Ein ehemaliger Elektromotorenbauer kämpfte seit Mitte 2016 mit wiederkehrender Arbeitsunfähigkeit und stellte im Mai 2018 einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Obwohl eine Arbeitsagentur seine Leistungsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich einstufte, lehnte die zuständige Rentenversicherung den Antrag ab. Sie stützte sich auf unabhängige Gutachten, die den Mann trotz seiner Leiden weiterhin als mindestens sechs Stunden täglich erwerbsfähig beurteilten.
Übersicht
- Das Urteil in 30 Sekunden
- Die Fakten im Blick
- Der Fall vor Gericht
- Ein Bäcker, ein Traum vom Ruhestand und die kalte Realität der Rentenversicherung
- Warum lehnte die Rentenversicherung den Antrag ab?
- Wie versuchte der Kläger, vor Gericht Recht zu bekommen?
- Durfte der Kläger immer neue Gutachter fordern?
- Wie konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden?
- Warum sah das Gericht keine Erwerbsminderung als bewiesen an?
- Was sagte das Gericht zu anderen ärztlichen Meinungen und schweren Einschränkungen?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Das Urteil in der Praxis
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was ist der Zweck einer „Rente wegen Erwerbsminderung“ im Sozialversicherungssystem?
- Welche Bedeutung haben medizinische Gutachten bei der Feststellung der Erwerbsfähigkeit für Sozialleistungen?
- Unter welchen Voraussetzungen kann eine Partei in einem sozialgerichtlichen Verfahren einen eigenen medizinischen Gutachter beantragen?
- Wann kann das Recht, einen eigenen medizinischen Gutachter im Gerichtsverfahren zu benennen, verwirkt oder „verbraucht“ sein?
- Worin besteht der Unterschied zwischen subjektiven Gesundheitsbeschwerden und objektiven medizinischen Befunden bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit für Sozialleistungen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: S 2 R 842/18 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Urteil in 30 Sekunden
- Das Problem: Ein Mann, der krank war, wollte eine besondere Rente erhalten, weil er angeblich nicht mehr richtig arbeiten konnte. Die Rentenversicherung und später ein Gericht sahen das anders.
- Die Frage: Hatte der Mann einen Anspruch auf diese Rente, weil er nicht mehr genug Stunden pro Tag arbeiten konnte?
- Die Antwort: Nein. Das Gericht entschied, dass der Mann trotz seiner Gesundheitsprobleme noch genügend Stunden arbeiten konnte. Die meisten Gutachter bestätigten, dass er noch mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten verrichten konnte.
- Das bedeutet das für Sie: Ob Sie eine solche Rente bekommen, hängt davon ab, ob Sie objektiv weniger als sechs Stunden täglich arbeiten können. Persönliche Beschwerden allein reichen oft nicht aus; es zählen die Einschätzungen unabhängiger medizinischer Gutachter.
Die Fakten im Blick
- Gericht: Sozialgericht Würzburg
- Datum: 11. Mai 2020
- Aktenzeichen: S 2 R 842/18
- Verfahren: Klageverfahren
- Rechtsbereiche: Sozialrecht, Sozialgerichtsverfahren
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Mann, der eine Erwerbsminderungsrente beantragte. Er war der Meinung, wegen seiner Krankheiten nicht mehr arbeiten zu können.
- Beklagte: Die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern. Sie hatte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Der Kläger beantragte eine Erwerbsminderungsrente aufgrund langjähriger Krankheit. Die Rentenversicherung lehnte den Antrag ab, da sie ihn noch als arbeitsfähig ansah.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: Hat der Kläger Anspruch auf eine Rente, weil er wegen Krankheit nicht mehr arbeiten kann?
Entscheidung des Gerichts:
- Urteil im Ergebnis: Klage abgewiesen.
- Zentrale Begründung: Das Gericht befand, dass der Kläger trotz seiner Erkrankungen weiterhin mindestens sechs Stunden täglich arbeiten kann, gestützt auf das Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen.
- Konsequenzen für die Parteien: Der Kläger erhält keine Rente und muss seine eigenen außergerichtlichen Kosten tragen.
Der Fall vor Gericht
Ein Bäcker, ein Traum vom Ruhestand und die kalte Realität der Rentenversicherung
Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Arbeitsleben lang hart gearbeitet, zuletzt als Elektromotorenbauer. Doch dann zwingt Sie die eigene Gesundheit in die Knie. Seit Mitte 2016 kämpft ein im Jahr 1962 geborener Mann, den wir hier den Rentenantragsteller nennen wollen, mit wiederkehrender Arbeitsunfähigkeit. Er hatte eine Ausbildung zum Bäcker gemacht, war Soldat auf Zeit und Schreiner, bevor er in seinem letzten Beruf tätig war. Die Schmerzen und Beeinträchtigungen wurden so stark, dass er sich nicht mehr in der Lage sah, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er stellte einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung – eine Form der gesetzlichen Altersvorsorge, die Menschen finanziell absichern soll, die wegen Krankheit oder Behinderung nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt arbeiten können.
Warum lehnte die Rentenversicherung den Antrag ab?

Der Rentenantragsteller reichte seinen Antrag auf diese besondere Altersrente im Mai 2018 bei der zuständigen Rentenversicherung ein, einer großen bundesweiten Einrichtung. Er verwies auf zahlreiche Arztberichte, die seine gesundheitlichen Probleme belegten. Bereits kurz zuvor hatte eine medizinische Beurteilung für eine Arbeitsagentur festgestellt, dass der Mann auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wohl weniger als drei Stunden täglich leistungsfähig sei – und das für voraussichtlich über sechs Monate. Eine dauerhafte Besserung erschien demnach unwahrscheinlich, allenfalls eine längere Rehabilitationsmaßnahme könnte helfen.
Doch die Rentenversicherung holte eigene, unabhängige ärztliche Gutachten ein. Ein Nervenarzt bescheinigte dem Rentenantragsteller zwar Angst- und Panikstörungen sowie Rückenprobleme. Er stellte jedoch fest, dass die Angaben des Mannes teilweise nicht mit den objektiven Untersuchungsbefunden übereinstimmten. Nach seiner Einschätzung wäre der Rentenantragsteller nervenärztlich gesehen noch in der Lage, sechs Stunden und mehr täglich leichte bis mittelschwere Arbeiten zu verrichten, die keine erhöhten Rückenbelastungen mit sich bringen und in normalen Tagesschichten ausgeübt werden können.
Ein weiterer Gutachter, ein Internist und Lungenfacharzt, kam zu ähnlichen Schlüssen. Er bestätigte eine Reihe von Diagnosen, darunter Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Wirbelsäulenbeschwerden, Kopfschmerzen und Tinnitus. Trotz dieser Leiden schätzte er die Leistungsfähigkeit des Mannes weiterhin auf sechs Stunden und mehr pro Tag für leichte Tätigkeiten ein, vorwiegend im Sitzen, ohne die Wirbelsäule zu belasten, ohne häufiges Bücken oder Heben schwerer Lasten, und ohne besonderen Zeitdruck oder Nachtschichten. Sogar seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Elektromotorenbauer hielt der Gutachter unter diesen Bedingungen noch für möglich.
Basierend auf diesen beiden Gutachten lehnte die Rentenversicherung den Antrag des Mannes ab. Ihre Begründung: Der Rentenantragsteller sei weiterhin in der Lage, mindestens sechs Stunden pro Tag erwerbstätig zu sein. Der Mann legte Widerspruch ein und verwies erneut auf die entgegenstehende Einschätzung der Arbeitsagentur. Doch auch dieser Einspruch wurde von der Rentenversicherung zurückgewiesen.
Wie versuchte der Kläger, vor Gericht Recht zu bekommen?
Der frühere Elektromotorenbauer, nun der Kläger im Gerichtsverfahren, gab nicht auf. Er zog vor das Sozialgericht, eine spezielle Gerichtsbarkeit, die über Streitigkeiten im Sozialversicherungsrecht entscheidet. Im Rahmen der gerichtlichen Untersuchung, die das Gericht selbstständig und von Amts wegen durchführt, wurden alle relevanten Unterlagen gesammelt. Das Gericht bestellte eine weitere Gutachterin, eine renommierte Neurologin, Psychiaterin und Psychotherapeutin.
Die Gutachterin stellte bei ihrer Untersuchung des Klägers eine Mischung aus Angst und Depression, eine spezifische Phobie sowie chronische Rückenbeschwerden und Tinnitus fest. Ihre Schlussfolgerung deckte sich jedoch weitgehend mit den vorherigen Gutachten der Rentenversicherung: Sie hielt den Kläger für fähig, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten. Zwar gäbe es qualitative Einschränkungen – er sollte keine schweren Lasten heben, keine Zwangshaltungen einnehmen, keine Akkord- oder Fließbandarbeit leisten und keine Lärmbelastung oder Schichtarbeit haben –, aber eine zeitliche Einschränkung des Arbeitsvermögens sah sie nicht. Sie betonte zudem, dass die therapeutischen Möglichkeiten, insbesondere bei seiner depressiven Störung, noch nicht ausgeschöpft seien, da die Medikamentendosis eher niedrig war.
Der Anwalt des Klägers war mit diesem Gutachten nicht zufrieden. Er stellte Ergänzungsfragen und legte weitere ärztliche Bescheinigungen vor, die eine Verschlechterung des Zustandes des Klägers schilderten. Eine Ärztin berichtete von zunehmenden Depressionen, Angst- und Panikattacken, starken Schmerzen und einer drastisch reduzierten Gehfähigkeit. Doch die gerichtlich bestellte Gutachterin hielt an ihrer Einschätzung fest: Objektiv sei nur von einer mittelgradigen depressiven Episode auszugehen, ohne Einschränkung der Bewegung oder des Denkens. Die Konzentrationsfähigkeit sei nicht wesentlich beeinträchtigt, und die Medikation könne noch erhöht werden.
Durfte der Kläger immer neue Gutachter fordern?
In der Verhandlung beim Sozialgericht beantragte der Kläger schließlich, einen weiteren Gutachter nach seinen eigenen Vorstellungen zu beauftragen – ein Recht, das das Gesetz in bestimmten Fällen einräumt, um die Chancengleichheit vor Gericht zu sichern. Das Gericht stimmte zunächst unter Auflagen zu, doch der Kläger erschien nicht zum Termin bei dem von ihm benannten Gutachter und zog den Antrag später zurück. Er begründete dies mit einer „deutlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes“, legte aber nur Atteste vor, die vor allem subjektive Beschwerden enthielten, nicht aber neue objektive Befunde.
Danach schlug der Kläger nacheinander weitere Gutachter vor: Einer hatte keine Approbation als Arzt, also keine offizielle Zulassung, um den Beruf auszuüben. Ein anderer Gutachter lehnte den Auftrag aus organisatorischen Gründen ab, und ein dritter war telefonisch nicht bereit, ein Gutachten zu erstellen. Das Gericht hatte dem Kläger zwischenzeitlich eine Frist gesetzt, einen Gutachter zu benennen, der auch wirklich bereit ist. Als der Kläger daraufhin einen weiteren, vierten Gutachter vorschlug, war diese Frist bereits abgelaufen.
Das Gericht entschied, diesen letzten Antrag abzulehnen. Es begründete dies damit, dass das Recht des Klägers, eigene Gutachter zu benennen, in diesem Fall „verbraucht“ sei. Der Kläger sei zweimal nicht zu Terminen erschienen, und die von ihm benannten Ärzte hätten aus verschiedenen Gründen nicht als Gutachter tätig werden können. Zudem sah das Gericht eine „grobe Nachlässigkeit“ seitens des Anwalts des Klägers. Er hätte vor der Benennung prüfen müssen, ob die vorgeschlagenen Ärzte überhaupt willens und in der Lage sind, ein Gutachten zu erstellen. Dieses Verhalten wurde dem Kläger zugerechnet. Eine weitere Beauftragung hätte den Rechtsstreit nur unnötig in die Länge gezogen.
Wie konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden?
Aufgrund dieser Umstände und der langen Dauer des Verfahrens kündigte das Gericht an, die Entscheidung ohne eine weitere mündliche Verhandlung, also per sogenanntem Gerichtsbescheid, zu treffen. Ein Gerichtsbescheid ist eine vereinfachte Form der Entscheidung, die möglich ist, wenn der Sachverhalt aus Sicht des Gerichts hinreichend geklärt ist und keine besonderen Schwierigkeiten birgt. Die Rentenversicherung stimmte diesem Vorgehen zu. Der Kläger war zwar nicht einverstanden, doch das Gericht hielt die Voraussetzungen für einen Gerichtsbescheid für gegeben.
Warum sah das Gericht keine Erwerbsminderung als bewiesen an?
Das Gericht kam zu der Überzeugung, dass der Rentenantragsteller keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat. Entscheidend war dabei die Frage, ob der Mann wegen seiner Krankheiten oder Behinderungen auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Wenn dies der Fall ist, spricht man von teilweiser Erwerbsminderung. Ist die Arbeitsfähigkeit auf unter drei Stunden gesunken, liegt eine volle Erwerbsminderung vor. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt selbst, also ob es tatsächlich passende Stellen gibt, spielt dabei keine Rolle.
Das Gericht stützte sich maßgeblich auf das Gutachten der gerichtlich bestellten Gutachterin. Ihre Ausführungen waren aus Sicht des Gerichts widerspruchsfrei, nachvollziehbar und basierten auf einer eigenen Untersuchung sowie der umfassenden Aktenlage. Die Gutachterin hatte, wie bereits erwähnt, lediglich eine mittelgradige depressive Episode festgestellt, die zwar zu qualitativen Einschränkungen führte (bestimmte Tätigkeiten sind nicht möglich), aber nicht zu einer zeitlichen Beschränkung der Arbeitsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden täglich. Die vom Kläger beklagten schwereren psychischen Symptome, wie eine Einschränkung der Psychomotorik oder Denkhemmung, konnten objektiv nicht festgestellt werden. Zudem betonte die Gutachterin, dass die Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere bei der Depression, noch nicht ausgeschöpft waren.
Was sagte das Gericht zu anderen ärztlichen Meinungen und schweren Einschränkungen?
Das Gericht setzte sich auch mit den Einwänden des Klägers und den anderen vorliegenden medizinischen Einschätzungen auseinander.
- Das Gutachten der Arbeitsagentur: Die frühe Einschätzung, der Kläger könne weniger als drei Stunden arbeiten, wurde vom Gericht als nicht überzeugend verworfen. Sie stand im Gegensatz zu allen anderen Gutachten, die von einer höheren Leistungsfähigkeit ausgingen. Zudem hatte schon dieser Gutachter auf die noch nicht ausgeschöpften Behandlungsmöglichkeiten hingewiesen.
- Die ärztlichen Atteste des Klägers: Die vom Kläger im Laufe des Verfahrens vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen, die eine Verschlechterung seines Zustandes schilderten, sah das Gericht ebenfalls als nicht ausreichend an. Diese Atteste beschrieben vorrangig die subjektiven Beschwerden des Klägers (wie Schmerzen, Müdigkeit, Bluthochdruck), lieferten aber keine neuen, objektivierbaren Befunde, die eine tatsächliche und rentenrechtlich relevante Verschlechterung der Arbeitsfähigkeit belegen würden. Auch eine objektive Unfähigkeit, an Gutachten mitzuwirken, konnte daraus nicht abgeleitet werden.
- Die These der ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen: Das Gericht prüfte auch, ob bei dem Kläger eine „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen“ oder eine „schwere spezifische Leistungsbehinderung“ vorlag. Diese juristischen Konzepte greifen, wenn jemand zwar formal noch sechs Stunden arbeiten könnte, aber so viele oder so gravierende Einschränkungen hat, dass er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch keine zumutbare Tätigkeit mehr finden kann (z.B. wenn jemand nicht heben, tragen, gehen, stehen, sitzen, sich bücken, unter Druck arbeiten und keine Schichtdienste leisten kann – eine solche Person wäre trotz prinzipieller Stundenzahl wohl faktisch arbeitsunfähig). Das Gericht verneinte dies jedoch für den Rentenantragsteller. Es sah keine ernsthaften Zweifel daran, dass der Kläger mit seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch ausreichend einfache Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausführen kann. Daher war es auch nicht notwendig, eine konkrete „Verweisungstätigkeit“ – also eine spezifische Arbeit, die der Mann noch ausüben könnte – zu benennen.
Nach dieser umfassenden Prüfung wies das Sozialgericht die Klage des früheren Elektromotorenbauers ab. Da der Kläger den Rechtsstreit verloren hatte, musste er auch seine eigenen außergerichtlichen Kosten tragen.
Die Urteilslogik
Gerichte beurteilen den Anspruch auf Erwerbsminderungsrente strikt nach dem objektiv feststellbaren Restleistungsvermögen einer Person.
- Beweislast der Erwerbsminderung: Wer eine Erwerbsminderungsrente beansprucht, muss objektiv nachweisen, dass er dauerhaft weniger als sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leistungsfähig ist; subjektive Leidensschilderungen allein genügen dafür nicht.
- Gewichtung von Gutachten: Ein Gericht stützt sich bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit vorrangig auf seine selbst eingeholten, schlüssigen und objektiven Sachverständigengutachten; andere, weniger fundierte medizinische Einschätzungen oder rein subjektive Atteste bewerten Richter als weniger beweiskräftig.
- Grenzen der Gutachterbenennung: Eine Partei verliert ihr Recht, einen eigenen Gutachter zu benennen, wenn sie wiederholt Termine nicht wahrnimmt oder ungeeignete Gutachter vorschlägt; dabei zählt auch die Sorgfalt des Anwalts.
Eine erfolgreiche Klage im Sozialrecht erfordert stets eine schlüssige und objektive Darlegung der medizinischen Tatsachen, die sich auch gegen kritische Gutachten behaupten kann.
Benötigen Sie Hilfe?
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Das Urteil in der Praxis
Jeder, der einen Rentenantrag auf Erwerbsminderung in Erwägung zieht, sollte dieses Urteil genau studieren, denn es entlarvt die Fallen rein subjektiver Beschwerden. Es verdeutlicht schonungslos, dass Rentenversicherung und Gerichte objektive, nachvollziehbare Befunde einfordern – bloße Schmerzschilderungen und individuelle Befindlichkeiten genügen nicht. Der Fall zeigt zudem die eiserne Härte, mit der das Gericht mit den unzureichenden Gutachtervorschlägen des Klägers umging: Das Recht auf weitere Sachverständige ist eben nicht unbegrenzt und kann durch eigene Fehler „verbraucht“ werden. Für Antragsteller bedeutet das: Ohne solide medizinische Beweise und akribische Prozessführung durch den Anwalt bleibt der Traum von der Erwerbsminderungsrente schnell unerfüllt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist der Zweck einer „Rente wegen Erwerbsminderung“ im Sozialversicherungssystem?
Die Rente wegen Erwerbsminderung sichert Menschen finanziell ab, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt arbeiten können. Sie ist eine wichtige Leistung innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung.
Stellen Sie sich vor, die Gesundheit zwingt jemanden dazu, den Beruf aufzugeben. Diese Rente ist dann wie ein finanzielles Schutznetz, das diese Person auffängt, wenn die Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erheblich nachlässt.
Diese Leistung kommt jenen zugute, deren Arbeitsfähigkeit auf unbestimmte Zeit gemindert ist. Eine volle Erwerbsminderung liegt vor, wenn eine Person wegen Krankheit oder Behinderung weniger als drei Stunden täglich arbeiten kann. Kann die Person noch zwischen drei und unter sechs Stunden täglich arbeiten, spricht man von einer teilweisen Erwerbsminderung. Es ist wichtig zu beachten, dass es bei dieser Rente nicht darum geht, ob eine Person eine passende Stelle auf dem Arbeitsmarkt findet. Entscheidend ist allein, ob die Person unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes überhaupt noch arbeiten könnte. Die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt spielt dabei keine Rolle.
Diese Regelung stellt sicher, dass Menschen, die ihre Arbeitskraft durch gesundheitliche Probleme verlieren, nicht ohne finanzielle Absicherung dastehen.
Welche Bedeutung haben medizinische Gutachten bei der Feststellung der Erwerbsfähigkeit für Sozialleistungen?
Medizinische Gutachten sind von zentraler Bedeutung für die Feststellung der Erwerbsfähigkeit bei Anträgen auf Sozialleistungen. Sie bilden die objektive Grundlage, auf der Behörden wie die Rentenversicherung und auch Gerichte ihre Entscheidungen treffen.
Man kann dies mit einem Schiedsrichter beim Fußball vergleichen: Seine unabhängige Entscheidung auf dem Spielfeld ist ausschlaggebend, selbst wenn einzelne Spieler subjektiv eine andere Meinung vertreten.
Diese Gutachten werden oft von unabhängigen Ärzten im Auftrag der Behörde oder des Gerichts erstellt. Sie analysieren Diagnosen, Behandlungsverläufe und bewerten vor allem die verbliebene Leistungsfähigkeit einer Person, sowohl qualitativ (welche Tätigkeiten noch möglich sind) als auch quantitativ (wie viele Stunden täglich).
Behörden und Gerichte stützen ihre Entscheidungen maßgeblich auf diese professionellen Einschätzungen. Sie dienen als objektive Beweisgrundlage, die über subjektiven Beschwerden stehen kann und somit eine verlässliche Beurteilung ermöglicht. Diese Praxis soll sicherstellen, dass Entscheidungen über Sozialleistungen auf einer möglichst neutralen und nachvollziehbaren Grundlage getroffen werden.
Unter welchen Voraussetzungen kann eine Partei in einem sozialgerichtlichen Verfahren einen eigenen medizinischen Gutachter beantragen?
Eine Partei kann in einem sozialgerichtlichen Verfahren beantragen, dass ein medizinischer Gutachter nach ihren eigenen Vorstellungen ein Gutachten erstellt. Dies ist ein Recht, das das Gesetz in bestimmten Fällen einräumt.
Stellen Sie sich vor, bei einem Fußballspiel ist eine umstrittene Entscheidung gefallen. Ein Team möchte einen externen Schiedsrichter-Experten befragen, um zu zeigen, dass die Entscheidung falsch war. Ähnlich kann eine Partei vor Gericht einen eigenen Gutachter vorschlagen, wenn sie mit der Einschätzung eines gerichtlichen Gutachtens nicht einverstanden ist.
Dieses Recht soll die Chancengleichheit vor Gericht sicherstellen. Es ermöglicht einer Partei, eine zusätzliche Expertise einzubringen, die ihre Sichtweise unterstützt und der gerichtlichen Einschätzung gegebenenfalls entgegensteht.
Dabei muss der vorgeschlagene Arzt approbiert sein, also eine offizielle Zulassung besitzen, und auch bereit sein, das Gutachten zu erstellen. Das Gericht prüft die Relevanz des Gutachtens für den Fall. Es kann einen solchen Antrag ablehnen, wenn das Recht auf die Beibringung eigener Gutachten durch wiederholte Nachlässigkeiten, wie das Nichterscheinen zu Terminen oder das Vorschlagen nicht williger Gutachter, missbräuchlich genutzt wird.
Diese Regelung schützt somit das Vertrauen in faire Verfahren, indem sie den Parteien eine Möglichkeit gibt, ihre Position durch unabhängige Gutachten zu stärken.
Wann kann das Recht, einen eigenen medizinischen Gutachter im Gerichtsverfahren zu benennen, verwirkt oder „verbraucht“ sein?
Das Recht, einen eigenen medizinischen Gutachter vor Gericht zu benennen, kann verwirkt oder „verbraucht“ sein, wenn ein Verfahrensbeteiligter dieses prozessuale Recht nachlässig oder missbräuchlich nutzt. Es handelt sich hierbei um eine Möglichkeit, die nicht unbegrenzt zur Verfügung steht.
Man kann es sich vorstellen wie bei einem begrenzten Kontingent an Versuchen oder Möglichkeiten. Werden diese nicht sorgfältig und zielgerichtet eingesetzt, ist das Kontingent erschöpft, und das Gericht räumt keine weiteren Chancen mehr ein.
Die Verwirkung tritt typischerweise ein, wenn ein Verfahrensbeteiligter beispielsweise wiederholt nicht zu Gutachterterminen erscheint oder diese absagt. Auch das Benennen von Gutachtern, die keine ärztliche Zulassung (Approbation) besitzen oder die von vornherein nicht bereit sind, das Gutachten zu erstellen, kann zur Verwirkung führen. Eine entscheidende Rolle spielt zudem das Überschreiten von gerichtlich gesetzten Fristen für die Benennung eines geeigneten Gutachters. Dabei ist es die Pflicht eines Anwalts, die Eignung und Bereitschaft eines vorgeschlagenen Gutachters im Vorfeld zu prüfen, da ihm grobe Nachlässigkeit zugerechnet werden kann.
Die Folge der Verwirkung ist, dass das Gericht weitere Anträge auf zusätzliche Gutachten ablehnen und seine Entscheidung auf Basis der bereits vorhandenen Beweismittel treffen kann. Diese Regelung dient dazu, eine unnötige Verzögerung des Gerichtsverfahrens zu verhindern.
Worin besteht der Unterschied zwischen subjektiven Gesundheitsbeschwerden und objektiven medizinischen Befunden bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit für Sozialleistungen?
Der Unterschied zwischen subjektiven Gesundheitsbeschwerden und objektiven medizinischen Befunden liegt darin, dass Erstere das persönliche Empfinden einer Person beschreiben, während Letztere medizinisch nachweisbare Fakten sind, die für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit bei Sozialleistungen entscheidend sind. Subjektive Beschwerden sind etwa selbst empfundene Schmerzen oder Müdigkeit. Objektive Befunde hingegen sind messbare medizinische Tatsachen wie Laborwerte oder Ergebnisse bildgebender Verfahren.
Man kann es sich vorstellen wie bei der Reparatur eines Autos: Es reicht nicht aus, wenn der Fahrer nur sagt, es fühlt sich komisch an. Um den Schaden zu beheben, benötigt die Werkstatt konkrete Diagnosen wie Fehlermeldungen des Bordcomputers oder sichtbare Mängel am Motor. Ähnlich verhält es sich, wenn man medizinische Einschränkungen für Sozialleistungen belegen möchte.
Für die Gewährung von Sozialleistungen, insbesondere der Erwerbsminderungsrente, sind die objektiven Befunde entscheidend. Behörden und Gerichte benötigen eine rechtssichere Grundlage, um die verbleibende Leistungsfähigkeit einer Person einzuschätzen. Obwohl subjektive Klagen ernstgenommen werden, müssen objektive Nachweise eine tatsächliche und rentenrechtlich relevante Einschränkung der Arbeitsfähigkeit belegen. Wenn beispielsweise ein Antragsteller starke Schmerzen beschreibt, aber unabhängige medizinische Gutachten keine entsprechenden objektivierbaren Befunde feststellen können, kann dies die Leistungsbewilligung beeinflussen. Im Falle fehlender objektiver Belege für eine rentenrelevante Einschränkung der Arbeitsfähigkeit kann die Leistung verweigert werden.
Dieser Ansatz stellt sicher, dass Entscheidungen über Sozialleistungen auf einer verlässlichen und nachprüfbaren Basis getroffen werden.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Erwerbsminderung (Rente wegen Erwerbsminderung)
Die Rente wegen Erwerbsminderung ist eine finanzielle Absicherung für Menschen, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt arbeiten können. Sie dient als soziales Schutznetz und soll das Einkommen sichern, wenn die Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt – unabhängig von der aktuellen Arbeitsmarktlage – auf unter sechs Stunden täglich reduziert ist. Es wird zwischen teilweiser (3 bis unter 6 Stunden) und voller (unter 3 Stunden) Erwerbsminderung unterschieden.
Beispiel: Der Rentenantragsteller stellte einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung, da er sich aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme nicht mehr in der Lage sah, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das Gericht prüfte, ob er noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein konnte, um den Anspruch auf diese Rente zu beurteilen.
Gerichtsbescheid
Ein Gerichtsbescheid ist eine vereinfachte Form der gerichtlichen Entscheidung, die ein Gericht ohne eine mündliche Verhandlung erlassen kann. Dieses Vorgehen ist möglich, wenn der Sachverhalt aus Sicht des Gerichts hinreichend geklärt ist und der Fall keine besonderen Schwierigkeiten mehr aufweist, was zu einer Beschleunigung des Verfahrens beiträgt.
Beispiel: Das Sozialgericht kündigte im Fall des Klägers an, die Entscheidung ohne weitere mündliche Verhandlung, also per Gerichtsbescheid, zu treffen, da der Sachverhalt als hinreichend geklärt galt und das Verfahren bereits sehr lange dauerte.
Objektive medizinische Befunde (im Gegensatz zu subjektiven Gesundheitsbeschwerden)
Objektive medizinische Befunde sind medizinisch nachweisbare und messbare Tatsachen über den Gesundheitszustand einer Person, die für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit entscheidend sind, im Gegensatz zu rein persönlichen Empfindungen und Beschwerden. Behörden und Gerichte benötigen diese nachprüfbaren Fakten (wie Laborwerte, bildgebende Verfahren oder körperliche Untersuchungsbefunde), um eine rechtssichere und unabhängige Einschätzung der verbleibenden Leistungsfähigkeit treffen zu können, die über das subjektive Leiden hinausgeht.
Beispiel: Die Gutachter der Rentenversicherung stellten fest, dass die Angaben des Rentenantragstellers teilweise nicht mit den objektiven Untersuchungsbefunden übereinstimmten. Auch die im Gerichtsverfahren vorgelegten Atteste des Klägers schilderten vor allem subjektive Beschwerden, lieferten aber keine neuen objektivierbaren Befunde, die eine rentenrechtlich relevante Verschlechterung der Arbeitsfähigkeit belegt hätten.
Schwere spezifische Leistungsbehinderung
Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung ist ein juristisches Konzept, bei dem eine einzelne, besonders gravierende gesundheitliche Einschränkung dazu führt, dass eine Person praktisch keine zumutbare Tätigkeit mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt finden kann. Dies kann auch dann zur Annahme einer Erwerbsminderung führen, wenn die Person formal noch viele Stunden arbeiten könnte, die Art der Behinderung (z.B. extreme Einschränkung eines Sinnes oder Organs) jedoch den Zugang zu allen zumutbaren Tätigkeiten faktisch verschließt.
Beispiel: Das Gericht prüfte im Fall des Klägers, ob eine „schwere spezifische Leistungsbehinderung“ vorlag. Es verneinte dies jedoch, da keine derart gravierende einzelne Einschränkung festgestellt werden konnte, die den Arbeitsmarkt für den Kläger völlig unzugänglich gemacht hätte.
Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen
Die Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bezeichnet ein juristisches Konzept, bei dem viele einzelne, für sich genommen nicht gravierende gesundheitliche Einschränkungen in ihrer Gesamtheit dazu führen, dass eine Person praktisch keine zumutbare Tätigkeit mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt finden kann. Obwohl die betroffene Person formal noch sechs Stunden täglich arbeiten könnte, engt die Vielzahl der spezifischen Einschränkungen (z.B. nicht heben, nicht bücken, kein Zeitdruck, keine Schichtarbeit) das Spektrum der möglichen Tätigkeiten derart ein, dass der allgemeine Arbeitsmarkt als verschlossen gilt und somit eine Erwerbsminderung vorliegt.
Beispiel: Das Gericht prüfte, ob bei dem Kläger eine „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen“ vorlag. Es verneinte dies aber, da es davon ausging, dass der Kläger mit seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch ausreichend einfache Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausführen kann.
Verweisungstätigkeit
Eine Verweisungstätigkeit ist eine konkrete, zumutbare Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die eine Person trotz gesundheitlicher Einschränkungen noch ausüben könnte und die das Gericht unter Umständen benennen muss, um eine Erwerbsminderung zu verneinen. Die Benennung einer solchen Tätigkeit wird dann notwendig, wenn die Leistungsfähigkeit einer Person stark eingeschränkt ist und nur noch sehr wenige, spezifische Tätigkeiten in Frage kommen. Wenn jedoch ein breites Spektrum an einfachen Tätigkeiten noch möglich ist, muss das Gericht keine konkrete Verweisungstätigkeit benennen.
Beispiel: Da das Gericht die Überzeugung hatte, dass der Kläger mit seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch ausreichend einfache Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausführen kann, war es im vorliegenden Fall nicht notwendig, eine konkrete „Verweisungstätigkeit“ zu benennen.
Verwirkung (eines Rechts)
Die Verwirkung eines Rechts bedeutet, dass ein Anspruch oder eine Befugnis nicht mehr ausgeübt werden kann, weil sie über einen längeren Zeitraum nicht genutzt oder missbräuchlich gehandhabt wurde und die Gegenseite sowie das Gericht nicht mehr damit rechnen mussten, dass das Recht noch geltend gemacht wird. Dieses Prinzip dient dazu, Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung zu gewährleisten, indem es verhindert, dass prozessuale Rechte unbegrenzt oder nachlässig ausgenutzt werden und so ein Verfahren unnötig verzögert wird.
Beispiel: Das Gericht lehnte den letzten Antrag des Klägers auf Beauftragung eines weiteren Gutachters ab, da das Recht, eigene Gutachter zu benennen, „verbraucht“ sei (verwirkt war). Dies geschah, weil der Kläger zweimal nicht zu Terminen erschienen war und wiederholt ungeeignete Gutachter vorschlug, was das Gericht als grobe Nachlässigkeit wertete.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Rente wegen Erwerbsminderung (§ 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – SGB VI)
Diese Rechtsgrundlage regelt, wann Personen aufgrund von Krankheit oder Behinderung Anspruch auf eine Rente haben, weil sie nicht mehr oder nur noch eingeschränkt arbeiten können.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Kläger beantragte genau diese Rente, und das Gericht musste prüfen, ob er gemäß dieser Vorschrift aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme weniger als sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten kann.
- Amtsermittlungsgrundsatz (§ 106 Sozialgerichtsgesetz – SGG)
Dieser Grundsatz besagt, dass das Gericht im Sozialrecht den Sachverhalt von sich aus erforschen muss und nicht nur auf die Beweise der Parteien angewiesen ist.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Aufgrund dieses Prinzips hat das Sozialgericht von sich aus eine unabhängige medizinische Gutachterin beauftragt, um den Gesundheitszustand und die Leistungsfähigkeit des Klägers objektiv zu beurteilen, anstatt sich nur auf die von den Parteien vorgelegten Gutachten zu verlassen.
- Sachverständigenbeweis auf Antrag der Beteiligten (§ 109 Sozialgerichtsgesetz – SGG)
Diese Regelung ermöglicht es den Parteien unter bestimmten Voraussetzungen, die Bestellung eines Sachverständigen ihrer Wahl zu beantragen, auch wenn das Gericht bereits einen eigenen Sachverständigen beauftragt hat.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Kläger versuchte mehrfach, von diesem Recht Gebrauch zu machen, um einen Gutachter seiner Wahl zu bestellen; das Gericht lehnte dies jedoch nach mehreren Versuchen ab, da der Kläger die Voraussetzungen nicht erfüllte und das Recht als „verbraucht“ ansah.
- Entscheidung durch Gerichtsbescheid (§ 105 Sozialgerichtsgesetz – SGG)
Diese Vorschrift erlaubt es dem Gericht, in bestimmten Fällen eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu treffen, wenn der Sachverhalt ausreichend geklärt ist.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht nutzte diese Möglichkeit, um den Fall ohne weitere mündliche Verhandlung durch einen Gerichtsbescheid abzuschließen, da es den Sachverhalt nach der umfangreichen Gutachteneinholung als ausreichend geklärt ansah.
Das vorliegende Urteil
SG Würzburg – Az.: S 2 R 842/18 – Gerichtsbescheid vom 11.05.2020
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Ich bin Dr. Christian Gerd Kotz, Rechtsanwalt und Notar in Kreuztal. Als Fachanwalt für Verkehrs- und Versicherungsrecht vertrete ich Mandant*innen bundesweit. Besondere Leidenschaft gilt dem Sozialrecht: Dort analysiere ich aktuelle Urteile und erkläre praxisnah, wie Betroffene ihre Ansprüche durchsetzen können. Seit 2003 leite ich die Kanzlei Kotz und engagiere mich in mehreren Arbeitsgemeinschaften des Deutschen Anwaltvereins.


