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Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: L 8 R 602/10 – Urteil vom 30.03.2011

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 21.5.2010 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung. Im vorliegenden Berufungsverfahren wehrt sich die Beklagte gegen die Entscheidung des Sozialgerichts (SG), sie zur Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu verurteilen.

Die im September 1954 geborene Klägerin arbeitete zunächst als Schaufenstergestalterin mit abgeschlossener Ausbildung und sodann aufgrund einer erfolgreichen Umschulung als medizinische Bademeisterin. Vom 1.3.1995 bis zum 28.2.1998 absolvierte sie eine Umschulung zur examinierten Altenpflegerin. Bis zu ihrer betriebsbedingten Kündigung zum 15.5.2008 war die Klägerin in diesem Beruf in der ambulanten Altenpflege tätig. Ab dem 7.12.2007 war sie arbeitsunfähig erkrankt. Sie bezog ab dem 18.1.2008 Krankengeld.

Am 9.8.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Der Facharzt für Innere Medizin und Arbeitsmedizin Dr. X hielt sie in seinem Gutachten vom 19.9.2007 nur noch für in der Lage, sechs Stunden körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten, in ihrem letzten Beruf als Altenpflegerin dagegen nur für drei bis unter sechs Stunden täglich zu arbeiten. Der Neurologe und Psychiater T1 führte in seinem Gutachten vom 29.10.2010 aus, die Klägerin sei noch in der Lage, ihre letzte Tätigkeit als Altenpflegerin sowie leichte bis mittelschwere Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr als sechs Stunden täglich zu verrichten. Gestützt insbesondere auf dieses Gutachten wies die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 30.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.5.2008 zurück, wobei sie die Klägerin auf eine Tätigkeit als Bürohilfskraft verwies.

Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 15.5.2008 erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie hat vorgetragen, sie könne keine Arbeiten von wirtschaftlichem Wert mehr verrichten, weder unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch in ihrem erlernten Beruf als Altenpflegerin. Zumutbare Verweisungstätigkeiten seien für sie nicht ersichtlich. Insbesondere eine Tätigkeit als „Fachkraft in der Pflegebegutachtung bei einem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK)“ sei für sie mangels Computerkenntnissen nicht innerhalb eines zumutbaren Zeitraumes erlernbar. Zudem fehlten ihr auch die psychischen Voraussetzungen für eine solche Tätigkeit.

Die Klägerin hat beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 30.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.5.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ausgehend von einem bei Rentenantragstellung eingetretenen Leistungsfall Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten und vorgetragen, dass die Klägerin jedenfalls noch körperlich leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr verrichten könne. Die Erwerbstätigkeit als Altenpflegerin sei mit dem festgestellten Leistungsvermögen zwar nicht mehr möglich. Die Klägerin könne jedoch zumutbar auf die Tätigkeit als „Fachkraft in der Pflegebegutachtung beim MDK“ verwiesen werden. Insbesondere die notwendigen Computerkenntnisse könne sie innerhalb eines dreimonatigen Einweisungszeitraumes erlernen. Die Beklagte hat zu ihren berufskundlichen Ausführungen auf eine Arbeitsplatzerkundung des berufskundlichen Dienstes vom 12.2.2008 beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Berlin-Brandenburg e.V. und ein Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 5.11.2008 (L 7 R 140/06) verwiesen. Außerdem hat sie sich auf ein Sachverständigengutachten der Sachverständigen der Arbeitsagentur O C vom 2.11.2008 zum Beruf der „Fachkraft in der Pflegebegutachtung“ bezogen.

Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. T und T1 eingeholt und über den Gesundheitszustand der Klägerin und ihre Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben Beweis erhoben durch Einholung von Sachverständigengutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. I vom 15.3.2009 sowie des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. N vom 25.3.2009. Die Gutachter haben bei der Klägerin ein Restless-legs-Syndrom, eine Polyneuropathie unklarer Genese, Bluthochdruck, ein beatmungspflichtiges Schlafapnoe-Syndrom, ein chronisch rezidivierendes HWS- und LWS-Syndrom bei Verschleiß und Bandscheibenschäden und eine Adipositas ersten Grades bei Fettstoffwechselstörung und Fettleber diagnostiziert. Zusammenfassend ist Dr. N in seinem Hauptgutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin wegen der bei ihr vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nur noch körperlich leichte Arbeiten, wechselweise im Gehen, Stehen und Sitzen, ohne gehäuftes Bücken, Knien oder Hocken sowie sonstige Zwangshaltungen ausführen könne. Es könnten lediglich Lasten von maximal 10 kg gehoben werden. Arbeiten seien nicht mehr auf Leitern, Gerüsten oder Regalleitern möglich, Arbeiten im Freien nur unter Witterungsschutz ohne besondere Einwirkung von Nässe, Hitze, Kälte, Zugluft oder atembelastenden Stoffen, nur noch in Tagesschicht und nur ohne besonderen zeitlichen Druck. Arbeiten an laufenden Maschinen seien ebenfalls nicht mehr möglich. Die beschriebenen Tätigkeiten könne die Klägerin jedoch arbeitstäglich noch zumindest sechs Stunden unter betriebsüblichen Bedingungen ausführen.

Das SG hat in berufskundlicher Hinsicht eine Arbeitgeberauskunft des letzten Arbeitgebers der Klägerin, des Pflegebüros Bahrenberg, eingeholt.

Es hat sodann den Bescheid der Beklagten vom 30.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.5.2008 mit Urteil vom 21.5.2010 geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ausgehend von einem bei Antragstellung eingetretenen Leistungsfall Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren. Die Klägerin sei zwar nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 1 oder 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Sie sei aber berufsunfähig. Ihren bisherigen Beruf als Altenpflegerin könne sie nicht mehr ausüben. Auf die von der Beklagten benannte Tätigkeit einer Fachkraft in der Pflegebegutachtung beim MDK könne sie nicht zumutbar verwiesen werden, weil sie diese nicht innerhalb einer Einweisungszeit von drei Monaten erlernen könne. Andere Verweisungstätigkeiten seien nicht ersichtlich und würden von der Beklagten auch nicht benannt.

Gegen das ihr am 30.6.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.7.2010 Berufung eingelegt. Bei der Fachkraft für Pflegebegutachtung beim MDK handele es sich um eine Beschäftigung aus dem Berufsfeld examinierter Pflegefachkräfte, zu denen die Altenpflegerin, die explizit als ein Zugangsberuf genannt würde, gehöre. Daher würden neu eingestellte Fachkräfte in der Pflegebegutachtung ab Tätigkeitsaufnahme tariflich als Fachpersonal entsprechend ihrer Ausbildung entlohnt. Die Klägerin würde demnach innerhalb ihres Berufes lediglich auf eine andere Tätigkeitsausübung verwiesen und könne somit ihren Beruf weiterhin ausüben, ohne dass es auf Fähigkeit, sog. Verweisungstätigkeiten verrichten zu können, ankomme. Ebenso sei die Dauer eventueller Einarbeitungszeiten bei einer Verweisung auf bestimmte Tätigkeitsfelder oder Ausübungsformen innerhalb des bisherigen Berufes unerheblich. Selbst wenn die Einarbeitungszeit berücksichtigt werden müsste, würde diese für examiniertes Pflegepersonal eine Dauer von drei Monaten bis zur vollwertigen Tätigkeitsausübung nicht überschreiten. Zwar bestehe eine formale Einarbeitungszeit von sechs Monaten, die sich in der Zuordnung eines Mentors für diesen Zeitraum ausdrücke. Es gehe jedoch aus den Ermittlungen des berufskundlichen Dienstes hervor, dass bereits nach drei Monaten eine Beurteilung des Einarbeitungserfolges und ein Fördergespräch erfolge und bereits danach eigenverantwortliche Gutachten erstellt würden und die Tätigkeit vollwertig verrichtet werde.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 21.5.2010 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

Der Senat hat zum Berufsbild der Pflegefachkraft in der Sozialmedizinischen Begutachtung den Leiter des Medizinischen Fachbereiches Pflegeversicherung beim MDK Nordrhein Dr. T2 schriftlich befragt. Auf das Ergebnis wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen. Die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte ist beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die Beklagte zu Recht zur Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit verurteilt.

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen Versicherte, die vor dem 2.1.1961 geboren und berufsunfähig sind (§ 240 Abs. 1 SGB VI). Die sonstigen Voraussetzungen ergeben sich aus § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB VI. Danach müssen die Versicherten in den letzten drei Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (sog. versicherungsrechtliche Voraussetzungen).

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind bei der 1954 geborenen Klägerin, die in den letzten fünf Jahren vor dem 9.8.2007 60 Monate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung und insgesamt deutlich über 400 Monate mit Beitragszeiten hat, unstreitig erfüllt.

Die Klägerin ist auch berufsunfähig. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist (§ 240 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 240 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme, die vom SG zutreffend gewürdigt worden ist und der die Beteiligten nicht entgegengetreten sind, ist die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankungen (Restless-legs-Syndrom, Polyneuropathie, Bluthochdruck, beatmungspflichtiges Schlafapnoe-Syndrom, chronisch wiederkehrendes Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom bei Verschleiß und Bandscheibenschäden) nur noch in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten zu verrichten.

Damit kann die Klägerin ihren bisherigen Beruf als Altenpflegerin nicht mehr verrichten (1.). Sie kann auch nicht zumutbar auf die im Berufungsverfahren allein noch diskutierte Verweisungstätigkeit einer Fachkraft in der Pflegebegutachtung beim MDK verwiesen werden (2.). Sonstige, der Klägerin sozial zumutbare Verweisungstätigkeiten sind nicht ersichtlich (3.).

1. Die Klägerin kann ihren bisherigen Beruf als Altenpflegerin nicht mehr ausüben.

a) Bisheriger Beruf im Sinne des § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ist in der Regel die letzte nicht nur vorübergehende versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, bei der Klägerin diejenige als Altenpflegerin, die sie nach dem Ende ihrer entsprechenden Umschulung 1998 – von lediglich kurzen Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochen – bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit 2007 im Wesentlichen durchgängig ausgeübt hat. Diese Arbeit kann die Klägerin auch nach übereinstimmender Überzeugung der Beteiligten nicht mehr verrichten. Wie nicht zuletzt der letzte Arbeitgeber der Klägerin bestätigt hat, handelt es sich dabei um eine körperlich schwere, überwiegend im Stehen und Gehen verrichtete Arbeit. Diesem Anforderungsprofil ist die Klägerin, die nur noch körperlich leichte Tätigkeiten ausüben kann, nicht mehr gewachsen.

b) Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt die Tätigkeit einer Fachkraft in der Pflegebegutachtung keinen (weiteren) Einsatzbereich innerhalb des Berufsbildes der Altenpflegerin dar, sondern einen hiervon abzugrenzenden eigenständigen Beruf.

aa) Das Berufsbild der Altenpflegerin erschließt sich zunächst aus den Kenntnissen und Fähigkeiten, die die Ausbildungsabsolventen nach Anlage 1 der Altenpflege-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (AltPflAPrV v. 26.11.2002, BGBl I. 2002, 4418) zu erwerben haben. Danach steht im Vordergrund die personen- und situationsbedingte Pflege alter Menschen, die zu planen, durchzuführen, zu dokumentieren und zu evaluieren ist. In diesem Rahmen haben Altenpflegerinnen die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen anzuleiten und zu beraten sowie bei der medizinischen Diagnostik und Therapie mitzuwirken. Zu ihren Aufgaben gehört weiter die Unterstützung alter Menschen bei der Lebensgestaltung. (Nur) in dem geschilderten Zusammenhang sind Kenntnisse der institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen altenpflegerischer Arbeit vonnöten. Der beschriebene rechtliche Rahmen spiegelt sich in der Berufswirklichkeit wider, wie sie im von der Beklagten selbst vorgelegten Auszug aus dem berufenet der Bundesagentur für Arbeit beschrieben wird.

bb) Hiervon unterscheidet sich das Berufsbildung der Fachkraft in der Pflegebegutachtung beim MDK so nachhaltig, dass es nicht mehr als spezielle Ausgestaltung des Berufsbildes der Altenpflegerin angesehen werden kann. Zunächst fallen die dieses Berufsbild maßgeblich prägenden Tätigkeiten, nämlich die Pflege und Betreuung alter Menschen, vollständig weg. Wie das „Konzept zur Einarbeitung neuer Pflegefachkräfte im MDK“ belegt, steht im Vordergrund vielmehr die Mitwirkung bei der Einzelfallbegutachtung nach § 18 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Die hierfür erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten spielen jedoch bei der Ausübung des Berufs der Altenpflegerin allenfalls eine untergeordnete Rolle. Selbst soweit die Altenpflegerin über die rechtlichen Rahmenbedingungen ihres Berufs Bescheid wissen muss, handelt es sich ausweislich der Anlage 1 zur AltPflAPrV in erster Linie um Kenntnisse, die die Altenpflege als solche, nicht jedoch den Zugang der zu Pflegenden zu Leistungen der sozialen oder privaten Pflegeversicherung betreffen. Diese stehen jedoch im Mittelpunkt der Mitwirkung bei der Pflegebegutachtung. Mögen hierbei alte Menschen auch den überwiegenden Anteil der zu begutachtenden Probandinnen und Probanden stellen, betrifft die Pflegebegutachtung jedoch ebenso jüngere Menschen und Kinder. Dementsprechend wird der Kinderbegutachtung in der Ausbildung zur Fachkraft in der Pflegebegutachtung besondere Beachtung gewidmet. Insoweit ist auch bezeichnend, dass die Altenpflegerin lediglich als einer von mehreren möglichen Zugangsberufen (neben dem Beruf der Krankenpflegerin) in den vorliegenden berufskundlichen Unterlagen genannt wird. Schließlich zeigt schon der Umstand, dass zur Erlangung der Fertigkeiten und Fähigkeiten, die für die Ausübung der Tätigkeit einer Fachkraft in der Pflegebegutachtung nötig sind, eine Weiterbildung in einem zeitlichen Umfang von sechs Monaten (dazu weiter unten) nötig ist, dass es sich eben um eine Tätigkeit handelt, deren Inhalt sich in erheblichem Maße von dem einer Tätigkeit als Altenpflegerin erheblich abgrenzt.

2. Die Klägerin kann nicht zumutbar auf eine Tätigkeit als Fachkraft in der Pflegebegutachtung beim MDK verwiesen werden.

a) Nach der ständigen und überzeugenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der sich der Senat anschließt, können den Versicherten nach § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB VI nur solche Tätigkeiten zugemutet werden, hinsichtlich derer der konkrete Versicherte die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten in einer Einweisung und Einarbeitung von drei Monaten erlernen kann (BSG, Urteil v. 10.12.2003, B 5 RJ 24/03 R, SozR 4-1500 § 128 Nr. 3; Urteil v. 3.11.1994, 13 RJ 77/93, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 49; 8.9.1993, 5 RJ 70/92, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 35; Urteil v. 22.9.1977, 5 RJ 96/76, SozR 2200 § 1246 Nr. 23; Urteil v. 31.7.1973, 5 RKn 34/72, SozR Nr. 40 zu § 45 RKG). Diese zeitliche Grenze dient gerade dazu – wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat – sicherzustellen, dass der Versicherte von der Ungewissheit befreit wird, ob es ihm gelingt, neue oder andere Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erlernen. Dementsprechend stellt § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI nur auf die Kräfte und Fähigkeiten ab, die der Ausbildung und dem bisherigen Beruf des Versicherten „entsprechen“ und nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt „entsprechen werden“. So hat das BSG in seiner Entscheidung vom 31.7.1973 (a.a.O. Rdnr. 13) die Zumutbarkeit einer bis zu drei Monate dauernden Einarbeitung in eine Verweisungstätigkeit mit der Überlegung begründet, dass der Versicherte „selbst bei einem Wechsel des Arbeitsplatzes innerhalb seines bisherigen Berufes“ in vielen Fällen einer gewissen betrieblichen Einweisung und Einarbeitung bedürfte, „weil die Bedingungen der einzelnen Arbeitsplätze verschieden sein“ könnten. Deshalb müsse sich der Versicherte auch auf solche andersartigen Tätigkeiten verweisen lassen, zu deren Verrichtung zwar nicht neue Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich seien, wohl aber eine kurze betriebliche Einweisung und Einarbeitung zum Kennenlernen der Bedingungen des konkreten Arbeitsplatzes. Geht die Einarbeitungszeit über diesen Rahmen hinaus, kann die Rentenversicherung den (dauerhaften) Eintritt von Berufsunfähigkeit durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben abwenden. Eine gegebenenfalls eingetretene Berufsunfähigkeit entfällt dann jedoch erst mit dem erfolgreichen Abschluss entsprechender Maßnahmen. Ob – ausnahmsweise – etwas anderes gilt, wenn dem Versicherten (bei voller Entlohnung) eine Tätigkeit, für die er zunächst mehr als drei Monate angelernt oder fortgebildet werden muss, angeboten wird, wie es nicht tragende Erwägungen des BSG in seiner Entscheidung vom 22.9.1977 (a.a.O.) möglicherweise nahe zu legen scheinen, kann der Senat vorliegend dahinstehen lassen, da der Klägerin ein entsprechendes Angebot nicht unterbreitet wurde.

b) Entgegen der Ansicht der Beklagten steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass die Ausübung der Tätigkeit einer Fachkraft in der Pflegebegutachtung beim MDK den Erwerb neuer Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzt, die die Klägerin nicht innerhalb von drei Monaten erwerben kann.

Die regelmäßige Ausbildung einer ausgebildeten und examinierten Altenpflegerin zur Fachkraft in der Pflegebegutachtung beim MDK dauert regelmäßig sechs Monate. Das ergibt sich eindeutig aus den vorliegenden berufskundlichen Unterlagen und Stellungnahmen. Bereits in der Arbeitsplatzerkundung des berufskundlichen Dienstes der Deutschen Rentenversicherung Bund zu den Tätigkeiten der Gesundheits- und Krankenpfleger sowie der Altenpfleger im Bereich der Pflegebegutachtung vom 12.2.2008 wird ausgeführt, dass die gesamte Einarbeitungszeit sechs Monate benötige. Dies entspricht auch den Feststellungen der Sachverständigen C in ihrem Gutachten vom 2.11.2008, in dem sie u.a. feststellt „die Einarbeitung beim MDK erfolgt in der Regel mit einer sechsmonatigen Probezeit, in der der neuen Pflegefachkraft ein Mentor zur Einarbeitung zur Seite gestellt wird.“ Diese eindeutigen Ausführungen werden weiter bestätigt durch die Antwort des Leiters Medizinischer Fachbereich Pflegeversicherung des MDK Nordrhein Dr. T2 vom 20.10.2010 auf Nachfragen des Senates. Dr. T2 hat dargelegt, dass neu eingestellte Pflegefachkräfte nach einem Einarbeitungskonzept in ihre Tätigkeit beim MDK eingearbeitet werden. Die Einarbeitungszeit betrage sechs Monate. Dem entspricht das von ihm beigelegte, bereits zitierte Einarbeitungskonzept. Ohne Erfolg hält die Beklagte dem entgegen, neue Fachkräfte erstellten bereits nach drei Monaten eigenverantwortlich Gutachten. Soweit ihr berufskundlicher Dienst dies in seiner Arbeitsplatzerkundung vom 12.2.2008 – im Übrigen entgegen dem Einarbeitungskonzept des MDK Nordrhein – feststellt, weist auch er darauf hin, dass zu diesem Zeitpunkt eben die Ausbildung noch keineswegs abgeschlossen ist, weil gerade in einem Fördergespräch nach drei Monaten eine Schwerpunktsetzung für die weitere Einarbeitung gemeinsam mit dem Fortzubildenden erarbeitet wird. Die schrittweise Übertragung eigenverantwortlicher Aufgaben durch den Arbeitgeber ist daher nicht mit dem Abschluss der Einarbeitungszeit zu verwechseln.

Die Klägerin verfügt über eine Ausbildung als Altenpflegerin. Anhaltspunkte dafür, dass sie sich in weniger als sechs Monaten in die Tätigkeit als Fachkraft in der Pflegebegutachtung einarbeiten könnte, bestehen auch mit Rücksicht auf ihre anderweitigen Ausbildungen nicht. So ist nicht zu erkennen, inwieweit die eher praktisch ausgelegten Beschäftigungen als Schaufenstergestalterin oder medizinische Bademeisterin beim Einfinden in die Aufgaben sozialmedizinischer Begutachtung förderlich sein könnten. Auch die Beklagte hat hierzu nichts vorgetragen.

Aus diesem Grund spricht auch entgegen der Auffassung der Beklagten das Gutachten der Sachverständigen C vom 2.11.2008, erstellt für das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, nicht gegen die Annahme einer sechsmonatigen Einarbeitungszeit im vorliegenden Fall. Dort ging es um eine Versicherte, die im Gegensatz zur Klägerin auch noch über eine kaufmännische Ausbildung verfügte, die es ihr sicherlich ermöglichte, sich leichter in die bei der Fachkraft anfallenden sachbearbeitenden Tätigkeiten einzufinden, als dies üblicherweise der Fall ist. Auch die Sachverständige C ist jedoch von einer grundsätzlich sechsmonatigen Einarbeitungszeit ausgegangen.

3. Weitere Verweisungstätigkeiten sind nicht ersichtlich. Da die Klägerin ausgebildete Altenpflegerin ist und die Regelausbildungszeit auch bei Abschluss der Ausbildung bereits drei Jahre betrug (§ 3 Abs. 1 Altenpflegegesetz Nordrhein-Westfalen v. 19.6.1994, GVBl. S. 335), kann sie nur auf Tätigkeiten mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren (sog. Angelernte) verwiesen werden. Solche, für die Klägerin geeignete Tätigkeiten sind indessen nicht ersichtlich. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin nicht mehr in den ursprünglich erlernten Berufen als Schaufenstergestalterin oder medizinische Bademeisterin arbeiten kann. Auch eingedenk des für sie ungünstigen erstinstanzlichen Urteils hat die Beklagte weitere Verweisungstätigkeiten nicht benannt. Eine Verweisung der Klägerin auf nicht näher spezifizierte Bürohilfstätigkeiten, wie von der Beklagten im Verwaltungsverfahren vorgenommen, scheidet schon aus Rechtsgründen aus (vgl. BSG, Urteil v. 27.3.2007, B 13 R 63/06 R, juris). Sie beruhte darüber hinaus auf der unzutreffenden Annahme, die Klägerin sei lediglich als Angelernte zu beurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Die vorliegende Entscheidung orientiert sich an der ständigen Rechtsprechung des BSG.

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