Skip to content

Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Schulterschaden: Rente erst ab 20% MdE

Ein Betroffener forderte nach einem Arbeitsunfall eine höhere Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Schulterschaden, um die nötige 20-Prozent-Schwelle für die Verletztenrente zu erreichen. Obwohl er seine Schulter aktiv kaum bewegen konnte, stützte das Landessozialgericht seine gesamte Berechnung auf einen gänzlich anderen Beweglichkeitswert.

Zum vorliegenden Urteil Az.: L 6 U 128/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landessozialgericht Baden-Württemberg
  • Datum: 28.08.2025
  • Aktenzeichen: L 6 U 128/24
  • Verfahren: Berufungsverfahren
  • Rechtsbereiche: Sozialrecht, Arbeitsunfall, Verletztenrente

  • Das Problem: Ein Kläger erlitt einen Arbeitsunfall mit Schulterverletzung und bezog eine Rente wegen 20 % Minderung der Erwerbsfähigkeit. Die zuständige Unfallversicherung wollte diese Rente über Mai 2020 hinaus einstellen. Das erstinstanzliche Sozialgericht hatte die Weiterzahlung der Rente von 20 % bestätigt.
  • Die Rechtsfrage: Muss die Unfallversicherung die Rente wegen der Schulterfunktionsstörung weiterzahlen, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit mindestens 20 % betragen muss?
  • Die Antwort: Nein. Das Gericht hob das Urteil der Vorinstanz auf und wies die Klage ab. Die verbleibende Funktionseinschränkung der Schulter rechtfertigte ab Mai 2020 nur noch eine Minderung von 10 %.
  • Die Bedeutung: Das Urteil legt fest, dass bei Schulterverletzungen grundsätzlich die Passive Beweglichkeit für die Rentenberechnung maßgeblich ist. Dies gilt, wenn keine Strukturelle Insuffizienz der Rotatorenmanschette mehr nachweisbar ist.

Der Fall vor Gericht


Worum stritten die Gutachter – und warum war das für die Verletztenrente entscheidend?

Ein Arzt untersuchte den verletzten Mann und schrieb in sein Gutachten: Armhebung aus eigener Kraft bis 90 Grad möglich. Seine Schlussfolgerung: Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 Prozent, die Rente läuft weiter.

Unfallversicherung misst die passive Beweglichkeit der Schulter. Der MdE-Wert entscheidet über den Anspruch auf Verletztenrente.
Passive Schulterbeweglichkeit bestimmt maßgeblich die Höhe der Verletztenrente nach Unfall. | Symbolbild: KI

Ein anderer Arzt, Monate später, untersuchte denselben Mann und notierte: Der Arm lässt sich durch den Untersucher passiv bis 120 Grad bewegen. Seine Schlussfolgerung: Nur noch 10 Prozent MdE, die Rente stoppt. Für die Gerichte war dies nicht nur ein medizinischer Widerspruch. Es war der Kern eines juristischen Puzzles, das sie zwang, eine grundlegende Frage zu klären: Wenn Experten sich uneins sind, welche anatomische Tatsache bestimmt über die finanzielle Zukunft eines Menschen nach einem Arbeitsunfall?

Der Fall begann an einem Wintertag im Januar 2017. Ein Mann stürzte auf Glatteis und verletzte sich die linke Schulter schwer. Die Diagnose war eindeutig: ein Riss der sogenannten Rotatorenmanschette, einer entscheidenden Sehnengruppe für die Armbewegung. Die gesetzliche Unfallversicherung erkannte den Vorfall als Arbeitsunfall an. Sie übernahm die Kosten für Operationen und Reha. Sie zahlte dem Mann auch eine Verletztenrente. Diese Leistung nach § 56 des Siebten Sozialgesetzbuches (SGB VII) steht Versicherten zu, deren Erwerbsfähigkeit durch einen Unfall um mindestens 20 Prozent gemindert ist. Über drei Jahre lang galt diese Schwelle als erreicht. Dann, im Mai 2020, erklärte die Versicherung die Rentenzahlung für beendet. Ihre Begründung: Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei auf unter 20 Prozent gesunken. Der Mann klagte.

Weshalb sah das erste Gericht den Rentenanspruch als gegeben an?

Das Sozialgericht Karlsruhe gab dem Kläger zunächst recht. Es stützte seine Entscheidung auf das Gutachten eines Sachverständigen namens Z1. Dieser Mediziner hatte den Mann untersucht und eine klare Funktionseinschränkung festgestellt. Die Aktive Beweglichkeit – also die Fähigkeit des Klägers, seinen Arm aus eigener Muskelkraft zu heben – war auf 90 Grad begrenzt. Das entspricht dem Heben des Arms bis auf Schulterhöhe. Aus diesem Befund leitete der Gutachter eine fortbestehende Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 Prozent ab.

Für das Gericht war diese Argumentation schlüssig. Es folgte der Einschätzung des Gutachters Z1 und verurteilte die Unfallversicherung, die Verletztenrente weiterzuzahlen. Der Kläger hatte argumentiert, dass die Schmerzen und die eingeschränkte Kraft bei Überkopfarbeiten seinen Alltag und Beruf massiv beeinträchtigen. Die unfallbedingte Verletzung der Sehnen war unstrittig. Das Gericht sah in dem Gutachten den Beweis, dass die Folgen des Unfalls nach wie vor den Schwellenwert für eine Rente erreichten. Die Versicherung akzeptierte dieses Urteil nicht. Sie legte Berufung ein. Der Fall landete vor dem Landessozialgericht.

Wie begründete das Landessozialgericht die Abweisung der Klage?

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hob das erste Urteil auf und wies die Klage des Mannes ab. Die Richter sahen den Fall komplett anders. Ihre Entscheidung hing an einer methodischen Weichenstellung, die das gesamte Ergebnis veränderte. Sie mussten klären: Ist für die Bemessung des Schadens die aktive oder die passive Beweglichkeit der Schulter maßgeblich?

Die passive Beweglichkeit beschreibt, wie weit sich ein Gelenk bewegen lässt, wenn es von einer externen Kraft – zum Beispiel einem Arzt – geführt wird. Sie zeigt das maximale mechanische Potenzial des Gelenks. Die aktive Beweglichkeit misst, was der Patient selbst leisten kann. Die Differenz zwischen beiden Werten kann auf Schmerzen, aber auch auf eine geschwächte Kraftübertragung durch beschädigte Sehnen hindeuten.

Das Gericht stellte einen zentralen Grundsatz auf: Für die Bewertung einer Schulterverletzung ist grundsätzlich die passive Beweglichkeit entscheidend. Sie spiegelt die tatsächliche, strukturelle Funktion des Gelenks am objektivsten wider. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn eine nachgewiesene strukturelle Schädigung der Rotatorenmanschette die Kraftübertragung stört. Im Klartext: Nur wenn die „Motor“-Sehnen gerissen oder so defekt sind, dass die Muskelkraft gar nicht mehr am Knochen ankommt, schaut man auf die aktive Bewegung.

Welches Gutachten überzeugte das Gericht am Ende und warum?

Um diese entscheidende Frage zu klären, holte das Landessozialgericht ein neues, eigenes Gutachten ein. Dieser Sachverständige, H1, kam zu einem Ergebnis, das die Argumentation des Klägers erschütterte. Eine aktuelle MRT-Untersuchung zeigte keine erneute Ruptur der operierten Sehnen. Bei der körperlichen Untersuchung stellte der Gutachter eine seitengleiche Kraftentwicklung fest. Es gab keine Anzeichen für einen Muskelschwund (Atrophie), der bei einer dauerhaften Schonhaltung oder mangelnden Nutzung zu erwarten wäre. Die Schlussfolgerung des Gutachters war klar: Eine strukturelle Insuffizienz der Rotatorenmanschette liegt nicht mehr vor. Der „Motor“ war also wieder intakt mit dem „Fahrwerk“ verbunden.

Damit war die Ausnahme vom Tisch. Das Gericht musste auf die passive Beweglichkeit blicken. Und hier ergab sich ein anderes Bild. Der Gutachter H1 konnte den Arm des Klägers passiv bis auf 120 Grad anheben. Dieser Wert liegt deutlich über den 90 Grad, die der erste Gutachter als maßgeblich angesehen hatte. Für die Bemessung der MdE bei Schulterverletzungen gibt es anerkannte Medizinische Erfahrungssätze. Diesen Tabellen zufolge entspricht eine Bewegungseinschränkung bis 120 Grad einer MdE von 10 Prozent. Ein Wert von 20 Prozent wird in der Regel erst bei einer Einschränkung auf 90 Grad erreicht.

Die 10 Prozent MdE liegen unter der gesetzlichen Schwelle für eine Verletztenrente. Die Berufung der Unfallversicherung hatte Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts wurde aufgehoben. Der Anspruch des Klägers auf eine Verletztenrente über den Mai 2020 hinaus bestand nicht.

Die Urteilslogik

Das Sozialrecht definiert klare methodische Hierarchien, um die objektive Grundlage für finanzielle Ansprüche nach Arbeitsunfällen festzulegen.

  • Objektivität der Messung: Die passive Beweglichkeit eines Gelenks spiegelt die strukturelle Funktionsfähigkeit am objektivsten wider und dient primär als Bemessungsgrundlage für die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).
  • Ausnahme der Aktivität: Nur wenn ein nachgewiesener, struktureller Schaden die Kraftübertragung der Sehnen nachweislich verhindert, darf die aktive Bewegungseinschränkung zur Berechnung der Erwerbsminderung herangezogen werden.
  • Bindung an den Schwellenwert: Der Anspruch auf eine Verletztenrente endet, sobald die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach medizinischen Erfahrungssätzen dauerhaft unter die gesetzliche Schwelle von 20 Prozent sinkt.

Die Vergabe von Sozialleistungen erfordert eine strikte Orientierung an messbaren, medizinisch anerkannten Erfahrungssätzen und nicht an den subjektiv empfundenen Einschränkungen.


Benötigen Sie Hilfe?


Steht auch Ihr Anspruch auf Verletztenrente bei der Unfallversicherung zur Disposition? Fordern Sie eine vertrauensvolle unverbindliche Ersteinschätzung Ihres Sachverhalts an.


Experten Kommentar

Wenn die eigene Kraft nicht reicht, aber das Gelenk mechanisch intakt ist, beginnt der Streit mit der Versicherung. Dieses Urteil macht unmissverständlich klar: Bei der Minderung der Erwerbsfähigkeit zählt für die Schulter primär die passive Beweglichkeit, da sie den strukturellen Schaden am objektivsten widerspiegelt. Die aktive Bewegung, die durch Schmerzen oder Muskelschwäche beeinflusst sein kann, wird nur relevant, wenn ein nachgewiesener Sehnenriss oder ein anderer struktureller Defekt die Kraftübertragung tatsächlich behindert. Das bedeutet für Betroffene: Wer die 20-Prozent-Schwelle für die Verletztenrente halten will, muss zwingend objektive, mechanische Schäden beweisen, nicht nur subjektive Kraftverluste.


Ein Holzfragezeichen steht neben einem Buch mit der Aufschrift "SGB Sozialrecht" auf einem Holzuntergrund. Daneben befinden sich ein Paar Schuhe, ein Stift und eine Registerkarte in einem warmen, orangefarbenen Licht.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wann verliere ich meinen Anspruch auf Verletztenrente nach einem Arbeitsunfall?

Die Verletztenrente nach einem Arbeitsunfall ist nicht automatisch lebenslang gesichert. Sie verlieren den Anspruch, sobald die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach einer Neubegutachtung unter die gesetzliche Schwelle sinkt. Nach § 56 des Siebten Sozialgesetzbuches (SGB VII) müssen mindestens 20 Prozent MdE vorliegen, damit die Unfallversicherung weiter zahlt. Sinkt der objektiv festgestellte Wert durch neue Gutachten, stoppt die Leistung.

Die Unfallversicherung hat das Recht, die gesundheitliche Entwicklung regelmäßig neu zu bewerten. Jahre nach dem Unfall kann sie eine erneute Begutachtung veranlassen, die die stabile, strukturelle Funktionsfähigkeit des betroffenen Körperteils prüft. Der Fokus der Gerichte liegt dabei auf der objektiven Schädigung, die durch äußere Messungen feststellbar ist, nicht primär auf subjektiven Schmerzen oder der selbst empfundenen Kraftminderung. Entscheidend ist, ob die Unfallfolgen objektiv weiterhin eine MdE von 20 Prozent oder mehr rechtfertigen.

Oft wird die passive Beweglichkeit des Gelenks als juristische Messlatte herangezogen. Nehmen wir an, bei einer Schulterverletzung kann ein Gutachter den Arm passiv bis auf 120 Grad anheben. Medizinische Erfahrungssätze sehen in diesem Fall nur eine MdE von 10 Prozent vor. Dieser Wert liegt unter der geforderten Mindestgrenze, was zur Abweisung des Rentenanspruchs führen kann. Entscheidend ist, dass Sie beweisen können, dass eine strukturelle Schädigung die Kraftübertragung dauerhaft stört.

Lokalisieren Sie sofort den Bescheid der Unfallversicherung, in dem die Renteneinstellung angekündigt wird, und notieren Sie das genaue Datum, um die knappe Widerspruchsfrist von meist vier Wochen nicht zu versäumen.


zurück zur FAQ Übersicht

Zählt meine passive oder aktive Schulterbewegung für die Berechnung der MdE?

Die Regel in der gesetzlichen Unfallversicherung ist eindeutig: Bei der Berechnung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zählt grundsätzlich die passive Beweglichkeit des Gelenks. Diese Messung wird als entscheidend betrachtet, weil sie das maximale mechanische Potenzial der Schulter objektiv widerspiegelt. Die aktive Beweglichkeit, die Sie selbst leisten können, tritt dahinter zurück. Dies kann zu Frustration führen, wenn Gutachter Ihren Arm passiv höher bewegen, als Sie es aktiv im Alltag schaffen.

Gerichte folgen der Argumentation, dass passive Bewegungen die strukturelle Funktion am zuverlässigsten messen. Wenn ein Arzt Ihren Arm extern auf 120 Grad anheben kann, existiert keine mechanische Blockade in der Gelenkstruktur. Eine aktive Einschränkung auf beispielsweise 90 Grad kann hingegen durch Schmerzen, Schonverhalten oder reinen Kraftmangel bedingt sein. Diese subjektiven oder temporären Faktoren sind für die juristische Bewertung der dauerhaften Funktionsstörung nicht maßgeblich.

Die aktive Bewegung wird nur dann zum Maßstab, wenn eine nachgewiesene, strukturelle Schädigung der Kraftübertragung vorliegt. Dies ist etwa der Fall bei einer Rotatorenmanschetteninsuffizienz, also einem Defekt der Sehnen, der verhindert, dass die Muskelkraft tatsächlich am Gelenk ankommt. Liegt dieser Beweis nicht vor, führt eine passive Beweglichkeit von 120 Grad meist zu 10 Prozent MdE. Selbst wenn Sie den Arm aktiv nur auf 90 Grad heben, reicht dies oft nicht für die notwendigen 20 Prozent MdE für eine Verletztenrente.

Bitten Sie Ihren behandelnden Facharzt, explizit zu vermerken, ob die Einschränkung der aktiven Bewegung eine Folge einer strukturellen Schädigung ist, da nur dieser Befund juristisch zählt.


zurück zur FAQ Übersicht

Wie wird die MdE bei einer Schulterverletzung vom Gutachter genau festgelegt?

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wird bei Schulterschäden durch eine Kombination aus objektiver Messung der Gelenkfunktion und dem Ausschluss struktureller Mängel ermittelt. Gutachter messen primär die passiv gemessene Gradzahl der Beweglichkeit. Sie vergleichen die festgestellte Einschränkung direkt mit standardisierten Tabellen zur MdE-Berechnung – diese Gradmessung liefert sofort den prozentualen Wert. Diese Methodik soll sicherstellen, dass die Bewertung unabhängig von Schmerzempfinden oder Schonverhalten erfolgt.

Bevor die Bewegung gemessen wird, führt der Sachverständige mehrere objektive Tests durch. Er prüft mittels aktueller Bildgebung, wie der MRT, ob eine fortbestehende strukturelle Schädigung der Rotatorenmanschette vorliegt. Fehlt eine erneute Ruptur der Sehnen, bewertet der Gutachter den mechanischen „Motor“ des Arms als funktionsfähig. Zusätzlich werden Anzeichen für einen Muskelschwund (Atrophie) ausgeschlossen und die Kraftentwicklung der verletzten Seite mit der gesunden Seite verglichen. Seitengleiche Kraft und fehlende Atrophie deuten darauf hin, dass die Sehnen intakt arbeiten.

Der finale MdE-Prozentsatz leitet sich aus der passiv gemessenen Armhebung ab. Die anerkannte medizinische Erfahrung besagt, dass eine Bewegungseinschränkung auf 120 Grad Hebung typischerweise 10 Prozent MdE entspricht. Die für eine Verletztenrente entscheidende Schwelle von 20 Prozent MdE wird in der Regel erst bei einer stärkeren Einschränkung erreicht, etwa wenn die Armhebung passiv nur noch bis 90 Grad möglich ist. Die gemessene Gradzahl definiert somit klar, ob der Rentenanspruch weiterhin besteht.

Erhält Ihr neues Gutachten Befunde wie „seitengleiche Kraft“ oder „keine Atrophie“, müssen Sie diese Angaben umgehend durch Ihren eigenen Mediziner widerlegen.


zurück zur FAQ Übersicht

Was tun, wenn das Gutachten der Unfallversicherung meine Verletztenrente stoppen will?

Reagieren Sie sofort und legen Sie fristgerecht Widerspruch gegen den Bescheid der Unfallversicherung ein. Beauftragen Sie parallel einen Fachanwalt für Sozialrecht. Die juristische Strategie muss sich darauf konzentrieren, die zentrale Schlussfolgerung des Gutachters anzugreifen: die Feststellung, dass keine strukturelle Schädigung mehr vorliegt. Wenn diese Weichenstellung gelingt, kann die Unfallversicherung die Verletztenrente auf Basis einer vermeintlich geringeren Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) einstellen.

Der Schlüssel zur Renteneinstellung liegt darin, dass der Gutachter die passive Beweglichkeit des Gelenks als maßgeblich festsetzt. Dies geschieht, weil er keine strukturelle Insuffizienz, also keinen Riss oder relevanten Schaden an den tragenden Sehnen der Rotatorenmanschette, mehr feststellen kann. Die Argumentation der Versicherung basiert darauf, dass Ihre aktive, schmerzbedingte Einschränkung nicht für eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 Prozent ausreicht, da die mechanische Funktion wiederhergestellt sei.

Ihr Anwalt muss das Gutachten dezidiert prüfen und die Basis der Befunde attackieren. Lassen Sie durch ein dezidiertes Gegengutachten versuchen, Behauptungen des Gutachters zu widerlegen, etwa dass seitengleiche Kraftentwicklung vorliege oder keine Atrophie erkennbar sei. Nur wenn Sie eine funktionell relevante Defektarthropathie oder einen fortbestehenden Teilriss belegen, können Sie die Notwendigkeit der aktiven Messung wieder im Verfahren etablieren.

Kontaktieren Sie sofort Ihren Fachanwalt für Sozialrecht, um Akteneinsicht zu beantragen und alle detaillierten Messprotokolle der aktiven und passiven Beweglichkeit prüfen zu lassen.


zurück zur FAQ Übersicht

Wann gilt bei Gelenkschäden die Ausnahme der strukturellen Schädigung für die MdE?

Die Ausnahme von der Regel der passiven Beweglichkeit ist eng gefasst und erfordert einen klaren Nachweis. Sie gilt nur, wenn eine objektivierbare Schädigung der Kraftübertragungsorgane vorliegt. Speziell bei Schulterverletzungen müssen die Sehnen der Rotatorenmanschette so defekt sein, dass die Muskelkraft gar nicht erst am Gelenk ankommt. Nur dann darf die (typischerweise niedrigere) aktive Bewegung zur Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) herangezogen werden.

Gerichte bestehen auf diesem strengen Kriterium, weil die passive Messung die maximale mechanische Funktionsfähigkeit des Gelenks objektiver widerspiegelt. Die aktive Bewegungseinschränkung könnte auch durch reine Schmerzen oder Schonung bedingt sein, was die juristische MdE-Berechnung in der Regel nicht beeinflusst. Liegt jedoch eine tatsächliche strukturelle Insuffizienz der Rotatorenmanschette vor, stört dies die mechanische Verbindung zwischen Muskel und Knochen. Diese Störung ist die einzige juristisch relevante Ursache, welche die aktive Bewegung als Maßstab zulässt.

Der Nachweis der strukturellen Schädigung muss durch aktuelle, bildgebende Verfahren wie MRT oder Ultraschall erfolgen. Es genügt nicht, sich auf eine ältere Diagnose, etwa einen vor Jahren operierten Sehnenriss, zu berufen. Die Rechtsprechung fordert den Beweis einer fortbestehenden oder erneuten Ruptur, die eine mechanisch relevante Störung begründet. Wird die aktuelle Sehnenstruktur als intakt bewertet, greift die Ausnahme nicht mehr, selbst wenn der Patient den Arm aktiv kaum heben kann.

Fordern Sie von Ihrem behandelnden Arzt einen detaillierten Befundbericht an, der explizit die Kontinuität und die strukturelle Schädigung der Sehnen beurteilt.


zurück zur FAQ Übersicht

Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


**Bildtyp:** Editorial-Foto

**Hauptmotiv:** Schreibtisch mit Büromaterialien

**Text im Bild:** 
- SOZIALRECHT GLOSSAR
- Fachbegriffe einfach erklärt.
- KINDERGELD
- ALG I ANTRAG
- PFLEGEGRAD EINSTUFUNG.
- BEWILLIGT

**Wesentliche Bildelemente:** Buch, Lupe, Kugelschreiber

**Bildbeschreibung:** Das Bild zeigt eine büroähnliche Umgebung mit einem Schreibtisch. Auf dem Tisch liegen ein geöffnetes Buch, eine Lupe und Kugelschreiber. Ein Ordner mit der Aufschrift "BEWILLIGT" und ein Aktenkorb mit beschrifteten Unterlagen sind ebenfalls sichtbar.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Aktive Beweglichkeit

Die aktive Beweglichkeit beschreibt den maximalen Bewegungsumfang eines Gelenks, den ein Patient aus eigener Muskelkraft ohne jegliche äußere Hilfe oder Führung erreichen kann. Juristen nutzen diesen Wert nur in Ausnahmefällen als primäre Messlatte für die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE). Dies geschieht nur, wenn eine strukturelle Schädigung die Kraftübertragung nachweislich blockiert.

Beispiel: Im Fall des verletzten Mannes war die aktive Beweglichkeit der Schulter auf 90 Grad begrenzt, was der erste Gutachter als ausreichend für eine MdE von 20 Prozent ansah.

Zurück zur Glossar Übersicht

Medizinische Erfahrungssätze

Medizinische Erfahrungssätze sind standardisierte Tabellen und feststehende Bewertungsrichtlinien, die im Sozialrecht von Gutachtern und Gerichten zur objektiven Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) herangezogen werden. Das Gesetz will damit die Bewertung von Unfallfolgen objektiv und vergleichbar machen, sodass ähnliche körperliche Einschränkungen immer zum gleichen MdE-Prozentsatz führen.

Beispiel: Nach den medizinischen Erfahrungssätzen entspricht eine passive Bewegungseinschränkung der Schulter bis 120 Grad typischerweise einer MdE von 10 Prozent, was unter der Schwelle für die Verletztenrente liegt.

Zurück zur Glossar Übersicht

Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist ein Prozentwert aus dem Sozialversicherungsrecht, der den Grad der funktionellen Einschränkung des gesamten Körpers beziffert, die durch einen anerkannten Arbeitsunfall verursacht wurde. Dieser Wert ist die zentrale juristische Schwelle: Erst ab einer MdE von 20 Prozent oder mehr besteht ein Anspruch auf die Zahlung einer fortlaufenden Verletztenrente.

Beispiel: Nachdem neue Gutachten nur noch eine MdE von 10 Prozent feststellten, lag der Wert des Klägers unter der gesetzlichen Mindestgrenze, weshalb die Verletztenrente eingestellt wurde.

Zurück zur Glossar Übersicht

Passive Beweglichkeit

Die passive Beweglichkeit misst den maximalen mechanischen Radius eines Gelenks, den ein Untersucher durch externen Zug oder Druck, also ohne die aktive Muskelkraft des Patienten, erzielen kann. Im Sozialrecht wird dieser Wert grundsätzlich als die objektivste Messlatte für die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrachtet. Er spiegelt die strukturelle Funktionsfähigkeit des Gelenks am besten wider und kann nicht durch Schonhaltung oder Schmerzen beeinflusst werden.

Beispiel: Das Landessozialgericht stützte sein Urteil auf die passive Beweglichkeit, die der Gutachter H1 mit 120 Grad maß, da keine mechanische Blockade im Gelenk mehr vorlag.

Zurück zur Glossar Übersicht

Strukturelle Insuffizienz

Als strukturelle Insuffizienz bezeichnen Juristen und Mediziner eine nachgewiesene physische Schädigung – wie beispielsweise ein kompletter Sehnenriss der Rotatorenmanschette – die dazu führt, dass die Muskelkraft gar nicht mehr oder nur fehlerhaft auf das Gelenk übertragen werden kann. Nur wenn eine solche Insuffizienz belegt ist, greift die juristische Ausnahme, und die niedrigere aktive Beweglichkeit wird anstelle der passiven zur MdE-Berechnung herangezogen.

Beispiel: Da die aktuelle MRT-Untersuchung keine erneute Ruptur der Sehnen zeigte, war die strukturelle Insuffizienz nicht mehr gegeben, weshalb das Gericht die Anwendung der Ausnahmevorschrift ablehnte.

Zurück zur Glossar Übersicht

Verletztenrente

Die Verletztenrente ist eine monatliche Geldleistung der gesetzlichen Unfallversicherung, die als Entschädigung nach einem anerkannten Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit gezahlt wird. Die Leistung soll den dadurch entstandenen wirtschaftlichen Schaden ausgleichen und steht Versicherten nur zu, deren Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) den Schwellenwert von 20 Prozent erreicht oder übersteigt.

Beispiel: Die Unfallversicherung erklärte die Rentenzahlung für beendet, als die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers unter die für den Bezug der Verletztenrente notwendige Schwelle sank.

Zurück zur Glossar Übersicht



Das vorliegende Urteil


Landessozialgericht Baden-Württemberg – Az.: L 6 U 128/24 – Urteil vom 28.08.2025


* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Sozialrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Sozialrecht. Wir beraten uns vertreten Sie in sozialrechtlichen Fragen. Jetzt Ersteinschätzung anfragen.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile und Beiträge aus dem Sozialrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!