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Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs

Der umstrittene Weg zur Versicherungsbefreiung: Die rückwirkende Freistellung von der Rentenversicherungspflicht im Rampenlicht

In der Welt des Sozialrechts ist nichts so einfach, wie es scheint. Dies wurde in einer kürzlichen rechtlichen Auseinandersetzung deutlich, bei der es um die rückwirkende Befreiung einer Klägerin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ging. Die Klägerin, eine seit 2003 bei der Rechtsanwaltskammer Köln zugelassene Rechtsanwältin, war neben ihrer selbständigen Arbeit in ihrer eigenen Kanzlei auch als angestellte Anwältin tätig. Dabei wurde sie auf eine interessante rechtliche Grauzone aufmerksam, die ihre berufliche und finanzielle Zukunft erheblich beeinflussen könnte.

Direkt zum Urteil Az: L 2 R 97/20 springen.

Ein Briefwechsel mit Konsequenzen

Im Mittelpunkt dieser Kontroverse stand ein Briefwechsel zwischen der Klägerin und der Beklagten, der die Befreiung von der Versicherungspflicht zum Inhalt hatte. Die Klägerin stellte im November 2015 einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Die Beklagte schlug daraufhin vor, den Antrag zurückzustellen, unter Berücksichtigung eines damals aktuellen Gesetzentwurfs zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte.

Das Dilemma der neuen Gesetzgebung

Die Klägerin willigte ein, doch bereits im Januar 2016 wies die Beklagte sie auf die Notwendigkeit eines neuen Befreiungsantrags hin, da sich die Rechtslage geändert hatte. Der Zugangsnachweis für dieses Schreiben fehlte jedoch. Die Klägerin stellte den erneuten Befreiungsantrag erst im Mai 2016, nachdem sie an ihren ursprünglichen Antrag erinnert hatte. Der Streit entzündete sich nun an der Frage, ob diese Verzögerung der Beklagten eine rückwirkende Befreiung rechtfertigt.

Der lange Weg zum Landessozialgericht

Nach einigen Rückschlägen gelangte der Fall schließlich vor das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, das im Juli 2021 eine Entscheidung traf. Es wies die Berufung der Beklagten zurück, und sie musste die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen. Die Möglichkeit einer Revision wurde nicht zugelassen. Die Frage nach der rückwirkenden Befreiung von der Rentenversicherungspflicht bleibt jedoch weiterhin ein heißes Eisen im Sozialrecht.


Das vorliegende Urteil

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: L 2 R 97/20 – Urteil vom 20.07.2021

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 17.12.2019 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die rückwirkende Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum vom 01.09.2015 bis zum 07.02.2017.

Die am 00.00.1975 geborene Klägerin ist seit dem 13.01.2003 zunächst bei der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf, seit dem 09.06.2005 bei der Rechtsanwaltskammer Köln zugelassene Rechtsanwältin und seit dem 13.01.2003 auch Mitglied der Beigeladenen zu 1).

Seit dem 01.09.2015 ist die Klägerin neben ihrer selbstständigen Tätigkeit in ihrer Kanzlei zusätzlich als angestellte Rechtsanwältin bei der Beigeladenen zu 2) tätig. Mit Schreiben vom 10.11.2015 beantragte sie die Befreiung von der Versicherungspflicht gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) für diese Tätigkeit. In der Eingangsbestätigung vom 20.11.2015 führte die Beklagte aus, vor dem Hintergrund des vom Bundeskabinett am 10.06.2015 beschlossenen Gesetzentwurfs zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte schlage sie vor, den Antrag zunächst zurückzustellen. Sofern die Klägerin mit diesem Vorschlag einverstanden sei, brauche sie auf dieses Schreiben nicht zu antworten.

Unter dem 27.01.2016 verfasste die Beklagte ein Schreiben an die Klägerin, in dem sie auf die seit dem 01.01.2016 geltende Rechtslage und die Notwendigkeit eines Befreiungsantrags nach neuem Recht hinwies. Ein „ab“-Vermerk bzw. ein Zugangsnachweis ist dem Verwaltungsvorgang der Beklagten nicht zu entnehmen.

Am 18.05.2016 fragte die Klägerin nach dem Sachstand ihres Antrags vom 10.11.2015, woraufhin die Beklagte ihr unter dem 19.05.2016 mit dem Vermerk „1. Erinnerung“ erneut ein Schreiben mit dem Inhalt des Schreibens vom 27.01.2016 übersandte. Daraufhin beantragte die Klägerin unter dem 25.05.2016 die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre seit dem 01.09.2015 ausgeübte Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2). Nachdem die Beklagte sie unter dem 29.11.2016 erneut darauf hingewiesen hatte, dass ihre Zulassung als Syndikusrechtsanwältin gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung Befreiungsvoraussetzung sei, beantragte die Klägerin diese am 27.12.2016 und wurde mit Bescheid vom 06.02.2017 für ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) als Syndikusrechtsanwältin zugelassen.

Mit Bescheid vom 20.03.2017 befreite die Beklagte die Klägerin für die Zeit ab dem 08.02.2017 von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung. Mit weiterem Bescheid vom 10.05.2017 lehnte die Beklagte die Befreiung für den Zeitraum vom 01.09.2016 bis 07.02.2017 ab. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung gemäß § 231 Abs. 4 b SGB VI sei erst am 25.05.2016 und damit nicht innerhalb der bis zum 01.04.2016 laufenden Frist gestellt worden.

Hiergegen legte die Klägerin am 16.05.2017 Widerspruch ein und verwies auf ihren am 10.11.2015 gestellten Antrag sowie darauf, dass sie erstmalig im Mai 2016 durch das Schreiben vom 19.05.2016 Kenntnis von der neuen Rechtslage erhalten habe und ihr somit ein fristgerechter Antrag nicht möglich gewesen sei. Ihr Einverständnis mit der Zurückstellung des Antrags aus 2015 könne ihr nicht zum Nachteil gereichen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Klägerin bereits unter dem 27.01.2016 über die neue Gesetzeslage aufgeklärt worden sei, der Antrag auf rückwirkende Befreiung aber erstmals am 25.05.2016 bei der Beklagten eingegangen und damit nicht fristgerecht gestellt worden sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 15.02.2018 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Köln erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, bereits am 10.11.2015 einen Antrag gestellt zu haben, der die Zeit ab dem 01.09.2015 umfasst habe. Das Schreiben vom 27.01.2016 habe sie nicht erhalten und daher erstmals im Mai 2016 von der neuen Gesetzeslage Kenntnis gehabt. Im Hinblick darauf sei ihr die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, es bestehe ein sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.01.2018 zu verurteilen, sie von der Versicherungspflicht für ihre Tätigkeit bei der M GmbH in der Zeit vom 01.09.2015 bis 07.02.2017 gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI zu befreien.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass der Antrag vom 25.05.2016 verspätet gestellt worden sei und eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht komme, da es sich um eine Ausschlussfrist handele. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, über das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte im Einzelfall aufzuklären. Vielmehr habe die Klägerin als unmittelbar betroffene Rechtsanwältin in Wahrung ihrer eigenen Sorgfalt früher tätig werden müssen.

Die Beigeladenen zu1) und 2) haben keinen Antrag gestellt und auch in der Sache nicht Stellung genommen.

Mit Urteil vom 17.12.2019 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.01.2018 verurteilt, die Klägerin in der Zeit vom 01.09.2015 bis zum 07.02.2017 von der Versicherungspflicht für ihre Tätigkeit bei der M GmbH zu befreien. In den Entscheidungsgründen hat das SG ausgeführt, die Beklagte habe es zu Unrecht abgelehnt, die Klägerin für die Zeit vom 01.09.2015 bis 07.02.2017 von der Versicherungspflicht zu befreien. Materiell rechtlich einschlägig sei insoweit § 231 Abs. 4b SGB VI. Die Klägerin sei als Syndikusrechtsanwältin für ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) zugelassen. Sie sei im streitigen Zeitraum sowohl Pflichtmitglied bei der Beigeladenen zu 1) als auch in der Rechtsanwaltskammer Köln gewesen. Zwar sei der Antrag auf rückwirkende Befreiung erst am 25.05.2016 und damit nach dem 01.04.2016 gestellt worden. Die Klägerin sei aber im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe sie den Antrag rechtzeitig gestellt. Indem die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht vom 10.11.2015 wegen der anstehenden Gesetzesänderung zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte zurückgestellt und in diesem Zusammenhang mitgeteilt habe, dass diese, sollte sie hiermit einverstanden sein, nicht weiter reagieren müsse, habe sie bei der Klägerin einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass sie hinsichtlich des weiteren Procederes von der Beklagten informiert werde. Mit In-Kraft-Treten des Gesetzes zum 01.01.2016 habe daher ein konkreter Anlass bestanden, die Klägerin über die Neuerungen zu informieren. Eine solche Informationspflicht habe die Beklagte offenbar ebenfalls angenommen und daher unter dem 27.01.2016 ein umfassendes Informationsschreiben, betreffend die neu in Kraft-getretenen Regelungen und weiteren Erfordernisse zur Erlangung einer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht verfasst und an die Klägerin versandt. Allein damit habe sie ihrer Hinweispflicht jedoch nicht genügt. Denn ein derartiges Hinweisschreiben erfülle seinen Zweck nicht, wenn es den Berechtigten nicht erreiche (Verweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 26.07.2007 – B 13 R 4/06 R). Das Informationsschreiben vom 27.01.2016 habe die Klägerin nach ihrem glaubhaften Vorbringen nicht erhalten. Der Umstand, dass kein Rücklauf zu verzeichnen gewesen sei, vermöge die Vermutung des Zugangs nicht zu begründen. Denn angesichts der nicht unwahrscheinlichen Möglichkeit des Abhandenkommens von Schriftstücken auf dem Postweg sei das Gericht nicht im vollen Umfang vom Zugang überzeugt. Dieser Umstand gehe zu Lasten der Beklagten. Die unterbliebene Beratung sei auch kausal für den eingetretenen Rechtsnachteil. Die weiteren Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches lägen ebenfalls vor. Rechtsfolge des Herstellungsanspruchs sei, dass die Klägerin so zu stellen ist, als ob sie den Antrag rechtzeitig, also vor dem 01.04.2016, gestellt hätte, mit der Folge, dass sämtliche Voraussetzungen des § 231 Abs. 4b SGB VI erfüllt seien und die Klägerin für die Zeit ab dem Beginn der Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2), dem 01.09.2015, von der Rentenversicherungspflicht zu befreien sei. Für den Zeitraum vom 27.12.2016 bis zum 07.02.2017 ergebe sich eine Befreiung überdies aus der Vorschrift des § 46a Abs. 4 Nr. 2 BRAO, da die Zulassung rückwirkend zu dem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem der Antrag auf Zulassung eingegangen ist, hier am 27.12.2016.

Gegen das ihr am 06.01.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29.01.2020 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, für eine rückwirkende Befreiung mangele es an dem fristgerechten Antrag nach § 231 Abs. 4b SGB VI. Eine Beratungspflichtverletzung liege nicht vor. Hierzu verweist sie zum einen auf ihr Aufklärungsschreiben vom 27.01.2016. Wenn dieses der Klägerin nicht zugegangen sein sollte, habe sie trotzdem ihre Hinweispflichten erfüllt. Denn sie übermittle auf vielfältigen Wegen Informationen an die Öffentlichkeit. Vom Empfängerhorizont der Klägerin, die als Juristin mit Rechtsangelegenheiten und Rechtsberatung betraut sei, sei mit Blick auf die Lebenswirklichkeit des Alltags davon auszugehen, dass sie im Zusammenhang mit einer sie selbst betreffenden, unmittelbar anstehenden Rechtsänderung nicht ausschließlich auf die Zusendung von Informationen durch den Rentenversicherungsträger als einzige Informationsquelle hätte vertrauen dürfen. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte am 06.01.2016 eine – mit dem Informationsschreiben vom 27.01.2016 gleich lautende – Information auf der Internetseite www.deutsche-rentenversicherung.de veröffentlicht habe. Ferner hätten regelmäßig auch die Rechtsanwaltskammern im Rahmen der geplanten Änderungen der BRAO ihre Mitglieder über die Rechtsentwicklung informiert. Das von dem SG zitierte Urteil des BSG (B 3 R 4/06 R) betreffe als lex specialis zu § 14 SGB I eine ausdrücklich in § 115 Abs. 6 SGB VI normierte Hinweispflicht und sei nicht auf die vorliegende Konstellation übertragbar.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 17.12.2019 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin hält das Urteil des SG für zutreffend und trägt vor, durch den Hinweis im Schreiben vom 20.11.2015, den Befreiungsantrag vom 10.11.2015 „zunächst“ zurückstellen zu wollen und bei Einverständnis brauche die Klägerin auf das Schreiben „nicht zu antworten“, habe die Beklagte einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Sie habe gerade mit Blick auf den Hinweis, sie müsse nicht antworten, darauf vertraut, von der Beklagten „abgeholt“ und benachrichtigt zu werden. Dies impliziere, dass vor dem Hintergrund des bereits vorliegenden Antrags ein Rechtsverlust damit nicht verbunden sei. Die Beklagte habe bei ihr ein Vertrauen geschaffen, dass sie erneut auf die Klägerin zukomme und sie benachrichtige. Insbesondere werde stets damit gerechnet, dass bei einem bereits vorliegenden Antrag dieser umgedeutet werde, als wäre der Antrag nach neuem Recht bereits gestellt worden. Das Aufklärungsschreiben vom 27.01.2016 habe sie nicht erhalten, insofern werde bestritten, dass die Beklagte es tatsächlich abgesandt habe. Zudem habe dieser Hinweis per Zustellungsurkunde übersandt werden müssen, um sicherzustellen, dass die Hinweise sie erreichen, weil sie sonst Gefahr liefe, ihre Rechte zu verlieren. Sie sei schon von Berufs wegen ausgesprochen sorgfältig bei der Wahrung und Eintragung von Fristen. Wäre sie sich der Ausschlussfrist bewusst gewesen, hätte sie entsprechend gehandelt. Ihrer Hinweispflicht genüge die Beklagte nicht, wenn sie das notwendige Hinweisschreiben im Rahmen der automatisierten Massenverwaltung verschicke. Die Veröffentlichung von Informationen auf der Internetseite der Beklagten und / oder in Anwaltsblättern entbinde die Beklagte nicht von der Hinweispflicht. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass sie Rechtsanwältin sei, zumal sie nicht im Sozialrecht tätig sei und aufgrund der Vollzeittätigkeit als Syndikusanwältin, der gleichzeitig ausgeübten selbständigen Tätigkeit und der familiären Verpflichtungen als Mutter eines Kleinkindes sehr wenig Zeit gehabt habe. Sie sei vor dem Hintergrund, dass die Beklagte vorgeschlagen habe, über ihren Antrag zunächst nicht zu entscheiden und die weiteren gesetzliche Entwicklung abzuwarten, davon ausgegangen, alles getan zu haben, um eine Befreiung zu erreichen. Entscheide die Behörde diesen vorliegenden Antrag später nicht, sei ein komplett neuer Antrag einzureichen, so müsse sie gewährleisten, dass die Rechte der Betroffenen bestehen bleiben, indem sie dafür Sorge, dass Hinweise zugehen. Sie habe sich gerade darauf verlassen, dass sie ihre Rechte nicht verlieren werde. Sie sei sämtlichen Verpflichtungen unmittelbar nach Kenntnis nachgekommen.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt und zur Sache nicht Stellung genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig, aber unbegründet.

Das SG hat zu Recht den Bescheid der Beklagten vom 10.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.01.2018 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin für die Zeit vom 01.09.2015 bis zum 07.02.2017 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) zu befreien. Denn der Bescheid der Beklagten vom 10.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin gem. § 54 SGG in ihren Rechten, weil sie einen Anspruch auf die Befreiung von der Pflicht zur Gesetzlichen Rentenversicherung nach § 231 Abs. 4b SGB VI hat.

Gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI (eingeführt durch Art 7 Nr. 2 des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015, BGBl. I 2517) wirkt eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwältin nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung erteilt wurde, auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird (S. 1). Sie wirkt auch vom Beginn der davor liegenden Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand (S. 2). Die Befreiung nach den S. 1 und 2 wirkt jedoch frühestens ab dem 01.04.2014 (S. 3). Sie wirkt für Zeiten vor dem 01.04.2014 nur dann, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden (S. 4). Der Antrag auf rückwirkende Befreiung nach den S. 1 und 2 kann nur bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt werden (S. 6).

Die Klägerin ist mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer Köln vom 06.02.2017 als Syndikusrechtsanwältin für ihre seit dem 01.09.2015 ausgeübte Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) zugelassen und hierfür mit Bescheid der Beklagten vom 20.03.2017 ab dem 08.02.2017 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit worden. Im streitigen Zeitraum war sie sowohl Pflichtmitglied bei der Beigeladenen zu 1) als auch der Rechtsanwaltskammer Köln. Zwar hat die Klägerin ihren Befreiungsantrag nicht gem. § 231 Abs. 4b S. 6 SGB VI bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt, sondern erst am 25.05.2016. Insoweit kommt – entgegen der Auffassung der Klägerin – zwar weder eine „Umdeutung“ ihres am 10.11.2015 gestellten Antrags (dazu unter 1.) noch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (dazu unter 2.) in Betracht, jedoch ist sie im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als sei ihr Antrag fristgerecht bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt worden (dazu unter 3.).

1.)

Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt eine „Umdeutung“ ihres am 10.11.2015 gestellten Antrags nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI nicht in Betracht. Bereits aufgrund des zeitlichen Ablaufs kann dieser Antrag nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er sich auch auf die erst zum 01.01.2016 in Kraft getretene Neuregelung in § 231 Abs. 4b SGB VI und den ebenfalls zu diesem Zeitpunkt neu geschaffenen Status als Syndikusrechtsanwalt beziehen kann. Zudem kommt eine Umdeutung aufgrund der unterschiedlichen Statusbezogenheit nicht in Betracht. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Rechtsanwältin für eine vor dem 1.1.2016 ausgeübte Beschäftigung ist zu unterscheiden von einem Anspruch auf Befreiung für eine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin nach dem ab dem 1.1.2016 geltenden Berufsrecht (vgl. auch BSG, Beschluss vom 09.12.2020 – B 5 RE 6/20 B -, Rn. 10, juris, zur Frage einer Einbeziehung eines Bescheides nach § 231 Abs. 4 b SGB VI gem. § 96 SGG in ein Verfahren wegen Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Bei einer Befreiung nach § 6 Abs. 1 S. 1 SGB VI und der rückwirkenden Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI handelt es sich vielmehr um zwei verschiedene, voneinander unabhängige Verwaltungsverfahren (vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 19.07.2016, 1 BvR 2584/14, juris, und vom 22.07.2016, 1 BvR 2534/14, juris, wonach es sich bei dem Verfahren nach § 231 Abs. 4b SGB VI um ein gesondertes Verfahren handelt, dessen Durchführung dem Beschwerdeführer auch zuzumuten sei).

Zudem ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass in denjenigen Fällen, in den bereits nach „altem“ Recht Befreiungsanträge gestellt und noch offen waren, auf eine (gesonderte) Antragstellung verzichtet werden kann, auch nicht bei einer historischen Auslegung der Norm. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu nur (vgl. BT-Drs. 18/5201, Seite 46): „Absatz 4b eröffnet für bestimmte Syndikusrechtsanwälte bzw. Syndikuspatentanwälte die Möglichkeit, auf zusätzlichen Antrag (neben dem Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1) eine über § 6 Absatz 4 SGB VI hinausgehende Rückwirkung der Befreiung herbeizuführen.“). Der Gesetzesbegründung lassen sich hingegen keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass in bestimmten Fällen von einer (neuen) Antragstellung abgesehen werden sollte.

2.)

Eine Wiedereinsetzung der Klägerin in den vorigen Stand gem. § 27 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach dieser Norm ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Die Klägerin war vorliegend jedoch nicht „ohne Verschulden“ verhindert. Kein Verschulden trifft den Beteiligten, der diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem im Verwaltungsverfahren gewissenhaft Handelnden nach den gesamten Umständen vernünftigerweise zuzumuten ist (vgl. Schütze/Siefert, 9. Aufl. 2020, SGB X, § 27 Rn. 15 m.w.N.). Diesbezüglich gilt ein subjektiver Maßstab. Die Fristversäumnis darf auch nicht auf fahrlässiger Unkenntnis der maßgeblichen Umstände beruhen. Nach dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen gelten diese mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt. allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese individuell und tatsächlich Kenntnis erlangt haben (vgl. BSG, Urteil vom 24.11. 2005, B 12 RA 9/03 R, juris Rn. 19). Eine Unkenntnis solcher Rechte, deren befristete Ausübung das Gesetz selbst ausdrücklich regelt, kann daher eine Wiedereinsetzung grds. nicht rechtfertigen (BSG, a.a.O., m.w.N.), weil damit vielfach Sinn und Zweck der Befristung leerlaufen würden.

3.)

Wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat, ist die Klägerin jedoch im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe sie den Antrag rechtzeitig gestellt. Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 SGB I), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (vgl. Öndül in: Schlegel/Voelzke, juris-PK-SGB I, 3. Aufl., Stand: 25.05.2021, § 14 Rn. 52). Der sozialrechtlicher Herstellungsanspruch erfordert (a.) das Vorliegen einer Pflichtverletzung, die sich der Sozialleistungsträger im Verhältnis zum Berechtigten zurechnen lassen muss, (b.) den Eintritt eines rechtlichen Schadens beziehungsweise einer nachteiligen Folge beim Berechtigten, (c.) einen Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt sowie (d.) die Möglichkeit der Herstellung des Zustands, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre (st. Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 4 AS 99/10 R, juris Rn. 24; Urteil vom 10.12.2013, B 13 R 91/11 R, juris Rn. 28)

a.)

Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, hat der Beklagte eine zugunsten der Klägerin bestehende individuelle Pflicht objektiv verletzt. Als Pflichtverletzung, die gegebenenfalls einen Herstellungsanspruch auslösen kann, kommt vorliegend nur eine unzureichende Beratung der Klägerin durch die Beklagte über ihre Rechte und Pflichten in Betracht, vgl. § 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I). Nach dieser Norm hat jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch (Satz 1). Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen sind (Satz 2).

Die Beratung ist eine gezielte Information über alle sozialrechtlichen Fragen, die für den Bürger zur Beurteilung seiner Rechte und Pflichten von Bedeutung sind oder sein können. Sie vermittelt in der Regel konkrete Handlungsempfehlungen, verweist auf Alternativen und dient der umfassenden Klärung idR eines Leistungefalls (Öndül, a.a.O., § 14 Rn. 33; Spellbrink in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 114. EL Mai 2021, SGB I § 14 Rn. 6 f. m.w.N.). Eine umfassende Beratungspflicht des Sozialversicherungsträgers bzw. des Sozialleistungsträgers besteht zunächst regelmäßig bei einem entsprechenden Beratungs- und Auskunftsbegehren des Leistungsberechtigten. Ausnahmsweise besteht nach ständiger Rechtsprechung des BSG auch dann eine Hinweis- und Beratungspflicht des Leistungsträgers, wenn anlässlich einer konkreten Sachbearbeitung in einem Sozialrechtsverhältnis dem jeweiligen Mitarbeiter eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich ist, die ein verständiger Versicherter/Leistungsberechtigter wahrnehmen würde, wenn sie ihm bekannt wäre. Dabei ist die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zu Tage liegt, allein nach objektiven Merkmalen zu beurteilen (vgl. nur BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 4 AS 29/10 R, juris Rn. 14).

Die Klägerin kann sich vorliegend mit Erfolg darauf berufen, dass sich aus dem Schreiben der Beklagten vom 20.11.2015 eine dahingehende Beratungspflicht ergibt, nach Verabschiedung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte individuell auf sie zuzukommen und sie über die Gestaltungsmöglichkeiten und etwaige Fristabläufe zu beraten. Aufgrund ihres Hinweises auf das laufende Gesetzgebungsverfahren und der Mitteilung, die Klägerin müsse nicht weiter reagieren, wenn sie mit einer Zurückstellung ihres Antrags einverstanden sei, hat die Beklagte selbst zu erkennen gegeben, dass sie die Klägerin nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens über das weitere Procedere informieren werde. Aufgrund der konkreten Sachbearbeitung war die Beklagte verpflichtet, die Klägerin auf naheliegende Gestaltungsmöglichkeiten nach In-Kraft-Treten des Gesetzes zum 01.01.2016 hinzuweisen.

Dieser Beratungspflicht ist die Beklagte nicht nachgekommen. Auf das Hinweisschreiben vom 27.01.2016 kann sich die Beklagte insoweit nicht berufen, denn zum einen ist aus der Akte mangels „Ab-Vermerks“ schon nicht ersichtlich, dass es überhaupt abgesandt wurde, zum anderen hat die Klägerin den Zugang des Schreibens bestritten. Insoweit hat bereits das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass der Umstand, dass kein Rücklauf des Schreibens zu verzeichnen war, die Vermutung des Zugangs im Hinblick auf die Möglichkeit des Abhandenkommens von Schriftstücken auf dem Postweg nicht zu begründen vermag. Insoweit kann sich die Beklagte weder auf eine allgemeine Vermutung für den Zugang eines mit einfachem Brief übersandten Schreibens berufen noch gelten insoweit die Grundsätze des Anscheinsbeweises. Auch wenn nach der Lebenserfahrung die weitaus größte Anzahl der abgesandten Briefe beim Empfänger ankommt, ist damit lediglich eine mehr oder minder hohe Wahrscheinlichkeit für den Zugang einer Briefsendung gegeben. Der Anscheinsbeweis ist aber nicht schon dann geführt, wenn zwei verschiedene Möglichkeiten eines Geschehensablaufs in Betracht zu ziehen sind, von denen die eine wahrscheinlicher ist als die andere (BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 4/06 R, juris Rn. 18 f. m.w.N.). Die Einwände der Beklagten gegen die Übertragbarkeit des zitierten Urteils des Bundessozialgerichts auf den vorliegenden Sachverhalt greifen nicht durch, denn diese Regeln gelten unabhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage die Hinweispflicht beruht.

Die Beklagte hat ihrer Beratungspflicht auch nicht mit den ab dem 06.01.2016 allgemein zugänglichen Informationen auf ihrer Homepage genügt. Für die Beratung gelten die Grundsätze von §§ 2 Abs. 2 und 17 Abs. 1 SGB I, wonach die Leistungsträger sicherzustellen haben, dass jeder Betroffene seine sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklichen kann, die ihm zustehenden Leistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält sowie der Zugang zu diesen Leistungen möglichst einfach gestaltet wird. Gemessen am – dem beratungspflichtigen Leistungsträger erkennbaren – Beratungsbedarf muss die Beratung zutreffend, vollständig und verständlich sein sowie den Beratenen in die Lage versetzen, ohne Schwierigkeiten seine weiteren Dispositionen daran auszurichten (vgl. Peter Trenk-Hinterberger in: LPK-SGB I, 4. Aufl. 2020, SGB I § 14 Rn. 7). Hat der Leistungsträger zu erkennen gegeben, zu einem späteren Zeitpunkt individuell auf den Betroffenen zuzugehen, kann er sich nicht darauf berufen, dass die Informationen zu diesem späteren Zeitpunkt auch allgemein auf seiner Homepage abrufbar sind. Insoweit traf die Beklagte aufgrund des durch die Antragstellung der Klägerin am 10.11.2015 konkret zutage getretenen Beratungsbedarfs im Zusammenhang mit ihrem Schreiben vom 20.11.2015 eine individuelle Beratungspflicht, der sie nicht nachgekommen ist.

b.)

Es ist ferner ein Rechtsnachteil entstanden, denn mangels fristgerechter Antragstellung und Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung werden die an die Beklagte gezahlten Pflichtbeiträge für den Zeitraum vom 01.09.2015 bis zum 07.02.2017 nicht an die zuständige Versorgungs-Einrichtung erstattet.

c.)

Die Pflichtverletzung war zur Überzeugung des Senats auch kausal für den Eintritt des Schadens. Kausalität setzt voraus, dass die Pflichtverletzung die wesentliche, d.h. zumindest gleichwertige, Bedingung dafür gewesen ist, dass der Schaden eingetreten ist, vorliegend also, dass die Klägerin den zusätzlichen Antrag nach § 231 Abs. 4b SGB VI nicht bis zum 01.04.2016 gestellt hat. Hat dagegen der Versicherte wissentlich oder „fahrlässig gegen sich selbst“ gehandelt, kann er die Herstellung des sozialen Rechts nicht verlangen, weil er die entscheidende Bedingung für seinen sozialrechtlichen Nachteil selbst gesetzt hat (BSG, Urteil vom 06.03.2003, B 4 RA 38/02 R, juris Rn. 54). Insoweit hat das BSG entschieden (a.a.O.), dass auch diejenigen Versicherten, die jedenfalls die Möglichkeit von Rechtsnachteilen und ihr Informationsrecht gegenüber dem Versicherungsträger vor Augen haben, gleichwohl aber nicht einmal nachfragen, selbst die entscheidende Bedingung dafür setzen, dass sie einen Rechtsnachteil erleiden. Die Klägerin hatte nach ihrem schlüssigen und für den Senat nachvollziehbaren Vorbringen vor dem Erhalt des Schreibens der Beklagten vom 19.05.2016 keine positive Kenntnis von der Antragsfrist, auch nicht durch entsprechende Veröffentlichungen in juristischen Fachmedien. Zwar war sie als Volljuristin in einem rechtsberatenden Beruf tätig, jedoch allenfalls im Rahmen von familienrechtlichen Streitigkeiten beim Versorgungsausgleich mit dem Sozialrecht befasst. Zudem lassen auch die beruflichen und familiären Verhältnisse der Klägerin, welche Anfang 2016 neben der Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin noch einer selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin nachging und familiären Verpflichtungen als Mutter eines Kleinkindes nachkommen musste, nicht darauf schließen, dass sie die Möglichkeit von Rechtsnachteilen zumindest „fahrlässig gegen sich selbst“ in Kauf genommen hat. Überdies hat die Klägerin überzeugend dargelegt, sich vor dem Hintergrund ihrer Antragstellung und des Schreibens der Beklagten aus November 2015 darauf verlassen zu haben, ihre Rechte nicht zu verlieren, bevor die Beklagte erneut auf sie zukommt. Schließlich erfolgte auch am 18.05.2016 auch eine Sachstandsanfrage bei der Beklagten. Sodann hat die Klägerin unmittelbar nach dem Erhalt des Informationsschreibens vom 19.05.2016 reagiert und am 25.05.2016 den hier maßgeblichen Antrag nach § 231 Abs. 4b SGB VI S. 1 SGB VI gestellt. Wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat, kommt es auf den Umstand, dass sie den Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwältin bei der Rechtsanwaltskammer erst am 27.12.2016 gestellt hat, nicht an, da die Klägerin dieses weitere Erfordernis erst nach Rückfragen und einem erneuten Hinweis der Beklagten Anfang Dezember 2016 nachvollzogen hat.

d.)

In der Folge ist die Klägerin so zu stellen, als habe sie den Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI rechtzeitig bis zum 01.04.2016 gestellt. Denn der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Herstellung der Situation gerichtet, die bei einer fehlerfreien Beratung des Betroffenen eingetreten wäre. Dabei kann auch eine rechtzeitige Antragstellung fingiert werden (vgl. nur Öndül, a.a.O. Rn. 69 f. m.w.N.: Spellbrink a.a.O., Vorbemerkungen zu §§ 13 – 15, Rn. 31). Durch die Fiktion der rechtzeitigen Antragstellung sind sämtliche Voraussetzungen des § 231 Abs. 4b SGB VI für eine Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bereits ab dem Beginn der Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2) am 01.09.2015 bis zum 07.02.2017 erfüllt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

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