Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Gerichtsurteil zur Erwerbsminderungsrente: Anspruch und Begutachtungsverfahren im Fokus
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche medizinischen Nachweise sind für einen erfolgreichen Antrag auf Erwerbsminderungsrente erforderlich?
- Wie wird die tägliche Arbeitsfähigkeit bei der Prüfung der Erwerbsminderungsrente bewertet?
- Ab wann gelten psychische Erkrankungen als ausreichend schwerwiegend für eine Erwerbsminderungsrente?
- Welche Rechtsmittel stehen nach einer Ablehnung des Rentenantrags zur Verfügung?
- Wie wirken sich qualitative Arbeitseinschränkungen auf den Rentenanspruch aus?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landessozialgericht Baden-Württemberg
- Datum: 26.09.2024
- Aktenzeichen: L 10 R 590/24
- Verfahrensart: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Sozialrecht, Rentenrecht
Beteiligte Parteien:
- Klägerin: Eine 1964 geborene Frau, die Rente wegen voller Erwerbsminderung beansprucht. Sie argumentiert, dass ihre psychische Gesundheit, insbesondere eine rezidivierende depressive Störung und Schizophrenie, sie an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit hindere.
- Beklagte: Deutsche Rentenversicherung, die den Antrag auf Erwerbsminderungsrente aufgrund fehlender medizinischer Voraussetzungen abgelehnt hat.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Die Klägerin begehrte eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum von 01.03.2024 bis 28.02.2026. Sie hatte eine wechselvolle berufliche Laufbahn und zuletzt als Erzieherin gearbeitet. Seit mehreren Jahren leidet sie nach eigenen Angaben an psychischen Problemen, die sie als so schwerwiegend ansieht, dass sie behauptet, arbeitsunfähig zu sein.
- Kern des Rechtsstreits: Die zentrale Frage war, ob die Klägerin aufgrund ihrer psychischen Gesundheitsprobleme als voll erwerbsgemindert anzusehen sei und somit Anspruch auf eine entsprechende Rente habe.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Berufung der Beklagten war erfolgreich. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg, welcher der Klägerin eine Erwerbsminderungsrente zusprach, wurde abgeändert, und die Klage wurde in vollem Umfang abgewiesen.
- Begründung: Das Landessozialgericht befand, dass die medizinischen Beurteilungen und die vorliegenden Gutachten keine ausreichenden Belege für eine volle Erwerbsminderung lieferten. Insbesondere seien die psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin nicht so schwerwiegend, dass sie einer Tätigkeit von mindestens sechs Stunden täglich entgegenstünden. Das Gutachten, das eine Schizophrenie diagnostizierte, wurde als nicht überzeugend angesehen, da es weitgehend auf den subjektiven Angaben der Klägerin basierte.
- Folgen: Die Klägerin erhält keine Rente wegen voller Erwerbsminderung für den beantragten Zeitraum. Sie trägt zudem die Kosten des Verfahrens. Eine Revision wurde nicht zugelassen, wodurch das Urteil endgültig ist.
Gerichtsurteil zur Erwerbsminderungsrente: Anspruch und Begutachtungsverfahren im Fokus
Die Erwerbsminderungsrente stellt für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen eine wichtige soziale Absicherung dar. Wenn Versicherte aufgrund von psychischen oder chronischen Erkrankungen nur noch eingeschränkt am Arbeitsleben teilhaben können, prüfen Rentenversicherungen deren Anspruch auf finanzielle Unterstützung.
Das Begutachtungsverfahren zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit ist komplex und basiert auf umfassenden medizinischen Gutachten. Ärztliche Befunde und sozialmedizinische Bewertungen spielen eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung, ob ein Versicherter Anspruch auf Teil- oder Vollerwerbsunfähigkeitsrente hat. Der folgende Fall zeigt exemplarisch, wie Gerichte solche Entscheidungen überprüfen und welche Kriterien dabei eine zentrale Bedeutung haben.
Der Fall vor Gericht
Krankenkasse muss keine Erwerbsminderungsrente an 59-jährige Erzieherin zahlen
Eine 59-jährige ehemalige Erzieherin aus Baden-Württemberg hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Dies entschied das Landessozialgericht Baden-Württemberg und wies damit ihre Klage gegen die Deutsche Rentenversicherung ab.
Psychische Belastung begründet keine Erwerbsminderung
Die 1964 geborene Klägerin war nach ihrer Ausbildung zur Schriftsetzerin und einer Tätigkeit als Verkäuferin zuletzt als Erzieherin in verschiedenen Kindertageseinrichtungen in Teilzeit beschäftigt. Im Juni 2022 beantragte sie eine Erwerbsminderungsrente mit der Begründung, sie sei seit Anfang 2021 wegen psychischer Probleme nicht mehr in der Lage zu arbeiten.
Klinische Untersuchungen belegen Arbeitsfähigkeit
Eine stationäre Rehabilitation in der W1-Klinik im Frühjahr 2021 ergab, dass die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ausüben könne. Die Reha-Ärzte stellten eine Diskrepanz zwischen dem klinischen Befund und den Beschwerdeangaben der Patientin fest. Auch eine spätere fachärztliche Begutachtung bestätigte diese Einschätzung.
Gericht sieht keine schwerwiegenden Einschränkungen
Das Gericht folgte der Auffassung der Rentenversicherung, dass bei der Klägerin keine Erwerbsminderung vorliegt. Sie sei weiterhin in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Die von ihr geschilderten psychischen Beschwerden seien nicht so schwerwiegend, dass sie eine zeitliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit rechtfertigten.
Qualitative Einschränkungen berücksichtigt
Das Gericht räumte ein, dass die Klägerin bei ihrer Arbeit gewissen Einschränkungen unterliege. So solle sie keine Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung für Personen und Maschinen ausüben, nicht in Nachtschicht arbeiten und keinem erheblichen Zeitdruck ausgesetzt sein. Diese qualitativen Einschränkungen stünden einer Erwerbstätigkeit von mindestens sechs Stunden täglich aber nicht entgegen.
Da die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert sei, habe sie keinen Anspruch auf eine entsprechende Rente. Das Urteil des Sozialgerichts Freiburg, das ihr zunächst eine befristete Erwerbsminderungsrente zugesprochen hatte, wurde damit aufgehoben.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht, dass für die Bewertung einer Erwerbsminderung die tatsächliche Leistungsfähigkeit im Alltag entscheidend ist und nicht allein die subjektiv empfundenen Beschwerden. Wenn jemand trotz gesundheitlicher Einschränkungen noch einer regelmäßigen Teilzeitbeschäftigung nachgeht und zusätzlich Freizeitaktivitäten ausübt, spricht dies gegen eine volle Erwerbsminderung. Die medizinische Einschätzung durch Gutachter hat dabei ein höheres Gewicht als die eigene Wahrnehmung der Betroffenen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente stellen möchten, müssen Sie nachweisen können, dass Ihre gesundheitlichen Einschränkungen Sie tatsächlich an der Ausübung einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit hindern. Dabei werden nicht nur Ihre ärztlichen Diagnosen betrachtet, sondern auch Ihr Alltag und Ihre Aktivitäten. Üben Sie noch eine Teilzeitbeschäftigung aus oder gehen Sie regelmäßigen Hobbys nach, kann dies als Zeichen gewertet werden, dass Sie noch leistungsfähig sind. Für die Bewertung Ihrer Erwerbsfähigkeit ist besonders wichtig, was Sie im Alltag tatsächlich noch leisten können – nicht nur, wie Sie sich fühlen.
Erwerbsminderungsrente abgelehnt?
Das Urteil zeigt, wie wichtig eine objektive Beurteilung Ihrer Leistungsfähigkeit ist. Gerade bei psychischen Erkrankungen ist es oft schwer, die eigenen Einschränkungen überzeugend darzustellen. Wir helfen Ihnen, die medizinischen Gutachten zu verstehen und Ihre Situation umfassend zu dokumentieren, um Ihre Rechte bestmöglich zu wahren. Sprechen Sie mit uns – gemeinsam prüfen wir Ihre individuellen Möglichkeiten.
✅ Fordern Sie unsere Ersteinschätzung an!
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche medizinischen Nachweise sind für einen erfolgreichen Antrag auf Erwerbsminderungsrente erforderlich?
Arten der medizinischen Nachweise
Für einen erfolgreichen Antrag auf Erwerbsminderungsrente sind drei verschiedene Arten von medizinischen Nachweisen relevant:
Der ärztliche Befundbericht dient als grundlegende medizinische Dokumentation. Er muss detailliert Ihre gesundheitlichen Einschränkungen beschreiben und deren Auswirkungen auf Ihre Arbeitsfähigkeit darstellen. Eine bloße Diagnose wie „Rückenschmerzen“ reicht nicht aus.
Das ärztliche Gutachten wird von speziell qualifizierten Medizinern erstellt, die für die Rentenversicherung tätig sind. Dieses Gutachten ist für die Bewilligung der Erwerbsminderungsrente entscheidend. Ein Amtsarzt wird Sie in der Regel persönlich untersuchen.
Erforderliche medizinische Unterlagen
Bei der Antragstellung müssen Sie folgende Informationen und Unterlagen einreichen:
- Eine vollständige Auflistung aller Gesundheitsstörungen mit Zeitpunkt ihres Auftretens
- Namen und Kontaktdaten aller behandelnden Ärzte mit genauen Behandlungszeiträumen
- Dokumentation aller Krankenhausaufenthalte mit Einrichtung und Behandlungszeitraum
- Nachweise über bereits durchgeführte Rehabilitationsmaßnahmen
- Unterlagen zu früheren ärztlichen Untersuchungen durch MDK, Gesundheitsamt oder Arbeitsagentur
Medizinische Voraussetzungen
Die Nachweise müssen eindeutig belegen, dass Sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachgehen können. Die Deutsche Rentenversicherung prüft zunächst, ob Ihre Erwerbsfähigkeit durch eine medizinische oder berufliche Rehabilitation verbessert werden kann. Erst wenn dies ausgeschlossen ist, werden die medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente geprüft.
Wie wird die tägliche Arbeitsfähigkeit bei der Prüfung der Erwerbsminderungsrente bewertet?
Die Deutsche Rentenversicherung bewertet Ihre tägliche Arbeitsfähigkeit nach einem klaren Stufensystem, das sich am zeitlichen Leistungsvermögen orientiert:
Bewertungskriterien der Arbeitsfähigkeit
Die Beurteilung erfolgt durch ärztliche Gutachter der Rentenversicherung, die Ihr Leistungsvermögen unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts prüfen. Dabei wird eine 5-Tage-Woche als Maßstab angelegt.
Stufensystem der Erwerbsminderung
Wenn Sie weniger als 3 Stunden täglich arbeiten können, liegt eine volle Erwerbsminderung vor. Sie erhalten dann eine Rente in voller Höhe.
Bei einer Arbeitsfähigkeit von 3 bis unter 6 Stunden täglich besteht eine teilweise Erwerbsminderung. In diesem Fall erhalten Sie grundsätzlich eine Rente in halber Höhe.
Können Sie 6 Stunden oder mehr täglich arbeiten, liegt keine Erwerbsminderung vor. In diesem Fall besteht kein Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente.
Besonderheit bei Teilzeitarbeitsfähigkeit
Eine wichtige Sonderregelung gilt, wenn Sie nur noch 3 bis unter 6 Stunden täglich arbeiten können und keinen passenden Teilzeitarbeitsplatz finden: In diesem Fall können Sie ausnahmsweise eine volle Erwerbsminderungsrente erhalten. Dies wird als Arbeitsmarktrente bezeichnet.
Die Beurteilung bezieht sich dabei stets auf Ihre Fähigkeit, körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben – unabhängig von Ihrem erlernten Beruf. Auch werden alle verfügbaren Hilfsmittel bei der Beurteilung berücksichtigt.
Ab wann gelten psychische Erkrankungen als ausreichend schwerwiegend für eine Erwerbsminderungsrente?
Medizinische Bewertungskriterien
Eine psychische Erkrankung gilt als ausreichend schwerwiegend für eine Erwerbsminderungsrente, wenn Sie aufgrund der Erkrankung nicht mehr in der Lage sind, mindestens sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Bei einer Arbeitsfähigkeit von weniger als drei Stunden täglich liegt eine volle Erwerbsminderung vor.
Die Deutsche Rentenversicherung prüft dabei folgende zentrale Fähigkeiten:
- Anpassung an Regeln und Routinen
- Planung und Strukturierung von Aufgaben
- Flexibilität und Umstellungsfähigkeit
- Durchhaltefähigkeit
- Kontaktfähigkeit zu Dritten
- Gruppenfähigkeit
Zeitliche Komponente
Die psychische Erkrankung muss von Dauer sein und die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit muss voraussichtlich länger als sechs Monate andauern. Eine vorübergehende Akuterkrankung reicht nicht aus.
Nachweis der Erkrankung
Der Schweregrad Ihrer psychischen Erkrankung muss durch detaillierte medizinische Unterlagen belegt werden. Dazu gehören:
- Befundberichte behandelnder Ärzte
- Dokumentation von Krankenhausaufenthalten
- Berichte über Rehabilitationsmaßnahmen
Wichtige Neuerung durch Rechtsprechung
Nach einem aktuellen Urteil des Sozialgerichts Dresden können Sie auch dann Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente haben, wenn Sie bisher keine oder keine ausreichende Therapie erhalten haben. Die fehlende Behandlung ist kein Grund mehr, eine Erwerbsminderungsrente zu verweigern. Dies ist besonders relevant, wenn Sie aufgrund langer Wartezeiten noch keinen Therapieplatz erhalten haben.
Die Statistik zeigt die hohe Relevanz: Psychische Erkrankungen sind mit 39,4 Prozent die häufigste Ursache für eine Erwerbsminderungsrente. Im Jahr 2022 erhielten knapp 64.600 Personen aus diesem Grund erstmals eine Erwerbsminderungsrente.
Welche Rechtsmittel stehen nach einer Ablehnung des Rentenantrags zur Verfügung?
Nach einer Ablehnung des Rentenantrags steht Ihnen der Widerspruch als erstes Rechtsmittel zur Verfügung. Die Widerspruchsfrist beträgt einen Monat nach Erhalt des Ablehnungsbescheids. Für Versicherte mit Wohnsitz im Ausland verlängert sich diese Frist auf zwölf Wochen.
Einlegung des Widerspruchs
Der Widerspruch muss schriftlich eingereicht werden und folgende Angaben enthalten:
- Versicherungsnummer
- Name und Anschrift
- Datum des Ablehnungsbescheids
- Erklärung des Widerspruchs
Die Begründung des Widerspruchs kann später nachgereicht werden. Fordern Sie dafür Akteneinsicht an, um Zugang zu den medizinischen Gutachten und anderen relevanten Unterlagen zu erhalten.
Widerspruchsverfahren
Nach Eingang des Widerspruchs prüft die Rentenversicherung den Fall erneut. Ein Widerspruchsausschuss, bestehend aus Vertretern der Rentenversicherung, der Versicherten und der Arbeitgeber, entscheidet über den Widerspruch.
Klageweg vor dem Sozialgericht
Wird der Widerspruch abgelehnt, können Sie innerhalb eines Monats Klage beim Sozialgericht einreichen. Vor dem Sozialgericht fallen keine Gerichtskosten an. Das Gericht bestellt in der Regel einen neutralen Gutachter, dessen Einschätzung sich von den Gutachtern der Rentenversicherung unterscheiden kann.
Während des laufenden Verfahrens können Sie unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Lohnfortzahlung, Krankengeld oder Arbeitslosengeld haben. Bei einer Ablehnung des Weitergewährungsantrags einer bereits bewilligten Erwerbsminderungsrente gelten die gleichen Rechtsmittel und Fristen.
Wie wirken sich qualitative Arbeitseinschränkungen auf den Rentenanspruch aus?
Qualitative Arbeitseinschränkungen beschreiben die Art der Tätigkeiten, die Sie aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr ausüben können. Diese Einschränkungen allein führen jedoch in der Regel nicht zu einem Rentenanspruch.
Bedeutung qualitativer Einschränkungen
Bei qualitativen Einschränkungen können Sie bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausführen, etwa keine schweren körperlichen Arbeiten oder kein langes Stehen. Solche Einschränkungen werden erst rentenrechtlich relevant, wenn sie in ihrer Gesamtheit das Arbeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes unmöglich machen.
Besondere Fallkonstellationen
Eine Rente wegen qualitativer Erwerbsminderung kommt in zwei speziellen Fällen in Betracht:
- Wenn Sie die Wegstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsplatz nicht mehr zurücklegen können
- Wenn Sie außergewöhnlich viele oder lange betriebsunübliche Pausen benötigen
Prüfung durch die Rentenversicherung
Die Rentenversicherung muss bei qualitativen Einschränkungen eine konkrete Vergleichstätigkeit benennen, die Sie noch ausüben können. Gelingt dies nicht, haben Sie Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente, auch wenn Sie theoretisch noch sechs oder mehr Stunden täglich arbeiten könnten.
Ein typisches Beispiel: Wenn Sie aufgrund einer psychischen Erkrankung keine komplexen Aufgaben mehr übernehmen können, aber noch sechs Stunden täglich einfache Tätigkeiten ausführen können, liegt keine rentenrelevante Erwerbsminderung vor. Anders verhält es sich, wenn mehrere Qualitative Einschränkungen zusammenkommen und dadurch keine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr für Sie in Frage kommt.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Erwerbsminderungsrente
Eine Sozialleistung der Deutschen Rentenversicherung für Versicherte, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr oder nur eingeschränkt arbeiten können. Je nach Schwere der Einschränkung wird zwischen voller und teilweiser Erwerbsminderung unterschieden. Eine volle Erwerbsminderung liegt vor, wenn der Versicherte weniger als 3 Stunden täglich arbeiten kann, eine teilweise bei 3-6 Stunden. Rechtliche Grundlage ist § 43 SGB VI. Beispiel: Ein Bauarbeiter kann wegen eines schweren Bandscheibenvorfalls nur noch 2 Stunden täglich leichte Tätigkeiten ausüben und erhält eine volle Erwerbsminderungsrente.
Erwerbsfähigkeit
Die gesundheitliche Fähigkeit einer Person, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Die Beurteilung erfolgt anhand medizinischer Kriterien und wird in Stunden pro Tag gemessen. Nach § 43 SGB VI ist besonders die 6-Stunden-Grenze wichtig. Beispiel: Eine Büroangestellte kann trotz Rückenproblemen noch 7 Stunden täglich am Schreibtisch arbeiten und gilt damit als voll erwerbsfähig.
Sozialmedizinische Bewertung
Ein standardisiertes Verfahren zur Beurteilung der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit im Kontext sozialrechtlicher Fragestellungen. Fachärzte bewerten dabei die Auswirkungen von Erkrankungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit nach wissenschaftlichen Kriterien. Grundlage sind die Sozialmedizinischen Begutachtungsleitlinien. Beispiel: Ein Gutachter bewertet, welche körperlichen und psychischen Belastungen ein Patient noch bewältigen kann.
Qualitative Einschränkungen
Konkrete Beschränkungen der beruflichen Einsatzfähigkeit, die sich auf bestimmte Arbeitsbedingungen oder Tätigkeitsmerkmale beziehen. Diese werden im Rahmen der Erwerbsfähigkeitsprüfung neben der zeitlichen Komponente berücksichtigt. Beispiel: Ein Arbeitnehmer darf wegen psychischer Erkrankung nicht unter Zeitdruck oder in Schichtarbeit eingesetzt werden, kann aber grundsätzlich 6 Stunden täglich arbeiten.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) – Gesetzliche Rentenversicherung: Das SGB VI regelt die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, einschließlich der Renten wegen Erwerbsminderung. Es definiert die Voraussetzungen, unter denen eine Person Anspruch auf eine Rente bei voller oder teilweiser Erwerbsminderung hat. Die Rentenhöhe und die Berechnung der Erwerbsminderung werden ebenfalls im SGB VI festgelegt. Im vorliegenden Fall wird geprüft, ob die Klägerin die Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nach diesem Gesetz erfüllt.
- Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen: Das SGB IX zielt darauf ab, die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben zu fördern. Es beinhaltet Regelungen zu medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitationsmaßnahmen, die die Erwerbsfähigkeit unterstützen sollen. Die Teilnahme der Klägerin an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme fällt unter dieses Gesetz und ist wesentlich für die Bewertung ihrer Erwerbsminderung.
- Sozialgerichtsgesetz (SGG): Das SGG regelt das Verfahren vor den Sozialgerichten, die für Streitigkeiten im Sozialrecht zuständig sind. Es legt die Zuständigkeiten, Verfahrensschritte und Rechtsmittel wie Berufung und Revision fest, die im sozialgerichtlichen Prozess angewendet werden. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte Berufung eingelegt, wodurch das SGG die Verfahrensgrundlagen bestimmt.
- Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO): Die VwGO bestimmt das Verfahren in verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten, einschließlich der Berufungsverfahren gegen Entscheidungen der unteren Behörden. Sie legt Fristen, Zuständigkeiten und Verfahrensregeln für die gerichtliche Überprüfung von behördlichen Entscheidungen fest. Die Anpassung des Gerichtsbescheids nach der Berufung der Beklagten erfolgt gemäß den Regelungen der VwGO.
- Sozialgesetzbuch V (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung: Das SGB V regelt die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, einschließlich Rehabilitationsmaßnahmen. Solche Maßnahmen können die Erwerbsfähigkeit verbessern und sind somit relevant für die Beurteilung von Renten wegen Erwerbsminderung. Die stationäre Rehabilitationsmaßnahme der Klägerin wurde auf Kosten der Bundesagentur für Arbeit gemäß den Bestimmungen des SGB V durchgeführt.
Das vorliegende Urteil
Landessozialgericht Baden-Württemberg – Az.: L 10 R 590/24 – Urteil vom 26.09.2024
* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.