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Schwerbehindertenrecht – GdB-Feststellung – GdB von 50 – Diabetes mellitus

LSG Sachsen-Anhalt – Az.: L 7 SB 35/12 – Urteil vom 14.10.2014

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.

Auf Antrag des 1951 geborenen Klägers stellte der Beklagte aufgrund der Erkrankung an Diabetes mellitus Typ I mit Bescheid vom 14. August 2001 einen GdB von 40 fest. Im Juli 2004 stellte der Kläger einen Neufeststellungsantrag und begründete ihn mit einem nunmehr stark erhöhten Therapieaufwand der Diabeteserkrankung. Außerdem leide er an einer Bluthochdruckerkrankung. Nach medizinischer Sachaufklärung stellte der Beklagte mit Bescheid vom 21. Februar 2005 einen Bluthochdruck als weitere Behinderung ohne Auswirkungen auf den Gesamtbehinderungsgrad fest. Auf einen weiteren Neufeststellungsantrag vom März 2005 stellte der Beklagte eine Herzleistungsminderung infolge koronarer Herzkrankheit sowie eine Funktionsminderung der Wirbelsäule infolge degenerativer Veränderungen mit einem GdB von jeweils 10 fest, lehnte aber die Erhöhung des Gesamt-GdB ab.

Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - GdB von 50 - Diabetes mellitus
Symbolfoto: Von pittawut /Shutterstock.com

Am 10. Januar 2011 beantragte der Kläger erneut die Erhöhung des GdB und verwies auf täglich vier erforderliche Insulininjektionen. Außerdem beeinträchtigten die Einschränkungen des Bewegungsapparates seine Tätigkeit als Sportlehrer. Als weitere Gesundheitsstörungen gab er eine diabetische Makulopathie des rechten Auges an. Im Verwaltungsverfahren lag der Reha-Entlassungsbericht M. vom 29. Dezember 2012 aufgrund des Aufenthalts vom 24. November bis 15. Dezember 2010 mit folgenden Diagnosen vor: Subacromialsyndrom, degeneratives Halswirbelsäulen (HWS)-Syndrom, Diabetes mellitus Typ I mit beginnender Retinopathie, Hypertonie, koronare Herzkrankheit (Stent 2004). Nach dem Bericht leide der als Schulleiter in Vollzeit tätige Kläger vier bis sechs Mal monatlich an Hypoglykämien. 80% seiner Tätigkeit bestehe aus geistiger und 20% aus körperlicher Arbeit. Konzentrationsstörungen, Fußprobleme oder Nervenstörungen lägen nicht vor. Außerdem leide er an Schulterschmerzen, die bei einer Abduktion bei 90 bis 110° aufträten. Seit ca. sechs Monaten habe er Kribbelparästhesien an der rechten Hand, die mit Zervikalgien einhergingen. Der Bluthochdruck sei gut eingestellt. Der HbA1c-Wert habe bei Aufnahme 7,8% und bei Entlassung 7,7% betragen. Es sei gelungen, die Schwankungsbreite der Blutzuckerwerte im Tagesprofil zu reduzieren. Die Hypoglykämieanfälle hätten sich bei gleichzeitigem leichten Minderbedarf an Basalinsulin verringert. Die Schmerzen im Schulterbereich seien bei Entlassung rückläufig gewesen und die Beweglichkeit habe zugenommen. Auch im HWS-Bereich habe eine Schmerzreduktion erreicht werden können (Seitneigung links/rechts 30/0/30° nach der Neutral-Null-Methode, Rotation links/rechts 70/0/70°). Häufige Überkopftätigkeiten und Zwangshaltungen des Kopfes und der Arme sollten aber vermieden werden. Darüber hinaus bestehe eine mögliche Gefährdung durch Hypoglykämien am Arbeitsplatz. Die Blutzuckerselbstkontrollen und ggf. Zwischenmahlzeiten sollten im Rahmen der persönlichen Verteilzeit ermöglicht werden. Für die weiteren Tätigkeiten als Sportlehrer gäbe es keine Einschränkungen. Außerdem holte der Beklagte den Befundschein der Fachärztin für Augenheilkunde Dr. K. vom 26. Januar 2011 ein, die über eine milde diabetische Retinopathie und einen korrigierten Visus von 0,6 (rechts) und 0,9 (links) berichtete. Nach Beteiligung seines ärztlichen Gutachters Dr. J., der für den Diabetes mellitus weiterhin einen GdB von 40 und jeweils für die Herzleistungsminderung infolge einer koronaren Herzerkrankung mit Stentimplantation, Bluthochdruck und die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule mit Schulterarmsyndrom einen GdB von 10 vorschlug, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 3. März 2011 weiterhin einen GdB von 40 und zusätzlich ab 10. Januar 2011 eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest.

Dagegen legte der Kläger am 15. März 2011 Widerspruch ein und verwies auf die Befunde seiner Hausärztin, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. E. Mit Befundschein vom 22. April 2011 berichtete diese: Der Blutdruck und die koronare Herzerkrankung seien derzeit gut eingestellt. Kardiopulmonal sei der Kläger unauffällig. Problematisch seien der schwer zu führende Diabetes mellitus sowie die Beschwerden des Bewegungsapparates (vordergründig Schulter und HWS). In Anlage übersandte sie weitere Arztbriefe. Die Fachärztin für Orthopädie Dr. V. hatte am 4. August 2010 folgende Diagnosen gestellt: Zustand nach Frozen shoulder links, muskuläre Dysbalance im HWS-Bereich, degenerative HWS-Veränderungen, blandes Karpaltunnelsyndrom beidseitig, Zustand nach Dysästhesie mit Hyperästhesie des rechten Unterarmes radial und der radialen drei Finger rechts ohne Minderung der groben Kraft. Mit Arztbrief vom 16. Februar 2011 hatte Dr. V. über derzeit erträgliche Beschwerden berichtet. Das Kribbeln sei weg. Doch bestünden weiterhin Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich. Die Beweglichkeit im Bereich der Arme sei links bei Bewegungen hinter die Körperebene noch etwas eingeschränkt (ca. 20°), aber schmerzfrei. Eine Schmerzbehandlung sei nicht erforderlich. Mit Arztbriefen vom 23. September und 16. Dezember 2010 sowie 23. März 2011 hatte der Internist und Diabetologe R. jeweils schwere Unterzuckerungen im letzten Quartal ausgeschlossen. Am 23. September 2010 (HbA1c-Wert 8,0) und am 16. Dezember 2010 (HbA1c-Wert 7,8) hatte er den Diabetes als weiterhin besser eingestellt bewertet. Beim Sport solle eine Dosisreduktion erfolgen. Am 24. März 2011 hatte er einen HbA1c-Wert von 8,2 angegeben und ausgeführt, der Diabetes sei insgesamt wieder schlechter eingestellt. Weil der Blutzucker am Abend zu hoch sei, werde der BE-Faktor abends gesteigert. Nach erneuter Beteiligung seines ärztlichen Dienstes wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2011 den Widerspruch des Klägers zurück.

Der Kläger hat am 7. November 2011 Klage beim Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau erhoben, seine Blutzuckertagebücher vorgelegt und zur Begründung vorgetragen: Seine Blutzuckerwerte seien schwer einstellbar. Vier bis sechs Mal pro Tag führe er Messungen durch und protokolliere dies entsprechend. Er könne aber nicht sämtliche Messungen protokollieren, da er durch seine berufliche Tätigkeit daran gehindert sei. Er sei Sportlehrer an einer Sekundarschule und übe darüber hinaus die Funktion des Schulleiters aus. Aufgrund des wechselnden Befindens müsse er auch im Sportunterricht Messungen durchführen. Wiederholt träten Unterzuckerungen bzw. stark erhöhte Zuckerwerte auf. Bei Unterzuckerungen leide er unter Nervosität, Schwitzen, erhöhtem Blutdruck und Puls, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwächen, Koordinationsstörungen sowie einem Tunnelblick. Sofern er rechtzeitig auf die Unterzuckerungen reagiere, trete erst nach 20 Minuten der Normalzustand wieder ein. Der Arbeitsprozess müsse in solchen Fällen unterbrochen werden. Auch im privaten Bereich wirkten sich die Beeinträchtigungen schwerwiegend aus. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass das Sehvermögen durch die Erkrankung vermindert sei. Insbesondere die schwere Einstellbarkeit und die diabetischer Spätfolgen rechtfertigten die Bewertung des GdB mit mindestens 50.

Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt. Dr. E. hat am 20. Januar 2012 mitgeteilt, die Beschwerden hätten sich nicht wesentlich verändert. In Anlage hat sie einen Arztbrief des Facharztes für Innere Medizin Dipl.-Med. B. vom 14. Januar 2012 übersandt. Danach bestünden keine kardialen Dekompensationszeichen. Die Ergometriebelastung sei nach einer guten Leistung von 100 Watt ohne Nachweis subjektiver Beschwerden abgebrochen worden. Nach dem ebenfalls beigelegten Arztbrief der Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde / Allergologie Dr. K. vom 15. November 2011 leide der Kläger seit einem Jahr an einer chronischen Sinusitis mit ständiger nasaler Sekretion und Niesattacken. Außerdem hat Dr. E. eine Vielzahl von Artbriefen des Internisten/Diabetologen R. beigelegt. Dieser hatte jeweils mitgeteilt, dass schwere Unterzuckerungen im letzten Quartal nicht vorgekommen seien. Am 23. Juni 2011 sei der Diabetes nicht gut eingestellt gewesen (HbA1c-Wert 8,9) und eine weitere Anpassung und Kontrolle sei in 14 Tagen vereinbart worden. Am 22. September 2011 sei der Diabetes wieder gering besser eingestellt gewesen (HbA1c-Wert 8,4). Am 1. Dezember 2011 sei der Diabetes weiter besser eingestellt gewesen (HbA1c-Wert 8,2), doch sei wegen Unterzuckerungen am Vormittag die Insulingabe reduziert worden. Dr. K. hatte mit Arztbrief vom 16. Juni 2011 über einen Zustand nach Lasertherapie beidseits bei diabetischer Makulopathie (Visus rechts 0,7 und links 0,9) beidseits und milder diabetischer Retinopathie beidseits berichtet. Der Facharzt für Chirurgie Dr. M. hatte am 8. Juni 2011 eine Arthralgie bzw. Tendopathie der rechten Hand mitgeteilt.

Der Beklagte hielt unter Hinweis auf die prüfärztliche Stellungnahme vom 15. Februar 2012 (Dr. W.) daran fest, dass die Voraussetzungen für die Schwerbehinderteneigenschaft nicht vorlägen. Für den Diabetes sei keine höhere Bewertung möglich, da wesentliche Unterzuckerungen aus den Befunden nicht hervorgingen. Bei einer Ergometriebelastung von 100 Watt sei kein höherer GdB als 10 für die Herzleistungsminderung infolge koronarer Herzerkrankung und Bluthochdruck zu empfehlen. Bei geringen Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule fänden sich keine Hinweise auf wesentliche Sensibilitätsstörungen oder muskuläre Ausfallerscheinungen. Der GdB von 10 sei ohne wesentliche Bewegungseinschränkungen der Schultergelenke nicht weiter zu steigern. Die Werte für den Visus schwankten, jedoch ergebe sich kein GdB von 10 für die Sehbehinderung. Weitere GdB-relevante Gesundheitsstörungen ergäben sich nicht aus den Befundunterlagen. Mit prüfärztlicher Stellungnahme vom 7. März 2012 führte Dr. W. ergänzend aus: Nach den vorgelegten Blutzuckertagebücher erfolgten an vielen Tagen nur zwei bis drei Blutzuckerkontrollen, wobei streng genommen nur ein GdB von 30 vorliege. Schwere Unterzuckerungen träten nicht auf. Der Kläger könne vollschichtig als Schulleiter arbeiten und auch anderweitig sei nicht auf gravierende Einschnitte in den Alltagsablauf bzw. auf eine schwierige Stoffwechselführung ausweislich des Reha-Entlassungsberichtes zu schließen.

Daraufhin hat der Kläger einen Vermerk des Arztes R. vom 29. März 2012 übersandt. Danach sei bei Werten bis 7,5 von einem befriedigenden Bereich auszugehen. Der beim Kläger aktuell vorliegende HbA1c-Wert von 8,7% sei auf gehäufte Unterzuckerungen sowie eine gestörte Wahrnehmung dieser, Stress, den Berufsalltag und die Gefahr von Folgeerkrankungen zurückzuführen. Ergänzend hat der Kläger vorgetragen: Der gesamte Tagesablauf, insbesondere die Berufsausübung, die Freizeitgestaltung, das Zubereiten der Mahlzeiten und die Mobilität werde durch die erforderlichen Messungen und Einstellungen erheblich beeinflusst. Fortwährend sei er darauf bedacht, annähernd normgerechte Blutzuckerwerte zu erreichen. Das gelinge ihm nicht immer. Sobald er Unterzuckerungen wahrnehme, müsse er reagieren, um eine drohende Ohnmacht zu verhindern. Gerade im Berufsalltag sei er hierdurch massiv beeinträchtigt. Auch werde seine Lebensführung gravierend durch das Reagieren auf Folgeschäden der Krankheit beeinträchtigt. Neben der Einnahme mehrerer Medikamente müsse er jährlich eine Augenoperation durchführen lassen und sich wöchentlich physiotherapeutischen Behandlungen unterziehen.

Mit Gerichtsbescheid vom 8. Mai 2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Ein GdB von 50 setze mindestens vier Insulininjektionen pro Tag, ein selbstständiges Anpassen der Insulindosis und gravierende und erhebliche Einschnitte in der Lebensführung voraus. Diese Anforderungen erreiche der Kläger nicht. Die Herzleistungsminderung infolge einer koronaren Herzerkrankung mit Stentimplantationen und Bluthochdruck sowie die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und das Schulter-Arm-Syndrom seien zutreffend mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet worden.

Gegen das ihm am 11. Mai 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8. Juni 2012 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und eine nicht genügende medizinische Sachaufklärung gerügt. Er hat darauf hingewiesen, dass er den Blutzucker auch im Sportunterricht messe und dadurch seine Arbeit unterbrechen müsse.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 8. Mai 2012 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 3. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2011 abzuändern und bei ihm ab 10. Januar 2011 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen, die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung seien nicht erkennbar.

Der Senat hat weitere Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. hat mitgeteilt, der letzte Kontakt zum Patienten habe am 30. März 2009 bestanden. Dr. K. hat am 7. Juni 2013 über einen Zustand nach beidseitiger Lasertherapie der Augen mit einem aktuellen Visus von 0,8 / 0,9 berichtet. Der Facharzt für Orthopädie Dr. H. hat mit Befundbericht vom 13. Juni 2013 degenerative Veränderungen der HWS, einen Zustand nach Dysästhesie mit Hyperästhesie des rechten Unterarmes radial und der radialen drei Finger rechts, einen Zustand nach Frozen shoulder links, ein blandes Karpaltunnelsyndrom beidseitig und eine Blockierung der BWS mitgeteilt. Die Schulterbeweglichkeit sei zuletzt am 29. Februar 2012 untersucht worden. Dabei sei die Beweglichkeit links bei der Bewegung hinter der Körperebene noch etwas eingeschränkt gewesen. Hinsichtlich der HWS seien zuletzt am 11. März 2013 Schmerzen bei der Rotation links bei 80° und rechts bei 90° festgestellt worden. Die Brustwirbelsäule (BWS) und Lendenwirbelsäule (LWS) seien nicht untersucht worden. Eine Wurzelkompression sei im Magnetresonanztomogramm (MRT) der HWS von 2009 nicht beschrieben worden. Allerdings seien breitbasige Retrospondylophyten mit Ausdehnung nach beidseits intraforaminal festgestellt worden. Hierdurch werde das Spinalkanallumen beim Halswirbelkörper 6/7 eingeengt. Mit Befundbericht vom 31. März 2013 hat der Arzt R. einen Diabetes mellitus Typ I mit Retinopathie, Bluthochdruck, eine koronare Herzkrankheit, eine Hyperlipidanämie und eine erektile Dysfunktion diagnostiziert. Der HbA1c-Wert habe zuletzt 7,5% betragen. Dieser Wert habe sich aufgrund der sehr guten Mitarbeit zuletzt verbessert. Der Kläger nehme „Humalog“ zu den Mahlzeiten sowie „Levemir“ morgens und abends. Er müsse mindestens vier bis sechs Mal täglich Blutzucker messen und dies im Tagebuch dokumentieren. Aufgrund des beruflichen Alltags träten weiterhin Über- und Unterzuckerungen auf. Eine Fremdhilfe sei bei Hypoglykämien nicht notwendig gewesen. Aufgrund der leitenden Tätigkeit und der Arbeit mit Kindern bestünden besondere Einschränkungen im beruflichen Alltag. In Anlage hat er weitere Arztbriefe übersandt, mit denen er übereinstimmend berichtet hatte, dass keine schweren Unterzuckerungen eingetreten seien. Nach dem Bericht vom 5. März 2012 sei der Diabetes noch nicht gut eingestellt gewesen (HbA1c-Wert 8,7). Der Kläger habe in den letzten drei Wochen hervorragend dokumentiert und spät korrigiert. Die nüchternen Werte seien überwiegend normal. Am 14. Juni 2012 hatte der Arzt über einen HbA1c-Wert von 8,7% berichtet und wiederum mitgeteilt, dass der Diabetes nicht gut eingestellt sei. Ein Problem seien die vielen spät bemerkten Unterzuckerungen im Arbeitsalltag. Der Kläger habe die Anzahl der Blutzuckerkontrollen gesteigert. Es gelinge ihm jedoch nicht immer, rechtzeitig auf die Hypoglykämien zu reagieren. Nach dem Bericht vom 21. März 2013 sei der HbA1c-Wert erstmals seit langer Zeit unter 8% (7,9%) gewesen. Insgesamt sei eine deutlich bessere Einstellung anzunehmen.

In Auswertung der Befunde hat der Beklagte mitgeteilt, eine Sehbehinderung bestehe bei Visuswerten von 0,8 und 0,9 weiterhin nicht. Die circa halbjährlich auftretenden HWS- und Schulter-Nacken-Beschwerden gingen nicht mit Funktionseinschränkungen einher und seien durch Physiotherapeuten jeweils gut zu lindern. Infolge einer besseren Compliance sei die Langzeitstoffwechsellage inzwischen optimiert. Es träten keine akut bedrohlichen Unter- oder Überzuckerungen auf und auch anderweitig seien keine gravierenden Einschnitte in den Tagesablauf abzuleiten. Maßgebliche Folgeerscheinungen seien ebenfalls nicht zu erkennen. Der Bluthochdruck sei gut eingestellt und eine Linksherzhypertrophie nicht belegt.

Am 27. Februar 2014 hat eine nichtöffentliche Sitzung beim LSG stattgefunden, in der der Kläger erklärt hat: Der gesamte Tagesablauf werde durch den Diabetes mellitus bestimmt, durch Überprüfen des eigenen Körpers (Messen/Spritzen) im Zusammenhang mit der körperlichen Tätigkeit, dem Essen und in Stresssituationen. Es habe dabei keine wesentliche Veränderung gegeben. Der Langzeitzuckerwert liege wieder über 8. Der Arzt R. habe im September 2013 einen Wert von 8,1% und im Dezember 2013 einen von 8,2% festgestellt. Dies habe Auswirkungen auf den Bluthochdruck und die Augenerkrankung. Der Blutdruck sei bei den Messungen im Labor immer wieder zu hoch (150/84, 154/91, 155/88 mmHg). Gravierende Beeinträchtigungen habe er durch die Arzttermine, die seinen Lebensrhythmus bestimmten und Arbeitszeitverlagerungen erforderten. Bei dem Diabetologen R., dem Hausarzt und dem Augenarzt sei er vierteljährlich in Behandlung, bei dem Orthopäden halbjährlich. Aus Sicht des Arztes R. seien die Tagesschwankungen problematisch. Dabei habe er starke körperliche Einschränkungen. In der Nacht sei er heute wach geworden, weil er körperliche Symptome bemerkt habe. Der Blutzuckerwert habe bei der erfolgten Messung bei 3,3 gelegen. In den letzten vier Wochen sei er nachts sechs Mal wach geworden und habe den Blutzucker gemessen. Bei seiner überwiegenden Tätigkeit als Schulleiter habe er nicht so große Probleme, weil er am Schreibtisch sitze und reagieren könne. Probleme habe er aber bei Veranstaltungen und Versammlungen. Diese habe er auch schon unterbrechen müssen. Die Kollegen wüssten aber Bescheid. An mehrtägigen Fortbildungsveranstaltungen nehme er nicht mehr teil. Das habe er vor zwei Jahren abgebrochen, weil er dort mit fremden Kollegen zusammen sei, die nicht um den Diabetes wüssten. Im Unterricht sei der Umgang mit der Erkrankung schwierig. Zwar wüssten auch die Kinder Bescheid und führten den Sportunterricht auch allein weiter. Er brauche nach dem Einnehmen von Traubenzucker aber eine Viertel bis halbe Stunde, um normal wieder weitermachen zu können. Wenn die Unterzuckerungssymptome aufträten, seien die kleinen Kinder oftmals aufgeregt und wüssten nicht mit der Situation umzugehen. Bei größeren Kindern gäbe es auch dumme Bemerkungen, die in Richtung Alkoholkrankheit gingen. Dies sei für ihn peinlich. Die Unterzuckerungen im Unterricht träten circa zwei bis drei Mal im Monat auf. Regelmäßige sportliche Aktivitäten führe er, bis auf einen einmal im Jahr stattfindenden Skiurlaub, nicht mehr durch. Dieser sei auch nur eingeschränkt und mit Unterstützung der Ehefrau möglich. Andere sportliche Aktivitäten hätten sich einerseits durch den zeitlichen Termindruck, aber auch durch das Auftreten von Unterzuckerungen erledigt. Sein früheres Hobby, das Gitarre spielen, könne er auch nicht mehr ausüben, weil er durch die häufigen Messungen in den Fingern der linken Hand nicht mehr das erforderliche Gefühl dafür habe. Auto fahre er auch weiterhin. Er führe auch Urlaubsreisen ins Ausland durch.

Der Kläger hat sich mit Schreiben vom 26. August 2014 und der Beklagte mit Schreiben vom 28. August 2014 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte den Rechtsstreit nach §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.

Die form- und fristgemäß eingelegte und gemäß § 143 SGG auch statthafte Berufung des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat der Beklagte mit Bescheid vom 3. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2011 die Neufeststellung des Behinderungsgrades ab 10. Januar 2011 abgelehnt. Die Voraussetzungen für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft liegen weiterhin nicht vor.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Neufeststellungsantrag des Klägers vom 10. Januar 2011. Diese Neufeststellung verfolgt er mit einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, für die bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Entscheidungszeitpunkt des Senates maßgeblich ist.

Da der Beklagte bereits mit Bescheid vom 14. August 2001 einen GdB von 40 festgestellt und damit über den Behinderungsgrad des Klägers entschieden hat, richten sich die Voraussetzungen für die Neufeststellung nach § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrades um wenigstens 10 ergibt. Im Vergleich zu den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheids vom 14. August 2001 vorgelegen haben, ist keine Änderung eingetreten. Die Funktionsstörungen des Klägers rechtfertigen auch weiterhin nur die Feststellung eines GdB von 40.

Nach § 69 Abs. 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Regelung knüpft materiell-rechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades – dort des „Grades der Schädigungsfolgen“ (GdS) – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden. Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt.

Soweit der streitigen Bemessung des GdB die GdS-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil A) zugrunde zu legen ist, gilt Folgendes: Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil B 1) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a).

Nach diesem Maßstab ist bei dem Kläger weiterhin ein GdB von 40 ab dem 10. Januar 2011 gerechtfertigt. Dabei stützt sich der Senat auf die eingeholten Befundberichte nebst Anlagen, die versorgungsärztlichen Stellungnahmen, die Arztbriefe sowie die vorgelegten Diabetikertagebücher des Klägers und seine eigenen Angaben.

Das zentrale Leiden des Klägers betrifft das Funktionssystem „Innere Sekretion und Stoffwechsel“ und wird durch den insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I geprägt. Auf der Grundlage der Zweiten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 14. Juli 2010 gilt nach Teil B, Nr. 15.1:

„Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 30 bis 40.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50.

Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen.“

Das BSG hat mit Urteil vom 2. Dezember 2010 (B 9 SB/09 R, juris) diese Neufassung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze für rechtmäßig erklärt (vgl. BSG a.a.O. Rdn. 26) und für die Zeit vor Inkrafttreten der Verordnung unter Hinweis auf das Urteil vom 24. April 2008 (B 9/9a SB 10/06) bei der Bewertung des Einzel-GdB eines insulineingestellten Diabetes mellitus neben der Einstellungsqualität insbesondere den jeweiligen Therapieaufwand hervorgehoben, soweit sich dieser auf die Teilhabe des behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft nachteilig auswirkt. Hierbei ist der GdB eher niedrig anzusetzen, wenn bei geringem Therapieaufwand eine ausgeglichene Stoffwechsellage erreicht werden kann. Bei einem beeinträchtigenden, wachsenden Therapieaufwand und/oder abnehmendem Therapieerfolg (instabilere Stoffwechsellage) wird der GdB entsprechend höher zu bewerten sein. Dabei sind – im Vergleich zu anderen Behinderungen – die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu prüfen (BSG a.a.O. Rdn. 33). Bei therapiebedingten Einschränkungen in der Lebensführung können z.B. die Planung des Tagesablaufs, die Gestaltung der Freizeit, die Zubereitung der Mahlzeiten, die Berufsausübung und die Mobilität beachtet werden (vgl. Begründung zur Verordnungsänderung, BR-Drucksache 285/10 S. 3 zu Nr. 2).

Durch die Neufassung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zum Diabetes mellitus erfordert die Feststellung eines GdB von 50 nicht nur mindestens vier Insulininjektionen pro Tag und ein selbständiges Anpassen der Insulindosis. Zusätzlich muss es – sei es bedingt durch den konkreten Therapieaufwand, die jeweilige Stoffwechselqualität oder wegen sonstiger Auswirkungen der Erkrankung (z.B. Folgeerkrankungen) – zu einer krankheitsbedingten erheblichen Beeinträchtigung in der Lebensführung kommen (BSG, Urteil vom 25. Oktober 2012, B 9 SB 2/12 R, juris). Die Formulierung in Teil B, Nr. 15.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze „und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind“ ist daher nicht nur therapiebezogen gemeint, sondern dahingehend zu verstehen, dass neben dem eigentlichen Therapieaufwand durch die notwendigen Insulininjektionen und die selbständige jeweilige Dosisanpassung eine zusätzliche Wertung notwendig ist, um die Schwerbehinderung zu rechtfertigen. Der am insulinpflichtigen Diabetes mellitus Erkrankte muss daher wegen des reinen Therapieaufwandes und/oder den durch die Erkrankung eingetretenen weiteren Begleitfolgen generell gravierende Einschritte in der Lebensführung erleiden. Dass zusätzlich ein gravierender Einschnitt in die Lebensführung festgestellt werden muss, ergibt sich aus den vorhergehenden Formulierungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze für einen GdB von 30 bis 40. Hiernach sind für die Bewertung der Teilhabeeinschränkung der konkrete Therapieaufwand und die jeweilige Stoffwechselqualität von wertungserheblicher Bedeutung. Diese beiden Kriterien müssen entsprechend auch bei der höheren Bewertungsstufe eines GdB von 50 noch bedeutsam sein. Für die besondere Bedeutung der Stoffwechsellage spricht auch, dass nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen allein bereits eine Erhöhung des GdB rechtfertigen können.

Ein GdB von 50 setzt damit mindestens vier Insulininjektionen pro Tag, ein selbständiges Anpassen der Insulindosis und durch erhebliche Einschnitte gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung voraus. Diese Anforderungen für einen GdB von 50 erreicht der Kläger unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht. Der Senat folgt insoweit den Einschätzungen der Versorgungsärzte des Beklagten, die im Einklang mit den Angaben der behandelnden Ärzte des Klägers stehen.

Zwar führt der Kläger nach den Angaben des Arztes R. die Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen und selbständigen Dosisanpassungen der Insulingabe durch. Neben der täglichen Injektion mit einem Langzeitinsulin muss er zu jeder Mahlzeit das kurz wirkende Insulin einsetzen und dabei auch die jeweilige Insulindosis variieren. Hinzu kommen Blutzuckermessungen zu jeder Mahlzeit, sodass bis zu sechs Mal täglich Messungen erfolgen. Allerdings fehlt es bei dem Kläger an erheblichen Einschnitten, die sich so auf seine Lebensführung auswirken, dass die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gerechtfertigt werden kann. Aufgrund der therapie- und erkrankungsbedingten Einschränkungen in der konkreten Lebensführung des Klägers lässt sich eine gravierende Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aufgrund der Erkrankung an Diabetes mellitus nicht erkennen.

Unter Berücksichtigung der verschiedenen Teilbereiche, in denen sich therapie- und krankheitsbedingte Einschränkungen in der Lebensführung auswirken können, lassen sich keine gravierenden Einschnitte bei dem Kläger in den Bereichen der Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten und der Mobilität feststellen. Die von ihm angegebenen Nachteile durch seine Stoffwechselerkrankung sind insgesamt zwar einschränkend und belastend, jedoch nicht gravierend im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. So ist der Kläger in seiner Mobilität nicht eingeschränkt. Er kann einen PKW führen und unternimmt Urlaubsreisen, wie z.B. einen jährlichen Skiurlaub und auch Auslandsreisen. Solche Aktivitäten sind, wenngleich mit einem erhöhten planerischen Aufwand und erschwerten Bedingungen verbunden (weitere Blutzuckermessungen, Begleitung der Ehefrau), immerhin möglich. Der Umstand, dass die Insulindosis auf die Mahlzeiten abgestimmt werden muss, ist Teil der Therapie und nicht zusätzlich zu berücksichtigen. Auch nicht zusätzlich zu berücksichtigen sind die aufgrund der Erkrankung an Diabetes mellitus notwendigen vierteljährlichen Arzttermine beim Diabetologen, dem Hausarzt und dem Augenarzt. Die mit einer Erkrankung üblicherweise verbundenen medizinisch notwendigen Untersuchungen sind wie auch die Notwendigkeit der Einnahme von Medikamenten bei der Bewertung des GdB bereits mit berücksichtigt. Die vom Kläger angegebene Häufigkeit der Arztbesuche geht auch nicht über dieses normale Ausmaß hinaus, so dass auch kein erhöhter Therapieaufwand wegen der Arztbesuche begründet werden kann. Die vom Kläger darüber hinaus angegebenen physiotherapeutischen Behandlungen stehen in keinem Zusammenhang mit der Diabeteserkrankung.

Allerdings liegen beim Kläger gravierende Beeinträchtigungen im Bereich der Berufsausübung vor. In seiner beruflichen Tätigkeit als Schulleiter und Sportlehrer ist er durch die Auswirkungen des Diabetes mellitus erheblich eingeschränkt, da er im Sportunterricht einer erhöhten Gefahr von Unterzuckerungen ausgesetzt ist. Bei Unterzuckerungen muss der Kläger seine Tätigkeit unterbrechen. Zu weitere Unterbrechungen der Tätigkeit kommt es während der Sportunterrichts wegen zusätzlicher Blutzuckermessungen. Die krankheitsbedingten Einschränkungen aufgrund des Diabetes mellitus wirken sich damit auf den beruflichen Kernbereich der Arbeit als Sportlehrer aus. Diese Einschränkungen bei der Ausübung der beruflichen Tätigkeit sind aber nicht so gravierend, dass bereits deshalb von einer erheblichen Einschränkung insgesamt ausgegangen werden kann, die die Schwerbehinderteneigenschaft rechtfertigt. Die Tätigkeit als Sportlehrer umfasst nur einen kleineren Teilbereich der beruflichen Tätigkeit. Die dabei ca. zwei bis dreimal monatlich auftretenden Hypoglykämien schränken dabei seine Tätigkeit zwar ein, prägen diese aber nicht. Eine krankheitsbedingte Aufgabe der beruflichen Tätigkeit bzw. eine Veränderung des Arbeitsbereichs ist beim Kläger nicht notwendig. Der Kläger ist überwiegend als Schulleiter eingesetzt und führt diese Tätigkeit sitzend am Schreibtisch aus. Dabei hat er nach seinen eigenen Angaben keine krankheitsbedingten Probleme. Lediglich bei Veranstaltungen und Versammlungen besteht die erhöhte Gefahr von Unterzuckerungen. Der Umstand, dass der Kläger an mehrtägigen Veranstaltungen nicht mehr teilnehmen will, weil fremde Kollegen nicht von seiner Erkrankung wüssten, kann nicht erhöhend berücksichtigt werden. Mit dem Problem, bei Unterzuckerungen auf mit der Krankheit unvertraute Mitmenschen zu treffen, hat jeder an Diabetes mellitus Erkrankte umzugehen. Auch die damit verbundene psychische Belastung ist im GdB bereits berücksichtigt.

Der Kläger wird trotz des einschränkenden Therapieaufwandes nicht auch noch zusätzlich durch eine schlechte Einstellungsqualität in seiner Leistungsfähigkeit und damit in seiner Teilhabefähigkeit am Leben erheblich beeinträchtigt. Zwar besteht bei ihm eine deutliche Neigung zu Hypoglykämien und auch unvorhersehbar stark schwankenden Blutzuckerwerten. Der HbA1c-Wert liegt seit Jahren konstant um 8 und damit knapp über dem vom Internisten R. angegebenen befriedigenden Bereich von 7,5. Im Übrigen hat der Arzt zuletzt über eine stabile Verbesserung berichtet. Schwere Hypoglykämien, die Fremdhilfe erfordert haben, sind nicht aufgetreten. Die mit der Erkrankung üblicherweise einhergehenden Blutzuckerschwankungen und die damit verbundenen Symptome wie Schwindel und Müdigkeit sind krankheitsimmanent und bei dem anzusetzenden GdB für den Diabetes mellitus mit berücksichtigt. Konzentrationsprobleme hat der Kläger ausweislich des Reha-Entlassungsberichts vom 29. Dezember 2010 sogar ausdrücklich ebenso verneint wie Nervenstörungen. Darüber hinausgehende, also nicht üblicherweise mit der Diabeteserkrankung verbundene Symptome, sind medizinisch nicht belegt. Dafür spricht außerdem, dass sich der Kläger seit dem Neufeststellungsantrag bis zum heutigen Zeitpunkt keinen stationären Behandlungen wegen des Diabetes mellitus unterziehen musste. Auch eine wiederholte auf den Diabetes mellitus zurückzuführende Arbeitsunfähigkeit hat während dieser Zeit nicht bestanden. Schließlich sind die vom Kläger angegebenen nächtlichen Blutzuckermessungen nicht dauerhaft notwendig und Schlafunterbrechungen wegen der Erkrankung treten ebenfalls nicht regelmäßig auf. Der Arzt R. hat in den zahlreichen Berichten diese Einschränkungen nicht einmal erwähnt, sodass für den Diabetes mellitus insgesamt kein höherer GdB als 40 festgestellt werden kann.

Das Bluthochdruckleiden und die koronare Herzkrankheit des Klägers sind dem Funktionssystem Herz-Kreislauf zuzuordnen und rechtfertigen insgesamt einen GdB von 10. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil B, Nr. 9) kommt es bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht auf die Art der Erkrankung, sondern auf die jeweilige konkrete Leistungseinbuße an. Daher lässt die Diagnose einer Hypertonie keinen Rückschluss auf die bestehenden Funktionseinschränkungen des Klägers zu. Nach Teil B, Nr. 9.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist die leichte Form der Hypertonie, bei der keine oder eine geringe Leistungsbeeinträchtigung und höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen vorliegen, mit einem GdB von 0 bis zu 10 zu bewerten. Die mittelschwere Form eröffnet je nach Leistungsbeeinträchtigung einen Bewertungsrahmen von 20 bis 40. Kriterien dafür sind Organbeteiligungen leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen – Fundus hypertonicus I bis II- und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie) sowie diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung. Sowohl nach dem Reha-Entlassungsbericht Mölln vom 29. Dezember 2012 als auch nach den Befundberichten von Dr. E. sei der Bluthochdruck gut eingestellt und der Kläger kardial unauffällig. Schließlich hat der Facharzt für Innere Medizin Dipl.-Med. B. am 14. Januar 2012 berichtet, dass keine kardialen Dekompensationszeichen bestünden und die Ergometriebelastung nach einer guten Leistung von 100 Watt ohne Nachweis subjektiver Beschwerden abgebrochen worden sei.

Außerdem ist ein weiterer Einzelbehinderungsgrad von 10 für die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule im Funktionsbereich Rumpf festzustellen. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil B, Nr. 18.9) rechtfertigen Funktionsstörungen geringeren Grades einen Einzel-GdB von 10. Erst mittelgradige funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in einem Wirbelsäulenabschnitt, z.B. eine anhaltende Bewegungseinschränkung oder eine Instabilität mittleren Grades, bedingen einen Einzel-GdB von 20. Nach dem Reha-Entlassungsbericht M. vom 29. Dezember 2012 leidet der Kläger an einem Subacromialis- und einem degenerativen HWS-Syndrom. Auch bei Dr. V. und Dr. H. war der Kläger wegen dieser Erkrankungen in Behandlung. Die erhobenen Befunde der HWS zeigten während der Reha-Maßnahme aber keine (Rotation links/rechts 70/0/70°) bzw. nur leichte Einschränkungen (Seitneige rechts/links 30°/0/30°). Dr. V. hatte lediglich über Verspannungen im HWS-Bereich und Dr. H. am 13. Juni 2013 wiederum über eine uneingeschränkte Beweglichkeit (Rotation links/rechts 80/0/90°) berichtet. Der GdB von 10 lässt sich damit lediglich über die angegebenen Schmerzen rechtfertigen. Weitere dauerhafte Beeinträchtigungen in anderen Wirbelsäulenbereichen liegen nicht vor. Die von Dr. H. am 13. Juni 2013 einmalig geschilderte Blockierung der BWS ist nicht als dauernde GdB-relevante Einschränkung festzustellen.

Weitere Erkrankungen, die einen Einzel-GdB von 10 rechtfertigen, liegen beim Kläger nicht vor. Dr. K. hat wiederholt über eine diabetische Makulopathie und eine milde diabetische Retinopathie und zuletzt am 7. Juni 2013 über einen Zustand nach beidseitiger Lasertherapie der Augen mit einem aktuellen Visus von 0,8 und 0,9 berichtet. Damit liegen, auch unter Berücksichtigung der erfolgten Augenoperationen, keine Einschränkungen vor, die einen GdB rechtfertigen. Aufgrund der von Dr. K. vom 15. November 2011 mitgeteilten chronischen Sinusitis mit ständiger nasaler Sekretion und Niesattacken kann auch kein GdB festgestellt werden. Denn bei einer Erkrankung leichteren Grades ohne wesentliche Neben- und Folgeerscheinungen ist nur ein GdB von 0 bis 10 anzunehmen (Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil B Nr. 6.2). Auch die Funktionsstörungen im Bereich der Schulter rechtfertigen keinen GdB. Die zu Beginn der Reha-Maßnahme in Mölln angegebene Einschränkung der Schulterabduktion bei 90 bis 110° war bereits bei Abschluss der Maßnahme gebessert. Auch in den weiteren Arztbriefen finden sich keine Angaben auf Einschränkungen, die eine Bewertung mit einem Einzel-GdB von 10 rechtfertigen. So hat Dr. H. in seinem Befundbericht vom 13. Juni 2013 mitgeteilt, dass bei der letztmaligen Untersuchung der Schultergelenksbeweglichkeit am 29. Februar 2012 diese lediglich links bei der Bewegung hinter der Körperebene noch etwas eingeschränkt gewesen sei. Schließlich liegen keine dauerhaften neurologischen Schädigungen vor. Die letzte neurologische Untersuchung bei Dr. H. hat im Jahre 2009 vorgelegen. Die vom Kläger angegebenen Gefühlsstörungen im Bereich der Finger, die ihm das Gitarre spielen unmöglich machen, sind in den medizinischen Unterlagen nicht erwähnt und erfassen im Übrigen nur einen kleinen Teilbereich, für den kein Einzel-GdB festgestellt werden kann. Auch die mit dem Diabetes mellitus verbundene psychische Belastung, also der Umstand, dass der Tagesablauf des Klägers im Wesentlichen von der Krankheit geprägt wird, dass Angst vor Unterzuckerungen insbesondere bei Stress und körperlichen Aktivitäten und schließlich auch die Angst vor Folgeerkrankungen bestehen, geht typischerweise mit der Krankheit einher und ist in der GdB–Bewertung für den Diabetes mellitus bereits berücksichtigt (dazu Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil A, Nr. 2 i).

Die weiteren angegebenen Diagnosen sind als Behandlungsleiden oder bereits ausgeheilte Leiden anzusehen, die keinen GdB rechtfertigen. Dies betrifft den Zustand nach Frozen shoulder links, das blande Karpaltunnelsyndrom beidseitig, den Zustand nach Dysästhesie mit Hyperästhesie des rechten Unterarmes radial und der radialen drei Finger rechts ohne Minderung der groben Kraft sowie die Arthralgie bzw. Tendopathie der rechten Hand. Die von dem Arzt R. einmalig am 31. März 2013 diagnostizierte erektile Dysfunktion rechtfertigt auch keinen GdB, weil eine erfolglose Behandlung nicht mitgeteilt wurde (dazu Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil B Nr. 13.2). Schließlich sind keine behinderungsgradrelevanten Funktionseinschränkungen aufgrund der ebenfalls vom Arzt R. diagnostizierten Hyperlipidanämie mitgeteilt worden, sodass für diese reine Labordiagnose kein GdB festzustellen ist.

Da bei dem Kläger Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren GdB vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Gesamtbehinderungsgrad zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A, Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze anzuwenden. Nach Nr. 3c ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Danach kommt ausgehend von dem Einzel-GdB von 40 für den Diabetes mellitus keine weitere Erhöhung aufgrund der Funktionsstörungen im Bereich des Rumpfes und des Herz-Kreislauf-Systems in Betracht. Diese jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden Gesundheitsstörungen erhöhen – von einem hier nicht vorliegenden Ausnahmefall abgesehen – das Ausmaß der Gesamtbeeinträchtigung selbst dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen vorliegen (dazu Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil A Nr. 3 ee).

Die Grenze zur Schwerbehinderung und eines GdB von 50 ist damit noch nicht erreicht. Letztlich widerspräche die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bei dem voll im beruflichen und gesellschaftlichen Leben integrierten Kläger dem nach Teil A Ziff. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu berücksichtigenden Gesamtmaßstab. Gegen die Annahme einer Schwerbehinderung spricht auch ein wertungsmäßiger Vergleich mit anderen Erkrankungen, für die ein Einzel-GdB von 50 festzustellen ist. Die Schwerbehinderteneigenschaft kann nur angenommen werden, wenn die zu berücksichtigende Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsstörungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so schwer wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung beeinträchtige. Eine derartig schwere Funktionsstörung liegt bei dem Kläger nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegt vor. Die Frage, ob gravierende Auswirkungen in einem Lebensbereich (hier: Beruf) ausreichen, um eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung annehmen zu können, ist beim BSG noch anhängig (B 9 SB 2/13 R).

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