Explosionsunfall am Arbeitsplatz: Sicherheitsregeln missachtet, Unfallversicherungsschutz dennoch gewährt
Eine wohl explosive Angelegenheit in Niedersachsen-Bremen brachte das Landessozialgericht zu einer bemerkenswerten Entscheidung. Kern des Falls ist ein Arbeitsunfall, der sich am 9. Juli 2014 ereignete. Der Kläger, ein Tankwerker, war bei der Firma J., einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten, angestellt. Die Arbeit führte ihn in einen 5000 Liter fassenden metallenen Heizöltank, um dort Auskleidungsarbeiten durchzuführen. Was folgte, war eine Tragödie: Eine Verpuffung im Tank verursachte schwerste Verbrennungen bei dem Kläger, die sich auf 68 Prozent seiner Körperoberfläche erstreckten. Die Ursache der Explosion? Eine von dem Kläger im Tank entzündete Zigarette. Dieser Umstand führte zu einer rechtlichen Auseinandersetzung über den Unfallversicherungsschutz. Denn stellt sich die Frage: Kann ein Arbeitnehmer, der vorsätzlich eine Zigarette in einer potenziell explosiven Umgebung anzündet, auf den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zählen?
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Übersicht
Verwerfliches Verhalten oder doch versichert?
Das Sozialgericht Hannover hatte in erster Instanz die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers führte jedoch zu einer anderen Beurteilung des Falles. Obwohl die Zigarette als Auslöser der Explosion und des Unfalls identifiziert wurde, und der Mitarbeiter der Firma J., Herr O., ausgesagt hatte, dass er den Kläger mehrfach auf das Rauchverbot hingewiesen hatte, war das Landessozialgericht der Ansicht, dass der Versicherungsschutz dennoch greifen sollte.
Beweismittel und ihre Auswirkungen auf den Fall
Zentrale Beweise in diesem Fall waren der Durchgangsarztbericht, der die Ursache der Explosion darlegte, und die Aussagen des Kollegen des Klägers. Interessant ist der Vermerk des Polizeihauptkommissars (PHK), der die Aussagen des Kollegen aufnahm und dokumentierte. Eine wichtige Rolle spielte auch die Unfallanzeige der Arbeitgeberin sowie die Durchsicht der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Paderborn zu diesem Unglück.
Ein kontroverses Urteil, das Fragen aufwirft
Die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen hebt das Urteil des Sozialgerichts Hannover und den Bescheid der Beklagten auf. Dies bedeutet, dass trotz des selbstgeschaffenen Risikos durch das Anzünden einer Zigarette in einer gefährlichen Umgebung, der Kläger als Opfer eines Arbeitsunfalls angesehen wird und somit Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung hat. Die Beklagte wurde zudem verurteilt, die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Das vorliegende Urteil
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Az.: L 14 U 43/17 – Urteil vom 21.10.2021
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 4. November 2016 und der Bescheid der Beklagten vom 13. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2015 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Kläger am 9. Juli 2014 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Feststellung eines Arbeitsunfalles vom 9. Juli 2014.
Der im Jahre 1990 geborene Kläger war seit Februar 2014 als Tankwerker bei der J. in K., einem Unternehmen der L. GmbH und Mitgliedsunternehmen der Beklagten, versicherungspflichtig beschäftigt.
Am 9. Juli 2014 erlitt der Kläger bei Auskleidungsarbeiten (Leckschutzauskleidung) in einem 5.000 Liter Heizöl fassenden metallenen Öltank (4,5 x 1,5 x 1,5 Meter Größe) in Paderborn einen Unfall, als es zu einer Verpuffung kam. Laut Durchgangsarztbericht des Dr. M. vom 11. Juli 2014 zog der Kläger sich dabei schwerste Verbrennungen an insgesamt 68 vom Hundert (v.H.) der Körperoberfläche zu. Als Ursache der Explosion wurde in diesem Bericht ausgeführt, dass der Kläger sich im Tank eine Zigarette angezündet habe.
Nachdem die Mutter des Klägers die Beklagte am 16. Juli 2014 über den vorgenannten Unfall informiert hatte, leitete die Beklagte ein Feststellungsverfahren ein. In diesem Zusammenhang zog sie den o.g. Durchgangsarztbericht bei und holte die Unfallanzeige der Arbeitgeberin des Klägers vom 23. Juli 2014 ein. Darüber hinaus nahm sie Einsicht in das von der Staatsanwaltschaft (StA) Paderborn zu diesem Unglück geführte Ermittlungsverfahren (Az. 10 Js 181/14). In dieser Akte ist der Vermerk des Polizeihauptkommissars (PHK) N. vom 9. Juli 2014 enthalten, nach welchem der Mitarbeiter der Firma J. Herr O., der am Unglückstag mit dem Kläger zusammengearbeitet hatte, angegeben habe, dass sie im Auftrag ihrer Firma Arbeiten in dem Tank verrichtet hätten. In diesem Zusammenhang hätten sie die Innenhöhle des Tanks mit einem Sprühkleber versehen. Herr O. sei aus dem Tank geklettert, um Vlies (nächster Arbeitsschritt) aus dem Firmenwagen zu holen, als es einen Knall gegeben habe. Zu dem Zeitpunkt, als er aus dem Tank geklettert sei, habe der Kläger geraucht, obwohl er – Herr O. – ihm dies schon mehrfach untersagt habe. Aus dem vom selben Polizisten gefertigten Tatbefundbericht vom 10. Juli 2014 ergibt sich, dass direkt vor der kleinen Türöffnung zum Öltankraum auf dem Boden eine geöffnete Schachtel Zigaretten und mehrere Zigarettenkippen festgestellt werden konnten. In der geöffneten Türöffnung zum Öltankraum sei ein Einwegfeuerzeug festgestellt worden. Herr O. gab auf Nachfrage an, dass es sich bei den aufgefundenen Zigaretten und dem Feuerzeug um seine Sachen gehandelt habe. Sowohl er als auch der Kläger hätten im Verlauf des Tages in den Kellern Zigaretten geraucht. Während und nach den Arbeiten hätte er – Herr O. – jedoch nicht mehr im Keller geraucht. Er habe auch den Kläger darauf hingewiesen, dass zu diesen Zeitpunkten nicht mehr geraucht werden dürfe. Der Kläger habe nach Angaben des Herrn O. in dem 1,50 Meter tiefen Öltank gestanden, als er sich mit einem Feuerzeug eine Zigarette anzünden wollte. Laut Vermerk des PHK N. vom 15. Juli 2014 über ein Telefonat mit der Mutter des Klägers am selben Tag habe diese berichtet, dass der Mitarbeiter O. mittlerweile vier verschiedene Versionen des Unfalls vom 9. Juli 2014 erzählt habe. Nach dem Vermerk des PHK N. vom 16. Juli 2014 über ein Telefonat mit dem Dipl.-Ing. P. Q. über den Unfallhergang teilte Herr Q. mit, dass die brennbaren Gase in dem vom Kläger und Herrn O. verwendeten Pattex-Kleber schwerer als Luft seien. Da der Mitarbeiter O. durch die Explosion nicht verletzt worden sei, und sich als Spuren dieser Explosion lediglich Schmauchspuren über der Mannöffnung oberhalb des Öltanks befunden hätten, deute dies darauf hin, dass es lediglich eine Hauptexplosion in dem Tank gegeben habe. Daher erscheine eine Entzündung der Gase direkt über der Öffnung im Öltank als ziemlich sicher.
Mit Bescheid vom 13. August 2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 9. Juli 2014 als Arbeitsunfall ab, da der Kläger zum Unfallzeitpunkt keine versicherte Tätigkeit ausgeübt habe. Der Kläger habe zum Unfallzeitpunkt geraucht. Rauchen sei grundsätzlich dem privaten Bereich zuzurechnen, denn diese Tätigkeit stehe üblicherweise nicht mit der beruflichen Tätigkeit in Zusammenhang. Selbst eine besondere Betriebsgefahr könne im Falle des Klägers keinen Versicherungsschutz bedingen, da die private Verrichtung des Klägers (das Rauchen) wesentlich zur Bedrohung durch die zum Unfall führende Betriebsgefahr (hier: Explosion) beigetragen habe. Es handele sich um eine sogenannte „selbstgeschaffene Gefahr.“ Die durch das Anzünden einer Zigarette selbstgeschaffene Gefahr sei nicht wesentlich der betrieblichen Tätigkeit zuzurechnen und das Verhalten des Klägers zum Unfallzeitpunkt sei in so hohem Maße vernunftwidrig und gefährlich gewesen, dass mit großer Wahrscheinlichkeit mit einem Unglück des Klägers zu rechnen gewesen sei.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch bestritt der Kläger, im Öltank stehend geraucht zu haben. Dies werde lediglich aufgrund der Angaben des Zeugen O. vermutet. Dieser habe jedoch im Rahmen seiner Aussagen widersprüchliche Angaben gemacht. Darüber hinaus seien am Unglücksort auch weder seine – des Klägers – Zigaretten noch sein Feuerzeug gefunden worden. Die aufgefundenen Zigaretten und das Einwegfeuerzeug hätten dem Zeugen O. zugeordnet werden können, während die auf dem Fußboden im Tankraum liegenden Zigarettenkippen nicht weiter untersucht worden seien. Sie stammten vermutlich noch von den Vorarbeiten am Vortag, an denen er – der Kläger – nicht beteiligt gewesen sei. An diesen Vorarbeiten sei der Mitarbeiter R. der Firma S. beteiligt gewesen, der sich aufgrund des hohen Gefahrenpotentials jedoch geweigert habe, die Klebearbeiten dort auszuführen. Er – der Kläger – und der Zeuge O. seien vor dem Unfall etwa 1 Stunde lang mit Klebearbeiten in dem Öltank beschäftigt gewesen, der nur über eine 1 x 1 Meter große Öffnung zugänglich sei. Bei diesen Klebearbeiten sei der Sprühkleber Pattex verwendet worden, der nach Herstellervorgaben nur in gut belüfteten Bereichen und ausdrücklich nicht in kleinen, engen, unbelüfteten Räumen verwendet werden dürfe. Ein Abluftgerät/Belüftungsgerät habe die Firma S. nicht gehabt. Derartige Geräte seien erst nach dem Unfall angeschafft worden. Darüber hinaus seien bei den Klebearbeiten auch keine Atemmasken getragen worden. Als weitere Unfallursache müsse die von der Firma S. zur Verfügung gestellte veraltete Technik in Betracht gezogen werden. Ihm – dem Kläger – sei im Vorfeld der Arbeiten aufgefallen, dass die vom Arbeitgeber für die Durchführung der Arbeiten mitgegebene Lampe, die an die Tankinnenwand im oberen Tankbereich angehängt war, Funken geschlagen habe. Die Firma S. lasse Geräte weder warten noch fachgerecht reparieren. Schadhafte Geräte würden von den Mitarbeitern der Firma S. regelmäßig selbst repariert. Die Firma S. sei generell auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes sehr nachlässig. Luftmessungen seien grundsätzlich nicht durchgeführt worden. Schutzkleidung sei bis zu dem Unfall nicht zur Verfügung gestellt worden. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass seine durch das Arbeiten mit dem Vlies statisch aufgeladene Kleidung Funken geschlagen habe. Selbst wenn man jedoch unterstellen würde, dass er zum Zeitpunkt des Unfalls geraucht hätte, sei der Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zum einen hätte er dann während der Arbeit geraucht und seine Betriebstätigkeit beim Rauchen nicht unterbrochen, denn er habe den kurz vor dem Unfall gemachten Vorschlag des Zeugen O., eine Raucherpause einzulegen, abgelehnt, weil er noch die Arbeiten im Tank habe abschließen wollen. Darüber hinaus ergebe sich ein Verlust des Versicherungsschutzes auch nicht unter dem Gesichtspunkt der selbstgeschaffenen Gefahr, denn dieser habe in der gesetzlichen Unfallversicherung keine eigenständige rechtliche Bedeutung und lasse den inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nicht entfallen.
Die Beklagte zog daraufhin das Notarztprotokoll vom 9. Juli 2014 und die Stellungnahme des Klägers vom 23. Februar 2015 zu dem Unfall gegenüber seiner gesetzlichen Krankenversicherung bei. Darüber hinaus nahm sie noch einmal Einsicht in die Ermittlungsakte der StA Paderborn. In dieser Akte befand sich nunmehr die Aussage der Mutter des Klägers vom 4. Dezember 2014 über ein Gespräch mit dem Zeugen O. zu dem Unfall. Weiterhin war in der Akte eine vom Prozessbevollmächtigten des Zeugen O. vorgelegte Erklärung vom 24. Februar 2015 enthalten. Der Zeuge O. bestätigt in dieser Aussage, (nur) vor dem Beginn der Arbeiten mit dem Sprühkleber gemeinsam mit dem Kläger sowohl im Heizungskeller als auch im Öltankraum selbst geraucht zu haben. Er – der Zeuge O. – habe während der Arbeit eine Aktivkohlefilterschutzmaske getragen. Weitere Schutzmaßnahmen, bzw. Schutzvorrichtungen seien am Unfalltag nicht vor Ort gewesen. Seine Aufgabe und die des Klägers sei es gewesen, ein Innenvlies in den Tank einzukleben und sodann eine neue Hülle einzuziehen. Nachdem sie beide das Vlies in den Heizöltank eingebracht hatten, sei er – der Zeuge O. – aus dem Tank geklettert, um die Hülle aus dem Fahrzeug zu holen. Beim Herausklettern aus dem Öltankraum sei es zu der Explosion gekommen. Er habe unmittelbar vor der Explosion den Kläger im Tank stehend gesehen und einen hellen Lichtschein gesehen, den er als Zünden eines Feuerzeuges wahrgenommen habe. Er hat in seiner Aussage darüber hinaus darauf hingewiesen, dass der Kläger selbst nach eigenen Angaben keinerlei Erinnerungen an das Unfallgeschehen habe und deshalb auch keine Angaben dazu machen könne, ob er geraucht habe. In der Ermittlungsakte befindet sich weiterhin ein Sicherheitsdatenblatt zu dem vom Kläger verwendeten Sprühkleber „Pattex Power Spray permanent“ der Henkel AG & Co. KGaA sowie der vom Zeugen O. am 9. Juli 2014 unterzeichnete unvollständige Erlaubnisschein für die Arbeiten am Unfalltag. Darüber hinaus enthält die Ermittlungsakte den Vermerk der Mitarbeiterin Pohl der Bezirksregierung Detmold über die im Zusammenhang mit dem Unfall am 9. Juli 2014 festgestellten Verstöße gegen die Arbeitsschutzvorschriften. Weiterhin ist in der Ermittlungsakte die Stellungnahme der Prozessbevollmächtigten der Arbeitgeberin des Klägers vom 10. April 2015 enthalten, nach welcher die Arbeitgeberin jeglichen Verstoß gegen Arbeitsschutzvorschriften bestreitet. In diesem Zusammenhang hat sie darauf hingewiesen, dass bei den Tankarbeiten sogenannte „Ex-geschützte“ Lampen verwendet würden, bei denen – wie bei Grubenlampen – Funkenschlag nicht möglich sei. Gleiches verhindere zuverlässig eine Sicherung und der nachweislich am Unfalltag verwendete (vgl. Erlaubnisschein des Zeugen O. vom 9. Juli 2014), elektrisch besonders geschützte „Trenntrafo.“
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 2015 zurück: Der Unfall sei während einer Arbeitspause passiert, während welcher sich der Kläger eine Zigarette anzünden wollte. Insoweit habe die vom Zeugen O. zeitnah zum Unfall gemachte Aussage einen höheren Beweiswert als später getätigte Relativierungen dieser Aussage nach entsprechender Beeinflussung. Nach den Feststellungen der StA Paderborn habe eine ordnungsgemäße Unterweisung stattgefunden. Durch das grob fahrlässige eigenwirtschaftliche Handeln seien die betrieblichen Umstände durch die selbstgeschaffene Gefahr so weit in den Hintergrund gedrängt worden, dass das eigenwirtschaftliche Handeln als rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls anzusehen sei.
Der Kläger hat gegen den ihm am 21. September 2015 zugegangenen Widerspruchsbescheid am 21. Oktober 2015 beim Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben und seine Auffassung bekräftigt.
Die Beklagte hat an ihrem angefochtenen Bescheid festgehalten.
Das SG Hannover hat die Akte der StA Paderborn beigezogen sowie im Termin am 4. November 2016 den Kläger befragt und den Zeugen Christopher O. vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll von diesem Tage verwiesen. Im Anschluss hat es die Klage mit Urteil vom selben Tag abgewiesen: Der Kläger habe am 9. Juli 2014 keinen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) erlitten, als er nach Abschluss der Arbeiten im Tank – noch im Tank stehend – ein Feuerzeug angezündet habe. Die Kammer sei davon überzeugt, dass der Kläger sich während einer kurzen Arbeitspause eine Zigarette anzünden wollte und dadurch die Explosion ausgelöst habe. Bei dieser Verrichtung habe es sich um eine eigenwirtschaftliche unversicherte Tätigkeit gehandelt. Selbst wenn der Kläger die Zigarette nicht während einer Arbeitspause habe rauchen wollen, sondern während der Arbeit, hätte er selbst eine Gefahr geschaffen, die den Zusammenhang mit der versicherten betrieblichen Tätigkeit gelöst habe.
Der Kläger hat gegen das ihm am 5. Januar 2017 zugestellte Urteil des SG Hannover am 6. Februar 2017 (einem Montag) Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen. Der Zeuge O. sei angesichts seiner widersprüchlichen Aussagen nicht glaubwürdig. Im Übrigen sei seine Arbeit bei der Firma S. angesichts der nachlässigen Befolgung von Arbeitsschutzvorschriften durch diese Firma mit einer besonders hohen Betriebsgefahr verbunden gewesen. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass er sich im Tank eine Zigarette angezündet habe, liege ein Arbeitsunfall vor. Von einer selbstgeschaffenen Gefahr sei auch in diesem Fall nicht auszugehen, denn es hätten ohnehin betriebsbedingte Umstände (fehlende Belüftung, mangelhaftes Werkzeug, fehlende Einweisung) wesentlich mitgewirkt, die das Moment der Eigenwirtschaftlichkeit zurücktreten lassen würden.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 4. November 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2015 aufzuheben,
2. festzustellen, dass der Kläger am 9. Juli 2014 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat die Akte der StA Paderborn (Az.: (23) 10 Js 181/14) einschließlich des Sonderheftes „Unterlagen Bezirksregierung“ eingesehen und Kopien dieser Akte zu diesem Verfahren genommen. Darüber hinaus hat er im Termin am 21. Oktober 2021 den Kläger befragt und den Zeugen T. O. vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 21. Oktober 2021 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die der Entscheidungsfindung des Senats zugrunde gelegen haben.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143 f. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.
Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Das Urteil des SG Hannover vom 4. November 2016 und der Bescheid der Beklagten vom 13. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2015 waren aufzuheben. Der Kläger hat am 9. Juli 2014 einen Arbeitsunfall erlitten.
Richtige Klageart zur Erreichung des Ziels des Klägers ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann ein Versicherter vorab im Wege einer isolierten Feststellungsklage klären lassen, ob er einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit erlitten hat (BSG, Urteile vom 7. September 2004 – Az.: B 2 U 46/03 R – und B 2 U 35/03 R, zitiert nach Juris).
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung zum Zeitpunkt des fraglichen Unfallereignisses den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität, vgl. BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 2 U 19/11 R -, Juris, Rz. 20 m. w. N.). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (ständige Rechtsprechung, etwa BSG, Urteil vom 12. Mai 2009 – B 2 U 11/08 R -, Juris).
Die Verpuffung am 9. Juli 2014 ist ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper des Klägers wirkendes Ereignis und damit ein Unfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII. Dieser führte zu einem die körperliche Unversehrtheit des Klägers verletzenden Gesundheitserstschaden in Form von Verbrennungen seiner Haut im Umfang von 68 v.H. der Körperoberfläche. Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt auch als Beschäftigter der Firma J. gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII bei der Beklagten unfallversichert. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls auch eine „den Versicherungsschutz“ begründende Tätigkeit (versicherte Tätigkeit) „verrichtet“. Der Unfall ist „infolge“ dieser versicherten Tätigkeit eingetreten. Der Zurechnungszusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der zur Zeit des Unfalls ausgeübten Verrichtung ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 – B 2 U 24/03 R -, Rz. 13 m.w.N., Juris).
Bei einem nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Beschäftigten wie dem Kläger sind Verrichtungen im Rahmen des dem Beschäftigungsverhältnis zugrundeliegenden Arbeitsverhältnisses Teil der versicherten Tätigkeit und stehen mit ihr in dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Dies bedeutet nicht, dass alle Verrichtungen eines grundsätzlich versicherten Arbeitnehmers im Laufe eines Arbeitstages auf der Arbeitsstätte versichert sind, weil nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII nur Unfälle „infolge“ der versicherten Tätigkeit Arbeitsunfälle sind und es einen sogenannten Betriebsbann nur in der Schifffahrt (§ 10 SGB VII), nicht aber in der übrigen gesetzlichen Unfallversicherung gibt (BSG, a.a.O., Rz. 14 m.w.N.). Typischerweise und in der Regel unversichert sind höchstpersönliche Verrichtungen, wie z. B. Essen oder eigenwirtschaftliche wie z. B. Einkaufen (BSG, a.a.O.). Sie führen zu einer Unterbrechung des Versicherungsschutzes.
Für die wertende Entscheidung, ob die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, kommt der Handlungstendenz des grundsätzlich Versicherten, so wie sie durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird, besondere Bedeutung zu (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, a.a.O., Rz. 15 m.w.N.). Denn aufgrund der Handlungstendenz kann beurteilt werden, ob der versicherte Arbeitnehmer mit seiner konkreten Verrichtung zur Zeit des Unfalls eine auf seinem Arbeitsvertrag (§ 611 Bürgerliches Gesetzbuch) beruhende, dem Unternehmen dienende und damit unter Versicherungsschutz stehende Tätigkeit ausüben wollte.
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger am 9. Juli 2014 einen Arbeitsunfall erlitten. Der Senat geht nach Abschluss der Beweisaufnahme davon aus, dass die versicherte Tätigkeit des Klägers am Unfalltag darin bestand, gemeinsam mit dem Zeugen O. ein Innenvlies in einen Heizöltank einzukleben und sodann eine neue Hülle einzuziehen. Die eigentliche Montagearbeit wurde dadurch unterbrochen, dass der Zeuge O. nach dem Einkleben des Innenvlieses den Öltank verließ, um die Hülle aus dem Wagen zu holen. Der Kläger blieb im Tank stehen und wartete auf die Rückkehr des Zeugen O.. Dieser vom Senat festgestellte o.g. Sachverhalt ist aufgrund der insoweit übereinstimmenden Aussagen des Klägers und des Zeugen O. im Vollbeweis erwiesen und auch zwischen den Beteiligten nicht streitig. In diesem Zusammenhang war das Warten des Klägers im Tank Teil seiner versicherten Tätigkeit, denn die Unterbrechung hatte betriebliche Gründe und der Kläger war verpflichtet, sich für die Wiederaufnahme der Arbeit bei Rückkehr des Zeugen O. bereit zu halten. Dass reines Warten auf einen Einsatz Teil der versicherten Tätigkeit ist, zeigt auch der Vergleich mit Bereitschaftsdienst, der Teil der versicherten Tätigkeit ist, obwohl während eines solchen ggf. keine produktive Arbeit geleistet wird (BSG, a.a.O., Rz. 16 m.w.N.).
Zu prüfen bleibt, ob der Kläger – wie die Beklagte meint – während der vorgenannten Unterbrechung einer höchstpersönlichen oder eigenwirtschaftlichen Verrichtung nachgegangen ist, die in der Regel nicht versichert ist, weil er seine versicherte Tätigkeit unterbrochen hat. In diesem Zusammenhang war die Beklagte ebenso wie das SG Hannover bei der Entscheidung davon ausgegangen, dass der Kläger während der Arbeitspause im Tank stehend eine Zigarette rauchen wollte und beim Versuch des Anzündens der Zigarette die Verpuffung ausgelöst hat.
Es ist für den Senat nicht im erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen, dass der Kläger am 9. Juli 2014 während einer Arbeitsunterbrechung im Heizöltank stehend versucht hat, sich eine Zigarette anzuzünden und dadurch die Tankexplosion ausgelöst hat. Zwar ist dieser von der Beklagten und dem SG Hannover ihren jeweiligen Entscheidungen zugrunde gelegte Sachverhalt nicht ausgeschlossen. Allerdings verbleiben auch nach umfangreichen, erschöpfenden Ermittlungen gewichtige Zweifel an der entsprechenden Annahme der Beklagten und des SG Hannover:
Der Kläger selbst kann sich an den konkreten Unfallhergang nicht mehr erinnern, was angesichts der von ihm erlittenen schweren Unfallverletzungen – der Kläger lag im Anschluss an den Unfall einige Zeit im Koma – nachvollziehbar ist. Darüber hinaus hat der Kläger zwar eingeräumt, Kettenraucher zu sein und auch bei der Arbeit zwischendurch immer wieder geraucht zu haben. Allerdings hat er bestritten, jemals in Tankräumen, in welchen er an den jeweiligen Tanks Arbeiten durchzuführen hatte, geraucht zu haben.
Der einzige Zeuge O. hat zwar ursprünglich bei seiner ersten Aussage gegenüber dem ermittelnden PHK N. behauptet, dass der Kläger unmittelbar vor der Explosion eine Zigarette geraucht, bzw. angezündet hat. Allerdings hat er diese Aussage im Anschluss in wesentlichen Punkten geändert, worauf bereits die Prozessbevollmächtigte des Klägers in ihren Schriftsätzen hingewiesen hat: So hat er in einer von seinem Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 24. Februar 2015 gemachten Aussage ausgeführt, unmittelbar vor der Explosion einen hellen Lichtschein wahrgenommen zu haben, den er als Zünden eines Feuerzeugs durch den im Tank stehenden Kläger interpretiert habe. Im Termin vor dem SG Hannover am 4. November 2016 hat er demgegenüber ausgeführt, gesehen zu haben, wie der Kläger unmittelbar vor der Verpuffung ein Feuerzeug angezündet habe. Die vorherige davon abweichende Aussage, wonach er nur einen hellen Lichtschein gesehen haben will, hat er damit begründet, von seiner Arbeitgeberin enorm unter Druck gesetzt worden zu sein. Im Termin vor dem LSG am 21. Oktober 2021 hat er die vor dem SG Hannover gemachte Aussage im Hinblick auf das Verhalten des Klägers unmittelbar vor der Verpuffung wiederholt. Angesprochen auf seine abweichenden Aussagen im Hinblick auf das Verhalten des Klägers unmittelbar vor dem Unfall (Anzünden eines Feuerzeugs oder Sehen eines hellen Lichtscheins) und sein eigenes Verhalten (Tragen einer Maske während der Arbeit am Unfalltag, während der Kläger keine getragen habe gegenüber der Angabe Arbeiten des Klägers und des Zeugen O. ohne Maske) hat er eingeräumt, aus Angst falsche Angaben gemacht zu haben, weil er gewusst habe, dass er sich im Vorfeld des schweren Unfalls nicht regelkonform verhalten habe. Bei vorgenannten schwankenden Angaben des Zeugen O. und dessen freimütiger Einräumung, in verschiedenen Situationen die Unwahrheit gesagt zu haben, ist der Senat von der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen O., wonach dieser gesehen haben will, dass der Kläger die Explosion am 9. Juli 2014 durch das Zünden seines Feuerzeuges ausgelöst hat, nicht überzeugt. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Senat Zweifel hat, ob der Zeuge in der konkreten Haltung, die er während der Explosion nach eigenen Angaben innehatte, überhaupt gesehen haben kann, ob der Kläger ein Feuerzeug in der Hand gehabt hat. Der Zeuge hat hierzu im Termin vor dem LSG ausgeführt, zum Unfallzeitpunkt bereits mit dem Oberkörper durch die Brandschutztür quasi durch gewesen zu sein, während er sich mit den Händen an den Stäben festgehalten habe. In dieser Haltung habe er auf ein Rufen des Klägers mit dem Kopf rechts über die Schulter nach hinten geschaut und will dabei gesehen haben, wie der Kläger, der selbst zu diesem Zeitpunkt in einem Tank gestanden hat und nur mit einem Teil seines Körpers aus der Tanköffnung herausragte, ein Feuerzeug gezündet hat.
Soweit die Beklagte der ersten Aussage des Zeugen O. direkt nach dem Unfall gegenüber dem PHK N. mehr Gewicht gegenüber seinen späteren Aussagen beimessen will, vermag der Senat dieser Einschätzung nicht zu folgen. Denn weder das SGG noch die Zivilprozessordnung (ZPO) kennen eine Beweisregel in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben u.s.w. zu würdigen. Denn der objektive Beweiswert einer Erklärung kann nicht allein nach dem zeitlichen Abstand von dem Ereignis, auf das sie sich bezieht, bestimmt werden. Vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalles und vor allem auch die Glaubwürdigkeit der die Erklärung abgebenden Personen zu würdigen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 – B 2 U 41/02 R -, Rz. 20 m.w.N., Juris). Dies führt aufgrund der unterschiedlichen Angaben des Zeugen O. und der konkreten Situation zum Unfallzeitpunkt zu der o.g. Würdigung seiner verschiedenen Aussagen.
Soweit in dem Heizölraum vor dem Heizöltank, in welchem sich der Kläger zum Unfallzeitpunkt aufhielt, Zigarettenkippen sowie direkt vor der Türöffnung zum Öltankraum eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug gefunden worden sind, konnten diese dem Kläger nicht eindeutig zugeordnet werden. Hinsichtlich der vor dem Heizölraum aufgefundenen Zigaretten einschließlich des Feuerzeuges hat der Zeuge O. während des gesamten Verfahrens durchgehend eingeräumt, dass es sich hierbei um sein Feuerzeug und seine Zigaretten gehandelt habe. Da die Kippen im Heizölraum nicht untersucht worden sind, lässt sich nicht mehr feststellen, ob eine, bzw. einige von dem Kläger stammen und – dies unterstellt – eine von ihnen vom Kläger zum Unfallzeitpunkt geraucht, bzw. angezündet werden sollte. Da verschiedene Arbeitstrupps der Arbeitgeberin des Klägers unterschiedliche Arbeiten in den verschiedenen Öltanks der Häuser in Paderborn durchgeführt haben, ist auch durchaus denkbar, dass an den vorherigen Tagen, an denen bereits Arbeiten in dem Öltank durchgeführt worden waren, geraucht worden ist. Soweit der Zeuge O. im Termin am 21. Oktober 2021 noch von einem Gerücht berichtet hat, wonach ein Mitarbeiter der Arbeitgeberin des Klägers nach Abschluss der kriminaltechnischen Untersuchungen (offenbar im Öltankraum oder sogar im Öltank) das Feuerzeug des Klägers gefunden haben will, vermag diese Information das Ergebnis der Beweisaufnahme weder zu beeinflussen noch rechtfertigt sie weitere Ermittlungen. Denn unabhängig davon, dass ein Auffinden des Feuerzeugs des Klägers im Öltankraum/Öltank noch nicht beweist, dass dieses Feuerzeug die Verpuffung ausgelöst hat, ist auch nicht mehr nachweisbar, seit wann – vor oder nach dem Unfall – dieses Feuerzeug dort lag.
Der Senat ist sich durchaus bewusst, dass hinsichtlich der Ursachen der Verpuffung neben dem vom Zeugen O. behaupteten Anzünden eines Feuerzeuges durch den Kläger nur wenige Alternativen in Betracht kommen. In diesem Zusammenhang geht er entsprechend der telefonischen Aussage des Dipl.-Ing. P. Q. vom 16. Juli 2014 mit der Beklagten und dem SG Hannover davon aus, dass es (aufgrund der Tatsache, dass nur der Kläger verletzt worden ist und sich als Sachschaden im Öltankraum nur Schmauchspuren oberhalb der Mannöffnung des Öltankes gefunden haben) eine Hauptexplosion in dem Öltank gegeben hat, in welchem der Kläger zu diesem Zeitpunkt gestanden hat. Da der im Vorfeld dieser Verpuffung in dem Tank benutzte hochexplosive Pattex-Kleber schwerer als Luft ist, ist davon auszugehen, dass dieses Gasgemisch durch einen Funken zur Explosion gebracht worden ist. Allerdings hat der Senat nach Abschluss der Beweisaufnahme aufgrund der insoweit übereinstimmenden Aussagen des Klägers und des Zeugen O. keinen Zweifel daran, dass die Arbeitgeberin die für das Arbeiten in einem Tank erforderlichen Arbeitsschutz- und Sicherheitsvorschriften unzureichend bis gar nicht eingehalten hat. So haben sowohl der Kläger als auch der Zeuge O. nach eigenen Angaben während der gesamten Tätigkeit bei dieser Arbeitgeberin nur eine Sicherheitsunterweisung erhalten. Zu dem erstmalig am Unfalltag von beiden bei der Arbeit verwendeten Pattex-Kleber gab es gar keine Unterweisung. Entgegen der Vorschriften arbeiteten der Kläger und der Zeuge O. zeitgleich und ohne Maske in dem Öltank, wobei weitere Sicherheitsvorkehrungen wie z. B. ein ständiges Lüften des Heizraumes, die Nutzung einer Ex-geschützten Lampe im Öltank während der Klebearbeiten, ständige Messungen der Luft oder die Nutzung eines sogenannten „Trenntrafos“ von ihnen nicht bestätigt werden konnten. Die Beweisaufnahme hat zudem ergeben, dass dem Kläger und dem Zeugen O. die entsprechenden Geräte („Trenntrafo“) teilweise gar nicht bekannt waren. In diesem Zusammenhang haben sowohl der Kläger als auch der Zeuge O. bestätigt, dass es oftmals bei der Verteilung der Aufträge am Morgen zu wenige dieser Geräte für die verschiedenen Arbeitsgruppen gab und die Arbeitgeberin z. B. die Ex-geschützten Lampen nicht fachgerecht reparieren ließ, so dass es auch z. B. durch den Funkenschlag einer nicht fachgerecht reparierten Ex-geschützten Lampe, bzw. den Funkenschlag einer gar nicht für die Nutzung in einem Tank geeigneten Lampe zu einer Verpuffung gekommen sein kann. Soweit die Arbeitgeberin selbst diesen Sachverhalt bestritten hat und in diesem Zusammenhang auf den vom Zeugen O. unterzeichneten Erlaubnisschein vom 9. Juli 2014 verwiesen hat, vermag dieser Einwand keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Denn unabhängig davon, dass dieser Erlaubnisschein nur unvollständig ausgefüllt worden ist, hat der Zeuge O. im Termin am 21. Oktober 2021 versichert, diesen Schein erst nach dem Unfall am 9. Juli 2014 auf Drängen der Arbeitgeberin ausgefüllt und unterzeichnet zu haben. Der Senat hält die Aussage des Zeugen O. insoweit für glaubhaft, denn sie stimmt mit den Bekundungen dieses Zeugen im Termin am 4. November 2016 vor dem SG Hannover, den Angaben des Klägers und den zum Unfallzeitpunkt vorgefundenen Verhältnissen im Öltankraum überein.
Bleiben an der Behauptung des Zeugen O., wonach der Kläger selbst die Verpuffung im Tank stehend durch das Zünden seines Feuerzeugs zwecks Rauchens einer Zigarette verursacht hat, die o.g. Zweifel, geht diese Ungewissheit zu Lasten der Beklagten. Denn sie trägt bei der gegebenen Sachlage die objektive Beweislast dafür, dass der Kläger sich während der grundsätzlich versicherten Wartephase vorübergehend einer anderen, privaten Zwecken dienenden Verrichtung – hier dem Rauchen – zugewandt hatte. Verunglückt ein Versicherter wie hier der Kläger unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet hatte, so entfällt der Versicherungsschutz nur dann, wenn bewiesen wird, dass er die versicherte Tätigkeit für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen hatte. Das ist hier wie dargelegt nicht der Fall (so auch BSG, Urteile vom 26. Oktober 2004 – B 2 U 24/03 R –, Rz. 20, und 4. September 2007 – B 2 U 28/06 R –, Rz. 22 m.w.N., jeweils in Juris).
Selbst wenn der Senat davon ausgehen würde, dass der Kläger die Explosion durch das Zünden seines Feuerzeugs ausgelöst hätte, ergäbe sich keine andere Beurteilung. Denn dass nicht jede private Verrichtung während der versicherten Tätigkeit automatisch zu einer Unterbrechung des Versicherungsschutzes führt, ist nach der Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, seit langem anerkannt (vgl. BSG, Urteile vom 12. April 2005 – B 2 U 11/04 R -, Rz. 16 m.w.N., Juris). Vor allem bei einer gemischten Tätigkeit oder einer unwesentlichen Unterbrechung der versicherten Tätigkeit besteht der Versicherungsschutz fort. Eine gemischte Tätigkeit liegt vor, wenn eine Verrichtung nicht trennbar sowohl unversicherten privaten als auch versicherten Zwecken dient. Lässt sich eine Verrichtung in zwei Teile zerlegen, von denen einer versicherten und einer privaten Zwecken dient, liegt keine gemischte Tätigkeit vor. Versicherungsschutz bei einer gemischten Tätigkeit besteht, wenn sie dem Unternehmen zwar nicht überwiegend, aber doch wesentlich zu dienen bestimmt ist. Entscheidendes Abgrenzungskriterium hierfür ist, ob die Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre (ständige Rechtsprechung, BSG, a.a.O., Rz. 17).
Bei Unterbrechungen ist wie folgt zu unterscheiden: Die tatsächliche Unterbrechung einer versicherten Verrichtung ist nur dann versicherungsrechtlich relevant, wenn sie auch zu einer Unterbrechung des Versicherungsschutzes führt. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Unterbrechung privaten Zwecken dient. Nur dann liegt eine Unterbrechung im Rechtssinne vor, die auch den Versicherungsschutz unterbricht, weil die ausgeübte private Verrichtung nicht im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht. Dient eine Unterbrechung der versicherten Tätigkeit privaten Verrichtungen, unterbricht diese nach der Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, nur dann den Versicherungsschutz, wenn sie erheblich ist. Eine privaten Zwecken dienende, unerhebliche tatsächliche Unterbrechung, während der der Versicherungsschutz fortbesteht, liegt vor, wenn die Unterbrechung zeitlich und räumlich nur ganz geringfügig ist und einer Verrichtung dient, die „im Vorbeigehen“ und „ganz nebenher“ erledigt wird. Sie darf bei natürlicher Betrachtungsweise und in Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles nur zu einer geringfügigen, tatsächlichen Unterbrechung der versicherten Verrichtung geführt haben (vgl. hierzu BSG, a.a.O., Rz. 18 f.).
Nach diesen Grundsätzen hätte der Kläger – ein Anzünden der Zigarette im Tank stehend als im Vollbeweis erwiesen unterstellt – eine Verrichtung ausgeführt, die in sachlichem Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit gestanden hätte, als er die Zigarette anzündete und den Arbeitsunfall erlitt, in dessen Folge er erhebliche Hautverbrennungen erlitt. Denn der Kläger hätte seine grundsätzlich versicherte Berufstätigkeit ausgeübt – das Warten im Tank auf die Übergabe der vom Zeugen O. aus dem Wagen zu holenden Hülle, welche noch in den Öltank verbracht werden musste -, als er sich eine Zigarette anzündete. Dieses Anzünden hätte dann die Entzündung des sich im Öltank befindlichen hochentzündlichen Pattex-Gasgemisches verursacht, die eine Verpuffung im Tank ausgelöst hätte. Das Anzünden der Zigarette stellte in diesem Fall entweder eine unerhebliche private Verrichtung dar, die den Versicherungsschutz nicht unterbrochen hätte, weil sie offenkundig nur nebenher, während der Arbeit erfolgt wäre, zu keiner Entfernung vom Arbeitsplatz geführt und fast keine Zeit in Anspruch genommen hätte. Oder es wäre trotz der zeitlichen Kürze des Geschehens Teil einer gemischten Tätigkeit gewesen. Denn das Anzünden der Zigarette wäre zwar eine eigenständige Handlung, sie wäre aber während der Arbeitssituation im Öltank erfolgt und mit dieser untrennbar verbunden gewesen, wie vor allem die weitere Entwicklung mit der Verpuffung im Öltank belegt. Für eine weitergehende Unterscheidung zwischen kurzen gemischten Tätigkeiten und unerheblichen Unterbrechungen besteht vorliegend kein Anlass, denn unter beiden Blickwinkeln besteht Versicherungsschutz aufgrund des Zusammenhangs der Verrichtung zur Zeit des Unfalls mit der versicherten Tätigkeit.
Dass das Anzünden der Zigarette (als im Vollbeweis erwiesen unterstellt) in dieser Situation sorglos und unvernünftig gewesen wäre, hätte zu keiner anderen Beurteilung geführt und den sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Versicherungsschutz zur Zeit des Anzündens der Zigarette durch den Kläger nicht ausgeschlossen. Insbesondere würde aus dem im Laufe des Verfahrens verwandten Begriff der „selbstgeschaffenen Gefahr“ nichts Anderes folgen.
Der Begriff der „selbstgeschaffenen Gefahr“ ist nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BSG, die auch der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, eng auszulegen und nur mit größter Zurückhaltung anzuwenden. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass der Versicherungsschutz entfällt, wenn der Versicherte sich bewusst einer höheren Gefahr aussetzt und dadurch zu Schaden kommt, gibt es nicht. Auch leichtsinniges unbedachtes Verhalten beseitigt den bestehenden sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls nicht. Dies ist vielmehr nur ausnahmsweise dann der Fall, wenn ein Beschäftigter sich derart sorglos und unvernünftig verhält, dass für den Eintritt des Arbeitsunfalls nicht mehr die versicherte Tätigkeit, sondern die selbstgeschaffene Gefahr als die rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist. Dabei hat das BSG stets klargestellt, dass ein solches Verhalten den Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall nie ausschließt, wenn der Versicherte ausschließlich betriebliche Zwecke verfolgt. Die selbstgeschaffene Gefahr bekommt also erst dann Bedeutung, wenn ihr betriebsfremde Motive zugrunde liegen (BSG, a.a.O., Rz. 22 m.w.N.). Dementsprechend ist der Begriff der selbstgeschaffenen Gefahr für die Beurteilung des sachlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ohne Bedeutung. Ist die von dem Versicherten selbst geschaffene Gefahr seiner versicherten Tätigkeit zuzurechnen, ist diese Gefahrerhöhung unbeachtlich, wie sich aus § 7 Abs. 2 SGB VII ergibt. Steht die selbstgeschaffene Gefahr nicht im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, sondern ist sie einer privaten Verrichtung zuzurechnen, ist die Gefahrerhöhung als solche ebenfalls unerheblich, weil schon der sachliche Zusammenhang fehlt. Die selbstgeschaffene Gefahr ist daher kein besonderes Rechtsprinzip oder eigenständiger Rechtssatz zur Zusammenhangsbeurteilung beim Arbeitsunfall, sondern nur im Rahmen der Abwägung zwischen der versicherten und der nichtversicherten Ursache als Element der letzteren bei der Beurteilung des Zusammenhangs zwischen der versicherten Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis zu berücksichtigen (vgl. zum Ganzen BSG, a.a.O., Rz. 22 ff., m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben ist auch im Rahmen der Abwägung der Zusammenhang zwischen der versicherten Verrichtung Warten im Öltank auf die Übergabe einer Hülle zum Einbringen in den Tank und dem Unfallereignis Verpuffung zu bejahen. Vorliegend wäre die rein naturwissenschaftliche Ursache für die Verpuffung und die Verbrennungen des Klägers (ein entsprechendes Verhalten des Klägers zum Unfallzeitpunkt als im Vollbeweis erwiesen unterstellt) das Anzünden der Zigarette. Eine weitere naturwissenschaftliche Ursache wäre die Arbeitssituation, die geprägt war durch die Klebearbeiten mit einem feuergefährlichen Klebemittel in einem Öltank, in welchem das feuergefährliche Gasgemisch nicht abziehen konnte. Dabei hatte der Kläger keine entsprechende Sicherheitsunterweisung erhalten, obwohl er erst seit kurzem in dem Betrieb seiner Arbeitgeberin tätig war, den Beruf des Tanktechnikers nicht erlernt hatte, sondern aus einem fachfremden Beruf (Fachpraktiker im Verkauf) kam. Darüber hinaus sind als weitere Ursachen der Verpuffung – wie oben bereits ausgeführt – die mangelnden Arbeitsschutz- und Sicherheitsmaßnahmen anzuführen. Deshalb sind die betriebsbedingten Umstände durch das private Zigaretteanzünden – ein entsprechendes Verhalten des Klägers als im Vollbeweis gesichert unterstellt – nicht so weit zurückgedrängt worden, dass sie keine wesentliche Bedingung für den Unfall gewesen wären. Die Schwere der Verletzungen war entscheidend dadurch bedingt, dass nur durch die Ansammlung des feuergefährlichen Kleber-Gasgemisches in dem Öltank eine Verpuffung möglich war. Weder hatte der Kläger eine ordentliche Sicherheitsunterweisung für den erstmalig benutzten Klebstoff erhalten noch waren an seinem Arbeitsplatz die erforderlichen Arbeitsschutz- und Sicherheitsmaßnahmen (Trenntrafo, ordentliche Belüftung, Ex-geschützte Lampe, ständige Messungen der Luft etc.) durchgeführt worden. Gesteigert wurde dies durch den Arbeitsplatz im Öltank, der keine schnelle und einfache Flucht aus der Gefahr zuließ.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.