Ein lockerer Kick mit Kollegen nach Feierabend oder das große, firmeninterne Fußballturnier – klingt nach Spaß und Teambuilding. Doch was passiert, wenn aus dem sportlichen Ehrgeiz heraus ein Foul passiert oder man unglücklich stürzt? Ist eine Verletzung bei solchen Events automatisch ein Arbeitsunfall? Das Bundessozialgericht hat hierzu eine wichtige Entscheidung getroffen, die weitreichende Folgen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber hat.
Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Der Fall vor dem Bundessozialgericht: Ein Knie verdreht, ein Anspruch verneint
- Der Rechtsweg: Durch alle Instanzen bis zum Bundessozialgericht
- Die Entscheidung des Bundessozialgerichts: Kein Arbeitsunfall – Die detaillierte Begründung
- Die Kernfrage: Wann ist eine Tätigkeit „versichert“?
- Argument 1 geprüft und verworfen: keine arbeitsvertragliche Pflicht
- Argument 2 geprüft und verworfen: kein versicherter „Betriebssport“
- Argument 3 geprüft und verworfen: keine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung
- Argument 4 geprüft und verworfen: kein überwiegender „Werbezweck“
- Die weitreichenden Folgen: Was dieses Urteil für die Praxis bedeutet
- Den rechtlichen Rahmen verstehen: Wichtige Begriffe kurz erklärt
- Praktische Tipps für Unternehmen und Mitarbeiter
- Fazit: Spaß im Team ja, automatischer Versicherungsschutz nein

Das Wichtigste: Kurz & knapp
- BSG-Urteil vom 26.09.2024 (Az. B 2 U 14/22 R): Verletzung bei einem firmeninternen Fußballturnier ist kein Arbeitsunfall.
- Sachverhalt: Mitarbeiter einer Unternehmensgruppe verletzte sich beim jährlichen Firmenfußballturnier am Knie – die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab.
- Begründung des Gerichts:
- Teilnahme am Turnier war keine arbeitsvertragliche Pflicht
- Kein versicherter Betriebssport wegen fehlendem Ausgleichszweck, fehlender Regelmäßigkeit und dominierendem Wettkampfcharakter
- Keine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung, da nur für fußballinteressierte Mitarbeiter konzipiert
- Kein überwiegender Werbezweck, da primär interner Charakter
- Praxisfolgen:
- Bei Sportturnieren mit Wettkampfcharakter besteht in der Regel kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz
- Nur regelmäßiger, gesundheitsorientierter Betriebssport oder echte Gemeinschaftsveranstaltungen für alle Mitarbeiter sind geschützt
- Empfehlung: Arbeitnehmer sollten bei sportlichen Firmenevents ihren privaten Versicherungsschutz prüfen. Arbeitgeber können über zusätzliche Veranstaltungsversicherungen nachdenken.
Der Fall vor dem Bundessozialgericht: Ein Knie verdreht, ein Anspruch verneint
Stellen Sie sich eine große Unternehmensgruppe vor, europaweit tätig, mit über 11.000 Mitarbeitern, davon Tausende allein in Deutschland. Seit über zwei Jahrzehnten pflegt diese Firma eine besondere Tradition: Einmal im Jahr findet ein großes, internationales Firmenfußballturnier statt. Die Ehre, das Turnier auszurichten, gebührt jeweils der Niederlassung, deren Team im Vorjahr den Sieg davongetragen hat. Eine Veranstaltung, die sicherlich den Teamgeist fördert und für Gesprächsstoff sorgt.
Die Kulisse: Das 21. Internationale Firmenfußballturnier
Im Jahr 2018 war es wieder so weit. Rund 80 Mitarbeiter aus verschiedenen Teilen des Unternehmens kamen zusammen, um beim 21. Turnier den Firmen-Champion auszuspielen. Unter ihnen war auch ein Mitarbeiter, der als Kommissionierer tätig war – eine körperlich fordernde Tätigkeit, die nichts direkt mit Fußball zu tun hat. Er trat für sein Team an, motiviert, vielleicht auch ein wenig ehrgeizig.
Der Vorfall: Eine unglückliche Bewegung mit Folgen
Mitten im Spieleifer geschah es: Bei einer unglücklichen Bewegung verdrehte sich der Mitarbeiter das rechte Knie. Eine schmerzhafte Verletzung, die medizinische Behandlung erforderte und ihn für einige Zeit außer Gefecht setzte. Solche Sportverletzungen sind leider keine Seltenheit, gerade beim Fußball.
Der Anspruch: Anerkennung als Arbeitsunfall gefordert
Für den verletzten Mitarbeiter war die Sache klar: Das Turnier war eine Firmenveranstaltung, er nahm als Mitarbeiter teil – also musste die Verletzung als Arbeitsunfall anerkannt werden. Dies hätte bedeutet, dass die gesetzliche Unfallversicherung, vertreten durch die zuständige Berufsgenossenschaft (hier: Handel und Warenlogistik), für die Behandlungskosten, eventuelle Rehabilitationsmaßnahmen und möglicherweise auch für finanzielle Entschädigungen (Verletztengeld, Rente bei dauerhaften Schäden) aufkommen würde.
Er stellte also einen entsprechenden Antrag bei der Berufsgenossenschaft. Doch diese sah die Sache anders. Sie lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, sowohl im ursprünglichen Bescheid (18.09.2018) als auch nach Einlegung eines Widerspruchs durch den Mitarbeiter (Widerspruchsbescheid vom 06.12.2018).
Was bedeutet das für Sie?
Wenn die Berufsgenossenschaft einen Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkennt, trägt nicht die gesetzliche Unfallversicherung die Kosten. Stattdessen springt in der Regel die normale Krankenversicherung ein. Das kann für den Betroffenen Nachteile bedeuten, z. B. bei Zuzahlungen, Krankengeldhöhe oder der Übernahme spezieller Reha-Maßnahmen. Bei schweren, dauerhaften Folgen entfallen zudem Ansprüche auf eine Verletztenrente aus der Unfallversicherung.
Der Rechtsweg: Durch alle Instanzen bis zum Bundessozialgericht
Der Mitarbeiter wollte die Ablehnung nicht akzeptieren. Er war überzeugt, im Recht zu sein und zog vor Gericht. Er machte geltend, dass die Berufsgenossenschaft die einschlägigen Paragrafen des Sozialgesetzbuchs VII (SGB VII), nämlich § 2 Abs. 1 Nr. 1 (Versicherte Personen) und § 8 Abs. 1 (Definition Arbeitsunfall), falsch angewendet habe.
Sein Argumentationsstrang stützte sich maßgeblich darauf, dass das Fußballturnier nicht nur ein einfacher Freizeitkick war, sondern klare betriebliche Zwecke verfolgte, insbesondere Werbezwecke für das Unternehmen. Er untermauerte dies mit mehreren Punkten:
- Das Turnier wurde aktiv im Firmen-Intranet beworben.
- Alle Mitarbeiter seien zur Teilnahme oder zumindest zum Zuschauen eingeladen gewesen.
- Das Unternehmen trat als Hauptsponsor auf und unterstützte die Veranstaltung finanziell.
- Die Teilnahme wurde von der Geschäftsführung ausdrücklich gefördert und unterstützt.
- Am Ende der Veranstaltung gab es eine Abschlussfeier mit Pokalübergabe (mit Firmenlogo) und der symbolischen Übergabe eines Spendenschecks.
- Über das Turnier wurde sogar in der lokalen Presse berichtet, was die Außenwirkung unterstreiche.
Aus seiner Sicht war die Teilnahme am Turnier somit klar eine versicherte Tätigkeit im Sinne des Gesetzes, und die Verletzung folglich ein Arbeitsunfall.
Erste Niederlagen vor den Sozialgerichten
Doch sowohl das Sozialgericht Duisburg (Urteil vom 13.02.2020) als auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 25.05.2022) teilten die Auffassung der Berufsgenossenschaft und wiesen die Klage bzw. die Berufung zurück. Sie sahen die Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall nicht als erfüllt an.
Die letzte Hoffnung: Revision beim Bundessozialgericht
Als letzte Möglichkeit blieb dem Mitarbeiter die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel, dem höchsten deutschen Gericht für Sozialrechtsfragen. Er hoffte, dass die obersten Richter seine Argumente anders bewerten würden. Am 26. September 2024 fällte das BSG sein Urteil (Aktenzeichen: B 2 U 14/22 R).
Die Entscheidung des Bundessozialgerichts: Kein Arbeitsunfall – Die detaillierte Begründung
Das Bundessozialgericht wies die Revision des Klägers zurück und bestätigte damit die Entscheidungen der Vorinstanzen. Ein schwerer Schlag für den verletzten Mitarbeiter, aber eine Entscheidung mit klarer Linie. Die Richter prüften akribisch, ob die Teilnahme am Fußballturnier unter einen der Tatbestände fallen könnte, die einen Unfallversicherungsschutz begründen. Das Ergebnis war in allen Punkten negativ.
Die Kernfrage: Wann ist eine Tätigkeit „versichert“?
Dreh- und Angelpunkt für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ist der Begriff der „versicherten Tätigkeit“ gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII. Ein Arbeitsunfall liegt nur vor, wenn der Unfall infolge einer solchen versicherten Tätigkeit passiert. Das bedeutet, es muss ein sogenannter innerer bzw. sachlicher Zurechnungszusammenhang bestehen. Vereinfacht gesagt: Die Tätigkeit, bei der der Unfall passierte, muss in einem direkten, wesentlichen Bezug zur eigentlichen Arbeit oder zu spezifischen, gesetzlich definierten betrieblichen Aktivitäten stehen.
Um diesen Zusammenhang festzustellen, schauen die Gerichte auf die sogenannte objektivierte Handlungstendenz: Was war der objektive Zweck der Handlung, bei der sich der Unfall ereignete? Wollte der Mitarbeiter objektiv gesehen eine betriebliche Pflicht erfüllen oder an einer versicherten betrieblichen Veranstaltung teilnehmen?
Das BSG untersuchte vier mögliche Ansatzpunkte, die einen Versicherungsschutz hätten begründen können:
- Erfüllung einer arbeitsvertraglichen Pflicht?
- Handelte es sich um versicherten Betriebssport?
- War das Turnier eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung?
- Diente die Teilnahme Werbezwecken des Unternehmens?
Argument 1 geprüft und verworfen: keine arbeitsvertragliche Pflicht
Zunächst prüften die Richter, ob die Teilnahme am Fußballturnier eine Pflicht aus dem Arbeitsvertrag des Klägers darstellte. Das Ergebnis war eindeutig: Nein.
Keine Hauptpflicht: Die Hauptaufgabe des Mitarbeiters war die Tätigkeit als Kommissionierer. Fußballspielen gehörte offensichtlich nicht dazu.
Keine Nebenpflicht: Auch eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht, etwa zur Repräsentation des Unternehmens durch Sport, konnte das Gericht nicht erkennen. Die Teilnahme war freiwillig.
Keine subjektive Pflicht: Selbst, wenn der Mitarbeiter subjektiv geglaubt haben sollte, durch seine Teilnahme dem Unternehmen einen Gefallen zu tun oder seine Karriere zu fördern, änderte dies nichts daran, dass objektiv keine Verpflichtung zur Teilnahme bestand.
Fazit des Gerichts: Die Teilnahme am Turnier war rein freiwillig und stand in keinem direkten Zusammenhang mit den arbeitsvertraglichen Pflichten des Klägers.
Was bedeutet das für Sie?
Nur weil Ihr Arbeitgeber eine Veranstaltung organisiert oder unterstützt, bedeutet das nicht automatisch, dass Ihre Teilnahme daran Teil Ihrer Arbeitspflichten ist. Solange die Teilnahme freiwillig ist und nicht direkt mit Ihrer Jobbeschreibung zu tun hat, ist eine Verletzung dabei in der Regel kein Arbeitsunfall unter diesem Gesichtspunkt.
Argument 2 geprüft und verworfen: kein versicherter „Betriebssport“
Könnte das Turnier als Betriebssport gewertet werden, der unter bestimmten Voraussetzungen unfallversichert ist? Auch hier sagte das BSG klar Nein.
Versicherter Betriebssport muss nach ständiger Rechtsprechung bestimmte Kriterien erfüllen:
- Ausgleichsfunktion: Der Sport muss primär dem körperlichen oder geistigen Ausgleich für die Belastungen der Arbeit dienen.
- Regelmäßigkeit: Die sportliche Betätigung muss regelmäßig stattfinden, nicht nur sporadisch.
- Kein Wettkampf im Vordergrund: Der Leistungs- und Wettkampfgedanke darf nicht dominieren. Es geht um den Gesundheits- und Ausgleichsaspekt.
- Organisatorischer Bezug zum Betrieb: Die Sportgruppe muss in irgendeiner Form mit dem Betrieb verbunden sein (z. B. Nutzung von Betriebseinrichtungen, Organisation durch den Betrieb).
Das Fußballturnier scheiterte an mehreren dieser Punkte:
Fehlender Ausgleichszweck: Ein einmal jährlich stattfindendes Turnier dient nicht dem regelmäßigen Ausgleich für die tägliche Arbeitsbelastung. Das Gericht formulierte es so: „Gelegentlich stattfindenden Wettkampf- und Freundschaftsspielen, bei denen ein Training praktisch nicht stattfindet, […] kann aufgrund des zeitlichen Abstandes eine Ausgleichsfunktion für die tägliche betriebliche Arbeitsbelastung nicht mehr beigemessen werden.“
Fehlende Regelmäßigkeit: Das Turnier fand nur einmal im Jahr statt.
Wettkampfcharakter im Vordergrund: Ziel des Turniers war eindeutig, das beste Team zu ermitteln und einen Sieger zu küren. Pokale und der Wettbewerb standen im Zentrum, nicht der gesundheitliche Ausgleich. Dieser ausgeprägte Wettkampfcharakter schließt einen Versicherungsschutz als Betriebssport aus.
Fazit des Gerichts: Das Turnier war wegen seines einmaligen Charakters und des dominanten Wettkampfgedanken kein versicherter Betriebssport.
Was bedeutet „Betriebssport“ im rechtlichen Sinne?
Nicht jede sportliche Aktivität unter Kollegen ist versicherter Betriebssport. Es geht um regelmäßige, vom Betrieb geförderte oder organisierte sportliche Betätigungen, die primär dem Gesundheitsausgleich dienen (z. B. eine wöchentliche Laufgruppe nach der Arbeit, Rückengymnastik im Betrieb). Sobald der reine Wettkampf oder Leistungsgedanke überwiegt (wie bei einem Turnier mit K.-o.-System und Siegerehrung), entfällt meist der Versicherungsschutz.
Was bedeutet das für Sie?
Wenn Sie an einer rein wettkampforientierten Sportveranstaltung Ihrer Firma teilnehmen (Turnier, Meisterschaft), sind Sie dabei in der Regel nicht über die gesetzliche Unfallversicherung geschützt. Anders sieht es bei regelmäßigen, gesundheitsorientierten Sportangeboten des Betriebs aus. Klären Sie im Zweifel vorher, wie die Aktivität einzustufen ist.
Argument 3 geprüft und verworfen: keine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung
Eine weitere Möglichkeit für Versicherungsschutz bieten sogenannte betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen (oft als Betriebsausflug, Weihnachtsfeier oder Firmenjubiläum bekannt). Diese sind versichert, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen:
- Förderung des Betriebsfriedens/Wir-Gefühls: Die Veranstaltung muss dazu dienen, die Verbundenheit der Belegschaft untereinander und mit der Unternehmensleitung zu stärken.
- Teilnahme aller Betriebsangehörigen: Grundsätzlich muss die Veranstaltung allen Mitarbeitern des Unternehmens oder zumindest einer klar abgrenzbaren Abteilung offenstehen.
- Leitung/Autorität: Die Veranstaltung muss von der Unternehmensleitung getragen oder autorisiert sein.
Das Fußballturnier erfüllte nach Ansicht des BSG diese Kriterien nicht:
Begrenzter Teilnehmerkreis: Das Turnier richtete sich ausschließlich an fußballinteressierte Mitarbeiter, die aktiv spielen wollten. Es sprach nicht die gesamte Belegschaft an. Auch wenn theoretisch alle zuschauen konnten, stand der sportliche Wettkampf einer kleinen Gruppe im Mittelpunkt. Die Veranstaltung war nicht darauf ausgelegt, alle Mitarbeiter unabhängig von ihren sportlichen Interessen zusammenzubringen.
Rein sportlicher Charakter: Im Vordergrund stand der Fußballwettbewerb, nicht das allgemeine soziale Miteinander der gesamten Belegschaft. Eine Veranstaltung muss von ihrer Programmgestaltung her die Gesamtheit der Belegschaft ansprechen, um als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung zu gelten.
Fazit des Gerichts: Da das Turnier nur einen spezifisch interessierten Teil der Belegschaft ansprach und der sportliche Wettkampf dominierte, war es keine versicherte betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung.
Wann zählt ein Firmenevent für die Versicherung?
Eine klassische Weihnachtsfeier, zu der alle Mitarbeiter eingeladen sind und bei der das gesellige Beisammensein im Vordergrund steht, ist in der Regel versichert. Ebenso ein Betriebsausflug für die gesamte Abteilung. Sobald eine Veranstaltung aber nur einen kleinen, speziellen Interessenkreis anspricht (z. B. Skatturnier für Kartenliebhaber, Kochkurs für Hobbyköche) oder der Wettkampfgedanke klar dominiert (wie beim reinen Sportturnier), entfällt der Versicherungsschutz als Gemeinschaftsveranstaltung.
Was bedeutet das für Sie?
Informieren Sie sich über den Charakter einer Firmenveranstaltung. Handelt es sich um ein Event für alle Mitarbeiter mit sozialem Fokus (wahrscheinlich versichert) oder um eine Aktivität für eine spezielle Interessengruppe oder mit starkem Wettkampfcharakter (wahrscheinlich nicht versichert)?
Argument 4 geprüft und verworfen: kein überwiegender „Werbezweck“
Zuletzt prüfte das BSG das Hauptargument des Klägers: Diente das Turnier Werbezwecken und war deshalb versichert? Auch hier folgte das Gericht dem Kläger nicht.
Zwar können Tätigkeiten, die der Werbung für das Unternehmen dienen, unter Versicherungsschutz stehen (z. B. Teilnahme an einem Messestand). Aber für das Fußballturnier sah das BSG dies nicht gegeben:
Interner Charakter: Es handelte sich primär um eine unternehmensinterne Veranstaltung. Eine breite Öffentlichkeit war nicht aktiv eingeladen oder beteiligt.
Organisation durch Mitarbeiter: Das Turnier wurde traditionell von den Mitarbeitern (der siegreichen Niederlassung) organisiert, nicht direkt von der Unternehmensleitung als gezielte Marketingmaßnahme.
Lediglich finanzielle Unterstützung: Das Unternehmen unterstützte das Event zwar finanziell (z. B. Übernahme von Kosten für Verpflegung, Getränke, eine Hüpfburg für Kinder), trat aber nicht als Organisator einer öffentlichen Werbeveranstaltung auf.
Pressebericht als „unwesentlicher Reflex“: Die Tatsache, dass im Nachhinein in der Presse über das Turnier berichtet wurde, wertete das Gericht als „rechtlich unwesentlichen Reflex“. Es sah darin keine gezielte, vom Unternehmen gesteuerte Werbemaßnahme. Um als Werbung zu zählen, hätte das Event laut BSG von der Firma aktiv und zielgerichtet in der Öffentlichkeit als Werbung genutzt werden müssen. Dies war hier, zumindest im Jahr 2018, nicht der Fall. Die interne Motivation (Spaß, Tradition, interner Wettbewerb) überwog deutlich einen etwaigen externen Werbeeffekt.
Fazit des Gerichts: Das Turnier diente nicht primär Werbezwecken im rechtlichen Sinne. Der interne Charakter und die Organisation durch Mitarbeiter sprachen dagegen. Die nachträgliche Berichterstattung änderte daran nichts.
Werbung vs. internes Event: Wo liegt die Grenze?
Der entscheidende Punkt ist, ob die Veranstaltung gezielt darauf ausgerichtet ist, das Unternehmen nach außen zu präsentieren und Kunden oder die Öffentlichkeit anzusprechen. Ein Messestand ist klar Werbung. Ein Tag der offenen Tür ebenfalls. Ein internes Sportturnier, über das vielleicht später in der Mitarbeiterzeitung oder lokal berichtet wird, ist es in der Regel nicht, solange der interne Charakter überwiegt.
Was bedeutet das für Sie?
Nur weil Ihr Unternehmen eine Veranstaltung sponsert oder weil darüber berichtet wird, wird sie nicht automatisch zu einer versicherten Werbeveranstaltung. Entscheidend ist der primäre Zweck und die Ausrichtung des Events. Bei rein internen Veranstaltungen mit freiwilliger Teilnahme ist Vorsicht geboten bezüglich des Versicherungsschutzes.
Die weitreichenden Folgen: Was dieses Urteil für die Praxis bedeutet
Das Urteil des Bundessozialgerichts (Az. B 2 U 14/22 R) ist keine völlige Überraschung, da es die bisherige Rechtsprechung zu Betriebssport und Gemeinschaftsveranstaltungen festigt und präzisiert. Dennoch hat es klare Konsequenzen:
Strengere Maßstäbe für Sportveranstaltungen mit Wettkampfcharakter
Das BSG macht deutlich: Steht bei einer betrieblichen Sportveranstaltung der Wettkampf im Vordergrund, ist ein Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung unwahrscheinlich. Dies gilt insbesondere für Turniere oder einmalige Wettkämpfe, die nicht dem regelmäßigen Gesundheitsausgleich dienen.
Die Bedeutung der Veranstaltungskonzeption
Für den Versicherungsschutz ist es entscheidend, wie eine Veranstaltung konzipiert ist. Soll sie als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gelten, muss sie grundsätzlich allen Mitarbeitern offenstehen und das soziale Miteinander fördern. Veranstaltungen für spezielle Interessengruppen fallen hier in der Regel durch. Soll sie als Betriebssport gelten, muss der Ausgleichs- und Gesundheitsaspekt dominieren und die Aktivität regelmäßig stattfinden.
Konsequenzen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Arbeitnehmer: Sollten sich bewusst sein, dass die Teilnahme an firmeninternen Sportturnieren oder ähnlichen Wettkampfveranstaltungen meist auf eigenes Risiko erfolgt, was den Unfallschutz betrifft. Eine private Unfallversicherung kann hier sinnvoll sein. Prüfen Sie bei regelmäßigen, gesundheitsorientierten Sportangeboten des Betriebs, ob diese als versicherter Betriebssport gelten.
Arbeitgeber: Müssen bei der Planung von Firmenevents die Kriterien für den Unfallversicherungsschutz bedenken. Wollen sie den Schutz gewährleisten, sollten sie auf eine breite Zugänglichkeit (Gemeinschaftsveranstaltung) oder auf Regelmäßigkeit und Gesundheitsfokus (Betriebssport) achten. Bei reinen Wettkampf-Turnieren sollten sie die Mitarbeiter ggf. darauf hinweisen, dass kein gesetzlicher Unfallschutz besteht. Alternativ könnten Arbeitgeber über den Abschluss einer freiwilligen Zusatzversicherung für solche Events nachdenken.
Den rechtlichen Rahmen verstehen: Wichtige Begriffe kurz erklärt
Um die Entscheidung und ihre Tragweite vollständig zu verstehen, sind einige juristische Schlüsselbegriffe wichtig:
Arbeitsunfall (§ 8 SGB VII)
Ein Arbeitsunfall ist ein Unfall, den eine versicherte Person infolge einer versicherten Tätigkeit erleidet. Ein „Unfall“ ist dabei ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt. Entscheidend ist der Zusammenhang (Zurechnung) zwischen der Tätigkeit und dem Unfall.
Versicherte Tätigkeit (§ 2 SGB VII)
Versicherte Tätigkeiten sind nicht nur die eigentliche Arbeit selbst, sondern auch damit zusammenhängende Handlungen, wie z.B. der direkte Weg zur Arbeit und zurück (Wegeunfall), bestimmte Dienstreisen, oder eben auch die Teilnahme an versichertem Betriebssport oder betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen unter den oben genannten Voraussetzungen.
Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII)
Die gesetzliche Unfallversicherung ist ein Zweig der deutschen Sozialversicherung. Ihre Träger sind die Berufsgenossenschaften (für die Privatwirtschaft) und die Unfallkassen (für den öffentlichen Sektor). Sie soll Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten verhüten und nach deren Eintritt die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Versicherten wiederherstellen sowie die Betroffenen oder ihre Hinterbliebenen finanziell entschädigen.
Bundessozialgericht (BSG)
Das Bundessozialgericht mit Sitz in Kassel ist das oberste deutsche Gericht für Angelegenheiten der Sozialversicherung (Renten-, Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung) sowie weiterer Bereiche des Sozialrechts. Seine Entscheidungen haben grundsätzliche Bedeutung.
Berufsgenossenschaft (BG)
Die Berufsgenossenschaften sind die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für Unternehmen und deren Beschäftigte in der Privatwirtschaft. Sie sind nach Branchen gegliedert (z.B. BG Handel und Warenlogistik, BG Bau, VBG für Verwaltungsberufe etc.). Sie beraten Unternehmen zur Arbeitssicherheit und entscheiden über Leistungsansprüche nach Arbeitsunfällen oder bei Berufskrankheiten.
Praktische Tipps für Unternehmen und Mitarbeiter
Aus dem Urteil ergeben sich konkrete Überlegungen für die Praxis:
Für Arbeitgeber: Firmenevents sicher und bewusst planen
Zweck definieren: Klären Sie vorab den Hauptzweck der Veranstaltung. Geht es um Teambuilding für alle, Gesundheitsförderung oder einen reinen Wettkampf für Interessierte?
Kommunikation: Kommunizieren Sie klar den Charakter der Veranstaltung und weisen Sie ggf. darauf hin, wenn kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz besteht (z.B. bei Wettkampf-Turnieren).
Breite Einbindung fördern: Wenn Versicherungsschutz gewünscht ist (z.B. als Gemeinschaftsveranstaltung), gestalten Sie das Event so, dass es möglichst alle Mitarbeiter anspricht und das soziale Miteinander im Vordergrund steht.
Betriebssport gestalten: Fördern Sie regelmäßige, gesundheitsorientierte Sportangebote statt einmaliger Turniere, wenn der Versicherungsschutz wichtig ist.
Zusatzversicherungen prüfen: Für Events mit hohem Verletzungsrisiko und ohne gesetzlichen Schutz (z.B. Fußballturnier) kann der Abschluss einer freiwilligen Veranstaltungs- oder Gruppenunfallversicherung erwogen werden. Beraten Sie sich hierzu mit Ihrem Versicherer.
Für Arbeitnehmer: Risiken kennen und absichern
Nachfragen: Erkundigen Sie sich im Zweifel beim Arbeitgeber oder Betriebsrat, ob für eine bestimmte Veranstaltung gesetzlicher Unfallversicherungsschutz besteht.
Privaten Schutz prüfen: Überprüfen Sie Ihren privaten Versicherungsschutz. Eine private Unfallversicherung deckt Unfälle in der Freizeit ab – und dazu zählen Verletzungen bei nicht-versicherten Firmenveranstaltungen.
Risiko abwägen: Seien Sie sich des potenziellen Risikos bewusst, insbesondere bei körperlich anspruchsvollen oder wettkampforientierten Aktivitäten im Rahmen von Firmenevents.
Fazit: Spaß im Team ja, automatischer Versicherungsschutz nein
Das Urteil des Bundessozialgerichts schafft Klarheit: Ein firmeninternes Fußballturnier mit Wettkampfcharakter ist in der Regel kein Arbeitsunfall. Die Hürden für die Anerkennung als Betriebssport oder betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung liegen hoch. Nur weil der Arbeitgeber eine Veranstaltung organisiert oder finanziell unterstützt, bedeutet das nicht automatisch, dass Teilnehmer über die gesetzliche Unfallversicherung geschützt sind.
Diese Entscheidung unterstreicht die Wichtigkeit, den Charakter und Zweck von Firmenveranstaltungen genau zu betrachten. Sowohl Arbeitgeber bei der Planung als auch Arbeitnehmer bei der Teilnahme sollten sich der rechtlichen Rahmenbedingungen und der Grenzen des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes bewusst sein. Sportlicher Ehrgeiz und Teamgeist sind wertvoll, aber die Absicherung bei unglücklichen Zwischenfällen sollte dabei nicht aus den Augen verloren werden.