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Sozialversicherungsbeiträge – Verjährungsfrist – bedingter Vorsatz

SG Marburg, Az.: S 6 KR 238/97, Urteil vom 04.02.1999

Tatbestand

Streitig ist die Verjährung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Am 18. 03. 1993 führte das Finanzamt Frankenberg eine Lohnsteueraußenprüfung bei der Klägerin durch. In dem Bericht über die Lohnsteueraußenprüfung vom 01. 04. 1993 heißt es u. a.: „Der Arbeitgeber hat für verschiedene Arbeitnehmer sowie einzelne Familienangehörige eine Gruppenunfallversicherung abgeschlossen. Die Beitragszahlung wird jeweils zum 01. 01. des Jahres durch den Arbeitgeber vorgenommen. Soweit Arbeitnehmer betroffen sind, handelt es sich bei den Beitragsanteilen um zugeflossenen steuerpflichtigen Arbeitslohn (§ 2 Abs. 2 Ziffer 3 LStDV). Eine Versteuerung wurde bisher nicht vorgenommen, Nachversteuerung erfolgt daher im Rahmen der Prüfung nach allgemeinen Vorschriften mit einem repräsentativ ermittelten durchschnittlichen Netto-Steuersatz von 23,4 %. Der Arbeitgeber hat sich ausdrücklich zur Übernahme der nachzuerhebenden Steuerbeträge bereit erklärt“.

Daraufhin erteilte das Finanzamt Frankenberg am 26. 04. 1993 einen Lohnsteuerhaftungsbescheid, wonach die Klägerin in der Zeit vom 01. 01. 1989 bis 28. 02. 1993 geleistete Beiträge für die erwähnte Gruppenunfallversicherung nachträglich mit einem Steuersatz von 23,4 % versteuerte.

Am 23. 05. 1996 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung gemäß § 28 p Abs. 1 SGB IV für den Prüfzeitraum vom 01. 01. 1992 bis 31. 12. 1994 durch. Nachdem die Beklagte festgestellt hatte, daß anläßlich der Lohnsteueraußenprüfung die Beiträge für die Gruppenunfallversicherung erst nachträglich besteuert wurden und daß bei einer Betriebsprüfung der Klägerin durch die IKK der Bericht über die Lohnsteueraußenprüfung nicht ausgewertet wurde, teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 28. 05. 1996 mit, die Klägerin habe insgesamt 3204,84 DM an Beiträgen zur Sozialversicherung zu leisten.

Sozialversicherungsbeiträge - Verjährungsfrist - bedingter Vorsatz
Foto: wutzkoh/Bigstock

Hiergegen legte die Klägerin am 01. 07. 1996 Widerspruch ein: Die Beitragsansprüche verjährten nach 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig würden. Eine vorsätzliche Vorenthaltung der Beiträge liege nicht vor. Die Nachbelastung der Beiträge könne ab dem 01. 01. 1992 vorgenommen werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. 03. 1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Auf den Inhalt der Entscheidung wird Bezug genommen.

Dagegen richtet sich die Klage vom 15. 04. 1997.

Die Klägerin trägt vor, sie habe die Beiträge nicht mit bedingtem Vorsatz vorenthalten. Sie habe nach bestem Wissen und Gewissen Beiträge entrichtet, die entsprechend dem gezahlten Lohn zu entrichten gewesen seien. Erst aufgrund der im Zusammenhang mit der Lohnsteuernachprüfung geforderten Nachzahlung seien die zuvor gezahlten Beiträge zu gering gewesen, dies habe die Klägerin aber zum Zeitpunkt der Beitragsleistungen nicht wissen können, da die Ursache für die Nachforderung erst zu einem späteren Zeitpunkt gesetzt worden sei, nämlich durch die Lohnsteuernachprüfung.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 28. 05. 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. 03. 1997 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, keinesfalls liege eine Verjährung betreffend der im Zeitraum vom 01. 01. 1989 bis 31. 12. 1991 entrichteten Gruppenunfallversicherungsbeiträge vor. Mit Zustellung des Lohnsteuerhaftungsbescheides sei die Klägerin von ihrer Steuerpflicht in Kenntnis gesetzt worden und spätestens von diesem Zeitpunkt an auch in der Lage gewesen, eine entsprechende beitragsrechtliche Beurteilung vorzunehmen.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten und des Sachverhaltes im einzelnen wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig (§§ 87, 90, 92 SGG).

Sie ist jedoch nicht begründet.

Der Bescheid vom 28. 05. 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. 03. 1997 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 SGG.

Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung durch die Beklagte sind die §§ 28 d in Verbindung mit 28 e SGB V. Der Anspruch ist — worüber die Beteiligten auch gar nicht streiten — entstanden.

Der Anspruch ist entgegen der Auffassung der Klägerin jedoch nicht einredebehaftet; die Ansprüche der Beklagten gegen die Klägerin auf Sozialversicherungsbeiträge und Umlage nach dem LFZG sind nicht verjährt und bestehen deshalb ab 01. 01. 1989 zu Recht.

Nach § 25 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Demgegenüber verjähren Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin die Beiträge für die Jahre 1989 ff vorsätzlich vorenthalten. Zur Klärung des Begriffs „Vorsatz“ im Rahmen des § 25 Abs. 1 SGB IV hat das BSG in seiner Entscheidung vom 21. 06. 1990 (12 RK 13/89) festgestellt, daß es für die Annahme einer 30-jährigen Verjährungsfrist ausreicht, wenn der Beitragspflichtige die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, er also seine Beitragspflicht nur für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (Umdruck Seite 6, 1. Absatz). Das SG Düsseldorf (Urteil vom 24. 06. 1997 S 4 KR 174/95) hat konkretisierend ausgeführt, daß Vorsatz Wissen und Wollen der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden objektiven Merkmale bedeutet. Es reiche aus, daß der Beitragsschuldner die Nichtabführung der Beiträge trotz Kenntnis der Beitragsschuld in Kauf nimmt. Das erkennende Gericht schließt sich dieser Auffassung an, wonach durch den Lohnsteuerhaftungsbescheid des Finanzamtes — vorliegend der Bescheid vom 26. 04. 1993 — Kenntnis des Beitragspflichtigen davon gegeben ist, daß die damit verbundenen geldwerten Vorteile als Einkommensbestandteil zu werten ist. Hierfür spricht die Regelung des § 1 der Arbeitsentgeltverordnung, wonach das Beitragsrecht der Sozialversicherung dem Steuerrecht grundsätzlich folgt. Denn dem Arbeitgeber ist bekannt, daß die Beiträge sich nach einem prozentualen Anteil des Einkommens berechnen. Da es bei Einkommensschwankungen nicht erst einer Feststellung durch die Einzugsstelle zur Berechnung der konkreten Beitragsforderung bedarf, sondern der Arbeitgeber diese Berechnung selbst vorzunehmen hat, hat er mit Erhalt des Lohnsteuerhaftungsbescheides auch positive Kenntnis davon, daß die — vorliegend am 26. 04. 1993 — nocht nicht gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjährten Sozialversicherungsbeiträge, soweit sie vom Lohnsteuerhaftungsbescheid erfaßt waren, von ihm nicht gezahlt wurden. Das Gericht schließt sich der Meinung des SG Düsseldorf aaO an, wonach für die Gutgläubigkeit des Arbeitgebers es nicht auf die positive Kenntnis zum Zeitpunkt der Entstehung der Beitragsschuld ankommt, sondern es ausreicht, daß die positive Kenntnis von der Beitragsschuld vor Ablauf der regelmäßigen 4-jährigen Verjährungsfrist eintritt.

Dafür, daß der zutreffende Anknüpfungspunkt für die Kenntnis von der Beitragsentrichtungspflicht die Erteilung des Lohnsteuerhaftungsbescheides im April 1993 ist, spricht darüber hinaus folgende Überlegung: Gegenstand der Beitragsentrichtung ist „das Arbeitsentgelt“ (vgl. nur § 162 Nr. 1 SGB VI; 253 SGB V), das in § 14 SGB IV als „alle laufenden oder einmaligen Einnahme aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht“ bestimmt ist. In Ergänzung ist in § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB IV bestimmt, daß die Grundsätze des sozialversicherungsrechtlichen Beitragsrechts in weitgehender Anlehnung an das Steuerrecht zu regeln sind.

Der Zusammenhang dieser gesetzlichen Regelungen verdeutlicht den Zusammenhang des Beitragsrechts der Sozialversicherung mit dem Steuerrecht. Danach lösen Steuerpflichten, die auf der Grundlage des Lohnsteuerhaftungsbescheides festgesetzt werden, auch Beitragspflichten in der Sozialversicherung aus. Dies ist jedem Arbeitgeber, der versicherungspflichtig Arbeitnehmer beschäftigt auch bekannt. Anderenfalls wäre ihm die Führung und Leitung eines Betriebes nicht möglich.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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