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Ruhen Arbeitslosengeldanspruch bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags?

Landessozialgericht Hessen – Az.: L 7 AL 181/11 – Urteil vom 22.06.2012

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. September 2011 (S 3 AL 302/10) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Arbeitslosengeld erst ab 24. Dezember 2010 zu gewähren ist.

II. Die Beklagte hat auch die der Klägerin entstandenen notwendigen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs der Klägerin im Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis 30. März 2011 wegen der Zahlung einer Entlassungsentschädigung.

Die 1954 geborene Klägerin war in der Zeit vom 18. April 1995 bis 30. September 2010 in einem Call-Center, welches zunächst von der XY. AG und später von der XY. Service-Center B-Stadt GmbH in B-Stadt betrieben wurde, zuletzt als freigestellte Betriebsratsvorsitzende, beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestand zunächst mit der XY. AG und später nach einem Betriebsübergang gemäß § 613 a BGB zu der XY. Service-Center B-Stadt GmbH – einer hundertprozentigen Tochter der XY. AG. Dieses Beschäftigungsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag vom 30. März 2010 zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 75.060,00 Euro mit Ablauf des 30. September 2010 beendet. Am 29. Juli 2010 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.

Ruhen Arbeitslosengeldanspruch bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags?
Symbolfoto: Von Mathias Rosenthal /Shutterstock.com

Durch Bescheid vom 30. September 2010 stellte die Beklagte den Eintritt einer 12-wöchigen Sperrzeit im Zeitraum vom 1. Oktober bis 23. Dezember 2010 fest und führte zur Begründung aus, die Klägerin habe ihr Beschäftigungsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages selbst gelöst. Unerheblich sei, ob die Initiative zum Abschluss des Aufhebungsvertrages von ihr oder dem ehemaligen Arbeitgeber ausgegangen sei. Entscheidend sei, dass der Aufhebungsvertrag ohne die Zustimmung der Klägerin nicht zu Stande gekommen wäre. Sie habe voraussehen müssen, dass sie dadurch arbeitslos werde. Ein wichtiger Grund für das Verhalten sei nicht mitgeteilt worden.

Durch weiteren Bescheid vom 30. September 2010 stellte die Beklagte den Eintritt des Ruhens des Arbeitslosengeldbezuges im Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis 30. März 2011 fest und führte zur Begründung aus, die Klägerin habe eine Abfindung in Höhe von 75.060,00 Euro erhalten. Der Anspruch ruhe, da der Arbeitgeber ihr nur bei Zahlung einer Abfindung hätte ordentlich kündigen können. Hiermit werde sie so behandelt, als hätte sie eine Kündigungsfrist von 12 Monaten. Diese Frist sei nicht eingehalten worden, so dass Leistungen erst nach dem Ruhenszeitraum erhalten werden könnten.

Gegen beide Bescheide ließ die Klägerin durch Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 28. Oktober 2010 Widerspruch einlegen. Unter Verweis auf den zwischen der XY. Service-Center B-Stadt GmbH und ihrem Betriebsrat unter dem 15. Februar 2010 vereinbarten Interessenausgleich sowie Sozialplan und den darin in Bezug genommenen Tarifvertrag Schutzabkommen sowie die ebenfalls unter dem 15. Februar 2010 zwischen der XY. Service-Center B-Stadt GmbH und ihrem Betriebsrat geschlossene Betriebsvereinbarung werde erkennbar, dass seitens der Arbeitgeberin der Klägerin beabsichtigt war, die Betriebstätigkeit in B-Stadt vollständig einzustellen, mit der Folge, dass ein weiterer Einsatz der Arbeitnehmer bundesweit nur an anderen Orten möglich gewesen sei. Im Falle der Vermittlung eines solchen Arbeitsplatzes, der nach den betriebsinternen Bedingungen als zumutbar gegolten hätte, wäre gemäß § 2 Abs. (3) des Sozialplans jeder Abfindungsanspruch entfallen. Zudem lebe die Klägerin im Hause ihrer damals 76 und 78 Jahre alten Eltern, die zunehmend pflegebedürftig würden und auf ihre Versorgung und Unterstützung angewiesen wären. Insofern habe die Klägerin von Anfang an absehen können, dass sie nicht an einem weit entfernten anderen Ort arbeiten könne und habe vor diesem Hintergrund den Aufhebungsvertrag akzeptiert. Diese Umstände seien als wichtiger Grund im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III zu beurteilen, so dass die Voraussetzungen für eine Sperrzeit nicht gegeben seien. Zudem sei festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages am 30.03.2010 ordentlich unter Einhaltung der tarifvertraglich bestehenden Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Quartalsende kündbar gewesen sei. Diese Kündigungsfrist sei bei Abschluss des Aufhebungsvertrages eingehalten worden, so dass ein Ruhen des Arbeitslosengeldes nach § 143 a SGB III nicht in Betracht komme.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2010 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin bezüglich der Sperrzeit mit der Begründung zurück, die Klägerin habe das Beschäftigungsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages aufgelöst, ohne eine konkrete Aussicht auf eine unmittelbar anschließende Dauerbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber gehabt zu haben. Somit sei die Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt worden. Ein wichtiger Grund hierfür liege nicht vor. Zutreffend sei, dass der XY-Konzern die Schließung des XY. Service-Centers in B-Stadt zum 30. September 2010 beschlossen hatte. Eine arbeitgeberseitige Kündigung zu diesem Zeitpunkt sei jedoch nicht erfolgt bzw. hätte auch unter Beachtung der einfachen Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Vierteljahresschluss nicht zum 30. September 2010 erfolgen können. Denn bevor eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen worden wäre, hätte der XY-Konzern im sogenannten Clearingverfahren für die Mitarbeiter eine andere (zumutbare) Beschäftigung im Konzernverbund gesucht. Alternativ sei die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2010 durch Zustimmung zu einem Aufhebungsvertrag unter Zahlung einer Abfindung mit der so genannten „Turboprämie“ angeboten worden. Die Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages sei bis 30. März 2010 angeboten worden. In das anschließende Clearingverfahren seien nur Mitarbeiter aufgenommen worden, welche sich nicht bis zum 30. März 2010 zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages entschlossen hätten. Das Clearingverfahren hätte im Laufe des Aprils 2010 erfolgen sollen. Hätte im Clearingverfahren ein zumutbarer Arbeitsplatz durch den XY-Konzern nicht angeboten werden können, wäre dann eine arbeitgeberseitige Kündigung erfolgt. Folglich hätte der Arbeitgeber keine betriebsbedingten Kündigungen zum 30. September 2010 ausgesprochen bzw. aussprechen können. Solche wären frühestens zum 31. Dezember 2010 möglich gewesen. Durch die Zustimmung zu dem Aufhebungsvertrag habe die Klägerin den Eintritt der Arbeitslosigkeit zu einem Zeitpunkt selbst verursacht, zu dem dieser bei Abwarten der arbeitgeberseitigen Kündigung nicht eingetreten wäre. Es seien auch keine Gründe erkennbar, welche das Abwarten einer Kündigung durch den Arbeitgeber unzumutbar gemacht hätten. Allein der Vorteil, zu der nach dem Sozialplan zustehenden Abfindung eine zusätzliche Prämie zu erhalten, lasse in der Zustimmung zu dem Aufhebungsvertrag einen wichtigen Grund nicht erkennen.

Durch Widerspruchsbescheid vom 26. November 2010 wies die Beklagte auch den Widerspruch bezüglich des Ruhens zurück. Der Arbeitgeber wende den Tarifvertrag zum Schutz von Mitarbeitern im Konzern der XY. (TV Schutz) an. Nach § 6 Abs. 5 des Tarifvertrages seien Arbeitnehmer mit mindestens 15 Jahren Beschäftigungszeit unkündbar. Eine Öffnungsklausel bestehe nicht. Arbeitnehmer, welche noch nicht mindestens 15 Jahre beschäftigt waren, seien nach §§ 6 Abs. 1 und 2 des Tarifvertrages besonders kündigungsgeschützt. Für diese Arbeitnehmer bestehe eine tarifliche Öffnungsklausel, die den Arbeitgeber berechtige zu kündigen, wenn er keinen zumutbaren Arbeitsplatz innerhalb des Konzerns anbieten könne oder wenn der Arbeitnehmer eine Weiterbeschäftigung pauschal ablehne. Wäre das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers mit weniger als 15 Jahren Betriebszugehörigkeit aufgrund eines in der tariflichen Öffnungsklausel benannten Sachverhalts beendet, betrage die fiktive Kündigungsfrist 1 Jahr, wenn der Arbeitnehmer eine Abfindung erhalte. Die Klägerin sei noch keine 15 Jahre bei dem XY-Konzern beschäftigt gewesen. Sie habe auf das so genannte Clearingverfahren verzichtet und dadurch Anspruch auf eine zusätzliche Prämie erhalten. Folglich gelte die Kündigungsfrist von 12 Monaten, weil die Klägerin durch die Zustimmung zum Aufhebungsvertrag auf den besonderen Kündigungsschutz verzichtet und eine Abfindung erhalten habe.

Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 26. November 2010 bezüglich des Ruhens wegen Zahlung einer Entlassungsentschädigung richtet sich die am 23. Dezember 2010 bei dem Sozialgericht Kassel (SG) eingegangene Klage. Sie sei, so die Begründung der Klägerin, nicht zeitlich unbefristet unkündbar gewesen, so dass § 6 Abs. 5 TV-Schutz auf sie keine Anwendung finden würde. Als Mitglied des Betriebsrats sei bei ihr die ordentliche Kündigung zeitlich befristet ausgeschlossen gewesen. Darüber hinaus habe der Manteltarifvertrag vom 18. November 2004 für die Service-Center B-Stadt GmbH als speziellerer Tarifvertrag den TV-Schutz der XY. AG abgelöst. Dieser regele die Kündigungsfristen abschließend in § 25. Hiernach gelte für sie eine Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres. Diese Frist sei bei Abschluss des Aufhebungsvertrages eingehalten worden, so dass ein Ruhen nicht in Betracht komme.

Die vom SG Kassel im Rahmen seiner Sachermittlungen von Amts wegen im Parallelverfahren (bzgl. Feststellung einer Sperrzeit) mit dem Aktenzeichen S 3 AL 301/10 an die XY. Service-Center B-Stadt GmbH mit Schreiben vom 28. Dezember 2010 gestellten Fragen wurden von dort unter dem 11. Januar 2011 wie folgt beantwortet:

1. Wie viele Mitarbeiter waren bei ihnen beschäftigt? Antwort: Im Januar 2010 waren 176 Mitarbeiter bei der XY. Service-Center B-Stadt GmbH beschäftigt.

2. Wie viele hiervon haben auf Grundlage der Betriebsvereinbarung vom 15. Februar 2010 einen Aufhebungsvertrag geschlossen? Antwort: Auf Grundlage der Betriebsvereinbarung vom 15. Februar 2010 haben 131 Beschäftigte einen Aufhebungsvertrag geschlossen.

3. Wie viele Mitarbeiter sind in das Clearingverfahren gegangen? Antwort: 25 Beschäftigte haben sich für das Clearingverfahren entschieden.

4. Welche konkreten Arbeitsplätze an welchen Standorten mit welchen Aufgaben hätten für diese Mitarbeiter konkret zur Verfügung gestanden? Antwort: Die Frage, welche Arbeitsplätze an welchen Standorten mit welchen Aufgaben zur Verfügung gestanden hätten, kann in dieser Form nicht beantwortet werden, da dies nicht Gegenstand des Verfahrens war. Im Rahmen der Vereinbarungen zum Interessenausgleich und Sozialplan wurde zusätzlich die „Betriebsvereinbarung zum freiwilligen Ausscheiden“ geschlossen, um den Mitarbeitern eine Alternative zum Clearingverfahren zu bieten. Die Mitarbeiter hätten innerhalb der Frist die Möglichkeit gehabt, sich entweder für den Aufhebungsvertrag gemäß der Betriebsvereinbarung oder für die Aufnahme in das Clearingverfahren zu entscheiden. Ob konkret Arbeitsplätze innerhalb des Konzerns zur Verfügung gestanden hätten, sei nicht geprüft worden. Die Suche nach konkreten alternativen Arbeitsplätzen habe für die Mitarbeiter, die sich gegen einen Aufhebungsvertrag und für das Clearingverfahren entschieden haben, im April 2010 begonnen. Als Vorbereitung für den Vermittlungsprozess sei für diesen Mitarbeiterkreis eine mit dem Betriebspartner abgestimmte, anonymisierte Qualifikationsliste erstellt worden. Im Anschluss hieran sei die Vermittlungstätigkeit aufgenommen worden.

Auf weitere Anfrage des SG teilte das XY. Service-Center B-Stadt unter dem 10. Februar 2011 mit, dass es neue/alternative Beschäftigungsmöglichkeiten im Umkreis von 100 km nicht gäbe. Die regional nächstmöglichen Standorte, bei denen abstrakt ein Einsatz in Frage käme, befänden sich in JT. bzw. BG..

Nachdem der Schriftwechsel aus dem Verfahren S 3 AL 301/10 zum Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits gemacht wurde, hat das SG mit Urteil vom 26. September 2011 den Bescheid der Beklagten vom 30. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2010 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld in gesetzlichem Umfang zu gewähren. Die Beklagte habe zu Unrecht das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs aufgrund Zahlung einer Entlassungsentschädigung festgestellt. Anders als die Beklagte meine, sei die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin durch den Arbeitgeber nicht zeitlich unbegrenzt ausgeschlossen gewesen. Unzutreffenderweise leite sie dies aus § 6 Abs. 5 des Abkommens zum Schutz der Mitarbeiter im XY-Konzern vor nachteiligen Folgen aus Rationalisierungsmaßnahmen (Tarifvertrag Schutzabkommen) i.d.F. vom 1. Oktober 1995 her. Nach dieser Vorschrift bleibe die Kündigung eines Mitarbeiters gleichwohl ausgeschlossen, wenn eine Maßnahme nach §§ 3 und 4 bewirkt, dass der bisherige Arbeitsplatz eines Mitarbeiters, der eine Beschäftigungszeit von 15 Jahren vollendet hat, entfällt. Bei dieser Vorschrift handele es sich nicht um eine tarifvertragliche Regelung, die Unkündbarkeit herstelle. Vielmehr handele es sich bei der Vorschrift um eine Spezialregelung, die lediglich klarstelle, dass es auch im Falle einer Betriebsänderung bei der im Manteltarifvertrag geregelten Unkündbarkeit bleiben solle und nicht etwa ausnahmsweise eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit der XY. eröffnet werde (so explizit BAG v. 17. September 1998, 2 AZR 419/97, AP Nr. 148 zu § 626 BGB; BAG v. 10. Mai 2007, 2 AZR 626/05, AP Nr. 1 zu § 626 BGB Unkündbarkeit). Auch aus dem anwendbaren Manteltarifvertrag folge nicht, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin arbeitgeberseitig unkündbar gewesen wäre. Vielmehr ergebe sich aus § 25 Abs. 2 6. Alt. Manteltarifvertrag für die XY. Service-Center B-Stadt GmbH vom 31. Dezember 2004, der auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin nach dem Betriebsübergang zum 1. Januar 2005 wirksam geworden sei, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit 6 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres kündbar gewesen sei. Mit dem Betriebsübergang sei die Klägerin aus dem Geltungsbereich des vorher geltenden Manteltarifvertrags Z. ausgeschieden. Zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs sei die Klägerin noch keine 15 Jahre bei der XY. AG beschäftigt gewesen, so dass Unkündbarkeit nicht vorgelegen habe. Mithin sei die Beklagte zu Unrecht von einem zeitlich unbegrenzten Ausschluss der ordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber ausgegangen. Weiterhin zu Unrecht sei die Beklagte davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich kündbar gewesen sei, so dass nach § 143a Abs. 1 S. 4 SGB III eine fiktive Kündigungsfrist von einem Jahr gegolten hätte. Vielmehr sei die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber nach § 6 TV-Schutz sowie nach § 15 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) zeitlich begrenzt ausgeschlossen gewesen. Somit sei, bei einem zeitlich begrenzten Ausschluss der Möglichkeit des Arbeitgebers ordentlich zu kündigen, im Sinne von § 143a Abs. 1 S. 3 Nr. 2 SGB III von der Kündigungsfrist auszugehen gewesen, die ohne den Ausschluss der ordentlichen Kündigung maßgebend gewesen wäre, also im vorliegenden Fall nach dem Manteltarifvertrag für die XY. Service-Center B-Stadt GmbH von 6 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres (§ 25 Abs. 2 6. Alt.). Diese Kündigungsfrist sei bei Abschluss des Aufhebungsvertrages am 30. März 2010 mit dem 30. September 2010 eingehalten worden, so dass der Arbeitslosengeldanspruch der Klägerin nicht wegen Zahlung einer Entlassungsentschädigung zum Ruhen gekommen sei.

Gegen das der Beklagten am 18. Oktober 2011 zugestellte Urteil hat diese am 17. November 2011 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zu Unrecht habe das SG Kassel angenommen, es liege ein Anwendungsfall des § 143a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB III vor. Maßgebend sei vielmehr § 143a Abs. 1 Satz 4 SGB III. Danach ruhe der Anspruch, wenn nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung gekündigt werden könne. Zwar lasse sich vorliegend den tariflichen Regelungen nicht unmittelbar entnehmen, dass die Zahlung der Abfindung Voraussetzung für die Kündbarkeit sei. Die Abfindung sei jedoch im Sozialplan vorgesehen gewesen, was – unter Verweis auf die Entscheidung des BSG vom 29. Januar 2001 – B 7 AL 62/99 R – vorliegend genüge.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. September 2011 (S 3 AL 302/10) aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung wird auf die ihrer Auffassung nach überzeugenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil verwiesen. Zum Einen handele es sich sehr wohl um einen Anwendungsfall des § 143a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB III, zum Anderen wäre auch – bei Einhaltung des vorgesehenen Verfahrens – eine Kündigung durch den Arbeitgeber ohne jeglichen Abfindungsanspruch möglich gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig aber unbegründet.

Das SG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung den Ruhensbescheid der Beklagten vom 30. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2010 aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung von Arbeitslosengeld in gesetzlichem Umfang verurteilt, denn ein Ruhenszeitraum vom 1. Oktober 2010 bis 30. März 2011 ist – jedenfalls wegen Zahlung einer Entlassungsentschädigung – nicht eingetreten. Insoweit verweist der Senat wegen der Einzelheiten gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die überzeugenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils. Klarstellend ist hinsichtlich des Tenors der erstinstanzlichen Entscheidung jedoch darauf hinzuweisen, dass bei der Gewährung des Arbeitslosengeldes zu beachten ist, dass der Anspruch bis 23. Dezember 2010 wegen des Eintritts einer Sperrzeit ruht (vgl. Parallelentscheidung des Senats – L 7 AL 186/11 – vom heutigen Tag), so dass eine Zahlung erst ab 24. Dezember 2010 in Betracht kommt.

Auch aus dem Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren lässt sich keine andere Entscheidung rechtfertigen. Hat der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen und ist das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden, so ruht der Anspruch auf Alg von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte, § 143a Abs. 1 Satz 1 SGB III in seiner bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung (künftig „a.F.“). Diese Frist beginnt mit der Kündigung, die der Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraus- gegangen ist, bei Fehlen einer solchen Kündigung mit dem Tage der Vereinbarung über die Beendigung (§ 143a Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F.).

Die Ruhensvoraussetzungen lagen hier auch zur Überzeugung des Senats nicht vor. Die Klägerin hat mit ihrem früheren Arbeitgeber am 30. März 2010 einen Aufhebungsvertrag geschlossen und das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 30. September 2010 beendet. Die ordentliche Kündigungsfrist betrug – wie das SG zutreffend hergeleitet hat – 6 Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres. Ausgehend von dem Fristbeginn am 30. März 2010 (vgl. § 143a Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F.) ist damit die ordentliche Kündigungsfrist mit dem 30. September 2010 eingehalten worden, so dass der Arbeitslosengeldanspruch der Klägerin nicht wegen Zahlung einer Entlassungsentschädigung zum Ruhen gekommen ist.

Ein Ruhen ergibt sich zur Überzeugung des Senats auch nicht aus der Regelung des § 143a Abs. 1 Satz 4 SGB III a.F. Danach gilt eine Kündigungsfrist von einem Jahr, wenn dem Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden kann. Dass der Klägerin ausschließlich bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung hätte ordentlich gekündigt werden können, lässt sich jedoch den Regelungen des Sozialplans vom 15. Februar 2010 gerade nicht entnehmen. So sieht schon die Ausschlussnorm des § 2 (3) des Sozialplans vor, dass diejenigen Mitarbeiter keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialplan haben, denen ein zumutbarer Arbeitsplatz angeboten wird und die diesen ablehnen. Diesen Mitarbeitern kann damit auch ohne Zahlung einer Entlassungsentschädigung (im Sinne von § 6 des Sozialplans) ordentlich gekündigt werden. Ob der Klägerin ein zumutbarer Arbeitsplatz hätte angeboten werden können, war jedoch zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages am 30. März 2010 noch überhaupt nicht abschließend geprüft worden und somit auch keinesfalls ausgeschlossen.

Nichts anderes lässt sich nach Auffassung des Senats aus der von der Beklagten im Rahmen der Berufungsbegründung in Bezug genommen Entscheidung des BSG vom 29. Januar 2001 – B 7 AL 62/99 R – ableiten. In dieser – noch zur Vorgängervorschrift des § 117 Arbeitsförderungsgesetz ergangenen – Entscheidung führt das BSG u.a. aus (in juris: Ziffer 25 Satz 3 u. 4): „ Sind aber für den Arbeitgeber – realisierbare – alternative Möglichkeiten der ordentlichen Kündigung auch ohne Abfindung eröffnet, so ist die Anwendung des § 117 Abs. 2 Satz 4 AFG ausgeschlossen, mit der Folge, dass bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist ein Ruhen des Alg-Anspruchs nicht in Betracht kommt. Erfasst werden sollen nach der Entstehungsgeschichte der Regelung des § 117 Abs. 2 Satz 4 AFG vor allem Fälle der vorliegenden Art, in denen dem Arbeitgeber tarifvertraglich die ordentliche Kündigung nur noch für den Fall des Bestehens eines Sozialplanes vorbehalten ist und der Sozialplan für den betroffenen Arbeitnehmer eine Abfindung vorsieht (so bereits BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 15).“

Nach alledem lag somit ein Fall des § 143 a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB III a.F. vor, der letztlich – wie bereits in den in Bezug genommenen Gründen der angefochtenen Entscheidung ausführlich dargelegt – dazu führt, dass jedenfalls keine Ruhenszeit wegen Zahlung einer Entlassungsentschädigung eingetreten ist und Arbeitslosengeld – unter Beachtung des Ruhens wegen des Eintritts einer Sperrzeit (wie oben ausgeführt) bereits ab dem 24. Dezember 2010 zu gewähren ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem Ausgang der Berufung gemäß § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

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