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Verletztenrente bei unfallbedingter posttraumatischer Belastungsstörung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Az.: L 14 U 103/17 – Beschluss vom 08.12.2021

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 29. März 2017 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung weiterer Unfallfolgen sowie die Bewilligung einer höheren Verletztenrente.

Der im Jahre 1952 geborene Kläger, der als Lkw-Fahrer im Fernverkehr erwerbstätig war, erlitt am 7. Januar 2005 einen Arbeitsunfall, als der von seinem Kollegen gesteuerte Lkw auf der Autobahn in einen Verkehrsunfall verwickelt wurde, in dessen Verlauf der Kläger aus der Koje geschleudert wurde und gegen die Windschutzscheibe prallte. Er wurde sodann im F. stationär aufgenommen. Der Durchgangsarzt Dr. G. diagnostizierte bei dem Kläger eine Flankenprellung der Lendenwirbelsäule (LWS) links mit Frakturen der Querfortsätze der Segmente L 2 bis 4, eine Stirnschürfwunde sowie eine Prellung des rechten Unterschenkels (vgl. Bericht vom 7. Januar 2005). Die stationäre Therapie erfolgte konservativ (Entlassungsbericht Dr. G. und Kollegen vom 27. Januar 2005). Nach dem Bericht des Arztes für Neurologie H. vom 15. Februar 2005 äußerte der Kläger bei einer Untersuchung am 10. Februar 2005 u. a. auch Schmerzen der linken Hals-Schulter-Oberarmregion mit morgendlichem Taubheitsgefühl im ganzen linken Arm und der linken Hand. Eine Magnetresonanztomographie (MRT) der Halswirbelsäule (HWS) vom 17. März 2005 ergab u. a. eine Protrusion der Bandscheibe C6/7 und einen Prolaps der Bandscheibe C5/6 (Bericht des Radiologen Dr. I. vom 18. März 2005).

Die Beklagte holte sodann ein Gutachten der Chirurgen Dres. J. /K. – BG-Unfallambulanz und L. – vom 8. Mai 2005 ein. Diese führten u. a. aus, als Unfallfolgen bestünden eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der LWS mit ausgeprägtem Muskelhartspann links paravertebral über den frakturierten Querfortsätzen L2 bis L4 mit Erschütterungsschmerz und lokalem Druckschmerz sowie ein Areal mit herabgesetztem Gefühlsempfinden an der Außenseite des linken Oberschenkels. Demgegenüber seien die Beschwerden im Bereich der linken Nackenseite, des Schultergürtels und des Schultergelenks mit Ausstrahlung in den linken Arm und die linke Hand verbunden mit Taubheitsgefühl und schmerzhafter Bewegungseinschränkung unfallunabhängig. Sie seien Folge erheblicher degenerativer Veränderungen im Bereich der HWS mit Bandscheibenschäden in mehreren Etagen und deutlicher Einengung des Neuroforamens C3/4. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die Unfallfolgen werde für die Zeit vom 14. März 2005 bis 30. Juni 2005 mit 20 vom Hundert (v. H.) eingeschätzt.

Nach Einholung der Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. M. vom 24. Mai 2005 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Juni 2005 die Gewährung einer Rente ab, da der Arbeitsunfall vom 7. Januar 2005 über die 26. Woche hinaus keine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß hinterlassen habe.

posttraumatischer Belastungsstörung
(Symbolfoto: Photographee.eu/Shutterstock.com)

Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch holte die Beklagte das Gutachten der Unfallchirurgen Dr. N. /Dr. O. – P. – vom 11. Januar 2006 ein. Diese führten u. a. aus, als Unfallfolgen lägen derzeit noch anteilige Verspannungen der paravertebralen Rückenstreckmuskulatur nach pseudarthrotisch ausgeheilten Querfortsatz-Abrissfrakturen L3/L4 und fest verheiltem Querfortsatzbruch links bei L2 vor. Für die Zeit ab dem 14. September 2005 sei die MdE mit 10 v. H. einzuschätzen. In einem von der Beklagten zusätzlich eingeholten Gutachten des Arztes für Neurologie Q. vom 9. Februar 2006 gelangte dieser zu dem Ergebnis, die unfallbedingte Schädelprellung sei folgenlos ausgeheilt. Die degenerativen Veränderungen der HWS, eine Läsion des Nervus cutaneus femoris lateralis links (Nerv zur Versorgung der seitlichen Oberschenkelhaut bis zum Knie) sowie ein Tinnitus bei Innenohrschwerhörigkeit seien unfallunabhängig. In der abschließenden Stellungnahme vom 3. Mai 2006 verblieben die Chirurgen Dres. N. /O. bei ihrer MdE-Schätzung.

Die Beklagte holte sodann noch das weitere Gutachten der Dres. N. /O. – R.– vom 18. Dezember 2006 ein. Hierin gingen diese weiterhin davon aus, dass die LWS-Beschwerden des Klägers nur teilweise in ursächlichem Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall vom 7. Januar 2005 stünden. Als funktionelle Unfallfolgen werteten sie anteilige Verspannungen der paravertebralen Rückenstreckmuskulatur im LWS-Bereich nach Abrissfrakturen der Querfortsätze bei L2 bis L4 sowie anteilige Einschränkungen der Rumpfbeweglichkeit. Die MdE schätzten sie weiterhin mit 10 v. H. ein.

Im Hinblick auf den Hinweis der behandelnden Ärzte im S. auf das Vorliegen eines Tinnitus mit teilweisem Hörverlust beidseits bei dem Kläger und den ebenfalls eine Schwerhörigkeit bestätigenden Bericht eines Hörgeräteakustikers vom 19. Oktober 2006 sagte die Beklagte mit Schreiben vom 24. Oktober 2006 eine Prüfung zu, ob aufgrund des Unfalls vom 7. Januar 2005 eine Versorgung mit Hörgeräten zu erfolgen habe. Einen Erstbefund hatte insoweit bereits der Arzt für HNO-Heilkunde T. in einem undatierten Bericht, eingegangen bei der Beklagten am 6. Mai 2005, erhoben. Dieser war damals von einer Innenohrschwerhörigkeit beidseits und einem Tinnitus ausgegangen.

Die Beklagte holte hierzu das Gutachten des HNO-Arztes Prof. Dr. U. – P. – vom 26. Januar 2007 ein. Dieser führte u. a. aus, das Trauma könne aufgrund des Unfallhergangs und des zeitlichen Zusammenhangs mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als ursächlich für die angegebenen Symptome einer Hörminderung und eines Tinnitus beidseits angesehen werden. Spätschäden bzw. eine weitere Progredienz der beklagten Symptome seien denkbar. Gegenüber den früheren Befunden hätten die tonschwellenaudiometrischen Kontrollen jetzt jedoch eine deutliche Besserung des Hörvermögens ergeben. Eine spätere Verschlechterung sollte daher kritisch gesehen werden. Die MdE sei insoweit mit unter 10 v. H. einzuschätzen.

Mit Bescheid vom 10. Mai 2007 half die Beklagte dem Widerspruch des Klägers gegen den vorangegangenen Bescheid vom 14. Juni 2005 teilweise ab, indem sie u.a. als Unfallfolgen eine anteilige Einschränkung der Rumpfbeweglichkeit, anteilige Verspannungen der paravertebralen Rückenstreckmuskulatur im LWS-Bereich nach pseudarthrotisch ausgeheilten Abrissfrakturen der Lendenwirbelkörper (LWK) II bis IV links, eine Hörminderung beidseits sowie einen Tinnitus aurium beidseits feststellte. Dagegen erkannte sie ein chronisches LWS-Schmerzsyndrom bei degenerativen Veränderungen, eine Dekompression des Spinalkanals L3/4 und L4/5 beidseits mit dynamischer Stabilisierung in diesem Bereich bei ligamentärer Instabilität, ein chronisches HWS-Schmerzsyndrom, osteochondrotische Bandscheibenvorfälle bei C5/6 und C3/4 mit Instabilität, eine ventrale Fusion der Segmente C5/C6 und C3/C4, einen Zustand nach Leistenbruchoperation im Kindesalter, einen leichten Beckentiefstand rechts, eine leichte O-Achsenfehlstellung beider Beine, ein Bluthochdruckleiden sowie einen Diabetes mellitus Typ 2 nicht als Unfallfolgen an. Die Gewährung einer Rente lehnte die Beklagte weiterhin ab.

Den vom Kläger mit Schriftsatz vom 31. Mai 2007 ausdrücklich aufrechterhaltenen Widerspruch wies die Beklagte sodann mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2007 zurück.

Der Kläger hat u.a. hiergegen am 20. Dezember 2007 Klage beim Sozialgericht (SG) Oldenburg (Verfahren S 7 U 278/07) erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Arbeitsunfall habe neben dem bereits von der Beklagten anerkannten Folgen auch zu einer Verletzung der HWS geführt, die im Mai 2005 eine Bandscheibenoperation notwendig gemacht hätte. Die Beklagte schulde ihm eine Verletztenrente in Höhe von mindestens 50 v. H. der Vollrente.

Demgegenüber hat die Beklagte die angefochtenen Bescheide verteidigt.

Das SG Oldenburg hat die Klage mit Urteil vom 21. Januar 2009 abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, ein Rentenanspruch des Klägers bestehe nicht. Von einer HWS-Schädigung durch den Unfall sei nicht auszugehen. Die Untersuchungen hätten allein degenerative Veränderungen ergeben. Ein Rentenanspruch bestehe auch nicht unter Berücksichtigung der dem HNO-ärztlichen Fachgebiet zuzurechnenden Unfallfolgen, da diese mit einer nicht messbaren MdE bewertet worden seien.

Gegen das ihm am 26. Januar 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. Februar 2009 Berufung eingelegt (Verfahren L 14 U 49/09). Er hat u.a. vorgetragen, zu den Unfallfolgen zählten auch die Dekompression des Spinalkanals bei L3/4 und L4/5 mit Einschränkung der Stabilität, das HWS-Schmerzsyndrom sowie die Bandscheibenvorfälle an der HWS bei C3/4 und C5/6, die eine Fusionsoperation notwendig gemacht hätten. Es sei jedenfalls zu prüfen, ob diese Leiden wesentlich durch den Arbeitsunfall mitverursacht worden seien.

Die Beklagte hielt die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Das Landessozialgericht (LSG) hat das Gutachten des Arztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. V. vom 19. Juni 2012 eingeholt. Darüber hinaus hat es die in einem Verfahren des Klägers gegen die Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) auf Anerkennung einer beruflich bedingten Lärmschwerhörigkeit (Berufskrankheit – BK – gemäß Nr. 2301 der Anlage 1 Berufskrankheiten-Verordnung) eingeholten Gutachten des HNO-Arztes Dr. W. vom 4. Januar 2010 sowie des HNO-Arztes Dr. X. vom 14. Dezember 2011 beigezogen. Hierzu hat die Beklagte eine Stellungnahme ihres beratenden HNO-Arztes Prof. Dr. Y. vom 4. Juli 2013 mit einer korrigierten Fassung vom selben Tage vorgelegt. Im Termin am 19. Juli 2013 haben die Beteiligten im Anschluss einen Vergleich geschlossen, nach welchem sich die Beklagte u.a. verpflichtet hat, dem Kläger ab dem 11. Januar 2010 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. aufgrund der auf HNO-ärztlichem und chirurgischem Fachgebiet nachgewiesenen Unfallfolgen des Klägers zu gewähren.

Bereits im März 2010 war der Beklagten der Bericht des Leiters der Ambulanz für Schmerztherapie des Z. vom 4. März 2010 über die ambulante schmerztherapeutische Behandlung des Klägers übersandt worden. Dieser veranlasste die Beklagte zur Prüfung möglicher Unfallfolgen auf nervenfachärztlichem Gebiet. So zog sie den Zwischenbericht der Durchgangsärztin U. vom 22. März 2010 bei, wonach der Kläger u.a. an einer posttraumatischen Verarbeitungsstörung, einem Failed-Back-surcery und einem chronischen Schmerzsyndrom mit reaktiver Depression leidet. Mit Bescheid vom 6. April 2010 teilte die Beklagte dem Kläger im Anschluss mit, dass wegen der geklagten Beschwerden auf nervenfachärztlichem Gebiet keine Leistungsansprüche bestünden, da hier kein rechtlich-wesentlicher Zusammenhang mit dem Unfall vom 7. Januar 2005 bestehe. Die vom Kläger aktuell geklagten Beschwerden seien nicht auf die anerkannten Unfallfolgen, sondern auf die unfallfremden Erkrankungen des Klägers im Bereich seiner Wirbelsäule zurückzuführen.

Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 1. Dezember 2010, abgesandt am 3. Dezember 2010).

Hiergegen hat der Kläger am 4. Januar 2011 vor dem SG Oldenburg Klage erhoben, wobei das Verfahren zunächst wegen des bereits vor dem LSG anhängigen, o.g. Verfahrens mit Beschluss vom 7. März 2011 ruhend gestellt wurde. Nach der Erledigung des Verfahrens L 14 U 49/09 nahm das SG Oldenburg das Verfahren wieder auf (Aktenzeichen nunmehr: S 73 U 59/14) und zog den Entlassungsbericht des AA. vom 19. Oktober 2010 bei. Darüber hinaus holte es den Befundbericht des Allgemeinmediziners AB. vom 17. Juni 2014 ein. Weiterhin reichten der Kläger den Arztbrief der AC. vom 27. Januar 2015 sowie die Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. Dr. AD. vom 8. September 2014 zur Gerichtsakte. Daneben holte das SG Oldenburg das neurologisch-psychiatrische Gutachten der Dr. AE. vom 14. April 2016 ein. Diese Sachverständige hat in ihrem Gutachten ausgeführt, dass bei dem Kläger auf neurologischem Fachgebiet eine Läsion des Nervus cutaneus femoris lateralis links sowie auf psychiatrischem Fachgebiet eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren vorläge. Beide Gesundheitsstörungen könnten nicht auf den Arbeitsunfall des Klägers vom 7. Januar 2005 zurückgeführt werden.

Mit Urteil vom 29. März 2017 hat das SG Oldenburg die Klage abgewiesen und seine Entscheidung im Wesentlichen auf das Gutachten der Dr. AE. gestützt.

Hiergegen hat der Kläger am 19. April 2017 Berufung eingelegt und sein bisheriges Vorbringen bekräftigt. Er ist der Ansicht, dass die bei ihm auf psychiatrischem Fachgebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen als Unfallfolge anzuerkennen seien. Entgegen der Auffassung des SG Oldenburg habe der Arbeitsunfall eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) verursacht. Ebenso seien auch das bei ihm bestehende chronische Schmerzsyndrom sowie die Läsion des Nervus cutaneus femoris lateralis links auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Aufgrund dieser Gesundheitsstörungen sei ihm darüber hinaus eine höhere Verletztenrente zu gewähren.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

1. das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 29. März 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 06. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. Dezember 2010 aufzuheben,

2. festzustellen, dass die Gesundheitsstörungen „Läsion des Nervus cutaneus femoris lateralis links, chronische Schmerzstörung, posttraumatische Belastungsstörung“ Folgen des Arbeitsunfalls vom 7. Januar 2005 sind,

3. die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mehr als 20 v. H. der Vollrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG Oldenburg für zutreffend. Sie weist im Hinblick auf die vom Kläger als Unfallfolge geltend gemachte PTBS noch darauf hin, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt geschlafen habe und auch der Beschwerdeverlauf gegen einen Kausalzusammenhang spreche. Trotz zahlreicher ärztlicher/gutachterlicher Untersuchungen und vielfältiger Möglichkeiten der Schilderung von psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen seien entsprechende zeitnahe Befunde nicht dokumentiert. Beispielhaft seien hier die Schilderungen des Klägers in einem Schreiben seines Bevollmächtigten vom 20. Juni 2007 (Akten-Id. 393 der Verwaltungsakten der Beklagten) angeführt.

Mit Verfügungen vom 20. Januar 2020 und 6. Juli 2021 hat der Senat die Beteiligten zu einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die der Entscheidungsfindung des Senats zugrunde gelegen haben.

II.

Der Senat konnte über die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu zuvor angehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG Oldenburg mit seinem Urteil vom 29. März 2017 die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 6. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Weder kann festgestellt werden, dass die Gesundheitsstörungen „Läsion des Nervus cutaneus femoris lateralis links, chronische Schmerzstörung, PTBS“ rechtlich wesentlich auf den Arbeitsunfall vom 7. Januar 2005 zurückzuführen sind noch hat der Kläger Anspruch auf Verletztenrente in Höhe von mehr als 20 v.H.

Der Antrag des Klägers auf Feststellung der Gesundheitsstörungen „Läsion des Nervus cutaneus femoris lateralis links, chronische Schmerzstörung, PTBS“ als Unfallfolgen ist gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässig, jedoch nicht begründet. Zwar liegt ein Arbeitsunfall nach den §§ 7, 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) am 7. Januar 2005 unstreitig vor. Neben den bereits mit Teil-Abhilfebescheid der Beklagten vom 10. Mai 2007 anerkannten Unfallfolgen sind jedoch keine weiteren Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen anzuerkennen.

Nachgewiesene Gesundheitsstörungen sind als zusätzliche Folgen des Arbeitsunfalls anzuerkennen, wenn zwischen dem Unfallereignis und ihnen entweder direkt oder vermittelt durch den Gesundheitserstschaden ein Ursachenzusammenhang im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB VII besteht (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, Juris). Während die geltend gemachte Unfallfolge im Sinne des sogenannten Vollbeweises feststehen, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegt sein muss, gilt für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und ihr der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Sie liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann. Die Feststellung des Ursachenzusammenhangs erfolgt nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 17. Februar 2009 – B 2 U 18/07 R -, juris Rz. 12). Danach ist nur diejenige Bedingung rechtlich erheblich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Eintritt des geltend gemachten Gesundheitsschadens „wesentlich“ beigetragen hat. Nicht jede Gesundheitsstörung, die im naturwissenschaftlichen Sinne durch das Unfallereignis beeinflusst worden ist, ist auch rechtlich dessen Folge, sondern nur diejenige, die „wesentlich“ durch das Ereignis verursacht worden ist. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, ist aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Gesundheitsschadens abzuleiten. Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung der Ursache zum Erfolg sind z. B. die Art und das Ausmaß der Einwirkung, die konkurrierenden Ursachen, die gesamte Krankengeschichte und ergänzend der Schutzzweck der Norm. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genügt hingegen nicht (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2009 – B 2 U 29/07 R -, juris Rz. 16). Dabei ist die Beurteilung der Kausalität im Ergebnis eine Frage der richterlichen Würdigung. Wesentlich verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z. B. Vorerkrankungen nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche Mitursache).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist das SG Oldenburg in seinem angefochtenen Urteil zu der auch vom Senat geteilten zutreffenden Auffassung gelangt, dass bei dem Kläger keine weitere Unfallfolge anzuerkennen ist, weil die bei ihm auf nervenfachärztlichem Gebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen (Läsion des Nervus cutaneus femoris lateralis links, chronische Schmerzstörung) nicht mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung notwendigen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 7. Januar 2005 zurückgeführt werden können und die vom Kläger als Unfallfolge darüber hinaus geltend gemachte PTBS bei ihm nicht im Vollbeweis nachgewiesen ist. Der Senat stützt seine Entscheidung ebenso wie das SG Oldenburg auf das überzeugende Gutachten der Dr. AE. vom 14. April 2016. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung verweist der Senat zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen des SG Oldenburg in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils.

Festzuhalten bleibt, dass bereits der Neurologe Q. in seinem Gutachten vom 9. Februar 2006 zu dem Ergebnis gekommen ist, dass beim Kläger eine Läsion des Nervus cutaneus femoris lateralis links vorliege, die nicht hinreichend wahrscheinlich auf dessen Arbeitsunfall vom 7. Januar 2005 zurückgeführt werden könne. Diese Sensibilitätsstörung am linken Oberschenkel – so dieser Neurologe in seinem Gutachten weiter – sei nicht auf eine Nervenwurzelschädigung zurückzuführen. Prädisponierender Faktor sei sicher das Übergewicht des Klägers. Diese Erkenntnisse decken sich mit den Ausführungen der Sachverständigen Dr. AE. in ihrem Gutachten vom 14. April 2016. Letztere Sachverständige hat in ihrem Gutachten darüber hinaus darauf hingewiesen, dass der betroffene Nerv in der Leistengegend recht oberflächlich verlaufe und deshalb relativ häufig von druck- oder zerrungsbedingten Läsionen betroffen sei, die z. B. auch durch enge Kleidung geschehen könnten. Darüber hinaus kämen sensible Schädigungen einzelner Nerven bei Vorliegen eines Diabetes mellitus, wie er auch beim Kläger gegeben sei, häufiger vor.

Die beim Kläger weiterhin im Vollbeweis nachgewiesene chronische Schmerzkrankheit ist ebenso wenig wie die vorgenannte Nervenläsion hinreichend wahrscheinlich auf dessen Arbeitsunfall vom 7. Januar 2005 zurückzuführen. Insoweit hat die Sachverständige Dr. AE. in ihrem Gutachten eine Vielzahl von unfallunabhängigen Faktoren (unfallunabhängige Verschleißerscheinungen der HWS, als psychische Belastungsfaktoren Aufwachsen bei drogenabhängigen, z. T. gewalttätigen Eltern, sexuelles Missbrauchserlebnis, traumatisches Erlebnis während eines freiwilligen Einsatzes im Kosovo-Kriegsgebiet) genannt, die im Fall des Klägers dessen Schmerzerkrankung nachvollziehbar erklären (vgl. zur Schmerzkrankheit insgesamt: Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., S. 235 ff.).

Die vom Kläger geltend gemachte PTBS kann demgegenüber schon deshalb nicht als Unfallfolge anerkannt werden, weil sie beim Kläger nicht im Vollbeweis nachgewiesen werden konnte. So hat die Sachverständige Dr. AE. nach umfangreicher ambulanter Untersuchung des Klägers diese Diagnose für den Kläger als Primärschaden ausdrücklich nicht stellen können. Sie schließt diese Diagnose für den Kläger u.a. deshalb aus, weil dieser zum Zeitpunkt des Autounfalls am 7. Januar 2005 nach eigenen Angaben geschlafen habe und deshalb eine durch das Unfallereignis ausgelöste erhebliche seelische Erschütterung fraglich sei. Darüber hinaus seien zeitnah zu dem Arbeitsunfall keinerlei psychopathologische Reaktionen oder seelische Anpassungsschwierigkeiten dokumentiert. Erst mehr als 2 Jahre später seien in Zusammenhang mit dem Aufenthalt des Klägers in der AF. erstmalig Hinweise auf eine mögliche psychische Erkrankung aufgetreten. Der Senat hält die Einschätzung der Sachverständigen Dr. AE. für überzeugend, denn sie stimmt mit der herrschenden unfallmedizinischen Meinung überein (vgl. hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 153 ff.).

Der Senat hielt weitere medizinische Ermittlungen nicht für erforderlich. Der Sachverhalt ist aufgrund der umfangreichen Ermittlungen der Beklagten und des SG Oldenburg ausermittelt. Im Berufungsverfahren haben sich keinerlei neue, weitere Ermittlungen rechtfertigende Erkenntnisse ergeben.

Mangels weiterer anzuerkennender Unfallfolgen musste es auch bei der dem Kläger nach einer MdE um 20 v.H. gewährten Verletztenrente bleiben. Scheitert die Gewährung einer höheren Verletztenrente bereits an der fehlenden Anerkennung weiterer Unfallfolgen, musste nicht mehr darüber entschieden werden, ob die Beklagte in ihren angefochtenen Bescheiden überhaupt über die Gewährung einer höheren Verletztenrente entschieden hat – wovon das SG Oldenburg in seiner angefochtenen Entscheidung ausgegangen ist – oder sie in den angefochtenen Bescheiden lediglich eine Entscheidung über die Anerkennung der vom Kläger begehrten Unfallfolgen auf nervenfachärztlichem Gebiet getroffen hat (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 4/06 R – und vom 16. November 2005 – B 2 U 28/04 R -, beide in Juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

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