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Voraussetzungen der Zuerkennung des Merkzeichens aG

SG Aachen – Az.: S 18 SB 1025/18 – Urteil vom 22.10.2019

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt zuletzt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich „außergewöhnliche Gehbehinderung“ (Merkzeichen aG).

Die Beklagte stellte bei der am 00.00.0000 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 06.07.2016 einen GdB von 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich „Berechtigung für eine ständige Begleitung“ (Merkzeichen B) fest. Abgelehnt wurde (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.12.2016) u. a. die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG. Die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich „erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr“(Merkzeichen G) sind bei der Klägerin bereits seit März 2014 festgestellt.

Am 20.04.2018 stellte die Klägerin einen Änderungsantrag, gerichtet auf die Feststellung eines höheren GdB sowie u. a. die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG. Zur Begründung wies sie auf eine Arthrose in der Schulter, den Knien und der Hüfte bei Fehlstellung des Knochens hin. Weiterhin bestehe infolge eines Kunstherzens eine Kurzatmigkeit.

Die Beklagte holte einen Befundbericht des Hausarzte Dr. L mit Arztbriefen der Klinik für Thorax-, Herz-, und Gefäßchirurgie der Uniklinik B (9/2017,11/2017, 2/2018) und des Arztes für Orthopädie/Unfallchirurgie H (3/2018) ein. Weiter zog die Beklagte ein für die Pflegekasse erstelltes Pflegegutachten (10/2015) bei.

Versorgungsärztlich wurden Vorbewertungen in Form eines Einzel – GdB von 70 für eine Herzminderleistung bei koronarer Durchblutungsstörung, eines Einzel – GdB von 30 für eine seelische Störung, Einzel – GdB von jeweils 20 für eine Funktionsstörung der Nieren und ein Schlaf – Apnoe-Syndrom für weiter zutreffend erachtet, neu eine Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und der Gliedmaßen (degeneratives Wirbelsäulensyndrom, Gonarthrose, geringe Hüftdysplasie, Schultergelenksarthrose) mit einem weiteren Einzel – GdB von 20 bewertet. Der Gesamt – GdB betrage 90. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG lägen nicht vor.

Mit Bescheid vom 08.08.2018 stellte die Beklagte unter Ablehnung u. a. der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG bei der Klägerin einen GdB von 90 fest.

Hiergegen legte die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten am 20.08.2018 Widerspruch ein. Ausweislich der beigefügten ärztlichen Bescheinigung der hausärztlichen Praxis liege bei der Klägerin eine besondere Gehbehinderung aufgrund ihrer Herzinsuffizienz vor. Die Klägerin könne – wie der Hausarzt Dr. L bescheinige – nur mithilfe eines Rollators kurze Strecken bis 100 m ohne Pause laufen. Um aus dem Fahrzeug auszusteigen, benötige sie Platz, da sie ihre Herzpumpe und entsprechendes Zubehör ständig bei sich tragen müsse.

Versorgungsärztlich wurde angemerkt, dass ein benötigter breiterer Parkplatz das Merkzeichen aG nicht rechtfertige, bevor mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2018 die Bezirksregierung N den Widerspruch als unbegründet zurückwies.

Hiergegen hat die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten am 04.12.2018 unter Wiederholung des Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren Klage erhoben.

Die Klage hat sie, neben dem Begehren zur Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen aG, zunächst auch auf die Verpflichtung zur Feststellung der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich „Hilflosigkeit“ (Merkzeichen H) gerichtet, die Klage insoweit jedoch mit Schriftsatz vom 03.05.2019 zurückgenommen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Vertreterin der Beklagten das Klagebegehren in Bezug auf die Feststellung eines GdB von 100 ab Antragstellung unter entsprechender Aufhebung des angefochtenen Bescheides anerkannt. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen.

Das Gericht hat ein Pflegegutachten für die Pflegekasse aus dem Februar 2019 beigezogen. Ferner hat das Gericht einen Befundbericht der Hausärztin Dr. T mit Arztbriefen der Klinik für Thorax –, Herz – und Gefäßchirurgie der Uniklinik B(12/2018, 2/2019) der Klinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin der Uniklinik B (2/2019), der praktischen Ärztin und Psychotherapeutin Dr. N1 (12/2012), der Kardiologie/Radiologie RNR am T1-hospital (1/2013), der Radiologie B1 (2/2019) und einen Entlassungsbericht der Klinik für Innere Medizin des T1-Hospitals (1/2013) eingeholt. Weiter hat das Gericht einen Befundbericht des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie H mit radiologischen Arztbriefen der Kardiologie/Radiologie RNR am T1-Hospital (7/2013) und der Radiologie B1 (12/2016) sowie einen Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin Dr. C (96) mit einem Entlassungsbericht der Klinik für Innere Medizin des T1-Hospitals (4/2013), Arztbriefen der Klinik für Kardiologie, Pneumologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin der Uniklinik B (5/2014) und eigenen Arztbriefen eingeholt.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Facharzte für Innere Medizin und Rehabilitationswesen Dr. K vom 04.07.2019 mit einem weiteren Arztbrief der Klinik für Thorax –, Herz – und Gefäßchirurgie der Uniklinik B (5/2019). Der Sachverständige hat dargelegt, dass die Mobilität der Klägerin letztlich allein durch die Funktionsstörung des Herzens limitiert werde. Für diese reiche der Ansatz eines Einzel-GdB von 70 insofern nicht aus, als damit allein die verbleibende Leistungsfähigkeit abgebildet werden solle. Unberücksichtigt bleibe Versorgungsärztlich der erhebliche Aufwand, der durch das bei der Klägerin vorhandene linksventrikuläre Unterstützungssystem mit außerhalb des Körpers befindlicher Energiequelle verursacht werde; namentlich der erforderlichen speziellen Pflege und allgemeinen Körperpflege, die außerordentlich sorgfältig zu erfolgen hätten, um Infektionen und im schlimmsten Fall den Ausbau des Systems zu vermeiden. Unter Berücksichtigung dessen sei für die Funktionsstörung des Herzens ein GdB von 100 angemessen.

Die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ließen sich nicht begründen. Aus der Klinik für Thorax –, Herz – und Gefäßchirurgie der Uniklinik B werde seit Implantation des linksventrikulären Unterstützungssystems regelmäßig berichtet, dass die Klägerin am Rollator mobil sei. Die Klägerin selbst gebe an, die Fußgängerzone in F durchqueren zu können, nach der Hälfte müsse sie wegen Atemnotbeschwerden eine Pause einlegen. Im Rahmen der Untersuchung habe sich die Klägerin kleinschrittig am Rollator fortbewegt. Die Atemfrequenz sei angestiegen, ohne dass eine unzumutbare Anstrengung zu beobachten gewesen sei. Der Klägerin sei – wie an mehrfacher Stelle berichtet und geschildert – eine Gehstrecke von 100 Metern langsamen Schrittes mit Rollator möglich, ohne dass dabei unzumutbare Beschwerden erlitten würden. Nach einer angemessenen Pause sei eine weitere Gehstrecke möglich.

Die Klägerseite hat sich zur medizinischen Beweiserhebung zunächst nicht geäußert. Die Klägerin hat – vermittelt über ihren Ehemann – ihrem Kläger – Bevollmächtigten telefonisch vor der mündlichen Verhandlung mitteilen lassen, das Leistungsvermögen werde zu positiv dargestellt.

Der Kläger – Bevollmächtigte beantragt weisungsgemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2018 zu verpflichten, bei der Klägerin ab Antragstellung, dem 20.04.2018, die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG festzustellen.

Die Vertreterin der Beklagten beantragt, die über das Teilanerkenntnis hinausgehende Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach – und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Streitgegenständlich verblieben ist der angefochtene Bescheid vom 08.08.2018 zuletzt allein insoweit, als mit ihm die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich aG abgelehnt worden ist, sowie das entsprechende Verpflichtungsbegehren. Die Rechtshängigkeit (§ 94 Sozialgerichtsgesetz – SGG) der Klage in Bezug auf das Merkzeichen H ist mit Klagerücknahme (§ 102 Abs. 1 SGG) entfallen, in Bezug auf die Feststellung eines höheren GdB durch die Annahme des Teilanerkenntnisses (§ 101 Abs. 2 SGG) (vgl. dazu: Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., 2017, § 101, Rn. 23).

B. Die (verbliebene) zulässige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 SGG) ist unbegründet. Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid vom 08.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2018 nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 SGG), soweit mit ihm die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG abgelehnt worden ist. Der Bescheid ist insoweit rechtmäßig. Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den entsprechenden Nachteilsausgleich.

C. Nicht erforderlich ist zwar der Nachweis einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) seit letzter bestandskräftiger Ablehnung der Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen aG durch den Bescheid vom 06.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.12.2016. Bei einer Ablehnungsentscheidung handelt es sich im Unterschied zu einer positiv feststellenden Entscheidung den GdB bzw. die Voraussetzung von Merkzeichen betreffend nicht um einen Dauerverwaltungsakten im Sinne des § 48 SGB X (BSG, Urteil vom 16. März 2016 – B 9 SB 1/15 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr 22, Rn. 10 m.w.N.).

D. Jedoch erfüllt die Klägerin die strengen Voraussetzungen für den begehrten Nachteilsausgleich im hier zu beurteilenden Zeitraum von der Antragstellung am 20.04.2018 bis zum Tag der mündlichen Verhandlung (vgl. Urteil der Kammer vom 24. Oktober 2017 – S 18 SB 460/16 –, Rn. 22, juris m.w.N.) nicht.

I. 1. Bis zur Einführung des § 146 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) zum 30.12.2016 durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) (Bundesgesetzblatt Teil I, Nr. 66, S. 3234-3340) richtete sich die Eintragung des Merkzeichens aG in den Schwerbehindertenausweis inhaltlich nach den in Abschnitt II Nr. 1 VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO geregelten Anforderungen. Danach sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Dazu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind. Aufgehoben worden ist mit Art. 14 Abs. 4 BTHG Teil D Ziffer 3 der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (Versorgungsmedizinische Grundsätze), der die Vorgaben für das Merkzeichen aG untergesetzlich verbindlich konkretisierte (vgl. BSG, Urteil vom 16. März 2016 – B 9 SB 1/15 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr 22, Rn. 14; BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/14 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr 19, Rn. 12) (Masuch in: Hauck/Noftz, SGB, 08/18, § 229 SGB IX, Rn. 166 f.: U. a. diese Vorgaben geben gleichwohl einen Hinweis auf die bisherige Rechtsprechungs- und Verwaltungspraxis, an welche die neue Regelung des § 229 Abs. 3 – mit neuen Akzenten – durchaus anknüpfen wollte).

2. Seit dem 01.01.2018 sind die Voraussetzungen für eine außergewöhnliche Gehbehinderung in § 229 Abs. 3 SGB IX geregelt, eine inhaltliche Veränderung gegenüber § 146 Abs. 3 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung ist nicht erfolgt.

Schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind danach Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht (§ 229 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Für die Zuerkennung des Merkzeichens aG normiert § 229 Abs. 3 SGB IX somit zwei Voraussetzungen, welche kumulativ vorliegen müssen: Bei dem Betroffenen muss (1.) eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung bestehen, die (2.) einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 80 entspricht (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02. Mai 2018 – L 17 SB 347/17 –, Rn. 4, juris; kritisch gegenüber der 2. Voraussetzung: Masuch in: Hauck/Noftz, SGB, 08/18, § 229 SGB IX, Rn. 138).

Nach Satz 2 liegt eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung – dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen – aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind (Satz 3). Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen (Satz 4). Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleichkommt (Satz 5).

3. Die Rechtsprechung des BSG ist bereits vor Inkrafttreten des BTHG von einem auf die finalen Auswirkungen ausgerichteten biopsychosozialen Modell des Behinderungsbegriffes ausgegangen, wie er in der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation niedergelegt ist und der Anlass auch für die Neuregelung der Voraussetzungen des Merkzeichens aG durch das BTHG war (vgl. BT-Drs. 18/9522, S. 317, 318; vgl. hinsichtlich der Neuformulierung des Begriffs der Behinderung in § 2 SGB IX: BT-Drs. 18/9522, S. 226: „Rechtsklarheit“; Urteil der Kammer vom 09. Oktober 2018 – S 18 SB 1183/16 –, Rn. 28, juris; Schaumberg/Seidel, SGb 2017, S. 572 ff. und 618 ff.; a. A. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 2 SGB IX, Rn. 60 1; zu § 2 Abs. 1 a. F.). Entsprechend hat das BSG auch auf Grundlage der bis zum 30.12.2016 gültigen Rechtslage in Bezug auf die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht an bestimmte (orthopädische) Diagnosen angeknüpft, sondern an das finale Ausmaß der Einschränkungen des Gehvermögens (BSG, Urteil vom 16. März 2016 – B 9 SB 1/15 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 22, Rn. 16 f. m.w.N.: Die aufgezeigte Reform bestätige insoweit die bisherige Rechtsprechung). Da auch der Vergleichsmaßstab hinsichtlich dessen erster Voraussetzung nach der Neufassung des § 146 Abs. 3 SGB IX a. F. bzw. § 229 Abs. 3 SGB XI unverändert geblieben ist (zur entspr. Absicht vgl. BT-Drs. 18/9522, S. 317, 318) – weiterhin wird zentral auf die Schwere der Beeinträchtigung abgestellt, wegen derer sich der Schwerbehinderte dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb des Kraftfahrzeuges bewegen kann (siehe Abschnitt II Nr. 1 S. 1 VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO einerseits und § 229 Abs. 3 S. 2 SGB IX andererseits) – ist auf die in der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsgrundsätze zur Gesetzeslage bis zum 29.12.2016 zurückzugreifen. Das BSG hat die Regelung über die Anerkennung der Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ihrem Zweck entsprechend – die stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der Wege infolge der gewährten Parkerleichterungen ausgleichen – dabei stets eng ausgelegt (BSG, Urteil vom 16. März 2016 – B 9 SB 1/15 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr 22, Rn. 15; BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/14 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr 19, Rn. 13) Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, seien hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (BSG Urteil vom 29. März 2007 – B 9a SB 1/06 R -, Rn. 19, juris; BSGE 82, 37, 39 = SozR 3-3870 § 4 Nr 23 S 91). Auch dies hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung durch das BTHG ausdrücklich bestätigt (BT-Drs. 18/9522, S. 318).

Zur Rechtslage vor Einführung des § 145 Abs. 3 SGB IX a. F. hat das BSG konkretisiert, dass für die Beurteilung einer Gleichstellung mit den im Abschnitt II Nr. 1 S. 2 1. Halbs. VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen sei. Ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen lasse sich griffig jedoch weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugten grundsätzlich dazu. Die gesetzliche Regelung stelle nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen könne, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich sei, nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung (vgl. BSG, Urteil vom 16. März 2016 – B 9 SB 1/15 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 22, Rn. 19; BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – B 9 SB 7/01 R, – juris; BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/14 R –, SozR 4, Rn. 21). Wer diese Voraussetzungen praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges erfülle, qualifiziere sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklege. Die für den Nachteilsausgleich „aG“ geforderte große körperliche Anstrengung sei gegeben, wenn die Wegstreckenlimitierung darauf beruhe, dass der Betroffene bereits nach kurzer Wegstrecke erschöpft sei und Kräfte sammeln müsse, bevor er weitergehen könne. Dass der betroffene Gehbehinderte nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen müsse, sei allerdings lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs „aG“ reichten irgendwelche Erschöpfungszustände zudem nicht aus. Vielmehr müssten sie in ihrer Intensität mit den Erschöpfungszuständen gleichwertig sein, die bei den ausdrücklich genannten außergewöhnlich Gehbehinderten aufträten. Gradmesser hierfür könne die Intensität des Schmerzes oder die Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lasse sich u. a. aus der Dauer der erforderlichen Pausen sowie den Umständen herleiten, unter denen der Betroffene nach der Pause seinen Weg fortsetze. Nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Pausen sei im Hinblick auf die von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (vgl. zu Vorstehendem BSG, Urteile vom 29. März 2007 – B 9a SB 1/06 R und 5/05 R – BSG, Urteil vom 29.03.2007 – B 9a SB 1/06 ,- jeweils juris). Das Bundessozialgericht hat in diesem Zusammenhang zum Ausdruck gebracht, dass die für das Merkzeichen aG geforderte große körperliche Anstrengung gegeben sein dürfte, wenn der Betroffene bereits nach einer Wegstrecke von 30 Metern wegen Erschöpfung eine Pause einlegen müsse. Darüber hinausgehend bleibe allerdings im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung positiv festzustellen, ob die Fortbewegung nur unter ebenso großer körperlicher Anstrengung möglich sei, wie der Vergleichsgruppe aus dem Kreis der Schwerbehinderten. (vgl. BSG, Urteil vom 16. März 2016 – B 9 SB 1/15 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 22, Rn. 19; 22; BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – B 9 SB 7/01 R; BSG, Urteil vom 29. März 2007 – B 9a SB 1/06 -, juris; vgl. auch Wendler/Schillings, VMG, Kommentar, 8. Aufl. 2017, S. 448 f.).

4. In der Gesetzesbegründung zum BTHG (BT-Drucks. 18/9522, S. 317 f.) werden folgende Beispiele genannt, bei denen die Voraussetzungen erfüllt sein können:- zentralnervöse, peripher-neurologische oder neuromuskulär bedingte Gangstörungen mit der Unfähigkeit, ohne Unterstützung zu gehen, oder wenn eine dauerhafte Rollstuhlbenutzung erforderlich ist (insbesondere bei Querschnittlähmung, Multipler Sklerose, Amyotropher Lateralsklerose (ALS), Parkinsonerkrankung, Para- oder Tetraspastik in schwerer Ausprägung)- Funktionsverlust beider Beine ab Oberschenkelhöhe oder Funktionsverlust eines Beines ab Oberschenkelhöhe ohne Möglichkeit der prothetischen oder orthetischen Versorgung (insbesondere bei Doppeloberschenkelamputierten und Hüftexartikulierten)- schwerste Einschränkung der Herzleistungsfähigkeit (insbesondere bei Linksherzschwäche Stadium NYHA IV) – schwerste Gefäßerkrankungen (insbesondere bei arterieller Verschlusskrankheit Stadium IV)- Krankheiten der Atmungsorgane mit nicht ausgleichbarer Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades- schwerste Beeinträchtigung bei metastasierendem Tumorleiden (mit starker Auszehrung und fortschreitendem Kräfteverfall) (dazu: Masuch in: Hauck/Noftz, SGB, 08/18, § 229 SGB IX, Rn. 164ff.).

II. 1. Bei der Klägerin liegt weder eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung im dargelegten Sinne vor, noch erreichen die mobilitätsbezogenen Funktionsstörungen einen GdB von mindestens 80; sie erreichen – final bedingt allein durch eine Herzminderleistung – einen GdB von 70.

a) Mobilitätsbezogen limitierend wirkt sich bei der Klägerin eine Herzminderleistung aus. Bei ihr besteht eine ischämische Kardiomyopathie bei koronarer Zweigefäßerkrankung. Im Jahr 2014 wurde ihr bei schwer reduzierter linksventrikulärer Funktion ein Kardioverter implantiert. Im Oktober 2015 erfolgte dann die Implantation eines linksventrikulären Unterstützungssystems HeartMate III. Nach Teil B Z. 9.1.1 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung, den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) ist die Herzminderleistung mit einem GdB von 70 zu bewerten ist.

Ein Bewertungsrahmen von 50-70 ist hiernach eröffnet bei einer Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung (z.B. Spazierengehen (3-4 km/h), Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 50 Watt. Eine Leistungsbeeinträchtigung mit gelegentlich auftretenden, vorübergehend schweren Dekompensationserscheinungen bedingt einen GdB von 80. Leistungsbeeinträchtigungen bereits in Ruhe (Ruheinsuffizienz, z.B. auch bei fixierter pulmonaler Hypertonie) sind mit einem GdB 90-100 zu bewerten; sie entsprechen dem Beispiel der Gesetzesbegründung (vgl. I. 4.) einer schwersten Einschränkung der Herzleistungsfähigkeit (insbesondere bei Linksherzschwäche Stadium NYHA IV- i. S. e. Herzerkrankung mit Beschwerden bei allen körperlichen Aktivitäten und in Ruhe bzw. Bettlägerigkeit (vgl. Hoppe UC et. al., Zeitschrift für Kardiologie 2005, 94: S. 488-509).

Die versorgungsärztliche Bewertung eines GdB von 70 für die Funktionsstörung des Herzens hat der Sachverständige Dr. K letztlich nicht angezweifelt. Seine höhere Bewertung des Funktionssystems (vergleiche Teil A Z. 2 e) VMG) „Herz-Kreislauf“ mit einem GdB von 100 beruht allein auf der Berücksichtigung von Teilhabebeeinträchtigungen, die nicht i. e. S. aus der Herzminderleistung als solcher resultieren und keinen Bezug zur Gehfähigkeit aufweisen. So führt der Sachverständige aus, der versorgungsärztlich festgestellte GdB von 70 solle die verbliebene Leistungsfähigkeit abbilden. Unberücksichtigt bleibe dabei der erhebliche Aufwand, der durch das bei der Klägerin vorhandene linksventrikuläre Unterstützungssystem verursacht werde. Die außerhalb des Körpers befindliche Energiequelle mit der entsprechenden Verbindung zu dem im Körper liegenden Kunstherz erfordere eine spezielle Pflege und stelle eine außerordentliche Sorgfalt an die allgemeine Körperpflege, um Infektionen und im schlimmsten Fall den Ausbau des Systems zu vermeiden. Insofern wirke sich die Konstruktion weit behindernder aus im Ablauf des täglichen Lebens, als die Implantation eines Kardioverters/Schrittmachers, der komplett mit der Energiequelle implantiert sei. Die Klägerin müsse im gesamten Ablauf des täglichen darauf bedacht sein, dass die Konstruktion keinen Belastungen ausgesetzt werde.

Dies entspricht der Auffassung des Ärztlichen Sachverständigenbeirates Versorgungsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 28./29.04.1999 („gutachterliche Beurteilung nach Implantation eines Linksherzunterstützungssystems“), der dargelegt hat, chronisch Herzkranke, die zur Überbrückung bis zu einer Herztransplantation mit einem Linksherzunterstützungssystem versorgt werden, müssten immer einen zum Kunstherz gehörenden Controller und Akkus mit sich führen. Zudem seien sie wegen des hohen Infektionsrisikos sowie der Gefahr von Blutungen und Embolien auf eine Behandlung mit Antikoagulantien und auf medizinischen Betreuung angewiesen. Auch wenn nach der Implantation des Linksherzunterstützungssystems eine zufriedenstellende Ventrikelfunktion bestehe, sei der GdB nicht niedriger als 80, meist sogar mit 100 zu bewerten. Während die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche G und B und wegen der erheblichen Infektionsgefahr auch des Nachteilsausgleiches RF immer erfüllt sei, sei hinsichtlich der Nachteilsausgleiche aG und H eine Einzelfallprüfung erforderlich (zitiert nach Wendler/Schillings, VMG, Kommentar, 8. Aufl., 2017, S. 230 f.). Insofern bringt auch der Sachverständigenbeirat zum Ausdruck, dass der festzustellende GdB für das Funktionssystem Herz/Kreislauf bei Versorgung mit einem Linksherzunterstützungssystem nicht allein Aspekte der sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Herzminderleistung umfasst (zum Gewicht der Stellungnahmen der Sachverständigenbeirates als Auslegungsdirektive Urteil der Kammer vom 08. Mai 2018 – S 18 SB 255/17 –, Rn. 41, juris m.w.N.)

Schon die anamnestischen Angaben der Klägerin sprechen gegen einen höheren GdB als 70 für die isolierte Betrachtung einer Herzminderleistung sowie eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, soweit die Klägerin dem Sachverständigen gegenüber zwar erklärt hat, bei Anstrengung, verspüre sie Atemnot, die Treppe (die Klägerin wohnt in der zweiten Etage) sei insoweit ihre tägliche Trainingseinheit. Eine Etage könne sie langsamen Schrittes schaffen, sie müsse sich dann aber hinsetzen. Sie könne die Fußgängerzone in F unter Nutzung eines Rollators zu Fuß überwinden. Nach der Hälfte müsse sie wegen Atemnotbeschwerden eine Pause einlegen. Im Rahmen der Widerspruchs– und Klagebegründung hat die Klägerin mitgeteilt, sie könne 100 m mit dem Rollator ohne Pause gehen und eine entsprechende Bescheinigung ihres Hausarztes Dr. L vorgelegt, der in seinem kurz zuvor erstatteten Befundbericht vom 16.05.2018 mitgeteilt hatte, bei der Klägerin träten Beschwerden in den unteren Extremitäten nach einer Gehstrecke von 200 m auf, die ein Ruhen auf dem Rollator erforderten. Für die Bejahung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung reicht eine Limitierung auf Fußstrecken von etwa 100 m aber selbst dann nicht ohne weiteres aus, wenn der scherbehinderte Mensch, anders als die Klägerin, – unter Umständen sogar mehrfach – pausieren müsste. Vielmehr kommt es insbesondere darauf an, ob er sich nur unter großen körperlichen Anstrengungen zu Fuß fortbewegen kann, wobei dann Art und Umfang schmerz- oder erschöpfungsbedingter Pausen von Bedeutung sind (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 2007 – B 9a SB 5/05 R –, juris).

Soweit die Bevollmächtigten der Klägerin und der Hausarzt zur Begründung des Nachteilsausgleiches weiter anführen, die Klägerin benötige Platz um aus einem Fahrzeug aussteigen zu können, da sie ihre Herzpumpe und entsprechendes Zubehör ständig bei sich tragen müsse, ist dieser Aspekt eines erhöhten Platzbedarfs unter rechtlichen Gesichtspunkten unbeachtlich. Er betrifft nicht die „Gehbehinderung“, die nach § 229 Abs. 3 S. 1 SGB IX maßgeblicher Anknüpfungspunkt für den Nachteilsausgleich ist. Dieser zielt nicht die Beseitigung von Schwierigkeiten bei der Benutzung des gewöhnlichen Parkraums ab, sondern soll allein die neben der Personenkraftwagenbenutzung unausweichlich anfallende tatsächliche Wegstrecke soweit wie möglich verkürzen (vgl. BSG, Urteil vom 03. Februar 1988 – 9/9a RVs 19/86 –, SozR 3870 § 3 Nr 28, Rn. 14; BSG, Urteil vom 05. Juli 2007 – B 9/9a SB 5/06 R –, Rn. 21, juris; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 29. Februar 2012 – L 16 SB 151/11 –, Rn. 42, juris; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 10. Juli 2013 – L 7 SB 52/11 –, Rn. 21, juris; Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 20. April 2004 – L 13 SB 30/03 –, Rn. 30, juris; Wendler/Schillings, VMG, Kommentar, 8. Aufl., 2017, S. 450).

Die anamnestische und hausärztliche Angabe eines Gehvermögens von ca. 100 m langsamen Schrittes mit Rollator entspricht der sozialmedizinischen Einschätzung des Sachverständigen, der klargestellt hat, dass die Klägerin dabei keine unzumutbaren Beschwerden erleiden müsse. Nach einer angemessenen Pause sei eine weitere Gehstrecke ohne Gefährdung der Restgesundheit möglich. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich aG ließen sich daher nicht begründen. Die Einschätzung des Sachverständigen ist aufgrund seiner klinischen Feststellungen nachvollziehbar. Beim Flurgang über eine längere Strecke mit dem Rollator im Rahmen der Begutachtungssituation sei ein kleinstreitiges Gangbild zu beobachten gewesen, bei etwas verminderter Geschwindigkeit. Dabei sei die Atemfrequenz auf gut 30/min angestiegen, ohne dass livide Verfärbungen der Lippen und Akren zu erkennen gewesen wären. Das Aus- und Ankleiden sei mit erhöhter Mühewaltung und deutlich beschleunigter und angestrengte Atmung erfolgt, eine Atemnot in Ruhe – wie sie für eine schwerste Einschränkung der Herzleistungsfähigkeit kennzeichnend wäre – konnte der Sachverständige nicht feststellen. Das Atemgeräusch war normal laut und bläschenförmig. Die Haut und sichtbaren Schleimhäute stellten sich normal durchblutet dar, alle peripheren Pulse waren an typischer Stelle gut tastbar. Die Unterschenkel und Füße waren warm. Es fanden sich weder periphere Wasseransammlungen noch eine Zyanose oder Trommelschlegelfingerbildungen.

In der Aktenlage sind „nur“ vereinzelte, vorübergehend schwere Dekompensationserscheinungen dokumentiert. Dies sowie die klinischen Angaben und Beschreibungen des Leistungsvermögens korrespondieren der Ausschöpfung des Bewertungsrahmens einer Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung, ohne jedoch die Voraussetzungen für einen höheren GdB für eine Einschränkung der Herzleistung ausreichend zu objektivieren.

Die Klägerin stellt sich regelmäßig ambulant in der Klinik für Thorax–, – und Gefäßchirurgie der Uniklinik B vor. Deren Arztbriefen lässt sich entnehmen, dass Klägerin im April 2014 eine Synkope bei hypertoner Dysregulation erlitten hat, eine weitere im November 2016 bei Hypovolämie nach Atemwegsinfekt. Ein stationärer Aufenthalt aufgrund einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes und eines Volumenmangels war zudem im August/September 2017 erforderlich. Unter dem 28.11.2017 berichtete die Uniklinik, die maximale Gehstrecke betrage 300 m, bei der Klägerin bestehe eine Belastungsdyspnoe. Mitte Februar 2018 erfolgte eine zweitägige stationäre Aufnahme wegen einer stattgehabten Synkope, wobei die Klägerin bei Aufnahme – und während des gesamten Aufenthaltes – kardiopulmonal stabil und beschwerdefrei war. Klinisch war die Klägerin leicht dehydriert, so dass eine Optimierung des Volumenhaushaltes mit ausreichender Trinkmenge erfolgte. In den nächsten Arztbriefen vom 26. und 27.02.2018, knapp zwei Monate vor Stellung des Antrages auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG, berichtete die Klinik erneut lediglich von einer Belastungsdyspnoe, wobei die maximale Gehstrecke nunmehr, mit Pausen, auf 120 m taxiert wurde. Ende 2018 kam es dann noch einmal zu einem eintägigen stationären Aufenthalt wegen einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes und Volumenmangels, wobei die Klägerin wiederum durchgehend kardiopulmonal stabil und beschwerdefrei war (Arztbrief vom 11.12.2018). Zuletzt hat die Klinik mit Arztbriefen vom 26.02.2019 und 28.05.2019 berichtet, die Klägerin befinde sich in gutem Allgemeinzustand. Erneut ist mitgeteilt worden, sie sei kardiopulmonal stabil und mit dem Rollator mobil.

Der Facharzt für Innere Medizin Dr. C bei dem die Klägerin zuletzt im April 2018 in Behandlung war, hat mit Befundbericht vom 26.04.2019 mitgeteilt, die Klägerin habe über Luftnot bei Belastung geklagt. In einem für die Pflegekasse erstellten Gutachten aus dem Februar 2019 ist vermerkt worden, dass sich die Klägerin innerhalb ihrer Wohnung ohne Hilfsmittel ausreichend sicher fortbewegen könne. Gelegentlich sei ein Möbelanhalt erforderlich. Das Treppensteigen sei mit Geländeranhalt und stützende Hilfsperson möglich, wobei eine Kurzatmigkeit bei geringer Belastung festzustellen sei. Bei der Fortbewegung außerhalb des Hauses sei die Klägerin auf einen Rollator angewiesen. Eine Bindung an einen Rollstuhl, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung durch ihren Bevollmächtigten hat behaupten lassen, ist an keiner Stelle dokumentiert.

b) Die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung und der hierfür anzusetzende GdB werden nach der nachvollziehbaren Bewertung des Sachverständigen durch die bei der Klägerin vorliegenden weiteren Funktionsstörungen mit potentieller Auswirkung auf die Gehfähigkeit, namentlich der Wirbelsäule und der unteren Gliedmaßen, nicht erhöht. Sie wirken insoweit final nicht über die durch die Herzminderleistung verursachte Limitierung hinaus.

Der Sachverständige hat dargelegt, dass bei der Klägerin die Atemnotbeschwerden ganz im Vordergrund stünden. Dies entspricht der Anamnese. So hat die Klägerin im Rahmen der Begutachtungssituation angegeben, im Vordergrund stehe die Kurzatmigkeit. Wesentliche Beschwerden im Bereich des Stütz– und Bewegungsapparates hat die Klägerin nicht angegeben. Betreffend die, zwischenzeitlich im Klageverfahren als führend bezeichneten Hüftbeschwerden, hat die Klägerin in der gutachterlichen Untersuchung dargelegt, sie habe belastungsabhängige Schmerzen in der Hüfte, manchmal das Gefühl, als ob die Hüfte herausspringe. Sie verspüre einen Anlaufschmerz morgens und nach längerem Sitzen und Gehen. Wenn sie dann weitergehe, werde es besser.

Voraussetzungen der Zuerkennung des Merkzeichens aG
(Symbolfoto: Von Oleg Elkov/Shutterstock.com)

Nach dem Befundbericht des behandelnden Orthopäden/Unfallchirurgen H vom 18.04.2019, hat sich die Klägerin bei ihm zuletzt im Februar 2018 vorgestellt, zuvor einmal im Jahr 2016 und einmal im Jahr 2017. Die Klägerin sei nach letztmaliger Untersuchung im Februar 2018 durchaus in der Lage, sich ohne Fremdhilfe außerhalb ihres Kfz zu bewegen. Zwar sieht der Orthopäde das Gangbild durch die orthopädischen Erkrankungen im Bereich der LWS und des rechten Beines eingeschränkt. Allerdings führt er aus, die Klägerin sei nach letztmaligem Stand gar durchaus in der Lage, zwei Kilometer in der Zeit von 30 Minuten zu absolvieren, wenn auch mit zwischenzeitlichen Pausen. Eine solche Leistung ist er jedoch aufgrund der Herzminderleistung – wie dargelegt – keinesfalls möglich. Entsprechend bleiben die orthopädisch bedingten Einschränkungen der Gehfähigkeit hinter den durch die Herzminderleistung verursachten deutlich zurück.

Erstmals im Februar 2018 hat die Klägerin Herrn H gegenüber über seit sechs Wochen bestehende Schmerzen in der rechten Wade, zudem Schmerzen im Steißbein mit Hüftschmerzen nach längerem Sitzen geklagt. Im Röntgenbefund stellte sich eine Coxartrose der rechten Hüfte und eine leichte Hüftdysplasie dar. Eine wesentliche Einschränkung der Hüftbeweglichkeit in der Funktionsprüfung fand sich nicht. Beim Röntgen des rechten Knies ergab sich zudem eine mediale Gonarthrose im rechten Knie. Der Orthopäde verordnete Krankengymnastik und empfahl Trimmradfahren und das Vermeiden längeren Sitzens. Im Bereich der Lendenwirbelsäule hat er ein degeneratives LWS – Syndrom diagnostiziert (vergleiche diesbezüglich auch den radiologischen Arztbrief vom 07.12.2016). Daraus resultierende Beschwerden in Form von Schmerzen hat Herr H anamnestisch zuletzt im Dezember 2016 erfasst. Dabei bestand klinisch eine eingeschränkte Beweglichkeit, neurologische Auffälligkeiten oder gar Ausfallerscheinungen bestanden hingegen nicht.

Die durch den Sachverständigen erhobenen körperlich – klinischen Befunde im Bereich der Lendenwirbelsäule und der unteren Extremitäten entsprechen den Befunden des behandelnden Orthopäden im Wesentlichen. Es fanden sich inspektorisch unauffällige Hüftgelenke, die mit einer Beugung/Streckung von 110/0/0° beidseits, Abduktion/Adduktion 20/0/20° beidseits, Innen –/Außenrotation 20/0/40° beidseits in der Beweglichkeit nicht i. S. einer Bewegungseinschränkung auch nur geringen Grades im Sinne des Teils B Z. 18. 14 VMG eingeschränkt waren. Auch die Kniegelenke waren inspektorisch unauffällig, ohne Überwärmung, ohne Ergussbildung. Der Bandapparat war beidseits fest. Es fanden sich weder ein Druck– oder Verschiebeschmerz einer Patella, noch ein Druckschmerz über dem inneren oder äußeren Kniegelenkspalt beidseits oder ein Überstreckungsschmerz. Die Beweglichkeit war mit Beugung/Streckung beidseits 130/0/5° weitestgehend frei. Im Bereich der LWS erreichten – bei bestehender massiver Adipositas- die Fingerspitzen beidseits jeweils fast den äußeren Kniegelenkspalt. Die Rotation des Rumpfes bei feststehendem Becken erfolgte normwertig. Der Langsitz auf der Untersuchungsliege mit gestreckten Beinen war ohne erkennbare schmerzbedingte Ausweichbewegung möglich. Dabei flachte sich die Lordose der LWS sichtbar ab. Es bestand allein eine ausgeprägte Dysbalance der Rumpfmuskulatur. Das Lasègue`sche Zeichen war beidseits negativ. Neurologische Auffälligkeiten bestanden auch im Übrigen nicht. Die Muskeleigenreflexe waren seitengleich und lebhaft auslösbar, auch die Extremitätenmuskulatur war regelrecht, Zehen- und Hackenstand konnten beidseits vorgeführt werden, Einbeinhüpfen immerhin angedeutet.

E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer ist das Begehren der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen wegen der damit verbundenen besonderen Nachteilsausgleiche im Verhältnis zur Feststellung eines um 10 erhöhten GdB (mit Ausnahme des Sprunges von 40 auf 50) doppelt zu gewichten. Bei dem (anfänglichen) Begehren der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen H und G und eines GdB von 100 statt 90 hat die Klägerin hiernach im Ergebnis zu einem Fünftel obsiegt.

 

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