Ein langjähriger Angestellter beantragte die Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Post-COVID, doch die Rentenversicherung lehnte eine Zahlung komplett ab. Obwohl die Gutachter eine Leistungsfähigkeit von sechs Stunden attestierten, sah das Gericht das Leistungsvermögen täglich auf unter drei Stunden begrenzt.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Post-COVID: Warum die Funktion wichtiger ist als die Diagnose
- Was genau war der Auslöser des Rechtsstreits?
- Welche rechtlichen Maßstäbe gelten für eine Erwerbsminderungsrente?
- Warum gab das Gericht der Frau Recht – und nicht der Rentenversicherung?
- Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche funktionellen Einschränkungen brauche ich für die volle Erwerbsminderungsrente bei Long-COVID?
- Welche medizinischen Gutachten beweisen mein Leistungsvermögen bei Post-COVID am besten?
- Was muss ich tun, wenn die Rentenversicherung meinen Antrag auf Rente wegen Post-COVID ablehnt?
- Wie lange wird meine Erwerbsminderungsrente befristet und kann ich sie verlängern lassen?
- Wie dokumentiere ich meine Post-COVID-Symptome, damit die Rentenversicherung sie anerkennen muss?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: S 20 R 671/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Sozialgericht Nordhausen
- Datum: 15.05.2025
- Aktenzeichen: S 20 R 671/23
- Verfahren: Klage auf Erwerbsminderungsrente
- Rechtsbereiche: Sozialrecht, Rentenversicherung, Erwerbsminderung
- Das Problem: Eine Klägerin forderte von der Rentenversicherung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund schwerer gesundheitlicher Probleme, insbesondere des Post-COVID-Syndroms. Die Rentenversicherung lehnte den Antrag ab, da sie die Klägerin für mindestens sechs Stunden täglich arbeitsfähig hielt.
- Die Rechtsfrage: Hat die Klägerin wegen der Gesamtwirkung ihrer Erkrankungen, insbesondere des schweren Post-COVID-Syndroms (Fatigue und kognitive Störungen), tatsächlich Anspruch auf volle Erwerbsminderungsrente?
- Die Antwort: Ja. Das Gericht sprach der Klägerin befristet eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Die eingeholten medizinischen Gutachten belegten, dass ihre Leistungsfähigkeit unter drei Stunden täglich liegt.
- Die Bedeutung: Das Urteil stärkt die Rechte von Betroffenen des Post-COVID-Syndroms. Das Gericht stellte klar, dass für die Rentenbeurteilung die dokumentierten funktionellen Einschränkungen zählen und nicht nur das Fehlen eindeutiger biologischer Marker.
Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Post-COVID: Warum die Funktion wichtiger ist als die Diagnose
Ein unsichtbares Leiden mit greifbaren Folgen: Das Post-COVID-Syndrom stellt Betroffene, Mediziner und das Sozialrecht vor immense Herausforderungen. Wenn Erschöpfung, Schmerzen und kognitive Störungen den Arbeitsalltag unmöglich machen, stellt sich eine existenzielle Frage: Besteht ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente?

In einem aufschlussreichen Urteil hat das Sozialgericht Nordhausen am 15. Mai 2025 (Az.: S 20 R 671/23) genau diese Frage bejaht. Die Entscheidung beleuchtet eindrücklich, worauf es bei der sozialrechtlichen Anerkennung ankommt – nicht auf einen eindeutigen Krankheitsnachweis, sondern auf die nachvollziehbare und umfassende Darstellung der funktionellen Einschränkungen.
Was genau war der Auslöser des Rechtsstreits?
Die Geschichte beginnt im Mai 2022. Eine 1987 geborene Frau, die seit einer COVID-19-Erkrankung im April 2021 unter einem komplexen Beschwerdebild leidet, beantragt bei der Deutschen Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsminderung. Sie fühlt sich durch eine Kombination aus körperlichen und psychischen Symptomen, darunter chronische Schmerzen, Asthma, schwere Erschöpfung (Fatigue) und Konzentrationsstörungen, nicht mehr in der Lage zu arbeiten.
Die Rentenversicherung lehnte den Antrag jedoch nur wenige Wochen später ab. Auch der anschließende Widerspruch der Frau blieb erfolglos. Nach Einholung eines psychiatrisch-psychosomatischen Gutachtens kam die Behörde im Juni 2023 zu dem Schluss, dass die Frau weiterhin in der Lage sei, leichte Arbeiten für mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Die diagnostizierten Leiden seien nicht schwerwiegend genug, um eine Rente zu rechtfertigen.
Unbeirrt von dieser Einschätzung erhob die Frau Klage vor dem Sozialgericht Nordhausen. Ihr Ziel war es, die Rentenversicherung zu verpflichten, ihr eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung rückwirkend ab dem Tag der Antragstellung zu gewähren. Damit verlagerte sich der Konflikt auf die richterliche Ebene, wo nun die entscheidende Frage geklärt werden musste: Wie stark schränken die dokumentierten Gesundheitsprobleme die Arbeitsfähigkeit der Klägerin wirklich ein?
Welche rechtlichen Maßstäbe gelten für eine Erwerbsminderungsrente?
Um die Entscheidung des Gerichts nachzuvollziehen, muss man die zentralen Spielregeln des deutschen Rentenrechts kennen. Der Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung ist im Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) geregelt und hängt im Kern von der verbliebenen täglichen Arbeitsfähigkeit ab.
Das Gesetz unterscheidet hier zwei Stufen:
- Volle Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI): Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
- Teilweise Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI): Teilweise erwerbsgemindert ist, wer zwar noch mindestens drei, aber weniger als sechs Stunden täglich arbeiten kann.
Eine Besonderheit stellt der sogenannte verschlossene Teilzeitarbeitsmarkt dar. Kann jemand zwar noch zwischen drei und sechs Stunden arbeiten, findet aber aufgrund seiner spezifischen gesundheitlichen Einschränkungen faktisch keinen passenden Teilzeitarbeitsplatz, kann er unter Umständen ebenfalls eine Rente wegen voller Erwerbsminderung erhalten.
Entscheidend ist zudem der Zeitpunkt des Rentenbeginns und eine mögliche Befristung. Eine Rente wird in der Regel nicht sofort ab Eintritt der Minderung gezahlt, sondern erst ab dem siebten Kalendermonat danach (§ 101 Abs. 1 SGB VI). Besteht eine realistische Chance, dass sich der Gesundheitszustand wieder bessert, wird die Rente nur befristet gewährt (§ 101 Abs. 2 SGB VI).
Warum gab das Gericht der Frau Recht – und nicht der Rentenversicherung?
Das Sozialgericht Nordhausen folgte nach einer umfassenden Beweisaufnahme der Argumentation der Klägerin. Die Richter stützten ihre Überzeugung auf eine sorgfältige Abwägung der vorliegenden medizinischen Gutachten und Befunde. Im Zentrum ihrer Analyse stand die Gesamtschau der funktionellen Beeinträchtigungen, die aus der Kombination der somatischen und psychischen Erkrankungen resultierten.
Der entscheidende Unterschied: Welches Gutachten zählte mehr?
Im Laufe des Verfahrens lagen dem Gericht mehrere Expertisen vor, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Ein vom Gericht beauftragter Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie kam zu dem Schluss, die Klägerin könne noch leichte Arbeiten für mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Dieses Gutachten stützte die Position der Rentenversicherung.
Demgegenüber stand jedoch ein psychiatrisch-psychosomatisches Gutachten, das bereits im Widerspruchsverfahren erstellt, aber von der Rentenversicherung anders bewertet wurde. Dieser Sachverständige diagnostizierte unter anderem eine rezidivierende depressive Störung, eine somatoforme Schmerzstörung und ein Post-COVID-Syndrom. Seine entscheidende Schlussfolgerung: Das Leistungsvermögen der Frau liegt bei unter drei Stunden täglich.
Diese Einschätzung wurde durch einen aktuellen Befundbericht des Universitätsklinikums Jena untermauert. Dort wurde bei der Frau eine schwere Ausprägung des Post-COVID-Syndroms mit ausgeprägter Fatigue, einer Belastungsintoleranz (Post-Exertional Malaise, PEM) sowie deutlichen neurokognitiven Störungen festgestellt. Neuropsychologische Tests zeigten Defizite in der Aufmerksamkeit, den Exekutivfunktionen und eine generelle Verlangsamung. Für das Gericht ergab sich aus diesen übereinstimmenden Einschätzungen ein schlüssiges und überzeugendes Gesamtbild. Die rein internistische Sichtweise, die die kognitiven und psychischen Aspekte nicht in dieser Tiefe erfasste, trat dahinter zurück.
Wie das Gericht das Argument der „mangelnden Objektivität“ entkräftete
Die Rentenversicherung hatte im Verfahren immer wieder die Belastbarkeit der psychiatrischen Diagnosen infrage gestellt. Sie argumentierte, die Befunde basierten hauptsächlich auf den subjektiven Angaben der Klägerin. Zudem seien neuropsychologische Tests von der Mitarbeit der Testperson abhängig und daher nicht ausreichend objektiv.
Diesem Argument erteilte das Gericht eine klare Absage. Es stellte fest, dass die Gutachten sich keineswegs nur auf Selbstauskünfte stützten, sondern auf eine Kombination aus klinischen Untersuchungen, Verhaltensbeobachtungen und standardisierten Testverfahren. Die bloße theoretische Möglichkeit, dass eine Testperson nicht voll mitarbeitet, entwerte nicht pauschal die Ergebnisse. Vielmehr sei es die Aufgabe des Gutachters, die Konsistenz der Angaben und Befunde zu bewerten. Im vorliegenden Fall ergab die Gesamtschau ein kohärentes Bild erheblicher Funktionseinschränkungen, das die Schlussfolgerungen der Sachverständigen trug.
Die Funktionseinschränkung zählt, nicht das Krankheits-Etikett
Ein zentraler Punkt in der Argumentation des Gerichts war die Klarstellung, dass es für den Rentenanspruch nicht auf die exakte medizinische Ursache oder das Vorhandensein eines eindeutigen Biomarkers für das Post-COVID-Syndrom ankommt. Die Rentenversicherung hatte implizit die wissenschaftliche Unsicherheit rund um dieses neue Krankheitsbild als Argument gegen einen Rentenanspruch angeführt.
Das Gericht betonte jedoch einen Grundpfeiler des Sozialrechts: Entscheidend ist nicht die Diagnose, sondern die daraus resultierende funktionelle Beeinträchtigung im Alltag und im Berufsleben. Ob die Symptome nun kausal und zweifelsfrei auf die SARS-CoV-2-Infektion zurückzuführen sind oder ob andere Faktoren eine Rolle spielen, ist für die Frage der Arbeitsfähigkeit zweitrangig. Solange die Einschränkungen – wie hier durch die Gutachten und Befunde nachvollziehbar belegt – bestehen und so gravierend sind, dass eine Erwerbstätigkeit von mindestens drei Stunden täglich nicht mehr möglich ist, sind die Voraussetzungen für eine volle Erwerbsminderungsrente erfüllt.
Warum die Rente nur befristet gewährt wurde
Obwohl das Gericht von einer vollen Erwerbsminderung ausging, sprach es die Rente nicht auf unbestimmte Zeit zu. Stattdessen wurde sie auf drei Jahre, vom 1. August 2024 bis zum 31. Juli 2027, befristet. Mit dieser Entscheidung trug das Gericht der Tatsache Rechnung, dass die medizinische Entwicklung, insbesondere bei einem so neuen Krankheitsbild wie Post-COVID, noch nicht abgeschlossen ist. Da die Klägerin sich in Behandlung befand und weitere therapeutische Maßnahmen geplant waren, sahen die Richter eine realistische Möglichkeit, dass sich ihr Gesundheitszustand in Zukunft bessern könnte. Die Befristung ist somit kein Misstrauen gegenüber der Klägerin, sondern eine gesetzeskonforme (§ 101 Abs. 2 S. 5 SGB VI) Anerkennung einer unsicheren Prognose, die eine spätere Neubewertung erforderlich macht.
Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?
Die Entscheidung des Sozialgerichts Nordhausen liefert über den Einzelfall hinaus wichtige Erkenntnisse für den Umgang mit komplexen und schwer objektivierbaren Krankheitsbildern im Sozialrecht.
Die wichtigste Lehre ist die Konzentration auf die funktionellen Auswirkungen einer Erkrankung. Für Versicherte bedeutet dies, dass der Fokus bei der Antragstellung und im weiteren Verfahren darauf liegen muss, die konkreten Einschränkungen im Alltag und bei der Arbeit detailliert und nachvollziehbar darzulegen. Es geht weniger darum, eine bestimmte Diagnose anerkannt zu bekommen, als vielmehr darum, zu beweisen, dass die Summe der Beschwerden eine Erwerbstätigkeit verhindert. Ärztliche Atteste und Gutachten sollten daher nicht nur Diagnosen auflisten, sondern präzise beschreiben, welche Tätigkeiten (Sitzen, Stehen, Konzentrieren, Heben etc.) wie lange nicht mehr möglich sind.
Zweitens unterstreicht das Urteil die immense Bedeutung von umfassenden und spezialisierten Gutachten. Bei Krankheitsbildern wie dem Post-COVID-Syndrom, die sowohl körperliche als auch psychische und kognitive Komponenten haben, greifen rein fachspezifische Gutachten (wie hier das internistische) oft zu kurz. Erst die interdisziplinäre Gesamtschau, insbesondere durch psychiatrisch-psychosomatische und neuropsychologische Expertisen, ermöglicht eine realistische Einschätzung der Leistungsfähigkeit. Das Gericht hat gezeigt, dass es bereit ist, einer solchen tiefgehenden Analyse mehr Gewicht beizumessen als einer isolierten Betrachtung einzelner Symptome.
Schließlich verdeutlicht die Befristung der Rente ein wesentliches Prinzip des Sozialstaats: Eine Erwerbsminderungsrente ist keine endgültige Entscheidung, sondern kann als Brücke in einer Phase schwerer Krankheit dienen. Sie sichert die Existenz, wenn Arbeit unmöglich ist, schließt aber eine zukünftige Besserung und eine mögliche Rückkehr ins Erwerbsleben nicht aus. Dies zeigt, dass das System flexibel auf unsichere medizinische Prognosen reagieren kann, ohne den Betroffenen den ihnen zustehenden Schutz zu verwehren.
Die Urteilslogik
Das Sozialrecht gewährt bei komplexen und schwer objektivierbaren Krankheitsbildern Schutz, indem es die festgestellte funktionelle Beeinträchtigung über die bloße Diagnose stellt.
- Funktionelle Beeinträchtigung zählt mehr als die Diagnose: Für den Anspruch auf Erwerbsminderungsrente zählt allein, wie stark die festgestellten Symptome die tägliche Arbeitsfähigkeit objektiv einschränken, nicht die Bezeichnung oder der eindeutige Nachweis der Grunderkrankung.
- Interdisziplinäre Gutachten geben den Ausschlag: Umfassende psychiatrisch-psychosomatische und neuropsychologische Expertisen bewerten die Gesamtheit körperlicher und kognitiver Störungen und erhalten Vorrang vor isolierten, rein fachspezifischen Betrachtungen.
- Konsistente Befunde objektivieren subjektive Leiden: Die Konsistenz von klinischen Beobachtungen, standardisierten Tests und Angaben der Betroffenen schafft ein kohärentes Bild erheblicher Funktionseinschränkungen und entkräftet das Argument der mangelnden Objektivität.
Die rechtliche Beurteilung muss die Komplexität moderner, interdisziplinärer Erkrankungen abbilden und Betroffenen einen effektiven Zugang zum sozialen Schutz sichern.
Benötigen Sie Hilfe?
Wurde Ihr Antrag auf Erwerbsminderungsrente wegen Long-COVID abgelehnt? Kontaktieren Sie uns für eine sachliche und vertrauensvolle rechtliche Ersteinschätzung Ihres Bescheids.
Experten Kommentar
Viele Betroffene hören immer wieder, ihre Symptome seien nur schwer objektivierbar und die Rente daher ein schwieriges Unterfangen. Dieses Urteil zieht eine klare rote Linie: Es geht nicht darum, den perfekten Biomarker für Post-COVID zu finden, sondern darum, die funktionellen Einschränkungen konsequent zu dokumentieren. Für die Rentenversicherung zählt am Ende die nachgewiesene Gesamtsumme der Beschwerden – vor allem die oft unterschätzten kognitiven Defizite, die durch Fatigue oder Schmerzen entstehen. Die Lehre daraus ist: Wer detailliert belegt, dass die Kombination körperlicher und geistiger Erschöpfung weniger als drei Stunden Arbeit zulässt, verschafft sich eine starke Position.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche funktionellen Einschränkungen brauche ich für die volle Erwerbsminderungsrente bei Long-COVID?
Die Rentenversicherung prüft nicht die Diagnose Long-COVID, sondern die daraus resultierende funktionelle Leistungsfähigkeit. Für die volle Erwerbsminderungsrente muss Ihre Restleistung dauerhaft auf unter drei Stunden täglicher Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt reduziert sein. Entscheidend ist der Nachweis, dass eine Kombination aus körperlicher Belastungsintoleranz und kognitiven Defiziten jede leichte Tätigkeit unmöglich macht.
Die rechtliche Grundlage bildet § 43 Abs. 2 SGB VI, der die Leistungsgrenze für die volle Erwerbsminderung klar bei drei Stunden zieht. Bei Post-COVID-Betroffenen sind oft die unsichtbaren, neurologischen Symptome am relevantesten, da diese die Konzentrationsfähigkeit zerstören. Gutachter fokussieren stark auf kognitive Funktionen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Exekutivfunktionen. Eine dokumentierte Verlangsamung und Konzentrationsschwäche, bekannt als Brain Fog, muss belegt werden, weil sie selbst monotone, leichte Büroarbeiten unzumutbar macht.
Der Nachweis der Belastungsintoleranz (Post-Exertional Malaise, PEM) ist ebenso kritisch für die Anerkennung der Rente. Sie müssen detailliert belegen, dass selbst minimale körperliche oder geistige Anstrengung eine schwere und verlängerte Zustandsverschlechterung auslöst. Konkret: Beschreiben Sie präzise, dass Sie nach 20 Minuten Konzentration oder Sitzen mehrere Stunden zur Regeneration benötigen. Nur wenn die Symptome eine regelmäßige Arbeitsfähigkeit von drei Stunden täglich dauerhaft ausschließen, ist die volle Rente gerechtfertigt.
Erstellen Sie eine detaillierte Liste, die Ihre Symptome wie Brain Fog mit messbaren, konkreten Alltagseinschränkungen verknüpft, um die Leistungsgrenze objektiv zu belegen.
Welche medizinischen Gutachten beweisen mein Leistungsvermögen bei Post-COVID am besten?
Bei Post-COVID-Erkrankungen sind interdisziplinäre Expertisen die beste Basis für einen Rentenanspruch, da sie die komplexen Leiden umfassend erfassen. Die Rentenversicherung beauftragt häufig Gutachten, die sich nur auf körperliche Aspekte konzentrieren und psychische oder kognitive Defizite vernachlässigen. Am überzeugendsten sind Expertisen, die körperliche, psychische und kognitive Aspekte zusammenführen, um die funktionellen Defizite objektiv nachzuweisen.
Kognitive Symptome wie „Brain Fog“ oder chronische Fatigue sind schwer zu objektivieren, aber juristisch hochrelevant. Gerichte benötigen die Expertise von Psychiatern oder Psychosomatikern, die häufig begleitende Diagnosen wie rezidivierende depressive Störungen erfassen. Neuropsychologische Tests sind essenziell, weil sie standardisierte Verfahren nutzen, um Verlangsamung oder Aufmerksamkeitsdefizite messbar zu machen. Dies belegt die mangelnde Konzentrationsfähigkeit für den Arbeitsmarkt sehr viel belastbarer als eine reine Selbstauskunft.
Gerichte legen besonderen Wert auf eine kohärente Gesamtschau aller Symptomkomplexe. Eine isolierte, rein fachspezifische Expertise, etwa nur aus der Inneren Medizin, greift bei der Beurteilung von Post-COVID-Patienten oft zu kurz. Fehlen objektive Belege für die kognitiven Einschränkungen oder die Belastungsintoleranz (PEM), stuft die DRV das Leistungsvermögen meist zu hoch ein. Die umfassende interdisziplinäre Gesamtschau verhindert, dass Ihr Leiden als rein subjektiv abgetan wird.
Besprechen Sie mit Ihrem Neurologen oder Psychiater, ob standardisierte neuropsychologische Testverfahren zur objektiven Messung Ihrer kognitiven Defizite durchgeführt werden können.
Was muss ich tun, wenn die Rentenversicherung meinen Antrag auf Rente wegen Post-COVID ablehnt?
Wenn Ihr Antrag auf Rente wegen Post-COVID abgelehnt wird, müssen Sie zunächst form- und fristgerecht Widerspruch bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) einlegen. Nehmen Sie die Begründung der Behörde niemals einfach hin. Sollte die DRV den Widerspruch ebenfalls ablehnen, leiten Sie den entscheidenden Schritt ein: die Klage vor dem zuständigen Sozialgericht.
Der Widerspruch ist ein Pflichtschritt im sozialrechtlichen Verfahren und dient dazu, die fehlerhafte Bewertung der DRV direkt anzugreifen. Die Ablehnung stützt sich oft auf interne Gutachten, die kognitive oder psychische Beeinträchtigungen nicht ausreichend berücksichtigen. Nutzen Sie diese Phase, um präzise darzulegen, wo die DRV die funktionellen Einschränkungen – wie Fatigue oder Brain Fog – falsch gewichtet hat. Holen Sie zusätzliche Befunde ein, die Ihre subjektiven Angaben objektivieren und die Argumentation vorbereiten.
Die Klage vor dem Sozialgericht verlagert den Konflikt auf eine neutrale, richterliche Ebene. Nur das Gericht kann eine unabhängige Beweisaufnahme anordnen und gerichtlich bestellte, interdisziplinäre Sachverständige beauftragen. Konkret zeigte der Fall in Nordhausen, dass die Klägerin trotz eines erfolglosen Widerspruchs unbeirrt Klage erhob. Diese richterliche Prüfung ist bei komplexen, schwer objektivierbaren Krankheitsbildern wie Post-COVID essenziell, da dort eine Gesamtschau aller funktionellen Beeinträchtigungen gewürdigt wird.
Ziehen Sie bei Ablehnung unbedingt einen Fachanwalt für Sozialrecht hinzu, um Ihre Argumentation zur funktionellen Einschränkung wasserdicht zu formulieren.
Wie lange wird meine Erwerbsminderungsrente befristet und kann ich sie verlängern lassen?
Ihre Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) wird bei einem neuen und medizinisch schwer einschätzbaren Krankheitsbild wie Post-COVID in der Regel befristet gewährt. Die Befristung erfolgt, weil die Deutsche Rentenversicherung (DRV) eine Besserung Ihres Gesundheitszustands nicht pauschal ausschließen kann. Meistens wird die Rente für die Dauer von maximal drei Jahren zugesprochen. Eine Verlängerung ist jedoch möglich, wenn Sie rechtzeitig nachweisen, dass Ihre Leistungseinschränkung unverändert anhält.
Die Befristung ist im Sozialgesetzbuch (SGB VI) geregelt und dient der regelmäßigen Überprüfung, ob die medizinischen Voraussetzungen weiterhin vorliegen. Die Rentenzahlung beginnt dabei mit dem siebten Kalendermonat nach dem Eintritt der Minderung. Da die Prognose bei Post-COVID oft unsicher ist und therapeutische Erfolge nicht ausgeschlossen werden können, nutzt die DRV diesen Mechanismus. Ziel ist es, nach Ablauf der Frist festzustellen, ob Ihre Leistung weiterhin auf unter drei Stunden täglich beschränkt ist.
Um eine nahtlose Verlängerung zu gewährleisten, müssen Sie proaktiv werden. Etwa drei bis sechs Monate vor dem offiziellen Ende der Befristung stellen Sie einen neuen Antrag auf Weitergewährung. Dieser Prozess ist im Grunde ein Wiederholungsverfahren, bei dem Sie aktuelle Befunde und ärztliche Berichte vorlegen müssen. Nur der zeitgerechte Nachweis, dass Ihre funktionelle Leistungsfähigkeit – etwa wegen anhaltender Post-Exertional Malaise (PEM) oder kognitiver Defizite – unverändert ist, sichert die Fortzahlung der Erwerbsminderungsrente.
Setzen Sie sich einen Termin sechs Monate vor Ablauf der Befristung in Ihren Kalender, um mit dem Sammeln aktueller, beweisstarker medizinischer Unterlagen zu beginnen.
Wie dokumentiere ich meine Post-COVID-Symptome, damit die Rentenversicherung sie anerkennen muss?
Viele Versicherte befürchten, dass die Rentenversicherung ihre Post-COVID-Symptome als rein subjektiv abtun wird. Um dies zu vermeiden, müssen Sie Ihre Beschwerden konsistent mit messbaren, funktionellen Leistungseinschränkungen im Alltag verknüpfen. Das Ziel ist es, die subjektiven Schilderungen durch objektive klinische Befunde wie neuropsychologische Tests oder ärztliche Verhaltensbeobachtungen zu stützen. Diese Methode hilft, Ihre Einschränkungen in eine Sprache zu übersetzen, die Gutachter und Gerichte verstehen.
Die Rentenversicherung und später das Sozialgericht legen größten Wert auf die Konsistenz Ihrer Aussagen über Jahre hinweg. Widersprüche zwischen den Angaben gegenüber Ihrem Hausarzt, Fachärzten und Gutachtern gefährden Ihre Glaubwürdigkeit und damit den Anspruch. Beschreiben Sie daher präzise die Konsequenz der Diagnose: Welche Tätigkeiten – Sitzen, Stehen oder Konzentrieren – sind wie lange nicht mehr möglich? Die funktionale Detailtiefe muss belegen, dass die Leistungsgrenze von drei Stunden täglich unterschritten wird.
Gerichte bewerten die Qualität der Dokumentation sehr genau, da sie nicht nur auf Selbstauskünften basieren darf. Das Sozialgericht Nordhausen akzeptierte die Befunde, weil Gutachter die Angaben durch klinische Beobachtungen objektivierten. Notieren Sie deswegen präzise Zeitangaben. Verwenden Sie statt vager Formulierungen wie „Ich bin oft müde“ die präzise Beschreibung: „Nach 30 Minuten Konzentration musste ich eine 45-minütige Zwangspause einlegen.“ Dies belegt die objektiv messbare Leistungsgrenze.
Führen Sie ab sofort ein detailliertes Aktivitäts- und Belastungsprotokoll, das dokumentiert, welche spezifische Tätigkeit zu einer Verschlechterung (Post-Exertional Malaise, PEM) geführt hat und wie lange die absolute Erholungszeit dauerte.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Befristung der Rente
Juristen nennen das die Befristung der Rente, wenn die Rentenversicherung die Auszahlung der Erwerbsminderungsrente zeitlich limitiert, weil medizinisch eine Besserung des Gesundheitszustands nicht ausgeschlossen werden kann.
Das Gesetz regelt diesen Mechanismus (§ 101 Abs. 2 SGB VI), um eine regelmäßige Überprüfung der medizinischen Voraussetzungen zu garantieren, ohne den Betroffenen den sofortigen Schutz zu verwehren.
Beispiel: Obwohl das Gericht der Klägerin Recht gab, ordnete es die Befristung der Rente auf drei Jahre an, da die Prognose des Post-COVID-Syndroms noch unsicher war und therapeutische Erfolge möglich erschienen.
Beweisaufnahme
Die Beweisaufnahme ist der zentrale Teil eines gerichtlichen Verfahrens, in dem das Gericht alle relevanten Tatsachenfeststellungen durch Zeugen, Urkunden und Gutachten objektiv klärt.
Durch die Beweisaufnahme erhält das Gericht die notwendige Entscheidungsgrundlage; sie dient dazu, die von den Parteien aufgestellten Behauptungen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.
Beispiel: Im Verfahren vor dem Sozialgericht Nordhausen war die umfassende Beweisaufnahme, insbesondere die Einholung neuer interdisziplinärer Sachverständigengutachten, entscheidend für den Ausgang der Klage.
Funktionelle Einschränkungen
Mit funktionellen Einschränkungen meinen Sozialrichter die tatsächlichen Auswirkungen einer Krankheit auf die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit eines Menschen im Alltag und Berufsleben.
Dieses sozialrechtliche Prinzip stellt klar: Nicht die bloße Diagnose (das „Etikett“) entscheidet über den Rentenanspruch, sondern ausschließlich, wie stark die Summe der Beschwerden die tägliche Arbeitsleistung reduziert.
Beispiel: Das Gericht stellte bei der Klägerin fest, dass die Kombination aus kognitiven Defiziten und Fatigue zu so gravierenden funktionellen Einschränkungen führte, dass die Drei-Stunden-Grenze für die volle Erwerbsminderungsrente klar unterschritten wurde.
Post-Exertional Malaise (PEM)
Post-Exertional Malaise, oft nur PEM genannt, beschreibt in der Medizin eine pathologische Belastungsintoleranz, bei der selbst minimale körperliche oder geistige Anstrengung eine unverhältnismäßig schwere und verlängerte Zustandsverschlechterung auslöst.
Für die Beurteilung der Erwerbsminderung ist die PEM ein kritisches Indiz, da sie die Fähigkeit des Patienten zu regelmäßiger, planbarer Arbeit massiv untergräbt und somit die Restleistung objektiv reduziert.
Beispiel: Um eine nahtlose Verlängerung der befristeten Rente zu gewährleisten, muss die Klägerin aktuell nachweisen, dass die Symptome der Post-Exertional Malaise unverändert anhalten und die kognitive Belastbarkeit dauerhaft einschränken.
Volle Erwerbsminderung
Juristen sprechen von der vollen Erwerbsminderung, wenn Versicherte aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht mehr in der Lage sind, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 SGB VI).
Das Sozialrecht gewährt hiermit einen existenziellen Schutz, wenn die Arbeitsfähigkeit irreversibel so weit reduziert ist, dass eine Rückkehr in den regulären Arbeitsmarkt nicht absehbar ist.
Beispiel: Wegen der schweren Fatigue und der neurokognitiven Störungen durch das Post-COVID-Syndrom erkannte das Sozialgericht bei der Klägerin die volle Erwerbsminderung an und verpflichtete die Rentenversicherung zur Rentenzahlung.
Verschlossener Teilzeitarbeitsmarkt
Der verschlossene Teilzeitarbeitsmarkt ist eine spezielle sozialrechtliche Fiktion, bei der Versicherte trotz einer Restleistung von drei bis unter sechs Stunden täglich die volle Erwerbsminderungsrente erhalten, weil sie faktisch keinen passenden Teilzeitarbeitsplatz finden.
Diese Sonderregelung soll Härten vermeiden, wenn spezifische Einschränkungen die Vermittelbarkeit so stark behindern, dass der theoretische Teilzeitarbeitsmarkt für den Betroffenen nicht zugänglich ist.
Beispiel: Der Sonderfall des verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes wurde im vorliegenden Urteil irrelevant, da die Gutachten die Leistungsfähigkeit der Klägerin eindeutig auf unter drei Stunden täglich festlegten.
Das vorliegende Urteil
SG Nordhausen – Az.: S 20 R 671/23 – Urteil vom 15.05.2025
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Ich bin Dr. Christian Gerd Kotz, Rechtsanwalt und Notar in Kreuztal. Als Fachanwalt für Verkehrs- und Versicherungsrecht vertrete ich Mandant*innen bundesweit. Besondere Leidenschaft gilt dem Sozialrecht: Dort analysiere ich aktuelle Urteile und erkläre praxisnah, wie Betroffene ihre Ansprüche durchsetzen können. Seit 2003 leite ich die Kanzlei Kotz und engagiere mich in mehreren Arbeitsgemeinschaften des Deutschen Anwaltvereins.


