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Unfallversicherung – Höhe des Verletztengeldes – Berechnung des Regelentgelts

Landessozialgericht Thüringen – Az.: L 1 U 244/17 – Urteil vom 25.10.2018

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 5. Dezember 2016 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2014 verpflichtet, Verletztengeld für den Zeitraum 31. März 2012 bis 30. September 2013 auf der Grundlage eines Monatsbruttoeinkommens von 5.534,93 € zu zahlen.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt höheres Verletztengeld für die Zeit vom 31. März 2012 bis 30. September 2013.

Der 1965 geborene Kläger war aufgrund eines Anstellungsvertrages vom 10. Juni 2003 Mitarbeiter im Außendienst im Geschäftsbereich Verkauf und Service/Montage (Versorgung der Kunden des Unternehmens mit Ersatzteilen) einer Tochtergesellschaft eines schwedischen Herstellers der Sägewerksindustrie. Das Arbeitsverhältnis wurde durch arbeitgeberseitige Kündigung zum 31. März 2012 beendet. Im Zeitraum vom 22. November 2011 bis Ende Januar 2012 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Er erhielt bis einschließlich 2. Januar 2012 Lohnfortzahlung und anschließend bis Ende Januar 2012 Krankengeld. Ab dem 1. Februar 2012 übte er seine Erwerbstätigkeit wieder aus. Am 17. Februar 2012 erlitt der Kläger beim Beladen eines Anhängers einen Arbeitsunfall, als er über eine Deichsel stürzte. Wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalles war der Kläger bis zum 30. September 2013 arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 1. Oktober 2013 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v. H.. Nach Auslaufen der Lohnfortzahlung zahlte die T. Krankenkasse entsprechend ihrem Schreiben vom 24. April 2012 im Auftrag der Beklagten entsprechend der Verwaltungsvereinbarung über die generelle Beauftragung der Krankenkassen durch die Unfallversicherungsträger zur Berechnung und Auszahlung des Verletztengeldes für den Zeitraum 31. März 2012 bis 30. September 2013 ein Verletztengeld in Höhe von kalendertäglich brutto 57,83 € (entspricht netto 51,29 €) aus.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 4. Juni 2014 bat der Kläger um Erläuterung der Höhe des Verletztengeldes. Hintergrund hierfür war ein Haftungs- und Nachforderungsbescheid sowie Festsetzungsbescheid über Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag für die Zeit von Januar 2004 bis Dezember 2011 des Finanzamtes F. gegenüber dem Arbeitgeber des Klägers. Darin stufte das Finanzamt Zuwendungen an den Kläger als lohnsteuerpflichtige Gehaltsbestandteile ein. Hierbei ging es u. a. um Reisekosten, private Pkw-Nutzung und die Einstufung eines Arbeitsverhältnisses mit der Ehefrau des Klägers als Scheinarbeitsverhältnis unter Zurechnung des Arbeitslohns an den Kläger. Auf dieser Grundlage ermittelte das Finanzamt für das Jahr 2011 einen nachzuversteuernden Betrag in Höhe von 28.709,20 €. Unter Berücksichtigung des bislang angegebenen Bruttoarbeitslohns von 37.710 € ging das Finanzamt von einem Bruttolohn in Höhe von 66.419,20 € aus. Diesen Betrag habe der Arbeitgeber des Klägers zur Sozialversicherung nachgemeldet. Das Verletztengeld sei daher unter Zugrundelegung des tatsächlichen monatlichen Bruttoeinkommens auszuzahlen. Das Monatsbruttoeinkommen betrage 5.500 € ausgehend von einem Bruttoarbeitseinkommen von 66.000 €. Daraufhin zog die Beklagte die Lohn- und Gehaltsabrechnung des Klägers für die Monate Februar 2011 bis März 2012 bei. Danach betrug das Bruttoeinkommen für den Monat Dezember 2011 2.800 € und die Entgeltfortzahlung für den 1. bis 2. Januar 2012 186,67 €. Für den Monat Februar 2012 wurde ein Bruttoeinkommen von 2.800 € ausgewiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2014 wurde der Widerspruch des Klägers gegen die Feststellung des Verletztengeldes für den Zeitraum 31. März 2012 bis 30. September 2013 zurückgewiesen. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) erhielten Versicherte, die Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt haben, Verletztengeld entsprechend § 47 Abs. 1, 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Nach § 47 Abs. 2 Satz 2 SGB V sei der 30. Teil des in dem letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Kalendermonats erzielten und um einmaliges Arbeitsentgelt verminderten Arbeitsentgelts als Regelentgelt zugrunde zu legen. Entsprechend der Entgeltbescheinigung des Arbeitsgebers des Klägers sei ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 2.800 € anzusetzen. Ein Monatsbruttoeinkommen von 5.500 € könne nicht nachvollzogen werden. Eine nicht kontinuierliche Arbeitsverrichtung und -vergütung liege nicht vor.

Hiergegen hat der Kläger vor dem Sozialgericht Nordhausen Klage erhoben. Aus der Meldebescheinigung vom 29. Oktober 2012 ergebe sich ein jährliches Bruttoarbeitsentgelt für den Kläger im Jahre 2011 von 66.000 €. Hieraus leite sich ein Monatsbetrag von 5.500 € ab. Auf den Monat Januar 2012 könne nicht abgestellt werden, weil der Kläger seit dem 3. Januar 2012 Krankengeld erhalten habe. § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V sehe einen Bemessungszeitraum von wenigstens vier Wochen vor.

Das Sozialgericht hat eine Stellungnahme des Arbeitgebers des Klägers vom 7. Oktober 2015 eingeholt. Dort werden die Angaben zur Nachversteuerung von bestimmten Zuwendungen an den Kläger bestätigt. Diese besonderen Zuwendungen bzw. Sachleistungen seien dem Kläger im Jahre 2012 nicht weiter gewährt worden. Ferner wurde eingeholt eine Bescheinigung der T. Krankenkasse, wonach der Kläger in der Zeit vom 3. bis 31. Januar 2012 Krankengeld in Höhe von brutto 55,17 € täglich bezog.

Durch Urteil vom 5. Dezember 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zuletzt sei vor dem streitigen Unfallereignis und der damit einhergehenden Arbeitsunfähigkeit der Beschäftigungsmonat Januar 2012 abgerechnet worden. In diesem Monat sei kein vollständiger Vier-Wochen-Zeitraum abgerechnet worden, weil der Kläger nur bis einschließlich 2. Januar 2012 Entgeltfortzahlung, die dem Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) gleichzustellen sei, bezogen habe. Ab 1. Februar 2012 bis zum Unfallereignis am 17. Februar 2012 habe der Kläger wieder gearbeitet. Für die Berechnung des Verletztengeldes sei der Entgeltmonat Januar 2012 heranzuziehen, auch wenn damit kein Vier-Wochen-Zeitraum erfasst werde. Ziel der Vorschriften sei es, einen aktuellen Durchschnittsverdienst und im Interesse der Verwaltungsvereinfachung einen vollständig abgerechneten Entgeltzeitraum zugrunde zu legen. Das Lohnniveau solle möglichst aktuell in die Bestimmung der Höhe des Verletztengeldes einfließen. Zwar seien die Ergebnisse der steuer- und beitragsrechtlichen Nachveranlagung des Arbeitgebers durch die Prüfung des Finanzamts im Jahre 2012 zu berücksichtigen, denn es habe lediglich eine Neubewertung der tatsächlichen Verhältnisse stattgefunden. Tatsächlich hätten sich jedoch die gesamten Umstände der beruflichen Tätigkeit des Klägers zum Jahreswechsel 2011/2012 drastisch verändert. Ein Rückgriff auf den Abrechnungsmonat Dezember 2011 scheide daher aus. Die geldwerten Vorteile hätten dem Kläger nur bis zum Ende des Jahres 2011 zur Verfügung gestanden. Eine Berechnung des Verletztengeldes auf der Basis des Entgelts für den Monat Dezember 2011 sei daher mit dem Prinzip der Aktualität nicht zu vereinbaren.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Erhöhung des abgerechneten Arbeitsentgeltes aufgrund der Nachprüfung durch das Finanzamt beruhe auf Reisekosten, Vorteile aus der Nutzung eines Firmenwagens, zusätzlicher Arbeitslohn im Jahre 2011 und der Nutzung einer Wohnung. Alle diese Leistungen seien auch im Dezember 2011 in Anspruch genommen worden. Die erforderliche Nachmeldung dieser Bezüge an die Sozialkassen sei erfolgt. Das Sozialgericht habe selbst erkannt, dass bei strikter Anwendung der gesetzlichen Regelung auf die tatsächlich beim Kläger bestehenden Verhältnisse im Dezember 2011 abzustellen wäre. Die Änderung der Verhältnisse zum Jahreswechsel 2011/2012 führe nach Auffassung des Sozialgerichts aber dazu, dass die Abrechnung für Dezember 2011 die tatsächliche Einkommenssituation bei Beginn der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht mehr abbilde. Soweit das Sozialgericht anführe, dass der Kläger seinen Dienstwagen im Dezember 2011 abgegeben habe, werde nicht berücksichtigt, dass der Arbeitnehmer bei Entziehung der direkten Zuwendung Anspruch auf finanziellen Ersatz habe. Der Wortlaut des § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V sei zudem nicht auslegungsfähig. Dieser schließe die Anwendung eines allein auf zwei Tage verkürzten Abrechnungszeitraums im Januar 2012 aus. Später eingetretene Entgeltveränderungen blieben nach der gesetzgeberischen Konzeption unberücksichtigt. Dies könne sich zugunsten oder zuungunsten des Versicherten auswirken. Eine planwidrige Regelungslücke des § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V liege nicht vor. Es stehe ein vollständig abgerechneter Entgeltzeitraum von vier Wochen zur Verfügung. Der Gesetzgeber habe bewusst in Kauf genommen, dass sich das Arbeitsentgelt nach Eintritt des Leistungsfalles anders entwickeln könne. Die Ansprüche des Klägers für den Dezember 2011 seien erst später richtig erfasst worden. Unter Zugrundelegung eines tatsächlichen Gesamtbruttoeinkommens im Jahre 2011 in Höhe von 66.419,20 € sei ein Bruttoarbeitsentgelt mit der Meldebescheinigung auf gerundet 66.000 € gemeldet worden. Das tatsächliche monatliche Einkommen des Klägers im Dezember 2011 habe damit bei 5.534,93 € gelegen. Das Finanzamt gehe in seinem Haftungsbescheid davon aus, dass der Kläger die Leistung tatsächlich erhalten habe. Die Vorlage einer Vergütungsabrechnung für Dezember 2011 sei nicht möglich. Eine entsprechende neue Abrechnung durch den Arbeitgeber existiere nicht. Dies könne dem Kläger nicht zum Nachteil geraten.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 5. Dezember 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2014 zu verpflichten, an ihn Verletztengeld für den Zeitraum vom 31. März 2012 bis zum 30. September 2013 auf der Grundlage eines Monatsbruttoeinkommens von 5.534,93 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf die Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts. Auch unter Berücksichtigung des Haftungsbescheides des Finanzamtes F. sei der Monat Dezember 2011 nicht in die Verletztengeldberechnung einzubeziehen. Maßgeblich sei die Vorschrift des § 47 Abs. 2 SGB V.

Der Senat hat die Akte des arbeitsgerichtlichen Verfahrens Az. 28 Ca 13186/12 des Arbeitsgerichts München beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens, des Verfahrens des Arbeitsgerichts München 28 Ca 13186/12 und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft, weil die erforderliche Berufungssumme von 750 € überschritten wird. Nach dieser Vorschrift bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des LSG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 € nicht übersteigt. Dieser Beschwerdewert ist vorliegend überschritten, weil der Kläger für den Zeitraum 31. März 2012 bis 30. September 2013 ein höheres Verletztengeld begehrt. Erhalten hat er ein Verletztengeld in Höhe von 57 €. Bei einem Erfolg seines Begehrens würde er ein Verletztengeld in Höhe von ca. 110 € brutto täglich erhalten. Damit ist die Berufungssumme ersichtlich erreicht. Ob die Berufung auch nach § 144 Abs. 1 S. 2 SGG zulässig wäre, bedarf daher keiner Entscheidung.

Die danach zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 24. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2014 ist insofern rechtswidrig, als der Kläger Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld für den Zeitraum vom 31. März 2012 bis zum 30. September 2013 nach einem Bruttomonatseinkommen von 5.534,93 € hat.

Bei dem Schreiben vom 24. April 2012 handelt es sich um einen Verwaltungsakt, zu dessen Erlass die T. Krankenkasse nach § 189 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) i.V.m. Nr. 3 Satz 1 und Nr. 6 Satz 1 der Verwaltungsvereinbarung über die generelle Beauftragung der Krankenkassen zur Berechnung und Auszahlung des Verletztengeldes (abgedruckt etwa bei Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, Stand Juli 2018, Anhang 5.1) ermächtigt war. Das Schreiben der T. Krankenkasse vom 24. April 2012, mit welchem der Kläger darüber informiert wurde, dass er ab 31. März 2012 kalendertäglich brutto 57,83 € Verletztengeld erhält, ist als zumindest konkludente Bewilligung von Verletztengeld anzusehen. Zwar wird nach dem Wortlaut der Kläger nur darüber informiert, dass im Auftrag des Unfallversicherungsträgers Verletztengeld ausgezahlt wird und ihm die Höhe mitgeteilt. Bei verständiger Würdigung konnte der Kläger dem Schreiben jedoch entsprechend der Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entnehmen, dass die Beklagte seinen Anspruch auf Verletztengeld bejaht hat. Das Verletztengeld wurde in der Folgezeit auch ausgezahlt. Dem entspricht auch, dass die Beklagte mit Bescheid vom 6. November 2013 mit Ablauf des 30. September 2013 die Zahlung von Verletztengeld einstellte.

Der Kläger hat nach § 47 Abs. 1 SGB VII i. V. m. § 47 Abs. 1 und 2 SGB V Anspruch auf Zahlung eines Verletztengeldes unter Zugrundelegung eines monatlichen Bruttoarbeitslohnes in Höhe von 5.534,93 €. Die Berechnung des Verletztengeldes richtet sich vorliegend nach § 47 Abs. 1 SGB VII. Danach erhalten Versicherte, die Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt haben, Verletztengeld entsprechend § 47 Abs. 1 und 2 SGB V mit der Maßgabe, dass das Regelentgelt aus dem Gesamtbetrag des regelmäßigen Arbeitsentgelts und des Arbeitseinkommens zu berechnen und bis zu einem Betrag in Höhe des 360. Teils des Höchstjahresarbeitsverdienstes zu berücksichtigen ist. Das Verletztengeld beträgt 80 v. H. des Regelentgelts und darf in Anwendung von § 47 Abs. 1 und 2 SGB V das berechnete Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VII). Das Regelentgelt wird u. a. nach § 47 Abs. 2 SGB V berechnet (§ 47 Abs. 1 Satz 5 SGB V). Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB V ist für die Berechnung des Regelentgelts das von dem Versicherten im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltzeitraum, mindestens das während der letzten abgerechneten vier Wochen (Bemessungszeitraum) erzielte und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderte Arbeitsentgelt durch die Zahl der Stunden zu teilen, für die es gezahlt wurde. Ist das Arbeitsentgelt – wie im vorliegenden Fall – nach Monaten bemessen oder ist eine Berechnung des Regelentgelts nach den Sätzen 1 und 2 nicht möglich, gilt der dreißigste Teil des im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Kalendermonat erzielten und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderten Arbeitsentgelts als Regelentgelt (Satz 3).

Entsprechend dem eindeutigen und insoweit nicht auslegungsfähigen Wortlaut des § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V geht das Gericht – in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.201 – B 1 KR 26/11 R; BSG, Urteil vom 14.12.2006 – B 1 KR 5/06 R) – davon aus, dass für die Verletzten/Krankengeldberechnung nur der letzte vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit liegende und abgerechnete, mindestens vier Wochen umfassende Entgeltabrechnungszeitraum maßgeblich ist. Der zugrunde zu legende Bemessungszeitraum im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V muss somit vor dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit liegen. Hierbei kommt es nicht auf den Tag der Entgeltzahlung für den Bemessungszeitraum bzw. den Tag der Abrechnung an, sondern auf das tatsächliche Ende des Bemessungszeitraums. Maßgeblich ist somit der letzte abgerechnete und abgelaufene Bemessungszeitraum von mindestens vier Wochen vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit, d. h. im vorliegenden Fall der Monat Dezember 2011, der von der Beklagten als Entgeltabrechnungszeitraum für die Verletztengeldberechnung heranzuziehen ist. Vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit des Klägers am 17. Februar 2012 umfasste der Entgeltabrechnungszeitraum für den Januar 2012 nicht mindestens vier Wochen, sondern nur zwei Tage. Somit war der letzte vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgelaufene und abgerechnete Kalendermonat, d. h. der Monat Dezember 2011, als der letzte abgerechnete Entgeltzeitraum zugrunde zu legen.

Die von der Beklagten angestrebte erweiternde Auslegung des § 47 Abs. 2 SGB V im Wege einer Analogie aufgrund einer planwidrigen Regelungslücke in dem Sinne, dass auch in den Fällen von der Regelung des § 47 Abs. 2 SGB V abgewichen und auf einen geringeren Entgeltzeitraum abgestellt werden könne, in denen zwar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Arbeitsentgelt abgerechnet wurde, der direkt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit abgerechnete Entgeltzeitraum jedoch nicht mindestens vier Wochen umfasst und sich in diesem Zeitraum das Entgelt verändert hat, ist nicht zulässig. Ein aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ableitbarer Wertungswiderspruch, der eine Gleichbehandlung der unterschiedlichen Fallkonstellationen erfordert, ist nicht zu erkennen. Vielmehr ist die Tatbestandsvoraussetzung „mindestens das während der letzten abgerechneten vier Wochen (Bemessungszeitraum) erzielte und abgerechnete Entgelt“ weder willkürlich noch sachfremd. Mit dieser Tatbestandsvoraussetzung wird nämlich die gesetzgeberische Intention normiert, dass der Bezugszeitraum den Lebensstandard des Versicherten hinreichend repräsentiert und Zufallsergebnisse vermieden werden sollen (vgl. BSGE 36, 55 = SozR Nr. 59 zu § 182 RVO). Später eingetretene Entgeltveränderungen bleiben, unabhängig davon, worauf sie beruhen, unberücksichtigt. Dies gilt sowohl zu Gunsten des Versicherten als auch zu seinen Ungunsten (vgl. Knittel in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung und Pflegeversicherung, Stand März 2017, § 47 Rn. 10). Die mit der Regelung des § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V verbundene Typisierung und dadurch im Einzelfall evtl. eintretende Nachteile für den Versicherten durch eine später eingetretene Entgelterhöhung begründen keine erweiternde Auslegung der Vorschrift im Sinne einer Analogie, denn die Regelung beruht nach der gesetzgeberischen Intention nicht auf sachfremden Erwägungen. Hiergegen spricht auch, dass dem Krankengeld zwar eine Lohnersatzfunktion zukommt. Maßgeblich ist aber nicht das Lohnausfallprinzip (d. h. das krankheitsbedingt tatsächlich ausgefallene Arbeitsentgelt), sondern eine Berechnung durch die gesetzlich angeordnete Bezugs- bzw. Referenzmethode, die sich aus dem zuvor (vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit) bezogenen Arbeitsentgelt ergibt. Mit der Anknüpfung an das im – mindestens vier Wochen dauernden – Bemessungszeitraum erzielte und abgerechnete Entgelt unterstellt das Gesetz zwingend, dass dieses das während der Arbeitsunfähigkeit entgangene Arbeitsentgelt verlässlich wiedergibt.

Diese Auffassung steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Die Fälle, in denen dieses ausnahmsweise einen Rückgriff auf kürzere Bemessungszeiträume als vier Wochen gestattet hat, betreffen Fallgestaltungen, in denen Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist, bevor in dem zugrunde zu legenden Arbeitsverhältnis mindestens vier Wochen abgerechnet worden sind bzw. zum Beispiel bei einem erst im laufenden Monat aufgenommenen Arbeitsverhältnis abgerechnet werden konnten oder das Arbeitsverhältnis von vornherein auf weniger als vier Wochen angelegt war (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2013 – B 2 U 46/02 R; Urteil vom 23. März 1999 – B 2 U 16/98 R – BSGE 84, 41-48, jeweils zitiert nach Juris; Schur in Hauck/Noftz, § 47 SGB VII Rn.17). Eine solche Konstellation lag auch dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. Mai 2006 – B 1 KR 19/05 R = BSGE 96, 246-247 zugrunde. Dort wird ausdrücklich ausgeführt, dass das SGB V keine ausdrückliche Regelung darüber enthält, ob bei Eintritt von Arbeitsunfähigkeit zehn Tage nach Beginn eines neuen entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses Krankengeld zu zahlen und ggf. wie dessen Höhe zu berechnen ist. Insoweit ist das Gesetz lückenhaft. Davon kann aber vorliegend nicht die Rede sein, denn der Kläger befand sich seit dem Jahre 2003 bis zum 31. März 2012 in einem Beschäftigungsverhältnis. Soweit das Sozialgericht und die Beklagte darauf abstellen, dass sich zum Jahresbeginn 2012 die Einkommensverhältnisse des Klägers wesentlich geändert haben, wird verkannt, dass Sinn und Zweck des Gesetzes darin besteht, durch die Wahl eines entsprechend hinreichend langen Referenzzeitraumes Zufallsergebnisse zu vermeiden. Daher knüpft das Gesetz an im Bemessungszeitraum erzielte und abgerechnete Entgelte an und unterstellt für diese zwingend, dass das während der Arbeitsunfähigkeit entgangene Entgelt dadurch verlässlich wiedergegeben wird (vgl. BSG, Urteil vom 30. Mai 2006 – B 1 KR 19/05 R = BSGE 96, 246-257). Das Abstellen auf diesen Zeitraum kann sich sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Versicherten auswirken. Abweichende Regelungen sieht das Gesetz nicht vor. Auch wenn nach dem Ende des maßgeblichen Entgeltabrechnungszeitraumes gravierende Änderungen wie zum Beispiel eine erhebliche Reduzierung oder Erhöhung der Arbeitszeit eintreten, bleiben diese unberücksichtigt (Gerlach in Hauck/Noftz, § 47 SGB V Rn. 86). Die vom Gesetz gewählte Anknüpfung an das mindestens während der letzten abgerechneten vier Wochen erzielte und abgerechnete Entgelt dient gerade dazu, dass das dem Lohnersatz dienende Krankengeld allen Veränderungen in den Lohnverhältnissen des Versicherten so dicht wie möglich folgt und mithin das jeweils aktuelle Lohnniveau widergespiegelt wird (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 8. Dezember 2015 – L 11 KR 2575/15, zitiert nach Juris). Das Gesetz sieht keine wie auch immer geartete Härtefallregelung für besondere Fälle vor. Zudem ist zu berücksichtigen, dass diese allein auf eine vor der Arbeitsunfähigkeit abgelaufene Lohnperiode abstellende Methode vor allem auch das Ziel verfolgt, dem Versicherungsträger eine schnelle Entscheidung hinsichtlich der Höhe des Verletztengeldes zu ermöglichen. Zukünftige durch die Arbeitsunfähigkeit verhinderte Entwicklungen des Arbeitsentgelts sind häufig nur hypothetisch festzustellen, was einen unangemessenen Verwaltungsaufwand erfordern würde (vgl. dazu BSG, Urteil vom 23. März 1999 – B 2 U 16/98 R = BSGE 84, 41-48).

Daher ist auf die Einkommensverhältnisse des Klägers im Dezember 2011 abzustellen. Als Arbeitsentgelt im Monat Dezember 2011 ist im Fall des Klägers ein Betrag von 5.534,93 € zu berücksichtigen. Es ist insoweit unerheblich, dass in der Lohnbescheinigung seines Arbeitgebers nur ein Bruttolohn von 2.800 € ausgewiesen ist. Zwar ist der Arbeitgeber nach § 108 Abs. 1 der Gewerbeordnung (GewO) verpflichtet, dem Arbeitnehmer bei Zahlung des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen. Nach Erhalt des Haftungs- und Nachforderungsbescheides des Finanzamtes F. hat der Arbeitgeber des Klägers diesem keine geänderte Lohnabrechnung für Dezember 2011 erteilt. Die nach § 108 Abs. 1 GewO erforderlichen Angaben lassen sich jedoch dem Haftungs- und Nachforderungsbescheid des Finanzamtes F. entnehmen. Dies zeigt auch die erfolgte Nachmeldung zur Sozialversicherung. Mit abzustellen ist daher auf die Festsetzung des Finanzamts F. im Haftungs- und Nachforderungsbescheid sowie Festsetzungsbescheid über Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag für die Zeit bis Dezember 2011. Danach hat der Kläger unter Berücksichtigung von nachzuversteuernden Reisekosten, eines Anteils der privaten Pkw-Nutzung und der Zurechnung des Scheinarbeitsverhältnisses seiner Ehefrau zu seinem Arbeitslohn anstelle eines steuerpflichtigen Arbeitslohns von 37.710 € im Jahr 2011 unter Berücksichtigung des nachzuversteuernden Betrages von 28.709,20 € ein Bruttoarbeitslohn von 66.419,20 € erzielt, was einen Bruttolohn von 5.534,93 € im Monat ergibt. Abzustellen ist nach § 47 SGB VII auf das in den letzten abgerechneten vier Wochen erzielte Arbeitsentgelt. Dabei gilt das Zuflussprinzip, d. h. es ist auf die Beträge abzustellen, die dem Arbeitnehmer tatsächlich zugeflossen sind. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allerdings dann zu machen, wenn dem Versicherten für den maßgeblichen Abrechnungszeitraum rechtswidrig Arbeitsentgelt vorenthalten wurde, welches ihm dann später zugeflossen ist. Denn auch bei einer solchen Nachzahlung handelt es sich um Arbeitsentgelt im Sinne von § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV (vgl. BSG, Urteil vom 16. Februar 2005 – B 1 KR 19/03 R, zitiert nach Juris). Dies muss vorliegend umso mehr gelten, als hier keine nachträgliche Änderung eingetreten ist, sondern vielmehr nur eine Neubewertung der tatsächlichen Verhältnisse erfolgte. Denn z.B. die Lohnzahlungen an die Ehefrau des Klägers im Rahmen des Scheinarbeitsverhältnisses sind tatsächlich geflossen bzw. der Kläger hat die nachzuversteuernden Sachleistungen erhalten.

Die Beklagte wird nunmehr das dem Kläger ab dem 31. März 2012 bis zum 30. September 2013 zustehende Verletztengeld unter Berücksichtigung eines Bruttolohneinkommens von 5.534,93 € neu zu berechnen und eine entsprechende Nachzahlung vorzunehmen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.

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