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Verletztenrente wegen Arbeitsunfall – Anspruchsvoraussetzungen

Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 2 U 36/20 – Urteil vom 06.10.2021

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung von Gesundheitsstörungen sowie eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 v. H. aufgrund der Folgen eines Unfalls.

Die am xxxxx 1968 geborene Klägerin war in der Altenpflege beschäftigt und erlitt im Rahmen ihrer Tätigkeit am 3. November 2015 einen Unfall, als sie laut den Angaben im Durchgangsarztbericht des M. vom 10. November 2015 beim Transfer eines Patienten stürzte und mit der rechten Hüfte gegen einen Nachttisch schlug. Zudem sei der Patient auf sie gefallen. Im Befund hieß es, dass nach einem Sturz vor einer Woche zunehmende Beschwerden im rechten Gesäß und der rechten Hüfte sowie der unteren Lendenwirbelsäule mit Belastungsschmerz im rechten Bein bestünden. Der Zehen- und Fersenstand seien unauffällig, die Hüfte gut beweglich, der Lasegue sei beidseits negativ. Im Röntgenbild zeige sich kein Anhalt für knöcherne Verletzungen, keine wesentlichen degenerativen Veränderungen an der Hüfte und der Lendenwirbelsäule. Diagnostiziert wurde die ICD-10 S76.0: Verletzung von Muskeln und Sehnen der Hüfte, Prellung rechte Hüfte.

Verletztenrente wegen Arbeitsunfall – Anspruchsvoraussetzungen
(Symbolfoto: Kravtzov/Shutterstock.com)

Am 16. November 2015 stellte sich die Klägerin bei dem Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. M1 vor, um eine Zweitmeinung zu erhalten. Dieser berichtete, dass die Klägerin geschildert habe, sie habe einen schweren Patienten vom Rollstuhl aufs Bett transferieren wollen, der Betreute sei dabei gefallen und die Klägerin habe ihn auffangen wollen. Zusammen seien sie auf das Bett gefallen und sie sei dabei mit dem rechten Oberschenkel seitlich auf die Bettkante aufgekommen. Im Nachschaubericht vom 20. November 2015 diagnostizierte Dr. M1 eine Prellung der unteren Extremität rechts. Bei dieser Diagnose verblieb er auch im Zwischenbericht vom 7. Dezember 2015. Im Rahmen eines MRT des Beckens vom 27. November 2015 hätten sich beide Hüften unauffällig dargestellt. Insbesondere habe kein Anhalt für eine entzündliche, tumoröse oder über das Altersmaß hinausgehende degenerative Veränderung der Hüften bestanden. Die umgebende Muskulatur des Beckens bzw. des rechten Hüftgelenkes sei regelrecht ohne Hinweise auf eine Muskelzerrung zur Darstellung gekommen.

Mit Bescheid vom 10. März 2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass im MRT keine Unfallfolgen hätten festgestellt werden können. Die Klägerin habe sich durch den Unfall eine Prellung der rechten Hüfte zugezogen. Die weitere Behandlung gehe zu Lasten der Krankenkasse.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und führte aus, dass sie aufgrund der Schmerzen nicht laufen könne. Sie schilderte den Unfall wie folgt: Der Patient sei weggerutscht. Sie habe ihn am Gürtelbund gepackt, um ihn aufzufangen und aufs Bett zu legen. Während dieser Hebebewegung sei sie mit der rechten Hüfte stark gegen die Bettkante geprallt. Nach dem Aufprall während des Fluges habe sie versucht, sich auf die linke Seite abzurollen, wobei sie mit ihrem linken Oberschenkel/Hüfte den vor dem Bett stehenden Nachtschrank weggehauen habe. Sie habe bis zum 8. November 2015 weiter gearbeitet, aber am 9. November 2015 so starke Schmerzen bekommen, dass sie sich habe krankmelden müssen. Am 10. November 2015 sei sie in der Probezeit gekündigt worden. Der Vorfall sei sofort in das Verbandsbuch eingetragen worden. Dabei sei unter der Art der Verletzung „starke Schmerzen rechter Oberschenkel Richtung Gesäß, das Bein knickt weg“ eingetragen worden. Nach Angaben der Ärzte habe man einen deutlichen Bluterguss an der rechten Hüfte gesehen. Auch sei das Ileosakralgelenk in Mitleidenschaft gezogen worden.

Nach dem MRT des linken Kniegelenkes der Klägerin vom 14. Juni 2016 bestand eine Läsion der Pars intermedia des medialen Meniskus mit einer Ruptur dritten Grades. Ein MRT der Lendenwirbelsäule vom selben Tag zeigte eine mediale und linksbetonte Protrusion der fünften lumbalen Bandscheibe mit Bedrängung der Cauda und der L5-Wurzel links. Zudem fanden sich degenerative Veränderungen der SI-Gelenke ohne Zeichen einer Spondylarthrose. Im Rahmen eines MRT des Ileosakralgelenkes vom 19. September 2016 ergaben sich Hinweise auf einen entzündlichen Gelenkbefall des rechten Kreuzdarmbeingelenkes eher geringer Aktivität sowie eine unauffällige Darstellung des linken Kreuzdarmbeingelenkes. Ein weiteres MRT der Lendenwirbelsäule vom 12. November 2016 zeigte keine Befundverschlechterung.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2017 zurück. Die eingereichten Befunde zeigten sämtlich unfallunabhängig bestehende Erkrankungen in Form von verschleißbedingten Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und der Kreuzdarmbeinfugen sowie Veränderungen im linken Kniegelenk. Ein Zusammenhang dieser Beschwerden mit dem Arbeitsunfall sei nicht erkennbar.

Die Klägerin hat hiergegen am 1. Juni 2017 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben. Die Klägerin hat vorgetragen, dass das Unfallereignis in seiner Schwere nicht ausreichend berücksichtigt und den degenerativen Veränderungen bei der Bewertung der Unfallkausalität ein zu hoher Stellenwert beigemessen worden sei. Sie habe den ca. 140 kg schweren Patienten während einer leichten Drehbewegung fast im Kniestand aufgefangen, ihn am Hosenbund gefasst und versucht, ihn aufzurichten und auf das Bett zu legen. Dabei habe sie sich mit der rechten Hüfte am Bett gestoßen. Da ihr rechter Arm bei dieser Bewegung durch den Patienten fixiert gewesen sei, habe sie versucht sich zu lösen und sei nach links abgerollt. Hierbei habe sie sich mit der linken Hüfte am Nachttisch gestoßen. Zudem sei das linke Bein bei einer Gehbewegung weggeknickt, und es sei zu weiteren Schmerzen in den Kniegelenken gekommen. Die multiplen Verletzungen seien erst nach dem Unfall aufgetreten.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung von medizinischen Befundberichten und einem chirurgischen Fachgutachten. Die Allgemeinmediziner Dr. R. und Dr. N. haben in ihrem Befundbericht vom 20. Februar 2018 ausgeführt, dass die Klägerin bereits seit dem Jahr 2000 mit wechselnden Beschwerden des Bewegungsapparates in Behandlung sei. Aus ihrer Sicht bestehe keine Kausalität zum Unfall am 3. November 2015. Die Fachärztin für Physikalische Rehabilitative Medizin Dr. K. ist in ihrem Befundbericht vom 4. März 2018 davon ausgegangen, dass die Kniebeschwerden der Klägerin nicht im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall stünden, die Rückenbeschwerden durch das Heben des Patienten hingegen schon. Der Neurochirurg Dr. F. hat im Befundbericht vom 2. März 2018 angegeben, dass eine ISG-Arthropathie in der Regel ein Verschleißgeschehen sei, eine unfallbedingte ISG-Arthropathie sei ihm nicht bekannt. Während der Behandlung im AK Westklinikum vom 9. bis 11. Mai 2017 sein bei der Klägerin eine ISG-Arthropathie rechts, eine Lumboischialgie beidseits, ein chronisches Schmerzsyndrom und eine Meniskopathie beidseits diagnostiziert worden.

Der Chirurg Z. hat in seinem Gutachten vom 10. Oktober 2018 ausgeführt, dass auf der Kernspinaufnahme vom 27. November 2015 kein Verletzungsbefund offensichtlich sei. Blutergüsse oder knöcherne Verletzungen seien in einem Kernspin auch ohne Kontrastmittel erkennbar. Es hätten keine Zerrung, kein Muskelfaserriss, keine knöcherne Verletzung und keine Schädigung in Höhe des rechten oder linken Kreuzdarmbeingelenkes vorgelegen. Eine leichte Beckenprellung sei denkbar, die jedoch nach zwei bis drei Wochen ausgeheile. Eine schwere Beckenprellung habe nicht bestanden, sonst hätten Veränderungen in der Kernspintomographie festgestellt werden müssen. Eine solche Verletzung sei auch ohne Kontrastmittel erkennbar.

Die Veränderungen des rechten Kreuzdarmbeingelenkes seien keine Unfallfolge. Es handele sich um degenerative Veränderungen entsprechend einer Entzündung der Schleimhäute und nicht um Unfallfolgen. Hierzu wären ein Knochenbruch oder eine Verletzung der Bänder zu fordern gewesen. Am linken Hüftgelenk habe bereits vor dem Ereignis eine Beschwerdesymptomatik vorgelegen. Zudem liege dort auch kein Verletzungsbefund vor. Am linken Kreuzdarmbeingelenk bestünden degenerative Veränderungen.

Das Wegknicken des linken Beines könne nur mit einer neurologischen Erkrankung erklärt werden. Unfallbedingt wären dann aber ein traumatischer Bandscheibenvorfall oder eine Durchtrennung eines Nervens zu fordern gewesen, was beides nicht vorgelegen habe.

Die Beschwerdesymptomatik beider Kniegelenke sei ebenfalls keine Unfallfolge. Es handele sich um degenerative Veränderungen. Bei traumatischen Schäden der Menisken oder der Knorpelschichten hätte sofort nach dem Ereignis eine erhebliche Schmerzhaftigkeit mit nachfolgender Dokumentation in den Befundberichten und nachfolgender Diagnostik bestanden. Auch Schmerzen im Bereich der Achillessehne seien seit längerem dokumentiert und nicht auf Unfallfolgen zurückzuführen.

Im Ergebnis sei damit eine Prellung der rechten Hüfte wahrscheinliche Unfallfolge, die degenerativen Veränderungen des rechten Kreuzdarmbeingelenkes und des rechten Kniegelenkes mit Meniskusschädigung und Knorpelschädigung hingegen nicht. Eine MdE sei durch den Unfall nicht eingetreten.

Der Facharzt für Orthopädie, Rheumatologie und Unfallchirurgie Dr. W. hat in seinem nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erstatteten Gutachten vom 1. April 2020 ausgeführt, dass im Rahmen der konkreten Schilderung des Unfallereignisses durch die Klägerin die Diagnose einer Prellung des Beckens wahrscheinlich sei. Zudem sei ein tiefer Rücken- und Gesäßschmerz erklärbar. Eine chronische Beschwerdesymptomatik am Kreuzdarmbeingelenk lasse sich daraus aber nicht ableiten. Eine Ansatzreizung am rechten großen Rollhügel und am Becken erkläre sich durch diesen Mechanismus ebenfalls nicht. Für eine Ansatzreizung müsse vielmehr ein wiederholter mechanischer Einfluss zum Beispiel durch eine starke Fehlhaltung oder wiederholten Muskelzug erfolgen. Ein einmaliger Unfallmechanismus könne eine derartige Reizung von Muskel-/Sehnenansätzen nicht auslösen. Auch seien die Diagnose einer Knorpelläsion Grad III und Grad II rechts und eine Meniskusläsion im linken Knie dadurch nicht erklärbar. Zudem sei bereits vor dem Geschehen eine Symptomatik am Kreuzdarmbeingelenk aktenkundig. Im Befundbericht eines MRT des Beckens vom 27. November 2015 habe sich eine unauffällige Darstellung beider Hüftgelenke ohne Anhalt für eine entzündliche, tumoröse oder eine über das Altersmaß hinausgehende degenerative Veränderung der Hüftgelenke mit regelrechter Darstellung der umgebenden Muskulatur des Beckens und des rechten Hüftgelenkes gezeigt, ohne Hinweis für eine Muskelzerrung. Insofern sei eine strukturelle Unfallfolge nicht erkennbar. Auch ein zeitlicher Zusammenhang der ISG-Symptomatik mit dem Unfallereignis sei nicht gegeben. Knorpelschaden und Meniskusläsion seien aufgrund des geschilderten Geschehensablaufes nicht erklärbar. Eine ruckartige Rotation aus dem Stand bei nicht fixiertem Fuß ermögliche eine derartige Verletzung am Menikus nicht. Der Arbeitsunfall sei nicht Bedingung für eine beiderseitige Meniskopathie, ein chronisches Schmerzsyndrom und/oder eine ISG Arthropathie rechts.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10. September 2020 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen und insbesondere nicht auf die Gewährung einer Rente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. Die Klägerin habe bei ihrem Unfall am 3. November 2015 eine Prellung an der rechten Hüfte erlitten, welche ihre Erwerbsfähigkeit auf Dauer nicht in rentenberechtigendem Grade, d. h. um wenigstens 20 v. H., mindere, da die Prellung folgenlos ausgeheilt sei.

Die beidseitige Meniskopathie, das chronische Schmerzsyndrom sowie die Ileosakralgelenk-Arthropathie rechts könnten in keinen Zusammenhang mit dem eigentlichen Unfallereignis gebracht werden. Nachvollziehbar habe insbesondere der Sachverständige Z. in seinem Gutachten vom 10. Oktober 2018 ausgeführt, dass es sich bei den Veränderungen des rechten Kreuzdarmbeingelenkes um degenerative Veränderungen entsprechend einer Entzündung der Schleimhäute handele, welche keine Unfallfolgen seien, da dann ein Knochenbruch in diesem Bereich zu fordern gewesen wäre oder eine Verletzung der Bänder des Kreuzdarmbeingelenkes. Beide Möglichkeiten einer traumatischen Verletzung hätten bei der Klägerin aber nicht vorgelegen. Plausibel habe der Sachverständige Z. auch erläutert, dass die Beschwerdesymptomatik an beiden Kniegelenke degenerativ und nicht traumatisch bedingt seien, denn auch hier fehlten konkrete Anhaltspunkte für eine traumatische Schädigung der Menisken oder Knorpelschichten, die auf den bildgebenden Aufnahmen zu erkennen gewesen wären. Aufgrund fehlender traumatischer Schäden könne auch ein von der Klägerin beklagtes chronisches Schmerzsyndrom nicht Folge des Unfallereignisses vom 3. November 2015 sein.

Auch der von der Klägerin nach § 109 SGG benannte Gutachter Dr. W1 sei im Rahmen seiner gut nachvollziehbaren Erläuterung schließlich zu demselben Ergebnis wie der Sachverständige Z. gekommen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat gegen den ihm am 11. September 2020 zugestellten Gerichtsbescheid am 9. Oktober 2020 Berufung eingelegt. Es hätten zwar degenerative Veränderungen vorgelegen, aber es sei eine richtungsweisende Verschlechterung durch den Unfall eingetreten. Die Schmerzsymptomatik sei nach dem Unfallereignis aufgetreten, zuvor sei keine Schmerzsymptomatik gegeben gewesen. Keiner der Gutachter habe einwirkende Kräfte auf den Körper der Klägerin eruiert. Der Stand der Klägerin sei während des Unfallhergangs fixiert gewesen.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2020 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2017 abzuändern und als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 3. November 2015 eine Meniskopathie beidseits ein chronisches Schmerzsyndrom sowie eine ISG-Athropathie rechts festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Klägerin beantragt weiter, die Einholung eines Sachverständigengutachtens auf nervenfachärztlichem Gebiet. Dieses Gutachten wird ergeben, dass es zu einer Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens gekommen ist mit der Folge, dass ein chronisches Schmerzsyndrom aufgetreten ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf ihr bisheriges Vorbringen.

Herr Z. hat am 6. April 2021 ergänzend Stellung genommen. Eine Fixierung der Füße sei nur vorstellbar, wenn diese zum Beispiel zwischen Schränken eingeklemmt seien oder wenn der Fuß in einer Vertiefung stecke. Eine Fixierung der Füße sei nach der Schilderung des Unfallhergangs durch die Klägerin nicht nachvollziehbar. Selbst unter Berücksichtigung möglicher höhergradiger einwirkender Kräfte auf die Kniegelenke oder auf das Becken wäre ein verletzungsbedingter Erstkörperschaden im Vollbeweis bzw. mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit weder am Becken noch an den Kniegelenken zu sichern. Der Nachweis eines verletzungsbedingten Erstkörperschadens sei nicht geführt. Es fänden sich keine Hinweise auf eine Bandruptur, auch nicht in der Kernspinaufnahme. Es sei auch keine Verschlimmerung vorbestehender Schäden eingetreten. Die Schadensanlage sei vorhanden gewesen. Eine Verschlimmerung wäre nur zu diskutieren, wenn ein Verletzungsbefund mit einer Strukturschädigung im Bereich der Kreuzdarmbeingelenke oder im Bereich der Kniegelenke nach dem Ereignis mit Sicherheit hätte nachgewiesen werden können.

Die Klägerin hat hiergegen eingewandt, dass eine neue Untersuchung erforderlich gewesen wäre. Der Unfall habe sich zudem direkt am Krankenbett ereignet, wobei durch den Unterbau des Krankenbettes eine Fixierung auf Seiten der Klägerin gegeben gewesen sei. Bei der Drehung seien die Füße nicht mitgegangen, sondern seien fest auf dem Boden fixiert gewesen. Der Meniskus sei aufgrund degenerativer Veränderungen viel früher ansprechbar gewesen. Die Klägerin habe vor dem Unfall keine Beschwerden in den Kniegelenken und auch nicht im Iliosakralgelenk gehabt, daher sei die Kausalität gegeben. Die Schadensanlage sei durch den Unfall und nicht durch eine Gelegenheitsursache aktiviert worden.

Mit Übertragungsbeschluss vom 23. Februar 2021 hat der Senat der Berichterstatterin, die zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet, das Verfahren nach § 153 Abs. 5 SGG übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die Verwaltungsakte und die Sitzungsniederschrift vom 6. Oktober 2021 ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung, über die der Senat gemäß § 153 Abs. 5 SGG durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter entscheiden konnte, hat keinen Erfolg.

Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die zulässige kombinierte Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat weder Anspruch auf die Feststellung weiterer Unfallfolgen noch auf die Gewährung einer Verletztenrente.

Ein Anspruch auf Feststellung einer Gesundheitsstörung als Unfallfolge nach § 102 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) besteht, soweit jemand einen Gesundheitsschaden erlitten hat, der im Wesentlichen durch den Gesundheitserstschaden verursacht oder einem Versicherungsfall aufgrund besonderer Zurechnungsnormen zuzurechnen ist.

Die Klägerin hat durch den Arbeitsunfall am 3. November 2015 eine Prellung erlitten, die nach wenigen Wochen folgenlos ausgeheilt ist. Weitere Gesundheitsschäden sind nicht auf den Unfall zurückzuführen.

Für die beantragte Feststellung der Meniskopathie beidseits als Unfallfolge fehlt es bereits an der Feststellung eines Gesundheitserstschadens. Weder bei der ersten Vorstellung beim Durchgangsarzt noch bei Dr. M1 wurden seitens der Klägerin Kniebeschwerden geäußert. Dies wäre aber bei einer traumatischen Schädigung zu erwarten gewesen, da diese zu einer erheblichen Schmerzhaftigkeit führt. Zudem haben beide Gutachter überzeugend ausgeführt, dass der Unfallmechanismus schon nicht geeignet gewesen ist, um eine Schädigung der Menisken herbeizuführen. Hierzu wäre eine Rotation mit fixiertem Fuß erforderlich gewesen. Eine ruckartige Rotation aus dem Stand bei nicht fixiertem Fuß ermöglicht eine derartige Verletzung am Menikus nicht. Bei dieser Beurteilung ist von beiden Gutachtern das Gewicht des Patienten berücksichtigt worden. Die nunmehr erstmals im Berufungsverfahren vorgetragene Fixierung durch das Pflegebett kann nicht überzeugen. Weiter ist es auch zu keinen strukturellen Schäden an den Knien wie z. B. Bandverletzungen gekommen. Auch eine Verschlimmerung ist daher nicht durch den Unfall verursacht worden.

Die ISG-Arthropathie rechts ist ebenfalls keine Unfallfolge. Auch dies haben die Gutachter überzeugend und schlüssig dargelegt und dies deckt sich auch mit der Einschätzung des behandelnden Neurochirurgen F.. Herr Z. weist darauf hin, dass es sich um degenerative Veränderungen im Sinne einer Entzündung der Schleimhäute gehandelt hat. Eine Unfallfolge kommt nur dann in Betracht, wenn auch ein Knochenbruch oder eine Verletzung der Bänder eingetreten wären, was hier nicht der Fall gewesen ist. Daher ist auch keine Verschlimmerung durch den Unfall eingetreten. Dr. W1 erklärt ebenfalls, dass für eine Ansatzreizung ein wiederholter mechanischer Einfluss zum Beispiel durch eine starke Fehlhaltung oder wiederholten Muskelzug erforderlich sei und ein einmaliges Unfallereignis eine derartige Reizung von Muskel-/Sehnenansätzen nicht auslösen könne. Zudem war auch bereits vor dem Geschehen eine Symptomatik am Kreuzdarmbeingelenk aktenkundig.

Auch ein chronisches Schmerzsyndrom ist nicht als Unfallfolge anzuerkennen. Die Hausarztpraxis der Klägerin hat zum einen dargelegt, dass sich die Klägerin bereits seit 2000 immer wieder mit wechselnden Beschwerden und Schmerzen vorstelle. Zudem ist aber auch allein die Prellung ursächlich auf den Unfall zurückzuführen. Die Trigeminusneuralgie, die Meniskopathie und die ISG-Arthropie, die zu chronischen Schmerzen bei der Klägerin führen, dominieren das Bild. Lediglich im Entlassungsbericht des Asklepios Westklinikum Hamburg vom 11. Mai 2017 wird das chronische Schmerzsyndrom als Diagnose genannt. Keine der weiteren schmerzassoziierten Diagnosen im Entlassungsbericht wie die ISG-Arthropathie, Lumboischialgien, die Trigeminusneuralgie und die Meniskopathien sind auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Im Bereich der Prellung, die allein durch den Arbeitsunfall verursacht worden ist, bestehen hingegen keine chronischen Schmerzen. Bei einer Prellung handelt es sich letztlich um eine einfache Verletzung, die innerhalb kurzer Zeit folgenlos ausheilt. Liegen schon keine chronischen Schmerzen im Bereich der Unfallfolgen vor, bedarf es auch keiner weiteren Ermittlungen, ob diese durch den Unfall ausgelöst worden sind. Entsprechend kommt Dr. W1 ebenfalls zu dem Ergebnis, dass das chronische Schmerzsyndrom nicht ursächlich auf den Unfall zurückzuführen ist. Der Beweisantrag war daher abzulehnen.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztenrente. Versicherte haben Anspruch auf eine Verletztenrente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit in Folge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die MdE richtet sich gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Es ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (BSG, Urteil vom 26. November 1987 – 2 RU 22/87, SozR 2200 § 581 Nr. 27). Maßgeblich ist aber nicht die konkrete Beeinträchtigung im Beruf des Versicherten, sondern eine abstrakte Berechnung (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 3/2017, § 56 Rn. 10.1). Wie oben ausgeführt ist die Prellung einzige Unfallfolge und mittlerweile folgenlos ausgeheilt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

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