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Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erwerbsminderungsrente

Bayerisches Landessozialgericht – Az.: L 13 R 509/10 – Urteil vom 30.03.2011

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 30. April 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1957 geborene Kläger, deutscher Staatsangehörigkeit mit Wohnsitz in Österreich, war nach den Feststellungen der Beklagten – mit Unterbrechungen – von Februar 1976 bis Juli 1981 in Deutschland, nach Zeiten der Arbeitslosigkeit bis Juni 1983 von März 1985 bis November 1985, von Juni 1987 bis Oktober 1988 und von Januar 1990 bis Januar 1991 in den Niederlanden versicherungspflichtig beschäftigt. Zuletzt hat der Kläger von August 1996 bis Oktober 2000 sowie vom 1. März 2004 bis 16. März 2004 in Portugal Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Der Kläger hat bestätigt, dass diese Feststellungen zutreffend sind und er keine weiteren „Arbeitszeiten“ zurückgelegt hat. Von Juli 1999 bis November 2005 war der Kläger zunächst in Portugal, zuletzt in der JVA H. in Haft. Seitdem bezieht der Kläger in Österreich Sozialhilfe.

Der Kläger begehrte mit Antrag vom 19. Januar 2007 über den österreichischen Rentenversicherungsträger Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten. Die Beklagte lehnte mit angefochtenem Bescheid vom 11. Mai 2007 den Antrag ab, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Im maßgeblichen Zeitraum vom 19. Januar 2002 bis 18. Januar 2007 seien keine Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorhanden. Auch sei nicht jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 an mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, da er seit 1999 über sechs Jahre in Haft gewesen sei, habe er leider auch nicht die nötigen Jahre arbeiten können. Er könne aus psychischen und physischen Gründen keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen. Er nehme seit seinem 14. Lebensjahr Drogen, zunächst Cannabis, ab dem 20. Lebensjahr auch harte Drogen. Er befinde sich in A-Stadt in einem Substitutionsprogramm. Die verabreichten Medikamente machten ihm eine Arbeit unmöglich. Außerdem habe er seit seiner letzten Haft starke psychische Probleme, sich in geschlossenen Räumen aufhalten zu müssen, sowie Konzentrationsschwierigkeiten. Während seiner Haftzeit in Portugal seien ihm große Mengen von Beruhigungs- und Schlafmittel verabreicht worden, um die Haftzeit besser überstehen zu können. Seit dieser Zeit habe er Vertrauen in Ärzte verloren, weshalb er über keine Gutachten verfüge. Darüber hinaus leide er an einer chronischen Hepatitis C. Er halte sich seit der letzten Haftentlassung im November 2005 für arbeitsunfähig.

Auf eine Anforderung der Beklagten, medizinische Unterlagen für die Zeit bis Oktober 2002 vorzulegen, reagierte der Kläger nicht. Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2008 zurückgewiesen.

Mit der hiergegen zum Sozialgericht München erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er erklärte, er habe zweimal vergeblich versucht, von der portugiesischen Haftanstalt medizinische Unterlagen insbesondere zur Bestätigung der Verabreichung von verschiedenen Schlaf- und Beruhigungsmitteln zu erhalten. Befunde habe er ansonsten keine, da er so gut wie nie bei Ärzten gewesen sei. Er erklärte weiter, er sei seit 2007 aus dem Substitutionsprogramm ausgeschieden und drogenfrei in Bezug auf harte Drogen. Einen Wiedereintritt in ein regelmäßiges Arbeitsleben würde er nach dieser langen Zeit psychisch jedoch nicht verkraften. Ein weiterer Grund für seine Arbeitsunfähigkeit sei seine lange Haftzeit. Um diese psychisch zu verkraften, habe er große Mengen an Beruhigungs- und Schlafmittel erhalten.

Das SG hat einen Befundbericht der behandelnden Allgemeinmedizinerin Dr. C. vom 16. September 2008 über eine Behandlung des Klägers von Januar 2006 bis März 2008, medizinische Unterlagen der JVA S. vom August 2004, September und November 2005 beigezogen. Die JVA R., in der der Kläger Ende der 70iger bis Anfang der 80iger Jahre in Haft war, meldete, dass keinerlei Unterlagen mehr vorliegen. Von der ebenfalls angeschriebenen portugiesischen Haftanstalt kam keine Rückmeldung.

Der Kläger übersandte noch einen Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. A. vom 11. September 2009, wonach der Kläger unter chronischen Kopfschmerzen, Lumboischialgie und unter einer schweren Depression leide. Bezüglich der Drogenabhängigkeit habe der Kläger Erfolge erzielt. Die Depression habe jedoch zugenommen. Der Kläger sei nicht fähig, einer Arbeit nachzugehen.

Mit Urteil vom 30. April 2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Ein Rentenanspruch käme allenfalls dann in Betracht, wenn ein Versicherungsfall bereits vor dem 1. November 2002 eingetreten wäre. Hierfür konnten keine Nachweise beigebracht werden. Die vorliegenden Befundberichte datierten erst nach diesem Zeitpunkt. Erstmals im September 2009 seien schwere Schlafstörungen, Ruhe- und Konzentrationsstörungen sowie Tendenzen zu Psychosomatose festgestellt worden. In den beigezogenen Befundberichten der JVA S. seien keine Anhaltspunkte für psychische Störungen enthalten. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Vortrag, bereits seit dem 14. Lebensjahr drogen-abhängig gewesen zu sein. Schließlich sei der Kläger danach noch etliche Jahre berufstätig gewesen. Auch habe er angegeben, sich erst ab November 2005 für arbeitsunfähig zu halten.

Hiergegen hat der Kläger Berufung erhoben mit der Begründung, die starken Medikamente seien nicht berücksichtigt worden, welche ihm während seiner fünfjährigen Haftzeit verschrieben worden seien und welche nachhaltige Auswirkungen auf seine psychische Verfassung hätten. Eine Bescheinigung sei hierüber nicht herangezogen worden. Auch seien keine aktuellen ärztlichen Gutachten eingeholt worden. Er leide unter einer Arztphobie, was bedeute, dass er so gut wie nie zum Arzt gehe. Trotzdem werde er versuchen, bis zum nächsten Verhandlungstermin weitere Gutachten beizubringen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 30. April 2010 sowie des Bescheids der Beklagten vom 11. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2008 zu verurteilen, dem Kläger antragsgemäß Rente wegen Erwerbsminderung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 11. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2008 abgewiesen. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI, teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 Abs. 1, 2 SGB VI) zu.

Gemäß § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben

3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind (§ 240 Abs. 1 SGB VI).

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung (bei Berufsunfähigkeit) sind nur dann erfüllt, wenn volle bzw. teilweise Erwerbsminderung (bei Berufsunfähigkeit) spätestens im November 2002 eingetreten ist. Nur dann liegen in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit für den Kläger vor. In Bezug auf den Umstand, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Kläger zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr erfüllt sind, folgt der Senat der Begründung des Widerspruchsbescheids und sieht gemäß § 136 Abs. 3 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Der Eintritt des Leistungsfalls spätestens im November 2002 ist jedoch nicht nachgewiesen. Medizinische Unterlagen über diesen Zeitraum liegen nicht vor. Umfangreiche Versuche des SG, medizinische Unterlagen insoweit beizuziehen, scheiterten. Auch vom Kläger selbst konnten keine Befundberichte, Atteste oder Ähnliches vorgelegt werden. Gegen eine relevante Leistungsminderung des Klägers vor diesem Zeitpunkt sprechen auch die Befundunterlagen der JVA S. aus dem Jahr 2004, in denen nicht von psychischen Auffälligkeiten, sondern allein von einer abgelaufenen Hepatitis B, die schon längere Zeit zurückliegt, von einem negativen HIV-Test, sowie von Hautausschlägen aufgrund einer Nahrungsmittelallergie berichtet wird. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, spricht gegen eine rentenrelevante Leistungsminderung des Klägers bereits im November 2002 auch der Umstand, dass der Kläger sich selbst als erwerbsgemindert erst ab November 2005 eingeschätzt hat.

Zu weiteren Ermittlungen fühlt sich der Senat nicht gedrängt. Der Kläger hat nach eigenen Angaben mehrfach erfolglos versucht, medizinische Unterlagen über die Gabe von Beruhigungsmitteln von der portugiesischen Haftanstalt beizuziehen. Auch das SG war insoweit nicht erfolgreich. Angesichts dieser Umstände sieht der Senat keinen Anlass zu einer neuerlichen Anfrage, zumal der Kläger nach seinem eigenen Vortrag sich erst ab November 2005 aufgrund der langen Haftzeit für erwerbsgemindert eingeschätzt hat und nicht zu einem früheren Zeitpunkt aufgrund der Gabe von Beruhigungsmitteln. Die Einholung eines aktuellen Gutachtens scheidet aus, da dieses keinen Aufschluss über die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers im November 2002 geben kann. Die Nichterweislichkeit des Vorliegens von Erwerbsminderung geht nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers.

Der Kläger hat damit keinen Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1, 2 SGB VI. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§§ 240 Abs. 1,2; 43 Abs. 1 SGB VI), für den gleichermaßen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen müssen, besteht ebenfalls nicht, da auch insoweit keine Feststellungen zum damaligen Leistungsvermögen des Klägers möglich sind.

Die Berufung ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt den Umstand, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.

 

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