Skip to content
Menü

Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit – Verweisung

Sächsisches Landessozialgericht – Az.: L 5 R 20/16 – Beschluss vom 11.12.2017

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 10. November 2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Weiterzahlung einer Versichertenrente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung über den 31. August 2013 hinaus.

Der im August 1958 geborene Kläger erlernte, nach Beendigung der zehnklassigen allgemeinen Schulausbildung, von September 1976 bis Juli 1978 den Beruf des Bäckers, den er mit Facharbeiterzeugnis vom 15. Juli 1978 abschloss. Er war von Juli 1978 bis Juli 1992 als Bäcker beschäftigt. Anschließend bestand Arbeitslosigkeit. Im Zeitraum von November 1992 bis Dezember 1993 durchlief er eine Umschulung zur Fachkraft für Lager- und Transportwirtschaft, die er mit Zeugnis vom 17. Dezember 1993 abschloss. Von August 1994 bis März 2010 war er als Lager- und Versandmitarbeiter beschäftigt. Er bezog anschließend Lohnersatzleistungen in Form von Krankengeld, von Übergangsgeld und seit September 2013 in Form von Arbeitslosengeld II.

Den am 29. September 2010 gestellten Erwerbsminderungsrentenantrag lehnte die Beklagte, nach Beiziehung der Rehabilitationsentlassungsberichte des Klinikzentrums Z… vom 25. September 2008 und der Reha-Klinik Y… vom 30. September 2010, mit Bescheid vom 21. Oktober 2010 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2011 ab. Hiergegen erhob der Kläger am 9. März 2011 Klage zum Sozialgericht Leipzig. Nach Einholung eines Gutachtens auf psychiatrischem Fachgebiet von Prof. Dr. X… vom 30. August 2012 bot die Beklagte mit Schriftsatz vom 8. November 2012 im Vergleichswege, ausgehend von einem am 1. August 2011 eingetretenen Leistungsfall, die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit für den Zeitraum vom 1. März 2012 bis 31. August 2013 an. Das Vergleichsangebot nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2012 an. Die Beklagte führte den Vergleich mit Rentenbescheid vom 28. Januar 2013 aus.

Den am 28. März 2013 gestellten Weitergewährungsantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Juni 2013 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 13. November 2013, nach Einholung eines Gutachtens auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet von Dr. W… (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) vom 22. Mai 2013, ab. Im Ergebnis der medizinischen Sachaufklärung sei festzustellen, dass bei ihm ein Leistungsvermögen für mindestens sechs Stunden täglich für leichte bis mittelschwere Arbeiten mit weiteren Funktionseinschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorliege. Das Leistungsvermögen sei nach eingehender Untersuchung und Befunderhebung sowie unter Auswertung aller einschlägigen Unterlagen eingeschätzt worden. Die zur Entscheidungsfindung erheblichen medizinischen Unterlagen seien schlüssig und überzeugend begründet. Eine weitere medizinische Sachaufklärung sei nicht erforderlich. Mit dem festgestellten Leistungsvermögen könne er zwar nicht mehr seine zuletzt rentenversicherungspflichtig unbefristete Beschäftigung als Lager- und Versandarbeiter ausüben. Da es sich bei dieser Tätigkeit aber um eine solche auf der Stufe des Angelernten im unteren Bereich handele, könne er auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden. Eine Verweisungstätigkeit müsse daher nicht benannt werden.

Auf die hiergegen am 13. Dezember 2013 erhobene Klage hat das Sozialgericht Leipzig Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt, weitere Krankenunterlagen beigezogen und ein Gutachten auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet von Dr. C…. (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) am 14. Juli 2015 erstellen lassen. Mit Urteil nach mündlicher Verhandlung vom 10. November 2015 hat das Sozialgericht Leipzig die Klage abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, da er mindestens sechs Stunden täglich körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. Dies ergebe sich plausibel aus den Gutachten von Dr. W… und Dr. C… Berufsunfähigkeit liege nicht vor. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als angelernter Lager- und Versandarbeiter, die er nicht mehr ausüben könne, sei keine qualifizierte Tätigkeit gewesen. Er könne daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden, auf dem er mindestens sechs Stunden täglich einsetzbar sei.

Gegen das am 7. Dezember 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. Januar 2016 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er könne weder sechs noch drei Stunden arbeiten. Das Gutachten von Dr. C… sei nicht geeignet zur Sachverhaltsfeststellung beizutragen. Es widerspreche der Einschätzung im Befundbericht von Dr. V… vom 22. Februar 2014, der ausgeführt habe, dass ihm keine leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von mindestens sechs Stunden zumutbar seien. Es widerspreche auch der ärztlichen Einschätzung von Dr. U… vom 4. April 2014, die eine erhebliche Instabilisierung des Zustandes des Klägers eingeschätzt habe.

Der Kläger beantragt – sinngemäß und sachdienlich gefasst –, das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 10. November 2015 aufzuheben und die Beklagte, unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2013, zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser, Erwerbsminderung über den 31. August 2013 hinaus weiter zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte (von Dr. H… am 9. Februar 2017, von Dipl.-Med. K… am 14. Februar 2017, von Dr. L… am 12. Februar 2017, von Dipl.-Med. J… am 13. Februar 2017, von Dr. G… am 10. Februar 2017 und von Dr. F… am 22. Februar 2017) eingeholt, weitere Krankenunterlagen beigezogen, Arbeitsvertragsunterlagen vom Kläger angefordert, eine Arbeitgeberauskunft beim Insolvenzverwalter der Firma T… Logistik am 2. März 2017 eingeholt, berufskundliche Unterlagen zur Fachkraft für Lagerlogistik, zum Lager- und Transportarbeiter sowie zum Mitarbeiter in einer Poststelle oder in einer Registratur in einer öffentlichen Verwaltung oder Behörde mit höherwertigen Arbeitsaufgaben beigezogen, eine ergänzende Stellungnahme von Dr. C… am 23. Februar 2017 eingeholt, ein Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet von Dr. D… (Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie) am 15. Mai 2017 sowie ein Gutachten auf neurologischem, psychiatrischem und zusammenfassend sozialmedizinischem Fachgebiet von Dr. E… (Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Sozialmedizin) am 29. Oktober 2017 erstellen lassen.

Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 6. November 2017 zur beabsichtigten Zurückweisung der Berufung durch Urteilsbeschluss angehört.

Dem Gericht haben die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird hierauf insgesamt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte die Berufung nach § 153 Abs. 4 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluss zurückweisen, weil das Sozialgericht durch Urteil entschieden hat, das Gericht die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten wurden zu dieser Vorgehensweise mit Schreiben vom 6. November 2017 angehört (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG) und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme (§ 62 SGG).

Die Berufung des Klägers ist unbegründet, weil das Sozialgericht Leipzig die Klage mit Urteil vom 10. November 2015 zu Recht abgewiesen hat. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 12. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Denn er hat keinen Anspruch auf Weiterzahlung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung im Sinne der §§ 43, 240 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung über den 31. August 2013 hinaus.

Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit richtet sich nach den §§ 43, 240 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung, da der (ursprüngliche) Rentenantrag am 29. September 2010 gestellt worden ist und der Kläger einen entsprechenden Rentenanspruch im Weiterzahlungswege für Zeiten nach dem 31. Dezember 2000, nämlich ab September 2013, geltend macht (§§ 300 Abs. 2, 302b Abs. 1 SGB VI).

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist demnach nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Ausgangspunkt für die Prüfung der Berufsunfähigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der „bisherige Beruf“, den der Versicherte ausgeübt hat. Dies ist in der Regel die letzte nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Etwas anderes gilt nur, wenn der Versicherte früher eine höherwertige versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, von der er sich noch nicht im Rechtssinne „gelöst“ hat. Dann kommt nur dieser Beruf als „bisheriger Beruf“ in Betracht. Eine berufliche Lösung ist immer dann zu bejahen, wenn der renten-rechtlich relevante Berufswechsel freiwillig erfolgt ist. Nur wenn sich der Versicherte mit der dauerhaften Ausübung des geringerwertigen Berufs deshalb abfindet, weil er zur Wiederaufnahme aus gesundheitlichen Gründen außer Stande ist, bleibt der Berufsschutz erhalten, da sich insofern gerade das versicherte Risiko der gesetzlichen Rentenversicherung verwirklicht hat (BSG, Urteil vom 26. April 2005 – B 5 RJ 27/04 R – JURIS-Dokument, RdNr. 20 mit weiteren Nachweisen).

Berufsunfähig ist ein Versicherter dann, wenn er seinen „bisherigen Beruf“ nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann und es nicht zumindest eine andere berufliche Tätigkeit gibt, die ihm sozial zumutbar und für ihn sowohl gesundheitlich als auch fachlich geeignet ist. Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung gebildet worden, die Dauer und Umfang der Aus-bildung für die Qualität eines Berufes haben. Dementsprechend werden die Gruppen durch die Leitberufe

  • des Vorarbeiters oder Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion beziehungsweise des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters,
  • des Facharbeiters in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren,
  • des angelernten Arbeiters beziehungsweise Facharbeiters in einem sonstigen Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren und
  • des ungelernten Arbeiters

charakterisiert (vgl. unter anderem: BSG, Urteil vom 12. Februar 2004 – B 13 RJ 34/03 R – JURIS-Dokument, RdNr. 17). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt dabei nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für einen Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 240 Abs. 2 SGB VI genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird. Bei in der ehe-maligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) erlernten Berufen kommt der Facharbeiterstatus in Betracht, wenn sie diesen Status auch im alten Bundesgebiet haben. Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächst niedrigere Gruppe verwiesen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 12. Oktober 1993 – 13 RJ 71/92 – JURIS-Dokument, RdNr. 33 mit weiteren Nachweisen).

Auf Grund der aktuellen Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet (von Dr. D… vom 15. Mai 2017) sowie auf neurologischem, psychiatrischem und zusammenfassend sozialmedizinischem Fachgebiet (von Dr. E… vom 29. Oktober 2017) steht fest, dass der Kläger trotz seiner gesundheitlichen Leistungseinschränkungen – mindestens seit Auslaufen der vorangegangenen befristeten Rentenbewilligung im August 2013 – in der Lage ist, körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungslimitierungen mindestens sechs Stunden arbeitstäglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Insbesondere ist er auch – unter Berücksichtigung der bestehenden Funktionseinschränkungen, ohne unzumutbare Schmerzen und ohne Gefährdung seiner Gesundheit – in der Lage, die beispielhaft konkret benannte, und mit den berufskundlichen Unterlagen untermauerte (vgl. die mit der Beweisanordnung vom 13. März 2017 übersandten Unterlagen) Tätigkeit als Mitarbeiter in einer Poststelle in einer öffentlichen Verwaltung oder Behörde mit höherwertigen Arbeitsaufgaben, die nach Entgeltgruppe 3 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) entlohnt werden, mindestens sechs Stunden arbeitstäglich auszuführen. Diese Tätigkeit ist zum einen vorsorglich als in Betracht kommende Verweisungstätigkeit benannt, auch wenn sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass bei ihm eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Zum anderen ist diese Tätigkeit hinsichtlich der Prüfung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit eine sozial zumutbare konkrete Verweisungstätigkeit, weil es sich bei ihr um eine qualifizierte Tätigkeit auf der Ebene des angelernten Arbeiters bzw. Angestellten im oberen Bereich handelt, die ihm mit seinem Restleistungsvermögen mindestens sechs Stunden arbeitstäglich auch gesundheitlich zumutbar ist.

Ausgangspunkt bei der Frage nach der berufseinordnungsrechtlichen Prüfung in das Berufsstufenschema des BSG ist die Tätigkeit des Klägers als Lager- und Versandarbeiter bei der Firma Q… AG & Co. bzw. der Firma T… Logistik GmbH, die er im August 1994 aufgenommen und im März 2010 wegen Insolvenz des Betriebes aufgegeben hat. Der Kläger war ausweislich des Arbeitsvertrages vom 1. August 1994, der Änderungsanzeige vom 3. März 2000 und des Arbeitszeugnisses vom 31. März 2010 ausschließlich als Lager- und Versandarbeiter beschäftigt, führte alle damit einhergehenden Tätigkeiten (Beladen von Wechselbrücken mit Paketen, Palettenbildung und Abwicklung innerbetrieblicher Warenströme mit Zielsortierung, Palettierung und Palettensicherung) aus und wurde innerbetrieblich im Zeitraum von 1. November 1996 bis 2. März 2000 mit Vorarbeiteraufgaben (Sicherung des kontinuierlichen Produktionsablaufs in Abstimmung mit Vorgesetzten einschließlich Überwachung, Koordinierung und Planung des operativen Personaleinsatzes, fachliche Weisungsbefugnis gegenüber zugeordneten Mitarbeitern, Anlagenprüfung vor Schichtbeginn sowie weitere arbeitsvorbereitende Tätigkeiten, Bedienung der Sortieranlage, Aktualisierung täglicher Statistiken, Verplombung von Andockeinheiten einschließlich Nachweisführung und Abmeldung von Wechselbrücken zur Abholung) betraut. Er hatte im Zeitraum von November 1992 bis Dezember 1993 eine Umschulung zur Fachkraft für Lager- und Transportwirtschaft inklusive EDV-Schulung, Fahrprüfung zur Flurbeförderung und Praktikum erfolgreich durchlaufen (Zertifikat vom 17. Dezember 1993) und wurde, ausweislich der vom Berufungsgericht eingeholten Arbeitgeberauskunft vom 2. März 2017, aufgrund dieser Qualifikation eingestellt und tariflich als Fachkraft für Lager und Transport entlohnt. Zwar verfügte der Kläger nicht über die in dreijähriger Ausbildung erlernte Qualifikation als Fachkraft für Lagerlogistik, sondern lediglich über eine reichlich einjährige Umschulungsqualifikation. Aufgrund der langjährigen Tätigkeit mit zwischenzeitlicher Funktion sogar als Vorarbeiter kann in Anbetracht der Arbeitgeberauskunft vom 2. März 2017, in der der qualitative Wert der Tätigkeit des Klägers als Fachkraft für Lager und Transport ausdrücklich bezeichnet wird, jedoch zu Gunsten des Klägers von einer Tätigkeit auf Facharbeiterstufe ausgegangenen werden.

Hiervon ausgehend kann dem Kläger eine sozial und gesundheitlich zumutbare Verweisungstätigkeit benannt werden. Denn er kann sozial zumutbar auf die Tätigkeit eines Mitarbeiters einer Poststelle in einer Behörde oder öffentlichen Verwaltung, vergütet nach Entgeltgruppe 3 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (TVöD-L) vom 12. Oktober 2006 in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 8 vom 28. März 2015 (früher: BAT VIII) sowie des Tarifvertrages über die Entgeltordnung des Bundes (TV EntgO Bund) vom 5. September 2013 in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 2 vom 18. Dezember 2014, verwiesen werden. Derartige Tätigkeiten sind nach der Rechtsprechung des BSG dreijährig gelernten Facharbeitern bzw. Fachangestellten zumutbar. Sie werden regelmäßig der oberen Anlernebene des vom BSG entwickelten Mehrstufenschemas zugerechnet (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 1991 – 5 RJ 34/90 – SozR 3-2200 § 1246 Nr. 17) und beinhalten Tätigkeiten, für die eine eingehende Einarbeitung bzw. eine fachliche Anlernung erforderlich ist, weshalb für diese Verweisungstätigkeit kaufmännische oder organisatorische Grundkenntnisse Voraussetzung sind. Vor diesem Hintergrund kommt die konkrete Verweisungstätigkeit nicht für jeden auf Facharbeiterebene einzustufenden Versicherten in Betracht; insbesondere nicht für solche Facharbeiter, deren bisheriger beruflicher Werdegang sich im Tätigkeitsbereich von handwerklichen, handwerklich-technischen oder baugewerblichen Arbeiten vollzog.

Nach dem vom Gericht beigezogenen, den Beteiligten mit der Beweisanordnung vom 13. März 2017 übersandten und im Verfahren des Sächsischen Landessozialgericht mit dem Aktenzeichen L 5 R 740/15 eingeholten Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. S… vom 24. Dezember 2016 hat der Mitarbeiter einer Poststelle Tätigkeiten im Bereich des Öffnens, Auszeichnens und Verteilens der eingehenden Post zu erledigen und ist mit dem Kuvertieren bzw. Verpacken und Frankieren der ausgehenden Post beschäftigt. Es handelt sich dabei um die innerbetriebliche Postabfertigung, bei der ein- und ausgehende Postsendungen sowie interne Dokumentenumläufe sortiert, bearbeitet und hausintern weitergeleitet werden. Mitarbeiter einer Poststelle liefern Hauspostsendungen an die Empfänger, legen Dokumente in eingerichtete Postfächer, machen die Ausgangspost versandfertig und sorgen für die Abholung. Zudem sind sie für die Weiterleitung eingehender Pakete und Briefsendungen verantwortlich, sortieren die Post und versehen sie mit Eingangsstempeln oder Umlaufzetteln. Anschließend verteilen sie die Sendungen an die Adressaten; Irrläufer weisen sie an die Post zurück. Die Arbeit eines Mitarbeiters in einer Poststelle ist körperlich leicht und wird in geschlossenen, teilweise temperierten, Räumen durchgeführt. Die Tätigkeit wird in wechselnder und abwechslungsreicher Körperhaltung verrichtet; es überwiegen Steh- und Gehhaltungen, Sitzen kommt in minderer Bedeutung vor. Wirbelsäulen- und Gelenkbelastende Arbeitshaltungen wie Kriechen, Hocken, Knien und Überkopfarbeiten kommen nicht vor. Die interne Verteilung der Post erfolgt mittels fahrbarer Rollwagen. Hebe- und Tragevorgänge überschreiten nicht das Gewicht leichter Lasten (also bis zu zehn Kilogramm). Belastungsspitzen und Stresssituationen fallen nicht an. Die körperlichen und psychischen Belastungen sind eher gering. Es handelt sich um fachlich schwierigere (nicht schwierige), aber wiederkehrende kaufmännisch-verwaltende Tätigkeiten, die jedoch eine gewisse Vielfalt beinhalten. Eine besondere nervliche Belastung besteht nicht. Die Arbeiten werden auch nicht im Akkord verrichtet und unterliegen keinem besonderen Zeitdruck. Mitarbeiter einer Poststelle unterliegen auch nicht einem ungeregelten Publikumsverkehr, der entsprechende stressauslösende Momente beinhalten würde. Kontakte werden im Allgemeinen nur zu Mitarbeitern unterhalten. Es handelt sich um eine innerbetriebliche Bürotätigkeit mit körperlich leichten Arbeiten.

Der Kläger verfügt über ausreichende Kenntnisse, die es ihm möglich machen, die vorgenannte Verweisungstätigkeit innerhalb einer dreimonatigen Einarbeitungszeit vollwertig zu verrichten. Tätigkeiten fachlich schwierigerer Art nach der Vergütungsgruppe BAT VIII bzw. Entgeltgruppe 3 des TVöD-L setzen im Vergleich zu einfachen und mechanisch zu verrichtenden Tätigkeiten der Vergütungsgruppe BAT IX bzw. der Entgeltgruppe 2 TVöD-L kaufmännische oder organisatorische Grundkenntnisse voraus. Dies ergibt sich sowohl aus den tarifvertraglichen Beschreibungen der Entgeltgruppen 2 und 3 im TVöD-L, als auch aus dem berufskundlichen Gutachten des Sachverständigen Rohr vom 27. September 2009 (erstellt im Verfahren des Sozialgerichts Frankfurt/Oder unter dem Aktenzeichen S 8 R 675/07), das dem berufskundlichen Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. S… bei Anfertigung seines Gutachtens vom 24. Dezember 2016, ausweislich der konkreten Beweisfragen, vorlag und an das er anknüpfte. Im berufskundlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. S… vom 24. Dezember 2016 selbst kommt dieses Erfordernis hinreichend zudem dadurch zum Ausdruck, dass der dort beurteilten Fallkonstellation eine auf Facharbeiterstufe einzuordnende Versicherte zu Grunde lag, die wegen eines mehrmonatigen Fortbildungslehrgangs im Jahr 1994 über Kenntnisse und Fähigkeiten in den Bereichen „betriebswirtschaftliche Grundlagen, Kalkulation, Rechnungswesen und Grundkenntnisse in der Datenverarbeitung“ verfügte. Vor diesem Hintergrund ist nochmals darauf hinzuweisen, dass eine Verweisbarkeit eines auf Facharbeiterebene einzustufenden Versicherten nicht allein deshalb in Betracht kommt, weil er über den Facharbeiterstatus als Solchen sowie die entsprechenden fachspezifischen Facharbeiterkenntnisse und Facharbeiterfertigkeiten verfügt. Diese Grundkenntnisse, insbesondere im organisatorischen Bereich, besitzt der Kläger zwar nicht allein wegen seiner bisherigen Tätigkeit als Lager- und Versandmitarbeiter, jedoch – in Kombination dazu – wegen seiner während der betrieblichen Tätigkeit als Vorarbeiter verrichteten Funktionen, die koordinierende, planende, operative und prüfende Verrichtungen im innerbetrieblichen Ablauf beinhalteten (Sicherung des kontinuierlichen Produktionsablaufs in Abstimmung mit Vorgesetzten einschließlich Überwachung, Koordinierung und Planung des operativen Personaleinsatzes, Aktualisierung täglicher Statistiken), sowie wegen seiner Qualifikation als Fachkraft für Lager- und Transportwirtschaft, die EDV-Anwendungen und organisatorische Schulungsinhalte beinhaltete.

Arbeitsplätze sind in einer die Verweisung rechtfertigen Anzahl auf dem Arbeitsmarkt vorhanden, wie aus dem berufskundlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. S… vom 24. Dezember 2016 hervorgeht. Bei in Tarifverträgen genannten Tätigkeiten besteht zudem die Vermutung, dass es Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl gibt (BSG, Urteil vom 3. November 1982 – 1 RJ 12/81 – SozR 2200 § 1246 Nr. 102 mit weiteren Nachweisen).

Die Tätigkeit als Mitarbeiter in einer Poststelle in einer öffentlichen Verwaltung oder Behörde mit höherwertigen Arbeitsaufgaben, die nach Entgeltgruppe 3 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) entlohnt werden, kann der Kläger trotz seiner gesundheitlichen Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Dies ergibt sich jeweils sowohl ausdrücklich, unter Berücksichtigung des konkreten Berufsbildes, als auch plausibel aus allen aktuellen sozialmedizinischen Gutachten.

Die ausführlichen, aktuellen sozialmedizinischen Gutachten (von Dr. D… vom 15. Mai 2017 und von Dr. E… vom 29. Oktober 2017) setzen sich eingehend, mit objektiv erhobenen Befunden untermauert mit den Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers auseinander, beziehen alle vorliegenden und im Verfahren beigezogenen Krankenunterlagen, Befundberichte sowie bisherigen Gutachten (von Dr. C… vom 14. Juli 2015 und von Dr. W… vom 22. Mai 2013) ein und gelangen nachvollziehbar zu der getroffenen Leistungseinschätzung:

Wie die klinischen, apparativen, röntgenologischen, anamnestischen und explorativen Untersuchungen sowie die Funktionsprüfungen belegten, sind weder die orthopädischen, noch die psychiatrischen oder psychosomatischen, noch sonstige Gesundheitsstörungen derart gravierend, dass daraus eine zeitliche Leistungseinschränkung für körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung plausibel ableitbar wäre:

Die vom Kläger als gelegentlich belastungsabhängig auftretend geklagten Rückenschmerzen insbesondere im Bereich der tiefen Lendenwirbelsäule mit gelegentlicher Ausstrahlung in das rechte Bein beruhen auf einer leichten Achsfehlstellung und einer Entfaltungsstörung der Lendenwirbelsäule infolge verschleißbedingter Sekundärveränderungen nach einer im Jugendalter abgelaufenen Scheuermann’schen Erkrankung. In den von Dr. D…. im April 2017 aktuell angefertigten Röntgenaufnahmen der Lendenwirbelsäule zeigten sich die typischen Reste (Residuen) einer durchlittenen Scheuermann’schen Erkrankung. Diese Erkrankung läuft im Jugendalter ab und resultiert aus einer Erweichung der Wirbelkörpergrundplatten und der Wirbelkörperdeckplatten. Aus dieser Erweichung resultieren Einbrüche der Grund- und Deckenplatten, gelegentlich auch Verlagerungen von Bandscheibengewebe in die knöcherne Substanz (Schmorl’schen Knorpelknötchen) sowie eine typische Keilwirbelbildung. Beim Kläger sind die Grund- und Deckenplatten im Bereich des ersten bis vierten Lendenwirbelkörpers eingebrochen und der erste Lendenwirbelkörper weist eine typische Keilform auf. Die daraus resultierende Fehlstatik und die sekundär eingetretenen verschleißbedingten Veränderungen der Lendenwirbelsäulensegmente, die sich in den aktuellen Röntgenaufnahmen in den von den vorderen Wirbelkörperkanten ausgehenden, knöchernen Ausziehungen (Spondylophyten) zeigten, erklären die geklagten Beschwerden sowie die klinisch feststellbare Funktionsbeeinträchtigung der Lendenwirbelsäule des Klägers. Gravierende Funktionsbeeinträchtigungen ließen sich allerdings in den klinischen Untersuchungen nicht feststellen. Die Lendenwirbelsäule zeigte lediglich in der Vorbeugung (Anteflexion) und in der Rückneigung (Reklination) eine Entfaltungsstörung. Bei regelhafter Mitanwinkelung des Beckens und der Hüftgelenke konnte der Kläger jedoch die Fingerspitzen in der Rumpfbeuge dem Fußboden annähern. Die Entfaltbarkeit der Brust- und Lendenwirbelsäule ist mit einem Bewegungsmaß nach Ott von 30/33 Zentimetern (normal: 30/32 Zentimeter), einem Bewegungsmaß nach Schober von 10/12,5 Zentimetern (normal: 10/15 Zentimeter) und einem Finger-Boden-Abstand von zwölf Zentimetern (normal: null bis 20 Zentimeter) damit zwar eingeschränkt, jedoch hinreichend gut erhalten. Die Prüfung der Seitneige- und Rotationsfähigkeit des Rumpfes ergab jeweils altersphysiologisch genügende Gesamtbewegungsausschläge, jedoch bei erkennbarer Teilkontraktur der Lendenwirbelsäule sowie des thorakalen Übergangs der Wirbelsäule. Die Seitneigung des Rumpfes ist beidseits bis 30 Grad möglich (normal: beidseits 30 bis 40 Grad). Die Drehung im Sitzen ist beidseits bis 20 Grad möglich (normal: beidseits 30 bis 40 Grad). Über den unteren Lendenwirbelsäulensegmenten (L4/5 und L5/S1) wurde vom Kläger zwar ein Druckschmerz angegeben. Hinweise auf segmentale Gefügelockerungen oder Dysfunktionen ließen sich allerdings nicht feststellen. Auch wesentliche Zwischenwirbelraumverschmälerungen bestehen nicht; ein Bandscheibenprolaps, neuroforaminale Einengungen (Stenosen) oder gar eine Spinalkanalstenose liegen nicht vor. Segmentale Instabilitäten oder gar Frakturen bestehen gleichfalls nicht. Auch pathologische Zeichen zeigten sich in den klinischen Untersuchungen nicht, denn neurologische Ausfall- oder Nervenwurzelreizerscheinungen ließen sich nicht feststellen. Neurologische Defizite von der Lendenwirbelsäule in die unteren Extremitäten ausgehend, ergaben sich weder klinisch noch radiologisch, weil die Nervendehnungszeichen (Lasequé, Bragard und Babinski) beidseits negativ waren; lediglich die üblichen Dehnungs-Missempfindungen der ischiocruralen Muskulatur (= rückseitige Oberschenkelmuskulatur) beidseits ließen sich klinisch feststellen. Es bestehen weder Sensibilitätsstörungen (erhaltene Oberflächensensibilität und ungestörte Tiefensensibilität), noch Lähmungen, noch andere motorische Funktionseinschränkungen mit sozialmedizinischer Relevanz. Auch Koordinationsstörungen konnten nicht festgestellt werden; der Kläger konnte den Einbeinstand, den Knie-Hacken-Versuch und den Unterberger-Tret-Versuch jeweils sicher ausführen sowie den Fußspitzengang und den Hackengang beidseits sicher vorführen. Auch die Kraftentfaltung gegen Widerstand der unteren Extremitäten (Beinhebung, Hüftbeugung, Hüftstreckung, Kniebeugung, Kniestreckung, Fußhebung, Fußstreckung und Fußaußenrandhebung) ist seitengleich vollständig mit normalem Kraftgrad (= JANDA 5) erhalten. Die von den Nervenwurzeln der Lendenwirbelsäule ausgehenden Reflexe der unteren Extremitäten (Patellar- und Achillessehnenreflexe) waren seitengleich auslösbar. Bei den segmentbezogenen Untersuchungen der Muskulatur konnten auch keine Lähmungen festgestellt werden. Ebenso sind die Durchblutungsverhältnisse normal, die arteriellen Gefäße der unteren Gliedmaßen (Leistenbeuge, Kniekehle, Fußrücken und Innenknöchel) sind beidseits gut palpabel und die Pulsation der Hinterknöchel- und Fußrückenarterie ist seitengleich vorhanden. Radikuläre Schmerzsyndrome, also Beeinträchtigungen einer Nervenwurzel mit Symptomen in deren Ausbreitungsgebiet an den Beinen, ließen sich bei keiner Untersuchung nachweisen. Damit ist sichergestellt, dass eine Nervenwurzelirritation ausgeschlossen ist. Zeitliche Einschränkungen sind daher nicht plausibel ableitbar (vgl. dazu: „Leitlinien für die sozialmedizinische Begutachtung Leistungsfähigkeit bei Bandscheiben- und bandscheibenassoziierten Erkrankungen“, Juni 2009, S. 28-29). Körperlich schwere und ständig mittelschwere Arbeiten, Arbeiten in einseitigen Körperhaltungen (überwiegendes und permanentes Sitzen oder Stehen) und Zwangshaltungen des Rumpfes (Bücken, Hocken, Knien, länger andauernde Überkopftätigkeiten und länger andauernde Tätigkeiten in Oberkörpervorbeuge), Arbeiten mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über zehn Kilogramm, auf Leitern und Gerüsten sowie mit Ganzkörpererschütterungen oder Ganzkörpervibrationen sind hingegen nicht mehr leidensgerecht. Da degenerierte Wirbelsäulenabschnitte häufig witterungsempfindlich sind, sind Arbeiten mit Einwirkungen von Nässe, Kälte, Zugluft und erheblichen Temperaturschwankungen zudem zu vermeiden.

Weitere orthopädische Beschwerden liegen nicht vor. Die Halswirbelsäule zeigte mit dem umgebenden muskulären Weichteilmantel einen regelhaften Aufbau über dem Brustkorb und dem Schultergürtel, war frei beweglich in der Kopfvorbeuge und Kopfrückneigung und zeigte symmetrische Funktionsverhältnisse bei der Prüfung der Seitenneigung und der Kopfrotation. Die palpatorisch-segmentale Überprüfung ergab ein regelhaftes Bewegungsspiel der Kopf-Halsgelenke sowie der mittleren und unteren Halswirbelsäulenetagen ohne Hinweise auf segmentale Dysfunktion (Blockierung). Auch neurologisch ergaben sich keine Hinweise auf eine cervikale Nervenwurzelreizung: Weder auslösbare Dehnungs-Missempfindungen noch Einschränkungen hinsichtlich der Motorik und Kraftentfaltung an beiden Armen und Händen ließen sich feststellen. Auch die Muskeldehnungsreflexe an den Armen sind seitengleich regelrecht erhalten. Sensibilitätsstörungen zeigten sich ebenfalls nicht. Die Gelenke sämtlicher oberer und unterer Extremitäten (Schultergelenke, Ellenbogengelenke, Handgelenke, Fingergelenke, Hüftgelenke, Kniegelenke, obere und untere Sprunggelenke, Zehengelenke) sind ohne Beeinträchtigungen, ohne Bewegungsschmerz und aktiv und passiv frei beweglich. An sämtlichen Gelenken bestehen weder Anzeichen für Schwellung, noch Rötung, noch Überwärmung. Ein bekanntes Krampfaderleiden (Varikosis) wird seit dem Jahr 2014 durch das Tragen von Kompressionsstrümpfen behandelt. Die in den klinischen Untersuchungen festgestellten Krampfadern sind geringgradig.

Ein seit dem Jahr 2000 bekannter Bluthochdruck (arterielle Hypertonie) wird adäquat medikamentös mit dem Kombinatspräparat Exforge (mit den Wirkstoffen Amlodipin zu fünf Milligramm und Valsartan zu 160 Milligramm, täglich morgens eine Tablette) behandelt. Unter dieser Behandlung ist der Blutdruck normal. Eine bekannte Fettstoffwechselstörung wird mit dem Cholesterinsenker Simvastatin (20 Milligramm, täglich abends eine Tablette) behandelt. Gegen gelegentliche Wassereinlagerungen in den Beinen mit geschwollenen Unterschenkeln wird bei Bedarf das Medikament HCT 25 Milligramm eingenommen. Vorbeugend zur Blutverdünnung wird seit dem Jahr 2017 ein Thrombozythenaggregationshemmer (ASS 100 Milligramm, täglich morgens eine Tablette) eingenommen. Zur Schonung der Magenschleimhaut wird seit dem Jahr 2015 Pantoprazol (40 Milligramm, täglich abends eine Tablette) eingenommen. Ein bekanntes Schuppenflechtenleiden (Psoriasis vulgaris) mit zeitweisen Hauterscheinungen zeigte sich in den klinischen Untersuchungen nicht aktiv, eine Tabletteneinnahme ist nicht notwendig; es erfolgt lediglich eine Behandlung mit Salben (Soderm Creme). Eine rheumatologisch festgestellte Psoriasis-Arthropathie, also eine durch die Schuppenflechte bedingte Gelenkerscheinung, verläuft milde. Daraus resultierende Funktionseinschränkungen ließen sich bei der orthopädischen Begutachtung im April 2017 nicht feststellen.

Klinisch-neurologisch ergaben sich keine Hinweise für eine Schädigung des zentralen oder peripheren Nervensystems. Zentral zuordenbare Muskellähmungen (Paresen), anatomisch nachvollziehbare Sensibilitätsstörungen oder eine Beeinträchtigung der Koordination ließen sich bei keiner der gutachtlichen Untersuchungen objektivieren. Auch für eine Beeinträchtigung der Feinmotorik ergaben die klinischen Untersuchungen keine Anhaltspunkte. Hinweise auf eine Neuropathie ergaben sich ebenfalls nicht. Dementsprechend waren auch die ohnehin unauffälligen Gang- und Standprüfungen (Einbeinstand), selbst unter Augenschluss (Knie-Hacken-Versuch, Unterberger-Tret-Versuch), nicht von einer Neuropathie bedingten additiven Unsicherheit (Ataxie) geprägt. Mangels Funktionsbeeinträchtigungen ergeben sich keine Leistungseinschränkungen.

In psychiatrischer Hinsicht liegen beim Kläger eine dysthyme Störung sowie eine rezidivierende depressive Störung vor, die aus psychosozialen Belastungssituationen (Verlust der Arbeitsstelle, schwere Krankheit der Ehefrau, Pflege der kranken Frau, Unterstützung der kranken Schwiegereltern) sowie aus den Persönlichkeitsbesonderheiten des Klägers in Form von selbstunsicheren, narzisstischen und gehemmt-aggressiven Persönlichkeitszügen mit Antriebsstörungen und Versagensgefühlen resultieren und durch diese Faktoren aufrechterhalten werden. Die Störungen drücken sich in einer anhaltend dysthymen Stimmung mit Grübeln, Antriebsstörung, Erschöpfungsgefühl und Insuffizienzerleben, in einer chronischen Missgestimmtheit mit wiederkehrenden stärkeren reaktiven depressiven Phasen (2000, 2009 und 2012) aus und führen zu einer verminderten Konfliktbewältigungsfähigkeit, zu einer Neigung zu Versagensgefühlen sowie zu einer somatoformen Verstärkung körperlicher Beschwerden.

Das Störungsbild des Klägers und der hieraus abzuleitende psychische, psychosomatische und psychiatrische Leidensdruck sind allerdings nicht derart ausgeprägt, dass daraus eine quantitative Leistungsminderung abgeleitet werden kann, wie die ausführlichen klinischen und anamnestischen Explorationen des Klägers sowohl durch Dr. W… im Mai 2013 als auch durch Dr. C… im Juli 2015 sowie umfassend und aktuell durch Dr. E. im Juli 2017 zeigten. Auch in qualitativer Hinsicht ist die Leistungsfähigkeit nicht gravierend beeinträchtigt. Denn insgesamt sind nicht die einzelnen diagnostischen Zuordnungen der psychiatrischen Erkrankungen oder Auffälligkeiten entscheidend, sondern die sich aus ihnen ergebenden nachweisbaren Funktionsbeeinträchtigungen und Funktionsstörungen; nur diese determinieren das Leistungsbild. Insofern ist für die psychosomatische und psychiatrische Betrachtung der Funktionseinschränkungen des Klägers von entscheidender Bedeutung, dass die psychischen Überlagerungs- und Verhaltensfaktoren nicht zu einer weitgehenden Einschränkung zur Teilnahme am sozialen Leben geführt haben. Die Beschwerden des Klägers haben auch nicht die Alltags- und Lebensgestaltung insgesamt erheblich eingeschränkt. Eine quantitative Minderung des Leistungsvermögens liegt bei einer relevanten Anpassungs-, Somatisierungs- oder depressiven Störung lediglich bei einer weitgehenden Einschränkung der Fähigkeit zur Teilnahme an den Aktivitäten des täglichen Lebens – im Sinne einer vita minima – beispielsweise in den Bereichen Mobilität, Selbstversorgung, Kommunikation, Antrieb, Konzentrationsfähigkeit, Interesse oder Aufmerksamkeit vor (vgl. dazu: „Leitlinien für die sozialmedizinische Beurteilung bei psychischen und Verhaltensstörungen“ DRV-Schriften – August 2012, S. 101/102 zu den depressiven Störungen, S. 130 zu den Angststörungen, S. 133 zu den Anpassungsstörungen und S. 135 zu den somatoformen Störungen; vgl. des Weiteren: Philipp, MedSach 113 [2017], 10, 13).

Der Kläger zeigte sich in den jeweils mehrstündigen klinischen Untersuchungen sowie in den anamnestischen Gesprächen bei allen, insbesondere auch den aktuellen, Gutachtern wach, allseits (also örtlich, zeitlich, situativ sowie zur eigenen Person) orientiert und bewusstseinsklar, ohne Hinweise auf eine qualitative oder quantitative Bewusstseinsstörung. Er war kontakt-, gesprächs- und kooperationsbereit, berichtete freundlich und zugewandt. Anamnestische Angaben waren problemlos zu erhalten. Er konnte sich gut auf die Gesprächs- und Untersuchungssituationen einstellen. Auf Fragen antwortete er bereitwillig und strukturiert. Seine spontanen Bewegungsabläufe waren während der Exploration und des Untersuchungsablaufs harmonisch. Er saß während der anamnestischen Explorationen ruhig auf dem Stuhl und wechselte nur selten die Sitzposition. Zusätzliche Pausen wurden dabei nicht erforderlich. In der über zweistündigen psychiatrischen Untersuchungssituation wurden vom Kläger weder Schmerzen geäußert noch waren solche im Verhalten auffällig. Er konnte sich zum Zwecke der Durchführung der klinischen Untersuchungen selbständig, ohne fremde Hilfe, ohne Einschränkungen und zeitgerecht entkleiden und wieder ankleiden. Sein formales Denken ist geordnet. Er wirkte zwar gehemmt und gab Zukunftsängste, Verbitterung und anhaltendes Grübeln an. Im inhaltlichen Denken fanden sich allerdings keine Denkstörungen oder psychotische Denkinhalte wie Wahrnehmungsstörungen, Wahnsymptome oder andere psychotische Phänomene. Seine Stimmungslage ist schwankend. Er wirkte affektiv subdepressiv, war aber ausreichend schwingungsfähig. Er gab verminderte Interessen und verminderte Freudfähigkeit sowie eine Tendenz zum sozialen Rückzug an. Dem korrespondierend zeigte sich auch eine Somatisierung mit verstärkter Schmerzwahrnehmung. Auch sein Antrieb zeigte sich vermindert. Gravierende Minderungen des Antriebs, der Psychomotorik und der Vitalgefühle ließen sich allerdings nicht feststellen. Auch Hinweise auf das Vorliegen einer ausgeprägten depressiven Störung ergaben sich nicht. Von im Jahr 2012 und im April 2017 aufgekommenen lebensmüden Gedanken hat sich der Kläger im gutachtlichen Gespräch mit Dr. E… im Juli 2017 eindeutig distanziert. Symptome der gedrückten Stimmungslage, der Antriebsminderung, der Freudlosigkeit und der Grübelneigung werden im Übrigen adäquat medikamentös mit den Präparaten Duloxetin (60 Milligramm, täglich morgens eine Tablette) und Mirtazapin (30 Milligramm, täglich abends eine Tablette) behandelt. Seine Intelligenz liegt im unteren Durchschnittsbereich. Er war über den gesamten Untersuchungszeitraum aufmerksam und konzentriert. Hinweise auf das Vorliegen von Zwangsstörungen, eines hirnorganischen Psychosyndroms oder aktuelle Suizidalität ergaben sich nicht. Auch seine Tagesgestaltung entspricht den eingeschränkten materiellen Möglichkeiten. Erheblich eingeschränkte Sozial- oder Alltagskompetenzen ließen sich anamnestisch nicht eruieren: Der Kläger hat einen geregelten und strukturierten Tagesablauf, versorgt sich und seine kranke Frau selbst, bereitet Mahlzeiten zu, erledigt alle im Haushalt anfallenden Arbeiten (aufräumen, Betten machen, Geschirr spülen, Blumen gießen, Wäsche waschen, …), erledigt Besorgungen, besorgt die Einkäufe, nimmt seine ärztlichen Termine eigenständig wahr, geht zur Rückenschule und Physiotherapie, fährt gelegentlich mit dem Fahrrad, begleitet seine Ehefrau zu Terminen und Arztbesuchen, besucht regelmäßig die Schwiegereltern und kümmert sich um den kranken Schwiegervater, geht für diese Einkäufe erledigen, kümmert sich um den Garten der Schwiegereltern und verrichtet dort Gartenarbeiten, beschäftigt sich mit Computer- und Handy-App-Spielen (Zugfahrsimulationsspiele), kümmert sich um die Orchideen, sitzt im Sommer mit seiner Frau auf dem Balkon, sieht täglich fern und informiert sich, unternimmt gelegentlich Radfahrten mit einem Kumpel, telefoniert gelegentlich mit seiner Mutter und unterhält hinreichend soziale Kontakte zu seiner Familie, seinen Töchtern und einem Kumpel. Zeitliche Leistungseinschränkungen resultieren aus diesen Befunden insgesamt nicht. Lediglich Tätigkeiten mit hoher nervlicher Belastung und gesteigerter konzentrativer Anspannung, wie Tätigkeiten am Fließband, an laufenden Maschinen, im Akkord, mit hohen Anforderungen an die soziale Interaktionsfähigkeit sowie in Nachtschichten, sind nicht mehr zumutbar.

Richtungsweisende oder gravierende Befundverschlechterungen ließen sich im gesamten Verfahrensverlauf nicht eruieren. Dies entspricht nicht nur den Befunden, die die jeweiligen Gutachter erhoben haben, sondern entspricht im Übrigen auch den Angaben der den Kläger behandelnden Haus- und Fachärzte, wie sie aus den eingeholten Befundberichten von Dr. H… vom 9. Februar 2017, von Dipl.-Med. K… vom 14. Februar 2017, von Dr. L… vom 12. Februar 2017, von Dipl.-Med. J… vom 13. Februar 2017, von Dr. G… vom 10. Februar 2017 und Dr. F… vom 22. Februar 2017 hervorgehen. Der den Kläger regelmäßig behandelnde Psychiater und die regelmäßig behandelnde Hausärztin teilten jeweils ausdrücklich mit, dass sich die erhobenen Befunde und der Gesundheitszustand des Klägers nicht verschlechtert haben.

Aus der Gesamtheit der Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers lassen sich danach nur qualitative Leistungseinschränkungen plausibel begründen. Wegen der orthopädischen Beschwerden sind körperlich schwere und körperlich mittelschwere Tätigkeiten, Arbeiten in einseitigen Körperhaltungen (überwiegendes und permanentes Sitzen oder Stehen) und Zwangshaltungen des Rumpfes (Bücken, Hocken, Knien, länger andauernde Überkopftätigkeiten und länger andauernde Tätigkeiten in Oberkörpervorbeuge), Arbeiten mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über zehn Kilogramm, auf Leitern und Gerüsten sowie mit Ganzkörpererschütterungen oder Ganzkörpervibrationen nicht mehr zumutbar. Da degenerierte Wirbelsäulenabschnitte häufig witterungsempfindlich sind, sind Arbeiten mit dauerhaften Einwirkungen von Nässe, Kälte, Zugluft und erheblichen Temperaturschwankungen zudem zu vermeiden. Wegen der psychischen Beschwerden sind Tätigkeiten mit hoher nervlicher Belastung und gesteigerter konzentrativer Anspannung, wie Tätigkeiten am Fließband, an laufenden Maschinen, im Akkord, mit hohen Anforderungen an die soziale Interaktionsfähigkeit sowie in Nachtschichten, nicht mehr zumutbar.

Damit konnte und kann der Kläger Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung dieses negativen Leistungsbildes sowie die konkret benannte Tätigkeit als Mitarbeiter in einer Poststelle in einer öffentlichen Verwaltung oder Behörde mit höherwertigen Arbeitsaufgaben, die nach Entgeltgruppe 3 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) entlohnt werden, mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten, weil es sich bei dieser Tätigkeit um eine körperlich leichte Arbeit in wechselnder und abwechslungsreicher Körperhaltung mit der Möglichkeit des Haltungswechsels, ohne sonstige Beschwernisse (nicht im Hocken, Bücken, Knien, Überkopf, nicht in Oberkörperfehlhaltung, nicht auf Leitern und Gerüsten, nicht mit Vibrationen und Erschütterungen, nicht mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über zehn Kilogramm), ohne Tätigkeiten am Fließband, im Akkord, an Maschinen mit erhöhter Unfallgefahr oder mit komplexen Überwachungs- und Steuerungsprozessen oder in Nachtschicht (Öffnungszeiten der Büro- und Verwaltungsgebäude nur tagsüber) in geschlossenen Räumen (temperierte Bürogebäude) und ohne hohe Anforderungen an soziale Interaktionen (Tätigkeit wird ausschließlich im Büroinnendienst verrichtet) handelt.

Auch die rentenrechtlich relevante Wegefähigkeit ist nicht beeinträchtigt. Der Kläger kann in zumutbarer Zeit (innerhalb von 20 Minuten) einen üblichen Weg zur Arbeitsstelle oder zu Haltestellen von öffentlichen Verkehrsmitteln zu Fuß (über 500 Meter, viermal täglich) zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Für eine aufgehobene Wegefähigkeit erbrachten die gutachterlichen Untersuchungen keine objektiven Befunde. Sein Gangbild sowohl in Konfektionsschuhen als auch barfuß zu ebener Erde ist bei gleich langer Schrittlänge und Belastungsphase sicher, flüssig, rhythmisch und ohne Hinkphänomene. Orthopädischer Hilfsmittel bedarf er nicht. Es zeigte sich weder ein Lähmungsgangbild noch eine Fußheberschwäche. Gravierende Funktionseinschränkungen der unteren Extremitäten bestehen nicht. Neurologische Ausfälle der unteren Extremitäten im Sinne von Lähmungen oder trophischen Störungen der Haut konnten ebenfalls nicht festgestellt werden. Kardiopulmonale Belastungszeichen ließen sich gleichfalls nicht eruieren. Er ist auch in der Lage öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Auf die konkreten Verhältnisse öffentlicher Verkehrsmittel im Wohnort des Klägers (A-Stadt) kommt es nicht an, da die Wegefähigkeit nach abstrakten Maßstäben und Kriterien festgestellt wird. Im Übrigen ist der Kläger im Besitz einer Fahrerlaubnis für Pkw (Führerschein mit der Nummer: M240029HN41, ausgestellt vom Ordnungsamt der Stadt Leipzig am 3. Juni 2005, unbefristet gültig seit: 19. September 1986) und kann das auf seine Ehefrau zugelassene Fahrzeug (Pkw der Marke Honda mit dem amtlichen Kennzeichen: R….) nutzen, mit dem er regelmäßig Wege zurücklegt und Besorgungen erledigt. Die verschiedenen Möglichkeiten, Wege zu einer Arbeitsstelle zurückzulegen, sind gleichwertig (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R – JURIS-Dokument, RdNr. 22; BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – JURIS-Dokument, RdNr. 20), so dass eine aufgehobene Wegefähigkeit unter keinem Aspekt zu konstatieren ist.

Auch der mögliche Hinweis auf den vom Versorgungs- bzw. Sozialamt der Stadt Leipzig mit Bescheid vom 31. Mai 2011 unbefristet bescheinigten Grad der Behinderung (GdB) von 30 führt zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis. GdB-Einschätzungen sind für den konkreten vorliegenden Rechtsstreit weder erforderlich noch weiterführend. Denn weder Angaben zum GdB, noch zum Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sind relevant für die Frage, ob eine quantitative Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI vorliegt, weil die konkrete Frage nach einer quantitativen Leistungsminderung keine behinderten- oder sozialentschädigungsrechtliche, sondern eine rentenversicherungsrechtliche Frage ist und sich der GdB, die MdE, ebenso wie der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) auf die Auswirkungen einer Behinderung in allen Lebensbereichen bezieht, nicht aber auf die Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens im rentenversicherungsrechtlich relevanten Bereich der teilweisen oder vollen Erwerbsminderung. GdB-, MdE- oder GdS-Einschätzungen begründen daher weder notwendiger-, noch hinreichenderweise eine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI, da zwischen den unterschiedlichen Rechtsbereichen keine Wechselwirkungen bestehen (vgl. dazu bspw.: BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 SB 5/01 B – JURIS-Dokument, RdNr. 5; BSG, Urteil vom 9. Dezember 1987 – 5b BJ 156/87 – JURIS-Dokument, RdNr. 3).

Sonstige betriebsunübliche Arbeitsbedingungen aus gesundheitlichen Gründen sind ebenfalls nicht erforderlich. Insbesondere bedarf der Kläger auch keines betriebsunüblichen Pausenregimes; auch nicht wegen der geklagten Schmerzen, Beschwerden und sonstigen Erschöpfungsneigung. Objektive Befunde, die überobligatorische Pausen erforderlich erscheinen ließen, konnten von keinem der Gutachter erhoben werden. Da auch im Sitzen kurzzeitige Entspannungsphasen in Anspruch genommen werden können, reichen der gesetzliche Arbeitspausenanspruch und die üblichen Verteilzeiten aus. Diesbezüglich ist aus rechtlicher Sicht – auch höchstvorsorglich – auf Folgendes hinzuweisen: Nach § 4 Satz 1 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) besteht ein gesetzlicher Arbeitspausenanspruch von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden sowie von mindestens 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden. Kurzpausen von weniger als 15 Minuten alle zwei Stunden gelten beispielsweise im Bereich des öffentlichen Dienstes nicht als Arbeitszeit verkürzende Pausen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. April 2015 – L 1 R 136/12 – JURIS-Dokument, RdNr. 38; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 8. Mai 2008 – L 3 R 478/04 – JURIS-Dokument, RdNr. 41; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. März 2007 – L 11 R 684/06 – JURIS-Dokument, RdNr. 34; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. August 2003 – L 14 RJ 137/01 – JURIS-Dokument, RdNr. 35 jeweils mit weiteren Nachweisen). In der Personalbedarfsberechnung in Wirtschaft und Verwaltung werden persönliche Verteilzeiten von bis zu zwölf Prozent der tariflichen Arbeitszeit veranschlagt. Unter persönlichen Verteilzeiten versteht man Zeitanteile, die nicht für den Arbeitsprozess selbst verwendet werden, aber dennoch als Arbeitszeit gerechnet werden (z.B. persönliche Verrichtungen, Toilettengänge, Erholungs- und Entspannungszeiten außerhalb der Pausen) und deshalb bei der Ermittlung des Personalbedarfs, der Kapazität und des Auslastungsgrades berücksichtigt werden (vgl. dazu ausführlich: Bundesministerium des Inneren/Bundesverwaltungsamt, „Handbuch für Organisationsuntersuchungen und Personalbedarfsermittlung“, Stand: Dezember 2016, S. 148 ff.). So ist beispielsweise in § 10 des Lohnrahmentarifvertrags des Unternehmerverbands Metall Baden-Württemberg, Bereiche Feinwerktechnik und Metallbau, und der IG Metall, Bezirk Baden-Württemberg, vom 16. Mai 2014 über die gesetzlich (mindestens) vorgesehenen Pausen hinaus eine Erholungszeit von mindestens fünf Minuten in der Stunde sowie ferner eine Zeit für persönliche Bedürfnisse von nicht weniger als drei Minuten in der Stunde vorgesehen. Wenn daher erfahrungsgemäß etwa zehn Prozent der Arbeitszeit an persönlicher Verteilzeit kalkuliert werden (vgl. Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung, 6. Auflage 2003, S. 52), steht bei mindestens sechsstündiger Erwerbstätigkeit ein Ruhepausenkontingent von bis zu 36 Minuten im Rahmen der persönlichen Verteilzeit zur Verfügung, das es grundsätzlich ermöglicht – unter betriebsüblichen, in der Arbeitswirklichkeit praktizierten Bedingungen – auch Erholungs-, Entlastungs- und Entspannungsphasen durchzuführen.

Insgesamt besteht damit keine eingeschränkte Leistungsfähigkeit im erwerbsminderungsrechtlich relevanten Bereich von mindestens sechs Stunden täglich. Im Übrigen, darauf wurde bereits hingewiesen, kann der Kläger gesundheitlich zumutbar die Tätigkeit eines Mitarbeiters in einer Poststelle in einer öffentlichen Verwaltung oder Behörde mit höherwertigen Arbeitsaufgaben, die nach Entgeltgruppe 3 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) entlohnt werden, mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten.

Ob er tatsächlich einen Arbeitsplatz mit diesem Belastungsprofil, insbesondere als Mitarbeiter in einer Poststelle in einer öffentlichen Verwaltung oder Behörde mit höherwertigen Arbeitsaufgaben, die nach Entgeltgruppe 3 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) entlohnt werden, findet oder ihm durch die Arbeitsverwaltung ein solcher vermittelt werden kann, ist kein von der Rentenversicherung abgedecktes Risiko, sondern das Risiko jedes Arbeitssuchenden. Das Risiko einen konkreten Arbeitsplatz in der dem Kläger gesundheitlich zumutbaren Tätigkeit zu erhalten, ist ein sozialversicherungsrechtlicher Gefahrenbereich der in die Verantwortungssphäre der Arbeitsverwaltung fällt. Er ist nach den ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen der §§ 43 Abs. 3 Halbsatz 2, 240 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 SGB VI nicht zu berücksichtigen. Deshalb ist der Umstand, dass es in einer Zeit angespannter Arbeitsmarktlage schwierig ist, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden, und die Bundesagentur für Arbeit oder das Jobcenter zu einer Vermittlung nicht in der Lage ist, kein Grund zur Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Soweit der wiederholt Kläger meint, sich subjektiv nicht in der Lage zu fühlen einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, kann hierauf nicht abgestellt werden. Seine subjektive Einschätzung begründet keinen Rechtsanspruch; die objektiv erhobenen Befunde sind eindeutig und stützen sein Begehren – wie ausgeführt – nicht. Weder subjektive Angaben, noch das in den Arztberichten teilweise praktizierte Anhäufen von Diagnosen und subjektiv geschilderten Beschwerden begründen nachvollziehbar eine verminderte Erwerbsfähigkeit. Entscheidend für die erwerbsminderungsrechtlich relevante Leistungseinschätzung sind allein die auf Krankheit oder einem Krankheitskomplex beruhenden Funktionsausfälle oder Funktionseinschränkungen und nicht das Benennen und Aufzählen von Diagnosen oder geklagten Beschwerden. Es kommt ausschließlich der Frage entscheidende Bedeutung zu, inwieweit in der Zusammenschau von Anamnese, klinischen Befunden und Aktenlage die geklagten Beschwerden und Beeinträchtigungen plausibel sind. Hierzu enthalten die im Verwaltungs-, Klage- und Berufungsverfahren eingeholten Gutachten übereinstimmende und nachvollziehbare Angaben. Angesichts des Fehlens objektiver Messmethoden zur Quantifizierung von Schmerzen und geklagten Beschwerden kommt vielmehr der Frage, inwieweit in der Zusammenschau von Anamnese, klinischen Befunden und Aktenlage die geklagten Beschwerden und Beeinträchtigungen plausibel sind, entscheidende Bedeutung zu (so bspw.: Widder / Hausotter / Marx / Puhlmann / Wallesch, MedSach 98 [2002], 27, 28; Schulte, MedSach 95 [1999], 52, 55; Winckler / Foerster, MedSach 92 [1996], 120, 123; Roller, SGb 2007, 271, 273; Marx, MedSach 108 [2012], 218, 222; Keller / Schairer / Kappis / Egle, MedSach 112 [2016], 56, 57). Im Rahmen von Gutachten müssen bei der Exploration geäußerte subjektive Beschwerden durch Schmerzen immer durch eine Konsistenzprüfung validiert werden (vgl. LSG Thüringen, Urteil vom 24. April 2012 – L 6 R 1227/11 – NZS 2012, 865; Carstens, MedSach 110 [2014], 253, 254; Philipp, MedSach 110 [2014], 168, 172 und 174). Auch die anhaltende Chronifizierung der Beschwerden und Schmerzsyndrome führen zu keiner anderen Bewertung. Denn allein aus der Chronifizierung eines oder mehrerer Leidens kann noch nicht auf die Quantität oder eine bestimmte Qualität der Leistungseinbußen geschlossen werden (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 22. Juli 2004 – L 3 RJ 15/03 – JURIS-Dokument, RdNr. 31).

Mit Erfolg kann sich der Kläger auch nicht auf die anderweitige Leistungseinschätzung im Befundbericht von Facharzt V… vom 20. Februar 2014 stützen, der ausführte, das berufliche Leistungsvermögen des Klägers sei durch die Beschwerden deutlich eingeschränkt, weshalb ihm eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von mindestens sechs Stunden nicht zumutbar sei. Denn diese Leistungseinschätzung stützt sich ausschließlich auf die vom Kläger subjektiv geklagten „Beschwerden“ und wird nicht aus objektiv erhobenen „Befunden“ und daraus resultierenden Fähigkeits- und Funktionseinschränkungen, die allein für eine Leistungseinschätzung maßgeblich sind, abgeleitet. Eine gutachtliche Untersuchung liegt der Einschätzung von Facharzt V… gerade nicht zu Grunde. Auf den maßgeblichen Aspekt, dass nur durch eine solche (psychiatrische) Begutachtung die Leistungsfähigkeit objektiv bewertet werden kann, hatte zu Recht Dr. U…in ihrem Befundbericht vom 4. April 2014 hingewiesen, sodass sich auch aus diesem – entgegen des Vortrags des Kläger-Prozessbevollmächtigten im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 12. Dezember 2016 – keine andere Bewertung ergibt; schon gar nicht eine solche die dahin ginge, dass „bewiesen“ sei, der Kläger könne weder sechs noch drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein.

Umfassende und aktuelle Begutachtungen liegen nunmehr aktuell und teilweise wiederholt vor und liefern keinen einzigen plausiblen Anhalt für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Sämtliche Beeinträchtigungen wurden aktuell gutachtlich erfasst. Die angegebenen Beeinträchtigungen wurden umfänglich berücksichtigt und ausgiebig auf ihre daraus folgenden Leistungseinschränkungen beurteilt. Die im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 12. Dezember 2016 vom Kläger sinngemäß erbetene Überprüfung durch das Sächsische Landessozialgericht wurde umfassend und unter Berücksichtigung sämtlicher medizinischer Befunde vorgenommen. Sowohl die orthopädischen, als auch die psychiatrischen und psychosomatischen, als auch die sonstigen medizinischen Gesundheitsbeeinträchtigungen wurden umfänglich gutachterlich gewürdigt. Damit steht die Beantwortung der entscheidungserheblichen Frage, ob der Kläger mindestens sechs Stunden täglich einer körperlich leichten Tätigkeit nachgehen kann, nicht aus, sondern ist plausibel anhand der festgestellten Funktionsminderungen und der objektiv erhobenen Befunde festgestellt. Eine richtungsweisende Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist nicht eingetreten. Sämtlichen Ermittlungsansätzen wurde vom Gericht nachgegangen. Auf die ergänzende Stellungnahme von Dr. C… vom 23. Februar 2017, die das Berufungsgericht ergänzend und im Nachgang zu den Einwendungen im Schriftsatz vom 9. November 2015 bewusst mit dem gerichtlichen Schreiben vom 7. Februar 2017 angefordert hatte, wird lediglich zur Ergänzung und Abrundung verwiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Sozialrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Sozialrecht. Wir beraten uns vertreten Sie in sozialrechtlichen Fragen. Jetzt Ersteinschätzung anfragen.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile und Beiträge aus dem Sozialrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!