegen hat die Klägerin am 30.01.2012 Klage vor dem Sozialgericht Speyer erhoben.
Die Klägerin verweist im Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen. Die in der Rechnung vom 31.08.2011 enthaltenen Kosten für den 1-Betl-Zimmer-Zuschlag würden nicht weiter geltend gemacht.
Die Klägerin beantragt zuletzt, den Bescheid der Beklagten vom 09.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die im August 2011 durchgeführte adipositaschirurgische Operation in Höhe von 8.305,19 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf ihren Widerspruchsbescheid vom 21.12.2011.
Das Gericht hat Befundberichte bei den Ärzten Dr. … Dr. … und Dr. … eingeholt. Es hat weiter Beweis erhoben durch ein Gutachten des Sachverständigen Dr. … gem. § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist – soweit die Klägerin sie im Hinblick auf den in der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfassenden 1-Bett-Zimmer-Zuschlag nicht zurückgenommen hat – begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 09.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 8.305,19 € für die am 09.08.2011 durchgeführte Operation zur Implantation eines Magenbypasses.
Als Rechtsgrundlage für einen Kostenerstattungsanspruch kommt vorliegend allein § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – (SGB V) in Betracht. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V).
Die Beklagte hat den von der Klägerin gestellten Antrag auf Kostenübernahme für eine Operation zur Implantation eines Magenbypasses vom 24.11.2010 zu Unrecht abgelehnt. Dabei tritt der gem. § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V normierte Kostenerstattungsanspruch an die Stelle eines ansonsten bestehenden Sachleistungsanspruchs und kann daher nicht weiterreichen als dieser (BSG, Urteil vom 27.09.2005 – B 1 KR 28/03 R). Voraussetzung für eine Kostenerstattung ist daher, dass ein entsprechender Sachleistungsanspruch auf die selbstbeschaffte Leistung bestand. Dies war hier der Fall.
Zur Überzeugung der Kammer war eine Magenbypassoperation medizinisch notwendig und daher von der Beklagten gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu übernehmen.
Die Kammer folgt dabei dem Bundessozialgericht (BSG), das in seinem Urteil vom 19.02.2003 – B 1 KR 2/02 R – zur medizinischen Notwendigkeit von bariatrischen bzw. adipositaschirurgischen Operationen ausführt, dass diese Form der Behandlung wegen des Operationsrisikos an folgende Voraussetzungen gebunden ist, die das BSG den Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) entlehnt:
- Der BMI muss größer als 40 bzw. größer als 35 mit erheblichen Begleiterkrankungen sein.
- Das Operationsrisiko muss – vor allem im Hinblick auf andere Erkrankungen des Versicherten – tolerabel sein.
- Der Versicherte muss ausreichend motiviert sein, die Gewichtsreduktion herbeizuführen.
- Es darf keine manifeste psychische Erkrankung ursächlich sein.
- Die Möglichkeit der lebenslangen medizinischen Nachbetreuung muss sichergestellt sein.
- Konservative Maßnahmen zur Gewichtsreduktion müssen erschöpft sein.
- Nach der im Juni 2010 veröffentlichten S3-Leitlinie „Chirurgie der Adipositas“ (S. 16) der DAG ist das Merkmal der „Primären Indikation“ eingefügt worden. Lassen danach Art und/oder Schwere der Krankheit bzw. psychosoziale Gegebenheiten bei Erwachsenen annehmen, dass eine chirurgische Therapie nicht aufgeschoben werden kann oder die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist, kann in Ausnahmefällen auch primär eine chirurgische Therapie durchgeführt werden; die Indikation hierzu ist durch einen in der Adipositastherapie qualifizierten Arzt und einen bariatrischen Chirurgen gemeinsam zu stellen. Diese Erweiterung ist nach der aktuellen Rechtsprechung bei der Frage zu berücksichtigen, inwieweit die konservativen Behandlungsmaßnahmen zur Gewichtsreduktion ausgeschöpft sein müssen (vgl. nur LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.02.2013 – L 5 KR 194/12; SG Mainz, Urteil vom 26.06.2012 – S 16 KR 250/10).
Gestützt auf das vom Gericht eingeholte fachinternistische Gutachten des Sachverständigen Dr. … vom 04.01.2013 liegen diese Voraussetzungen vor. Hiernach litt die Klägerin vor der Operation an folgenden Erkrankungen:
- Metabolisches Syndrom (Adipositas permagna, Arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Typ II, Hyperlipidämie)
- Niereninsuffizienz bei V.a. vaskuläre Nephropathie
- Hyperurikämie mit gichtspezifischen Beschwerden
- Beginnender sekundärer Hyperparathyreoidismus
- Cholecystoliothiasis
- Hypothyeose
- Varusgonarthrose beidseits
Der Sachverständige stellte aufgrund dieser Erkrankungen einen konkreten Behandlungsbedarf fest, wobei sich der Gutachter in überzeugender Weise mit den von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft entwickelten Kriterien auseinandersetzt. Er führt aus, dass die Klägerin vor der Operation – gemessen an ihrer Körpergröße – ein Übergewicht von 80 kg und damit 150 bis 160 % des Ideal- bzw. Normgewichtes aufwies. Eine Gewichtsreduktion war aus medizinischer Sicht zwingend und möglichst umgehend angezeigt, um die geschilderten Folgeerkrankungen des Übergewichts auf internistischem Fachgebiet in Zukunft zu verhindern.
Aus Sicht des Gutachters war eine bariatrisch-chirurgische Vorgehensweise bei der bei der Klägerin vorliegenden erheblichen Adipositas indiziert, da bei dem Ausmaß des Übergewichts und den bereits in der Vergangenheit stattgehabten frustranen Versuchen keine entscheidende und anhaltende Gewichtsreduktion erreicht werden konnte. Hinzu kommt, dass bei dem Ausmaß der Adipositas konservative Therapiemaßnahmen kaum Aussicht auf Erfolg hatten und im Vergleich zu den bariatrisch-chirurgischen Maßnahmen in der erzielten Gewichtsreduktion deutlich zurückstehen. Die Klägerin hat diverse Versuche mit Diäten unternommen, diese hatten aber letztendlich keinen bleibenden Erfolg. Es war bei dem massiven Übergewicht nicht davon auszugehen, dass durch eine alleinige diätetische Maßnahme ein schneller oder auch langfristig ausreichender Gewichtsverlust erzielt werden konnte. Bei dem massiven Übergewicht wäre es unrealistisch gewesen anzunehmen, dass eine Bewegungstherapie erfolgen konnte, die zu einer merklichen Gewichtabnahme geführt hätte. Bei einer Körpergröße von 157 cm und einem Körpergewicht von 132,5 kg ist ein Organismus nicht in der Lage, sich über eine längere Zeit im Ausdauersport so zu bewegen, dass eine messbare Gewichtsabnahme erfolgt. Limitierende Faktoren sind die durch das massive Übergewicht rasch auftretende körperliche Ermüdung, die verringerte cardiovaskuläre Belastbarkeit und die durch das massive Übergewicht sich auswirkende limitierende Gelenksituation. Eine sportliche Betätigung hätte durch die auftretende Mehrbelastung und die in der Folge verspürten Schmerzen nicht auf Dauer durchgeführt werden können, ohne dass vorher massive Gelenkprobleme aufgetreten wären, die in der Regel dazu gezwungen hätten, die sportliche Betätigung rasch wieder einzustellen. Die Klägerin war etwa zwei Jahre vor der erfolgten Operation auf den Gebrauch zweier unterarmgestützter Gehilfen angewiesen. Eine medikamentöse Therapie war bei der Klägerin in der Vergangenheit ebenfalls ohne Erfolg durchgeführt worden. Die in Deutschland gängigsten Medikamente zur Gewichtsabnahme (Reductil, Xenical) sind aus Sicht des Sachverständigen generell nicht geeignet, einen anhaltenden und im Vergleich zu einer Reduktionskost deutlich größeren Effekt bei der Gewichtsabnahme zu erzielen. Der Erfolg beider Medikamente ist insgesamt laut Studienlage relativ begrenzt und im Vergleich zu einer Gewichtsabnahme nach bariatrischen Maßnahmen vernachlässigbar. Hinzu kommt, dass man sich diesen Effekt mit zum Teil nicht unerheblichen Nebenwirkungen erkauft, so dass insgesamt aus Sicht von Dr. … eine medikamentöse Therapie bei der Klägerin nicht indiziert und auch in keiner Weise erfolgversprechend war. Eine Psychotherapie wurde im Hinblick auf das Essverhalten der Klägerin abgesehen von einem orientierenden Gespräch nicht durchgeführt. Der Sinn einer Psychotherapie war jedoch gemäß den Ausführungen des Sachverständigen zu vernachlässigen. Auch die Einschätzung der damals konsultierten Psychologin sprach dafür, dass der Erfolg einer Psychotherapie stark angezweifelt werden muss. Psychische Störungen oder Erkrankungen, die zu einer vermehrten Nahrungsaufnahme führen, lagen und liegen bei der Klägerin nicht vor. Das Operationsrisiko war gering bzw. im Hinblick auf die Folgeschäden bei fortbestehender Adipositas durchaus vertretbar. Eine ausreichende Motivation zur Gewichtsreduktion war bei der Klägerin zweifelsfrei festzustellen, eine manifeste psychische Erkrankung lag ebenfalls nicht vor. Eine jahrelange medizinische Betreuung ist durch die Anbindung an die Chirurgische Abteilung des Krankenhauses in Zweibrücken bei Herrn Dr. … gewährleistet.
Zusammenfassend stellt Dr. … fest, dass sich die Klägerin seit knapp 40 Jahren um eine Gewichtsabnahme bemüht hat. Diese Bemühungen wurden jedoch nicht immer konsequent und über einen längeren zusammenhängenden Zeitraum durchgeführt und haben auch zu keinem dauerhaften Erfolg bezüglich der Gewichtsabnahme geführt. Ein integriertes multimodales Behandlungskonzept ist bei der Klägerin vor der Operation nicht erfolgt. Allerdings hätte der Versuch bzw. die Umsetzung einer multimodalen konservativen Behandlung zu keinem anhaltenden und durchschlagenden Erfolg geführt. Das Übergewicht war so stark ausgeprägt, dass der Erfolg konservativer Maßnahmen zur Gewichtsreduktion sehr begrenzt und unter realistischer Betrachtungsweise im Falle der Klägerin nahezu aussichtslos erschien. Dabei sind die Einschätzungen des Sachverständigen widerspruchsfrei und in sich schlüssig, so dass sich die Kammer in ihrer Einschätzung darauf stützen konnte. Die Voraussetzungen der primären Indikation nach der S3-Richtlinie der DAG sind nach den eindeutigen Ausführungen des Dr. … erfüllt, weil die konservativen Behandlungsmöglichkeiten, selbst wenn die Klägerin sie wie von der Beklagten gefordert wahrgenommen hätte, ohne Aussicht auf Erfolg waren. Ein Ausnahmefall im Sinne der Richtlinie lag damit vor. Die Indikation hierzu ist auch durch einen in der Adipositastherapie qualifizierten Arzt und einen bariatrischen Chirurgen gestellt worden, nämlich durch Dr. … und Dr. ….
Den sozialmedizinischen Gutachten des MDK nach Aktenlage vom 03.03.2011 und 04.09.2011 folgt die Kammer nicht. Diese kommen zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Kostenübernahme der Magenbypassoperation nicht vorliegen, weil die Klägerin die konservativen Behandlungsmöglichkeiten im Sinne eines multimodalen Behandlungskonzepts nicht erschöpft habe. Dass der Klägerin jedoch die konservativen Behandlungsmethoden faktisch nicht zur Verfügung standen, weil sie sie aufgrund der eingeschränkten körperlichen Zustandes nicht hätte wahrnehmen können bzw. weil die konservativen Methoden nicht erfolgreich gewesen wären, hat der Sachverständige Dr. … in seinem Gutachten umfassend und überzeugend dargestellt. Die Kammer ist auch der Ansicht, dass ein „Ausschöpfen“ der konservativen Behandlungsmethoden nicht bedeuten kann, dass sämtliche zur Verfügung stehenden Maßnahmen ausprobiert werden müssen. Insbesondere konnte von der Klägerin nicht verlangt werden, immer neue, nahezu gleichartige Diäten verschiedener Anbieter zu testen.
Die Klage hat daher in vollem Umfang Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Das geringfügige Unterliegen der Klägerin im Hinblick auf die Teil-Klagerücknahme bezüglich des 1-Bett-Zimmer-Zuschlags wirkt sich kostenmäßig nicht aus.