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Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung – Voraussetzungen

Rente bei Erwerbsminderung: Klärung der entscheidenden Voraussetzungen

Das Landessozialgericht Hamburg bestätigte, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente hat. Es wurde festgestellt, dass die Klägerin trotz gesundheitlicher Einschränkungen fähig ist, leichte bis mittelschwere Arbeiten zu verrichten. Die medizinischen Gutachten und Untersuchungen ergaben, dass sie mindestens sechs Stunden täglich arbeiten kann, wodurch die Voraussetzungen für eine vollständige oder teilweise Erwerbsminderungsrente nicht erfüllt sind.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: L 3 R 76/21 >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Rückweisung der Berufung: Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente.
  2. Arbeitsfähigkeit der Klägerin: Trotz gesundheitlicher Probleme ist sie in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten auszuführen.
  3. Tägliche Arbeitszeit: Medizinische Gutachten bestätigen, dass die Klägerin mindestens sechs Stunden pro Tag arbeiten kann.
  4. Gesundheitliche Einschränkungen: Die Klägerin leidet unter verschiedenen Gesundheitsstörungen, darunter somatoforme Schmerzstörung und depressive Verstimmungen.
  5. Keine volle Erwerbsminderung: Die Klägerin ist nicht voll erwerbsgemindert gemäß § 43 SGB VI.
  6. Kein Anspruch auf teilweise Erwerbsminderungsrente: Auch die Voraussetzungen für eine teilweise Erwerbsminderungsrente sind nicht erfüllt.
  7. Beruflicher Werdegang der Klägerin: Ihre berufliche Laufbahn und Qualifikationen wurden berücksichtigt.
  8. Wegefähigkeit erhalten: Die Klägerin ist in der Lage, Arbeitsplätze aufzusuchen und ist wegefähig.

Erwerbsminderungsrente: Ein juristisches Dilemma

In der Auseinandersetzung um die Rente wegen Erwerbsminderung offenbart sich ein wesentliches Feld des Sozialrechts. Kern des Disputs sind die rechtlichen und medizinischen Voraussetzungen, die über die Gewährung oder Ablehnung einer solchen Rente entscheiden. Im Fokus stehen hierbei individuelle gesundheitliche Einschränkungen und ihre Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit der betroffenen Personen. Verschiedene medizinische Gutachten und Diagnosen spielen eine entscheidende Rolle in der Beurteilung, ob und inwieweit eine Erwerbsminderung vorliegt.

Das Sozialgericht Hamburg sieht sich mit der Herausforderung konfrontiert, die komplexen medizinischen Sachverhalte im Lichte des Sozialgesetzbuches zu interpretieren und rechtlich einzustufen. Die Berufung der Klägerin gegen frühere Urteile führt dabei nicht nur in die Tiefen juristischer Argumentation, sondern beleuchtet auch die menschliche Dimension sozialrechtlicher Entscheidungen. Begleiten Sie uns in die Welt der Rechtsprechung, wo sorgfältige Abwägungen und differenzierte Betrachtungen den Weg zu gerechten Entscheidungen ebnen.

Der Weg zur Entscheidung: Klägerin fordert Erwerbsminderungsrente

Die Auseinandersetzung um die Rente wegen Erwerbsminderung begann mit der Klage einer Frau, die seit 2004 in Deutschland lebt. Sie arbeitete zunächst in verschiedenen geringfügigen Beschäftigungen, bevor sie 2017 Rente wegen Erwerbsminderung beantragte. Die Klägerin litt unter mehreren gesundheitlichen Problemen, darunter psychosomatische Beschwerden, Fibromyalgie, depressive Verstimmungen sowie physische Einschränkungen wie eine Halswirbelsäulenblockade und Fersensporn. Ein Gutachten der Bundesagentur für Arbeit durch Dr. T. bescheinigte ihr eine tägliche Arbeitsfähigkeit von unter drei Stunden. Dennoch lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da sie nach medizinischer Einschätzung mindestens sechs Stunden täglich arbeitsfähig sei.

Medizinische Gutachten im Fokus des Verfahrens

Im Zentrum des Verfahrens standen diverse medizinische Gutachten, die unterschiedliche Einschätzungen zur Arbeitsfähigkeit der Klägerin gaben. Ein entscheidendes Gutachten von Dr. K., Fachärztin für Innere Medizin und Arbeitsmedizin, sah die Klägerin in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten zu verrichten. Dies führte zur Ablehnung des Rentenantrags durch die Beklagte. Die Klägerin erhob daraufhin Widerspruch und verwies auf die unberücksichtigte Stellungnahme von Dr. T. Der Widerspruch wurde jedoch abgewiesen, und die Klägerin klagte vor dem Sozialgericht Hamburg.

Sozialgericht Hamburg: Bewertung der Arbeitsfähigkeit

Das Sozialgericht Hamburg holte weitere medizinische Stellungnahmen ein, darunter ein Gutachten von Dr. H., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Dieses bestätigte zwar einige der von Dr. T. gestellten Diagnosen, kam jedoch zu dem Schluss, dass die Klägerin noch regelmäßig sechs Stunden leichte körperliche Arbeiten verrichten könne. Das Gericht wies die Klage ab, da es keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung sah. Auch ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit wurde verneint, da die Klägerin keinen Nachweis über eine Facharbeitertätigkeit oder -ausbildung erbringen konnte.

Berufung am Landessozialgericht Hamburg: Endgültige Entscheidung

Die Klägerin legte Berufung beim Landessozialgericht Hamburg ein, doch auch dort wurde ihr Anliegen zurückgewiesen. Das Gericht stützte sich auf die medizinischen Gutachten und befand, dass die Klägerin nicht die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente erfülle. Es bestätigte, dass die Klägerin trotz gesundheitlicher Einschränkungen in der Lage sei, sechs Stunden täglich zu arbeiten. Die Entscheidung des Sozialgerichts Hamburg wurde somit bestätigt, und die Berufung der Klägerin abgelehnt.

Dieses Urteil verdeutlicht die komplexe Natur von Fällen, die sich um die Gewährung von Erwerbsminderungsrenten drehen. Es unterstreicht die Bedeutung von medizinischen Gutachten und die Herausforderung für die Gerichte, diese zu bewerten und in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben zu bringen. Obwohl die Klägerin in diesem spezifischen Fall keinen Anspruch auf die Rente wegen Erwerbsminderung hat, beleuchtet das Urteil die Notwendigkeit einer sorgfältigen Prüfung und individuellen Betrachtung jedes Einzelfalls im Sozialrecht.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wie wird die „teilweise Erwerbsminderung“ rechtlich definiert?

Die „teilweise Erwerbsminderung“ ist ein rechtlicher Begriff im deutschen Rentenrecht. Versicherte gelten als teilweise erwerbsgemindert, wenn sie aufgrund von Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies bedeutet, dass sie noch ein Restleistungsvermögen zwischen drei und sechs Stunden täglich haben, das eine entsprechende Teilzeitbeschäftigung erlaubt.

Die Ursache der Erwerbsminderung spielt grundsätzlich keine Rolle, es sei denn, die Erwerbsminderung wurde absichtlich herbeigeführt. Bei Vorliegen einer teilweisen Erwerbsminderung kann eine Rente wegen voller Erwerbsminderung als sogenannte Arbeitsmarktrente gewährt werden, wenn der (Teilzeit-)Arbeitsmarkt als verschlossen gilt. Das ist der Fall, wenn der Versicherte länger als ein Jahr keinen seinem Restleistungsvermögen entsprechenden (Teilzeit-)Arbeitsplatz innehat oder ihm kein solcher angeboten werden kann.

Die genaue Definition der teilweisen Erwerbsminderung ist im § 43 Abs. 1 Satz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) festgelegt.


Das vorliegende Urteil

Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 3 R 76/21 – Beschluss vom 08.05.2023

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am xxxxx 1957 in O./ P. geborene Klägerin ist seit dem 12. Mai 2004 in Deutschland wohnhaft. Im Arbeitsbuch der Klägerin („“) ist u.a. eingetragen, dass sie in P. nach dreimonatigem Ausbildungskurs (4. März 1985 bis 15. Mai 1985) im Zeitraum 22. April 1985 bis 31. Dezember 1987 als Schwester beim p. Roten Kreuz und im Zeitraum 22. September 1993 bis 30. September 1995 als Schneiderin arbeitete. In Deutschland übte die Klägerin verschiedene sog. „Ein-Euro-Jobs“ sowie Praktika aus. Im Zeitraum 10. November 2014 bis 31. Januar 2016 war sie befristet in einem Projekt als Familien- und Seniorenhelferin beschäftigt.

In einer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 5. Mai 2017 im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit führte der Arzt Dr. T. aus (Bl. 30 f. der Verwaltungsakte der Beklagten), dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wegen einer seelischen und körperlichen Minderbelastbarkeit auf unter drei Stunden täglich voraussichtlich länger als sechs Monate, aber nicht auf Dauer, herabgesunken sei. Die Klägerin leide an depressiv-ängstlichen Verstimmungen und einer somatoformen Schmerzstörung. Sie sei mittel- bis langfristig nicht belastbar.

Am 24. Oktober 2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Sie leide an psychosomatischen Beschwerden, Fibromyalgie an mehreren Lokalisationen sowie einer reaktiven depressiven Verstimmung. Durchgehend bestünden S.er- und Kopfschmerzen. Darüber hinaus bestehe eine Blockade der Halswirbelsäule und ein Fersensporn rechts. Längeres Sitzen oder Stehen sei ihr nicht möglich. Auch die Beweglichkeit der Arme und Beine sei eingeschränkt.

Die Beklagte ließ die Klägerin am 27. November 2017 ärztlich untersuchen. Die Fachärztin für Innere Medizin und Arbeitsmedizin Dr. K. diagnostizierte in ihrem Gutachten vom 4. Dezember 2017 (Bl. 19 ff. der Verwaltungsakte der Beklagten) angegebene Schmerzen am gesamten Körper, besonders auf der rechten Seite ohne nachweisbares organisches Korrelat, den Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F45.40), degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule ohne radikuläre Symptomatik (ICD-10: M54.2) sowie eine Fehlhaltung im Bereich der Brustwirbelsäule mit Hyperkyphosebildung und Myegelosen im S.er-Arm-Bereich ohne radikuläre Symptomatik (ICD-10: M54.6). Als Nebendiagnose wurde eine depressive Stimmungslage festgehalten. Zweifellos liege eine Leistungseinschränkung vor. Die Klägerin sei jedoch noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten möglichst in wechselnder Körperhaltung im überwiegenden Stehen, Gehen und Sitzen ohne ständige Überkopfarbeiten sechs Stunden und mehr in Tagesschicht zu verrichten. Die Wegefähigkeit sei erhalten.

Mit Bescheid vom 10. April 2018 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Nach medizinischer Beurteilung könne sie noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Dies sei ihr unter Berücksichtigung ihres beruflichen Werdegangs zumutbar. Es bestehe daher auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Sinne von § 240 SGB VI.

Hiergegen erhob die Klägerin am 4. Mai 2018 Widerspruch, zu dessen Begründung sie ausführte, die Angaben aus ihrem Rentenantrag seien nur unvollständig berücksichtigt worden. Verschwiegen worden sei die Stellungnahme von Dr. T. vom 5. Mai 2017.

Auf schriftliche Anfrage der Beklagten schloss sich der ärztliche Dienst der Bundesagentur für Arbeit bezüglich der Beurteilung des Leistungsvermögens der Klägerin dem sozialmedizinischen Dienst der Beklagten mit Schreiben vom 22. Juni 2018 inhaltlich an.

Nach Einholung von Befund- und Behandlungsberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte sowie nach Einholung einer weiteren gutachtlichen Stellungnahme des sozialmedizinischen Dienstes vom 8. Oktober 2018 (Ärztin für Neurologie Dr. G., Bl. 59 ff. der Verwaltungsakte der Beklagten) wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2018 als unbegründet zurück. Die Klägerin sei trotz der bei ihr vorhandenen Gesundheitsbeeinträchtigungen noch in der Lage, körperliche leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen zu verrichten. Zu vermeiden seien häufiges Bücken, Heben und Tragen von Lasten, Armvorhalte-/Überkopfarbeit, Zwangshaltungen, häufige Nässe, Kälte, Zugluft, starke Temperaturschwankungen, Arbeit in Nachtschicht und Arbeit unter besonderem Zeitdruck. Es bestehe weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und ebenso wenig eine Berufsunfähigkeit. Mit dem festgestellten Leistungsvermögen sei die Klägerin weiterhin in der Lage, ihre letzte Tätigkeit als Textil- und Modeschneiderin und Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr je Arbeitstag auszuüben. Es könne dahingestellt bleiben, welcher Gruppe des sog. „Vier-Stufen-Schemas“ die Klägerin aufgrund ihres beruflichen Werdegangs zuzuordnen sei.

Am 29. November 2018 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Hamburg. Zur Begründung ihrer Klage verwies die Klägerin v.a. auf die gutachtliche Stellungnahme für die Bundesagentur für Arbeit, in der Dr. T. festgestellt habe, dass sie nur weniger als drei Stunden leistungsfähig sei.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Es bestehe kein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung verwies sie auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Bezüglich des Gutachtens der Bundesagentur für Arbeit ergänzte sie, dass sich die Bundesagentur für Arbeit nach Würdigung des Gutachtens von Dr. K. der Beurteilung des Leistungsvermögens durch die Beklagte angeschlossen habe. Die Divergenz zwischen den Gutachten sei damit ausgeräumt.

Das Sozialgericht holte zunächst Befund- und Behandlungsberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte (Dr. W., W1, Dr. S.) ein und zog die gutachtliche Stellungnahme von Dr. T. für die Bundesagentur für Arbeit bei (Bl. 72 ff. der Gerichtsakte). Darüber hinaus erhob das Sozialgericht Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H.. In seinem Gutachten vom 10. Februar 2021 (Bl. 147 ff. der Gerichtsakte) diagnostizierte der Sachverständige bei der Klägerin nach ambulanter Untersuchung am 30. September 2020 Angst und depressive Störungen gemischt (ICD-10: F41.2) sowie eine undifferenzierte Somatisierungsstörung (ICD-10: F45.1). Somatischerseits gehe aus dem Befundbericht der Hausärztin zudem eine Hypercholesterinämie sowie eine Hashimoto-Thyreoditis hervor. Damit könne die Klägerin noch regelmäßig sechs Stunden und länger leichte körperliche Arbeiten einfacher geistiger Art mit geringer Verantwortung überwiegend im Stehen, Gehen und Sitzen zu ebener Erde ausüben. Auszuschließen seien Wirbelsäulenzwangshaltungen, häufiges Bücken sowie Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und anderen gefährdenden Arbeitsplätzen. Ebenfalls auszuschließen seien Tätigkeiten unter Zeitdruck, im Akkord, in Nachtarbeit sowie Tätigkeiten unter Einfluss von Witterung, Staub, Dämpfen und Geräuschen. Eine zusätzliche Pausenregelung sei nicht erforderlich. Die Klägerin verfüge über ausreichende Ressourcen und funktionelle Fähigkeiten, um eine regelmäßige Arbeitsleistung zu erbringen. Es bestünden leichtgradige Einschränkungen bezüglich der Ein- und Umstellungsfähigkeit, der Anpassung an Regeln und Routinen sowie der Planung und Strukturierung von Aufgaben. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei erhalten.

Die Klägerin hat dem Gutachten widersprochen. Sie halte sich für nicht wegefähig. Es sei ihr nicht anzulasten, dass sie nicht in ihrem erlernten Beruf habe arbeiten können, denn dem habe mangels Aufenthaltserlaubnis die Ausländerbehörde im Wege gestanden. Sie habe über mehrere Jahre verschiedene sog. „Ein-Euro-Jobs“ ausgeübt. Zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. Oktober 2021 erschien die Klägerin nicht. Ihr stattdessen anwesender Ehemann legte verschiedene Unterlagen, Anträge, Schreiben von Behörden, Bewerbungen und Zeitungsartikel vor.

Mit Urteil vom 14. Oktober 2021 wies das Sozialgericht die Klage ab. Der Sachverständige Dr. H. habe die von Dr. T. gestellten Diagnosen bestätigt. Diese Erkrankungen seien allerdings nicht so gravierend, dass das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter drei Stunden täglich eingeschätzt werden könne. Ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweise Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI bestehe daher nicht. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Sinne von § 240 SGB VI. Es könne nicht festgestellt werden, dass die letzte Tätigkeit der Klägerin auf der Ebene einer ausgebildeten Schneiderin anzusiedeln sei, denn eine entsprechende über zweijährige Ausbildung ergebe sich weder aus den Unterlagen der Beklagten noch aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen. Ein Nachweis über eine Facharbeitertätigkeit oder -ausbildung sei nicht vorgelegt worden.

Gegen das ihr am 5. November 2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3. Dezember 2021 Berufung eingelegt. Unerwähnt bleibe, dass die Beklagte die gutachtliche Stellungnahme des Dr. T. jahrelang verschwiegen habe. Entgegen der Behauptung des Sozialgerichts hätten Dr. T. und Dr. H. nicht die gleichen Diagnosen gestellt. Weil sich Dr. H. den angefochtenen Bescheiden angeschlossen habe, sei bewiesen, dass er parteiisch sei. Es falle ihr schwer zu glauben, dass die Gutachten der Mitarbeiterinnen der Beklagten und zuletzt das von Herrn H. erstattete Gutachten mehr wert sein sollten, als die gutachtliche Stellungnahme des Dr. T., die mit ausschlaggebend gewesen sei für ihren Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Der Berufung fügte die Klägerin u.a. verschiedene ärztliche Unterlagen bei.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Oktober 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Gründe der angefochtenen Entscheidungen.

Das Gericht hat zunächst einen aktuellen Befund- und Behandlungsbericht der die Klägerin behandelnden Ärztin W1 eingeholt (Bl. 269 f. der Gerichtsakte).

Darüber hinaus hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Arzt für Innere Medizin und Arbeitsmedizin, Lungen- und Bronchialheilkunde sowie Umweltmedizin Dr. S1 vom 11. November 2022 (Bl. 305 ff. der Gerichtsakte). Da die Klägerin mehrmals nicht auf Einladungen des Sachverständigen zu einer ambulanten Untersuchung reagiert bzw. eine Untersuchung im Rahmen eines Hausbesuchs abgelehnt hat, ist das Gutachten gemäß geänderter Beweisanordnung nach Aktenlage erstellt worden. Aus internistischer Sicht sei festzustellen, so der Sachverständige Dr. S1, dass sich in der Verwaltungs- und Gerichtsakte keine medizinischen Befundberichte fänden, die eine sozialmedizinisch bedeutsame, leistungseinschränkende internistische Erkrankung belegten. Aus der Aktenlage ergebe sich eine Hashimoto-Thyreoiditis, eine Hypercholesterinämie, Angst und depressive Störung sowie eine undifferenzierte Somatisierungsstörung. Unter Berücksichtigung der mitgeteilten medizinischen Befunde sowie der Beschwerdeschilderungen der Klägerin sei letztere nur noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten einfacher Art mit geringer Verantwortung durchzuführen. Ideal wären Arbeiten im Wechsel der Körperhaltung mit Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen. Tätigkeiten verbunden überwiegend mit Tragen, Heben, regelmäßigem Bücken sollten indes unterbleiben. Die maximale Gewichtsbelastung werde auf 8 kg geschätzt. Diese Tätigkeiten sollten zu ebener Erde durchgeführt werden. Leitern, Gerüste oder sonstige gefährdende Arbeitsplätze seien zu meiden. Zusätzliche Pausen seien nicht erforderlich. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei nicht eingeschränkt. Unter Beachtung vorgenannter Einschränkungen könnten Arbeiten sechs Stunden täglich durchgeführt werden. Die Einschränkungen bestünden seit Antragstellung und es sei nicht ersichtlich, dass sie wieder behoben werden könnten. Derzeit bestehe keine Indikation zur Durchführung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme.

Des Weiteren hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Arzt für Orthopädie/Unfallchirurgie Dr. D. vom 7. Januar 2023 (Bl. 345 ff. der Gerichtsakte). Da die Klägerin eine ambulante Untersuchung abgelehnt hat, ist die Begutachtung nach Aktenlage erfolgt. Der Sachverständige hat bei der Klägerin ein chronisches Schmerzsyndrom, offensichtlich auf der Basis einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung bei psychischer Störung, sowie eine leichtgradige Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule bei geringer Wirbelsäulenfehlstatik im Bereich der Brustwirbelsäule mit Entfaltungsstörung sowie Muskelspannungsstörungen diagnostiziert. Die Klägerin sei in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnden Körperhaltungen zu ebener Erde in klimageschützten Räumen arbeitstäglich sechs Stunden und mehr zu verrichten. Ausgeschlossen seien anhaltend mittelschwere und schwere körperliche Tätigkeiten mit dem damit verbundenen Bücken, Heben, Tragen und Bewegen entsprechender Lasten, insbesondere ohne Hilfsmittel, darüber hinaus Tätigkeiten mit anhaltenden Rumpfzwangshaltungen, Tätigkeiten mit häufigen und/oder anhaltenden Überkopfpositionen der Arme, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an Arbeitsplätzen mit erhöhter Eigen- oder Fremdgefährdung und schließlich Tätigkeiten mit häufigem und/oder anhaltendem Ausgesetztsein von Nässe, Kälte und Zugluft. Betriebsübliche Pausen seien ausreichend. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei nicht sozialmedizinisch relevant beeinträchtigt. Seit Antragstellung sei eine Änderung im Leistungsvermögen nicht eingetreten. Eine begründete Aussicht auf Behebung der Einschränkungen bestehe nicht, eine Besserung sei unwahrscheinlich. Aus orthopädischer Sicht könne eine Indikation zur Durchführung medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen nicht erkannt werden. Weitere Gutachten seien nicht erforderlich.

Mit Schreiben vom 27. März 2023 hat das Gericht die Beteiligten zu seiner Absicht angehört, den Rechtsstreit durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Den Beteiligten wurde bis zum 17. April 2023 Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Relevante Einwendungen wurden von keiner Seite erhoben.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen, die sämtlich Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht Hamburg hat die Klage mit Urteil vom 14. Oktober 2021 zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 10. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, denn sie hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente.

Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch richtet sich nach §§ 43, 240 SGB VI. Deren Voraussetzungen sind im vorliegend zu beurteilenden Fall indes nicht erfüllt.

Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze gemäß 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise erwerbsgemindert sind,

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, und

3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß der Definition des § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. voll erwerbsgemindert sind,

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, und

3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Im hier zu beurteilenden Fall fehlt es zumindest an der soeben genannten Voraussetzung einer Erwerbsminderung, denn die Klägerin ist schon nicht teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGB VI.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens und insbesondere der Beweisaufnahme ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller oder zumindest teilweiser Erwerbsminderung im Falle der Klägerin erfüllt sind. Das Leistungsvermögen der Klägerin ist zwar aufgrund verschiedener Gesundheitsstörungen in qualitativer Hinsicht eingeschränkt. Es reicht jedoch noch aus, um regelmäßig sechs Stunden und länger leichte körperliche Arbeiten einfacher geistiger Art mit geringer Verantwortung in klimageschützten Räumen zu ebener Erde zu verrichten. Derartige Tätigkeiten sollten in wechselnder Körperhaltung, d.h. im Stehen, Gehen und Sitzen verrichtet werden. Auszuschließen sind Tätigkeiten, die die Einnahme von Zwangshaltungen für Rumpf und Wirbelsäule bedingen. Der Klägerin nicht möglich sind insbesondere Arbeiten im häufigen Bücken und in anhaltenden Überkopfpositionen der Arme. Darüber hinaus nicht möglich sind Tätigkeiten, die ausschließlich oder überwiegend mit Tragen, Heben und Bewegen von Lasten mit einem Gewicht von mehr als 8 kg ohne Hilfsmittel verbunden sind. Auszuschließen sind auch Tätigkeiten unter (permanentem) Zeitdruck, im Akkord, in Nachtarbeit sowie unter Einfluss von Witterung (Nässe, Kälte, Zugluft), Staub, Dämpfen und Geräuschen (Lärm). Das Leistungsvermögen der Klägerin ist schließlich limitiert durch leichtgradige Einschränkungen hinsichtlich der Ein- und Umstellungsfähigkeit, der Anpassung an Regeln und Routinen sowie hinsichtlich der Planung und Strukturierung von Aufgaben. Eine zusätzliche Pausenregelung ist für diesen Beschränkungen entsprechende Tätigkeiten nicht erforderlich.

Die vorhandenen Einschränkungen des Leistungsvermögens der Klägerin beruhen nach Auswertung des in erster Instanz eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens von Dr. H., der in zweiter Instanz eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. S1 und Dr. D. sowie des Weiteren der übrigen Gutachten und medizinischen Stellungnahmen, die im Laufe des gesamten Verfahrens eingeholt bzw. vorgelegt wurden, auf folgenden Gesundheitsstörungen:

Im Rahmen der Gesamtschau ergibt sich, dass, wie auch die Klägerin vorgetragen hat, Erkrankungen auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet im Vordergrund stehen. Auf diesem Fachgebiet liegen Beeinträchtigungen aufgrund der Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule bei geringer Fehlstatik im Bereich der Brustwirbelsäule mit Entfaltungsstörung sowie Muskelspannungsstörung. Im Bereich der Halswirbelsäule finden sich degenerative Veränderungen, diese jedoch ohne eine radikuläre Symptomatik. Die auf diesem Fachgebiet gehörten Sachverständigen haben insoweit übereinstimmend keine Einschränkungen des zeitlichen Leistungsvermögens der Klägerin erkannt, sondern sind nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass den gesundheitlichen Einschränkungen durch die Festlegung qualitativer Einschränkungen bei noch forderbaren Tätigkeiten hinreichend Rechnung getragen werden kann. Dieser Einschätzung schließt sich der Senat nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage an.

Darüber hinaus besteht bei der Klägerin auf psychiatrisch-psychosomatischem Fachgebiet ein Körperschmerzsyndrom. Hinsichtlich der exakten Diagnose liegen von den Sachverständigen unterschiedliche Bewertungen vor. Dr. H. erkannte eine undifferenzierte Somatisierungsstörung, Dr. T. und Dr. D. dagegen eine somatoforme Schmerzstörung. Hierzu passt der durch die Gutachterin Dr. K. geäußerte Verdacht eines Ganzkörperschmerzes ohne organisches Korrelat. Im Kern stimmen die Befunde und Diagnosen sowohl der gerichtlich bestellten Sachverständigen als auch der Gutachter des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten als auch der behandelnden Ärzte überein. Soweit die Klägerin auf die Unterschiede der Diagnosestellungen hinweist, ist dazu auszuführen, dass die Unterschiede im Wesentlichen im Grad der Ausprägung bestehen. Letztlich sind für einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente aber auch nicht allein die Diagnosen maßgebend, sondern die feststellbaren Funktionsbeeinträchtigungen körperlicher oder geistiger Art. Auch unter Berücksichtigung einer gegenüber einer undifferenzierten Somatisierungsstörung per definitionem schwerergradigen somatoformen Schmerzstörung ist der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. D. indes nicht zum Ergebnis gekommen, dass hieraus ein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen abzuleiten wäre.

Ausweislich des von Dr. H. erstellten Gutachtens besteht bei der Klägerin zudem Angst und depressive Stimmung gemischt. Sofern im Befund- und Behandlungsbericht des die Klägerin behandelnden Arztes Dr. S. die Diagnose einer (somatisierten) Depression gestellt wird, ist dem u.a. deswegen nicht zu folgen, weil aus dem Bericht der Schweregrad nicht erkennbar ist. Es fehlt zudem an einer Wiedergabe derjenigen Tatsachen und Befunde, aus denen auf das Vorliegen einer Depression geschlossen wird. Die vom behandelnden Arzt Dr. S. diagnostizierte (somatisierte) Depression hat sich in der zeitlich nachfolgenden Begutachtungssituation bei Dr. H. schließlich auch nicht bestätigt. Es ist mit Blick auf die Möglichkeit einer steten Veränderung des gesundheitlichen Zustandes anzunehmen, dass statt einer manifesten Depression der definitionsgemäß weniger gewichtige Zustand von Angst und depressiver Stimmungslage gemischt vorliegt. Letztlich gilt aber auch in diesem Zusammenhang, dass nicht die Diagnose für das Vorliegen einer Erwerbsminderung und insbesondere nicht für das Vorliegen eines zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögens ausschlaggebend ist, sondern die dokumentierten und belegbaren Funktionseinschränkungen körperlicher oder geistiger Art. Es sind im hier zu beurteilenden Fall indes zuletzt keine Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin geschildert oder festgehalten worden, welche die Diagnose einer Depression substantiiert stützen würden. Auch das von der Klägerin in der Untersuchungssituation bei Dr. H. von sich selbst gezeigte Bild einschließlich ihrer Mitwirkung bei der Untersuchung passt nicht zu einer vitaldepressiven Symptomatik. Einschränkungen der Auffassungsgabe oder Konzentration waren nicht feststellbar. Auch wirkte die Klägerin nicht etwa ratlos oder verstört, sondern war durchweg attent, ohne dass ihre mentale Präsenz maßgeblich nachgelassen hätte (vgl. S. 7 des Gutachtens Dr. H., Bl. 153 der Gerichtsakte). Gegen das Vorliegen einer Depression spricht indiziell auch, dass eine pharmakologische Therapieoption nicht wahrgenommen worden ist bzw. wird.

Dr. H. hat hinsichtlich der der Klägerin zur Verfügung stehenden Willenskräfte anhand der von ihm erhobenen Befunde und Diagnosen zudem nachvollziehbar ausgeführt, dass die Klägerin in der Lage sei, Willenskräfte zu mobilisieren, um etwaige Hemmungen gegenüber einer Arbeitsleistung zu überwinden. Dem schließt sich das Gericht an.

Auf internistischem Fachgebiet liegen ausweislich des Sachverständigengutachtens von Dr. S1 sowie der Befund- und Behandlungsberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte keine solchen Gesundheitsstörungen vor, die allein oder in Kombination mit weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen den Schluss auf eine dauerhafte oder zumindest mehr als sechsmonatige Leistungseinschränkung solchen Ausmaßes zuließen, dass von einem eingeschränkten quantitativen Leistungsvermögen auszugehen wäre. Dies trifft etwa auf die festgestellte Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) sowie die Fettstoffwechselstörung mit der Folge erhöhter Cholesterinwerte (Hypercholesterinämie) zu.

Die gerichtlich bestellten medizinischen Sachverständigen Dr. H., Dr. S1 und Dr. D. haben sich zur Überzeugung des Gerichts in ihren Gutachten – soweit dies nach der bestehenden Aktenlage möglich war – ausführlich sowohl mit den in der Vergangenheit als auch gegenwärtig bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen auseinandergesetzt. Wie sich aus dem Sachverständigengutachten von Dr. H. ergibt, erfolgte die dortige Begutachtung nach eingehender und sorgfältiger ambulanter Untersuchung der Klägerin sowie – dies bezieht sich auf alle gehörten Sachverständigen – unter Auswertung aller zur Verfügung stehenden Befund- und Behandlungsberichte der sie behandelnden Ärzte, was für die Richtigkeit der ermittelten Ergebnisse spricht.

Das qualitative Leistungsbild haben die Sachverständigen unter Berücksichtigung aller zur Verfügung stehenden Unterlagen sowie – so betreffend das Gutachten von Dr. H. – aufgrund des eigenen Eindrucks von der Klägerin in sich schlüssig und für den erkennenden Senat nachvollziehbar dargelegt. Für die Richtigkeit dieser Feststellungen spricht zum einen, dass sowohl die in erster als auch die in zweiter Instanz gehörten Sachverständigen unabhängig voneinander zu ganz überwiegend übereinstimmenden Ergebnissen hinsichtlich qualitativer Einschränkungen des bei der Klägerin festzustellenden Leistungsvermögens gekommen sind. Auch sind alle der gehörten Sachverständigen nicht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Leistungsvermögen der Klägerin in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt wäre.

Dass der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. H. zu dem gleichen Ergebnis gelangt ist wie eine Gutachterin des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten (Dr. K.), belegt nicht, wie die Klägerin nach Kenntnisnahme des für sie ungünstigen Gutachtenergebnisses meint, eine Parteilichkeit des Sachverständigen. Vielmehr steht das Ergebnis seiner Begutachtung in Einklang mit den Ergebnissen der übrigen im Verfahren gehörten Sachverständigen. Es ist zum anderen nicht erfindlich, aus welchen Gründen der Sachverständige Dr. H. parteiisch sein sollte. Er ist seiner Funktion nach Berater und Ermittlungsgehilfe des Gerichts (z.B. BSG, Beschl. v. 8.3.2018 – B 9 SB 93/17 B, juris; Leopold in: Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK-SGG, 3. Aufl. 2023, § 118 Rn. 75), wird von ihm für das Gutachten vergütet und ist nicht etwa im Auftrag eines Beteiligten tätig. Anzeichen dafür, dass der hinsichtlich seiner Aufgabe äußerst erfahrene Sachverständige Dr. H. in diesem Fall seiner Funktion nicht gerecht geworden wäre, sind nicht im Ansatz erkennbar.

Nicht gefolgt werden kann dem für die Bundesagentur für Arbeit durch Dr. T. erstellten Gutachten vom 5. Mai 2017, welches von einer mehr als sechsmonatigen Aufhebung des Leistungsvermögens der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeht, denn es ist aus diesem Gutachten nicht ersichtlich, aus welchen Tatsachen genau der Gutachter auf ein aufgehobenes zeitliches Leistungsvermögen schließen möchte. Letztlich hat die Bundesagentur für Arbeit selbst an diesem Gutachten nicht festgehalten, sondern bereits mit Schreiben vom 22. Juni 2018 gegenüber der Beklagten mitgeteilt, dass sie sich dem Gutachten des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten (Dr. K.) anschließe und von einem sechsstündigen Leistungsvermögen der Klägerin ausgehe. Eine Divergenz zwischen den gutachtlichen Stellungnahmen, wie sie von der Klägerin im Laufe des Verfahrens wiederholt behauptet worden ist, besteht damit nicht.

Eine schwere spezifische Leistungsbeeinträchtigung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen liegen bei der Klägerin erkennbar nicht vor.

Die Wegefähigkeit der Klägerin ist entgegen der Auffassung der letzteren erhalten. Mit dem Begriff der Wegefähigkeit wird die Befähigung Versicherter umschrieben, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Hiervon wird in typisierender Betrachtung ausgegangen, wenn ein Versicherter in der Lage ist, täglich viermal Wegstrecken von 500 m in weniger als 20 Minuten zu Fuß, gegebenenfalls mit Unterstützung von Hilfsmitteln, zurückzulegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen (vgl. BSG, Urt. v. 17.12.1991 – 13/5 RJ 73/90, SozR- 2200 § 1247 Nr. 10; BSG, Urt. v. 28.8.2002 – B 5 RJ 12/02 R, juris; Kolakowski in: Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Aufl. 2021, § 43 Rn. 37). Dies gilt unabhängig von der tatsächlichen Wohnlage des Versicherten (BSG, Urt. v. 17.12.1991 – 13/5 RJ 73/90, SozR 2200 § 1247 Nr. 10; vgl. auch Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl. 2021, § 43 Rn. 254). Objektive Gründe, von einer fehlenden Wegefähigkeit der Klägerin auszugehen, sind nach den eingeholten Sachverständigengutachten sowie den darüber hinaus ermittelten medizinischen Befunden nicht ersichtlich, denn die unteren Extremitäten der Klägerin lassen keine solch gravierenden Erkrankung/en erkennen, die auf eine eingeschränkte Gehfähigkeit schließen ließen. Zwar ist der vom behandelnden Arzt Dr. W. im Jahr 2012 angegebene Verdacht auf das Vorliegen eines Fersensporns rechts von der behandelnden Ärztin W1 im Jahr 2014 aufgegriffen und diagnostiziert worden. Im Jahr 2019 hat sie diese Diagnose indes nicht mehr gestellt. Der behandelnde Arzt Dr. S. hat dagegen bereits in den Jahren 2012, 2014 und 2015 ein unauffälliges Gangbild der Klägerin beschrieben. Die gerichtlich bestellten Sachverständigen haben einen Fersensporn nicht diagnostiziert. In der Untersuchungssituation bei Dr. T. und Dr. H. waren der Fersenstand sowie der Einbeinstand beidseits möglich. Gegenüber Dr. H. hat die Klägerin zudem angegeben, mit dem Fahrrad zum Einkaufen zu fahren. Diese Umstände sprechen nicht für das Vorliegen einer rentenversicherungsrechtlich relevanten Beeinträchtigung der Wegefähigkeit, von der auch das Gericht nicht ausgeht.

Mit dem so beschriebenen Leistungsvermögen der Klägerin ist diese nicht als teilweise erwerbsgemindert anzusehen. Dann liegt erst recht keine volle Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI vor, denn hieran wären noch höhere Anforderungen zu stellen als an eine teilweise Erwerbsminderung.

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Sinne von § 240 SGB VI besteht ebenfalls nicht. § 240 SGB VI dehnt aus Gründen des Vertrauensschutzes als Sondervorschrift zu § 43 Abs. 1 SGB VI den Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf vor dem 2. Januar 1961 geborene und berufsunfähig gewordene Versicherte aus. Die Klägerin fällt grundsätzlich unter diese Vertrauensschutzregelung, da sie im Jahre 1957 geboren wurde. Es fehlt indes am Vorliegen einer Berufsunfähigkeit als notwendiger Voraussetzung.

Berufsunfähig sind gemäß § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie des bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Das Gesetz räumt einen Rentenanspruch wegen Berufsunfähigkeit damit nicht schon dann ein, wenn der bisher – versicherungspflichtig – ausgeübte Beruf oder die bisherige Berufstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausgeübt werden kann. Vielmehr verlangt das Gesetz von allen Versicherten, dass ein zumutbarer beruflicher Abstieg in Kauf genommen wird (grundlegend BSG, Urt. v. 20.1.1976 – 5/12 RJ 132/75, BSGE 41, 129 ff.; aus der Literatur z.B. Gürtner in: Rolfs/Körner/Krasney/Mutschler, BeckOGK-SGB [Kasseler], SGB VI, § 240 Rn. 82 [2018]; Reinhardt in: Reinhardt/Silber, SGB VI, 5. Aufl. 2021, § 240 Rn. 8). Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit bestimmt sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und dem von ihm aufgestellten sogenannten „Mehrstufenschema“ nach der Wertigkeit des Leitberufs, das heißt an dem zuletzt versicherungspflichtig ausgeübten Beruf (BSG, Urt. v. 14.5.1991 – 5 RJ 82/89, BSGE 68, 277 ff. m.z.w.N.; vgl. Nazarek in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl. 2021, § 240 Rn. 54 ff.). Das Mehrstufenschema unterteilt die Erwerbstätigen in Ungelernte, Angelernte (untere und obere Ebene), Facharbeiter und solche Facharbeiter, die Vorgesetztenfunktion haben oder besonderes hoch qualifiziert sind. Zur Gruppe der Facharbeiter gehören Arbeiter, die einen anerkannten Ausbildungsberuf im Sinne des Berufsbildungsgesetzes mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren absolviert und ausgeübt haben. Angelernte Arbeiter sind solche, die eine Berufsausbildung von bis zu zwei Jahren abgeschlossen und tatsächlich ausgeübt haben. Im Rahmen der sozialen Zumutbarkeit kann, ausgehend vom Hauptberuf, grundsätzlich nur auf Tätigkeiten der gleichen oder nächstniedrigeren Qualifikationsgruppe verwiesen werden. Die Verweisung Angelernter auf Berufe für Ungelernte ist grundsätzlich zulässig. Bei der Beurteilung des bisherigen Berufs als Ausgangspunkt der Prüfung sind prinzipiell auch Tätigkeiten zu berücksichtigen, die in P. als einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgeübt worden sind.

Ausgehend hiervon lässt sich der bisherige Beruf der Klägerin allerdings nicht einer Ebene des Mehrstufenschemas zuordnen, welche der Verweisung auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes entgegensteht, denn einzig nachgewiesen ist, dass die Klägerin einen dreimonatigen Kurs zur Schwester beim p. Roten Kreuz absolviert und anschließend als solche berufstätig war. Von diesem Beruf hat sich die Klägerin indes durch die Aufnahme einer Tätigkeit als Textil- und Modeschneiderin gelöst. Über eine Ausbildung zu diesem Beruf liegt jedoch – trotz Nachfrage bei der Klägerin – kein Zeugnis oder sonstiger Nachweis vor. Die anschließend in Deutschland ausgeübten Tätigkeiten vermitteln aufgrund ihrer Natur als Praktikum oder „Ein-Euro-Job“ keinen Berufsschutz im Sinne des § 240 SGB VI. Eine Ausbildung zur Altenpflegerin ist nicht nachgewiesen. Die Klägerin muss sich daher auch für die Zukunft auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen. Angesichts der Ausführungen der medizinischen Sachverständigen, denen sich dem Gericht nach eigener Prüfung der Sach-und Rechtslage anschließt, ist der Klägerin eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gesundheitlich zuzumuten. Ob es ihr gelingt, einen ihrem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz tatsächlich zu erlangen, ist für die Frage des Rentenanspruchs wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ohne Bedeutung. Insoweit ist auch nicht maßgeblich, ob die Klägerin aus Sicht der Agentur für Arbeit noch vermittelbar ist bzw. als solches angesehen wird.

Die Kostentscheidung beruht auf der Anwendung der §§ 183, 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind (vgl. § 160 SGG).

Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss über die Berufung der Klägerin entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hielt. Den Beteiligten ist hierzu Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt worden. Relevante Einwendungen wurden von keiner Seite erhoben.

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