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Regressanspruch der Bundesanstalt für Arbeit aus einem Arbeitsunfall

LG Zwickau, Az.: 1 O 1140/14

Urteil vom 04.02.2016

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Regressanspruch der Bundesanstalt für Arbeit aus einem Arbeitsunfall
Foto: pressmaster/Bigstock

Die Klägerin macht als Trägerin der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung gem. § 110 SGB VII die aus einem Schadensereignis entstandenen Aufwendungen geltend; der Beklagte ist der ehemalige Arbeitgeber des geschädigten Dachdeckers … .

Im April 2009 erneute der Beklagte aufgrund eines Auftrages in Regenstauf bei der Firma … das Eternitdach einer Fabrikhalle. Die vorhandenen alten, nicht durchtrittsicheren Wellasbestzementplatten sollten durch Lichtplatten (Sandwichplatten) ersetzt werden. Eine solche Platte ist ca. 7,70 m lang und 1,00 m breit.

Am 16.04.2009 trug der Geschädigte, der zu diesem Zeitpunkt als Dachdecker bei dem Beklagten angestellt war und über eine 10-jährige Berufserfahrung als Dachdecker verfügte, zusammen mit seinem Kollegen … eine Lichtplatte von einem Stapel zu dem Verlegeort auf dem Fabrikdach. Auf diesem Weg brach das alte Eternitdach und der Geschädigte stürzte ca. 6,5 m in die Tiefe auf den Steinboden der Halle. Hierbei verletzte er sich schwer; er erlitt eine drittgradige offene suprakondyläre Humerusfraktur rechts, eine Beckenringfraktur rechts, eine transforamionale Sakrumfraktur rechts eine, Kalkaneusfraktur rechts Sanders Typ 2 sowie eine Pereonealsehnenluxation mit subperiostaler Avulsion des Retinaculum peroneale. Vom 16.03.2009 bis zum 06.05.2009 wurde er stationär behandelt. Infolge der unfallbedingten Verletzungen wurde das Arbeitsverhältnis des Geschädigten durch Kündigung vom 27.06.2009 seitens des Beklagten beendet. Im Zeitraum vom 14 10.2010 bis zum 11.10.2011 bezog der Geschädigte unfallbedingt Arbeitslosengeld 1 nebst Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 16.059,06 € von der Klägerin. Unfallbedingt kann der Geschädigte nicht mehr in seinem Beruf als Dachdecker arbeiten. Er ist jedoch – in strittigem Umfang – grundsätzlich wieder arbeitsfähig. Die Regressabteilung der Klägerin erhielt erstmals durch Schreiben vom 06.04.2011 Kenntnis des Schadenfalles.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihr gegen den Beklagten Schadenersatzansprüche nach § 110 SGB VII zustünden, dessen Haftung zwar beschränkt sei, § 104 SGB VII, der jedoch den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe; es bestehe daher ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Erbringung von Arbeitslosengeld.

Sie behauptet, der Beklagte habe seine Angestellten nicht vor den mit dem Auftrag im Zusammenhang stehenden Gefahren ausreichend geschützt und Unfallverhütungsvorschriften missachtet. Der Beklagte habe keine Sicherheitsvorkehrungen getroffen, es seien weder Absturzsicherungen, noch Auffangvorrichtungen oder Laufwege vorhanden gewesen. Der Beklagte habe überdies auch keine Gefährdungsbeurteilung vorgenommen und seine Beschäftigten nicht über die Maßnahmen zur Abwendung von Gefahren unterwiesen.

Dem Beklagten sei auch bewußt gewesen, dass er zum Schutz seiner Arbeiter verpflichtet gewesen sei; dennoch habe er auf sichere Laufwege und jegliche Art der Absicherung gegen einen Absturz verzichtet.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass sie berechtigt sei, Ansprüche nach § 110 SGB VII geltend zu machen, da sie einem Sozialversicherungsträger gleichgestellt sei, was sich aus der Systematik des Sozialgesetzbuches ergebe. Die Klägerin erbringe Leistungen aufgrund des Schadensgeschehens, da die Arbeitslosigkeit kausal auf das Schadensgeschehen zurückzuführen sei. Die Situation entspreche der des Forderungsüberganges bei § 116 SGB X.

Hinsichtlich der Schadenshöhe könne sich die Klägerin den fiktiven Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten zu Nutze machen und so ihre Aufwendungen-in voller Höhe geltend machen. Das Feststellungsinteresse beruhe auf der Schwere der eingetretenen Verletzungen des Geschädigten.

Die Klägerin beantragt

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.059,06 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte zum Ersatz sämtlicher weiterer Aufwendungen der Klägerin im Zusammenhang mit dem Schadensereignis vom 16.04.2009 zu Lasten des Versicherten der Klägerin … im Rahmen des § 110 SGB VII verpflichtet ist.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er behauptet, dass die Unfallverhütungsvorschriften eingehalten worden seien. Unfallursächlich sei allein ein Verstoß des Geschädigten gegen eindeutige Arbeitsanweisungen des Beklagten.

Da Wellasbestzementplatten, wie jeder Dachdecker wisse, nicht durchtrittsicher seien, habe der Beklagte angeordnet, dass seine Mitarbeiter über durch Bohlen gebildete lastverteilende Laufstege die neuen Platten zur Verarbeitungsstelle hintragen sollten. Auf dem Dach seien mehrere Laufstege (Laufbohlen mit einer Breite von mehr als 50 cm) links und rechts der Verlegestellen vorhanden gewesen, die entsprechend der Anweisung des Beklagten hätten verrückt werden müssen, um dann dazwischen jeweils die Wellasbestplatten zu verlegen. Benutze der Geschädigte, der über 10 Jahre Berufserfahrung verfüge und über die Gefährlichkeit von Eternitdächern wisse, weisungswidrig die vorhandenen Laufstege nicht, so treffe ihn ein alleiniges Verschulden; ein Mitverschulden des Beklagten sei ausgeschlossen. Es spreche auch ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Außerachtlassung der gebotene eigenen Sorgfalt für den Sturz des Geschädigten mit ursächlich gewesen sein. Dass die Gefährdungsanalyse, wenn auch nicht schriftlich, vorgenommen worden sei, ergebe sich bereits daraus, dass die entsprechenden Bohlen auf dem Dach vorhanden gewesen seien. Auch wurde unstrittig ein Gerüst mit Fangnetzen aufgebaut. Es sei nicht möglich gewesen, Fangnetze unterhalb des Dachs anzubringen, auch ein Anseilschutz sei nicht möglich gewesen. Die Aufwendungen der Klägerin seien nicht unfallbedingt sondern auf die mangelhafte Motivation des Geschädigten zurückzuführen, welcher inzwischen wieder voll arbeitsfähig sei, so dass er in der Lage sei, den gleichen Verdienst zu erzielen wie als Dachdecker.

Entscheidend sei jedoch, dass der Klägerin keine Anspruchsgrundlage zur Seite stünde. Insbesondere sei die Klägerin kein Sozialversicherungsträger sondern ausschließlich für den Regress nach § 116 SGB X einem solchen für diesen Einzelfall gleichgestellt. Die Arbeitslosenversicherung zähle nicht zu der Sozialversicherung, da die Strukturen bei der Organisation und der Finanzierung der Arbeitsförderung deutlich von denen der klassischen Sozialversicherer abwichen. Auch ein Anspruch nach § 116 SGB X stehe der Klägerin nicht zu. Die Sonderstellung der Bundesagentur für Arbeit ergebe sich unmittelbar aus dem Vergleich zwischen § 110 SGB VII und § 116 SGB X.

Im Übrigen beruft sich der Beklagte auf die Verjährung: Gelange ein Schadensereignis erst nach zwei Jahren zu dem zuständigen Regresssachbearbeiter, sei die Behörde fehlerhaft organisiert, wofür bereits der Beweis des ersten Anscheins spreche.

Hinsichtlich der Schadenshöhe sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin – unterstellt, sie wäre Sozialversicherungsträger – zusammen mit den anderen Sozialversicherungsträgern nur Gesamtgläubiger wäre; der klägerische Vortrag entspreche nicht den Anforderungen des § 117 SGB X

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die bei den Akten befindlichen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 26.11.2015 Bezug genommen. Das Verfahren … sowie das Verfahren … wurden beigezogen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch aus § 110 SGB VII gegenüber dem Beklagten nicht zu. Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

Die Klägerin kann keinen Anspruch gem. § 110 SGB VI gegenüber dem Beklagten geltend machen. Sie erbringt keine Leistungen aus Anlass des Arbeitsunfalles.

Nach § 110 Abs. 1 SGB VII gilt folgendes: Haben Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 beschränkt ist, den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, haften sie den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs.

§ 110 SGB VII bezweckt, dass Unternehmer und ihre Arbeitnehmer wegen der an die Berufsgenossenschaft gezahlten Beiträge der Unternehmer grundsätzlich von einer Haftung freigestellt sind und nur dann im Wege des Rückgriffs in Anspruch genommen werden sollen, wenn es bei voller Berücksichtigung dieses Ziels angesichts ihres für den Arbeitsunfall ursächlichen Verhaltens nicht mehr gerechtfertigt erscheint, die Folgen des Unfalls auf die in der Berufsgenossenschaft zusammengeschlossene Unternehmerschaft abzuwälzen (Lauterbach, Unfallversicherung, Sozialgesetzbuch VII, Band 3, 4. Aufl., § 110 Rnr. 1).

Die Bundesagentur für Arbeit ist eine rechtsfähige bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung, § 367 SGB III. Anders als bei den Sozialversicherungsträgern im engeren Sinne sind auch die öffentlichen Körperschaften vertreten und es finden keine Wahlen statt (vgl. Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 367, Rnr. 2). Sie weist nur bedingt körperschaftliche Strukturen auf (Muckel, Sozialrecht, 2. Aufl., § 12, Rnr. 11). Die rechtliche Einordnung der Bundesanstalt für Arbeit ist umstritten; sie nimmt eine Zwitterstellung ein, da sie zwar gegenüber dem Versicherten körperschaftsähnliche Beziehungen unterhält, aber in ihrer selbst verwalteten Binnenstruktur nicht mitgliedschaftlich legitimiert ist. Insoweit bestehen grundsätzliche Unterschiede zu den anderen Sozialversicherungsträgern, bei denen der Status als Körperschaft unstreitig ist (Petzold, a.a.O., § 367 SGB III Rnr. 5). Vorliegend kann dahinstehen, ob die Klägerin der Sozialversicherung im Sinne von § 110 SGB VII ist (dagegen Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., § 640 RVO, Rnr. 35). Denn die Bundesanstalt für Arbeit leistet nicht wegen des Arbeitsunfalles sondern wegen der Arbeitslosigkeit des Versicherten (Maschmann, Haftung und Haftungsbeschränkung bei Arbeitsunfällen nach neuem Unfallversicherungsrecht, SGb 2/98, Bley, Kreikebohm, Marschner, Sozialrecht, Rnr. 906; Lauterbach, Unfallversicherung Sozialgesetzbuch VII, Kommentar Band 3, 4. Aufl., § 110 Rnr. 7; Becker/Borchardt/Krasney/Kruschinsky/Heintz, gesetzliche Unfallversicherung, SGB XII Kommentar, 13. Aufl., § 110 Rnr. 6). Auch wenn ein Versicherter wegen eines Arbeitsunfalls arbeitslos geworden ist, leistet die Bundesagentur für Arbeit wegen der Arbeitslosigkeit und erbringt keine Leistung aus Anlass des Arbeitsunfalls (Becker/Borchardt/Krasney/Kruschinsky/Heintz, a.a.O., Rnr. 6; a.A Ricke, Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht § 110 SGB VIII, wonach anspruchsberechtigt alle Versicherungsträger sind einschließlich der Bundesanstalt für Arbeit).

Dies ergibt sich daraus, daß das Arbeitslosengeld eine Leistung der Bundesagentur für Arbeit mit Entgeltfunktion ist; zentrale Voraussetzung für die Gewährung von Arbeitslosengeld ist die Arbeitslosigkeit (Muckel, a.A.O. § 12, Rn. 70),

Dieses Ergebnis entspricht auch der Regelung des § 116 Abs. 10 SGB X, wonach die Bundesanstalt für Arbeit für den Regress nach § 116 SGB X den Sozialversicherungsträgern ausdrücklich für diesen Einzelfall gleichgestellt wurde. Eine solche Gleichstellung fehlt in § 110 SGB VII.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.

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