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MdE-Berechnung nach Arbeitsunfall: Tabellen vor medizinischen Scores

Nach einer schweren Ellenbogen-Verletzung stritt ein Kläger um die MdE-Berechnung nach Arbeitsunfall und forderte eine dauerhafte Rente von 20 Prozent. Obwohl ein moderner medizinischer Score die Schwere der Einschränkung bestätigte, weigerten sich die Richter, diesen als alleinige rechtliche Grundlage anzuerkennen.

Zum vorliegenden Urteil Az.: L 6 U 95/21 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
  • Datum: 09.08.2023
  • Aktenzeichen: L 6 U 95/21
  • Verfahren: Berufung
  • Rechtsbereiche: Gesetzliche Unfallversicherung, Verletztenrente, Minderung der Erwerbsfähigkeit

  • Das Problem: Ein Mann forderte von der Unfallversicherung weiterhin eine Verletztenrente wegen anhaltender Folgen eines Arbeitsunfalls am Ellenbogen. Die Versicherung hatte die Rente entzogen, weil die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 Prozent auf 10 Prozent gesunken sei.
  • Die Rechtsfrage: Muss die gesetzliche Unfallversicherung weiterhin eine Rente zahlen, obwohl die objektiven Bewegungseinschränkungen des Ellenbogens nur noch eine MdE von 10 Prozent nach den üblichen Referenztabellen begründen?
  • Die Antwort: Nein. Der Anspruch auf eine dauerhafte Rente besteht nicht, da die MdE des Klägers nur 10 Prozent beträgt. Das Gericht stellte fest, dass die MdE nach etablierten Tabellen und nicht nach dem vom Kläger herangezogenen Broberg-Morrey-Score zu bemessen ist.
  • Die Bedeutung: Bei der Berechnung der Minderung der Erwerbsfähigkeit dürfen Ärzte medizinische Scores, die subjektive Schmerzen oder Alltagsfunktionen bewerten, nicht direkt als Maßstab verwenden. Entscheidend für die Rente sind allein die verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Erwerbsleben, gemessen an objektiven Funktionsbefunden und juristischen Erfahrungswerten.

Der Fall vor Gericht


Was ist der Unterschied zwischen einer medizinischen Diagnose und einem juristischen Anspruch?

Nach einem Arbeitsunfall mit komplizierter Ellenbogen-Verletzung fand sich ein Mann in einer scheinbar absurden Situation wieder. Ein von ihm beauftragter Spezialist bewertete seine Funktionseinschränkung mit einem anerkannten medizinischen Punktesystem, dem Broberg-Morrey-Score, und kam auf einen Wert, der eine Rente rechtfertigte.

Nach dem Arbeitsunfall wird die MdE für die Verletztenrente durch einen Funktionsscore (Broberg-Morrey) beurteilt.
Gericht bestätigt: Juristische Rentenansprüche folgen anderen Maßstäben als medizinische Scores. | Symbolbild: KI

Die Unfallversicherung und später die Gerichte sahen das anders. Sie ignorierten den Score und griffen auf jahrzehntealte Tabellenwerke zurück, die ein ganz anderes Ergebnis lieferten. Es entbrannte ein Streit, der tief in das System der gesetzlichen Unfallversicherung führt und eine Kernfrage beleuchtet: Ist ein medizinischer Befund dasselbe wie ein juristischer Rentenanspruch?

Wie kam es überhaupt zum Streit um die Verletztenrente?

Ein Angestellter stürzte 2016 bei einer Betriebsveranstaltung unglücklich auf seinen linken Arm. Die Diagnose war schwerwiegend: eine Ellenbogenluxation mit Radiusköpfchenfraktur. Eine Prothese musste operativ eingesetzt werden. Die zuständige gesetzliche Unfallversicherung erkannte den Vorfall als Arbeitsunfall an. Ein von ihr bestellter Gutachter stellte 2017 fest, dass die Beweglichkeit des Arms eingeschränkt war. Er bewertete die daraus resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit – kurz MdE – auf 20 Prozent. Das war der kritische Schwellenwert. Liegt die MdE bei mindestens 20 Prozent, besteht ein Anspruch auf eine Verletztenrente nach dem Sozialgesetzbuch (§ 56 Abs. 1 SGB VII). Die Versicherung zahlte dem Mann eine vorläufige Rente.

Warum strich die Versicherung die Rente nach zwei Jahren?

Zwei Jahre später bestellte die Versicherung denselben Gutachter für eine Kontrolluntersuchung. Seine neuen Messungen der Armbeweglichkeit wichen nur geringfügig von den alten ab. Seine Schlussfolgerung änderte sich aber radikal. Er schätzte die MdE jetzt nur noch auf 10 Prozent ein. Für die Versicherung war das ein klares Signal. Sie entzog dem Mann die Rente und lehnte einen dauerhaften Anspruch ab. Die Begründung war formal korrekt. Fällt die MdE unter 20 Prozent, entfällt die gesetzliche Grundlage für die Rentenzahlung. Der Mann legte Widerspruch ein. Er verstand nicht, wieso sich seine Situation gebessert haben sollte. Sein Arm fühlte sich nicht besser an.

Mit welchem Argument kämpfte der Mann für seinen Anspruch?

Der Verletzte zog einen eigenen Gutachter hinzu. Dieser Chirurg bestätigte die Bewegungseinschränkungen und attestierte zusätzlich Kraftminderungen und Schmerzen bei Belastung. Der entscheidende Punkt war seine Methode. Er nutzte zur Bewertung den sogenannten Broberg-Morrey-Score (BMS). Das ist ein in der Medizin etabliertes System, um die Funktion des Ellenbogens nach einer Verletzung oder Operation zu bewerten. Dieses System berücksichtigt neben objektiven Messwerten auch subjektive Faktoren wie Schmerz. Das Ergebnis des BMS-Tests war eindeutig: Die Beeinträchtigung des Mannes rechtfertigte eine MdE von 20 Prozent. Mit diesem Gutachten in der Hand zog der Mann vor das Sozialgericht und später vor das Landessozialgericht. Seine Argumentation war klar: Ein moderner, anerkannter medizinischer Score muss bei der juristischen Bewertung zählen.

Wieso hielt das Gericht die juristischen Tabellen für wichtiger als den medizinischen Score?

Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt wies die Klage des Mannes zurück. Die Richter machten eine grundlegende Unterscheidung – eine, die den Kern des Falles ausmacht. Die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist keine rein medizinische Frage. Sie ist eine rechtliche Feststellung. Das Gesetz (§ 56 Abs. 2 SGB VII) definiert die MdE als den Umfang der verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Es geht nicht darum, wie gut jemand seinen Alltag bewältigen oder wie schmerzfrei er einen Stift halten kann. Es geht darum, welche Jobs er theoretisch nicht mehr ausüben kann.

Für diese rechtliche Bewertung nutzen Gerichte und Versicherungen seit Jahrzehnten anerkannte Erfahrungswerte. Diese sind in Referenztabellen zusammengefasst, zum Beispiel im Standardwerk „Schönberger/Mehrtens/Valentin“. Diese Tabellen koppeln bestimmte Funktionseinschränkungen an feste MdE-Werte und sichern eine einheitliche Rechtsprechung. Der Broberg-Morrey-Score verfolgt einen anderen Zweck. Er misst das klinische Ergebnis einer Behandlung und die Funktion im Alltag. Weil er auch subjektives Schmerzempfinden einbezieht, ist er für die juristische Frage nach den allgemeinen Erwerbsmöglichkeiten ungeeignet. Das Gericht pulverisierte die Argumentation des Klägers mit dieser Logik. Die medizinische Welt und die juristische Welt nutzen unterschiedliche Maßstäbe.

Spielten die Schmerzen und die Kraftminderung des Mannes keine Rolle?

Das Gericht prüfte auch diese Punkte. Es stellte fest, dass Schmerzen die MdE nur dann erhöhen, wenn sie eine eigenständige, medizinisch fassbare Krankheit darstellen. Der Mann befand sich aber nicht in einer speziellen Schmerztherapie oder nahm dauerhaft starke Medikamente. Es gab keinen objektiven Nachweis für außergewöhnliche Schmerzen, die über das bei solch einer Verletzung übliche Maß hinausgingen. Ähnlich sah es bei der Kraftminderung aus. Die Messungen der verschiedenen Gutachter zur Muskelmasse des Arms wichen voneinander ab und bewegten sich im Rahmen normaler Messtoleranzen. Es fehlte der Nachweis einer so gravierenden Kraftminderung, dass sie eine höhere MdE rechtfertigen würde.

Wie kam das Gericht am Ende auf den Wert von 10 Prozent?

Die Richter legten die über die Jahre dokumentierten Messwerte der Armbeweglichkeit nebeneinander. Die Werte waren erstaunlich konstant. Die Einschränkung bei Streckung und Beugung lag durchweg in einem Bereich, den die juristischen Referenztabellen klar einer MdE von 10 Prozent zuordnen. Eine MdE von 20 Prozent wäre erst bei einer viel stärkeren Versteifung des Gelenks erreicht. Die Gutachten, auf die sich die Versicherung stützte, und das vom Gericht selbst eingeholte Gutachten kamen übereinstimmend zu diesem Schluss. Da die Faktenlage klar war und nur die rechtliche Bewertung strittig, entschied der Senat ohne mündliche Verhandlung per Beschluss. Die Berufung des Mannes wurde zurückgewiesen.

Die Urteilslogik

Die Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit trennt die rein medizinische Diagnose klar von der rechtlichen Bewertung des Arbeitsverlusts.

  • Juristische vs. Medizinische Messung: Die Minderung der Erwerbsfähigkeit bemisst den Umfang der verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens und lässt sich nicht mit klinischen Punktesystemen vergleichen, die die Alltagsfunktion oder das Behandlungsergebnis bewerten.
  • Priorität der Referenztabellen: Gerichte ziehen anerkannte juristische Referenztabellen heran, die feste MdE-Werte an spezifische Funktionseinschränkungen koppeln, um die einheitliche Rechtsanwendung über moderne, aber für die juristische Fragestellung ungeeignete medizinische Scores zu stellen.
  • Ablauf des Rentenanspruchs: Der Anspruch auf eine dauerhafte Verletztenrente entfällt sofort, wenn eine Neubewertung feststellt, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit unter den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestschwellenwert von 20 Prozent gesunken ist.

Nur objektive, an den rechtlichen Standardwerken gemessene Einschränkungen begründen einen dauerhaften Anspruch gegenüber der gesetzlichen Unfallversicherung.


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Experten Kommentar

Viele Verletzte stehen vor dem gleichen Problem: Der Schmerz ist real, die Einschränkung spürbar, aber vor Gericht zählt nicht, wie weh etwas tut, sondern wie das Gesetz die Einschränkung bewertet. Dieses Urteil ist eine klare Ansage: Die Berechnung der Verletztenrente bleibt konsequent an jahrzehntealte, objektive Referenztabellen gebunden. Ein moderner medizinischer Score wie der Broberg-Morrey, der subjektive Faktoren wie Schmerz einbezieht, wird ignoriert, da er für die juristische Feststellung der MdE auf dem gesamten Arbeitsmarkt ungeeignet ist. Wer nach dem Arbeitsunfall eine MdE von 20 Prozent erreichen will, muss demnach harte, messbare Fakten liefern, die weit über das übliche Schmerzempfinden hinausgehen.


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Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Warum ist meine MdE juristisch niedriger als der medizinische Befund des Arztes?

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist keine medizinische Diagnose, sondern eine rein rechtliche Feststellung. Sie bemisst nicht, wie stark Ihre Lebensqualität beeinträchtigt ist oder wie hoch ein klinischer Score ausfällt. Die MdE fragt stattdessen, in welchem Umfang Ihre Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten allgemeinen Erwerbsgebiet eingeschränkt sind. Diese juristische Logik ist in § 56 Abs. 2 SGB VII verankert und erklärt die Diskrepanz zwischen klinischer Funktion und Rentenanspruch.

Gerichte und Unfallversicherungen müssen eine einheitliche und objektive Rechtsprechung sicherstellen. Deshalb stützen sie sich auf juristische Referenztabellen, wie sie im Standardwerk „Schönberger/Mehrtens/Valentin“ verankert sind. Diese Erfahrungswerte koppeln messbare Funktionseinschränkungen, zum Beispiel genaue Winkelgrade bei einer Versteifung, an feste MdE-Werte. Subjektive Empfindungen, etwa Schmerz oder Befindlichkeitsstörungen, sind in diesen objektiven Bewertungen bewusst ausgeschlossen.

Ein moderner medizinischer Score, wie der Broberg-Morrey-Score, kann Ihnen aufgrund hoher Schmerzwerte eine hohe Punktzahl bescheinigen. Weil dieser Score jedoch subjektive Faktoren einbezieht und die Funktion im Alltag misst, ist er für die objektive MdE-Feststellung ungeeignet. Die juristische Bewertung misst lediglich die theoretische Restleistung: Können Sie bestimmte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ausüben?

Fordern Sie von Gericht oder Unfallversicherung die genaue Angabe der Messreihe und die exakte Zeile der juristischen Referenztabelle, die zur Feststellung Ihrer MdE herangezogen wurde.


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Ab welcher MdE-Prozentzahl habe ich Anspruch auf eine dauerhafte Verletztenrente nach dem Arbeitsunfall?

Der Anspruch auf eine dauerhafte Verletztenrente nach einem Arbeitsunfall beginnt erst, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mindestens 20 Prozent beträgt. Dieser Wert ist der juristische Schwellenwert, der in § 56 Abs. 1 SGB VII festgeschrieben ist. Liegt Ihre MdE auch nur knapp unter dieser Schwelle, beispielsweise bei 15 Prozent, besteht kein gesetzlicher Anspruch auf eine laufende Rente.

Die 20-Prozent-Schwelle dient der Standardisierung der Leistungsgewährung in der gesetzlichen Unfallversicherung. Diese strikte Regelung stellt sicher, dass nur gravierende und dauerhafte Einschränkungen der allgemeinen Arbeitsfähigkeit rentenberechtigt sind. Viele Betroffene erhalten nach einem Unfall zunächst eine befristete Rente, da die endgültige MdE-Feststellung oft erst nach dem Ablauf der Heilbehandlung möglich ist.

Daher ist die Rente nie sofort dauerhaft. Nach spätestens zwei Jahren folgt zwingend eine Nachuntersuchung durch einen Gutachter der Unfallversicherung. Fällt die MdE im Rahmen dieser Kontrolluntersuchung unter die 20-Prozent-Schwelle, entfällt die gesamte gesetzliche Grundlage für die Rentenzahlung. Die Versicherung stellt die Zahlungen dann formal korrekt ein, selbst wenn keine deutliche medizinische Besserung eingetreten ist.

Überprüfen Sie umgehend, welchen MdE-Wert der letzte Gutachter der Unfallversicherung festgestellt hat; nur bei 20 Prozent oder mehr ist die Basis für einen dauerhaften Anspruch gegeben.


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Was kann ich tun, wenn die Unfallversicherung meine MdE herabstuft und die Rentenzahlung stoppt?

Die Einstellung der Verletztenrente wegen einer Herabstufung der MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) erfordert sofortiges Handeln, da die gesetzliche Monatsfrist für den Widerspruch läuft. Legen Sie umgehend formell Widerspruch gegen den Herabsetzungsbescheid ein. Dies stoppt zwar nicht die Zahlungseinstellung, sichert aber Ihre Rechte und die Möglichkeit zur Klage. Konzentrieren Sie sich danach darauf, die eigene juristische Beweislage schnellstmöglich zu verbessern.

Der Widerspruch selbst muss nicht sofort begründet werden; die Fristwahrung ist jedoch zwingend notwendig, um den Anspruch aufrechtzuerhalten. Nutzen Sie die gewonnene Zeit, um einen eigenen Fachgutachter zu beauftragen, der auf die juristische Bewertung von Unfallfolgen spezialisiert ist. Dieses Gegengutachten muss die Argumentation der Versicherung gezielt widerlegen und beweisen, dass die Funktionseinschränkungen gemäß den traditionellen juristischen Tabellen weiterhin 20 Prozent MdE rechtfertigen.

Oft stufen Versicherungen die MdE von 20 auf 10 Prozent herab, da die gesetzliche Grundlage für die Rentenzahlung unter dem Schwellenwert von 20 Prozent entfällt. Die Erfahrung zeigt, dass die Unfallversicherung eine einmal getroffene Entscheidung selten freiwillig revidiert. Sie müssen sich deshalb realistisch auf ein Verfahren vor dem Sozialgericht einstellen. Sichern Sie alle älteren Gutachten, die ursprünglich eine MdE von 20 Prozent attestierten, um die radikale Meinungsänderung der Versicherung argumentativ vorzubereiten.

Notieren Sie sofort das Fristende für den Widerspruch auf dem Ablehnungsschreiben und suchen Sie frühzeitig einen Fachanwalt für Sozialrecht auf.


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Können anhaltende Schmerzen oder eine Kraftminderung meine Minderung der Erwerbsfähigkeit erhöhen?

Die Regel: Schmerzen und Kraftminderung erhöhen Ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nur unter extrem hohen juristischen Anforderungen. Dafür müssen diese Symptome einen objektivierbaren Krankheitswert aufweisen, der medizinisch fassbar ist. Subjektive Schilderungen allein reichen Gerichten zur Feststellung einer höheren MdE keinesfalls aus.

Gerichte bewerten Schmerzen als zusätzliche Einschränkung nur dann, wenn sie über das bei der Primärverletzung übliche Maß deutlich hinausgehen. Juristen gehen davon aus, dass normale Schmerzen, die typischerweise mit der Gelenkeinschränkung einhergehen, bereits im standardisierten MdE-Wert enthalten sind. Eine Erhöhung ist erst möglich, wenn eine eigenständige Schmerzdiagnose vorliegt, beispielsweise ein chronisches Schmerzsyndrom. Dies erfordert oft den Nachweis einer spezialisierten Schmerztherapie oder die dauerhafte Einnahme starker Schmerzmittel.

Für die Berücksichtigung einer Kraftminderung gelten ähnliche strenge Maßstäbe der Objektivierbarkeit. Die gemessenen Werte müssen gravierend ausfallen und außerhalb der normalen Messtoleranzen liegen. Konkret: Eine nur geringfügige Abweichung zwischen dem verletzten und dem gesunden Arm genügt nicht, um eine höhere Minderung der Erwerbsfähigkeit zu begründen. Der Befund muss einen schwerwiegenden, erwerbsmindernden Status darstellen, der über die reine Gelenkfunktionsstörung hinausgeht.

Besprechen Sie mit Ihrem behandelnden Arzt, ob eine Überweisung in eine spezialisierte Schmerztherapie-Einrichtung medizinisch indiziert ist, um den Krankheitswert der Schmerzen objektiv zu belegen.


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Welche juristischen Referenztabellen bestimmen die MdE-Höhe bei einer Gelenkverletzung vor Gericht?

Die juristische Festlegung der MdE bei Gelenkverletzungen basiert nicht auf modernen medizinischen Bewertungen, sondern auf traditionellen Erfahrungswerten. Das wichtigste Referenzwerk für Gerichte und Unfallversicherungen ist das Handbuch Schönberger/Mehrtens/Valentin. Es dient als maßgebliche Orientierungshilfe zur Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung in der gesetzlichen Unfallversicherung.

Dieses Standardwerk koppelt objektiv messbare Funktionseinschränkungen direkt an feste MdE-Prozentwerte. Richter nutzen es, um spezifische Grade der Streckungs- oder Beugeeinschränkung eines Gelenks exakt einer MdE von beispielsweise 10 oder 20 Prozent zuzuordnen. Diese feste Kopplung gewährleistet, dass die Bewertung der MdE als rechtliche Feststellung zur Einschränkung der Erwerbsmöglichkeiten erfolgt. Moderne klinische Scores, welche zusätzlich subjektive Faktoren wie Schmerz berücksichtigen, werden in diesem juristischen Kontext oft ignoriert.

Der Grund für die Ablehnung neuerer Methoden liegt darin, dass diese andere Kriterien messen als die theoretischen Einschränkungen auf dem gesamten Arbeitsmarkt. Konkret: Ein medizinischer Score mag eine hohe Punktzahl attestieren. Wenn die Bewegungsmaße des Arms jedoch die spezifischen Schwellenwerte für 20 Prozent MdE im Schönberger/Mehrtens/Valentin nicht erreichen, bleibt der Anspruch bei 10 Prozent. Für einen erfolgreichen Widerspruch muss ein Gegengutachten die Abweichung zu den Vorgaben dieses juristischen Standardwerks belegen.

Bitten Sie Ihren Gutachter oder Anwalt explizit darum, die Messergebnisse Ihrer Gelenkverletzung direkt den relevanten Schwellenwerten im Schönberger/Mehrtens/Valentin gegenüberzustellen.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


**Bildtyp:** Editorial-Foto

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- SOZIALRECHT GLOSSAR
- Fachbegriffe einfach erklärt.
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**Wesentliche Bildelemente:** Buch, Lupe, Kugelschreiber

**Bildbeschreibung:** Das Bild zeigt eine büroähnliche Umgebung mit einem Schreibtisch. Auf dem Tisch liegen ein geöffnetes Buch, eine Lupe und Kugelschreiber. Ein Ordner mit der Aufschrift "BEWILLIGT" und ein Aktenkorb mit beschrifteten Unterlagen sind ebenfalls sichtbar.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Broberg-Morrey-Score (BMS)

Der Broberg-Morrey-Score ist ein in der Chirurgie etabliertes, medizinisches Punktesystem, das Ärzte verwenden, um die Funktion und das klinische Ergebnis nach einer Ellenbogenverletzung oder Operation objektiv und subjektiv zu bewerten. Dieses moderne Messinstrument misst nicht nur die Beweglichkeit, sondern berücksichtigt auch subjektive Kriterien wie die Schmerzintensität und die Funktion des Arms im täglichen Leben.
Beispiel: Das Landessozialgericht lehnte den Broberg-Morrey-Score ab, weil er subjektive Schmerzfaktoren einbezieht und somit für die rein juristische Bewertung der Erwerbsfähigkeit ungeeignet sei.

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Gesamtes Gebiet des Erwerbslebens

Juristen nennen das „gesamte Gebiet des Erwerbslebens“ den theoretischen, allgemeinen Arbeitsmarkt, auf dem ein Versicherter trotz seiner Verletzung noch tätig sein könnte. Das Sozialgesetzbuch definiert die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) anhand dieses Prinzips, um sicherzustellen, dass nicht die konkrete, verlorene Tätigkeit bewertet wird, sondern die Fähigkeit, irgendeinen Job auszuüben.
Beispiel: Die Richter mussten prüfen, inwiefern die Ellenbogenverletzung die theoretischen Arbeitsmöglichkeiten des Mannes auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens einschränkte, nicht nur, wie gut er seinen Alltag bewältigen konnte.

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Juristische Referenztabellen

Juristische Referenztabellen sind seit Jahrzehnten anerkannte Erfahrungswerte, die von Gerichten und Unfallversicherungen genutzt werden, um objektiv messbare Funktionseinschränkungen festen Werten der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zuzuordnen. Diese Standardwerke, wie das bekannte Schönberger/Mehrtens/Valentin, gewährleisten eine einheitliche und nachvollziehbare Rechtsprechung, indem sie persönliche Befindlichkeiten und Schmerzempfinden bei der Berechnung bewusst ausschließen.
Beispiel: Das Gericht ordnete die gemessenen Bewegungseinschränkungen des Klägers den genauen Schwellenwerten in den juristischen Referenztabellen zu und kam so auf eine MdE von 10 Prozent.

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Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist keine medizinische Diagnose, sondern eine rechtliche Feststellung des Umfangs, in dem die Arbeitsmöglichkeiten eines Versicherten durch einen Arbeitsunfall eingeschränkt sind. Der Gesetzgeber nutzt die MdE, um zu quantifizieren, wie stark die theoretische Restleistung eines Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nach einem Unfall beeinträchtigt ist; sie bildet die Berechnungsgrundlage für die Verletztenrente.
Beispiel: Die MdE des Mannes wurde zunächst auf 20 Prozent geschätzt, was einen Anspruch auf die Verletztenrente nach § 56 Abs. 1 SGB VII begründete, später jedoch auf 10 Prozent herabgestuft.

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Verletztenrente

Eine Verletztenrente ist die laufende Geldleistung der gesetzlichen Unfallversicherung, die ein Versicherter erhält, wenn seine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aufgrund eines Arbeitsunfalls mindestens 20 Prozent beträgt. Das Sozialgesetzbuch (SGB VII) legt fest, dass nur gravierende und dauerhafte Einschränkungen der allgemeinen Arbeitsfähigkeit durch diese Rente kompensiert werden sollen, wobei die Zahlung meist nach zwei Jahren einer zwingenden Überprüfung unterliegt.
Beispiel: Nachdem die Unfallversicherung die MdE des Klägers auf 10 Prozent herabgestuft hatte, entfiel die gesetzliche Grundlage für die Weiterzahlung der Verletztenrente.

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Das vorliegende Urteil


Landessozialgericht Sachsen-Anhalt – Beschluss vom 09.08.2023 – Aktenzeichen: L 6 U 95/21


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