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Meniskusschadens als Berufskrankheit nach Nr. 2102 BKV

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entscheidet gegen Anerkennung einer Berufskrankheit bei einem Dachdecker

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat in seiner Entscheidung vom 20. Januar 2022 (Az.: L 3 U 98/19) die Klage eines Dachdeckers auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten – abgewiesen. Das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 16. April 2019 wurde aufgehoben.

Direkt zum Urteil: Az.: L 3 U 98/19 springen.

Keine Feststellung von Meniskusschäden durch eine berufsbedingte Kniebelastung

Der 1967 geborene Kläger war, mit kurzen Unterbrechungen, als Dachdecker tätig, zuletzt bei der R und Söhne Dachdecker GmbH in G. Nach eigener Einschätzung verbrachte er etwa 4 Stunden pro Arbeitsschicht in kniender oder hockender Körperhaltung. Im Jahr 2011 wurde bei ihm eine medial betonte Verschmälerung des Gelenkspaltes festgestellt, und es erfolgten anschließend mehrere medizinische Eingriffe. Die Krankenkasse des Klägers zeigte der Beklagten den Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit an, und der Kläger stellte einen Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit.

Fehlende arbeitstechnische Voraussetzungen und überdurchschnittliche Belastungen

Die Beklagte holte verschiedene Befundberichte ein und ließ durch ihre Präventionsabteilung eine Arbeitsplatzexposition bezüglich der Berufskrankheit Nr. 2102 erstellen. Es wurde festgestellt, dass die bei Gerüstbauern vorliegenden Kniebelastungen nicht zur Anerkennung von Meniskusschäden als Berufskrankheit führten. Darüber hinaus zeigte die Studie im IFA-Report, dass die angenommenen Kniebelastungen beim Arbeiten auf Steildächern keine Meniskusbelastung im erforderlichen Maße der Kniebeugung bei gleichzeitiger Belastung gaben. Grundsätzlich liegt eine überdurchschnittliche Belastung vor, wenn sie einen wesentlichen Teil der täglichen Arbeitszeit in Anspruch nimmt.

Urteil: Keine Anerkennung der Berufskrankheit

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entschied, dass die festgestellte Kniegelenksbelastung des Klägers nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2102 erfüllt und deshalb keine Anerkennung der Berufskrankheit erfolgen kann. Die Revision wurde nicht zugelassen.

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Das vorliegende Urteil


Landessozialgericht Berlin-Brandenburg – Az.: L 3 U 98/19 – Urteil vom 20.01.2022

Das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 16. April 2019 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben für das gesamte gerichtliche Verfahren einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2102 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten – streitig.

Der 1967 geborene Kläger absolvierte vom 01. September 1983 bis zum 14. Juli 1985 bei der S R Dachdeckerei in G eine Ausbildung als Dachdecker und war dort bis zum 13. Mai 1988 sowie anschließend, mit kurzen Unterbrechungen, bis zum 30. Juni 1993 bei verschiedenen Arbeitgebern als Dachdecker tätig. Vom 01. Juli 1993 bis zum März 2013 übte er die Tätigkeit des Dachdeckers bei der R und Söhne Dachdecker GmbH in G – seit August 1995 als Meister – aus. Nach eigener Einschätzung habe er ca. 4 Stunden pro Arbeitsschicht in kniender oder hockender Körperhaltung verbracht.

Der Kläger erlitt nach eigenen Angaben im Jahr 1983 eine Knieverletzung während des Sportunterrichts. Unterlagen hierzu konnten bei der behandelnden Klinik nicht mehr ermittelt werden. Ausweislich einer am 08. Januar 2004 erfolgten Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule war der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits dreimal an der Bandscheibe operiert und ihm unter anderem zwei Bandscheibenprothesen (L5/S1 und L4/L5) implantiert worden. Laut Auskunft der Krankenversicherung des Klägers bestand eine Arbeitsunfähigkeit wegen der Bandscheibenoperationen und eingetretenen Komplikationen vom 17. März 2003 bis zum 30. September 2004.

Bei einer Röntgenuntersuchung des linken Knies am 29. September 2011 wurde eine medial betonte Verschmälerung des Gelenkspaltes festgestellt. Am 04. Oktober 2011 erfolgte im V Klinikum eine Arthroskopie des linken Knies. Dabei wurde u. a. ein großer degenerativer Lappenriss am Hinterhorn des medialen Meniskus, eine Chondropathie II. bis III. Grades am medialen Femurcondylus, eine Chondropathie II. Grades an der medialen Tibia und dem lateralen Tibiaplateau festgestellt. Es erfolgten eine Teilresektion des medialen Meniskushinterhorns und eine Knorpelglättung.

Bei einem am 12. Januar 2012 gefertigten MRT wurden u. a. ein Zustand nach Innenmeniskusteilresektion, eine mediale Meniskospathie III. bis IV. Grades, eine aktivierte mediale Gonarthrose, ein sternförmiger Riss des Hinterhorns des Innenmeniskus, eine geringe Chondropathie des medialen Tibiakopfes und ein fraglicher Zustand nach früherer Teilruptur des vorderen Kreuzbandes festgestellt.

Mit Schreiben vom 29. Februar 2012, eingegangen bei der Beklagten am 02. März 2012, zeigte die Krankenkasse des Klägers der Beklagten anlässlich der seit dem 04. Oktober 2011 wegen einer Binnenschädigung des Kniegelenks und wegen Bandscheibenschäden bestehenden Arbeitsunfähigkeit den Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit bei dem Kläger an. Parallel stellte der Kläger ebenfalls mit am 02. März 2012 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben einen Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit unter anderem auf Grund bestehender starker Schmerzen im linken Knie.

Auf einem Vordruck der Beklagten nahm der Kläger am 13. Mai 2012 zu seiner beruflichen Tätigkeit Stellung. Die Beklagte holte ein Vorerkrankungsverzeichnis von der C, bei der der Kläger vom 01. Juni 2000 bis zum 30. November 2005 krankenversichert war, sowie der I, bei der der Kläger vom 23. September 1991 bis zum 31. Mai 2000 sowie vom 01. Dezember 2005 bis zum 30. Mai 2011 versichert war, ein. Danach hatten keine Behandlungen wegen einer Meniskuserkrankung stattgefunden. Weiter holte die Beklagte einen Befundbericht von dem Facharzt für Orthopädie im Forum Gesundheit M vom 27. Juni 2012 ein. Danach hatte der Kläger sich dort erstmalig am 10. November 2011 und letztmalig am 02. April 2012 vorgestellt und über Schmerzen nach einer Arthroskopie im linken Knie geklagt. Es hätten ein Streckdefizit und eine sichtbare Schwellung vorgelegen. Die Allgemeinmedizinerin Dr. S, bei der der Kläger seit dem 28. August 2011 in Behandlung war, führte in dem von ihr eingeholten Befundbericht vom 04. Juni 2012 aus, dass der Kläger seit September 2011 wegen Schmerzen im linken Kniegelenk behandelt werde. Die Beklagte holte zudem Behandlungsberichte des V Klinikums ein. Danach erfolgten nach erneuter Arthroskopie am 23. Mai 2012 mit Knorpelentnahme und Innenmeniskusteilresektion am 18. Juli 2012 auf Grund der Diagnose der vorderen Kreuzbandruptur und der Chondropathie des linken Kniegelenkes eine offene Operation mit Knorpeltransplantation sowie eine Kreuzbandplastik. Weitere Operationen wegen einer am linken Unterschenkel nach der Knorpeltransplantation eingetretenen Wundinfektion folgten.

In den beigezogenen Röntgenbefunden des linken Kniegelenks zeigten sich am 19. April 2012 eine leichte medial betonte Gonarthrose sowie eine Femuropatellararthrose, am 22. Mai 2012 eine gering ausgeprägte medial betonte Gonarthrose sowie regelrechte Beinachsen ohne Hinweis auf eine Fehlstellung und am 04. Oktober 2012 ebenfalls eine leichte medial betonte Gonarthrose.

Die Präventionsabteilung der Beklagten erstellte am 19. November 2012 nach einem Gespräch mit dem Kläger eine Arbeitsplatzexposition bezüglich der Berufskrankheit 2102, Meniskusschäden. Sie kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger von 1983 für ca. 29 Jahre – mit Unterbrechungen – überwiegend mit branchenüblichen Arbeiten auf Steil- und Flachdächern beschäftigt gewesen und dabei mit 5-10% Zeitanteil pro Arbeitsschicht – teilweise – einer Meniskusbelastung ausgesetzt gewesen sei. Eine die Kniegelenke überdurchschnittlich belastende Tätigkeit sei nicht über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten oder in der Mehrzahl der Arbeitstage mindestens eine Stunde pro Schicht verrichtet worden.

In ihrer Stellungnahme vom 13. Dezember 2012 vertrat die Gewerbeärztin Dr. G die Auffassung, dass der Kläger keine ausreichenden meniskusbelastenden Tätigkeiten ausgeübt hätte. Er habe nicht in erheblichen Arbeitszeitanteilen Tätigkeiten in kniender oder hockender Körperhaltung als Dauerzwangshaltung mit gleichzeitigem Aufbringen von Kraft aus den Kniegelenken ausführen müssen. Damit seien schon die expositionellen Voraussetzungen für eine BK 2102 nicht gegeben. Sie empfahl, die Anerkennung der BK 2102 ohne weitere Ermittlungen und ohne gutachterliche Untersuchung abzulehnen.

Mit Bescheid vom 19. Dezember 2012 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Nr. 2102 der Anlage zur BKV ab. Sie führte aus, der Kläger habe nicht in erheblichen Arbeitszeitanteilen eine belastende Tätigkeit ausgeübt.

Der Kläger machte mit dem gegen den Ablehnungsbescheid erhobenen Widerspruch vom 09. Januar 2013, bei der Beklagten eingegangen am 11. Januar 2013, geltend, es seien bei ihm Gesundheitsschäden am Knie vorhanden. Er arbeite seit 1983 ununterbrochen und damit ca. 49.000 Arbeitsstunden als Dachdecker und sei hierbei hockend, kniend mit und ohne abgestützten Oberkörper sowie kriechend oder im Fersensitz tätig gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04. April 2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Präventionsabteilung vom 19. November 2012 führte sie aus, dass bei der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Dachdecker mit der Ausführung von branchenüblichen Arbeiten auf Steil- und Flachdächern nicht von einer mehrjährigen, andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeit auszugehen sei.

Der Kläger hat am 25. April 2013 gegen den Ablehnungsbescheid Klage vor dem Sozialgericht (SG) Cottbus erhoben. Er habe seit 1983 durchgehend als Dachdecker gearbeitet. Während des Hockens und Kniens auf dem Dach habe er mit Kraftaufwendung Dachziegel anheben müssen. Es habe sich um eine ständige Dauerzwangshaltung gehandelt, die zu einer überdurchschnittlichen Belastung der Kniegelenke geführt habe. Hierdurch sei ein erheblicher Meniskusschaden im linken Knie eingetreten. Die Einschätzung der Beklagten bezüglich der meniskusbelastenden Tätigkeit sei unzutreffend. Der Kläger hat beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. April 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage zur BKV in Bezug auf das linke Knie anzuerkennen.

Das Gericht hat zunächst Befundberichte von der Fachärztin für Allgemeinmedizin vom 23. Januar 2018 und der Fachärztin für Orthopädie im Forum Gesundheit Dr. H vom 30. Mai 2017 sowie die Epikrisen über die Behandlungen im V Klinikum eingeholt. Dem Befundbericht der Allgemeinmedizinerin B war über die bereits benannten Unterlagen hinaus noch eine Mitteilung über eine vom 05. bis zum 30. November 2012 erfolgte ambulante Rehabilitationsbehandlung beigefügt. Aus der ebenfalls von der Allgemeinmedizinerin B übermittelten Patientenkartei ergab sich, dass der Kläger seit dem dortigen Behandlungsbeginn im Jahre 1995 wegen einer Arthritis urica (Gicht), seit 1999 wegen eines Lumbalsyndroms mit Nervenwurzelreizung sowie seit dem Jahr 2002 wegen eines Diabetes mellitus in dauerhafter Behandlung ist.

Mit Beweisanordnung vom 27. Juni 2018 hat das SG Cottbus sodann den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie für Sozialmedizin Dr. W mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In der Beweisanordnung hat das SG ausgeführt, dass nach Auffassung des Gerichts die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2102 vorliegen würden. In seinem daraufhin auf Grund einer körperlichen und röntgenologischen Untersuchung des Klägers vom 24. August 2018 erstellten Gutachten vom 27. August 2018 hat Dr. W auf orthopädischem Fachgebiet festgestellt: eine chronische Instabilität des linken Kniegelenks: vorderes Kreuzband, einen Zustand nach Innenmeniskusschädigung Hinterhorn links, das Vorhandensein einer Kreuzbandplastik links, einen beiderseitigen beginnenden Kniegelenksverschleiß und im Bereich der Lendenwirbelsäule einen Nervenwurzelschaden im Lumbalbereich mit Bandscheibenschädigung, einen Wirbelkörperverschleiß/Spondylose mit Bandscheibenverschleiß/Osteochondrose und einen Zwischenwirbelgelenks-verschleiß festgestellt. Als Stoffwechselerkrankungen lägen eine Gicht-Arthropathie und ein Diabetes mellitus vor. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, dass dabei der Zustand nach Innenmeniskusschädigung am Hinterhorn, das Vorhandensein einer Kreuzbandplastik und die chronische Instabilität des Kniegelenkes im vorderen Kreuzband links auf die berufliche Tätigkeit des Klägers zurückzuführen seien. Die berufliche Tätigkeit des Klägers als Dachdecker erscheine geeignet, einen Teil der behaupteten Körperschäden, nämlich Schäden im Bereich des Meniskushinterhorns, herbeizuführen, nicht aber generelle Knorpelschäden. Da die im Rahmen der Begutachtung gefertigten Röntgenaufnahmen in Bezug auf das rechte Knie und fünf Jahre nach Berufswechsel auch in Bezug auf das linke Knie nur geringe Verschleißerscheinungen zeigten, könne mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Gesundheitsstörungen am linken Knie auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen seien. Das linke Knie sei nach Aussagen des Klägers einer größeren Belastung ausgesetzt gewesen. Der Kläger habe nach seinen Angaben beim Eindecken von Steildächern mit dem linken Knie stets auf den Latten gekniet, das rechte Bein sei das Standbein gewesen. Der als Gegenargument zu diskutierenden Gichtneigung, dem Diabetes mellitus und der Neigung zu degenerativen Erkrankungen komme keine überragende Bedeutung zu, da sich anderenfalls entsprechende ähnliche Erkrankungen hätten am rechten Knie einstellen müssen. Die bei dem Kläger vorliegende beruflich bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit hat der Gutachter auf 10 % eingeschätzt.

Mit Urteil vom 16. April 2019 hat das SG Cottbus den Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. April 2013 aufgehoben und festgestellt, dass bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach der Nr. 2102, das linke Knie betreffend, vorliegt. Für das Vorliegen des Tatbestandes einer Berufskrankheit und ihrer Folgen sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Erkrankung erforderlich. Dabei müssten die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen sei, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit – nicht jedoch die bloße Möglichkeit – ausreiche (Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 27. Juni 2000, Az.: B 2 U 29/99 R). Nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung seien als Ursache und Mitursache im Rechtssinne nur die Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hätten (BSG in ständiger Rechtsprechung, BSGE 1, 76ff.). Die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als einer solchen nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV setze Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten voraus. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg habe in seinem Urteil vom 21. Januar 2010 (Az.: L 2 U 272/07) ausgeführt: Dem Wortlaut der BK ist das Erfordernis einer Mindestbelastung ebenso wenig zu entnehmen wie dem Merkblatt. Eine medizinische oder juristische Begründung für die Annahme einer derartigen Dosis-Wirkbeziehung ist nicht zu finden. Der Verordnungsgeber hat einen bestimmten, zeitlich fassbaren Belastungsumfang in der Definition der streitigen Berufskrankheit nicht vorgesehen.

Es reiche daher für die Bejahung der arbeitstechnischen Voraussetzungen aus, dass der Kläger mehrjährig in seiner beruflichen Tätigkeit einer Dauerzwangshaltung ausgesetzt war. Welchen Anteil diese Dauerzwangshaltung einnahm, sei nach dem Urteil des LSG unerheblich. Diese Voraussetzungen lägen bei dem Kläger vor. Er sei in seiner 29-jährigen Tätigkeit als Dachdecker Dauerzwangshaltungen in einem Anteil von 5-10 % pro Schicht ausgesetzt gewesen. Das medizinische Gutachten des Dr. W vom 27. August 2018 habe sodann eine Verursachung der Erkrankung durch die berufliche Tätigkeit des Klägers bestätigt.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 30. April 2019 zugestellte Urteil am 16. Mai 2019 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2102 nicht gegeben seien, dies habe sie bereits nach Erlass der Beweisanordnung durch das SG gerügt, hierauf sei aber seitens des SGs nicht eingegangen worden. Die dieser Einschätzung zu Grunde liegende Arbeitsplatzexposition vom 19. November 2012 beruhe auf den detaillierten Angaben des Klägers in einem am 16. November 2012 mit ihm geführten persönlichen Gespräch. Die danach ermittelte Exposition von 5 bis 10% einer Arbeitsschicht stelle keine ausreichende Exposition zur Bejahung der BK 2102 dar.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Cottbus vom 16. April 2019 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung beruft sich der Kläger auf das angegriffene Urteil und das vom SG eingeholte Sachverständigengutachten des Dr. W.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der von der Beklagten übersandten Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat Erfolg. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Klage erweist sich als zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. April 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Berufskrankheit BK 2102.

Berufskrankheiten sind gemäß § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 2102 der Anlage 1 der BKV Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten.

Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen Voraussetzungen in der Person des Klägers gegeben sind und dass zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist. Die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit ausreicht. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im Recht der Berufskrankheiten gilt, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach werden im Sozialrecht als rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw. das Ereignis als solches, also Art und Ausmaß der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens und Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach den Einwirkungen, Befunde und Diagnosen der erstbehandelnden Ärzte sowie die gesamte Krankengeschichte (vgl. zum Kausalitätsbegriff in der gesetzlichen Unfallversicherung die ständige Rechtsprechung des BSG, Urteile vom 04. Dezember 2014 – B 2 U 18/13 R -, Rn. 16 ff.; vom 13. November 2012 – B 2 U 19/11 R -, Rn. 20 ff.; vom 31. Januar 2012 – B 2 U 2/11 R -, Rn. 16 ff.; vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R -, Rn. 15 ff.; vom 27. Juni 2006 – B 2 U 20/04 R -, Rn. 18 ff.; vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, Rn. 13 ff.; alle zitiert nach Juris; siehe auch: Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Kap. 1.7, S. 21 f.).

Der Anspruch des Klägers scheitert schon daran, dass das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die in Streit stehende Berufskrankheit nicht festgestellt werden kann.

Erforderlich ist nach dem Wortlaut der BK 2102 eine mehrjährige andauernde oder häufig wiederkehrende, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastende Tätigkeit. Die vom Verordnungsgeber verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe wie „mehrjährig“ oder „überdurchschnittlich“ sind unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien sowie anhand der Vorgaben des vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Merkblatts für die ärztliche Untersuchung zur Berufskrankheit näher zu konkretisieren. Solchen Merkblättern kommt zwar keine rechtliche Verbindlichkeit zu, sie sind allerdings als Interpretationshilfe und zur Wiedergabe des bei ihrer Herausgabe aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands heranzuziehen (BSG, Urteil vom 04. Juli 2013 – B 2 U 11/12 R -, Rn. 19, Juris).

Nach dem vom Bundesministerium für Arbeit (BMA) herausgegebenen Merkblatt für die ärztliche Untersuchung (Bekanntmachung vom 11. November 1989, BArbBl. 1990, S. 135) ist eine überdurchschnittliche Belastung der Kniegelenke in der ersten Alternative biomechanisch an eine Dauerzwangshaltung, insbesondere bei Belastungen durch Hocken oder Knien bei gleichzeitiger Kraftaufwendung, und in der zweiten Alternative an eine häufig wiederkehrende erhebliche Bewegungsbeanspruchung, insbesondere Laufen oder Springen mit häufigen Knick-, Scher- oder Drehbewegungen auf grob unebener Unterlage, gebunden. Nach der Begründung zur Änderung der BKV vom 22. Januar 1988 (BR-Drs. 33/88, S. 5) sind anspruchsbegründend eine belastete Dauerzwangshaltung (insbesondere Hocken oder Knien bei gleichzeitiger Kraftaufwendung) oder eine häufig wiederkehrende erhebliche Bewegungsbeanspruchung (insbesondere Laufen oder Springen, auch mit Scherbewegungen, auf grob unebener Unterlage). Als Beispiele für die überdurchschnittliche Kniebelastung werden die Tätigkeit von Bergleuten unter Tage, als Fliesen- oder Parkettleger, Ofenmaurer, Rangierarbeiter, die Tätigkeit bestimmter Berufssportler sowie Tätigkeiten unter besonders beengten Raumverhältnissen benannt. Zeitlich sei auf eine mehrjährig andauernde oder mehrjährige häufig wiederkehrende Belastung abzustellen. Entsprechende Belastungen werden nach den Ausführungen im Merkblatt für die ärztliche Untersuchung als geeignet angesehen, Meniskusschäden hervorzurufen, weil unter diesen Umständen die halbmondförmigen, auf den Schienbeinkopfgelenkflächen nur wenig verschiebbaren Knorpelscheiben, insbesondere der Innenmeniskus, in verstärktem Maße belastet werden. Dadurch können allmählich Deformierungen, Ernährungsstörungen des bradytrophen Gewebes sowie degenerative Veränderungen mit Einbuße an Elastizität und Gleitfähigkeit der Menisken entstehen. Ein derart vorgeschädigter Meniskus kann beim Aufrichten aus kniender Stellung, bei Drehbewegungen, beim Treppensteigen oder auch bei ganz normalem Gehen von seinen Ansatzstellen ganz oder teilweise gelöst werden.

Bei der beruflichen Tätigkeit des Klägers kommt eine Belastung nur im Sinne der ersten Alternative in Betracht. Für die Annahme einer entsprechenden Belastung ist nach der wissenschaftlichen Literatur ein Arbeiten im Hocken oder im Fersensitz mit maximaler Knieabwinklung (Kniebeugung) erforderlich, insbesondere unter beengten räumlichen Verhältnissen, es genügen jedoch – anders als bei der Berufskrankheit Nr. 2112 – nicht Tätigkeiten nur im Knien und Kriechen (Mehrtens/Brandenburg, BKV, Kommentar, Stand: April 2021, M 2102 Rn. 3). Erforderlich sind Arbeiten in räumlich eng begrenzten Verhältnissen oder in Zwangshaltung unter Belastung. Nicht ausreichend sind hingegen Arbeiten in kniender Position mit rechtwinkliger Beugung des Kniegelenkes, da die Menisken hierbei weder stark verschoben noch stark verformt oder erheblich druckbelastet sind. Es reichen ebenfalls nicht Einzeltätigkeiten und kurzfristige Arbeiten, sowie Arbeiten in einem Wechsel zwischen Be- und Entlastung, auch wenn diese grundsätzlich meniskusbelastend sind (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Kap. 8.10.5.9.3, S. 665). Es müsse in jedem Einzelfall geklärt werden, ob es sich nur um kniende und kriechende Tätigkeiten (ohne Ursachenrelevanz) handele oder ob hockende Belastungen inklusive des Fersensitzes dann auch mit Dauerzwangshaltung unter besonderer Kraftaufwendung – gegebenenfalls auch in beengten räumlichen Verhältnissen – durchgeführt wurden, die eine Meniskusquetschung hätten bewirken und somit zu berufsbedingten Verschleißerkrankungen des Meniskusgewebes hätten führen können (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Kap. 8.10.5.9.3, S. 666).

Nach der von der Präventionsabteilung der Beklagten am 19. November 2012 erstellten Arbeitsplatzexposition und unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers war der Kläger während seiner Ausbildung zum Dachdecker von September 1983 bis Juli 1985 und seiner anschließenden – mit kurzen Unterbrechungen sowie mit einer längeren Unterbrechung vom 17. März 2003 bis zum 30. September 2004 wegen Arbeitsunfähigkeit – von Juli 1985 bis Oktober 2011 ausgeübten Tätigkeit als Dachdecker qualitativ Kniebelastungen im oben beschriebenen Sinne ausgesetzt. Der zeitliche Umfang, in dem der Kläger diesen belastenden Einwirkungen ausgesetzt war, erreicht aber nicht das Ausmaß, um für die Anerkennung der BK 2102 zu genügen.

Die Mehrjährigkeit ist dabei ohne weiteres zu bejahen. Nach Auffassung des Senats fehlt es aber an einer andauernden überdurchschnittlichen Belastung der Knie. Davon ist der Senat aufgrund der vom Kläger geschilderten beruflichen Tätigkeit als Dachdecker, den Ausführungen der Präventionsabteilung der Beklagten, die über die erforderliche Sachkunde hinsichtlich der arbeitstechnischen Vorgänge verfügt, sowie der im IFA-Report 1/2010 (herausgegeben vom Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung [IFA]: http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/ report1 2010.pdf) und in dem den IFA-Report 1/2010 aktualisierenden IFA-Report 2/2012 (http:// publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/rep0212.pdf) dargestellten epidemiologischen Erkenntnisse zum Umfang von Kniebelastungen in ausgewählten Berufen überzeugt.

In der Stellungnahme der Präventionsabteilung vom 19. November 2012 werden die vom Kläger als Dachdecker verrichteten Tätigkeiten in verschiedene Tätigkeitsbereiche aufgeschlüsselt und den einzelnen Tätigkeitsbereichen entsprechend den vom Kläger gemachten Angaben zum Umfang, in dem diese Tätigkeiten ausgeübt wurden, eine bestimmte Anzahl an Arbeitsschichten pro Arbeitsjahr zugewiesen. Die zeitliche Aufteilung der einzelnen Tätigkeiten am Gesamtarbeitsumfang beruht dabei auf den Angaben des Klägers und wurde durch den Kläger im Rahmen des Berufungsverfahrens ausdrücklich bestätigt. Für die einzelnen danach relevanten Tätigkeitsbereiche (Steildach einlatten, Steildach eindecken (Dachpfannen), Flachdach Schweißbahnen verlegen, Steildach Wellplattenmontage und Holzrahmenbau (Zimmermann)) werden sodann die im IFA-Report 1/2010 und in dem den IFA-Report 1/2010 aktualisierenden IFA-Report 2/2012 ermittelten prozentualen Schichtanteile mit endgradiger Kniebelastung (Winkel zwischen Ober- und Unterschenkel während einer Kniebelastungsphase von ≤ 40 Grad) zu Grunde gelegt (IFA-Report 2/2012, Anlage 18, S. 126) und mit den Zeiten der Tätigkeit in den verschiedenen Arbeitsbereichen multipliziert. Die Dauer einer Arbeitsschicht wird mit 8 Stunden und pro Jahr werden 220 Arbeitsschichten angenommen. Für die vom Kläger als Gerüstbauer vom 18. August 1990 bis zum 10. April 1991 mit einem Anteil von 40% der Arbeitszeit ausgeübte und im IFA-Report nicht untersuchte Tätigkeit hat die Beklagte einen meniskusbelastenden Anteil von 5% der Gesamtarbeitszeit angenommen.

Der Senat folgt dieser Berechnungsweise. Dass bei der Betrachtung nur Tätigkeiten mit endgradiger Kniebelastung Berücksichtigung gefunden haben, ist nicht zu beanstanden. Wie bereits dargelegt, ist nach der wissenschaftlichen Literatur ein Arbeiten im Hocken oder im Fersensitz mit maximaler Knieabwinklung (Kniebeugung) erforderlich. Gegen die Heranziehung der im IFA-Report 2/2012 wiedergegebenen Werte bestehen ebenfalls keine Bedenken. Es handelt sich dabei um objektiv erhobene Daten mit exakter Messung der Kniebelastung einzelner Tätigkeiten. Dabei wurden 36 Arbeitsschichten von 34 Probanden ausgewertet, wobei bei in jeweils zwei vom Kläger verrichteten Tätigkeitsbereichen drei bzw. vier Schichten und in Bezug auf die Tätigkeit im Holzrahmenbau (vom Kläger vom 23. September 1991 bis zum 30. Juni 1993 mit 5% der Arbeitskraft ausgeübt) eine Arbeitsschicht gemessen wurde. Nach Auffassung des Senats ist der Rückgriff auf den IFA-Report ausreichend, um objektiv die durchschnittliche Belastung zu ermitteln. Andere Möglichkeiten als eine vergleichende Betrachtung mit entsprechenden Tätigkeiten stehen im konkreten Fall für die Ermittlung des tatsächlichen Umfangs der knie- und meniskusbelastenden Tätigkeit des Klägers in der Vergangenheit nicht mehr zur Verfügung. Dass der Unfallversicherungsträger Erkenntnisse, die er oder ein anderer Träger der Unfallversicherung an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat, seinen arbeitstechnischen Ermittlungen zu Grunde legen kann, ergibt sich auch aus der seit dem 01. Januar 2021 geltenden Vorschrift des § 9 Abs. 3a Satz 2 und 3 SGB VII. Nach § 9 Abs. 3a Satz 4 bis 6 SGB VII sollen die Unfallversicherungsträger zudem einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Sie können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen. Damit wird durch den Gesetzgeber klargestellt, dass Erkenntnisse zu beruflichen Belastungen auch aus Erhebungen zu vergleichbaren Arbeitsplätzen bzw. in der Anfertigung eines Expositionskatasters gewonnen werden können (vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 23. Juni 2021 – L 6 U 56/16 –, Rn. 53, Juris). Für die Tätigkeit als Gerüstbauer hat eine dem IFA-Report ähnliche Untersuchung ergeben, dass relevante Kniebelastungen nicht festzustellen seien (Hartmann, B.; Fleischer, A.G.: Physical load exposure at construction sites. Scand. J. Work Environ. Health 31 (2005) Nr. 2, S. 88-95, abgerufen überhttps://www.sjweh.fi/article/965). Die von der Beklagte insoweit erfolgte Annahme von 5% meniskusbelastender Tätigkeit ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden.

Soweit der Kläger meint, in weitaus größerem Umfang knie- und meniskusbelastend tätig gewesen zu sein, gibt dies dem Senat keinen Anlass, an den Feststellungen des Präventionsdienstes oder des IFA-Reports zu zweifeln und weitere Ermittlungen anzustellen. Die von dem Kläger rückwirkend angenommenen Kniebelastungen stellen keinen geeigneten Nachweis für die tatsächliche Belastung dar und vermögen die Berechnungen nicht in Zweifel zu ziehen. Der Kläger nimmt Tätigkeiten als knie- und meniskusbelastend an, die im Rahmen der Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2102 keine Berücksichtigung finden können. Allein zu berücksichtigende Zeiten sind die des Arbeitens mit maximaler Knieabwinklung unter Belastung, wie z. B. das Arbeiten im Fersensitz oder Hocken (Mehrtens/Brandenburg, BKV, Kommentar, Stand: April 2021, M 2102 Rn. 3, Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Kap. 8.10.5.9.3, S. 665). Unter einer Tätigkeit im Hocken im Sinne dieser Berufskrankheit wird eine Arbeit verstanden, bei der der Beschäftigte bei maximaler Beugung der Kniegelenke das Körpergewicht auf den Vorfußballen oder den Füßen abstützt. Beim Fersensitz liegen die Kniegelenke und die ventralen Anteile des Unterschenkels auf der Arbeitsfläche auf und der Beschäftigte sitzt bei maximaler Kniegelenksbeugung auf der Ferse. Das vom Kläger gegenüber dem Gutachter als (einseitig) kniebelastend angeführte Arbeiten auf Steildächern, wenn er auf einer Dachlatte stehe und sich mit gebeugtem Knie auf den oberhalb dieser Dachlatte verlaufenden Dachlatten anlehne, kann hierbei nicht in vollem Umfang berücksichtigt werden. Diese Art der Arbeit weist nicht das für die Annahme einer Meniskusbelastung erforderliche Maß der Kniebeugung bei gleichzeitiger Belastung auf. Genau diese Arbeitshaltung bei Dachdeckern ist im IFA-Report 2/2012 (Seite 68, 69) untersucht worden. Danach ist bei relativ steilen Dächern mit einer Dachneigung von mehr als 40° von einem „abgestützten Stehen“ auszugehen, bei weniger steilen Dächern liege dagegen der Körperschwerpunkt über dem gebeugten Knie, sodass die Haltung in diesem Fall als einbeiniges Knien mit oder ohne Abstützung des Oberkörpers definiert worden sei. Eine dem Hocken oder dem Fersensitz vergleichbare Tätigkeit ist darin nicht zu sehen. Diese Aufteilung ist nach Auffassung des Senats in Anbetracht der Vorgaben zur Definition der meniskusbelastenden Tätigkeiten nicht zu beanstanden. Aus dem IFA-Report 2/2012 ergibt sich zudem, dass eigene Schätzungen der kniebelastenden Tätigkeiten der Arbeitnehmer bzw. der Versicherten nicht geeignet sind, den tatsächlichen Umfang der kniebelastenden Tätigkeiten zu ermitteln. Es wurde eigens untersucht, inwieweit die Einschätzung der Probanden mit den tatsächlichen Kniebelastungen übereinstimmt. Hierbei wurde festgestellt, dass selbst bei Befragungen unmittelbar nach der Messung die Einschätzung der Probanden deutlich von dem objektiven Messergebnis abwich (überwiegend erheblich nach oben) und die Befragung der Probanden keine valide Quantifizierung der Kniebelastung zu erbringen vermochte (IFA-Report 2/2012, S. 79 ff.; Sächsisches LSG, Urteil vom 23. Juni 2021 – L 6 U 56/16 –, Rn. 53, Juris). Auch andere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Probanden unmittelbar nach objektiv durchgeführten Messungen die Kniebelastung erheblich höher einschätzten (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Kap. 8.10.6.4.4, S. 677).

Der danach festgestellte Umfang der die Kniegelenke belastenden Tätigkeit des Klägers genügt nicht, um die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2102 zu erfüllen.

Zwar sind in der Anlage 1 zur BKV und auch im Merkblatt für die ärztliche Untersuchung oder in der Begründung der Verordnung konkrete Mindestexpositionszeiten weder im Sinne eines Anteils pro Arbeitsschicht noch einer Einwirkdauer pro Arbeitsschicht benannt. Das Merkmal der andauernden und überdurchschnittlich belastenden Tätigkeit kann aber nur dann erfüllt sein, wenn die Belastung eine gewisse Zeit andauert und den Menisken keine ausreichende Zeit für Erholung belässt. Eine hin und wieder bestehende Belastung genügt insoweit nicht, vielmehr ist die Belastung an einem wesentlichen Teil der täglichen Arbeitszeit erforderlich (vgl. BSG, Urteil vom 21. November 1958 – 5 RKn 33/57 –, Juris). Eine überdurchschnittliche Belastung ist gegeben, wenn hierdurch das Erscheinungsbild des Berufes bzw. des jeweiligen Arbeitsplatzes geprägt wird (Mehrtens/Brandenburg, BKV, Kommentar, Stand: April 2021, M 2102 Rn. 3; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Kap. 8.10, S. 666).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die relevanten Tätigkeiten wurden im Rahmen der Arbeitsplatzexposition je nach Tätigkeit mit 5 bis 10% der Arbeitszeit bei einer 8-Stundenschicht ermittelt und betrug damit arbeitstäglich zwischen 24 und 48 Minuten. Bei dem überwiegenden Anteil der vom Kläger verrichteten Arbeiten lag die Kniebelastung bei 5%. Lediglich beim Verlegen von Schweißbahnen auf Flachdächern kam es zu einer entsprechenden Kniebelastung mit einem Zeitanteil von 10% der Arbeitsschicht. In dieser Belastung kann schon eine andauernde Belastung im Sinne einer „Dauerzwangshaltung“ nicht erblickt werden, zudem wird dadurch nicht ein wesentlicher Anteil der Arbeitszeit mit diesen Arbeiten ausgefüllt oder das Erscheinungsbild des Berufes geprägt.

Darüber hinaus hat die im IFA-Report 2/2012 ebenfalls vorgenommene Auswertung der kniebelastenden Arbeiten (dabei keine Unterscheidung, nach Beugung, Knien, Kriechen, Hocken oder Fersensitz) ergeben, dass der Mittelwert der einzelnen Kniebelastung bei Dachdeckern bei 1,1 Minuten mit einer Standardabweichung von 1,2 Minuten zwischen einem Minimum vom 0,2 Minuten und einem Maximum von 9,1 Minuten lag (IFA-Reprt 2/2012, S. 42f.). Längere Belastungszeiten konnten nur bei dem vom Kläger nicht als ausgeführt angegebenen Arbeiten des Anschlusses des Flachdachs mit Flüssigfolie festgestellt werden. Bei diesen Belastungszeiten vermag der Senat eine „Dauerzwangshaltung“ nicht zu erkennen. Die vom Präventionsdienst der Beklagten der Anlage 18 zum IFA-Report entnommenen Werte der Gesamtbelastungsdauer von 5% bis 10% der Arbeitszeit pro Schicht sind zudem bereits zu Gunsten des Klägers angesetzt. Sie sind ausweislich dieser Anlage in 5er-Schritten angegeben und aufgerundet. Aus den im IFA-Report veröffentlichten „Rohdaten“ ergibt sich, dass eine Tätigkeit im Hocken und im Fersensitz bei den hier zu betrachtenden Arbeiten wie folgt gemessen wurde: Steildach einlatten 0,4%, Steildach eindecken (Dachpfannen) 1,8%, Flachdach Schweißbahnen verlegen 3%, Steildach Wellplattenmontage 3%, Holzrahmenbau 0,5%).

Dass der hier festgestellte Umfang der qualitativ besonderen Anforderungen unterliegenden kniebelastenden Tätigkeit für die Bejahung der arbeitstechnischen Voraussetzungen genügt oder dass über die Mehrjährigkeit hinaus keinerlei Anforderungen an den zeitlichen Umfang der Tätigkeit zu stellen wären, ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers und des SG Cottbus auch nicht aus dem in der angegriffenen Entscheidung zitierten Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 21. Januar 2010 (Az.: L 2 U 272/07).

Das LSG hat darin zwar ausgeführt: „Eine prozentuale Mindestbelastung ist darüber hinaus für die Anerkennung der BK 2102 nicht zu fordern (ebenso bereits LSG Sachsen, Urteil vom 18. September 2008, L 2 U 148/97, zitiert nach juris.de). Dem Wortlaut der BK ist das Erfordernis einer Mindestbelastung ebenso wenig zu entnehmen wie dem Merkblatt. Eine medizinische oder juristische Begründung für die Annahme einer derartigen Dosis-Wirkungsbeziehung ist nicht zu finden, wie der Senat bereits mit Richterbrief vom 09. September 2009 ausgeführt hat. Der Verordnungsgeber hat einen bestimmten, zeitlich fassbaren Belastungsumfang in der Definition der streitigen BK nicht vorgesehen. Der von der Beklagten auch im vorliegenden Verfahren mehrfach in Bezug genommene Dr. L hat entgegen der Annahme der Beklagten ausgeführt, dass ein Dosis-Wirkungs-Zusammenhang für die BK 2102 nicht belegbar sei (Dr. L: Berufskrankheit „Meniskopathie“ (Nr. 2102), Trauma und Berufskrankheit 2/1999 S. 139 bis 147). Hier ist ausgeführt: „Der weitgehend klinisch stumme Verlauf, das Fehlen belastungsspezifischer struktureller Reaktionsmöglichkeiten der versicherten Struktur, das Fehlen einer Gefährdungsgrenze, also mit einer Belastungsschwelle, die generell – mit statistischer Signifikanz – mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko verbunden ist, und die Multikausalität des Schadensbildes lassen den Nachweis eines Dosis-Wirkungs-Zusammenhanges auch nicht erwarten. Ein Dosis-Wirkungs-Zusammenhang darf also auch nicht im Rahmen der Umsetzung der BK Nr. 2102 unterstellt werden“. Für das von der Beklagten aufgestellte Erfordernis einer mindestens ein Drittel der Gesamtarbeitszeit umfassenden meniskusbelastenden Tätigkeit wird regelmäßig auf die Ausführungen in dem erstinstanzlich bereits genannten Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen verwiesen, ohne dass für den damit unterstellten Dosis-Wirkungszusammenhang allerdings weitere Begründungen gegeben würden (z. B. Mehrtens/Perlebach a.a.O., S. 7; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 636). Das LSG NRW hat sich entgegen der Annahme der Beklagten auf ein derartiges Erfordernis in der genannten Entscheidung jedoch gerade nicht festgelegt, sondern ausgeführt, dass über einen genauen zeitlichen Anteil als Erfordernis „nicht entschieden zu werden“ bräuchte. Ausgeführt wurde lediglich, dass ein gehörter Sachverständiger („Prof. Dr. C., Chefarzt i. R.“) zeitlich geringere Belastungen als die über wenigstens ein Drittel der Schicht mit kniender bzw. hockender Zwangshaltung nicht für ausreichend erachtet habe. Dem ist im Hinblick auf die Ausführungen des Dr. L(a.a.O.) jedoch nicht zu folgen.“

Letztlich hat das LSG in dem dort zur Entscheidung stehenden Fall eines Gas-Wasser-Installateurs und Dachklempners die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2102 als erfüllt angesehen, weil eine Dauerzwangshaltung, wie sie vom Merkblatt in arbeitstechnischer Hinsicht gefordert werde, vorgelegen habe und der hierfür festgestellte Anteil einer täglichen meniskusbelastenden Tätigkeit von ca. 25 Prozent der Gesamtarbeitszeit und einer kniegelenksbelastenden Tätigkeit von ca. 30 Prozent der Gesamtarbeitszeit ausreichend sei.

Damit hat das LSG aber lediglich entschieden, dass eine starre Grenze von 30% des Anteils der meniskusbelastenden Tätigkeit an der Gesamtarbeitszeit nicht zu fordern ist, sondern eine Dauerzwangshaltung in 25% der Gesamtarbeitszeit die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2102 erfülle und eine darüber hinausgehende Forderung der Mindestbelastung nicht geboten sei (siehe auch Leitsatz der Entscheidung). Dem steht die Annahme des hiesigen Senats, dass eine meniskusbelastende mehrjährige Tätigkeit, die in der überwiegenden Anzahl der Arbeitsschichten 5% und in der übrigen Zeit 10% der Gesamtarbeitszeit nicht überschreitet und bei der eine Dauerzwangshaltung im Hinblick auf den einzelnen Belastungsvorgang in der Regel nicht festgestellt werden kann, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2102 nicht erfüllt, nicht entgegen. Dieses Ergebnis steht vielmehr in Einklang mit der Rechtsprechung anderer Landessozialgerichte, wonach – ohne eine prozentuale Mindestbelastung zu fordern – das Erscheinungsbild der Tätigkeit durch überdurchschnittliche Meniskusbelastungen geprägt sein müsse (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11. September 2018 – L 15 U 292/16 – und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. März 2021 – L 8 U 1828/19 –, beide zitiert nach Juris).

Bei dieser Sachlage sieht der Senat keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen. Es kann daher insbesondere offenbleiben, ob der Umstand, dass die altersvorauseilenden Meniskusschäden nur am linken Knie und damit einseitig vorliegen, gegen ein belastungskonformes Schadensbild sprechen. Auch der Frage, ob die Stoffwechselerkrankung des Klägers oder etwa der Unfall aus dem Jahr 1983 für die Meniskusschädigung wesentlich ursächlich gewesen sein könnten, brauchte nicht weiter nachgegangen zu werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Die Revision war mangels Vorliegens von Gründen im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.

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