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Voraussetzungen Erwerbsminderungsrente

Bayerisches Landessozialgericht – Az.: L 19 R 565/15 – Urteil vom 09.05.2018

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.06.2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund ihres Antrags vom 22.08.2012 hat.

Die 1968 in der Türkei geborene und am 01.08.1981 in die Bundesrepublik Deutschland zugezogene Klägerin hat keine Berufsausbildung absolviert und war zuletzt im Jahr 2002 als Fabrikarbeiterin in einer Schokoladenfabrik versicherungspflichtig beschäftigt. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes sind im Versicherungsverlauf zunächst Pflichtbeitragszeiten für Kindererziehung vermerkt, anschließend Pflichtbeitragszeiten für Pflegetätigkeit. Die Klägerin hat hierzu angegeben, dass ihre Tochter nach einer im Alter von 6 Monaten erfolgten Mehrfachimpfung sich nicht weiterentwickelt habe und schwerbehindert gewesen sei. Pflegestufe III sei zuerkannt gewesen. Nach ihren Angaben starb die Tochter während eines Türkeiaufenthaltes im August 2010 infolge eines Magen-Darm-Infekts mit Fieberkrämpfen.

Ein erster Rentenantrag vom 25.07.2007 wegen orthopädischer und psychischer Erkrankungen war ohne Erfolg, nachdem in einem neurologisch/psychiatrischen Gutachten von Dr. A. vom 09.11.2007 und einem sozialmedizinischen Gutachten von Dr. H. vom 17.10.2007 ein mindestens 6stündiges Leistungsvermögen sowohl für die Tätigkeit als Industriearbeiterin als auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt gesehen wurde. In dem hiergegen vor dem Sozialgericht Bayreuth geführten Klageverfahren (Az S 2 R 555/08) wurde die Klage zurückgenommen, nachdem ein dort eingeholtes sozialmedizinisches Terminsgutachten von Dr. H. vom 10.12.2008 ebenfalls zu einem mindestens 6stündigen Leistungsvermögen gelangt war.

Ein weiterer Rentenantrag vom 23.11.2010 war ebenfalls erfolglos, nachdem ein sozialmedizinisches Gutachten von Dr. S. vom 17.02.2011 und ein neurologisch/psychiatrisches Gutachten von Dr. H. vom 26.04.2011 jeweils zu einem mindestens 6stündigen Leistungsvermögen gelangt waren. Dr. H. verwies dabei darauf, dass die Behandlungsoptionen nicht ausgeschöpft seien und auch eine stationäre medizinische Rehabilitation sich als sinnvoll erweisen könnte. Es bestanden aber auch Hinweise auf eine fehlende Compliance hinsichtlich der verordneten Medikamente aufgrund eines im Rahmen einer Blutentnahme festgestellten unzureichenden Medikamentenspiegels. Die hiergegen zum Sozialgericht Bayreuth erhobene Klage (Az: S 16 R 869/11) wurde nach Einholung eines nervenärztlichen Terminsgutachtens von Dr. H. im Erörterungstermin vom 07.12.2011 zurückgenommen, nachdem auch Dr. H. zu einem mindestens 6stündigen Leistungsvermögen gekommen war, aber dringend eine psychosomatische stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme angeregt hatte.

Am 07.03.2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme wegen Rückenbeschwerden, Fibromyalgie, Wechseljahrbeschwerden und Grünem Star auf beiden Augen und befand sich daraufhin in der Zeit vom 03.05.2012 bis 30.05.2012 zur stationären medizinischen Rehabilitation in der psychosomatischen Klinik der R.-Klinik B. D., aus der sie als arbeitsfähig sowie mit einem mindestens 6stündigen Leistungsvermögen sowohl für die letzte Tätigkeit als Arbeiterin in der Verpackung als auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen wurde.

Am 22.08.2012 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines ärztlichen Attestes ihres behandelnden Nervenarztes Dr. N. vom 16.07.2012 bei der Beklagten erneut die Gewährung von Erwerbsminderungsrente und gab hierbei an, sich seit dem 23.08.2010 für erwerbsgemindert zu halten. Es liege bei ihr ein schweres depressives Syndrom seit dem Tod ihrer Tochter vor. Weder ambulante Behandlungsmaßnahmen noch die stationäre medizinische Reha-Maßnahme in B. D. hätten zu einer Veränderung ihres Zustandsbildes geführt.

Die Beklagte holte ein neurologisch/psychiatrisches Gutachten von Dr. N. ein, der am 22.10.2012 sowohl für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Verpackerin als auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt ein mindestens 6stündiges Leistungsvermögen unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen (keine Nachtschicht, kein Akkord) sah. Es sei mittlerweile von einer chronifizierten und anhaltenden Symptomatik im Sinne einer Dysthymie auszugehen. Leider werde noch immer auf eine ambulante Psychotherapie mit Bearbeitung von Schuldgefühlen verzichtet.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 30.10.2012 den Antrag auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente ab. Der hiergegen mit Schriftsatz des damaligen Prozessbevollmächtigen der Klägerin vom 13.11.2012 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2013 als unbegründet zurückgewiesen. Neuer Sachverhalt sei nicht vorgetragen worden.

Zur Begründung der hiergegen am 07.02.2013 zum Sozialgericht Bayreuth erhobenen Klage hat der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hingewiesen, dass weder der behandelnde Hausarzt der Klägerin, Dr. G., noch ihr Nervenarzt Dr. N. bzw. seine Praxisnachfolger Dr. D. und Dr. S. die Einschätzung der Beklagten nachvollziehen könnten. Vorgelegt wurde hierzu eine ärztliche Bescheinigung von Dr. D. vom 28.01.2013, wonach bei der Klägerin ein schweres depressives Syndrom sowie ein chronisches Schmerzsyndrom vorliege.

Das Sozialgericht hat Befundberichte von den Allgemeinärzten Dres. H./G. sowie vom Facharzt für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. D. eingeholt und die Akten des Zentrum Bayern Familie und Soziales – ZBFS – beigezogen. Sodann hat das Sozialgericht ein nervenärztliches Terminsgutachten von Dr. N. veranlasst, der am 17.04.2013 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:

1. Anhaltende somatoforme Schmerzstörung

2. Dysthymia

Die Klägerin könne trotzdem mindestens 6 Stunden täglich leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen verrichten. Zu vermeiden seien häufiges Heben und Tragen ohne mechanische Hilfsmittel, häufiges Bücken, anhaltende Zwangshaltungen der Wirbelsäule. Aus psychischer Sicht seien Arbeiten mit ständigem Zeitdruck, Schicht- und Akkordtätigkeiten, besondere Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie Tätigkeiten mit gehobener Verantwortung für Personen und überwiegendem Publikumsverkehr zu vermeiden. Zusätzliche Pausen seien nicht erforderlich. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Die therapeutischen Möglichkeiten in Form einer auf türkische Patienten spezialisierten psychiatrischen Behandlung und einer ambulanten Psychotherapie seien noch nicht ausgeschöpft.

Zum Gutachten von Dr. N. hat der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 21.05.2013 darauf hingewiesen, dass der langjährige behandelnde Nervenarzt der Klägerin, Dr. N., das von der Beklagten eingeholte Gutachten von Dr. N. nicht akzeptiert habe und auch nicht nachvollziehbar sei, weshalb ein weiterer Klinikaufenthalt der Klägerin helfen solle, wenn die bereits durchgeführte Reha-Maßnahme in B. D. nach Ansicht der Klägerin sogar zu einer Verschlimmerung ihres Zustandes beigetragen habe. Es sei auch zweifelhaft, ob eine ambulante Psychotherapie helfe, nachdem all diese Behandlungsansätze in der Vergangenheit versagt hätten. Zudem gebe es im Umfeld der Klägerin keine türkisch sprechenden Therapeuten. Vorgelegt wurde hierzu eine als „nervenärztliches Gutachten“ bezeichnete Stellungnahme von Dr. N. vom 13.05.2013. Darin wurde ausgeführt, dass letztlich eine posttraumatische Belastungsstörung anzunehmen sei, da ja hinsichtlich eines schweren Psychotraumas 2004 Flashbacks angegeben würden. Bahnend für die Entwicklung der schweren depressiven Störung und der somatoformen Störung sei wohl das Elternhaus, in dem die Klägerin schon in frühester Kindheit Gewalt erfahren habe. Krankheit und Verlust der Tochter hätten die schwere depressive Symptomatik aktualisiert. Es müsse von einer chronifizierten Störung ausgegangen werden.

Hierzu hat das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme von Dr. N. eingeholt, der am 18.06.2013 darauf hingewiesen hat, dass laut dem Reha-Entlassungsbericht der Klinik B. D. nach anfänglicher Zurückhaltung die Klägerin einen geselligen und aktiven Eindruck gemacht habe und zum Ende der Behandlung völlig selbstständig habe arbeiten können. Diese Besserung spreche gegen das Vorliegen einer therapierefraktären seelischen Erkrankung. Die von der Klinik empfohlene Psychotherapie sei von der Klägerin nicht fortgeführt worden. Dies erkläre den Rückfall in alte Verhaltensmuster und Beschwerden ausreichend.

Einen ebenfalls am 25.05.2013 gestellten Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen Dr. N. hat der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin für erledigt erklärt (Mitteilung des Sozialgerichts Bayreuth vom 26.09.2013 – S 2 SF 181/13).

Nach Durchführung eines Erörterungstermins am 09.12.2013 hat der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 07.01.2014 vorgetragen, dass die Klägerin nunmehr bei einer anderen Therapeutin in Behandlung sei. Die behandelnden Nervenärzte hätten nur stützende Gespräche geführt. Mit weiterem Schriftsatz vom 20.01.2014 wurde eine Stellungnahme der Dipl.Psych. S. S. vom 14.01.2014 übersandt, wonach die Klägerin am 12.12.2013 zum Erstgespräch gekommen sei. Sie sei mehrfach traumatisiert, leide seit Jahren unter schwerer depressiver Symptomatik und unter chronischem Schmerzsyndrom. Laut ihrer Aussagen und Bescheinigungen von Ärzten und Kliniken sei eine Besserung trotz ambulanter und stationärer Therapien nicht zu sehen, sondern eine Verschlechterung. Aus psychologischer Sicht sei es nicht zumutbar, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine nennenswerte Tätigkeit ausübe. Dies wäre für sie eine zusätzliche Belastung, die ihren Zustand weiter verschlechtern würde.

Das Sozialgericht hat sodann ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. O. eingeholt, die am 08.04.2014 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:

1. Chronifizierte depressive Reaktion

2. Anhaltende somatoforme Schmerzstörung

3. Mischkopfschmerz mit Spannungskopfschmerzen und Kopfschmerzen bei Medikamentenübergebrauch

Zweifellos seien die Erlebnisse der Klägerin in der Kindheit dazu geeignet, anhaltende depressive Reaktionsweisen auszulösen. Der bisherige Krankheitsverlauf deute auf eine chronifizierte depressive Störung überwiegend reaktiver Natur hin. Die Klägerin habe sicherlich auch wegen der negativen Erfahrungen in der Kindheit und im Rahmen der ersten Ehe ihre Trauer noch nicht angemessen bewältigen und bearbeiten können. Ein wesentlicher biologischer Hintergrund für die depressive Symptomatik werde eher nicht gesehen, deshalb sollte sich eine Behandlung nicht nur auf die Gabe von Antidepressiva „beschränken…..Compliance????“ Hauptsächlich seien im Falle der Klägerin psychotherapeutische Interventionen erfolgversprechend. Die Schmerzsymptomatik habe hauptsächlich somatoformen Hintergrund. Es bestehe eine erhebliche Diskrepanz zwischen den körperlichen Befunden und der Art und dem Ausmaß der beklagten Beschwerden. Bei erheblichen psychosozialen Konflikten sei anzunehmen, dass auch diese Symptomatik sich unter einer entsprechenden Verhaltenstherapie bessern würde. Im Vergleich zu den Vorgutachten der Beklagten und des Sozialgerichts hätten sich keine wesentlichen Änderungen ergeben. Die Klägerin könne leichte bis zeitweise mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Einschränkungen mindestens 6 Stunden täglich verrichten.

Mit Schriftsatz vom 27.05.2014 hat der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin einen vorläufigen Entlassungsbericht des Klinikums E. H-Stadt über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 29.04.2014 bis 23.05.2014 übersandt, zu dem Dr. O. am 10.06.2014 ergänzend dahingehend Stellung genommen hat, dass sich die schwankenden depressiven Symptome bei der Klägerin hauptsächlich auf die belastenden Lebensereignisse beziehen würden und nach wie vor davon auszugehen sei, dass die bestehenden Behandlungsoptionen, insbesondere die psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft seien. Dass das Krankheitsbild der Klägerin nicht vollkommen ihrem Willen entglitten sei, lasse sich aus dem Entlassungsbericht der Klinik B. D. eindeutig ableiten. Dort sei lediglich eine subdepressive Verstimmung beschrieben worden. Sie sei sehr offen und lebenslustig gewesen. Trotz der Behandlungsansätze und -fortschritte habe die Klägerin die Behandlung abgebrochen, was gegen einen sehr erheblichen Leidensdruck spreche.

Das Sozialgericht hat sodann nach Anhörung der Beteiligten die Klage durch Gerichtsbescheid vom 29.06.2015 als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin könne zur Überzeugung des Gerichts noch mindestens 6 Stunden täglich unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen Tätigkeiten zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten. Dies ergebe sich aus den eingeholten Gutachten von Dr. N. und Dr. O.. Im Vordergrund stehe eine affektive Störung, die Dr. N. und Dr. N. als Dysthymia und Dr. O. als chronifizierte depressive Reaktion qualifiziert hätten, und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Maßgebend sei jedoch nicht die konkrete Diagnose, sondern Art, Umfang und Dauer der Symptomatik sowie deren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben. Eine posttraumatische Belastungsstörung liege lt. Dr. O. bei der Klägerin zumindest nicht im Vollbild vor. Die flashback-Symptomatik habe die Klägerin erstmals bei Dr. N. erwähnt, aber weder bei Dr. A. im November 2007, noch bei Dr. H. 2008 oder bei Dr. H. 04/2011, auch nicht bei der Untersuchung durch Dr. H. im Dezember 2011 oder während des Aufenthaltes in der Klinik B. D. (Mai 2012) und auch nicht bei der Begutachtung durch Dr. N.. Die Behandlungsoptionen der Klägerin seien nicht ausgeschöpft, insbesondere sei eine ambulante Psychotherapie notwendig und erfolgversprechend.

Zur Begründung der hiergegen zunächst nur zur Fristwahrung am 29.07.2015 zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung hat der (jetzige) Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 14.10.2015 ausgeführt, dass nach Ansicht der Klägerin die vom Sozialgericht eingeholten Gutachten nicht richtig seien und den Stellungnahmen ihrer behandelnden Ärzte Vorrang gegenüber den medizinischen Sachverständigengutachten, bei denen die Sachverständigen die Klägerin nur kurzzeitig gesehen hätten, einzuräumen sei. Bei der Klägerin bestehe eine umfassende Leidensgeschichte und umfangreiche Erkrankungen, die die vom Gericht bestellten Gutachter nicht hätten erfassen können. Das Leistungsvermögen der Klägerin sei so umfassend eingeschränkt, dass sie zumindest nicht in der Lage wäre, 6 Stunden täglich zu arbeiten. Die Klägerin könne nicht schlafen, keine Freude empfinden und beklage erhebliche Kopfschmerzen. Sie sei depressiv und regelrecht apathisch. Die Klägerin sei durch den am Telefon selbst miterlebten Suizid ihres Cousins traumatisiert, außerdem durch die schwere Erkrankung ihrer Tochter und deren Tod. Sie sei kraftlos und leide an psychischen Beschwerden sowie körperlichen Schmerzen. Die Klägerin habe sich in der Vergangenheit mehrfachen ambulanten und stationären Behandlungen unterzogen, die jedoch keine Verbesserung des Krankheitsbildes erbracht hätten, auch, obwohl diese in der Muttersprache der Klägerin erfolgt seien. Gleiches gelte für den stationären Aufenthalt in der Klinik E. in H-Stadt im April/Mai 2014. Die Klägerin habe sich daneben auch in regelmäßiger ambulanter neurologischer bzw. nervenärztlicher Behandlung befunden. Dr. D. habe festgestellt, dass sich eine Besserung des Zustandsbildes der Klägerin nicht eingestellt habe, vielmehr eine Chronifizierung eingetreten sei und bei der Klägerin Therapieresistenz vorliege. Dies werde auch durch das Gutachten von Dr. N. vom 13.05.2013 bestätigt.

Der Senat hat Befundberichte vom behandelnden Hausarzt Dr. G. und vom Facharzt für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. D. eingeholt. Dr. G. berichtet von einem therapieresistenten Schmerzsyndrom. Die Klägerin sei aber nur ab und zu in der Praxis, um eine neue Verordnung von NSAR zu erhalten. Es liege eine rezidivierende depressive Störung vor. Dr. D. beschreibt in seinem Befundbericht eine Dysthymia, rezidivierende depressive Episoden, derzeit schwer, sowie ein chronifiziertes Schmerzsyndrom.

Die Beklagte hat hierzu durch ihren Prüfarzt Dr. S. am 15.02.2016 dahingehend Stellung genommen, dass eine zwischenzeitliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin auf nervenärztlichem Fachgebiet nicht auszuschließen sei.

Mit Schriftsatz vom 12.05.2016 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit, dass sich diese aktuell stationär im der Sozialstiftung B-Stadt in stationärer Behandlung befinde und mit weiterem Schriftsatz vom 06.06.2016 wurde mitgeteilt, dass die Klägerin dort wegen einer schweren depressiven Episode behandelt worden sei. Zum Zeitpunkt der Entlassung, dem 03.06.2016, habe sich die Klägerin in einer gedrückten Stimmungslage befunden. Die Durchführung einer weiteren stationären Behandlung sei angeraten worden. Aus dem Entlassungsbericht der Klinik ergibt sich, dass die Klägerin gegen ausdrücklichen ärztlichen Rat auf eigene Verantwortung entlassen wurde, nachdem eine akute Eigen- und Fremdgefährdung habe ausgeschlossen werden können. Die Anpassung der antidepressiven Medikation sei dringlich indiziert.

Mit Schriftsatz vom 11.05.2017 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ein nervenärztliches Attest von Dr. E. vom 09.05.2017 übersandt, in dem eine anhaltende posttraumatische Veränderung der Persönlichkeit der Klägerin beschrieben wird. Diese Diagnose sei in den vorliegenden Gutachten nicht erwähnt und auch nicht in Erwägung gezogen worden.

Der Senat hat Anschlussbefunde vom Hausarzt Dr. G. und vom Facharzt für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. D. eingeholt, zu denen die Beklagte durch Dr. H. am 16.06.2017 prüfärztlich Stellung genommen hat.

Mit Schriftsatz vom 29.06.2017 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Verzögerungsrüge erhoben.

Der Senat hat einen Befundbericht von Dr. E. ab Behandlungsbeginn angefordert und von der Beklagten einen aktuellen Versicherungsverlauf. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 28.12.2017 darauf hingewiesen, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen längstens bis 30.11.2013 erfüllt wären. Eine letzte Pflichtbeitragszeit ist für Oktober 2011 verzeichnet. Ab November 2016 ist ein Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Versicherungsverlauf der Klägerin vermerkt. Dr. E. hat in seinem Befundbericht (ohne Datum) von einem Behandlungsbeginn ab Januar 2017 berichtet. Der neurologische Befund sei unauffällig gewesen, im psychiatrischen Befund habe eine deutliche Beeinträchtigung der affektiven Modulierbarkeit imponiert. Die Stimmung sei zum Depressiven hin ausgelenkt gewesen. An Diagnosen wurden angegeben: schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, chron. Schmerzsyndrom. Die Befunde seien konstant schwerwiegend ausgeprägt geblieben.

Auf Nachfrage des Senats wegen weiterer rentenrechtlich relevanter Zeiten hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 23.01.2018 mitgeteilt, dass die Klägerin jedenfalls von November 2011 bis November 2016 krank gewesen sei und sie auch mehrfach bei der Agentur für Arbeit bzw. dem Jobcenter vorgesprochen habe, um sich arbeitslos bzw. arbeitssuchend zu melden. Ihr sei jedoch mitgeteilt worden, dass eine Arbeitslosmeldung nicht möglich sei, weil die Klägerin dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe. Es sei denkbar, dass entsprechende Meldungen durch die Agentur für Arbeit auch gegenüber der Beklagten hätten erfolgen müssen. Leistungen hätte die Klägerin in dieser Zeit aber nicht bezogen. Vorgelegt wurden Schreiben der Agentur für Arbeit B-Stadt von Februar 2014, ein ärztliches Attest von Dr. G. vom 15.01.2018, wonach die Klägerin von ihm in der Zeit zwischen dem 18.02.2010 bis 03.01.2015 wegen ihrer Depressionen krankgeschrieben worden sei. Danach sei die Klägerin von Dr. N. bzw. Dr. D. arbeitsunfähig geschrieben worden. Dr. D. bescheinigt in einem Attest vom 16.01.2018 eine regelmäßige Behandlung der Klägerin von Anfang 2009 bis 05/2017 wegen eines depressiven Syndroms sowie eines chronischen Schmerzsyndroms.

Mit weiterem Schriftsatz vom 12.02.2018 wurde ein Attest von Dr. E. vom 06.02.2018 übersandt, worin nochmals darauf hingewiesen wurde, dass in dem gesamten Verfahren die „von ihm gestellte Diagnose einer posttraumatischen anhaltenden Veränderung der Persönlichkeit“ nicht beachtet worden sei. Tatsächlich hätten die Beschwerden der Klägerin 2010 mit dem Tod der Tochter begonnen, die aus ihrer Sicht den Folgen eines Impfschadens erlegen sei. Die Tochter sei in ihren Armen verstorben. Sie werde das innere Bild nicht los, wie es bei der Tochter unter der Anwesenheit des Notarztes zu einem Herzstillstand gekommen sei. Das Bild verfolge sie Tag und Nacht. Sie habe Alpträume. Dieses Ereignis habe ihr Leben verändert. Diese Veränderungen in der Persönlichkeit der Klägerin seien als dauerhaft anzusehen und keiner Therapie zugänglich. Die bisherige gutachterliche Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin sei nicht nachvollziehbar.

Mit Schriftsatz vom 13.03.2018 übersandte die Beklagte einen Feststellungsbescheid gemäß § 149 Abs 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VI – vom 12.03.2018, mit dem die rentenrechtlichen Zeiten der Klägerin bis 31.12.2011 verbindlich festgestellt wurden. Weitere rentenrechtliche Zeiten sind hier nicht aufgeführt.

Mit Schreiben vom 21.03.2018 hat der Senat darauf hingewiesen, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nur bis November 2013 gegeben wären. Bis zu diesem Zeitpunkt seien alle Gutachter aber zu einem mindestens 6stündigen Leistungsvermögen der Klägerin gelangt. Spätere Erkrankungen der Klägerin seien demnach nicht mehr relevant. Hierzu hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 05.04.2018 nochmals darauf hingewiesen, dass die Klägerin seit dem Tod ihrer Tochter im August 2010 krank sei und bis heute nicht habe arbeiten können. Die Beschwerden seien immer schlimmer geworden. Eine Arbeitslosmeldung habe die Agentur für Arbeit nicht akzeptiert, weil die Klägerin dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden habe. Die Klägerin sei immer über ihren Ehemann versichert gewesen.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.06.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 22.08.2012 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.06.2015 zurückzuweisen.

Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten und die beigezogene Akte des Sozialgerichts Bayreuth (S 16 R 869/11) sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143,144,151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 29.06.2015 die Klage als unbegründet abgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 30.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2013 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI.

Gemäß § 43 Abs 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise erwerbsgemindert sind,

2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und

3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sowohl für eine volle als auch für eine teilweise Erwerbsminderungsrente nach § 43 Abs 1 Nr 2 bzw. Abs 2 Nr 2 SGB VI liegen bei der Klägerin nur bis November 2013 vor. Dies ergibt sich aus dem von der Beklagten übersandten Versicherungsverlauf vom 22.12.2017 sowie dem neuen Feststellungsbescheid nach § 149 Abs 5 SGB VI vom 12.03.2018. Die letzte Pflichtbeitragszeit (DEÜV) wurde für den Monat Oktober 2011 entrichtet, anschließend findet sich erst ab dem 01.12.2016 eine Zeit des Leistungsbezuges nach dem SGB II.

Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf eine durchgehende Versicherung bei der Krankenkasse (AOK) seit November 2010 hinweist und angibt, die Klägerin sei immer über ihren Ehemann versichert gewesen, begründet dies keine Pflichtbeitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung. Im Übrigen ist der Auflistung der AOK eine zeitliche Unterbrechung nach Ende des zweiten Rentenverfahrens ab dem 13.12.2011 bis 21.08.2012 mit einer Familienversicherung als Ehegatte zu entnehmen. Am 22.08.2012 hat die Klägerin dann den hier streitigen, dritten Rentenantrag gestellt und war von der Krankenkasse wieder als Rentenantragsteller nach § 189 SGB V zu erfassen. Im Versicherungsverlauf sind Zeiten der Krankheit bzw. Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom 24.08.2010 bis 21.09.2011 vermerkt. Weitere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit sind nicht enthalten. Die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 23.01.2018 vorgelegten ärztlichen Atteste von Dr. G., wonach die Klägerin vom 18.02.2010 bis 03.01.2015 wegen ihrer Depression arbeitsunfähig geschrieben worden sei und danach die Arbeitsunfähigkeit von Dr. N. oder Dr. D. bestätigt worden sei, reichen nicht aus, um den Nachweis einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit zu führen. Zum einen wurde die Klägerin aus der im Jahr 2012 stattfindenden Reha-Maßnahme in B. D. als arbeitsfähig entlassen, zum anderen hat Dr. G. in einem Befundbericht vom 14.01.2016 angegeben, dass die Klägerin nur gelegentlich vorbeigekommen sei, um sich eine neue Verordnung für Schmerzmittel abzuholen. Dr. D. hat in seiner „Ärztlichen Bescheinigung“ vom 16.01.2018 lediglich angegeben, dass die Klägerin wegen eines depressiven Syndroms und eines chronischen Schmerzsyndroms dort von Anfang 2009 bis 05/2017 „in regelmäßiger Behandlung“ gewesen sei. Dies stellt keinen Nachweis für das Vorliegen von durchgehender, ärztlich festgestellter Arbeitsunfähigkeit dar, zumal von Seiten des früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Januar 2014 schriftsätzlich vorgetragen wurde, dass die Klägerin von ihren Nervenärzten Dr. N. und Dr. D. nur mit stützenden Gesprächen behandelt worden sei und sich jetzt bei einer türkisch sprechenden Therapeutin in Behandlung befinde. Die Voraussetzungen des § 241 Abs 2 SGB VI liegen bei der Klägerin offensichtlich nicht vor, weil die erste rentenrechtliche Zeit erst ab dem 02.11.1984 vermerkt ist. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob durch das laufende Verfahren eine Hemmung im Sinne des § 198 SGB VI eingetreten sein könnte, weil die Entrichtung freiwilliger Beiträge nicht ausreichend wäre, um die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegend zu erfüllen.

Ausgehend von dem Umstand, dass der notwendige Leistungsfall im Sinne des § 43 SGB VI spätestens am 30.11.2013 eingetreten sein müsste, ist ein Nachweis eines unter sechsstündigen Leistungsvermögens der Klägerin (unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen) nicht geführt.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin zumindest bis 30.11.2013 in der Lage war, leichte, gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Zu vermeiden waren häufiges Heben und Tragen schwerer Lasten ohne entsprechende Hilfsmittel, häufiges Bücken, anhaltende Zwangshaltungen der Wirbelsäule sowie aus nervenärztlicher Sicht Tätigkeiten mit ständigem Zeitdruck, Akkord- oder Schichtarbeit sowie Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, mit besonderer Verantwortung für Personen und mit überwiegendem Publikumsverkehr.

Der Senat stützt seine Überzeugung auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten von Dr. N. vom 22.10.2012, den Reha-Entlassungsbericht der R.-Klinik B. D. vom 21.06.2012, die im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten auf nervenärztlichem bzw. sozialmedizinischem Fachgebiet von Dr. N. vom 17.04.2013 sowie von Dr. O. vom 08.04.2014 sowie ihre jeweiligen ergänzenden Stellungnahmen, die alle zu einem mindestens 6stündigen Leistungsvermögen der Klägerin gelangt sind, wenn auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen. Ob und inwieweit im weiteren Verlauf bis heute eine Verschlimmerung oder weitere Chronifizierung der psychischen Erkrankung der Klägerin eingetreten ist und ob diese noch einer Behandlung zugänglich wäre, kann dahingestellt bleiben, weil die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nur bei Eintritt des Leistungsfalles spätestens im November 2013 gegeben wären.

Zu beachten ist vorliegend, dass trotz der festgestellten psychischen Erkrankung der Klägerin zum einen das Ausmaß dieser Erkrankung nicht so gravierend gewesen ist, dass bis November 2013 für mehr als 6 Monate ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen anzunehmen gewesen wäre. Die befragten Sachverständigen haben übereinstimmend die dringende Notwendigkeit zur Durchführung ambulanter psychotherapeutischer Behandlung sowie zur Änderung der Medikation oder auch zur Durchführung stationärer psychosomatischer Behandlungen oder Reha-Maßnahmen angemahnt, die Klägerin hat aber dennoch eine entsprechende Behandlung nicht durchführen lassen. Sie hat sich geweigert, stationäre Maßnahmen – sowohl Krankenhausbehandlungen als auch psychosomatische stationäre Rehamaßnahmen – durchzuführen. Einer Änderung der Medikation bzw. ein Abbau des Schmerzmittelgebrauchs wegen bestehender Suchtgefahr stand die Klägerin ebenfalls ablehnend gegenüber. Trotz dieser Behandlungsbedürftigkeit haben die Sachverständigen übereinstimmend festgehalten, dass eine quantitative Minderung der Erwerbsfähigkeit jedenfalls noch nicht auf Dauer gesehen werden konnte, sondern den Leistungseinschränkungen der Klägerin infolge der bestehenden Erkrankung durch Beachtung qualitativer Einschränkungen Rechnung getragen werden kann. Als Diagnosen wurden depressive Verstimmungen, Dysthymie oder leichte bis vereinzelt mittelschwere depressive Episoden beschrieben.

Zum anderen hat die Klägerin trotz der von den Sachverständigen angeregten Behandlungsmaßnahmen diese nicht ausgeführt. Sie hat in größeren Abständen stützende Gespräche durch ihren behandelnden Nervenarzt erhalten, wie der frühere Prozessbevollmächtigte der Klägerin selbst mitgeteilt hatte. Der Behandlungskontakt zur türkisch sprechenden Psychotherapeutin hat sich in einem Einmalkontakt im Dezember 2013 erschöpft. Dipl. Psych. S. S. hat in ihrer Bescheinigung vom 14.01.2014 aufgrund der Angaben der Klägerin ausgeführt, dass eine Besserung durch ambulante oder stationäre Behandlungen nicht erzielt werden könne und es der Klägerin aus psychischer Sicht nicht zumutbar sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine nennenswerte Tätigkeit auszuüben, weil dies für sie eine zusätzliche Belastung sei, die ihren Zustand weiter verschlechtern würde. Eine weitere Behandlung hat dort nicht mehr stattgefunden. Demgegenüber hat Dr. O. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 10.06.2014 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass aufgrund des Reha-Entlassungsberichts der Klinik B. D. und der weiteren Berichte in der Akte sicher davon auszugehen sei, dass die Klägerin aus einer sinnvollen Beschäftigung Kraft schöpfen könnte und dass insbesondere nicht davon auszugehen sei, dass das Krankheitsbild der Klägerin bereits vollkommen ihrem Willen entglitten sei. Vielmehr sei in dem Entlassungsbericht der Klinik B. D. lediglich eine subdepressive Verstimmung beschrieben. Gegen einen erheblichen Leidensdruck der Klägerin spreche auch, dass die in B. D. begonnene Gesprächstherapie in der Muttersprache der Klägerin von ihr abgebrochen worden sei. Dass keine durchgreifende Besserung habe erzielt werden können, sei unschwer durch das laufende Rentenverfahren zu erklären.

Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass sie sich mehrfach in stationärer Behandlung befunden habe, ist festzuhalten, dass hier entweder nachdrücklich auf fehlende Behandlungsbereitschaft der Klägerin hingewiesen wurde oder dass die Klägerin vorzeitig auf eigenen Wunsch entgegen ärztlichem Rat entlassen wurde. Erstmals hatte sich die Klägerin nach Beendigung des zweiten Rentenverfahrens (Klagerücknahme am 07.12.2011 nach nervenärztlichem Gutachten von Dr. H. im Verfahren S 16 R 869/11) am 03.05.2012 in die stationäre medizinische Rehabilitation in B. D. begeben, aus der sie aber als arbeitsfähig und mit einem mindestens 6stündigen Leistungsvermögen entlassen worden war. Auf bestehende Behandlungsoptionen wurde die Klägerin ausdrücklich hingewiesen. Anschließend ist ein kurzer Aufenthalt in der Klinik E. in H-Stadt 04.07. – 07.07.2012 in den Akten zu finden. Der stationäre Aufenthalt erfolgte auf Überweisung von Dr. N. wegen Zunahme der seit 2 Jahren bestehenden Kopfschmerzen im Monat vor der Einweisung. Aus dem Entlassungsbericht ergibt sich, dass erst nach intensivem Nachfragen von der Klägerin ein Schmerzmittelabusus mit drei verschiedenen Schmerzmittelsubstanzen eingeräumt worden war. Eine Besserung des Schmerzzustandes konnte bereits innerhalb der 4tägigen Behandlung erzielt werden. Die von der Klinik angeratene stationäre psychosomatische Behandlung wurde von der Klägerin ausdrücklich nicht gewünscht. In einer weiteren, von Dr. D. und Dr. G. initiierten stationären Behandlung, erstmals hier in der Klinik für Psychiatrie, Sucht, Psychotherapie und Psychosomatik der Klinik E. H-Stadt in der Zeit vom 04.03. bis 08.04.2013 ist von einer leichten Besserung der Beschwerden bei fehlender Introspektionsfähigkeit und fremdmotiviertem Verhalten der Klägerin bei der Teilnahme an den Kursen die Rede. Empfohlen wird die sozialpsychiatrische Weiterbehandlung. Die Entlassung erfolgte auf Wunsch der Klägerin nach einer zufriedenstellenden therapeutischen Belastungserprobung. Auch aus der weiteren in den Akten dokumentierten stationären Behandlung in der Klinik E. in H-Stadt in der Zeit vom 29.04. bis 23.05.2014 (kurz nach der Begutachtung durch Dr. O.) wurde die Klägerin entgegen ärztlichem Rat auf eigenen Wunsch entlassen. Sie hatte sich freiwillig bei Zuspitzung der depressiven Symptomatik in die Behandlung begeben und gab an, sich durch den stationären Rahmen der Behandlung eher belastet zu fühlen. Sie würde ihr soziales Umfeld vermissen, vermehrt Alpträume haben, dass man sie umbringen wolle oder schlagen. Sie gab weiter an, dass das ungeklärte Rentenverfahren sie belaste. Aus den Klinikberichten wird deutlich, dass die Klägerin nur eine eingeschränkte Therapiemotivation gezeigt hat, dass aber auch andererseits die angefangenen Behandlungen durchaus eine Besserung bei der Klägerin bewirken konnten.

Eine fehlende Behandlungsmotivation – und damit ein Indiz für einen fehlenden Leidensdruck der Klägerin – lässt sich auch aus den Umständen folgern, dass die Klägerin offenbar die von den behandelnden Nervenärzten verordneten Medikamente nicht oder zumindest nicht in dem notwendigen Umfang für einen therapeutischen Nutzen eingenommen hat. Eine Umstellung der Schmerzmedikation ist nur innerhalb des stationären Aufenthalts erfolgt. Wenn die Klägerin aber eine weitere Behandlung, sei es medikamentös, sei es durch psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung, nicht sucht, obwohl es ihr nach ihren eigenen Angaben immer schlechter gegangen sei, spricht dies ebenfalls nicht für einen erheblichen Leidensdruck der Klägerin.

Es ist nach Überzeugung des Senats auch davon auszugehen, dass die Einschätzung der Sachverständigen, dass sich bei entsprechender Behandlung der Klägerin in Form der Psychotherapie, Verhaltenstherapie und Änderung der Medikation eine Besserung ihres Zustands in absehbarer Zeit einstellen würde, bis November 2013 auch zutreffend gewesen ist. Hierfür spricht, dass insbesondere in der stationären Reha-Maßnahme in B. D. im Jahr 2012 ein guter Behandlungserfolg erzielt worden ist, auch wenn die Klägerin dies selbst offensichtlich so nicht empfunden hat. Darauf haben sowohl Dr. N. als auch Dr. O. in ihren Gutachten bzw. ergänzenden Stellungnahmen hingewiesen.

Auch in der mündlichen Verhandlung am 09.05.2018 hat die Klägerin schließlich angegeben, dass sich ihre Familie und Verwandten um sie gekümmert hätten und ihr Nervenarzt ihr deswegen gesagt habe, dass sie keine andere Behandlung brauche. Deswegen sei sie nicht zum Arzt oder einem Therapeuten gegangen.

Das Ausmaß der psychischen Erkrankung der Klägerin ist nach Ansicht des Senats auch deshalb nicht nachgewiesen, weil sich in den Befundberichten und ärztlichen Sachverständigengutachten erhebliche Inkonsistenzen finden. Diese beginnen bereits bei den gezeigten Bewegungsmaßen während der Begutachtungen, auf die in verschiedenen Gutachten ausdrücklich hingewiesen worden ist (An- und Auskleiden, Gangbild, Beweglichkeit der Wirbelsäule, FBA etc). Nicht nachvollziehbar ist – wie vom Sozialgericht bereits ausgeführt – weshalb bis zum Jahr 2012 bzw. 2013 von einer Traumatisierung der Klägerin durch Erlebnisse in ihrer Kindheit, in ihrer ersten Ehe und vor allem im Hinblick auf den Suizid ihres Cousins nie berichtet worden ist, obwohl diese Ereignisse so einschneidend waren und spätestens nach dem Tod ihrer Tochter im Jahr 2010 wieder deutlich geworden seien. In den beiden 2007 und 2010 geführten Rentenverfahren war von diesen Ereignissen nicht die Rede. Insbesondere bei der Begutachtung durch Dr. H. am 26.04.2011 in noch unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Tode der eigenen Tochter standen die Umstände dieses Erlebnisses und die damit verbundenen Schuldgefühle der Klägerin im Mittelpunkt, weil sie die Impfung habe durchführen lassen, obwohl ihr Ehemann die Impfung nicht gewollt habe. Im Rahmen dieser Begutachtung ist weder von der ersten Ehe, noch vom Tode des Cousins die Rede und zu ihren Eltern schilderte die Klägerin ein gutes Verhältnis. Erstmals wurde in dem psychiatrischen Konzil 2012 in der Klinik H-Stadt von dem am Telefon miterlebten Selbstmord des Cousins berichtet. Die damalige Schilderung weicht erheblich von der Schilderung der Klägerin bei der Begutachtung von Dr. O. ab. Hier ist nicht nur von einem (erweiterten) Suizid die Rede, sondern von einem deutlich ausführlicheren Geschehen unter Einbeziehung weiterer Personen in einem Gasthaus, mit denen der Cousin angeblich verfeindet gewesen sei. Auch werden unterschiedliche Daten angegeben. Im Rahmen des psychiatrischen Konzils im Klinikum E. am 04.07.2012 wurde dieses Ereignis mit dem Jahr 2003 angegeben. Dr. N., bei dem die Klägerin seit 2007 bereits in Behandlung war, beschreibt dieses Ereignis erstmals in seinem „nervenärztlichen Gutachten“ vom 13.05.2013, nachdem die Klägerin ihm von dem Suizid im Rahmen einer Untersuchung am 03.05.2013 berichtet hat, und zwar für das Jahr 2004. Das SG hat in seinem Gerichtsbescheid vom 29.06.2015 zutreffend darauf hingewiesen, dass dieses Ereignis von der Klägerin – obwohl sie es so stark belasten will – weder bei Dr. A. noch bei Dr. H., Dr. H., Dr. H. noch in der Klinik B. D. und auch nicht bei der Untersuchung durch Dr. N. geschildert worden war.

Auch hinsichtlich der Umstände, die zum Tod ihrer Tochter geführt haben, gibt es unterschiedliche Schilderungen der Klägerin. Gegenüber Dr. O. hatte die Klägerin angegeben, dass die Tochter in ihren Armen auf dem Weg ins Krankenhaus im Taxi verstorben und sie bereits tot im Krankenhaus angekommen sei. Dr. E. berichtet dagegen, dass die Klägerin angegeben habe, dass ihre Tochter in ihren Armen in Anwesenheit des Notarztes verstorben sei, also erst im Krankenhaus. Dies ist im Hinblick auf diesen doch sehr belastenden Moment mehr als verwunderlich. Ebenso verwunderlich ist, dass die Klägerin in früheren Gutachten von einer glücklichen, unkomplizierten Kindheit in der Türkei berichtete, dann aber gegenüber Dr. O. von erlebter Gewalt der Eltern ihr gegenüber im frühen Kindesalter, den psychischen Belastungen ihrer ersten Ehe infolge einer Zwangsverheiratung berichtet. Ihr Verhältnis zu dem gewalttätigen Vater, der ihre Mutter geschlagen habe, wird so belastet beschrieben, dass sie nicht auf Feste gehe, weil sie ihrem Vater nicht begegnen möchte. In einem anderen Gutachten wurde angegeben, dass ihr Ehemann keinen Kontakt mit ihrem Vater wollte, weil dieser Alkoholiker sei und ihn abgelehnt habe und man deshalb nicht auf Feste gehe.

Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf das ärztliche Attest von Dr. E. vom 09.05.2017 hinweist und insbesondere auf die dort genannte „Diagnose“ einer „durch verschiedene soziale Situationen getriggerte anhaltende posttraumatische Persönlichkeitsveränderung“, die die bislang tätig gewordenen Gutachter nicht zu erkennen vermocht hätten, ist festzuhalten, dass die Klägerin dort laut dem von Dr. E. übersandten Befundbericht vom 03.01.2018 erst seit 24.01.2017 in Behandlung befand, so dass eine Beurteilung der gesundheitlichen Situation der Klägerin spätestens im November 2013 abweichend von den vorliegenden Gutachten darauf sicherlich nicht gestützt werden kann.

Hinsichtlich des Ausmaßes der psychischen Erkrankung der Klägerin ist weiter festzuhalten, dass sich auch aus dem bei Dr. O. geschilderten Tagesablauf keine entscheidende Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit der Klägerin in ihrem Alltag ableiten lässt. Die Klägerin ist in der Lage ihren Haushalt zu versorgen, sie verlässt das Haus, um Einkäufe zu erledigen, sich in die Sonne zu setzen, in den Park zu gehen, Besuche abzustatten. Täglich wird sie von Verwandten oder Nachbarn besucht.

Unter Berücksichtigung der festgestellten fehlenden Compliance hinsichtlich der Medikamenteneinnahme und -optimierung, der nachhaltigen Ablehnung einer ambulanten Psychotherapie bis heute und dem insgesamt eher nicht schwerwiegenden psychischen Befund ist davon auszugehen, dass die Klägerin jedenfalls bis November 2013 noch über ein mindestens 6stündiges Leistungsvermögen verfügt hat. Die Einholung weiterer Gutachten von Amts wegen durch den Senat ist nicht erforderlich.

Nach alledem war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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