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Nahtlose Krankengeldansprüche bei neuer Krankheit

Bayerisches Landessozialgericht – Az.: L 4 KR 495/20 – Urteil vom 10.06.2021

I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 12. Oktober 2020 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2020 verurteilt, dem Kläger Krankengeld über den 8. September 2019 hinaus bis einschließlich 9. Dezember 2019 zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Zahlung von Krankengeld über den 08.09.2019 hinaus bis 09.12.2019.

Der 1964 geborene Kläger und Berufungskläger war ab 05.04.2019 bei der Beklagten und Berufungsbeklagten über den Bezug von Arbeitslosengeld I durch die Beigeladene versichert. Er bezieht inzwischen eine Erwerbsminderungsrente.

Nahtlose Krankengeldansprüche bei neuer Krankheit
(Symbolfoto: Stock-Asso/Shutterstock.com)

Der Kläger erkrankte am 10.01.2019 nach Exazerbation einer seit 2009 bekannten exogen allergischen Alveolitis im Dezember 2018 und bezog bis 05.04.2019 von der Beklagten und Berufungsbeklagten Krankengeld mit den Ausgangsdiagnosen Thoraxschmerz, Kopfschmerz, Störung der Atmung und akute Tonsilitis, im weiteren Verlauf einer Neurasthenie. Mit Bescheid vom 27.03.2019 stellte die Beklagte den Bezug von Krankengeld ab 05.04.2019 ein. Bestätigt wurde dies durch eine Stellungnahme vom 11.04.2019 und ein Kurzgutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 17.04.2019, nach der noch eine leichte körperliche Tätigkeit zumutbar sei. Es bestünden eine exogene allergische Alveolitis mit intermittierend obstruktiver Ventilationsstörung, darüberhinaus ein Kopfschmerz, Leistenschmerz, eine Synovialzyste im Bereich der Kniekehle (Baker-Zyste), ein Thoraxschmerz ohne organisches Korrelat, eine Lymphknotenschwellung am Hals sowie ein Verdacht auf eine hypochondrische Störung. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2019 zurück.

Vom 10.06. bis 01.07.2019 befand sich der Kläger in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme im N Klinikum B. Er wurde arbeitsunfähig entlassen – vorübergehend auch wegen pneumologischer Einschränkungen; eine Arbeitsfähigkeit sei aber innerhalb von vier Wochen zu erwarten (Reha-Entlassungsbericht vom 22.07.2019). Der Orthopäde K stellte mit Erstbescheinigung vom 02.07.2019 Arbeitsunfähigkeit wegen einer Baker-Zyste, Wirbelsäulenbeschwerden und Meniskusschaden zunächst voraussichtlich bis 19.07.2019 fest. Weitere AU-Bescheinigungen liegen bis 09.12.2019 vor. Vom 02.07.2019 bis 12.08.2019 leistete die Bundesagentur für Arbeit (Beigeladene) Arbeitslosengeld im Rahmen der Leistungsfortzahlung. Wegen bescheinigter Arbeitsunfähigkeitszeiten bezog der Kläger von der Beklagten Krankengeld bis 08.09.2019.

Mit Erstbescheinigung vom 09.09.2019, ausgestellt vom Praxiszentrum M, wurde Arbeitsunfähigkeit vom 09.09. bis 27.09.2019 festgestellt wegen einer Somatisierungsstörung (F45.0 G) und einer allergischen Alveolitis (J67.9 G). Folgebescheinigungen wegen Arbeitsunfähigkeit folgten bis 09.12.2019. Ab dem 10.12.2019 stellte sich der Kläger der Beigeladenen wieder wegen einer Arbeitsaufnahme zur Verfügung.

Die Beklagte teilte der Beigeladenen mit Schreiben vom 12.09.2019 mit, dass der Kläger vom 02.07.bis 08.09.2019 arbeitsunfähig erkrankt sei; bei der Arbeitsunfähigkeit ab 09.09.2019 handele es sich um eine neue Krankheit mit entsprechendem neuen     Leistungsfortzahlungsanspruch. Der Kläger erhob Widerspruch; im Widerspruchsverfahren teilte die Beigeladene der Beklagten mit, dass Leistungsfortzahlung bereits bis 12.08.2019 gewährt worden sei. Eine andere Erkrankung würde keinen neuen Anspruch auf Leistungsfortzahlung auslösen. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2019 zurück. Hiergegen ist seit 05.11.2019 eine Klage am Sozialgericht Regensburg anhängig (S 14 KR 1439/19).

Im einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Regensburg (S 14 KR 1437/19 ER) vom 05.11.2019 begehrte der Kläger ab sofort Krankengeld, da er seit 09.09.2019 kein Krankengeld erhalte. Das Sozialgericht lud mit Beschluss vom 29.11.2019 die Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, notwendig bei und lehnte ebenfalls mit Beschluss vom 29.11.2019 den Antrag auf Gewährung von Krankengeld ab. U.a. fehle es an einem Anordnungsanspruch, denn es liege tatsächlich bisher kein Bescheid der Antragsgegnerin vor, aufgrund dessen dem Antragsteller das Krankengeld eingestellt worden sei. Die Beschwerde wies das Bayer. Landessozialgericht mit Beschluss vom 05.03.2020 zurück (L 4 KR 35/20 B ER).

Die Beklagte holte einen Befundbericht der Internisten P/K1/S vom 01.08.2019 ein. Mit Bescheid vom 19.12.2019 zur Arbeitsunfähigkeit ab 09.09.2019 führte die Beklagte aus, dass der Krankengeldbezug und somit die Mitgliedschaft bei der Beklagten am 08.09.2019 geendet hätten. Ab 09.09.2019 werde die Mitgliedschaft aufgrund des gestellten Rentenantrags fortgeführt. Am 09.09.2019 habe keine Mitgliedschaft mit Krankengeldanspruch vorgelegen.

Den hiergegen eingelegten `Überprüfungsantrag´ legte die Beklagte als Widerspruch aus, den sie mit Widerspruchsbescheid vom 02.04.2020 zurückwies. Der Kläger sei bis 08.09.2019 aufgrund der Diagnosen „Sonstige Spondylose mit Radikulopathie: Lumbalbereich, Synovialzyste im Bereich der Kniegelenke, Meniskusriss akut, sonstige Meniskusschädigungen“ arbeitsunfähig. Die Mitgliedschaft habe somit aufgrund des Anspruchs auf Krankengeld bis zu diesem Datum fortbestanden. Am 09.09.2019 sei die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit mit Erstbescheinigung aufgrund anderer Diagnosen (Somatisierungsstörung, allergische Alveolitis durch nicht näher bezeichneten Staub) erfolgt. Die Mitgliedschaft habe somit nur bis 08.09.2019 fortbestanden. Ab 09.09.2019 werde die Versicherung bis 09.12.2019 als Rentenantragsteller fortgeführt. Rentenantragsteller seien wie Rentner nur dann mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert, wenn sie aus einer neben dem Rentenbezug ausgeübten Beschäftigung oder Tätigkeit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt hätten, das der Beitragsbemessung unterliege. Dies sei beim Kläger nicht der Fall.

Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Klage zum Sozialgericht Regensburg erhoben. Ihm stehe jedenfalls für die Arbeitsunfähigkeit ab 09.09.2019 ein Krankengeld zu. Es komme nicht darauf an, ob es sich um dieselbe Krankheit wie in dem Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit ab 02.07.2019 handele oder um eine andere Krankheit.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 03.09.2020 die Bundesagentur für Arbeit zu dem Verfahren notwendig beigeladen. Diese hatte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegenüber dem Senat mitgeteilt, dass nach Meldung der Arbeitslosigkeit am 04.04.2019 mit Bescheid vom 08.05.2019 Arbeitslosengeld vom 05.04.2019 bis 14.03.2020 bewilligt worden sei. Nachdem der Kläger ab dem 10.06.2019 eine Reha-Maßnahme mit Übergangsgeld begonnen habe, sei mit Bescheid vom 04.06.2019 das Arbeitslosengeld ab dem 10.06.2019 aufgehoben worden. Im Anschluss sei mit Bescheid vom 06.08.2019 ab dem 01.07.2019 bis zum 05.04.2020 das Arbeitslosengeld weiterbewilligt worden. Nachdem der Kläger ab dem 02.07.2019 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, habe die Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall zum 12.08.2019 geendet. Das Arbeitslosengeld sei daher mit Bescheid vom 26.08.2019 ab dem 13.08.2019 aufgehoben worden. Der Kläger habe dann Krankengeld bezogen. Nachdem sich der Kläger zum 10.12.2019 erneut arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt habe, sei ihm dieses mit Bescheid vom 17.12.2019 für den Zeitraum vom 10.12.2019 bis 01.08.2020 bewilligt worden. Da er jedoch erneut ab dem 10.12.2019 erkrankt sei, sei das Arbeitslosengeld ab dem 21.01.2020 wieder aufgehoben worden. Eine Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall komme für den streitigen Zeitraum ab 09.09.2019 nicht in Betracht, da der Kläger vor dem 09.09.2019 nicht im Leistungsbezug seitens der Beigeladenen gestanden habe und auch nicht erneut arbeitslos gemeldet gewesen sei, da er bis 08.09.2019 auch arbeitsunfähig gewesen sei. Die vorherige Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall habe zum 12.08.2019 geendet.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12.10.2020 abgewiesen und zur Begründung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen. Darüber hinaus sei anzumerken, dass der Kläger unwidersprochen in der KVdR gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) versichert gewesen sei. Diese Versicherungsart enthalte gemäß § 44 SGB V keinen Krankengeldanspruch. Die Beklagte habe schon darauf hingewiesen, dass diejenigen, die in der KVdR versichert seien, nur dann Anspruch auf Krankengeld hätten, wenn sie ein Regelentgelt aus einer Erwerbstätigkeit neben dem Rentenbezug erzielten (BSG NZS 2008, 313). Das sei beim Kläger jedoch nicht der Fall. Es bleibe somit beim Ende der Mitgliedschaft zum 08.09.2019. Ein Krankengeldanspruch könne dann im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr entstehen.

Gegen den am 19.10.2020 zugegangenen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 16.11.2020 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung hat der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 28.01.2021 vorgebracht, es werde verkannt, dass beim Kläger dasselbe Krankheitsgeschehen die Arbeitsunfähigkeit in der Zeit bis 08.09.2019 und in der Zeit ab 08.09.2019 verursacht hätte. Es bestehe gemäß § 46 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 SGB V in der ab 11.04.2019 geltenden Fassung ein Versicherungsschutz mit Krankengeldanspruch ab 09.09.2019. Er hat ausgeführt, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihrer beweisrechtlichen Natur nach ein stets vorläufiges und korrigierbares medizinisches Gutachten darstelle, das neben anderen Beweismitteln frei zu würdigen und in die Gesamtheit der im Einzelfall relevanten Aspekte einzuordnen sei. Festzustellen bleibe, dass der Kläger die materiell-rechtliche Wirkung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V am 09.09.2019 herbeigeführt habe, nachdem die letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit Ablauf des 08.09.2019 ihre Wirkung verloren hatte. Weiter bleibe festzuhalten, dass eine durchgehende Erkrankung selbst bei falscher Einordnung durch den die Arbeitsunfähigkeit feststellenden Arzt nicht entfallen würde. Es sei deshalb aufzuklären, ob der Kläger in der streitgegenständlichen Zeit wegen derselben Erkrankung arbeitsunfähig krank gewesen sei, die bereits zur Arbeitsunfähigkeit in der Zeit bis zum 08.09.2019 geführt hatte. Der Kläger leide nicht an Krankheiten, die nicht „von einem Tag auf den anderen“ geheilt oder so erheblich gebessert werden könnten, dass sie ab dem 09.09.2019 nicht mehr arbeitsunfähigkeitsbegründend gewesen sein könnten. Die bei der Akte befindlichen medizinischen Unterlagen seien insoweit sehr aussagekräftig.

Die Beklagte ist unter Verweis auf ihren Widerspruchsbescheid und der sozialgerichtlichen Entscheidung der Berufung entgegengetreten.

Auf die Beschlüsse des Sozialgerichts vom 02.03.2020 in dem Verfahren S 14 KR 51/20 ER (Ruhensbescheid vom 27.01.2020 bezüglich Krankengeldzahlung), vom 22.09.2020 in dem Verfahren S 14 KR 1096/20 ER (Auszahlung von Krankengeld seit dem 28.04.2020) und vom 14.10.2020 in dem Verfahren S 14 KR 1152/20 ER, verbunden mit S 14 KR 1178/20 ER (zum Krankengeld vom 18.09. bis 14.10.2020) wird verwiesen. Die Akten des Sozialgerichts wurden beigezogen.

Der Senat hat ferner den Reha-Entlassungsbericht der D vom 22.07.2019 über den stationären Reha-Aufenthalt vom 10.06. bis 01.07.2019 und einen Befundbericht des Allgemeinarztes E vom 09.06.2021 eingeholt. Letzterer hat bescheinigt, dass bei ihm eine Behandlung des Klägers zwischen 09.07.2019 und 06.07.2020 erfolgt sei. In diesem Zeitraum habe durchgehend Arbeitsunfähigkeit bestanden. Die Befunde seien unverändert gewesen. Soweit ihm bekannt sei, habe aber keine Arbeitsunfähigkeit wegen der Diagnose der exogenen Alveolitis bestanden.

Die Beteiligten sind ferner auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10.05.2012 (B 1 KR 19/11 R – juris) hingewiesen worden. Die Beklagte hat hierzu mit Schriftsatz vom 08.06.2021 Stellung genommen. Ergänzend wird auch auf die Niederschrift der Sitzung vom 10.06.2021 verwiesen.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 12.10.2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.12.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2020 zu verurteilen, ihm Krankengeld über den 08.09.2019 hinaus bis 09.12.2019 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten, der Gerichtsakten des Sozial- sowie des Landessozialgerichts sowie der Klage- und Berufungsakte hingewiesen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Sie bedurfte nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V. Die Beklagte hat zu Unrecht einen Krankengeldanspruch nach dem 08.09.2019 verneint.

Der Kläger war während des Bezugs von Leistungen der Beigeladenen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) versicherungspflichtig nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V. Diese Versicherungspflicht ist gemäß § 5 Abs. 8 Satz 1 SGB V grundsätzlich vorrangig gegenüber der Versicherung in der KVdR nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V, wie sie durch den Antrag auf Erwerbsminderungsrente begründet wurde. Die Mitgliedschaft des Klägers in der Krankenversicherung der Arbeitslosen blieb aufgrund des Anspruchs auf Krankengeld in der Zeit vom 13.08. bis 08.09.2019 erhalten. Sie blieb nach Überzeugung des Senats jedoch auch über den 08.09.2019 hinaus aufrecht erhalten (§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V), da sich dem bis 08.09.2019 bestehenden Anspruch auf Krankengeld ein weiterer Krankengeldanspruch, beruhend auf der Erstbescheinigung des Praxiszentrums M vom 09.09.2019, nahtlos anschloss.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliegt (vgl. z.B. BSG, Urt. v. 11.05.2017, B 3 KR 22/15).

Der Anspruch auf Krankengeld entsteht nach § 46 Satz 1 SGB V in der Fassung vom 06.05.2019, gültig ab 11.05.2019,

1. bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an,

2. im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an.

Die Mitgliedschaft bei dem Krankenversicherungsträger endet mit Ablauf des letzten Tages, für das Arbeitslosengeld I bezogen wird (§§ 186 Abs. 2 a, 190 Abs. 12 SGB V). Die Mitgliedschaft bleibt gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aber erhalten, solange ein Anspruch auf Krankengeld besteht. Damit verweist § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V auf die Vorschriften über den Krankengeldanspruch, die ihrerseits voraussetzen, dass ein Versicherungsverhältnis mit Krankengeldanspruch vorliegt.

Der Kläger war unstreitig im Rahmen des Bezugs von Arbeitslosengeld I durch die Beigeladene bei der Beklagten mit Anspruch auf Krankengeld versichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Die Beigeladene hatte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeführt, dass dem Kläger zuletzt mit Bescheid vom 06.08.2019 ab dem 01.07.2019 bis zum 05.04.2020 Arbeitslosengeld I weiterbewilligt worden war. Nachdem der Kläger ab dem 02.07.2019 arbeitsunfähig erkrankt war, hat die Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall zum 12.08.2019 geendet. Das Arbeitslosengeld wurde daher mit Bescheid vom 26.08.2019 ab dem 13.08.2019 aufgehoben – wodurch aber das Versicherungsverhältnis nicht rückabgewickelt wird (§ 146 Abs. 3 SGB III, § 5 Abs. 1 Nr. 2 HS 2 SGB V; hierzu Ulmer, in: BeckOK Sozialrecht, § 5 SGB V Rn. 9). Im Anschluss bezog der Kläger von der Beklagten Krankengeld bis 08.09.2019.

Für die Zeit ab 09.09.2019 ist zunächst festzuhalten, dass es vorliegend nicht um die Überbrückung des Fehlens einer nahtlosen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bzw. um die Vermeidung von Lücken (KassKomm-Schifferdecker, SGB V, § 46 Rn. 20) gemäß   § 46 Satz 2 SGB V geht (s.a. unten). Nach § 46 Satz 2 SGB V bleibt der Anspruch auf Krankengeld jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage. Auch der durch Art. 1 Nr. 22 des Gesetzes vom 06.05.2019 – BGBl. I 2019, 646 – mit Wirkung vom 11.05.2019 eingeführte § 46 Satz 3 SGB V spielt hier keine Rolle: Danach bleibt der Anspruch auf Krankengeld für Versicherte, deren Mitgliedschaft nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V vom Bestand des Anspruchs auf Krankengeld abhängig ist, auch dann bestehen, wenn die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit nicht am nächsten Werktag im Sinne von Satz 2, aber spätestens innerhalb eines Monats nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird.

Unstreitig erfolgte vorliegend die Ausstellung der Arbeitsunfähigkeit am 09.09.2019, also dem Tag nach dem Ende der vorangegangenen Bescheinigung bis 08.09.2019. Vorrangig ist jedoch § 46 Satz 1 SGB V zu prüfen, also die Frage, wann der konkrete Anspruch auf Krankengeld entstanden ist – gemäß Nr. 2 von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an (1). In einem zweiten Prüfschritt ist zu klären, ob unter dieser   Voraussetzung die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger (mit Anspruch auf Krankengeld) nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V erhalten bleibt – nämlich vorliegend: „solange der Anspruch auf Krankengeld (…) besteht“ (2).

Zu 1:

Am 09.09.2019 erfolgte eine Erstbescheinigung wegen Arbeitsunfähigkeit. Als Diagnosen sind enthalten eine Somatisierungsstörung (F45.0) und eine allergische Alveolitis durch nicht näher bezeichneten organischen Staub (J67.9). Es ist zwar zutreffend, dass sich Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen der Diagnose J67.9 bereits in der Vergangenheit finden, zuletzt aber nicht im vorangegangenen Zeitraum vom 02.07.2019 bis 08.09.2019, sondern im Zeitraum 14.05.2019 bis 01.07.2019. Eine Somatisierungsstörung (F45.0) findet sich gemäß der Bescheinigung der Zeiten von Arbeitsunfähigkeit der Beklagten vom 09.10.2019 im Zeitraum von 2008 bis 2019 sogar erstmalig am 09.09.2019.

Der Krankengeldanspruch ist somit am Tag der ärztlichen Feststellung, hier also am 09.09.2019, entstanden, § 46 Satz 1 SGB V.

Zu 2:

Da der Anspruch auf Krankengeld bis zum 08.09.2019 zugunsten des Klägers über § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V auch nach Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld I fortbestand, ist entscheidend, ob ein Fortbestehen der Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V anzunehmen ist oder ob hier zwischen dem 08. und 09.09.2019 eine Unterbrechung eingetreten ist mit der Folge, dass der Kläger in der KVdR ohne Anspruch auf Krankengeld versichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V).

Das LSG Berlin-Brandenburg hat in seiner Entscheidung vom 22.05.2019 (L 9 KR 94/18 – juris) die Ansicht vertreten, dass in dem dortigen Verfahren der Anspruch auf Krankengeld fortbesteht. Der Senat teilt die Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg, wonach mit dem „Beginn der Behandlung“ im Krankenhaus nicht gemeint ist, dass erst ab dem Zeitpunkt einer förmlichen Aufnahme in die Sachgesamtheit des Krankenhauses an diesem Tag ein Anspruch auf Krankengeld entsteht (siehe auch der Senat in: L 4 KR 293/20, Urt. v. 12.05.2021). Gemeint ist vielmehr der Tag des Beginns der Krankenhausbehandlung in Abgrenzung zu anderen Tagen davor. Der Tag des Beginns der Aufnahme in das Krankenhaus ist somit der ganze Tag, also ab dem Tagesbeginn (0.00 Uhr). Entsprechendes gilt in der vorliegenden Fallkonstellation. Wie das LSG Berlin-Brandenburg in der zitierten Entscheidung ausführt, zeigt dies nicht zuletzt die Regelung des § 47 Abs. 1 Satz 6 SGB V, wonach das Krankengeld für Kalendertage gezahlt wird, der Krankengeldanspruch also nur für ganze Kalendertage entsteht und besteht, d.h., unabhängig davon, wann die Krankenhausbehandlung an dem Aufnahmetag beginnt.

Nach der Rechtsprechung des BSG setzt die Aufrechterhaltung der Beschäftigtenversicherung nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V keine Überschneidung von Beschäftigungsverhältnis und Entstehung des Anspruchs auf die Sozialleistung voraus, sondern lediglich eine Nahtlosigkeit von Beschäftigung und Entstehung des Rechts auf die Sozialleistung, also die Entstehung des Anspruchs auf die Sozialleistung in unmittelbarem zeitlichen Anschluss an das Beschäftigungsverhältnis (vgl. BSG, Urteil v. 10.05.2012, a.a.O., vor allem Rn. 15). Dies belegten andere Fallgestaltungen des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V (so z.B. die Formulierung: „Anspruch auf Krankengeld oder Mutterschaftsgeld“ in Nummer 2), so das BSG in der vorgenannten Entscheidung, in denen sich der Anspruch auf die Sozialleistung ohne Überschneidung an das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis anschließt und dadurch die Mitgliedschaft aufrechterhält. Dem entspreche auch die Rechtsprechung des BSG in Fällen, in denen die Erhaltung der Mitgliedschaft Versicherter nach beendetem Beschäftigungsverhältnis durch den Krankengeldbezug bei abschnittsweiser Bewilligung auf der Grundlage befristeter AU-Feststellungen ab dem zweiten Bewilligungsabschnitt allein auf der Nahtlosigkeit der Krankengeld-Bewilligung beruhe. Bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit, aber abschnittsweiser Krankengeld-Bewilligung, könnten sich die Krankengeld-Ansprüche nur nahtlos aneinander anschließen, nicht aber überschneiden. Die Rechtsfolge des § 46 Satz 1 Nr. 1 SGB V stehe dem aufgezeigten Normverständnis des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nicht entgegen.

Ausgehend hiervon ist der Einwand, der hier geltend gemachte Anspruch auf Krankengeld über den 08.09.2019 hinaus scheitere daran, dass der Kläger am 09.09.2019 nicht mehr mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen sei, weil der mit Ablauf des 08.09.2019 endende Krankengeld-Bewilligungsabschnitt sich nicht mit dem auf § 46 Satz 1 Nr.1 SGB V gestützten Krankengeldanspruch ab dem 09.09.2019 überlappt habe, nicht tragfähig. Denn für den Fortbestand der Mitgliedschaft nach § 192 Abs. 1 Nr. 2  SGB V ist eine Überschneidung der Krankengeldansprüche nicht erforderlich. Dies verdeutlichen die vom BSG in oben erwähnter Entscheidung vom 10.05.2012 angesprochenen Fälle, in denen die Mitgliedschaft Versicherter nach beendetem Beschäftigungsverhältnis durch den Krankengeldbezug bei abschnittsweiser Bewilligung auf der Grundlage befristeter AU-Feststellungen nach § 192 Abs.1 Nr. 2 SGB V fortbestand. Nach der bis 22.07.2015 geltenden Rechtslage waren die Versicherten gehalten, eine Folgekrankheitsbescheinigung spätestens am letzten Tag des Gültigkeitszeitraums der vorangegangenen AU-Bescheinigung zu erwirken. Dies war für den Fortbestand der Mitgliedschaft nach

§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ausreichend, obwohl der Anspruch auf Krankengeld gemäß § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der bis 22.07.2015 geltenden Fassung erst an dem Tag entstand, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgte und damit keine Überschneidung der Krankengeld-Bewilligungsabschnitte vorlag. Für den Fortbestand des Versicherungsschutzes nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ist es demnach erforderlich, aber auch ausreichend, dass sich die Krankengeldansprüche nahtlos aneinander anschließen. Eine solche Nahtlosigkeit liegt im vorliegenden Fall im Hinblick auf den bis 08.09.2019 bestehenden Krankengeldanspruch und den auf § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V gestützten Anspruch ab 09.09.2019 – wie dargelegt – vor.

Somit kann die zwischen den Beteiligten streitige Frage offenbleiben, ob § 46 Sätze 2 oder 3 SGB V greifen (siehe hierzu bereits oben), die jedoch nur diejenigen Fälle betreffen, bei denen es sich um `dieselbe Krankheit´ handelt und ein Anspruch auf Krankengeld „bestehen bleibt“ – er betrifft also nur Folgebescheinigungen von Arbeitsunfähigkeiten. Erfasst sind somit nicht die Fälle des Anschlusses einer Arbeitsunfähigkeit wegen einer neuen Krankheit (s. bereits Bayer. Landessozialgericht, Urt. v. 14.05.2019, L 4 KR 537/18).

Nur ergänzend weist der Senat deshalb darauf hin, dass zwar eine exogene allergische Alveolitis beim Kläger seit 2009 bekannt war, allerdings waren weder eine F-Diagnose noch die exogene allergische Alveolitis als Grund für eine Arbeitsunfähigkeit in dem Zeitraum unmittelbar vor dem 09.09.2019 bescheinigt. Vor allem aus dem MDK-Kurzgutachten vom 17.04.2019, dem Ausdruck der Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeiten im Zeitraum von 2008 bis 2019, dem Befundbericht der P/K1/S vom 01.08.2018, dem Reha-Entlassungsbericht vom 22.07.2019 sowie dem Befundbericht des Allgemeinarztes E vom 09.06.2021 ergibt sich, dass unmittelbar vor dem 09.09.2019 keine Arbeitsunfähigkeit wegen einer exogenen allergischen Alveolitis und einer Somatisierungsstörung und damit nicht „dieselbe Krankheit“ im Sinne des § 46 S. 2 und 3 SGB V bestand.

Die Arbeitsunfähigkeit ist unstreitig lückenlos vom 09.09.2019 bis 09.12.2019 durch Folgebescheinigungen belegt.

Der Berufung ist daher stattzugeben. Es besteht ein Krankengeldanspruch in der Zeit vom 09.09.2019 bis 09.12.2019.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

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