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SGB II Mehrbedarf: Warum eine vage Klage gegen das Jobcenter chancenlos ist

Ein arbeitsuchender Mann fühlte sich vom Jobcenter jahrelang im Stich gelassen, auch nachdem seine Leistungen endeten. Trotzdem klagte er im Februar 2020 vor dem Sozialgericht Osnabrück – und forderte vom Jobcenter detaillierte Auskünfte sowie nicht gezahlte Mehrbedarfe für eine Behinderung. Das Brisante: Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits seit fast zwei Jahren keine Grundsicherung mehr bezogen. Er forderte Wiedergutmachung für ein angeblich unredliches Verhalten seit 2005, doch die Behörde sah keine Grundlage für seine Forderungen.

Zum vorliegenden Urteil Az.: S 22 AS 63/20 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Sozialgericht Osnabrück
  • Datum: 19. April 2024
  • Aktenzeichen: S 22 AS 63/20
  • Verfahren: Klageverfahren
  • Rechtsbereiche: Sozialrecht (Leistungen der Grundsicherung), Prozessrecht (Regeln für Gerichtsverfahren)

Beteiligte Parteien:

  • Kläger: Ein ehemaliger Empfänger von Bürgergeld-Leistungen. Er beschwerte sich, dass das Jobcenter seine Auskunfts- und Informationspflichten jahrelang verletzt habe und ihm zustehende Mehrbedarfe nicht gewährt wurden.
  • Beklagte: Das Jobcenter Osnabrück. Es beantragte die Klageabweisung.

Worum ging es genau?

  • Sachverhalt: Der Kläger, ein ehemaliger Bürgergeld-Empfänger, verklagte das Jobcenter wegen angeblich verletzter Auskunfts- und Informationspflichten sowie nicht gewährter Mehrbedarfe. Er reichte die Klage ein, obwohl er bereits vor fast zwei Jahren keine Leistungen mehr vom Jobcenter bezogen hatte und keinen konkreten Antrag formulierte.

Welche Rechtsfrage war entscheidend?

  • Kernfrage: Kann jemand ein Jobcenter erfolgreich verklagen, wenn er zwar viele Beschwerden vorbringt, aber nicht klar benennt, was genau das Jobcenter falsch gemacht hat und was er vom Gericht erreichen möchte, besonders wenn er schon lange keine Leistungen mehr erhält?

Entscheidung des Gerichts:

  • Urteil im Ergebnis: Klage abgewiesen.
  • Zentrale Begründung: Das Gericht wies die Klage ab, weil der Kläger keinen konkreten Antrag stellte und sein Anliegen nicht klar benennen konnte, was für eine Klage zwingend erforderlich ist.
  • Konsequenzen für die Parteien: Der Kläger erhält nichts und muss seine eigenen Kosten des Verfahrens selbst tragen.

Der Fall vor Gericht


Warum landete ein Mann vor Gericht, der seit fast zwei Jahren keine Leistungen mehr erhielt?

Im Februar 2020 erreichte das Sozialgericht Osnabrück eine ungewöhnliche Klage. Eingereicht wurde sie von einem Mann, nennen wir ihn der Betroffene, der zu diesem Zeitpunkt bereits seit über eineinhalb Jahren keine finanziellen Leistungen mehr vom Jobcenter bezog. Er hatte vom 1. Juli 2005 bis zum 30. Juni 2018 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten. Das SGB II regelt die Grundsicherung für Arbeitsuchende und ist besser bekannt als „Hartz IV“ oder heute als „Bürgergeld“.

Zwei Männer überprüfen SGB II Dokumente zu Mehrbedarf bei Behinderung in einem Büro, konzentriert auf gesetzliche Details.
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Die Behörde, die für die Umsetzung dieser Leistungen zuständig ist, ist das Jobcenter. Trotz des Endes seines Leistungsbezugs klagte der Betroffene nun wegen „Untätigkeit“ des Jobcenters – ein Begriff, der im Recht bedeutet, dass eine Behörde eine Entscheidung, die sie eigentlich treffen müsste, einfach nicht getroffen hat. Die Frage, die sich sofort stellte, war: Was genau forderte er, wenn er doch gar keine Leistungen mehr erhielt?

Was war der Kern des Vorwurfs des Betroffenen?

Der Betroffene legte in seiner Klage detailliert seine Sicht der Dinge dar. Er warf dem Jobcenter vor, seit Jahren seine Auskunfts- und Informationspflichten nicht erfüllt zu haben. Behörden sind nach dem Ersten Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) dazu verpflichtet, Bürger umfassend zu beraten und ihnen Auskunft über ihre Rechte und Pflichten zu geben. Insbesondere ging es dem Betroffenen um sogenannte „Mehrbedarfe“. Ein Mehrbedarf ist eine zusätzliche finanzielle Leistung, die über den regulären Regelsatz hinausgeht und bestimmte besondere Bedürfnisse abdeckt. In seinem Fall behauptete der Betroffene, ihm stünde ein Mehrbedarf für behinderte Leistungsberechtigte zu, insbesondere wenn bei ihm das „Merkzeichen G“ vorläge. Das Merkzeichen G im Schwerbehindertenausweis kennzeichnet eine erhebliche Gehbehinderung. Er war der Meinung, ihm stünden dafür 17 Prozent des Regelbedarfs zu. Seine Anfragen dazu seien, so seine Schilderung, regelmäßig unbeantwortet geblieben, und das Jobcenter habe wahrheitswidrig behauptet, seinen Pflichten nachzukommen.

Der Betroffene sprach von einem „unredlichen Verhalten“ des Jobcenters seit 2005, das ihn viel Zeit und Geld gekostet habe. Er bemängelte, dass ihm keine Maßnahmen zur „Teilhabe am Arbeitsleben“ vorgeschlagen oder durchgeführt worden seien. Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben sind Hilfen, die Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen unterstützen sollen, wieder in den Beruf zu finden oder ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Der Betroffene meinte auch, das Jobcenter hätte seine gesundheitlichen Voraussetzungen, insbesondere eine mögliche Erwerbsminderung – also eine dauerhaft verminderte Fähigkeit zu arbeiten – überprüfen müssen. Er verlangte konkrete, schriftliche Antworten auf seine Anfragen und die Weiterleitung an die richtige Stelle, falls das Jobcenter nicht zuständig sei. Als weiteres Beispiel nannte er einen unbeantworteten Darlehensantrag und eine ihm später vom Grundsicherungsamt zugestellte, unaufgeforderte Berechnung, in der erstmals ein Mehrbedarf berücksichtigt wurde. Dies interpretierte er als Beweis dafür, dass jahrelang kein Mehrbedarf berücksichtigt worden war.

Trotz all dieser detaillierten Beschwerden formulierte der Betroffene jedoch keinen konkreten Antrag an das Gericht. Er forderte zwar „explizite, nachweislich schriftliche Beantwortungen“ und „einen kompetenten Ansprechpartner“, aber keinen spezifischen Betrag Geld, keine bestimmte Entscheidung oder die Aufhebung eines konkreten Bescheides.

Wie reagierte das Jobcenter auf die Klage des Betroffenen?

Das Jobcenter, hier der Beklagte, beantragte die Abweisung der Klage. Es erklärte, dass der Grund für die Klage für sie unklar sei. Das Jobcenter wies darauf hin, dass ein Mehrbedarf für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte – wie ihn der Betroffene forderte – nur dann zustehe, wenn tatsächlich an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder anderen Eingliederungshilfen teilgenommen werde. Die Höhe dieses Mehrbedarfs betrage dann 35 Prozent des Regelbedarfs, nicht die vom Betroffenen genannten 17 Prozent. Da der Betroffene seit Beginn seines Leistungsbezuges an keiner solchen Maßnahme teilgenommen habe und dafür auch keine Nachweise in den Akten vorlägen, komme ein Mehrbedarf gar nicht in Betracht.

Das Jobcenter betonte außerdem den bereits erwähnten Umstand, dass der Leistungsfall des Betroffenen beim Jobcenter bereits am 30. Juni 2018 eingestellt worden war. Selbst wenn der Betroffene einen sogenannten „Überprüfungsantrag“ gestellt hätte – ein Antrag nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), um eine frühere behördliche Entscheidung nachträglich überprüfen zu lassen –, könnten davon allenfalls Entscheidungen ab dem 1. Januar 2019 betroffen sein. Eine Nachfrage beim Sozialamt, das für Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), also die Sozialhilfe, zuständig ist, habe zudem ergeben, dass der Leistungsfall des Betroffenen auch dort am 30. Juni 2018 geendet hatte und keine offenen Anträge oder Widersprüche existierten, abgesehen von der Ablehnung eines Antrags auf Grundsicherung vom 11. März 2020 wegen zu hohen Einkommens.

Wie hat das Gericht entschieden und warum?

Das Sozialgericht Osnabrück wies die Klage des Betroffenen ab. Es entschied in diesem Fall durch einen sogenannten Gerichtsbescheid. Ein Gerichtsbescheid ist eine Form der gerichtlichen Entscheidung, die ohne eine mündliche Verhandlung ergehen kann, wenn die Sachlage klar ist und keine besonderen Schwierigkeiten aufweist. Dies ist nach § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, das die Arbeitsweise der Sozialgerichte regelt.

Der zentrale Punkt für die Entscheidung des Gerichts war die sogenannte „Zulässigkeit der Klage“. Eine Klage ist nur dann zulässig, wenn sie bestimmte formale Voraussetzungen erfüllt. Das Gericht prüfte, ob die Klage des Betroffenen diese Mindestanforderungen erfüllte, und kam zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall war.

Die entscheidenden Gründe für die Abweisung der Klage waren:

  • Fehlender bestimmter Antrag: Gemäß § 92 Abs. 1 SGG muss eine Klageschrift einen „bestimmten Antrag“ enthalten. Das bedeutet, der Kläger muss klar und präzise formulieren, was er vom Gericht oder von der beklagten Behörde erreichen möchte. Das Gericht stellte fest, dass der Betroffene trotz mehrfacher Aufforderung durch das Gericht, seinen Klagegegenstand zu präzisieren, keinen solchen konkreten Antrag formuliert hatte. Er hatte nicht gefordert, dass ein bestimmter Verwaltungsakt – eine verbindliche Entscheidung einer Behörde, vergleichbar mit einem behördlichen Bescheid – aufgehoben, geändert oder erlassen werden sollte. Auch hatte er nicht beantragt, das Jobcenter zu einer bestimmten Zahlung oder Handlung zu verurteilen.
  • Zu pauschale Ausführungen: Die detaillierten Beschreibungen des Betroffenen bezüglich der nicht erfüllten Auskunfts- und Informationspflichten, der nicht gewährten Mehrbedarfe und des angeblich „unredlichen Verhaltens“ des Jobcenters waren aus Sicht des Gerichts zu allgemein gehalten. Es war nicht möglich zu erkennen, auf welche spezifischen Verwaltungsakte oder auf welche konkreten Handlungen oder Unterlassungen des Jobcenters sich die Klage genau bezog. Das Gericht konnte somit nicht identifizieren, was konkret überprüft oder entschieden werden sollte. Man könnte es vergleichen mit jemandem, der sich beim Arzt beschwert, es gehe ihm „irgendwie nicht gut“, aber nicht sagen kann, wo es wehtut oder welche Symptome er hat. Der Arzt kann dann keine gezielte Diagnose stellen.
  • Ende des Leistungsbezugs: Erschwerend kam hinzu, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Klageerhebung, im Februar 2020, bereits seit fast zwei Jahren keine Leistungen mehr vom Jobcenter erhalten hatte. Dies verstärkte die Notwendigkeit einer klaren Formulierung seines Begehrens, da kein laufender Anspruch oder eine aktuelle Entscheidung des Jobcenters zur Debatte stand.

Das Gericht prüfte zwar die umfangreichen und detaillierten Darlegungen des Betroffenen zu seinen Beschwerden, konnte diese aber in der vorliegenden Form nicht inhaltlich bewerten. Das Gericht hat also nicht entschieden, ob die Vorwürfe des Betroffenen sachlich richtig waren oder ob er tatsächlich Anspruch auf Mehrbedarfe gehabt hätte. Diese inhaltliche Prüfung war gar nicht erst möglich, weil die Klage aufgrund der fehlenden Bestimmtheit und des Mangels eines konkreten Antrags prozessual unzulässig war. Die Klage wurde daher nicht wegen inhaltlicher Fehler, sondern wegen formaler Mängel abgewiesen, ähnlich wie ein Brief nicht zugestellt werden kann, weil die Adresse unvollständig oder falsch ist.


Wichtigste Erkenntnisse

Eine Sozialgerichtsklage scheitert bereits an den Eingangsvoraussetzungen, wenn der Kläger nicht präzise formuliert, was er konkret erreichen will.

  • Bestimmtheit entscheidet über Klagezulässigkeit: Jede Klage vor dem Sozialgericht muss einen konkreten, unmissverständlichen Antrag enthalten – pauschale Beschwerden über behördliches Verhalten reichen nicht aus, selbst wenn sie detailliert vorgetragen werden.
  • Formale Mängel verhindern inhaltliche Prüfung: Gerichte können auch berechtigte Ansprüche nicht durchsetzen, wenn die prozessualen Mindestanforderungen nicht erfüllt sind – die richterliche Prüfung endet bereits bei der Zulässigkeitsfrage.
  • Beendete Leistungsverhältnisse verschärfen Präzisionsanforderungen: Wer keine aktuellen Sozialleistungen mehr bezieht, muss umso klarer darlegen, welche spezifischen Verwaltungsakte oder Unterlassungen er gerichtlich überprüfen lassen will.

Sozialgerichte können nur dann helfen, wenn Kläger ihre Forderungen so konkret formulieren, dass das Gericht erkennt, worüber es entscheiden soll.


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Das Urteil in der Praxis

Für jeden, der den Gang vor Gericht erwägt, ist dieses Osnabrücker Urteil eine gnadenlose Lektion in Sachen Prozessführung. Es zeigt unmissverständlich: Selbst die detailliertesten Beschwerden und das Gefühl tiefen Unrechts sind wertlos, wenn der Kläger seinen Antrag nicht glasklar formuliert. Das Gericht hat hier nicht etwa die Vorwürfe des Klägers entkräftet, sondern schlicht die prozessuale Hürde der Unzulässigkeit festgestellt. Wer keine spezifische Forderung stellt, kann auch keinen Anspruch durchsetzen – ein harter, aber notwendiger Schuss vor den Bug für unpräzise Klagen. Dieses Urteil ist ein klares Signal: Form vor Inhalt, wenn die Basics fehlen.


Ein Holzfragezeichen steht neben einem Buch mit der Aufschrift "SGB Sozialrecht" auf einem Holzuntergrund. Daneben befinden sich ein Paar Schuhe, ein Stift und eine Registerkarte in einem warmen, orangefarbenen Licht.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was versteht man unter einer Untätigkeitsklage im deutschen Verwaltungsrecht?

Eine Untätigkeitsklage ist ein rechtliches Mittel, das eine Person einlegen kann, wenn eine Behörde eine Entscheidung, die sie eigentlich treffen müsste, einfach nicht getroffen hat. Man kann sich das wie einen Antrag vorstellen, den man bei einem Amt stellt, und das Amt reagiert über längere Zeit nicht darauf. Die Untätigkeitsklage ist dann der Weg, um das Amt dazu zu bewegen, endlich eine Antwort zu geben, damit man Klarheit erhält.

Im vorliegenden Fall klagte der Betroffene aus diesem Grund, weil das Jobcenter seinen Anfragen nicht nachkam und keine Entscheidungen traf, etwa zu Mehrbedarfen oder Auskunftspflichten. Eine solche Klage zielt darauf ab, die Behörde zum Handeln zu zwingen. Für die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage ist es entscheidend, dass die klagende Partei einen ganz bestimmten Antrag an das Gericht stellt. Das bedeutet, man muss klar und präzise formulieren, welche konkrete Entscheidung oder Handlung von der Behörde erwartet wird. Allgemeine Beschwerden oder pauschale Ausführungen reichen hierfür nicht aus, da das Gericht genau erkennen muss, was überprüft oder entschieden werden soll. Das Gericht prüft dabei zunächst nicht den Inhalt der Forderung, sondern die formale Zulässigkeit der Klage.

Der Zweck einer Untätigkeitsklage ist es, sicherzustellen, dass Bürgerinnen und Bürger eine verbindliche behördliche Antwort auf ihre Anliegen erhalten, um ihre rechtliche Situation klären und gegebenenfalls weitere Schritte einleiten zu können, anstatt in der Ungewissheit über behördliches Nichthandeln zu verharren.


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Welche formalen Anforderungen muss eine Klageschrift bei Gericht grundsätzlich erfüllen?

Eine Klageschrift muss vor allem einen „bestimmten Antrag“ enthalten und die Klagegründe dürfen nicht zu pauschal formuliert sein. Dies bedeutet, die klagende Partei muss klar und präzise benennen, was sie vom Gericht oder der beklagten Behörde erreichen möchte, beispielsweise die Aufhebung eines bestimmten Bescheides, dessen Änderung oder die Verurteilung zu einer konkreten Zahlung oder Handlung.

Man kann diese Anforderung mit der Situation bei einem Arzt vergleichen: Wenn jemand sich beim Arzt über ein allgemeines Unwohlsein beschwert, ohne zu sagen, wo es wehtut oder welche Symptome auftreten, kann der Arzt keine gezielte Diagnose stellen oder eine Behandlung vorschlagen.

Das Gericht prüft zunächst die sogenannte „Zulässigkeit der Klage“, die das Einhalten solcher formalen Voraussetzungen verlangt. Ohne einen klaren Antrag, der einen konkreten Verwaltungsakt oder eine spezifische Forderung benennt, kann das Gericht den Streitgegenstand nicht erkennen. Ebenso verhindern zu allgemeine Ausführungen, dass das Gericht feststellen kann, was genau geprüft oder entschieden werden soll.

Diese formalen Anforderungen sind unerlässlich, damit das Gericht eine gezielte und überprüfbare Entscheidung treffen kann. Werden sie nicht erfüllt, kann die Klage wegen dieser Mängel als unzulässig abgewiesen werden, ohne dass der eigentliche Inhalt der Beschwerde überhaupt geprüft wird.


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Welche Auskunfts- und Beratungspflichten haben Behörden gegenüber Bürgern?

Behörden haben die gesetzliche Pflicht, Bürgerinnen und Bürger umfassend zu beraten und ihnen Auskunft über ihre Rechte und Pflichten zu geben. Diese Verpflichtung ist im Ersten Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verankert und bildet eine zentrale Grundlage im Umgang zwischen Bürgern und Verwaltung.

Dies kann man sich wie einen Lotsen vorstellen, der einem Reisenden im Hafen die korrekte Route weist und über mögliche Hindernisse informiert, damit die Reise sicher ans Ziel kommt. Ähnlich sollen Behörden Bürgerinnen und Bürger durch komplexe Sachverhalte führen.

Konkret bedeutet dies, dass Behörden die Aufgabe haben, umfassende Auskunft und Information zu erteilen. Dazu gehört, Anfragen zu beantworten und Bürger auch über spezifische Ansprüche, wie beispielsweise mögliche Mehrbedarfe, aufzuklären. Falls eine Behörde für ein Anliegen nicht zuständig ist, sollte sie an die korrekte Stelle verweisen, damit der Bürger die benötigte Hilfe erhält. Es ist entscheidend, dass solche Informationen verständlich und nachvollziehbar vermittelt werden, um Transparenz zu schaffen und den Bürgern zu ermöglichen, ihre Anliegen selbstbestimmt zu verfolgen.

Diese gesetzlichen Informations- und Beratungspflichten gewährleisten, dass Bürgerinnen und Bürger im Umgang mit der Verwaltung die nötige Unterstützung erhalten, um ihre Angelegenheiten zu klären und zu verstehen.


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Was können Bürger unternehmen, wenn eine Behörde ihren Pflichten, wie z.B. der Bearbeitung von Anträgen, nicht nachkommt?

Wenn eine Behörde eine Entscheidung, die sie treffen müsste, nicht fällt (sogenannte „Untätigkeit“), ist es wichtig, dass ein Bürger, der dagegen vorgehen möchte, einen sehr klaren und präzisen Antrag an das Gericht formuliert.

Dies gleicht der Situation, wenn man einen Arzt aufsucht und sich „irgendwie nicht gut“ fühlt, ohne konkrete Symptome zu nennen. Der Arzt kann dann keine gezielte Diagnose stellen oder eine Behandlung vorschlagen. Ähnlich kann ein Gericht keine Entscheidung treffen, wenn es nicht genau weiß, welche spezifische Entscheidung oder Handlung von der Behörde oder dem Gericht gefordert wird.

Behörden sind dazu verpflichtet, Bürger umfassend zu beraten und ihnen Auskunft über ihre Rechte zu geben. Wenn eine Behörde trotz dieser Pflichten keine verbindliche Entscheidung trifft oder eine bestimmte Handlung vornimmt, kann dies als Untätigkeit gewertet werden. Eine Klage gegen solche Untätigkeit erfordert jedoch, dass der Kläger genau benennt, was die Behörde tun soll. Allgemeine Beschwerden über nicht erfüllte Pflichten oder pauschales „unredliches Verhalten“ reichen dabei nicht aus, da das Gericht dann nicht erkennen kann, was konkret überprüft oder entschieden werden soll.

Die Notwendigkeit eines solchen bestimmten Antrags stellt sicher, dass das Gericht überhaupt prüfen und eine konkrete Entscheidung treffen kann, andernfalls wird die Klage wegen formaler Mängel abgewiesen.


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Warum ist die präzise Formulierung eines Anliegens oder Antrags im Umgang mit Behörden so entscheidend?

Nur was klar formuliert ist, kann auch von einer Behörde oder einem Gericht bearbeitet und entschieden werden. Eine unklare oder zu pauschale Formulierung eines Anliegens oder Antrags kann dazu führen, dass ein berechtigter Sachverhalt nicht geprüft wird und die Angelegenheit im besten Fall zu Verzögerungen, im schlimmsten Fall zur Ablehnung führt.

Man kann es vergleichen mit jemandem, der sich beim Arzt beschwert, es gehe ihm „irgendwie nicht gut“, aber nicht sagen kann, wo es wehtut oder welche Symptome er hat. Der Arzt kann dann keine gezielte Diagnose stellen, weil ihm die nötigen konkreten Informationen fehlen.

Ein Gericht, wie das Sozialgericht im vorliegenden Fall, benötigt einen „bestimmten Antrag“, der klar und präzise formuliert, was genau vom Gericht oder der beklagten Behörde erwartet wird. Es genügt nicht, detaillierte Beschwerden darzulegen, wenn nicht eindeutig ist, welche spezifische Entscheidung oder Handlung das Gericht treffen soll. War ein Anliegen oder Antrag nicht präzise genug, konnten Gerichte und Behörden nicht erkennen, was konkret überprüft oder entschieden werden sollte, selbst wenn die zugrundeliegenden Vorwürfe detailliert waren.

Diese Notwendigkeit einer klaren und spezifischen Formulierung stellt sicher, dass Behörden und Gerichte überhaupt in der Lage sind, Anliegen zu erfassen, Missverständnisse zu vermeiden und eine sachgemäße Bearbeitung oder Entscheidung zu ermöglichen.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


**Bildtyp:** Editorial-Foto

**Hauptmotiv:** Schreibtisch mit Büromaterialien

**Text im Bild:** 
- SOZIALRECHT GLOSSAR
- Fachbegriffe einfach erklärt.
- KINDERGELD
- ALG I ANTRAG
- PFLEGEGRAD EINSTUFUNG.
- BEWILLIGT

**Wesentliche Bildelemente:** Buch, Lupe, Kugelschreiber

**Bildbeschreibung:** Das Bild zeigt eine büroähnliche Umgebung mit einem Schreibtisch. Auf dem Tisch liegen ein geöffnetes Buch, eine Lupe und Kugelschreiber. Ein Ordner mit der Aufschrift "BEWILLIGT" und ein Aktenkorb mit beschrifteten Unterlagen sind ebenfalls sichtbar.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Erwerbsminderung

Erwerbsminderung bedeutet, dass eine Person aufgrund von gesundheitlichen Problemen dauerhaft nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr arbeiten kann. Das deutsche Sozialrecht unterscheidet zwischen teilweiser Erwerbsminderung (3-6 Stunden täglich arbeitsfähig) und voller Erwerbsminderung (weniger als 3 Stunden täglich arbeitsfähig). Diese Einstufung entscheidet darüber, welche Leistungen eine Person erhält und ob sie weiterhin dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen muss.

Beispiel: Der Betroffene kritisierte, dass das Jobcenter seine gesundheitlichen Voraussetzungen nie überprüft hatte, obwohl eine mögliche Erwerbsminderung hätte festgestellt werden können, was seine Pflichten als Arbeitsuchender verändert hätte.

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Gerichtsbescheid

Ein Gerichtsbescheid ist eine gerichtliche Entscheidung, die ohne mündliche Verhandlung ergeht, wenn die Rechtslage klar und eindeutig ist. Das Gericht kann diese Verfahrensweise wählen, um Zeit und Ressourcen zu sparen, wenn keine besonderen Schwierigkeiten bei der Rechtsfindung bestehen. Der Gerichtsbescheid hat dieselbe Rechtskraft wie ein Urteil nach mündlicher Verhandlung.

Beispiel: Das Sozialgericht Osnabrück entschied den Fall durch einen Gerichtsbescheid nach § 105 SGG, da die formalen Mängel der Klage offensichtlich waren und keine mündliche Verhandlung erforderlich machte.

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Mehrbedarf

Ein Mehrbedarf ist eine zusätzliche finanzielle Leistung, die über den normalen Regelsatz hinausgeht und besondere Lebensumstände abdeckt. Diese Extraleistung erhalten Menschen, die aufgrund ihrer Situation höhere Kosten haben, beispielsweise wegen einer Behinderung, Schwangerschaft oder spezieller Ernährungsbedürfnisse. Die Höhe richtet sich nach der Art des besonderen Bedarfs.

Beispiel: Der Betroffene beanspruchte einen Mehrbedarf für behinderte Leistungsberechtigte mit Merkzeichen G und glaubte, ihm stünden 17 Prozent des Regelbedarfs zu, obwohl das Jobcenter erklärte, dass dieser nur bei Teilnahme an Eingliederungsmaßnahmen und dann in Höhe von 35 Prozent gewährt wird.

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Merkzeichen G

Das Merkzeichen G im Schwerbehindertenausweis kennzeichnet eine erhebliche Behinderung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr. Menschen mit diesem Merkzeichen haben Schwierigkeiten beim Gehen und können öffentliche Verkehrsmittel oft nicht ohne weiteres nutzen. Das Merkzeichen G berechtigt zu verschiedenen Nachteilsausgleichen, wie ermäßigten oder kostenlosen Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Beispiel: Der Betroffene behauptete, bei ihm läge das Merkzeichen G vor, weshalb er einen speziellen Mehrbedarf für behinderte Leistungsberechtigte beanspruchte, da seine Gehbehinderung zusätzliche Kosten verursache.

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SGB II

Das SGB II (Zweites Buch Sozialgesetzbuch) regelt die Grundsicherung für Arbeitsuchende, früher „Hartz IV“ genannt, heute „Bürgergeld“. Dieses Gesetz bestimmt, wer finanzielle Unterstützung bekommt, wenn er erwerbsfähig ist, aber seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten kann. Die Leistungen sollen das Existenzminimum sichern und gleichzeitig bei der Integration in den Arbeitsmarkt helfen.

Beispiel: Der Betroffene hatte vom 1. Juli 2005 bis zum 30. Juni 2018 Leistungen nach dem SGB II erhalten, klagte aber trotz des beendeten Leistungsbezugs wegen der Untätigkeit des Jobcenters bei der Bearbeitung seiner Anliegen.

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Untätigkeit

Untätigkeit liegt vor, wenn eine Behörde eine Entscheidung, die sie eigentlich treffen müsste, einfach nicht getroffen hat. Dies bedeutet, dass das Amt auf einen Antrag oder eine Anfrage über längere Zeit nicht reagiert und den Betroffenen im Unklaren lässt. Gegen solche Untätigkeit können Betroffene vor Gericht ziehen, um die Behörde zum Handeln zu zwingen.

Beispiel: Der Betroffene klagte wegen Untätigkeit des Jobcenters, weil seine Anfragen zu Mehrbedarfen und Auskunftspflichten über Jahre hinweg unbeantwortet geblieben waren und das Amt keine Entscheidungen zu seinen Anliegen getroffen hatte.

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Verwaltungsakt

Ein Verwaltungsakt ist eine verbindliche Entscheidung einer Behörde gegenüber einem Bürger, vergleichbar mit einem behördlichen Bescheid. Dabei kann es sich um die Bewilligung oder Ablehnung eines Antrags handeln, um eine Anordnung oder um die Feststellung bestimmter Rechte und Pflichten. Verwaltungsakte müssen schriftlich begründet werden und können vor Gericht angefochten werden.

Beispiel: Das Gericht stellte fest, dass der Betroffene keinen konkreten Verwaltungsakt benannt hatte, der aufgehoben, geändert oder erlassen werden sollte, sondern nur allgemeine Beschwerden über das Verhalten des Jobcenters vorgebracht hatte.

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Wichtige Rechtsgrundlagen


Klagezulässigkeit
Ein Gericht kann eine Klage nur dann inhaltlich prüfen und darüber entscheiden, wenn sie bestimmte formale Voraussetzungen erfüllt.
Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht konnte die Klage des Betroffenen nicht inhaltlich prüfen, da sie die grundlegenden formalen Voraussetzungen nicht erfüllte.

Bestimmter Antrag (§ 92 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG)
Jede Klage vor Gericht muss klar und präzise benennen, was der Kläger vom Gericht oder der beklagten Behörde erreichen möchte.
Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Betroffene hatte trotz mehrfacher Aufforderung durch das Gericht keinen konkreten Antrag formuliert, also nicht klar gesagt, welche Entscheidung das Gericht treffen oder welche Handlung das Jobcenter vornehmen sollte.

Behördliche Auskunfts- und Beratungspflichten (Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I)
Behörden sind gesetzlich verpflichtet, Bürger umfassend zu beraten und ihnen Auskunft über ihre Rechte und Pflichten zu geben.
Bedeutung im vorliegenden Fall: Obwohl der Betroffene detaillierte Beschwerden über die Nichteinhaltung dieser Pflichten durch das Jobcenter vorbrachte, konnte das Gericht darüber nicht entscheiden. Das Gericht kann nicht allgemein die Einhaltung von Pflichten feststellen, sondern benötigt einen konkreten Klagegegenstand, der eine gerichtlich überprüfbare Entscheidung ermöglicht.


Das vorliegende Urteil


Sozialgericht Osnabrück – Az.: S 22 AS 63/20 – Urteil vom 19.04.2024


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