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Verletztenrente nach Arbeitsunfall – Schwerverletztenzulage

SG Osnabrück – Az.: S 19 U 59/17 – Urteil vom 21.09.2017

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen den Entzug der Schwerverletztenzulage.

Der A. geborene Kläger erlitt am 18.10.1979 während seiner versicherten Tätigkeit als selbstständiger Landwirt einen Arbeitsunfall, in dessen Folge der linke Arm amputiert werden musste. Wegen der Folgen des Arbeitsunfalles bezieht der Kläger eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 vom Hundert (v.H.).

Am 22.12.1987 erlitt der Kläger einen weiteren Arbeitsunfall. Hierbei zog er sich ein Schädel-Hirn-Trauma II. Grades, einen Oberschenkelstückbruch rechts, einen Unterschenkelbruch rechts, einen offenen Kniescheibenbruch links sowie einen Oberarmstumpfbruch links zu.

Der Kläger stellte seine berufliche Tätigkeit ein. Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung hatte der Kläger nicht.

Wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 22.12.1987 gewährte die Beklagte dem Kläger eine weitere Verletztenrente nach einer MdE von zunächst 70 v.H., zudem eine Schwerverletztenrente gem. § 57 des Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) nach einer MdE in Höhe von 10 v.H. (Bescheid vom 21.03.1990). Mit Bescheid vom 10.08.1992 wurde die Verletztenrente ab dem 01.10.1992 auf 60 v.H. herabgesetzt.

Seit dem 01.04.1999 übt der Kläger eine geringfügige Beschäftigung aus.

Nach Anhörung mit Schreiben vom 23.11.2005 hob die Beklagte den Bescheid vom 21.03.1990 unter Hinweis auf § 48 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) teilweise auf. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Schwerverletztenzulage nach § 57 SGB VII lägen seit dem 01.04.1990 nicht mehr vor, da er seit diesem Zeitpunkt durchgängig als geringfügig Beschäftigter erwerbstätig sei. Die Beklagte forderte die für den Zeitraum vom 01.04.1990 bis 31.01.2006 gezahlte Schwerverletztenzulage in Höhe von 9.281,38 EUR von dem Kläger zurück (Bescheid vom 24.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2006).

Mit Urteil vom 12.05.2011 hob das Sozialgericht Osnabrück den Bescheid der Beklagten vom 24.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2006 nach mündlicher Verhandlung auf. Der Kläger habe aus dem Bescheid vom 21.03.1990 nicht erkennen können, dass der Anspruch auf Schwerverletztenzulage entfalle, wenn er Entgelte – wenn auch nur aus einer geringfügigen Beschäftigung – erziele (Aktenzeichen S 8 U 109/06).

Am 06.07.2011 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Schwerverletztenrente über den 31.01.2006 hinaus. Er übe weder eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit aus. Er könne weiterhin seine vorherige landwirtschaftliche Unternehmertätigkeit nicht mehr weiterführen. Er verfüge über ein Restleistungsvermögen, welches nur eine geringfügige Beschäftigung erlaube. Diese sei für die Gewährung der Schwerverletztenzulage unschädlich, so dass die Voraussetzungen für eine Weiterzahlung der Schwerverletztenzulage erfüllt seien.

Mit Bescheid vom 05.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2011 lehnte die Beklagte die Gewährung der Schwerverletztenzulage ab. Dieser Anspruch setze voraus, dass der Versicherte auf Dauer überhaupt keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen könne und somit eine dauerhafte Unfähigkeit, durch eine berufliche Tätigkeit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, vorliege. Der Versicherte müsse unfallbedingt endgültig und vollständig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sein. Diese Voraussetzungen seien im Falle des Klägers nicht erfüllt, da er seit dem 01.04.1999 bis laufend als geringfügig Beschäftigter einer Erwerbstätigkeit nachgehe. Diese Tätigkeit stehe dem Anspruch auf Erhöhung der Rente für Schwerverletzte entgegen.

Verletztenrente nach Arbeitsunfall - Schwerverletztenzulage
(Symbolfoto: Von ME Image/Shutterstock.com)

Mit Urteil vom 17.03.2015 wies das Sozialgericht Osnabrück die hiergegen gerichtete Klage ab und ließ die Sprungrevision zu (Aktenzeichen S 8 U 18/12). Der Kläger erfülle die Voraussetzung einer dauerhaften Unfähigkeit, durch eine berufliche Tätigkeit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, nicht. Denn er erziele Erwerbseinkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung und sei mithin nicht außerstande, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

§ 57 SGB VII knüpfe nicht an dem Tatbestandsmerkmal des § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) im Sinne einer vollen bzw. teilweisen Erwerbsminderung an. Die Unfähigkeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, sei demzufolge nicht gleichbedeutend mit dem Begriff der vollen Erwerbsminderung. Hiergegen legte der Kläger – vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten – Sprungrevision beim Bundessozialgericht (Aktenzeichen) ein.

Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 17.07.2015, den Tenor des Urteils des Sozialgerichts Osnabrück vom 12.05.2011 (Aktenzeichen S 8 U 19/06) dahingehend zu berichtigen, dass der Bescheid vom 24.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2006 nur insoweit aufgehoben werde, als hiermit eine rückwirkende Aufhebung der Schwerverletztenzulage erfolgt sei. Das Sozialgericht habe die Aufhebung für die Zukunft in den Entscheidungsgründen nicht beanstandet.

Mit Bescheid vom 22.09.2015 hob die Beklagte die mit Bescheid vom 21.03.1990 bewilligte Schwerverletztenzulage mit Wirkung ab 01.10.2015 auf. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass der Bescheid nur Wirksamkeit entfalte, wenn dem Antrag zur Berichtigung des Urteils des Sozialgerichts Osnabrück vom 12.05.2011 nicht stattgegeben werde. Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch.

Mit Beschluss vom 01.10.2015 lehnte das Sozialgericht Osnabrück den Antrag auf Tenorberichtigung mit der Begründung ab, dass keine offenbare Unrichtigkeit im Sinne von § 138 SGG anzunehmen sei. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen wies die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 01.10.2015 zurück (Beschluss vom 10.06.2016). Der Tenor des Urteils vom 12.05.2011 könne nicht im Wege der Urteilsberichtigung dahingehend neu gefasst werden, dass die Stattgabe der Klage auf die von dem Bescheid vom 24.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2006 ausgehende Rückwirkung beschränkt und in den Tenor daneben ein Ausspruch über die Klageabweisung im Übrigen aufgenommen werde.

Das Bundessozialgericht wies sodann im Revisionsverfahren darauf hin, dass dem Kläger durchgehend bis zum 30.09.2015 ein Anspruch auf Schwerverletztenzulage aufgrund des Bescheides vom 21.03.1990 zustehen dürfte. Die Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung vom 22.09.2015 sei in einem gesonderten Verfahren zu prüfen. Auf Vorschlag erklärte sich die Beklagte daraufhin bereit, dem Kläger bis zum 30.09.2015 den Schwerverletztenzuschlag in Höhe von 10 v.H. zusätzlich zur Verletztenrente auszuzahlen. Das Revisionsverfahren wurde daraufhin für erledigt erklärt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2017 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 22.09.2015 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 08.03.2017 vor dem Sozialgericht Osnabrück erhobene Klage.

Der Kläger verweist darauf, dass sich bereits aus der gesetzlichen Regelung ergebe, dass ein Anspruch auf Schwerverletztenzulage auch bei noch bestehendem Restleistungsvermögen bestünde. Denn diese könne bereits ab einer unfallbedingten MdE von 50 v.H. gewährt werden. Die Verbesserung der Rente eines Schwerverletzten um 10 v.H. solle nach Sinn und Zweck des § 57 SGB VII wirtschaftlich ausgleichen, dass kein Anspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung bestünde. Die Unmöglichkeit einer Erwerbstätigkeit sei daher in enger Beziehung zum Aufbau einer Alterssicherung zu sehen. Dies werde mit der Ausübung einer geringfügig entlohnten Beschäftigung nicht erreicht. Zudem sei die Regelung des § 8 des Vierten Sozialgesetzbuchs – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) erst am 01.07.1977 in Kraft getreten, so dass bislang noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zum Zusammenhang zwischen dem Begriff der Beschäftigung nach § 57 SGB VII und einer geringfügigen Beschäftigung bestünde.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

1. den Bescheid der Beklagten vom 22.09.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2017 aufzuheben,

2. hilfsweise, die Sprungrevision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen, die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Sozialgerichts Osnabrück vom 17.03.2015 (Aktenzeichen S 8 U 18/12). Im Sinne des § 57 SGB VII könne nur derjenige einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen, der auf Dauer überhaupt keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen könne und daher außerstande sei, Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen. Zu dem Hilfsantrag auf Zulassung der Sprungrevision hat die Beklagte nicht Stellung genommen.

Mit Schreiben vom 16.06.2017 und 20.06.2017 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Außer der Prozessakte zu diesem Verfahren sowie zu den Verfahren S 8 U 109/06 und S 8 U 18/12 haben die Prozessakten zu dem Revisionsverfahren B 2 U9/15 R sowie die den Kläger betreffenden Unfallakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Akten und Beiakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Gemäß § 124 SGG konnte die Kammer im vorliegenden Fall ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die in zulässiger Weise erhobene Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 22.09.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2017 ist weder rechtswidrig noch wird hierdurch der Kläger in seinen Rechten verletzt.

Die Beklagte war durch § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V.m. § 73 Abs. 3 SGB VII ermächtigt, den Bescheid vom 21.03.1990 teilweise aufzuheben und die Schwerverletztenzulage mit Ablauf des Monats September 2015 zu entziehen. Die Beklagte hat die Entscheidung über die Aufhebung des maßgeblichen Verwaltungsakts sowohl materiell als auch formell rechtmäßig getroffen.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese Vorschrift wird für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung durch § 73 Abs. 3 SGB VII spezifisch ergänzt. Danach ist eine Änderung hinsichtlich der Feststellung der Höhe der MdE nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 v.H. beträgt. Bei dem Bescheid vom 21.03.1990 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, da hiermit neben der Zahlung einer Verletztenrente auch die Zahlung einer Schwerverletztenzulage (Erhöhung der Rente um 10 v.H.) auf unbestimmte Zeit bewilligt worden ist.

Im Rahmen der vorliegenden Anfechtungsklage ist die Frage, ob eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten ist, durch Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordenen Feststellung (hier: Bescheid vom 21.03.1990) mit denen zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids zu ermitteln.

Von diesen Maßstäben ausgehend ist eine wesentliche Änderung dahingehend eingetreten, dass der Kläger seit dem 01.04.1999 eine geringfügige Beschäftigung ausübt. Damit erfüllt der Kläger seit diesem Zeitpunkt nicht mehr die Voraussetzungen für die Zahlung einer Schwerverletztenzulage gem. § 57 SGB VII.

Nach dieser Vorschrift erhöht sich der Anspruch der Rente um 10 v.H., wenn Versicherte mit Anspruch auf eine Rente nach einer MdE von 50 v.H. oder mehr oder auf mehrere Renten, deren Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 50 erreichen (Schwerverletzte) in Folge des Versicherungsfalles einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen können und sie keinen Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben.

Der Kläger bezieht von der Beklagten zwei Renten nach einer MdE in Höhe von 70 v.H. bzw. 60 v.H. wegen der Folgen der Arbeitsunfälle vom 18.10.1979 und 22.12.1987. Er hat keinen Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 21.03.1990 hat der Kläger keine berufliche Tätigkeit ausgeübt.

Durch die nach Erlass des Bescheides seit dem 01.04.1999 erfolgte Aufnahme der geringfügigen Beschäftigung sind die Voraussetzungen für die Erhöhung der Rente um 10 v.H. gem. § 57 SGB VII nicht mehr erfüllt.

Das Sozialgericht Osnabrück hat in seinem Urteil vom 17.03.2015 (Aktenzeichen S 8 U 18/12) folgendes ausgeführt:

„Andererseits übt der Kläger seit 1999 eine wenn auch geringfügige Beschäftigung aus, die ihm ein Erwerbseinkommen tatsächlich ermöglicht. Einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen kann lediglich derjenige, der auf Dauer überhaupt keine Erwerbstätigkeit mehr nachgehen kann. Das bedeutet, dass die Gewährung einer Schwerverletztenzulage eine dauerhafte Unfähigkeit, durch eine berufliche Tätigkeit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, voraussetzt. Der Versicherte muss unfallbedingt endgültig und vollständig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sein (vgl. Bereiter-CN./Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar § 57 Rdnr. 5 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung und Literatur). In Ansehung dieser Grundsätze ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger die Voraussetzung einer dauerhaften Unfähigkeit, durch eine berufliche Tätigkeit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, nicht erfüllt. Der Kläger erzielt Erwerbseinkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung und ist mithin nicht außerstande, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, dass das Erwerbseinkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung im Sinne des § 8 SGB IV dem Anspruch auf die Gewährung einer Schwerverletztenzulage gem. § 57 SGB VII nicht entgegensteht, vermochte die Kammer dieser Auffassung nicht zu folgen. § 57 SGB VII setzt voraus, dass der Versicherte einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen kann. Das bedeutet nach Auffassung der Kammer, dass der Verletzte einer Erwerbstätigkeit dauernd und in keinerlei Umfang mehr nachgehen kann. Die Kammer folgt insofern der Auffassung der Literatur (vgl. Bereiter-CN./Mehrtens a.a.O.) und der Rechtsprechung (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. Juli 2008 – L 17 U 264/05 und nachfolgend Urteil des BSG vom 27. Oktober 2009, Az: B 2 U 30/08 R, Fundstelle: juris).

Soweit der Kläger unter Hinweis auf sein Restleistungsvermögen meint, er könne dieses unbeschadet des § 57 SGB VII zur Erzielung von Erwerbseinkommen nutzen, geht diese Auffassung fehl. Unstreitig knüpft § 57 SGB VII nicht an dem Tatbestandsmerkmal des § 43 SGB VI im Sinne einer vollen bzw. teilweisen Erwerbsminderung an. Die Unfähigkeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, ist demzufolge nicht gleichbedeutend mit dem Begriff der vollen Erwerbsminderung. Voll erwerbsgemindert ist nämlich auch derjenige, der sehr wohl noch erwerbstätig sein kann (weniger als drei Stunden arbeitstäglich) und trotzdem im Sinne des Rentenversicherungsrechts als voll erwerbsgemindert angesehen wird. Infolge dessen kann nur derjenige im Sinne des § 57 SGB VII einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen, der – wie erwähnt – auf Dauer überhaupt keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen kann, also außerstande ist Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen durch eine berufliche Tätigkeit zu erzielen.

Im Falle des Klägers ist unstreitig anzunehmen, dass er durch eine geringfügige Beschäftigung Arbeitseinkommen erzielt, was dem Anspruch auf die Gewährung einer Schwerverletztenzulage entgegensteht.“

Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung an, folgt daher diesen Ausführungen und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf.

Ergänzend weist die Kammer auch im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers in diesem Verfahren auf Folgendes hin:

Der 2. Senat des BSG hat zwar in dem Urteil vom 27.10.2009 (Az.: B 2 U 30/08 R – zitiert nach juris) aufgrund des Umstands, dass der Kläger in dem entschiedenen Fall ein Restleistungsvermögen von wenigstens drei Stunden täglich hatte, es dahinstehen lassen, ob der Zuschlag nach § 57 SGB VII den Ausschluss jeglicher Erwerbstätigkeit voraussetzt. Jedoch hat das BSG in diesem Urteil auch die Entscheidung des vom 26.07.1973 (Az: 8/2 RU 10/70 – zitiert nach juris) zitiert. Bereits zu diesem Zeitpunkt hat der 8. Senat des BSG unter Verweis auf ein Urteil des 2. Senats zu § 587 RVO (BSG vom 27.08.1969, Az.: 2 RU 195/66), der dem heutigen § 58 SGB VII „Erhöhung der Rente bei Arbeitslosigkeit“ entspricht, ausgeführt, dass Voraussetzung sei, „dass der Versicherte infolge des Arbeitsunfalls auf Dauer einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen könne. Denn nur bei – voraussichtlich – dauernder Unfähigkeit des Versicherten, erwerbstätig zu sein, wenn somit sein Erwerbsleben beendet sei, sollte § 582 RVO einen Ausgleich für die fehlende Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung schaffen, während § 587 RVO beim Vorliegen seiner Voraussetzungen einen Ausgleich bei nur vorübergehenden Fehlens von Arbeitseinkommen bewirken solle. Zur Begründung hat der 8. Senat zudem auf den schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für Sozialpolitik verwiesen, aufgrund dessen Beratungen § 582 RVO erst in das Gesetz aufgenommen wurde. In diesem Bericht ist ausgeführt: „Auch Schwerverletzte gehen vielfach wieder einer Erwerbstätigkeit nach und bedürfen dann keiner höheren Entschädigung, als sie § 581 vorsieht. Anders liegen die Verhältnisse, wenn infolge des Unfalls keine Erwerbstätigkeit mehr ausgeübt werden kann. Gehört der Verletzte der Rentenversicherung an, wird er von dort die Erwerbsunfähigkeitsrente erhalten. Hat er keinen Anspruch auf diese Rente, etwa weil er bereits vor dem Eintritt in die Rentenversicherung verunglückt ist oder ihr als Selbstständiger nicht angehört hat, schafft die hier beschlossene Vorschrift einen gewissen Ausgleich (…)“.

Damit hat das BSG bereits vor Inkrafttreten des § 8 SGB IV darauf abgestellt, dass ein Anspruch auf Rentenerhöhung nur dann besteht, wenn der Versicherte auf Dauer überhaupt keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen kann. Zudem hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 22.11.2012 (Az.: L 6 U 2461/11 – zitiert nach juris) unter Verweis auf die Entscheidungen des BSG vom 27.10.2009 und 26.07.1973 nur die dauernde Unfähigkeit des Versicherten, erwerbsfähig zu sein, ausreichen lassen und ausgeführt, dass dem Anspruch nach § 57 SGB VII auch entgegen steht, wenn zumindest stundenweise – auch in Hausarbeit – noch eine Erwerbstätigkeit verrichtet werden könne.

Im Gesetzgebungsverfahren zur Einordnung der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch ist § 57 SGB VII nicht weiter erörtert worden. In der Gesetzesbegründung wird nur ausgeführt: „Die Vorschrift regelt entsprechend dem geltenden Recht (§ 582 RVO) die Fälle, in denen für Schwerverletzte der Rentenbetrag um 10 v.H. zu erhöhen ist. Von diesen anhand der wortgleichen Vorläufervorschrift in § 582 RVO entwickelten Grundlagen ist daher auch bei der Auslegung des heutigen § 57 SGB VII auszugehen (BSG, Urteil vom 27.10.2009, Az.: B 2 U 30/08 R, juris Rdnr. 13). Hätte der Gesetzgeber eine Ausnahme im Hinblick auf die Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung im Sinne des § 8 SGB IV machen wollen, hätte er dies bewirken können. Dies hat er jedoch nicht getan. Von daher muss weiterhin der Wendung „einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen zu können“ eine eigenständige Bedeutung nicht nur im Hinblick auf die Regelungen über die Erwerbsunfähigkeit / Erwerbsminderung zugeordnet werden (BSG, Urteil vom 27.10.2009, Az.: B 2 U 30/08 R, juris Rdnr. 14 f.).

Soweit der Kläger selbst darauf hinweist, dass die Verbesserung der Rente eines Schwerverletzten um 10 v.H. nach Sinn und Zweck des § 57 SGB VII wirtschaftlich ausgleichen soll, dass kein Anspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung bestünde, so dass die Unmöglichkeit einer Erwerbstätigkeit in enger Beziehung zum Aufbau einer Alterssicherung zu sehen sei, ist darauf hinzuweisen, dass ein geringfügig Beschäftigter durch den Verzicht auf die Versicherungsfreiheit Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zurücklegen kann (vgl hierzu §§ 229 Abs. 5, 230 Abs. 8 SGB VI). Daher muss auch der geringfügigen Beschäftigung eine wirtschaftliche Bedeutung beigemessen werden, die einen Anspruch auf Erhöhung der Rente gem. § 57 SGB VII ausschließt.

Damit sind die Voraussetzungen des Erhöhungstatbestandes des § 57 SGB VII seit dem 01.04.1999 durch die Aufnahme der geringfügigen Beschäftigung entfallen. Damit konnte die Beklagte die Schwerverletztenzulage nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 SGB VII mit Wirkung ab dem 01.10.2015 entziehen.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Nach § 161 Abs. 1 Satz 1 SGG steht den Beteiligten gegen das Urteil eines Sozialgerichts die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht im Urteil oder auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Das Sozialgericht kann die Sprungrevision schon im Urteil zulassen; insoweit ist ein Antrag nicht erforderlich, auch die Zustimmung des Gegners muss noch nicht vorliegen; das Sozialgericht entscheidet vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen von Amts wegen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/X., SGG, 12. Auflage 2017, § 161 Rdnr. 6).

Hinsichtlich der hier streitigen Rechtsfrage, nämlich die Frage, ob die Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung dem Anspruch auf Schwerverletztenzulage nach § 57 SGB entgegensteht, bestand kein Revisionszulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Denn die Entscheidung hat im Hinblick auf die oben dargestellte Rechtsprechung weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht sie von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab. Die Sprungrevision war daher nicht zuzulassen.

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