SG Karlsruhe – Az.: S 12 AS 565/21 ER – Beschluss vom 11.03.2021
1. Bezüglich des Zeitraums 25.01.2021 bis 28.02.2021 wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
2. Bezüglich des Zeitraums 01.03.2021 bis 30.04.2021 wird der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller als Zuschuss zu dem durch Bescheid vom 06.04.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.11.2020 bewilligten Arbeitslosengeldes 2 vorläufig
a) 26,- € für den Zeitraum 01.03.2021 bis 10.03.2021 nachzuzahlen und
b) für den Zeitraum 11.03.2021 bis 30.04.2021 nach Wahl des Antragsgegners
1.1 entweder als Sachleistung wöchentlich 20 Atemschutzmasken ohne Ausatemventil zur Verfügung zu stellen, welche den Anforderungen der Standards FFP2 (DIN EN 149:2001), KN95, N95 oder eines vergleichbaren Standards entsprechen
2.2 oder
aa) 60,- € für den Zeitraum 11.03.2021 bis 31.03.2021
bb) 86,- € für den Zeitraum 01.04.2021 bis 30.04.2021
zu zahlen.
3. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 2/3 zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vom Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung eines Mehrbedarfs zum Infektionsschutz vor SARS-Cov-2 im Wege der Bereitstellung von Mund-Nasen-Bedeckungen (MNBen) in einer durch das Gericht nach billigem Ermessen festzulegenden Qualität, Quantität, Dauer und Regelmäßigkeit sowie hilfsweise in Form von Geldleistungen für die Selbstbeschaffung eben solcher MNBen.
Der am … 1980 geborene Antragsteller bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuletzt bewilligte ihm der Beklagte mit Bescheid vom 06.04.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.11.2020 Arbeitslosengeld 2 für die Zeit vom 01.05.2020 bis 30.04.2021, ohne hierbei einen Mehrbedarf an MNBen zum Infektionsschutz vor SARS-Cov-2 leistungserhöhend zu berücksichtigen. Bedarfsbegründend wurde dabei für Januar 2021 bis April 2021 ein monatlicher Regelbedarfssatz von 446,- €, eine Grundmiete von 477,40 € sowie Heizkosten von 30,- € zugrunde gelegt. Das monatliche Einkommen von 100,- € wurde unter Hinweis auf die Freibetragsregelung nicht leistungsmindernd angerechnet. Insgesamt resultierte ein monatliches Arbeitslosengeld 2 von 953,40 €.
Seit 09.12.2020 streiten die Beteiligten vor dem Sozialgericht (SG) Karlsruhe über einen (neuerlichen) Antrag des Antragstellers auf Umwandlung eines ihm mit Bescheid vom 27.02.2018 gewährten Darlehens in einen Zuschuss (vgl. SG Karlsruhe, 12.12.2019, S 11 AS 2277/18; Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, 06.04.2020, L 3 AS 389/20 NZB; sowie aktuell rechtshängig: S 12 AS 3701/20).
Am 15.02.2021 forderte der Antragsteller vom Antragsgegner per Telefax höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zur Beschaffung von MNBen für die Zeit ab 25.01.2021. Zur Begründung verwies er auf den Beschluss der 12. Kammer des SG Karlsruhe vom 11.02.2021 im Verfahren S 12 AS 213/21 ER und bat um Entscheidung bis 01.03.2021.
Der Beklagte teilte dem Antragsteller mit Bescheid vom 19.02.2021 mit, er werte das Schreiben vom 15.02.2021 als Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 06.04.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.11.2020. Den so verstandenen Überprüfungsantrag lehne er ab, weil bei Erlass dieser Bescheide weder ein unzutreffender Sachverhalt zugrunde gelegt noch das Recht unrichtig angewandt worden sei. Ein Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen könne anlässlich der Beschaffung von MNBen nicht anerkannt werden. Nach § 1 Abs. 1 und § 2 Schutzmaskenverordnung (SchutzmV) hätten alle Bezieher:innen von Arbeitslosengeld (Alg) bis zum Ablauf des 06.03.2021 einen Anspruch auf einmalig zehn kostenlose FFP2-Masken. Darüber hinaus erhielten sie mit dem Sozialschutzpaket III für den Bewilligungsmonat Mai 2021 für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis zum 30. Juni 2021 zum Ausgleich der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Mehraufwendungen eine Einmalzahlung in Höhe von 150,- €.
Am 26.02.2021 legte der Antragsteller gegen den Ablehnungsbescheid vom 19.02.2021 Widerspruch ein und führte aus, er gehe davon aus, dass der Erkenntnisgewinn des Antragsgegners im Rahmen seiner gesetzlichen Pflichterfüllung zur Überprüfung der Sach- und Rechtslage selbst dann zu einer rechtmäßigen Abhilfeentscheidung führen werde, wenn der Widerspruch nicht begründet werde.
Am 01.03.2021 hat der weiterhin nicht fachkundig vertretene Antragsteller beim SG Karlsruhe einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt (und es damit binnen gut sechs Jahren zum insgesamt 26. Mal um Rechtsschutz gegen den Antragsgegner ersucht). Zur Begründung zitiert er umfangreich aus dem Beschluss der 12. Kammer des SG Karlsruhe vom 11.02.2021 im Verfahren S 12 AS 213/21 ER und ergänzt, der Antragsgegner dürfe ihn zur Deckung seines Bedarfes an Masken auch nicht auf die zehn Exemplare gemäß § 1 Abs. 1, § 2 SchutzmV verweisen, da diese Anzahl zu gering und ihm die Masken bislang noch nicht zur Verfügung gestellt worden seien. Auch auf die 150,- € nach dem „Sozialschutzpaket III“ oder die angebliche Möglichkeit zur Umschichtung der Regelbedarfsleistungen müsse er sich nicht verweisen lassen, denn diese bedeuteten jeweils eine Unterdeckung an anderer Stelle. Eine Verzögerung der Deckung seines Maskenbedarfs bis zu einer Klärung der Angelegenheit in der Hauptsache verursachte in seinem Fall eine existentielle Notlage, da er bereits am 23.02.2021 – ausweislich seiner zur Glaubhaftmachung eingereichten Kontoauszüge – über nicht mehr als 22,83 € verfügt habe.
Der Antragsteller beantragt wörtlich: „Den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller über das bewilligte ALG- II Leistungen hinaus rückwirkend zum 25.01.2021 für eine vom Gericht nach billigem Ermessen festzusetzende Dauer bis zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung vorläufig als zusätzliche Sachleistung in einer vom Gericht zu schätzenden Anzahl und Regelmäßigkeit Mund-Nasen-Bedeckungen zur Verfügung zu stellen und hilfsweise, für den Fall des Unterliegens hinsichtlich der Sachleistungsform, vorläufig höheres ALG- II Leistungen unter Berücksichtigung eines finanziellen Mehrbedarfs in einer vom Gericht zu schätzenden Höhe zu zahlen für die Selbstbeschaffung medizinischer Mund-Nasen-Bedeckungen in einer nach Rechtsauffassung des Gerichts seinen aufgrund der Corona-Pandemie bestehenden Mehrbedarf deckenden Qualität und Quantität.“
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlange grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (Anordnungsgrund). Für den Zeitraum vom 25.01.2021 bis 28.02.2021 fehle es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes, da der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim SG erst am 01.03.2021 eingegangen sei. Für den übrigen Zeitraum des aktuell laufenden Bewilligungsabschnitts bis 30.04.2021 sei kein Anordnungsanspruch gegeben, denn die Antragsablehnung vom 19.02.2021 sei rechtmäßig. Der Antragssteller habe nichts vorgetragen, was einen unabweisbaren laufenden oder einmaligen besonderen Bedarf an medizinischen FFP2-Masken rechtfertige. Sein Bedarf an MNBen werde bereits durch die Leistungen nach § 1 Abs. 1 und § 2 SchutzmV bzw. das Sozialschutz-Paket III gedeckt. Im Übrigen verweist der Antragsgegner auf die Beschlüsse der 4. Kammer des SG Karlsruhe vom 01.03.2021 (S 4 AS 470/21 ER) und des SG München vom 03.02.2021 (S 46 SO 29/21 ER). Es sei auch Bezieher:innen von Grundsicherungsleistungen möglich, die Kosten für solche Masken bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache aus der Regelleistung zu bestreiten, ohne dass damit unzumutbare Nachteile verbunden wären. Die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske bestehe nur beim Besuch von Krankenhäusern, stationären Einrichtungen sowie für dessen Personal. Im Übrigen reichten OP-Masken aus, die im Handel mittlerweile für wenige Cent angeboten würden, zumal für niedrigere Eurobeträge im Einzelhandel oder im Internet größere Packungen erworben werden könnten. Im Übrigen könne am sozialen Leben unter Einhaltung der Abstandsregeln u.a. im Freien bei unzählig vielen Aktivitäten teilgenommen werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2021 hat der Beklagte den Widerspruch vom 25.02.2021 gegen den Ablehnungsbescheid vom 19.02.2021 unter Hinweis auf seine dortigen Ausführungen als unbegründet zurückgewiesen. Klage hat der Antragsteller deswegen noch nicht erhoben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten des Verfahrens des einstweiligen Rechtschutzes sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat teilweise Erfolg.
Prozessuale Grundlage des im vorläufigen Rechtsschutz verfolgten Anspruchs ist § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach Satz 1 der Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache, soweit – wie hier – nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des:der Antragstellers:in vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG).
Gemessen hieran ist der vorliegende Eilantrag sachdienlich auszulegen und hiernach zulässig und teilweise begründet.
Die Auslegung des oben wörtlich widergegebenen Eilantrags richtet sich nach § 123 SGG i.V.m. § 106 Abs. 1 SGG. § 123 SGG bestimmt, dass das Gericht aber über die vom Antragsteller erhobenen Ansprüche entscheidet, ohne an die wörtliche Fassung der von ihm formulierten Anträge gebunden zu sein. Der:die Vorsitzende hat § 106 Abs. 1 SGG zufolge darauf hinzuwirken, dass das Gericht über sachdienliche Anträge entscheidet. Ein seitens eines:r juristischen Laien:in ohne fachkundige Beratung wörtlich formulierter Antrag ist nach dem sog. Meistbegünstigungsgrundsatz auszulegen. Dabei geht das Gericht von dem aus, was der:die Rechtsbehelfsführer:in erreichen möchte, wobei er:sie im Zweifel denjenigen Antrag stellen will, der ihm am besten zum Ziel verhilft (MKLS/Keller, 13. Aufl. 2020, SGG § 123 Rn. 3).
Aus dem Gesagten folgt für das vorliegende Verfahren, dass der Streitgegenstand dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens in Bezug auf die – ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts gestellte – Zeitdauer bis zum Ablauf des derzeitigen Bewilligungsabschnitts am 30.04.2020 beschränkt ist. Eine weitergehende Auslegung des Rechtsschutzbegehrens wäre nicht sachdienlich, weil die Bewilligung von Leistungen für Zeiträume nach dem 30.04.2021 weder in einem statthaften Klageverfahren gegen den Bescheid vom 19.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2021, noch im Wege des anhängigen Verfahrens des einstweiligen Rechtschutzes zulässiger Weise verlangt werden könnte.
Für die Zeit ab dem 01.05.2021 ist der Antragsteller gehalten, sein Begehren nach MNBen im Rahmen eines ggfs. erfolgenden Weiterbewilligungsantrags für den nachfolgenden Bewilligungsabschnitt zu verfolgen und erst parallel zu diesem künftigen Hauptsacheverfahren – falls nötig – das SG um einstweiligen Rechtschutz zu ersuchen. Das Fehlen der Sachentscheidungsvoraussetzungen über den 30.04.2021 hinaus folgt aus dem insoweit übereinstimmenden Vorbringen beider Beteiligten: Danach ist hier der mit dem Widerspruch vom 26.02.2021 angefochtene Bescheid vom 19.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2021 streitbefangen. Mit diesem Verwaltungsakt hatte es der Antragsgegner außergerichtlich abgelehnt, dem Antragsteller auf dessen Antrag vom 15.02.2021 MNBen zur Verfügung zu stellen oder höhere Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für deren Anschaffung zu gewähren. Diese Verwaltungsentscheidung umfasste die Prüfung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II, über dessen Berücksichtigung zusammen mit dem Regelbedarf zu entscheiden ist.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 19.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2021 hat der Antragsgegner eine Regelung dahingehend getroffen, dass er nach Durchführung eines Überprüfungsverfahrens an dem für die Zeit vom 25.01.2021 bis 30.04.2021 hinsichtlich des Regelbedarfs unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs vormals verfügten Bewilligungsbescheid vom 06.04.2020 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.11.2020 festhält. Die mit Bescheid vom 19.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2021 getroffene Entscheidung ermöglicht eine erneute Sachprüfung des hiervon betroffenen Bewilligungszeitraumes im eventuell nachfolgenden Klageverfahren (vgl. Bundessozialgericht (BSG), 12.9.2018, B 4 AS 33/17 R; SG Karlsruhe, 29.01.2019, S 15 AS 354/19). Nur insoweit steht der Zulässigkeit des Widerspruchs- und Eilbegehrens im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass die Bewilligung von Regelbedarfsleistungen für den derzeit laufenden Bewilligungsabschnitt vom 01.05.2020 bis 30.04.2021 bereits mit Bescheid vom 06.04.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.11.2020 erfolgte und mangels Anfechtung bestandskräftig geworden ist. Dabei kann dahinstehen, ob für die hier maßgebliche Zeit zwischen 25.01.2021 und 30.04.2021 eine Überprüfung der Bescheide vom 06.04.2020 und 21.11.2020 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) vorzunehmen oder ob einer eingetretenen (tatsächlichen oder rechtlichen) Änderung durch einen Bescheid gemäß § 48 SGB X Rechnung zu tragen war (vgl. BSG, 20.07.2005, B 13 RJ 37/04 R; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl. 2020, § 96 Rn. 1 ff.).
Der nach alldem hier auf den Zeitraum 25.01.2021 bis 30.04.2021 beschränkte Eilantrag des Antragstellers auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist im Übrigen sachdienlich formuliert, statthaft, zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Karlsruhe in formwirksamer Weise angebracht worden und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist der Antragsteller rechtschutzbedürftig, denn er hatte sich vor der Anrufung des Gerichts am 01.03.2021 bereits am 15.02.2021 mit seinem Begehren erfolglos an den Antragsgegner gewandt und dadurch gegen dessen noch nicht bestandskräftigen Ablehnungsbescheid vom 19.02.2021 innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist aus § 84 Abs. 1 SGG schon am 26.02.2021 den hiergegen statthaften Widerspruch frist- und formgemäß eingelegt und kann nun noch bis Ablauf der einmonatigen Klagefrist aus § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG Klage zum SG erheben.
Der demnach in seiner sachdienlich ausgelegten Gestalt insgesamt zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung ist bereits in seiner vorrangig gestellten Form mit dem aus dem Tenor ersichtlichen Inhalt begründet und im Übrigen – in Bezug auf beides: Sach- und Geldleistung – unbegründet.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die – summarische – Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen – insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz – wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], 25.07.1996, 1 BvR 638/96; BVerfG, 22.11.2002, 1 BvR 1586/02; BVerfG, 12.05.2005, 1 BvR 569/05). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 42 m.w.N.). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, 01.08.2005, L 7 AS 2875/05 ER-B).
Dabei müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, 22.11.2002, 1 BvR 1586/02; BVerfG, 29.07.2003, 2 BvR 311/03), wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel, das der:die Antragsteller:in mit seinem:ihrem Begehren verfolgt, und dessen Bedeutung insbesondere im Hinblick auf Fragen des Grundrechtsschutzes zu orientieren. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des:der Antragstellers:in umfassend die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des:der Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, 22.11.2002, a.a.O.).
1. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung für den Zeitraum 25.01.2021 bis 28.02.2021 nicht vor. Insofern ist jedenfalls kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Wird im Wege des Eilrechtschutzes die Bewilligung von Leistungen für Zeiträume in der Vergangenheit begehrt, fehlt es in der Regel am Vorliegen eines Anordnungsgrunds, es sei denn ein sog. Nachholbedarf kann festgestellt werden (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 29a m.w.N.). Für die Zeit vor dem Eingang des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes beim SG am 01.03.2021 ist aber im Hinblick auf das Begehren, den Antragsgegner zur Bereitstellung MNBen als Sachleistung bzw. (hilfsweise) zur Gewährung weiterer Geldleistungen zu verpflichten, kein Nachholbedarf vorgetragen worden oder von Amts wegen aus der Aktenlage ersichtlich.
2. Für die im Übrigen streitbefangene Zeit vom 01.03.2021 bis 30.04.2021 liegen die Voraussetzungen des Erlasses der begehrten einstweiligen Regelungsanordnung hingegen vor. Der Antragsteller hat insofern sowohl ein besonderes Eilbedürfnis an der Gewährung der streitbefangenen existenzsichernden Leistungen als auch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache glaubhaft gemacht.
Der Erfolgsaussicht in der Hauptsache steht die Bindungswirkung der vormals nicht binnen der einmonatigen Widerspruchsfrist angefochtenen Bescheide vom 06.04.2020 und 21.11.2020 aus § 77 SGG nicht entgegen. Hinsichtlich der davon auch betroffenen Bewilligungsmonate März 2021 und April 2021 kann das Gericht das Vorliegen eines Mehrbedarfs im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes inhaltlich voll überprüfen, weil im bereits laufenden Vorverfahren aufgrund des Widerspruchs vom 26.02.2021 gegen den Bescheid vom 19.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2021 über den Antrag vom 15.02.2021 der Bewilligungsbescheid vom 06.04.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.11.2020 nach §§ 44 ff. SGB X vom Antragsgegner erneut materiell-rechtlich in Bezug auf den Mehrbedarf an MNBen überprüft worden ist (siehe oben). Das Vorliegen eines solchen Anspruchs auf höhere Regelbedarfsleistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs an MNBen ist für März 2021 und April 2021 glaubhaft gemacht.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf höhere Leistungen sind §§ 19 ff. i.V.m. §§ 7 ff. SGB II. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen Personen, die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, (2.) erwerbsfähig sind, (3.) hilfebedürftig sind und (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II Arbeitslosengeld 2. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 19 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB II). Nach § 21 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II in der hier anwendbaren Fassung des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe und zur Änderung des SGB XII sowie weiterer Gesetze vom 09.12.2020 (BGBl. I S. 2855) wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II).
Der Antragsteller ist nach diesen Beurteilungsmaßstäben vom 01.03.2021 bis 30.04.2021 leistungsberechtigt nach dem SGB II. Ausschlussgründe liegen bei ihm nicht vor. Er hat Anspruch auf das ihm mit Bescheid vom 06.04.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.11.2020 bewilligte Arbeitslosengeld 2. Dieses umfasst neben den hier nicht streitigen Unterkunftskosten den Regelbedarf und jene Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 6 SGB II, die nicht durch den Regelbedarf gedeckt sind. Ein insofern berücksichtigungsfähiger Mehrbedarf an MNBen liegt hier mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor.
Der aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz [GG]) in das SGB II eingeführte zusätzliche Anspruch auf einen Härtefallmehrbedarf soll unter anderem Sondersituationen Rechnung tragen, in denen ein seiner Art oder Höhe nach auftretender Bedarf von der Statistik nicht aussagekräftig erfasst wird und sich der Regelbedarf als unzureichend erweist (BVerfG, 09.02.2010, 1 BvL 1/09 u. a., Rn. 206 ff., 220; BSG, 08.05.2019, B 14 AS 13/18 R). Der Gesetzgeber hat ausweislich der Gesetzesmaterialien mit der Härteregelung des § 21 Abs. 6 SGB II unter anderem einen dauerhaft erhöhten Hygienebedarf bezogen auf schwere Erkrankungen ausgleichen wollen (Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 21 [Stand: 06.01.2021], Rn. 120). Nach allgemeiner Auffassung ist der Anwendungsbereich des § 21 Abs. 6 SGB II deshalb eröffnet in Fällen der Notwendigkeit besonderer Hygieneartikel zum Schutze Dritter vor der Ansteckung mit einem gefährlichen Virus. Unter anderem wird das Bestehen eines grundsicherungsrechtlichen Mehrkostenaufwandes nach § 21 Abs. 6 SGB II anerkannt, soweit Hygienemittel zur Abwehr der Gefahr der Ansteckung Dritter mit dem „Humane Immundefizienz-Virus“ (abgekürzt: „HIV“ oder „HI-Virus“) genutzt werden (vgl. Adolph in: Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, 67, UPD November 2020, § 21, Rn. 66). Der mit dem für die Beschaffung von Hygieneartikeln eines HIV-Infizierten zum Schutz vor Kontakt mit ansteckenden Körperflüssigkeiten generell anerkannte Mehrbedarf ist vergleichbar mit dem Mehrbedarf für die Beschaffung von Hygieneartikeln zum effektiven Schutz vor respiratorischem Kontakt mit SARS-CoV-2-haltigen Aerosolen (Fortführung von: SG Karlsruhe, 11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER, Rn. 48). Zur Deckung ihres besonderen Schutzbedarfes gegen Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 steht Arbeitsuchenden ein subjektives Recht auf die Bereitstellung von wöchentlich 20 medizinischen Mund-Nasen-Bedeckungen zu, welche den Anforderungen der Standards FFP2 (DIN EN 149:2001), KN95, N95 oder eines vergleichbaren Standards entsprechen, wobei den Trägern der Grundsicherung unbenommen bleibt, anstelle dieser Sachleistung im Wege der Geldleistung ein höheres Arbeitslosengeld II zur Deckung des Mehrbedarfs zu gewähren (Fortführung von: SG Karlsruhe, 11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER; entgegen: SG Karlsruhe, 01.03.2021, S 4 AS 470/21 ER).
Da die Bestimmung des Epidemie-bedingten grundsicherungsrechtlichen Bedarfs an MNBen unter umfassender Berücksichtigung und Gewichtung aller in Baden-Württemberg maßgeblichen Rechtsvorschriften erfolgen muss, stellen allein die Bestimmungen der CoronaVO BW zu MNBen keinen zureichenden Maßstab für die Mehrbedarfsprüfung dar. Die im Widerspruch hierzu teilweise als ausreichender normativer Maßstab erachtete 5. ÄnderungsVO der CoronaVO des Landes Baden-Württemberg vom 23.01.2021 ab 25.01.2021 stellt für sich alleine schon deshalb keinen geeigneten Maßstab für den Mehrbedarf an MNBen(mehr) dar, weil bereits am 01.02.2020 die 6. ÄnderungsVO in Kraft getreten ist (Fortführung von: vgl. SG Karlsruhe, 11.11.2021, S 12 AS 213/21 ER, Rn. 53 und 104; entgegen: SG Karlsruhe, 01.03.2021, S 4 AS 470/21 ER, Rn. 21, 29, 34, 35, 48). Für die seit der späteren Ergänzung bzw. Ersetzung der 6. ÄnderungsVO sind wiederum nunmehr (einander jeweils kumulativ ergänzend bzw. ersetzend)
– zwischen 11.02.2021 und 14.02.2021 auch die 7. ÄnderungsVO vom 10.02.2021;
– zwischen 15.02.2021 und 28.02.2021 auch die 8. ÄnderungsVO vom 13.02.2021;
– zwischen 01.03.2021 und 07.03.2021 auch die 9. ÄnderungsVO vom 26.02.2021;
– zwischen 08.03.2021 und 28.03.2021 auch die 10. ÄnderungsVO vom 07.03.2021;
als weiterer normativer Maßstab in die Prüfung des Bedarfs an MNBen einzubeziehen.
In Anbetracht der bislang zehnmaligen Verlängerung der Rechtswirksamkeit der CoronaVO ist im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren auch anlässlich der bereits seit Mitte Februar 2021 wieder konstant (langsam) steigenden Neuinfektionszahlen sowie der gleichwohl zuletzt beschlossenen Teilrücknahme der Infektionsschutzmaßnahmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die CoronaVO entgegen § 21 Abs. 2 der 10. ÄnderungsVO über den 28.03.2021 hinaus – in abermals geänderter Form – in Kraft bleiben wird aufgrund neuerlicher ÄnderungsVO, soweit dies für den im Verfahren S 12 AS 565/21 ER streitbefangenen Zeitraum (bis 30.04.2021) entscheidungserheblich ist.
Auch in ihrer jeweils maßgeblichen Fassung stellen allein die Bestimmungen der Corona-Verordnung schon deshalb keinen zureichenden Maßstab für die Prüfung des Mehrbedarfs an Mund-Nasen-Bedeckungen dar, weil die Landesregierung des Bundeslandes Baden-Württemberg als Normgeber nach der Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes weder über die Verbandskompetenz noch über die Organkompetenz verfügt, Grundsicherungsleistungsansprüche nach dem SGB II eigenmächtig auszugestalten, und die Corona-Verordnung mit Sicherheit nicht den vom Bundesverfassungsgericht unmissverständlich klargestellten Anforderungen an Rechtsgrundlagen im Bereich existenzsichernder Leistungen genügt.
Nach den einschlägigen verfassungsgerichtlichen Vorgaben fehlt dem Bundesland Baden-Württemberg im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland bereits das Rechtsvermögen, Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende selbst zu regeln (vgl. Art. 70 ff. GG, Art. 91e GG, Art. 104a Abs. 3 Satz 3 GG).
Zudem fehlt der Landesregierung als Exekutivorgan das dem „Gesetzgeber“ vorbehaltene Privileg, förmliche Parlamentsgesetze erlassen zu dürfen.
Dementsprechend genügt die CoronaVO des Landes Baden-Württemberg – als vergleichsweise nur sehr mittelbar demokratisch legitimierte Landesrechtsverordnung – unter normenhierarchischen Gesichtspunkten – im Gegensatz zu den förmlichen Parlamentsgesetzen SGB II, StGB und IfSG bzw. zur Verfassung der Bunderepublik Deutschland – mit Sicherheit nicht den vom Bundesverfassungsgericht unmissverständlich klargestellten Anforderungen für Rechtsgrundlagen im Bereich existenzsichernder Leistungen. Bestehen, Inhalt, Umfang und Dauer von Grundsicherungsleistungsansprüchen sind nach dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 im Verfahren 1 BvL 1/09 durch Bundestag und Bundesrat in einem Bundesgesetz zu regeln und nicht in einer Landesverordnung (zum Infektionsschutz). Das Verfassungsgericht hat unmissverständlich herausgearbeitet, dass die Konkretisierung und stetige Aktualisierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG durch den (Bundes-) Gesetzgeber erfolgen muss. Der (Bundes-) Gesetzgeber muss die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen ausrichten und den typischen Bedarf zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums durch einen monatlichen Festbetrag decken. Der (Bundes-) Gesetzgeber muss daneben einen zusätzlichen Leistungsanspruch einräumen, der einen darüber hinaus gehenden unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf deckt (BVerfG, 09.02.2010, 1 BvL 1/09, Rn. 136).
Die – in Bezug auf die Grundsicherung bestehenden – kompetenzrechtlichen und normenhierarchischen Makel der (5. ÄnderungsVO zur) CoronaVO BW sind auch nicht allein deswegen entbehrlich, weil sie (möglicherweise) inhaltlich mit einem „Beschluss“ der Bundeskanzlerin und der Regierungschef:innen der Länder vom 19.01.2021 übereinstimmt (wohl in diese Richtung: SG Karlsruhe, 01.01.2021, S 4 AS 470/21 ER, Rn. 48). Dem sog. „Corona-Kabinett“ stehen nach der Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes keinerlei Gesetzgebungskompetenzen zu. Bei dem Recht zum Erlass von Parlamentsgesetzen handelt es sich um die Kernkompetenz der beiden Legislativorgane, Bundestag und Bundesrat. Die fundamentalen Rechte der beiden Gesetzgebungskammern bzw. die Rechte ihrer (gewählten) Repräsentanten werden nicht hinfällig durch rechtliche unverbindliche Entschließungen der Bundeskanzlerin und der Regierungschef:innen der Länder im sog. „Corona-Kabinett“. Derartig weitreichende Kompetenzverschiebungen könnte selbst der Verfassungsgesetzgeber den Exekutivorganen nicht einräumen (wenn er es denn wollte), weil die Mitwirkung der Gesetzgebungsorgane des Bundes an der Bundesgesetzgebung zum Kernbestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zählt, vgl. Art. 79 Abs. 3 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.
Richtigerweise ist für die Bemessung des Bedarfes an MNBen nach § 21 Abs. 6 SGB II gerade nicht nur von der CoronaVO in ihrer jeweils maßgeblichen Fassung auszugehen. Stattdessen muss der das Grundsicherungsrecht für Arbeitsuchende prägenden Grundsatz des „Forderns“ aus § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II den Ausgangspunkt der weiteren Mehrbedarfsprüfung bilden (Fortsetzung von: SG Karlsruhe,11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER, Rn. 92; entgegen: SG Karlsruhe, 01.03.2021, S 4 AS 470/21 ER). Da der streitbefangene Mehrbedarf aber nicht nur dem Infektionsschutz der Arbeitsuchenden selbst dient, sondern zuvörderst die Allgemeinheit vor der besonderen Gefahr einer weiteren Verbreitung von SARS-Cov-2 durch Arbeitsuchende ohne effektive MNB zu schützen – d. h. um den Infektionsschutz grundsicherungsrechtlich zu flankieren – wird der spezifisch grundsicherungsrechtliche Maßstab aus § 21 Abs. 6, § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Bezug auf MNBen durch den speziellen Infektionsschutzzweck aus § 21 Abs. 6 SGB II i.V.m. § 1, § 28a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3, Satz 2, Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 bis 3, § 32 Satz 1 IfSG i.V.m. §§ 1h, 1i CoronaVO gefahrenabwehrrechtlich überlagert (Fortsetzung von: SG Karlsruhe, 11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER, Rn. 92 bis 97; entgegen: SG Karlsruhe, 01.03.2021, S 4 AS 470/21 ER).
Infektionsschutz- bzw. gefahrenabwehrrechtlich sind für die Frage nach einem Masken-Mehrbedarf – neben den bloß untergesetzlichen Wertungen der CoronaVO BW – vor allem die vom zuständigen Bundesgesetzgeber selbst getroffenen Bestimmungen in § 28a IfSG zu berücksichtigen: § 28a Abs. 6 Satz 2 IfSG besagt, dass bei behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen über Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der von SARS-Cov-2 soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einzubeziehen und zu berücksichtigen sind, soweit dies mit dem Ziel einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung von SARS-Cov-2 vereinbar ist; gemäß § 28a Abs. 2 Satz 2 IfSG dürfen Schutzmaßnahmen nicht zur vollständigen Isolation von einzelnen Personen oder Gruppen führen; ein Mindestmaß an sozialen Kontakten muss gewährleistet bleiben. Gemessen hieran muss die Prüfung des Mehrbedarfs an MNBen daher nach dem erklärten Willen des maßgeblichen Bundesgesetzgebers darauf ausgerichtet werden, dass die Empfänger:innen der Grundsicherung durch diese unter den monatelang andauernden besonderen Epidemie-Bedingungen im existenzsichernden Mindestumfang am sozialen Leben teilhaben können und nicht übermäßig unter den sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen von SARS-Cov-2 leiden (Fortsetzung von: SG Karlsruhe, 11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER, Rn. 98; entgegen: SG Karlsruhe, 01.03.2021, S 4 AS 470/21 ER).
Neben der infektionsschutzrechtlich gebotenen Gefahrenabwehrprognose ist zur hiernach gebotenen Bemessung der als angemessenen anzusehenden sozialen Teilhabe besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass auch die verfassungskräftigen Vorgaben des Grundrechtskatalogs gewahrt bleiben, denn nur so kann den sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen der derzeitigen sozialen Isolation entsprechend IfSG i. V. m. CoronaVO BW hinreichend Rechnung getragen werden (Fortsetzung von: SG Karlsruhe, 11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER, Rn. 99; entgegen: SG Karlsruhe, 01.03.2021, S 4 AS 470/21 ER).
Daneben bemisst sich der Grundsicherungsbedarf an MNBen auch nach dem – bundesgesetzlichen – Strafgesetzbuch (StGB), weil Arbeitsuchende die rechtsverbindlichen Körperverletzungsverbote (aus §§ 12 Abs. 2, § 22 Abs. 2, § 23 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2, § 227 Abs. 1 StGB § 229 StGB) beachten (können) müssen. Dies wäre ihnen ohne die Gewährung eines grundsicherungsrechtlichen Mehrbedarfs an FFP2-Masken aber bei der Verrichtung ganz alltäglicher Erledigungen im Rahmen einer sozialen Teilhabe im grundrechtlich anzuerkennenden Mindestumfang unmöglich. Je nach den Umständen des Einzelfalls unternähmen Empfänger:innen von Grundsicherungsleistungen zwangsläufig verbotswidrige Handlungen, wenn sie bedingt vorsätzlich oder bewusst fahrlässig andere Personen mittels einer lebensgefährdenden Behandlung an deren Gesundheit entweder – im jeweils dezidiert strafrechtlichen Berufsjargon – „erfolgreich“ oder zumindest „versuchsweise“ schädigten. In §§ 223 ff StGB untersagt es der bundesgesetzliche (Straf-) Gesetzgeber, im Bewusstsein um einen möglicherweise präsymptomatischen oder asymptomatischen Infektionsverlauf beim Straßenbahnfahren, Einkaufen, Treppensteigen, Aufenthalt im Wartezimmer, Flanieren in der Fußgängerzone, etc. möglicherweise SARS-Cov-2-haltige Aerosole so auszustoßen, dass hierdurch die konkrete und nicht ganz fernliegende Gefahr einer Fremdinfektion mit SARS-Cov-2 geschaffen wird (Fortsetzung von: SG Karlsruhe, 11.11.2021, S 12 AS 213/21 ER, Rn. 46, 55-60; entgegen: SG Karlsruhe, 01.03.2021, S 4 AS 470/21 ER).
Es genügt für die grundsicherungsrechtliche Bedarfsbestimmung diese bundesgesetzliche Wertung in § 223 StGB, ohne dass es von Belang wäre, dass es zahlreiche Probleme im Bereich der Strafbarkeit im Zusammenhang mit COVID-19 gibt. Allein dieser bundesgesetzlich erklärte Wille, wonach das Schädigen der Gesundheit anderer Personen mit SARS-Cov-2-Viren verboten ist, rechtfertigt es für die Dauer der Epidemie, den Grundsicherungsempfänger:innen einen Bedarf an infektionsschutzmäßig geeigneten MNBen zuzusprechen, damit sie sich und andere Menschen effektiv vor gesundheitsschädlichen Virusinfektionen über die Atemluft schützen können. Indessen ist es grundsicherungsrechtlich unbeachtlich, ob von Arbeitsuchenden in Ermangelung von FFP2-Masken begangene Verstöße gegen §§ 223 ff. StGB ggfs. lebenspraktisch in dem für eine strafrechtliche Verurteilung erforderlichen Vollbeweismaß nachweisbar sind. Ebenso irrelevant ist es für § 21 Abs. 6 SGB II, ob etwaige Verdachtsfälle (in der Größenordnung von tagtäglich mehreren Millionen) ggfs. von den Strafverfolgungsbehörden schon mangels hinreichender persönlicher und sachlicher Ausstattung grundsätzlich nicht verfolgt werden (können) und die Strafbarkeit damit rein theoretischer Natur ist. Ebenso kann dahinstehen, ob Grundsicherungsempfänger:innen im Einzelfall der – im Strafrechtsjargon – Infektions-„Erfolg“ aufgrund eines selbstgefährdenden Verhaltens des „Opfers“ nicht objektiv zuzurechnen ist, ob Arbeitsuchende ggfs. den subjektiven Tatbestand – im Vertrauen auf die eigene Gesundheit tatsachenirrtümlich nicht – erfüllen (vgl. § 16 StGB), ob ihr (vermeidbar oder unvermeidbar verbotsirrtümliches) Fehlverhalten sie ggfs. entschuldigt oder ihre Schuld mindert (§ 17 Satz 1 bzw. 2 StGB) oder einer Strafbarkeit eine wirksame Einwilligung des Infizierten in dessen Selbstgefährdung entgegensteht. Im Ergebnis grundsicherungsrechtlich unerheblich ist auch die Rechtsfrage, ob der Schwerpunkt des vorwerfbaren Handelns auf einem Tun (d. h.: das Ausstoßen virushaltiger Aerosole in Gegenwart anderer Personen) oder einem Unterlassen (d. h.: Nichttragen einer MNB eines bestimmten Mindeststandards) liegt: Beide Handlungsformen sind ohnehin als modal äquivalent im Sinne von § 13, §§ 223 ff. StGB anzusehen, da jede Person rechtlich dafür einzustehen hat, dass die mit der Atemluft aus ihrem Körper möglicherweise ausströmenden SARS-Cov-2-Viren niemanden infizieren.
Das Tragen von OP-Masken erlaubt gerade nicht die Vornahme verbotener Körperverletzungshandlungen. Dass gerade durch das Tragen einer OP-Maske ggfs. eine Fremdgefährdung Dritter verhindert werden soll, spielt nach § 46 Abs. 1 bis 3 StGB nur bei der Strafzumessung im Sinne einer Strafmilderung eine Rolle; es hebt den normativen Handlungs- und Erfolgsunwert einer Gesundheitsschädigung nicht vollkommen auf und erlaubt die verbotene Erfolgsverursachung nicht. Die Anwendung unzureichender Schutzmaßnahmen in Gestalt des Tragens einer bloßen OP-Maske als MNB hat gerade nicht in den – für die strafrechtliche Bewertung – einschlägige normative Grundlagen des StGB vom hierfür zuständigen Bundesgesetzgeber Aufnahme gefunden, sondern nur in einer – strafrechtlich nicht maßgebliche – Rechtsverordnungen der Bundesländer und ist daher für den Mehrbedarf an MNBen nach § 21 Abs. 6 SGB II nicht als ausreichend anzusehen (Fortsetzung von: SG Karlsruhe, 11.11.2021, S 12 AS 213/21 ER, Rn. 99-105; entgegen: SG Karlsruhe, 01.03.2021, S 4 AS 470/21 ER, Rn. 50).
Leistungsempfänger, welche in Anbetracht präsymptomatischer oder asymptomatischer Krankheitsverläufe regelmäßig keine verlässliche Kenntnis darüber haben können, ob sie anlässlich einer eigenen Infektion die Schwelle zur Strafbarkeit im Sinne einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzung überschreiten, falls sie am sozialen Leben entsprechend ihres sozialen Existenzminimums teilnehmen, sind nach über vier Monaten „Lockdown“ gerade nicht gehalten, ins Blaue hinein auf die bloße Möglichkeit hin, Kontakte zu anderen Personen gänzlich zu vermeiden. Es ist insoweit einerseits Aufgabe der SGB II-Leistungsträger in Zeiten einer Pandemie ein Mindestmaß an Kontakten zu ermöglichen und andererseits Aufgabe jedes:r Grundsicherungsempfängers:in, seine:ihre Kontakte zu anderen, die nicht dem eigenen Hausstand angehören, auf das bloße Existenzminimum zu reduzieren (Fortsetzung von: SG Karlsruhe, 11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER; entgegen: SG Oldenburg, 08.03.2021, S 37 AS 48/21 ER, Rn. 23)
Nach alldem ist als Zwischenergebnis zu den Beurteilungsmaßstäben für § 21 Abs. 6 SGB II festzuhalten: Der normative Gesamtmaßstab für die Prüfung des Mehrbedarfs an Mund-Nasen-Bedeckungen ergibt sich aus einer integrativen Betrachtung des nach dem Grundgesetz garantierten Existenzminimums an sozialer Teilhabe, der nach dem Strafgesetzbuch gebotenen Abwendung von Gesundheitsschädigungen, des zur Gefahrenabwehr primär nach dem Infektionsschutzgesetz und sekundär nach der Corona-Verordnung erforderlichen Tragens von Mund-Nasen-Bedeckungen in hierfür geeigneter Qualität und Quantität sowie den beiden grundsicherungsrechtlichen Prinzipien des „Forderns“ zumutbarer Eigenbemühungen und des „Förderns“ individuell wie strukturell bedingt dauerhaft hilfebedürftiger Mitmenschen in prekären Lebensverhältnissen mit entsprechend herabgesetzter Anpassungsfähigkeit (Fortsetzung von: SG Karlsruhe, 11.11.2021, S 12 AS 213/21 ER, Rn. 46 und 55-59; entgegen: entgegen: SG Karlsruhe, 01.03.2021, S 4 AS 470/21 ER). Diesem – rechtlich extrem komplexem und anstrengendem – Maßstab darf in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht zugunsten eines – griffigeren, aber verkürzten – Maßstabs (hier: der 5. ÄnderungsVO zur CoronaVO BW) abgewichen werden, selbst wenn dies aus sog. „Praktikabilitätserwägungen“ wünschenswert erscheint (vgl. SG Karlsruhe, 12.01.2021, S 12 SO 3577/18), um durch Prozessökonomiesierungen in Sozialbehörden und -gerichten Personal- und Sachkosten zu reduzieren (vgl. SG Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19; vgl. SG Karlsruhe, 14.04.2020, S 12 SB 3113/19; vgl. SG Karlsruhe, 26.05.2020, S 12 SB 3599/19).
Gänzlich außer Acht zu lassen ist für die Feststellung des Mehrbedarfs an MNBen nach § 21 Abs. 6 SGB II das geplante „Gesetz zur Regelung einer Einmalzahlung der Grundsicherungssysteme an erwachsene Leistungsberechtigte und zur Verlängerung des erleichterten Zugangs zu sozialer Sicherung und zur Änderung des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes aus Anlass der COVID-19-Pandemie“ vom 24.02.2021 (sog. „Sozialschutz-Paket III“). Zwar hat der Bundesrat dem Sozialschutz-Paket III am 05.03.2021 zugestimmt. Es ist jedoch noch nicht im Bundesanzeiger verkündet worden, gemäß Art. 82 Abs. 1 und 2 GG noch unwirksam und steht einer – mit diesem Eilbeschluss vorgenommenen – vorläufigen Verpflichtung des Trägers der Grundsicherung nach dem SGB II zur Leistungserbringung nach dem subsidiären Auffangtatbestand des § 21 Abs. 6 SGB II jedenfalls bis zu seinem Inkrafttreten nicht entgegen.
Aber auch im Hinblick auf seine möglicherweise bevorstehende Verkündung und den absehbaren Zeitablauf über den 31.03.2021 hinaus wird das Sozialschutz-Paket III in einstweiligen Rechtsschutzverfahren für die Zeit ab seinem voraussichtlichen Inkrafttreten der sozialgerichtlichen Anspruchsprüfung teilweise nicht zugrunde zu legen sein, denn die im Sozialschutz-Paket III vorgesehene Einführung des geplanten § 70 SGB II verstieße gegen das Grundgesetz. Nach ihrer Verkündung durch den Bundespräsidenten wäre die mit dem sog. „Sozialschutz-Paket III“ vom 24.02.2021 für Mai 2021 beschlossene Einmalzahlung an Grundsicherungsempfänger:innen evident verfassungswidrig, weil das Existenzminimum nicht erst mit mehrmonatiger Verzögerung gedeckt werden darf und der Gesetzgeber zudem seinen Gesetzesbegründungspflichten nicht ansatzweise nachgekommen ist.
Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Sozialschutz-Paket III soll der neu eingefügte § 70 SGB II ausweislich des Gesetzesentwurfes vom 09.02.2021 in seiner am 24.02.2021 angenommenen Fassung (vgl. BT-Drucks. 19/26967, S. 6 i. V. m. BT-Drucks. 19/26542, S. 6) am 01.04.2021 mit folgendem Inhalt in Kraft treten:
„§ 70 Einmalzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie
Leistungsberechtigte, die für den Monat Mai 2021 Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld haben und deren Bedarf sich nach Regelbedarfsstufe 1 oder 2 richtet, erhalten für den Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 30. Juni 2021 zum Ausgleich der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Mehraufwendungen eine Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro. Satz 1 gilt auch für Leistungsberechtigte, deren Bedarf sich nach Regelbedarfsstufe 3 richtet, sofern bei ihnen kein Kindergeld als Einkommen berücksichtigt wird.“
In dieser Gestalt würde der geplante § 70 SGB II verfassungswidrig sein, weil die spezielle Normierung eines Mehrbedarfs aus Anlass der COVID-19-Pandemie fortan der Anwendung des Auffangtatbestandes für Mehrbedarfe aus § 21 Abs. 6 SGB II für den bedarfsdeckenden Zeitraum 01.01.2021 bis 30.06.2021 entgegenstehen wird und die neue Anspruchsgrundlage selbst zugleich das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art .1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs.1 GG verletzte.
Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG begründen ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, 09.02.2010, 1 BvL 1/09, Rn. 133). Dieser unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch erstreckt sich nicht nur auf die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlichen Mittel, sondern gewährleistet das gesamte Existenzminimum. Damit umfasst er sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben (BVerfG, 09.02.2010, 1 BvL 1/09, Rn. 135). Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert werden. Ein Hilfebedürftiger darf nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfebedürftigen gewährleistet ist. Dieser Leistungsanspruch muss zudem so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt. Der Umfang dieses Anspruchs kann nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden, sondern hängt von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab. Bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums kommt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasst (BVerfG, 09.02.2010, 1 BvL 1/09, Rn. 138). Dabei muss der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf bemessen. Zwar ist ihm dafür keine bestimmte Methode vorgeschrieben; jedoch müssen Abweichungen von der gewählten Methode sachlich gerechtfertigt sein. Zudem bedarf das gefundene Ergebnis einer fortwährenden Überprüfung und Weiterentwicklung, insbesondere wenn Festbeträge vorgesehen sind (BVerfG, 09.02.2010, 1 BvL 1/09, Rn. 139). Mit Rücksicht auf den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum beschränkt sich die materielle Kontrolle darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind. Mit Rücksicht auf den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum beschränkt sich die materielle Kontrolle des BVerfG im Hinblick auf das Ergebnis darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind (BVerfG, 09.02.2010, 1 BvL 1/09, Rn. 141). Zu prüfen ist deshalb, ob der Gesetzgeber das vom Grundrecht verfolgte Ziel in angemessener Weise erfasst und umschrieben hat, ob er ein grundsätzlich geeignetes Berechnungsverfahren gewählt hat, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und schließlich, ob er sich in allen Berechnungsschritten im Rahmen des Vertretbaren bewegt hat. Dazu hat der Gesetzgeber die zur Bestimmung des Existenzminimums eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen (BVerfG, 09.02.2010, 1 BvL 1/09, Rn. 143). Schätzungen „ins Blaue hinein“ laufen einem Verfahren realitätsgerechter Ermittlung zuwider und verstoßen deshalb gegen Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG. Die vom Gesetzgeber getroffenen Wertungen und Entscheidungen muss der Gesetzgeber vor allem dann nachvollziehbar begründen, wenn er von seiner selbst gewählten Methode abweicht (BVerfG, 09.02.2010, 1 BvL 1/09, Rn. 170). Im Hinblick auf das Erfordernis einer Härtefallregelung zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs muss jedoch in der Übergangszeit einer Verletzung von Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG vorgebeugt werden (BVerfG, 09.02.2010, 1 BvL 1/09, Rn. 220).
Im Widerspruch zu diesen verfassungsgerichtlich erkannten Beurteilungsmaßstäben ist den oben genannten BT-Drucksachen in verfassungswidriger Weise nicht ansatzweise zu entnehmen, warum eine Einmalzahlung für den Monat Mai 2021 in Höhe von 150,- € den Mehrbedarf aufgrund der COVID-19-Epidemie für die Monate Januar 2021 bis Juni 2021 decken sollte. Zur Begründung des geplanten § 70 SGB II heißt es dort nur:
„Die Regelung schafft einen Anspruch auf eine einmalige pauschale Zusatzleistung zum Ausgleich der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Mehraufwendungen. Wegen der unvorhersehbaren Entwicklung der Pandemie war es Leistungsberechtigten teilweise nur unter erschwerten Bedingungen möglich, für diese Belastungen Vorsorge zu treffen. Zusätzliche finanzielle Belastungen ergeben sich z. B. aus der Notwendigkeit, Schnelltests auf eigene Kosten durchzuführen, um ältere Verwandte besuchen zu können oder aus der Versorgung mit nötigen Hygieneprodukten und Gesundheitsartikeln. Zusatzbelastungen entstehen z. B. durch Ausgaben für die häusliche Freizeitgestaltung, insbesondere für Familien mit Kindern. Unterstützung ist deshalb durch eine Einmalzahlung vorgesehen.
Die Einmalzahlung soll so wenig verwaltungsaufwendig wie möglich erbracht werden. Sie ist deshalb an einen bestehenden Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld im Monat Mai gebunden und wird in der Folge von Amts wegen erbracht. Sie wird nur an Leistungsberechtigte erbracht, deren Regelbedarf sich nach Regelbedarfsstufe 1 oder 2 richtet. Das berücksichtigt, dass für Kinder, für die ein Anspruch auf Kindergeld besteht, die Zahlung eines Kinderbonus in gleicher Höhe vorgesehen ist, der nach dem Gesetz über die Nichtanrechnung des Kinderbonus nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist. Leistungsberechtigte mit Regelbedarfsstufe 3 erhalten die Einmalzahlung nur dann, wenn im Monat Mai kein Kindergeld als Einkommen berücksichtigt wird.
Wird Kindergeld berücksichtigt, ist davon auszugehen, dass der Kinderbonus zusteht. Aus technischen Gründen ist eine separate Auszahlung abweichend von dem üblichen Zahlungstermin für das Arbeitslosengeld II und Sozialgeld möglich; durch die Anknüpfung an den Leistungsanspruch im Monat Mai erfolgt die Zahlung im Regelfall ebenfalls im Monat Mai. Der Nachweis konkreter Mehraufwendungen im Einzelfall ist nicht erforderlich. Die Einmalzahlung erfolgt unabhängig von der Berechnung des Arbeitslosengeldes II/des Sozialgeldes; insbesondere ist die Einmalzahlung nicht in die Bedarfsberechnung und auch nicht in die Berechnung nach § 9 Abs. 2 Satz. 3 SGB II einzubeziehen.“
Überdies wird der Anspruch auf die Gewährleistungen des menschenwürdigen Existenzminimums auch durch die vorgesehene Leistungshöhe von nur 150,- € für einen sechsmonatigen Leistungszeitraum verletzt. Zur Deckung sämtlicher Mehrbedarfe durch die COVID-19-Epidemie sind mehr nötig als 25,- € monatlich. Die laut Gesetzesbegründung berücksichtigten zusätzlichen finanziellen Belastungen
– aus der Notwendigkeit, Schnelltests auf eigene Kosten durchzuführen, um ältere Verwandte besuchen zu können;
– aus der Versorgung mit nötigen Hygieneprodukten und Gesundheitsartikeln;
– aus der häuslichen Freizeitgestaltung, insbesondere für Familien mit Kindern
sind höher als der „ins Blaue hinein“ angesetzte Betrag. Im Widerspruch zu der nicht nachvollziehbaren Mehrbedarfs-Schätzung des Gesetzgebers beläuft sich allein der finanzielle Mehraufwand für MNBen in der grundgesetzlich gebotenen Qualität und Quantität auf eine deutlich höhere Summe (Fortsetzung von: SG Karlsruhe, 11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER).
Ferner wird das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Ab. 1 GG auch verletzt, weil der beschlossene Entwurf des § 70 SGB II in seiner geplanten Gestalt ohne hinreichenden Grund für die bereits in den Leistungsmonaten Januar 2021 bis April 2021 gegebenen Mehrbedarfe lediglich eine nachträgliche Leistungsgewährung im Mai 2021 vorsieht, obgleich es sodann wegen des zwischenzeitlichen Zeitablaufs evidenter Maßen schon zu spät sein wird, die Leistungen noch zweckentsprechend einzusetzen.
Des Weiteren verletzt der geplante § 70 SGB II den Anspruch auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für die Monate Januar 2021 bis April 2021 sowie Juni 2021 auch deswegen, weil in aus einem nicht verfassungslegitimen Grund die Leistungsgewährung existenzsichernder Mittel nicht nur vom Ausmaß der aktuellen Hilfebedürftigkeit abhängen soll, sondern auch davon, ob diese zu einem späteren bzw. früheren Zeitpunkt – nämlich: im Mai 2021 – vorliegen wird.
Schließlich verletzt der beschlossene Gesetzesentwurf für § 70 SGB II auch das allgemeine Gleichheitsgrundrecht, da kein Grund solcher Art und solchen Gewichts ersichtlich ist, der eine Diskriminierung von Grundsicherungsempfänger:innen rechtfertigt, welche im Mai 2021 aufgrund irgendwelcher Zufälligkeiten nicht im grundsicherungsrechtlichen Sinne hilfebedürftig sind und infolgedessen vom Schutzbereich der Norm nach ihrem unmissverständlichen Worten ausgeschlossen werden.
Der vom Gesetzgeber zur Rechtfertigung der genannten Grundrechtsbeschränkungen bemühte Zweck, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren, ist zwar verfassungslegitim, aber ungenügend, um die genannten, eklatanten Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen.
Nach alldem ist aufgrund der evidenten Verfassungswidrigkeit des geplanten § 70 SGB II auch über den Zeitpunkt des mutmaßlichen Inkrafttretens – den 01.04.2021 – hinaus im sozialgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren die bisherige Anspruchsgrundlage des § 21 Abs. 6 SGB II heranzuziehen und nach dessen Maßgabe Mehrbedarfsleistungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie zuzusprechen.
Eine Beschränkung des einstweiligen Rechtsschutzes dahingehend, dass die mögliche Verfassungswidrigkeit des Gesetzes außer Betracht zu bleiben hat, besteht nicht. Auch wenn es um die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes geht, sind die Fachgerichte durch das Gebot effektiven Rechtsschutzes gehalten, die Versagung von Eilrechtsschutz entweder auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen oder anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, wobei sie die grundrechtlichen Belange umfassend in die Abwägung einzustellen haben. Es entspricht der Aufgabenverteilung zwischen Fachgerichten und BVerfG am besten, wenn erstere schon im Eilverfahren die Möglichkeit haben, eine Verfassungswidrigkeit in ihre Erwägungen einzubeziehen, denn dies belastet sie nicht unzumutbar, da sie ihre Entscheidung auch auf eine Folgenabwägung stützen können, wenn sie es nicht für angebracht halten, Rechtsfragen vertiefend zu behandeln (Werdermann, Anmerkung zu LSG-Entscheidungen zur Bedarfsstufe Alleinstehender in Unterkünften, Asylmagazin, Zeitschrift für Flüchtlings- u. Migrationsrecht 5/2020, m. w. N.).
Aus dem Verwerfungsmonopol des BVerfG folgt nichts Anderes. Zwar hat ein Gericht nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit es bei seiner Entscheidung ankommt, weil nur dem BVerfG die Kompetenz zusteht, Gesetze für grundgesetzwidrig zu erklären. Diese Vorlagepflicht ist bei Eilentscheidungen aber nur ausnahmsweise gegeben. Sie kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn schon in dem Eilverfahren eine abschließende Entscheidung ergeht oder wenn die beantragte vorläufige Regelung die endgültige Entscheidung weitgehend vorwegnehmen würde. Das ist bei laufenden Sozialleistungen aber schon deshalb nicht der Fall, weil – anders als in der Hauptsache – nur vorübergehend höhere Leistungen begehrt werden. Es erfolgt allenfalls eine vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache, die mit jeder Entscheidung über einstweiligen Rechtsschutz unausweichlich verbunden ist (Werdermann, a.a.O.).
Im Eilverfahren, dessen Sinn und Zweck auf eine schnelle Entscheidung abzielt, findet lediglich eine Interessenabwägung statt, bei der die Frage der verfassungsrechtlichen Bedenken nur ein Element dieser Abwägung ist. Das BVerfG verneint eine Vorlagepflicht grundsätzlich: Die Fachgerichte seien durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des BVerfG auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheine und die Hauptsacheentscheidung dadurch nicht vorweggenommen werde (BVerfGE 86, 382 (389) = NJW 1992, 2749).
Der einstweilige Rechtsschutz kann auch nicht mit dem Argument versagt werden, dass bei der Gesetzgebung im Bereich der existenzsichernden Leistungen ein politischer Gestaltungsspielraum gegeben ist. Die Konkretisierung des Existenzminimums ist zwar grundsätzlich der parlamentarischen Gesetzgebung vorbehalten und die Fachgerichte daher nicht befugt, unmittelbar gestützt auf Normen der Verfassung einen Leistungsanspruch zuzusprechen. Jedoch wird mit der Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz keineswegs ein Leistungsanspruch zugesprochen, sondern lediglich eine vorläufige Regelung getroffen, die nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens rückgängig gemacht werden kann. Es kann aus grundrechtlichen Gründen geboten sein, vorübergehend in den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum einzugreifen (vgl. BVerfG, 18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, Rn. 99).
Neben Art. 1 Nr. 5 des Sozialschutz-Pakets III ist auch die die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) vom 21.01.2021 für die Mehrbedarfsprüfung gemäß § 21 Abs. 6 SGB II unbeachtlich. Die aus der Rechtsverordnung des Arbeitsministeriums ableitbaren Wertungen sind auf das Grundsicherungsrecht nicht übertragbar. Sie betreffen das zivilrechtliche Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und die Frage, wer für den Maskenbedarf in dieser privaten Vertragsbeziehung aufzukommen hat, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund einer fremdnützigen Geschäftsbesorgung zum Selbst- und Fremdschutz einer MNB bedarf. Die hiermit geregelten Sachverhalte und Interessenkonflikte sind ganz anderer Natur als das öffentlich-rechtliche Grundsicherungsverhältnis zwischen Jobcenter und Grundsicherungsempfänger:in. Überdies: Wenn das Arbeitsministerium bei seinen ursprünglichen Überlegungen zur Corona-ArbSchV geblieben und ein grundsätzliches MNB-Nivau des FFP2-Standards eingeführt hätte, würde dieses Schutzniveau für jedwede Tätigkeit gelten; d. h. z. B. auch, wenn ein einsamer Landschaftsgärtner körperliche Arbeiten im Freien verrichtet. Der Verzicht hierauf seitens des Arbeitsministers indiziert nicht die Wertung, dass Arbeitsuchende beim Einkaufen, im Wartezimmer, im Pflegeheim, in der Straßenbahn, im Fahrstuhl, im Krankenhaus etc. keine FFP2-Masken tragen sollten (Fortsetzung von: SG Karlsruhe,11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER, Rn. 92; entgegen: SG Karlsruhe, 01.03.2021, S 4 AS 470/21 ER, Rn. 48).
Gegen die Bejahung des Mehrbedarfs an MNBen aus § 21 Abs. 6 SGB II spricht nicht etwa, dass sich das Infektionsgeschehen seit dem Beschluss des SG Karlsruhe vom 11.02.2021 im Verfahren S 12 AS 213/21 ER gebessert habe. Vielmehr ist seither eine besorgniserregende Entwicklung zu verzeichnen, denn in den seither vergangenen Kalenderwochen ist die Anzahl wöchentlicher Neu-Infektionen im Bundesgebiet jeweils wieder kontinuierlich angestiegen (vgl. https://covid19.who.int/region/euro/country/de, zuletzt aufgerufen am 11.03.2021) und gleichwohl durch „Bund-Länder-Beschluss vom 03.03.2021“ eine bundesweite Lockerung der Infektionsschutzmaßnahmen vereinbart worden (https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/bund-laender-beschluss-1872126; zuletzt aufgerufen am 11.03.2021).
Dem Anordnungsanspruch des Mehrbedarfs an MNBen aus § 21 Abs. 6 SGB II steht nicht entgegen, dass diesbezügliche Aufwendungen bereits durch den Regelbedarf nach § 20 SGB II gedeckt wären. Soweit nicht der Mehrbedarf von Minderjährigen zutreffend verneinend wird, weil deren Kopf für FFP2-Masken ohnehin zu klein ist (vgl. SG Karlsruhe, 01.03.2021, S 4 AS 470/21 ER sowie diesem Beschluss folgend: SG Karlsruhe, 03.03.2021, S 18 AS 469/21 ER sowie – nicht veröffentlicht, aber beschwerdefähig: SG Karlsruhe, 03.03.2021, S 17 AS 471/21 ER) erlauben sämtliche bis zum 11.03.2021 veröffentlichten und von der Rechtsprechung der 12. Kammer des SG Karlsruhe dem Leistungsgrunde nach abweichenden Entscheidungsbegründungen anderer Sozialgerichte keine Aufgabe der bisherigen Kammer-Rechtsprechung (Fortsetzung von: SG Karlsruhe,11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER; entgegen: SG Oldenburg, 08.03.2021, S 37 AS 48/21 ER; SG Mannheim, 01.03.2021, S 5 AS 456/21 ER; SG Mannheim, 25.02.2021, S 7 AS 301/21 ER). Auch die älteren, veröffentlichten Beschlüsse gegensätzlichen Entscheidungsinhalts enthalten keine überzeugenden tatsächlichen oder rechtlichen Erwägungen (vgl. SG Lüneburg, 10.02.2021, S 23 AS 13/21 ER; vgl. SG München, 10.02.2021, S 37 AS 98/21 ER; SG Karlsruhe, 01.03.2021, S 18 AS 469/21 ER). Nachjustierungsbedarf sieht die 12. Kammer des SG Karlsruhe selbst hingegen in Bezug auf die (Geld- statt Sach-) Leistungsform für den Zeitraum zwischen Antragseingang bei Gericht und Eilbeschluss. Auch erscheint es nach nochmaliger Prüfung unrichtig, in Bezug auf in Mai bzw. Juni 2021 prognostisch sinkende Infektionszahlen den Mehrbedarfsanspruch quasi über Nacht zum Sommeranfang wegfallen zu lassen, anstatt ihn sukzessive zahlenmäßig ab Mai zu reduzieren. Schließlich bleibt abzuwarten, ob der Mehrbedarf an MNBen möglicherweise dadurch abnimmt, dass aufgrund eines noch anzustrengenden kollektiven Lern- und Motivationsprozesses im Zusammenhang mit den (vielleicht nur übergangsweise zu) hohen Sorgfaltsanforderungen an die private Wiederverwendung von FFP2-Masken binnen der nächsten Monate doch noch deren Wiederverwendung zur Regel werden könnte.
Da es im vorliegenden Verfahren ausweislich der vorgelegten Kontoauszüge auch nicht an der für den Erlass einer Regelungsanordnung vorausgesetzte Eilbedürftigkeit fehlt, liegt auch ein Anordnungsgrund vor.
Dies gilt auch unter Zugrundelegung des Umstandes, dass der Gesetzgeber den zusätzlichen durch die Corona-Pandemie verursachten Erschwernissen bereits Rechnung getragen hat und Anspruchsberechtigte nach dem SGB II nach der Ersten Verordnung zur Änderung der Coronavirus-Schutzmasken-Verordnung vom 04.02.2021 in der Zeit bis 06.03.2021 je zehn FFP2-Masken pro Person kostenlos erhalten können. Nach dem glaubhaften Vorbringen des Antragstellers standen ihm persönlich diese nicht bereits im Februar 2021 zur Verfügung. Auch unter Berücksichtigung der zehn demnach bis 06.03.2021 bereit gestellten FFP2-Masken ist der Antragsteller noch innerhalb der ersten März-Woche auf weitere MNBen eines zumindest vergleichbaren Qualitätsstandards angewiesen, weil es ermessensgerecht ist, ihm hiervon wöchentlich ca. 20 Exemplare zu überlassen.
Es steht im Ermessen des Gerichts, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwecks des einstweiligen Anordnungsverfahrens getroffen werden, da – nach alldem – die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung in Bezug auf die Bereitstellung von FFP2-Masken vorliegen. Gemäß § 938 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG bestimmt das Gericht nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zweckes erforderlich sind. Die Anzahl des im Falle der Erbringung als Sachleistung anzuerkennenden Mehrbedarfs an FFP2-Masken ohne Ausatemventil schätzt die Kammer gemäß § 202 SGG i.V.m. § 287 Abs. 2 ZPO für April 2021 und Mai 2021 weiterhin auf wöchentlich durchschnittlich 20 neue Exemplare (Fortsetzung von: SG Karlsruhe,11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER).
Inhalt einer im gerichtlichen Ermessen stehenden einstweiligen Verfügung kann auch sein, dem Antragsgegner eine bestimmte Handlung aufzugeben. Unter Ausübung ihres Auswahlermessens macht die Kammer hier von dieser Möglichkeit in der im Tenor ersichtlichen Weise Gebrauch und gibt dem Antragsgegner einstweilig auf, dem Antragsteller FFP2-Masken in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang und der dort vorgesehenen Regelmäßigkeit als Sachleistung am Wohnsitz des Antragstellers (d. h. im Sinne einer Schickschuld) zur Verfügung zu stellen. Das Gericht stellt dem Antragsgegner zugleich aber frei, seine Leistungspflicht nach seiner Wahl (d. h.: nicht nach Wahl des Antragstellers) alternativ hierzu dadurch zu erfüllen, dass er im Rahmen der laufenden Gewährung von Arbeitslosengeld 2 zugunsten des Antragstellers einen geldwerten Mehrbedarf in der vom Gericht geschätzten Höhe für die Selbstbeschaffung der FFP2-Masken in der erforderlichen Qualität und Quantität geldleistungserhöhend berücksichtigt (Fortsetzung von: SG Karlsruhe,11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER).
Die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur entsprechenden Mehrbedarfsleistung stellt auch in der Gesamtbetrachtung der widerstreitenden Interessen eine geeignete, erforderliche und angemessene, insgesamt also verhältnismäßige Maßnahme dar.
Sie lässt insbesondere auch Art. 3 Abs. 1 GG nicht außer Acht lässt, weil sie den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz beachtet. Die mit der kostenfreien Versorgung mit MNBen einhergehende Privilegierung von Grundsicherungsempfänger:innen gegenüber anderen – insbesondere anderen einkommensschwachen – Bevölkerungsschichten ist durch Unterschiede hinreichender Art und hinreichenden Gewichts gerechtfertigt, weil Einsparobliegenheiten nur dort bestehen, wo auch Einsparpotentiale vorhanden sind. Die Einsparpotenziale im Bezug existenzsichernder Leistungen nach dem SGB II unterscheiden sich aber aus zweierlei Gründen ganz wesentlichen von den Einsparpotentialen Angehöriger anderer Gesellschaftsschichten.
Erstens verfügen Arbeitsuchende und ihre Angehörigen aus oft vielschichtigen (individuellen wie strukturell bedingten) Gründen über eine regelmäßig herabgesetzte Anpassungsfähigkeit im Umgang mit den Herausforderungen der COVID-19-Epidemie. Unter dem viel beschworenen „Brennglas“ der Pandemie werden die Folgen dieser herabgesetzten Umstellungsfähigkeit erst nach und nach auch für derzeit voneinander noch mehr als sonst sozial distanzierte Gesellschaftsschichten sichtbar werden, wenn der bereits im November 2020 beschlossene und bis mindestens Ende März 2021 andauernde sog. „Lockdown“ endlich zu Ende gehen wird. Es ist aus der richterlichen Befassung mit einer Vielzahl grundsicherungsrechtlicher Streitigkeiten sozialgerichtsbekannt, dass Arbeitsuchende aus oft nicht sogleich zutage tretenden und unterschiedlichsten Gründen (z. B. wegen Suchtmittelabhängigkeit, beengter Wohnverhältnisse, Kinderreichtum, Alleinerziehung, familiärer Gewalterfahrungen, aufgrund körperlicher und/oder psychischer Komorbiditäten, mangels supportiver sozialer Netzwerke, aufgrund sprachlich und/oder ethnisch verursachter Integrationsprobleme, wegen mangelndem Zugang zu Bildung und Beratung, aus Rassismus, Klassismus, Sexismus, etc.) weniger flexibel auf alltägliche Erschwernisse reagieren können als im Vergleich zu ihnen privilegiertere Personen. Das in Gesellschaftskreisen ohne engen Kontakt mit dem sog. „Hartz-IV“-Milieu verbreitete und – mehr oder weniger verhohlene – Zerrbild des „schmarotzenden Hartz-IV-Empfängers“ trügt. Die Lebenswirklichkeit ist oft komplizierter als es von außen oder aufgrund der bloßen Aktenlage scheint (vgl. exemplarisch einen Extremfall aus der Kammer-Rechtsprechung von vor zwei Monaten, in dem hier ausnahmsweise erforderliche medizinische Ermittlungen ausnahmsweise den regelmäßig in der Aktenlage sonst verborgenen Hintergrund von Langzeitarbeitslosigkeit zutage förderten: SG Karlsruhe, 31.12.2020, S 12 AS 2003/20). Grundsicherungsempfänger:innen beziehen existenzsichernde Leistungen in aller Regel nicht aus Bequemlichkeit, sondern, weil sie aus individuellen und gesellschaftlichen Gründen keinen gleichen Zugang zu den Lebenschancen haben, welche der – insofern privilegierte und ignorante – Großteil der Bevölkerung für selbstverständlich hält. Der Sozialgesetzgeber hat eben dieser herabgesetzten Eigenverantwortlichkeit im SGB II durch ein umfangreiches System individueller Fördermöglichkeiten nach § 16 ff. SGB II Rechnung getragen. Bei der Gewährung von MNBen entspricht es daher seinem mutmaßlichen Willen, entsprechend dem SGB II- Struktur-Prinzip des „Förderns“ dauerhaft hilfebedürftige Mitmenschen in ihren prekären Lebensverhältnissen während der COVID-19-Epidemie wesentlich mehr zu unterstützen als Gering- und Besserverdiener:innen. Eben diesen Willen hat der Gesetzgeber auch am 24.02.2021 bzw. 05.03.2021 erneut – wenngleich in verfassungswidriger Weise, siehe oben – zum Ausdruck gebracht.
Zweitens können von Arbeitsuchenden und den Mitgliedern ihrer Bedarfsgemeinschaften auch in spezifisch wirtschaftlicher Hinsicht nicht gleichermaßen Einsparobliegenheiten verlangt werden wie von sozial und wirtschaftlich besser gestellten Gesellschaftsschichten. Die gesetzliche Regelbedarfs-Leistungshöhe im SGB II-Bezug geht nicht über das schlichte Existenzminimum hinaus. Anlässlich der Epidemie eingetretene Mehrbedarfe können Grundischerungsempfänger:innen daher nicht durch Einsparungen kompensieren, ohne dass ihnen existenzsichernde Leistungen in anderen Bereichen fehlen. Besser- und Geringverdiener:innen ist dies hingegen möglich (wenngleich fraglos lästig). Sozialstaatsprinzip und Menschenwürde erlauben es aber schlechterdings nicht, Arbeitsuchende aus Neid und unter Hinweis auf Einsparleistungen von Besser- und Geringverdiener:innen (geschweige denn: von Großverdiener:innen) auf die im SGB-II-Bezug verfassungsrechtlich fehlenden Einsparmöglichkeiten zu verweisen. Beim Existenzminimum ist „Ende Gelände“. Das bundesdeutsche Verfassungsrecht sieht in Art. 1 Abs. 1, Art. 14 Abs. 2 Satz 1 und 2 und Art. 20 Abs. 1 GG die Sozialpflichtigkeit nicht bei den Menschen, die bereits am untersten Rand des Menschenwürdigen leben, sondern bei denen, die über ausreichend Privateigentum verfügen, denn dessen Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen, während die Würde des Menschen und das Prinzip des Sozialstaats unantastbar sind, vgl. Art. 79 Abs. 3 GG.
Nach alldem gilt: Eine verfassungs- und bundesgesetzeskonforme Gewährleistung sozialer Teilhabe erfordert es mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zumindest bis 30.04.2021 weiterhin, Arbeitsuchenden unter den Bedingungen der Corona-Pandemie durchschnittlich wöchentlich 20 neue Mund-Nasen-Schutz-Masken entsprechend den Anforderungen der Standards FFP2 (DIN EN 149:2001), KN95, N95 oder eines vergleichbaren Standards ohne Ausatemventil zur Verfügung zu stellen (Fortsetzung von: SG Karlsruhe,11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER).
Die zehn dem Antragsteller aufgrund der Coronavirus-Schutzmasken-Verordnung rechtlich bis 06.03.2021 zustehenden, aber seinen glaubhaften Angaben zufolge noch nicht vor Anrufung des Gerichts am 01.03.2021 zur Verfügung gestellten MNBen mindern seinen Mehrbedarf an MNBen Anfang März, ohne ihn vollständig zu decken (Fortsetzung von: SG Karlsruhe,11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER, Rn. 84). Leistungsmindernd anzurechnen sind die zehn MNBen daher zwischen Antragstellung bei Gericht am 01.03.2021 und diesem stattgebenden Beschluss vom 11.03.2021.
Die im Falle der Erbringung als Geldleistung fällige Höhe des Mehrbedarfs schätzt das Gericht auf der Grundlage von § 202 SGG i.V.m. § 287 Abs. 2 ZPO auf 86,- € monatlich, ohne dass es hierbei die schwankende Anzahl von Monatstagen berücksichtigen dürfte (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Hierbei legt die Kammer die im Online-Handel wie in Supermärkten und Drogerien seit ihrem Beschluss vom 11.02.2021 nochmal erheblich gesunkenen Preise zugrunde. Von ihrer eigenen Entscheidung abweichend erscheint es hiernach inzwischen überwiegend wahrscheinlich, dass in der Größenordnung von 20 Exemplaren ein Stückpreis von nur noch ca. 1,- € für FFP2-, KN95- und N95- Corona-Schutzmasken (ohne zusätzliche Lieferkosten) für die Selbstbeschaffung aufzuwenden ist. Bei durchschnittlich 4,3 Wochen je Kalendermonat resultiert rechnerisch ein Mehrbedarf an 86 FFP2-Masken zu einem geschätzten Gesamtpreis von 86,- €.
Aus dieser für den Bewilligungsmonat April 2021 maßgeblichen kalendermonatlichen Geldleistungshöhe ergibt sich im hier vorliegenden Eilverfahren in Bezug auf den Bewilligungsmonat März 2021 für dessen drei letzte streitbefangene Wochen ab dem Tag, der auf diesen Beschluss folgt (12.03.2021) bis zum Monatsende am 31.03.2021 ein anteiliger Mehrbedarf von 60,- € (rechnerisch: für 3 Wochen lang jeweils 20 Masken zu je 1,- € = 60,- €).
Für die ersten elf Bewilligungstage im März 2021, die seit Eingang des Eilantrags beim Sozialgericht Karlsruhe am 01.03.2021 und dessen Eilbeschluss am 11.03.2021 bereits verstrichen sind, erfüllte eine nachträgliche Sachleistung des Antragsgegners ihren Leistungszweck nicht mehr, weshalb das Gericht den Antragsgegner insofern vorläufig zur nachträglichen Leistungsgewährung in Form einer Geldleistung verpflichtet und einen Betrag von 26,- € als der Höhe nach angemessen erachtet, damit insgesamt nicht mehr oder weniger als 86,- € für den gesamten Kalendermonat März 2021 vorläufig geleistet werden.
Die mit dieser Entscheidung ggf. verbundene vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache hält die Kammer im Sinne der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für hinnehmbar.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und folgt im Wesentlichen aus dem Umfang des Obsiegens bzw. Unterliegens der Beteiligten.
4. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen.