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Voraussetzungen der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit

Eine Versicherungskauffrau kämpfte wegen quälender Rückenleiden um eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Sie war sicher: Ihr Bürojob war wegen der Schmerzen nicht mehr leistbar. Doch das Landessozialgericht urteilte nun, sie müsse trotz der Beschwerden weiterarbeiten.

Zum vorliegenden Urteil Az.: L 3 R 799/17 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
  • Datum: 23.03.2022
  • Aktenzeichen: L 3 R 799/17
  • Verfahrensart: Urteil
  • Rechtsbereiche: Rentenrecht (SGB VI)

Beteiligte Parteien:

  • Kläger: Die 1959 geborene Versicherte, zuletzt als Versicherungskauffrau im Innendienst tätig, die Rente wegen Erwerbsminderung beantragte.
  • Beklagte: Der Rentenversicherungsträger, der den Rentenantrag ablehnte und gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung einlegte.

Worum ging es in dem Fall?

  • Sachverhalt: Eine als Versicherungskauffrau tätige Frau beantragte Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund von Gesundheitsproblemen, insbesondere an der Wirbelsäule. Der Rentenversicherungsträger lehnte dies ab, da er sie weiterhin als arbeitsfähig einschätzte. Nach Klage vor dem Sozialgericht, das ihr die Rente zusprach, legte der Rentenversicherungsträger Berufung ein.
  • Kern des Rechtsstreits: Der zentrale Streitpunkt war, ob die Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen als berufsunfähig im Sinne des Rentenrechts gilt und Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung hat. Dabei ging es insbesondere um die Frage, ob sie ihre bisherige Tätigkeit oder eine sozial zumutbare andere Tätigkeit noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann.

Was wurde entschieden?

  • Entscheidung: Das Landessozialgericht änderte das Urteil der Vorinstanz und wies die Klage der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab. Die Berufung des Rentenversicherungsträgers hatte Erfolg.
  • Begründung: Das Gericht begründete die Entscheidung damit, dass die Klägerin nach Einschätzung der Sachverständigen weiterhin in der Lage ist, leichte Tätigkeiten über sechs Stunden täglich auszuüben, insbesondere ihre frühere Tätigkeit als Versicherungskauffrau im Innendienst. Die notwendigen gelegentlichen Haltungswechsel seien bei dieser Tätigkeit möglich und die quantitativen Leistungseinschränkungen nach einem anderen Gutachten seien nicht überzeugend.
  • Folgen: Aufgrund der gerichtlichen Feststellung, dass die Klägerin nicht berufsunfähig ist, besteht kein Anspruch auf die beantragte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Der Fall vor Gericht


LSG-Urteil: Versicherungskauffrau trotz Rückenleiden nicht berufsunfähig – Kein Anspruch auf Rente nach § 240 SGB VI

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat entschieden, dass eine 1959 geborene Versicherungskauffrau trotz erheblicher gesundheitlicher Probleme, insbesondere im Bereich der Wirbelsäule, keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit hat.

Versicherungskauffrau im Büro mit Rückenschmerzen bei digitaler Aktenumstellung, Stapel Papierakten und Computer.
Durch papierlose Aktenbearbeitung leidet eine Schadenssachbearbeiterin an Rückenbeschwerden und kann ihren Beruf nicht mehr ausüben. | Symbolbild: KI-generiertes Bild

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Frau weiterhin in der Lage ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf im Innendienst mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Damit sind die Voraussetzungen des für sie relevanten § 240 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nicht erfüllt.

Rentenantrag wegen Wirbelsäulenproblemen: Versicherungskauffrau im Innendienst kämpft um Berufsunfähigkeitsrente

Die Ausgangslage des Falls betrifft eine 1959 geborene Frau, die als Einzelhandels- und Versicherungskauffrau ausgebildet ist. Nach verschiedenen beruflichen Stationen und einer früheren Phase des Bezugs einer vollen Erwerbsminderungsrente war sie seit Januar 2007 wieder als Schadenssachbearbeiterin im Innendienst bei einer Versicherung beschäftigt. Im April 2015 stellte sie einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Als Grund führte sie gesundheitliche Probleme an, vor allem Beschwerden an der Wirbelsäule, die sich ihrer Meinung nach durch die Umstellung auf eine papierlose Aktenbearbeitung und die damit verbundene Arbeitsbelastung verschlimmert hätten.

Die zuständige Rentenversicherung holte daraufhin medizinische Berichte ein und ließ die Frau von einem Orthopäden begutachten. Dieser Facharzt diagnostizierte unter anderem wiederkehrende Schmerzen im Lendenwirbelbereich mit Ausstrahlung ins Bein (Lumboischialgien), einen Verschleiß der Kniegelenke und funktionelle Probleme an der Halswirbelsäule. Trotz dieser Diagnosen hielt der Gutachter die Versicherte für fähig, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich auszuüben, bevorzugt in wechselnder Körperhaltung. Bestimmte Belastungen wie Zwangshaltungen der Wirbelsäule, ausschließliches Stehen oder Sitzen, Arbeiten in gebückter Haltung sowie Akkord- oder Fließbandarbeit seien jedoch nicht zumutbar. Wichtig war seine Einschätzung, dass sie bei freier Wahl der Körperhaltung ihre Tätigkeit als Versicherungskauffrau weiterhin sechs Stunden und mehr verrichten könne.

Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Rentenversicherung den Rentenantrag im Juli 2015 ab. Die Begründung lautete, dass die Frau noch mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könne und ihr eine Verweisung auf andere Tätigkeiten zumutbar sei. Daher liege keine Berufsunfähigkeit im Sinne des Gesetzes vor.

Streit um Arbeitsfähigkeit am Bildschirmarbeitsplatz: Sozialgericht bejaht zunächst Berufsunfähigkeit

Gegen die Ablehnung legte die Versicherungskauffrau Widerspruch ein. Sie argumentierte, dass der vom Gutachter geforderte freie Wechsel der Arbeitsposition an ihrem konkreten Arbeitsplatz, einem papierlosen Bildschirmarbeitsplatz, nicht möglich sei. Die Arbeit sei monoton und erfordere stereotype Rumpfhaltungen, was zu einer Verschlechterung ihrer Beschwerden geführt habe. Sie reichte weitere ärztliche Unterlagen ein. Die Rentenversicherung blieb jedoch bei ihrer Entscheidung und wies den Widerspruch im November 2015 zurück, da sich auch nach Prüfung der neuen Unterlagen keine Änderung der Leistungseinschätzung ergeben habe.

Daraufhin erhob die Frau Klage beim Sozialgericht Münster. Sie schilderte ihre Beschwerden detailliert: Blockierungen an Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung ins Bein, Schmerzverstärkung bei längerem Sitzen, Hocken, Bücken oder Stehen sowie einen Hörsturz mit Tinnitus im Oktober 2015, den sie auf Verspannungen zurückführte. Sie gab zudem an, ihre Tätigkeit bei der Versicherung inzwischen aufgegeben zu haben. Ihr Ziel war die Verurteilung der Rentenversicherung zur Zahlung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab April 2015.

Das Sozialgericht sammelte weitere Informationen, darunter ärztliche Berichte und eine Auskunft ihres früheren Arbeitgebers. Dieser bestätigte, dass die Tätigkeit als Schadenssachbearbeiterin eine Ausbildung oder Anlernzeit erfordere, körperlich leicht sei und überwiegend im Sitzen ausgeübt werde. Das Gericht beauftragte zwei neue Sachverständige: einen Neurologen und Psychiater sowie einen Chirurgen. Diese Experten kamen in ihren Gutachten zu ähnlichen Diagnosen wie der erste Gutachter (u.a. Wirbelsäulenprobleme, Kniebeschwerden). Sie bestätigten ebenfalls, dass die Frau körperlich leichte Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen sechs Stunden und mehr täglich verrichten könne, allerdings unter Beachtung qualitativer Einschränkungen (kein Knien, Hocken, Bücken, Überkopfarbeiten, Zwangshaltungen etc.). Der Chirurg fügte jedoch eine wesentliche Einschränkung hinzu: Aufgrund der deutlichen Abnutzungserscheinungen an der Halswirbelsäule mit Instabilität sei Bildschirmarbeit nur kurzfristig, maximal 10 Minuten am Stück, zumutbar.

Auf dieser Grundlage verurteilte das Sozialgericht Münster im August 2017 die Rentenversicherung zur Rentenzahlung. Obwohl das Gericht der Einschätzung der Gutachter folgte, dass die Frau generell noch über sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten verrichten könne, sah es sie als berufsunfähig an. Die Begründung: Ihr bisheriger Beruf als Versicherungskauffrau (ein Facharbeiterberuf) erfordere laut Berufsdatenbanken unter anderem unregelmäßige Arbeitszeiten, häufig wechselnde Aufgaben, Kundenkontakt und Verantwortung. Diese Anforderungen könne sie wegen ihrer Einschränkungen – insbesondere dem Ausschluss von Wechsel- und Nachtschicht, der Unfähigkeit, unter Zeitdruck zu arbeiten (so die Interpretation des Gerichts) und vor allem der vom Chirurgen attestierten 10-Minuten-Grenze für Bildschirmarbeit – nicht mehr erfüllen. Eine zumutbare andere Tätigkeit (Verweisungstätigkeit) sei nicht gegeben.

Berufung der Rentenversicherung: Zweifel an der Begründung der Berufsunfähigkeit und Bildschirmarbeits-Limitierung

Mit diesem Urteil gab sich die Rentenversicherung nicht zufrieden und legte Berufung beim Landessozialgericht (LSG) ein. Sie kritisierte die Entscheidung des Sozialgerichts in mehreren Punkten. Zum einen habe das Gericht das Gutachten des Neurologen falsch interpretiert, denn dieser habe die Fähigkeit, unter Zeitdruck zu arbeiten und Verantwortung zu tragen, durchaus bejaht. Zum anderen sei die vom Chirurgen aufgestellte 10-Minuten-Grenze für Bildschirmarbeit nicht nachvollziehbar und stehe im Widerspruch zur Einschätzung des Neurologen. Nach Ansicht der Rentenversicherung könne die Frau ihren Beruf als Versicherungskauffrau im Innendienst weiterhin ausüben.

Landessozialgericht prüft erneut: Überwiegend sitzende Tätigkeit trotz Leiden möglich?

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen nahm den Fall erneut unter die Lupe und beauftragte eine weitere Sachverständige, eine Fachärztin für Chirurgie und Sozialmedizin, mit einem Gutachten. Diese Expertin diagnostizierte ebenfalls die bekannten Leiden: wiederkehrende Wirbelsäulensyndrome mit Nervenwurzelreizungen, degenerative Gelenkveränderungen, Schulter- und Kniebeschwerden sowie weitere Nebenerkrankungen. Ihre Einschätzung des Leistungsvermögens unterschied sich jedoch in einem entscheidenden Punkt von der des Sozialgerichts und des dort gehörten Chirurgen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Frau körperlich leichte und gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich verrichten kann. Dabei sei eine überwiegend sitzende Tätigkeit (mehr als 90% der Arbeitszeit) möglich, wobei ein gelegentlicher Wechsel der Körperposition, etwa einmal pro Stunde während der persönlichen Verteilzeiten (kurze Pausen), ausreiche. Die qualitativen Einschränkungen deckten sich weitgehend mit denen der früheren Gutachter (keine Zwangshaltungen, kein ständiges Bücken/Hocken, keine Nacht-/Wechselschicht, kein Akkord/Fließband). Auch geistig mittelschwere Tätigkeiten mit durchschnittlichen Anforderungen seien zumutbar. Die Fähigkeit, Wege zurückzulegen und die Hände zu benutzen (einschließlich Tastaturbedienung), sei gegeben.

Auf Antrag der Versicherungskauffrau wurde noch ein weiteres Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz eingeholt, erstellt von einem von ihr benannten Sachverständigen. Dieser diagnostizierte ähnliche Probleme, schätzte das Leistungsvermögen jedoch auf nur drei bis unter sechs Stunden täglich ein. Zwar könne die Frau leichte Tätigkeiten ausüben, müsse aber regelmäßig die Körperhaltung wechseln (nach 30 Minuten Sitzen). Die Begründung für die zeitliche Einschränkung war ungewöhnlich: Der Gutachter rechnete die Fahrzeit zur Arbeit zur reinen Arbeitszeit hinzu, da diese ebenfalls eine sitzende Zwangshaltung darstelle. Eine fast achtstündige Gesamtzeit aus Arbeit und Weg sei zwar realisierbar, führe aber zu einer auf drei bis unter sechs Stunden beschränkten reinen Arbeitsfähigkeit.

Die vom Gericht beauftragte Sachverständige C widersprach dieser Einschätzung vehement. Die Befunde rechtfertigten keine Beschränkung auf unter sechs Stunden Arbeitszeit. Die Vermischung von Arbeits- und Wegezeit durch den Gutachter D sei nicht nachvollziehbar.

Kein Berufsschutz nach § 240 SGB VI: Versicherungskauffrautätigkeit im Innendienst weiterhin zumutbar

Das Landessozialgericht folgte in seiner Entscheidung den überzeugenden und schlüssigen Gutachten des Neurologen M und der Chirurgin/Sozialmedizinerin C. Diese hätten die Gesundheitsstörungen und deren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen sorgfältig festgestellt. Auf dieser Basis kam der Senat zu dem Schluss, dass die Versicherungskauffrau trotz ihrer Leiden (u.a. Schwindel, Wirbelsäulensyndrome, Gelenkverschleiß) in der Lage ist, körperlich leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten.

Entscheidend war dabei die Feststellung, dass sie mehr als 90% der Arbeitszeit im Sitzen arbeiten kann und ein gelegentlicher Haltungswechsel im Rahmen der üblichen persönlichen Verteilzeiten (typischerweise einige Minuten pro Stunde) ausreicht. Die vom Sachverständigen D geforderte quantitative Einschränkung auf unter sechs Stunden aufgrund der Einbeziehung der Wegezeit lehnte das Gericht als unlogisch ab.

Anschließend prüfte das LSG, ob die Frau mit diesem Leistungsvermögen ihren bisherigen Hauptberuf als Versicherungskauffrau im Bereich der Schadenssachbearbeitung noch ausüben kann. Dieser Beruf wird typischerweise im Innendienst, überwiegend sitzend am Bildschirm, ausgeübt und umfasst Aufgaben wie die Bearbeitung von Leistungsfällen, die Prüfung von Ansprüchen und die Anweisung von Zahlungen.

Zur Überzeugung des Gerichts ist die Frau weiterhin in der Lage, diesen Beruf auszuüben. Die festgestellte Fähigkeit, über 90% sitzend zu arbeiten mit der Möglichkeit zum gelegentlichen Haltungswechsel während kurzer Pausen, sei mit den Anforderungen des Berufs vereinbar. Das Gericht verwies auch auf die Arbeitsstättenverordnung, die bei Bildschirmarbeit Unterbrechungen oder Erholungszeiten vorschreibt, was im Rahmen der persönlichen Verteilzeiten realisierbar sei.

Das LSG widersprach damit ausdrücklich der Begründung des Sozialgerichts. Die vom Sozialgericht angeführten Gründe für eine Berufsunfähigkeit – unregelmäßige Arbeitszeiten, wechselnde Aufgaben, Kundenkontakt, Verantwortung und insbesondere die angenommene Notwendigkeit ständiger Haltungswechsel bzw. die 10-Minuten-Bildschirmarbeitsgrenze – wurden vom LSG als nicht stichhaltig bewertet:

  • Nacht- und Wechselschicht seien zwar ausgeschlossen, aber für eine Innendiensttätigkeit als Versicherungskauffrau nicht typisch.
  • Die Gutachter M und C hätten bestätigt, dass die Frau Termine einhalten und durchschnittlichen geistigen Anforderungen (inklusive Zeitdruck und Verantwortung) gewachsen sei.
  • Die 10-Minuten-Grenze für Bildschirmarbeit wurde als widerlegt angesehen; gelegentliche Wechsel seien ausreichend und möglich.
  • Auch die weiteren vom Sozialgericht genannten Anforderungen seien mit dem festgestellten Leistungsvermögen vereinbar.

Da die Versicherungskauffrau ihren bisherigen Beruf im Innendienst nach Überzeugung des Landessozialgerichts noch sechs Stunden und mehr täglich ausüben kann, liegt keine Berufsunfähigkeit im Sinne des § 240 SGB VI vor. Dieser Paragraph gewährt Versicherten, die vor dem 02.01.1961 geboren sind, unter bestimmten Voraussetzungen einen Vertrauensschutz für ihren bisherigen Beruf. Ist dieser noch zumutbar ausübbar, besteht kein Rentenanspruch wegen Berufsunfähigkeit.

Urteil des Landessozialgerichts: Kein Anspruch auf Rente – Klage der Versicherungskauffrau endgültig abgewiesen

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen änderte daher das Urteil des Sozialgerichts Münster ab und wies die Klage der Versicherungskauffrau vollständig ab. Die Berufung der Rentenversicherung war erfolgreich. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit besteht nicht, da die Frau ihren bisherigen Beruf als Versicherungskauffrau im Innendienst trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann. Eine Revision zum Bundessozialgericht wurde nicht zugelassen.


Die Schlüsselerkenntnisse

Das Urteil verdeutlicht, dass bei der Beurteilung von Berufsunfähigkeit im Innendienst konkrete arbeitsplatzspezifische Gegebenheiten entscheidend sind, insbesondere die Möglichkeit zu kurzen Unterbrechungen bei überwiegend sitzender Bildschirmarbeit. Die Quintessenz liegt darin, dass trotz nachgewiesener Wirbelsäulenleiden bei Bürotätigkeiten keine Berufsunfähigkeit vorliegt, wenn ein gelegentlicher Haltungswechsel im Rahmen normaler Arbeitsunterbrechungen möglich ist und die Tätigkeit nicht durch Faktoren wie ständiges Stehen oder besondere körperliche Belastung erschwert wird. Die Entscheidung hat besondere Bedeutung für ältere Arbeitnehmer mit Vertrauensschutz nach § 240 SGB VI, die trotz gesundheitlicher Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich ihrem erlernten Beruf nachgehen können.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was bedeutet „teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit“ genau?

Wenn es um die staatliche Rentenversicherung in Deutschland geht, ist der Begriff „Erwerbsminderung“ entscheidend. Er beschreibt, inwieweit Ihre gesundheitlichen Probleme Ihre Fähigkeit einschränken, Geld zu verdienen. Der Begriff „Berufsunfähigkeit“, wie Sie ihn verwenden, bezieht sich im aktuellen Recht der gesetzlichen Rentenversicherung nur noch auf sehr spezielle Fälle oder älteres Recht. Die Regel für neue Anträge ist die Erwerbsminderung.

Die gesetzliche Rentenversicherung prüft, ob Sie wegen Krankheit oder Behinderung nicht mehr oder nur noch begrenzt arbeiten können. Dabei kommt es darauf an, wie viele Stunden pro Tag Sie noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könnten – also nicht nur in Ihrem früheren Beruf, sondern in jeder möglichen Tätigkeit, die gesundheitlich zumutbar wäre.

Der Unterschied: Teilweise vs. Volle Erwerbsminderung

Hier unterscheidet die Rentenversicherung grundsätzlich zwei Stufen, basierend auf der täglichen Arbeitszeit:

  • Teilweise Erwerbsminderung: Diese liegt vor, wenn Sie wegen Krankheit oder Behinderung nur noch zwischen 3 und unter 6 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten können. Stellen Sie sich vor, Ihre gesundheitlichen Einschränkungen erlauben es Ihnen nicht mehr, einen vollen Arbeitstag zu leisten, aber ein halber Tag oder etwas mehr ist prinzipiell noch möglich – unabhängig davon, ob Sie tatsächlich einen solchen Teilzeitjob finden oder ausüben.
  • Volle Erwerbsminderung: Diese liegt vor, wenn Sie wegen Krankheit oder Behinderung weniger als 3 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten können. Das bedeutet, Ihre Fähigkeit, überhaupt irgendeiner regelmäßigen Arbeit nachzugehen, ist sehr stark eingeschränkt.

Für Sie bedeutet das: Die „teilweise Erwerbsminderung“ ist die geringere Stufe der Einschränkung. Sie bescheinigt Ihnen, dass Ihre Erwerbsfähigkeit zwar nicht vollständig verloren ist, aber so stark gemindert, dass Sie nur noch begrenzt (zwischen 3 und unter 6 Stunden) arbeiten können. Die staatliche Rente bei teilweiser Erwerbsminderung ist entsprechend niedriger als die bei voller Erwerbsminderung, da davon ausgegangen wird, dass Sie theoretisch noch einen Teil Ihres Lebensunterhalts durch Arbeit verdienen könnten.


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Welche Berufe gelten als zumutbar, wenn die Berufsunfähigkeit festgestellt wurde?

Wenn eine Berufsunfähigkeit im Sinne einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung vorliegt, bedeutet das oft, dass Sie Ihren zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr oder nur noch eingeschränkt ausüben können. Die Versicherung prüft dann, ob Sie stattdessen eine andere Tätigkeit ausüben könnten. Diesen anderen Beruf nennt man in der Versicherungswelt eine sogenannte Verweisungstätigkeit. Ob eine solche andere Tätigkeit für Sie als zumutbar gilt, ist entscheidend dafür, ob die Versicherung leistet oder nicht.

Welche Kriterien machen eine Tätigkeit zumutbar?

Eine andere Tätigkeit gilt nicht einfach so als zumutbar. Sie muss bestimmte Kriterien erfüllen, die sich unter anderem aus Ihrem Versicherungsvertrag und der Rechtsprechung ergeben. Dabei stehen Ihre persönlichen Umstände im Vordergrund. Es wird geprüft, ob die alternative Tätigkeit zu Ihrem bisherigen Leben und Ihrer Qualifikation passt.

Wichtige Faktoren bei dieser Prüfung sind:

  • Ihre Ausbildung und Kenntnisse: Die neue Tätigkeit sollte Ihren Fähigkeiten und Ihrer Ausbildung entsprechen oder eine vergleichbare Qualifikation erfordern.
  • Ihr bisheriger Beruf und Ihre Lebensstellung: Eine zumutbare Tätigkeit sollte Ihrer sozialen und wirtschaftlichen Stellung vor der Berufsunfähigkeit im Wesentlichen entsprechen. Das bedeutet oft, dass das Einkommen aus der neuen Tätigkeit nicht wesentlich niedriger sein darf als das Einkommen in Ihrem bisherigen Beruf vor der Berufsunfähigkeit. Auch das Ansehen des Berufs kann eine Rolle spielen.
  • Ihre gesundheitlichen Einschränkungen: Die wichtigste Voraussetzung ist, dass Sie die alternative Tätigkeit trotz Ihrer gesundheitlichen Probleme tatsächlich ausüben können. Die Tätigkeit darf Ihre Gesundheit nicht weiter gefährden oder überfordern.

Beispiele für die Prüfung der Zumutbarkeit

Stellen Sie sich vor, ein Architekt, der viel auf Baustellen unterwegs war und nun wegen einer Gehbehinderung nicht mehr klettern kann, könnte unter Umständen auf eine Tätigkeit als Büroarchitekt verwiesen werden, wenn seine Ausbildung und bisherige Tätigkeit diese Art von Arbeit umfasst und sein Einkommen vergleichbar bleibt.

Ein Handwerker mit schweren Rückenproblemen könnte möglicherweise auf eine administrative Tätigkeit im Handwerksbetrieb oder eine Tätigkeit als technischer Zeichner verwiesen werden, falls er die notwendigen Kenntnisse besitzt und sein bisheriges Einkommensniveau vergleichbar ist.

Es darf sich bei der Verweisungstätigkeit nicht um irgendeinen theoretischen Beruf handeln. Die Tätigkeit muss in der Realität existieren und Sie müssen sie unter normalen Umständen auch tatsächlich ausüben können. Die Prüfung, ob eine konkrete Verweisungstätigkeit zumutbar ist, ist immer eine sehr individuelle Betrachtung Ihres Einzelfalls.

Die Bedeutung der konkreten Prüfung

Die Frage der Zumutbarkeit ist also keine starre Liste von Berufen, sondern eine Einzelfallprüfung, bei der viele Faktoren berücksichtigt werden. Es kommt darauf an, ob ein konkret benannter anderer Beruf für Sie persönlich unter Berücksichtigung Ihrer Ausbildung, Ihrer bisherigen Tätigkeit, Ihrer gesundheitlichen Verfassung und Ihrer wirtschaftlichen Situation eine realistische und vergleichbare Alternative darstellt.


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3. Wie wirkt sich eine vorherige Rente wegen voller Erwerbsminderung auf einen neuen Antrag aus?

Wenn Sie bereits früher eine Rente wegen voller Erwerbsminderung erhalten haben und nun einen neuen Antrag stellen, zum Beispiel auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wird Ihr Fall grundsätzlich neu geprüft.

Das bedeutet: Die frühere Entscheidung, dass bei Ihnen eine volle Erwerbsminderung vorlag, ist nicht bindend für den neuen Antrag. Die Deutsche Rentenversicherung oder das Gericht schauen sich Ihren aktuellen Gesundheitszustand an.

Die Frage ist immer, wie viele Stunden Sie zum Zeitpunkt des neuen Antrags und der Bearbeitung noch arbeiten können. Es wird geprüft, ob Sie aktuell auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (nicht nur in Ihrem früheren Beruf) noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten können.

  • Können Sie aktuell weniger als drei Stunden arbeiten, liegt volle Erwerbsminderung vor.
  • Können Sie aktuell drei, aber weniger als sechs Stunden arbeiten, liegt teilweise Erwerbsminderung vor.
  • Können Sie aktuell sechs Stunden oder mehr arbeiten, liegt keine Erwerbsminderung vor.

Die Tatsache, dass Sie früher voll erwerbsgemindert waren, liefert zwar wichtige Informationen zu Ihrer Krankengeschichte und Ihrem bisherigen Leistungsvermögen. Sie ist aber nur ein Aspekt von vielen. Entscheidend ist die aktuelle medizinische und berufliche Situation, die im Rahmen des neuen Antrags bewertet wird. Möglicherweise hat sich Ihr Gesundheitszustand seit der früheren Entscheidung verändert.

Daher hat ein früherer Rentenbezug wegen voller Erwerbsminderung keinen automatischen Einfluss darauf, ob ein neuer Antrag auf Rente (egal ob teilweise oder volle Erwerbsminderung) bewilligt wird. Es kommt auf die aktuelle Feststellung Ihrer Erwerbsfähigkeit an.


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Welche Rolle spielen ärztliche Gutachten und Befundberichte bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit?

Ärztliche Gutachten und Befundberichte sind das Herzstück bei der Beurteilung, ob jemand noch erwerbsfähig ist oder nicht. Stellen Sie sich die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit wie eine Waage vor: Auf der einen Seite liegen die Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, auf der anderen Seite stehen Ihre gesundheitlichen Fähigkeiten. Die ärztlichen Dokumente liefern die Informationen darüber, wie schwer Ihre gesundheitlichen Einschränkungen wiegen und wie stark sie Ihre Fähigkeit beeinträchtigen, zu arbeiten.

Welche Informationen sind wichtig?

In diesen medizinischen Dokumenten sollten alle relevanten Erkrankungen und deren Auswirkungen auf Ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten genau beschrieben sein. Dazu gehören:

  • Welche Diagnosen wurden gestellt?
  • Welche Beschwerden haben Sie konkret?
  • Wie stark sind diese Beschwerden (z.B. Schmerzen, Schwäche, Konzentrationsprobleme)?
  • Welche täglichen Aktivitäten und beruflichen Tätigkeiten können Sie deswegen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt ausführen (z.B. langes Sitzen, Heben, Treppensteigen, geistige Belastbarkeit)?
  • Seit wann bestehen diese Probleme und wie haben sie sich entwickelt?
  • Welche Behandlungen wurden durchgeführt und wie erfolgreich waren sie?
  • Wird sich Ihr Zustand voraussichtlich verbessern, gleich bleiben oder verschlechtern?

Es geht also nicht nur um die Namen der Krankheiten, sondern ganz entscheidend darum, welche konkreten Einschränkungen sie im Alltag und im Beruf verursachen.

Wie bewertet die Rentenversicherung diese Dokumente?

Die Rentenversicherung sammelt zunächst alle verfügbaren ärztlichen Unterlagen von Ihren behandelnden Ärzten. Diese Befundberichte werden von den medizinischen Diensten der Rentenversicherung ausgewertet. Dabei wird geprüft, ob die vorliegenden Informationen ausreichen, um ein klares Bild Ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten. Oft reicht das nicht aus, oder es sind weitere Fragen offen.

In solchen Fällen beauftragt die Rentenversicherung eigene medizinische Gutachter. Diese Ärzte untersuchen Sie und erstellen ein unabhängiges Gutachten. Sie bewerten, welche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Sie trotz Ihrer gesundheitlichen Probleme noch wie lange täglich ausüben können. Dabei berücksichtigen sie auch Wegezeiten und Pausen. Die Gutachter der Rentenversicherung prüfen die Befunde Ihrer behandelnden Ärzte und stellen diese ihren eigenen Untersuchungsergebnissen gegenüber.

Welche Bedeutung haben die Dokumente für die Entscheidung?

Die ärztlichen Gutachten und Befundberichte sind die zentrale Grundlage für die Entscheidung der Rentenversicherung über Ihre Erwerbsfähigkeit. Die Rentenversicherung trifft ihre sozialmedizinische Leistungsbeurteilung maßgeblich auf Basis dieser medizinischen Einschätzungen. Die Entscheidung, ob Sie noch mindestens sechs Stunden täglich, drei bis unter sechs Stunden täglich oder weniger als drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, wird wesentlich durch die Aussagen der Ärzte in diesen Dokumenten geprägt.

Wie können Sie beitragen?

Um sicherzustellen, dass die ärztlichen Dokumente Ihre Situation möglichst genau wiedergeben, ist es hilfreich, wenn Sie Ihren behandelnden Ärzten alle Ihre Beschwerden und Einschränkungen offen und umfassend schildern. Bereiten Sie sich vielleicht auf Arzttermine vor und notieren Sie sich, welche Schwierigkeiten Sie im Alltag und bei möglichen beruflichen Tätigkeiten haben. Je klarer und vollständiger die Informationen sind, die Ihre Ärzte dokumentieren und in ihren Berichten festhalten, desto besser kann Ihre gesundheitliche Situation bei der Beurteilung Ihrer Erwerbsfähigkeit berücksichtigt werden.


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Was kann ich tun, wenn mein Antrag auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung abgelehnt wird?

Wenn Sie einen Bescheid von der Deutschen Rentenversicherung erhalten, der Ihren Antrag auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ablehnt, bedeutet das zunächst, dass die Rentenversicherung nach ihrer Prüfung Ihre Voraussetzungen für diese Rente nicht als erfüllt ansieht. Sie sind in dieser Situation nicht rechtlos. Das deutsche Rechtssystem bietet Ihnen Möglichkeiten, diese Entscheidung überprüfen zu lassen.

Der erste Schritt nach Erhalt eines ablehnenden Bescheides ist der Widerspruch. Mit dem Widerspruch legen Sie schriftlich dar, warum Sie mit der Entscheidung nicht einverstanden sind. Sie können neue medizinische Unterlagen einreichen oder auf Ihrer Meinung nach nicht richtig berücksichtigte Umstände hinweisen.

Für den Widerspruch gibt es eine wichtige Frist: Sie müssen den Widerspruch innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheides bei der zuständigen Rentenversicherung einlegen. Die Zustellung ist der Tag, an dem der Bescheid in Ihrem Briefkasten liegt oder Ihnen auf andere Weise offiziell übergeben wurde. Das genaue Datum der Zustellung steht oft auf dem Umschlag oder dem Bescheid selbst. Es ist sehr wichtig, diese Frist zu beachten, da der Bescheid ansonsten rechtskräftig wird und Sie nachträglich in der Regel nichts mehr dagegen tun können.

Nachdem Sie Widerspruch eingelegt haben, prüft die Rentenversicherung Ihren Fall erneut. Dabei werden Ihre vorgebrachten Argumente und eventuell neue Unterlagen berücksichtigt. Es kann sein, dass die Rentenversicherung weitere Ermittlungen anstellt, zum Beispiel neue medizinische Gutachten einholt.

Das Ergebnis dieser erneuten Prüfung teilt Ihnen die Rentenversicherung in einem Widerspruchsbescheid mit. Bestätigt die Rentenversicherung ihre ursprüngliche Ablehnung, erhalten Sie einen ablehnenden Widerspruchsbescheid.

Sollte auch der Widerspruch abgelehnt werden, haben Sie die Möglichkeit, Klage beim Sozialgericht einzureichen. Dies ist der nächste Schritt im Rechtssystem. Vor dem Sozialgericht wird Ihr Fall von unabhängigen Richtern geprüft. Auch hier können weitere Beweise, wie zum Beispiel medizinische Gutachten, eine Rolle spielen.

Auch für die Klageerhebung gibt es eine Frist: Sie müssen die Klage innerhalb eines Monats nach Zustellung des ablehnenden Widerspruchsbescheides beim zuständigen Sozialgericht einreichen.

Es gibt Stellen, die Betroffene in solchen Verfahren unterstützen können, zum Beispiel Sozialverbände. Diese Verbände bieten oft Informationen und Hilfe bei der Formulierung von Widersprüchen und Klagen an.

Wenn Sie einen Bescheid erhalten, ist es also wichtig, die Fristen genau zu prüfen und sich über die möglichen weiteren Schritte zu informieren.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – Fragen Sie unverbindlich unsere Ersteinschätzung an.


Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Erwerbsminderung

Erwerbsminderung bezeichnet eine gesundheitliche Einschränkung, durch die eine Person nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr arbeiten kann. Im Sozialrecht wird unterschieden zwischen voller Erwerbsminderung (weniger als 3 Stunden arbeitsfähig täglich) und teilweiser Erwerbsminderung (zwischen 3 und unter 6 Stunden arbeitsfähig täglich). Die Beurteilung orientiert sich daran, wie viele Stunden die betroffene Person auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten kann, also nicht nur in ihrem bisherigen Beruf, sondern grundsätzlich in allen zumutbaren Tätigkeiten (§ 43 SGB VI). Erwerbsminderung führt unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Rente zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Beispiel: Wenn ein Büroangestellter wegen chronischer Rückenschmerzen nur noch 4 Stunden täglich arbeiten kann, liegt teilweise Erwerbsminderung vor.


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Berufsunfähigkeit (im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung)

Im Kontext der gesetzlichen Rentenversicherung ist der Begriff „Berufsunfähigkeit“ meist veraltet oder wird nur für bestimmte Fälle verwendet. Entscheidend ist hier, ob die betroffene Person ihren bisherigen Beruf noch ausüben kann oder ob ihre gesundheitlichen Einschränkungen eine solche Ausübung unmöglich oder unzumutbar machen (§ 240 SGB VI betrifft den sogenannten „Berufsschutz“). Eine Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die Versicherten ihren zuletzt ausgeübten Beruf wegen Krankheit oder Unfall nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich ausüben können und auch keine zumutbare Alternative besteht.

Beispiel: Eine Versicherungskauffrau, die wegen ständiger Schmerzen am Bildschirmarbeitsplatz nicht mehr tätig sein kann, könnte unter Berufsunfähigkeit fallen, wenn keine andere zumutbare Tätigkeit möglich ist.


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Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit

Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit bezeichnet die Frage, ob eine andere berufliche Tätigkeit, auf die eine erwerbsgeminderte Person verwiesen werden kann, unter Berücksichtigung ihrer persönlichen, fachlichen und gesundheitlichen Umstände akzeptabel ist. Diese Prüfung ist individuell und berücksichtigt Ausbildung, Erfahrungen, Einkommen und gesundheitliche Einschränkungen. Ist eine zumutbare Verweisungstätigkeit vorhanden, kann dies einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente ausschließen, da der Versicherte grundsätzlich noch erwerbsfähig gilt.

Beispiel: Ein Handwerker mit Rückenproblemen kann auf eine Bürotätigkeit im Betrieb verwiesen werden, wenn er die Anforderungen ohne Gesundheitsrisiko erfüllen kann und das Einkommen vergleichbar ist.


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Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG)

Ein Gutachten nach § 109 SGG ist ein medizinisches Sachverständigengutachten, das während eines Sozialgerichtsverfahrens eingeholt wird, um die gesundheitlichen Einschränkungen und die Arbeitsfähigkeit einer Person objektiv zu bewerten. Das Gericht beauftragt hierzu ärztliche Experten, die die gesundheitliche Situation sowie die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit fachgerecht beurteilen. Diese Gutachten sind zentral für die Gerichtsentscheidung über Ansprüche wie Erwerbsminderungsrente und müssen den Kriterien der medizinischen Sachkunde und Objektivität entsprechen.

Beispiel: Ein Sozialgericht lässt von einem Orthopäden ein Gutachten anfertigen, um festzustellen, ob ein Antragsteller aufgrund seiner Rückenbeschwerden noch sechs Stunden täglich arbeiten kann.


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Haltungswechsel während der Arbeitszeit (im Zusammenhang mit Bildschirmarbeit)

Der Begriff Haltungswechsel beschreibt das regelmäßige Wechseln der Körperposition während der Arbeitszeit, etwa vom Sitzen zum Stehen oder Gehen, um gesundheitlichen Schäden durch eine dauerhafte Haltung vorzubeugen. Im Arbeitsrecht und bei der Beurteilung von Erwerbsfähigkeit, insbesondere bei Bildschirmarbeitsplätzen, ist der freie und regelmäßige Haltungswechsel wichtig für die Zumutbarkeit und Arbeitsfähigkeit. Nach der Arbeitsstättenverordnung sind Pausen oder kurze Bewegungsphasen vorgeschrieben, um Verspannungen und Belastungen entgegenzuwirken.

Beispiel: Eine Versicherungskauffrau darf am Bildschirmarbeitsplatz etwa jede Stunde für einige Minuten aufstehen oder sich strecken, um ihre Wirbelsäule zu entlasten; das Gericht bewertet, ob solche kurzen Haltungswechsel ausreichend sind, um die Tätigkeit gesundheitlich zumutbar zu machen.


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Wichtige Rechtsgrundlagen


  • § 240 SGB VI (Sozialgesetzbuch Sechstes Buch): Regelt den Anspruch auf Rente bei Berufsunfähigkeit für vor 1961 Geborene und bietet einen Berufsschutz, wenn der zuletzt ausgeübte Beruf trotz gesundheitlicher Einschränkungen zumindest noch sechs Stunden täglich ausgeübt werden kann. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Entscheidend war, dass die Versicherungskauffrau ihren Beruf trotz Beschwerden an der Wirbelsäule weiterhin mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; daher wurde der Rentenanspruch nach § 240 SGB VI verneint.
  • § 43 SGB VI (Leistungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit): Bezieht sich auf die Voraussetzungen der Erwerbsminderung, insbesondere die Fähigkeit, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumindest sechs Stunden täglich einer Tätigkeit nachzugehen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht bewertete aufgrund der Gutachten, dass die Klägerin körperlich leichte Tätigkeiten mit qualifizierten Einschränkungen mehr als sechs Stunden ausführen kann, weshalb keine Erwerbsminderung im Sinne des Gesetzes vorliegt.
  • Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), insbesondere Regelungen zur Bildschirmarbeit: Schreibt vor, dass bei Bildschirmtätigkeiten regelmäßige Pausen und Haltungswechsel zur Vermeidung von gesundheitlichen Belastungen eingehalten werden müssen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das LSG berücksichtigte diese Vorschriften und stellte fest, dass die geforderten gelegentlichen Haltungswechsel während persönlicher Verteilzeiten ausreichen, um die Versichertenfähigkeit am Bildschirmarbeitsplatz zu gewährleisten.
  • § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG): Ermöglicht die Einholung weiterer Sachverständigengutachten im Rechtsstreit, um eine fundierte medizinische Befundaufnahme zu garantieren. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die zusätzliche Begutachtung führte zu einer abweichenden Einschätzung bezüglich der Arbeitsfähigkeit, spielte aber keine entscheidende Rolle, da das Gericht deren Argumentation für nicht nachvollziehbar hielt.
  • Berufskundliche Anforderungen und Berufsgenossenschaftliche Datenbanken: Dienen der sachgerechten Einschätzung, welche Tätigkeiten und Belastungen im jeweiligen Beruf typisch sind und welche Anforderungen an den Versicherten gestellt werden. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht untersuchte, ob die durch die gesundheitlichen Einschränkungen beeinträchtigten Tätigkeitsmerkmale der Versicherungskauffrau (Wechselschichten, ständiger Kundenkontakt) tatsächlich gegen die Zumutbarkeit sprechen, entschied aber, dass diese Anforderungen für den Innendienst nicht maßgeblich sind.
  • Rechtsprechung zur Zumutbarkeit von Verweisungstätigkeiten: Grundsatz, dass ein Versicherter zumutbare alternative Tätigkeiten ausüben muss, sofern sein Leistungsvermögen dies zulässt. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das LSG sah keine unzumutbare Verweisung, da die Versicherte ihren bisherigen Beruf mit den vorhandenen Einschränkungen weiterhin ausüben kann und keine anderweitige Tätigkeit geprüft werden musste.

Das vorliegende Urteil


Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: L 3 R 799/17 – Urteil vom 23.03.2022


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