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Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt – Az.: L 1 R 273/12 – Urteil vom 30.01.2014

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung
Symbolfoto: Von Miriam Doerr Martin Frommherz /Shutterstock.com

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI).

Die am … 1953 geborene Klägerin absolvierte von 1969 bis 1971 eine Ausbildung zur Verkäuferin. Von Januar 1972 bis Dezember 1973 qualifizierte sie sich zur Objektleiterin. Diese Tätigkeit verrichtete sie bis 1986. Von April 1986 bis April 1992 war sie als Sachbearbeiterin tätig und anschließend von Mai 1992 bis Juni 1995 als Produktionsarbeiterin. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit von Juli 1995 bis Oktober 1997 mit einer Umschulung zur Kaufmännischen Fachkraft für das mittlere Handwerk arbeitete die Klägerin von Oktober 1997 bis Februar 2007 als Kabelwerkerin bei der S. E. B. GmbH in W. Hierbei war sie mit dem Prüfen von Kabelsätzen und dem normgerechten Verpacken dieser beschäftigt. Von Juli 2009 bis September 2009 übte die Klägerin noch eine geringfügige Beschäftigung in der Hauswirtschaft eines Altenheimes aus.

Die Klägerin beantragte am 28. Dezember 2009 die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei der Beklagten. Sie halte sich wegen ihrer Multiplen Sklerose und eines Fibromyalgiesyndroms für erwerbsgemindert. Die Beklagte gab ein medizinisches Gutachten in Auftrag. Die Fachärztin für Innere Medizin Dr. H. und die Fachärztin für Neurologie Dr. B. gaben in ihrem Gutachten vom 01. März 2010 an, dass die Klägerin an einer überwiegend leichtgradigen Funktionsstörung der Wirbelsäule bei Fibromyalgie, an Multipler Sklerose, an einer Erschöpfungsdepression und an einer Gonarthrose beidseits ohne Bewegungseinschränkungen der Kniegelenke leide. Der Klägerin seien in körperlicher Hinsicht leichte und in geistiger Hinsicht einfache Anforderungen in einem Zeitumfang von sechs Stunden und mehr täglich zuzumuten. Auszuschließen seien Tätigkeiten mit häufigen Wirbelsäulenzwangshaltungen, mit häufigem Bücken, mit häufigem Ersteigen von Treppen, Leitern, Gerüsten, in Nässe, Kälte, Zugluft, mit häufigen Erschütterungen und Vibrationen, mit Gang- und Standunsicherheit, unter Zeitdruck, im Schichtsystem und mit häufigem Hocken und Knien. Der Hauptberuf der Produktionsarbeiterin sei der Klägerin weiterhin zumutbar. Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit Bescheid vom 31. März 2010 mit der Begründung ab, dass bei der Klägerin weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung bestehe. Hiergegen legte die Klägerin am 22. April 2010 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 2010 zurückwies.

Dagegen hat die Klägerin am 11. Oktober 2010 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Die Beklagte hat im erstinstanzlichen Klageverfahren den Reha-Entlassungsbericht vom 25. Oktober 2010 über die medizinische Rehabilitation vom 09. September 2010 bis zum 07. Oktober 2010 in der Abteilung Orthopädische Psychosomatik/Schmerztherapie der Kliniken am B.graben in B. S. übersandt. Demnach leidet die Klägerin an einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Multipler Sklerose, Fibromyalgie und Gonarthrose beidseits. Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Klägerin ist in dem Entlassungsbericht widersprüchlich ausgeführt worden, dass sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für drei bis unter sechs Stunden pro Tag arbeitsfähig sei. An anderer Stelle ist angegeben worden, dass sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung vollschichtig in Tagesschicht verrichten könne. Zu vermeiden seien längere rezidivierende Wirbelsäulenzwangshaltungen, kniende Tätigkeiten, Arbeiten in der Hocke, regelmäßige oder längere Überkopfarbeiten, Belastungsfaktoren wie Kälte, Nässe, Zugluft und Arbeiten mit vermehrten Anforderungen an Konzentrations- und Reaktionsvermögen. Das SG hat zunächst Befundberichte eingeholt. Der Arzt für Neurologie Dr. O. hat in seinem Befundbericht vom 12. Mai 2011 ausgeführt, dass er bei der Klägerin eine Multiple Sklerose diagnostiziert habe. In der Zwischenzeit habe sich bei ihr eine Depression manifestiert. Eine berufliche Tätigkeit sei ihr nicht möglich. Dr. P., Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, hat in ihrem Befundbericht vom 27. Mai 2011 ausgeführt, dass die Klägerin im Fachklinikum für Psychiatrie und Neurologie U. vom 12. Januar bis 11. März 2011 stationär behandelt worden sei. Die Befunde hätten sich nach der Behandlung verbessert. Bei ihr bestehe eine Leistungseinschränkung, die trotz maximaler Kraft- und Willensanstrengung nicht behoben werden könne. In dem Entlassungsbrief zur stationären Behandlung vom 21. Dezember 2011 ist bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine benigne essentielle Hypertonie ohne Angabe einer hypertensiven Krise und eine Multiple Sklerose diagnostiziert worden. Dr. M., Facharzt für Inneres, hat in seinem Befundbericht vom 12. Mai 2011 angegeben, dass ihm die Beurteilung der Fibromyalgie in sozialmedizinischer Weise nicht möglich sei. Dr. B., Facharzt für Orthopädie, hat in seinem Befundbericht vom 31. Mai 2011 dargelegt, dass er die Klägerin nur bis Dezember 2010 behandelt habe. Er habe eine Spondylosis deformans und eine beginnende Coxarthrose beidseits diagnostiziert. Dr. A., Facharzt für Allgemeinmedizin, hat in seinem Befundbericht vom 19. Juli 2011 ausgeführt, dass die Beweglichkeit der Klägerin insgesamt schlechter geworden sei. Es hätten sich Verschleißerscheinungen im Lumbalbereich und im Bereich beider Hüftgelenke gezeigt.

Das SG hat ein nervenfachärztliches Gutachten in Auftrag gegeben. Der Sachverständige Dr. V., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, hat in seinem Gutachten vom 04. April 2012 ausgeführt, dass bei der Klägerin eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode, bestünden. Die Diagnose der Multiplen Sklerose sollte in Frage gestellt werden, da eindeutige neurologische Defizite nicht nachweisbar seien, eine MRT-Untersuchung des Schädels lediglich diskrete Marklagerauffälligkeiten gezeigt habe und die ursprüngliche Verdachtsdiagnose nur auf einer Auffälligkeit bei einer Nervenwasseruntersuchung beruht habe, die auch andere Ursachen haben könne. Die Diagnose der Multiplen Sklerose habe zu der erheblichen Verunsicherung der Klägerin beigetragen. Die Klägerin könne noch körperlich leichte Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen bei wechselnder Körperhaltung über sechs Stunden täglich verrichten. Eine überwiegend sitzende Tätigkeit sei möglich. Einseitige körperliche Belastungen, Zwangshaltungen, wie Bücken, Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, Arbeiten im Knien und Hocken sowie Gerüst- und Leiterarbeiten seien zu vermeiden. Arbeiten in Wechselschicht seien ohne Nachtschicht möglich unter Vermeidung besonderen Zeitdrucks. Auch Arbeiten mit häufigem Publikumsverkehr seien möglich. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei eingeschränkt. Sie könne aber vor und nach einer Arbeitsschicht jeweils zum öffentlichen Verkehrsmittel und vom öffentlichen Verkehrsmittel zum Arbeitsplatz ohne unzumutbare Schmerzen und ohne erhebliche Beschwerden jeweils mehr als 500 Meter zu Fuß in angemessener Zeit (deutlich unter 20 Minuten) zurücklegen. Die Einschätzung im Entlassungsbericht der psychosomatischen Reha-Behandlung in B. S., dass die Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von lediglich drei bis unter sechs Stunden täglich vorliege, lasse sich aus den Befunden nicht hinreichend plausibel ableiten. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hätten keine neurologischen Ausfälle vorgelegen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. Mai 2012 hat der Sachverständige Dr. V. ausgeführt, dass er weiterhin davon ausgehe, dass die im Rahmen der Reha-Behandlung getroffene Leistungseinschätzung nicht hinreichend konsistent aus Befunden, Verhaltensbeobachtung und Anamnese ableitbar sei. Die von der Klägerin gemachten Angaben, z.B. zur Einschränkung der Hausarbeit, seien durch entsprechende Befunde nicht hinreichend unterlegt. Die Gesundheitsstörungen der Klägerin seien nicht so weit ausgeprägt, dass hieraus eine quantitative Leistungsminderung abgeleitet werden könne. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 30. Mai 2012 abgewiesen. In Auswertung des überzeugenden Gutachtens von Dr. V. sei davon auszugehen, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden täglich tätig sein könne. Bei ihr sei auch nicht von einer teilweisen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auszugehen. Der bisherige Beruf der Klägerin sei der einer Produktionshelferin. Diesen Beruf könne sie nicht mehr ausüben, da diese Tätigkeit mit Stressbelastung verbunden sei und in Wechselschicht und Akkordarbeit verrichtet werde. Sie sei allerdings in die Gruppe der unteren Angelernten einzustufen und könne somit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden.

Gegen das am 21. Juni 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 05. Juli 2012 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Nach ihrer Einschätzung lägen weitergehende Leistungseinschränkungen vor. Die Einschätzung von Dr. V. sei schon deswegen zweifelhaft, weil er die Diagnose der Multiplen Sklerose angezweifelt habe. Es seien weitere medizinische Ermittlungen durch Einholung eines schmerztherapeutischen Gutachtens notwendig. Sie leide unter erheblichen Schmerzzuständen, die es ihr unmöglich machten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Ihr sei dauerhaft die Arbeitsunfähigkeit durch die behandelnden Ärzte bescheinigt worden.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. Mai 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 31. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 28. Dezember 2009 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. Mai 2012 zurückzuweisen.

Aus den vorliegenden medizinischen Befunden würden sich keine Hinweise dafür ergeben, dass das Leistungsvermögen der Klägerin in qualitativer Hinsicht gemindert sei.

Der Senat hat Befundberichte eingeholt. Dr. P., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, hat in ihrem Befundbericht vom 26. November 2012 ausgeführt, dass die Klägerin bei der letzten Vorstellung am 08. Oktober 2012 angegeben habe, dass seelisch alles gut sei. Probleme habe sie beim Gehen. Deswegen sei sie in Behandlung. Der Alltag funktioniere mit Hilfe der Familie. Die Klägerin leide an einer depressiven Episode, an Dysthymie und an einer Somatisierungsstörung. Eine Besserung sei nach dem Krankenhausaufenthalt zu verzeichnen gewesen. Insgesamt sei ein wechselhafter Verlauf zu verzeichnen mit einer reduzierten Belastbarkeit. Dr. W., Facharzt für Anästhesiologie, hat in seinem Befundbericht vom 26. November 2012 ausgeführt, dass er bei der Klägerin ein chronisches Schmerzsyndrom und Fibromyalgie diagnostiziert habe. Eine Verschlechterung der Befunde bzw. eine Besserung sei nicht zu verzeichnen. Dr. M., Facharzt für Innere Medizin, hat in seinem Befundbericht vom 30. November 2012 angegeben, dass ein Fibromyalgiesyndrom bestehe. Eine Änderung habe sich nicht ergeben. Die Erkrankung sei im Verlauf gleichbleibend. In seinem Befundbericht vom 27. November 2012 hat der Arzt für Neurologie Dr. O. ausgeführt, dass die Klägerin bei der letzten Kontrolluntersuchung am 08. Oktober 2012 keine neuen Krankheitssymptome beschrieben habe. Es habe sich zwischenzeitlich ein depressiver Verstimmungszustand entwickelt, der medikamentös behandelt werde. Es bestehe eine vermehrte Müdigkeit und vorzeitige Erschöpfbarkeit. Dies sei als Fatique-Symptomatik im Rahmen der Grunderkrankung zu deuten. Es sei somit in der Vergangenheit zu einer weiteren Verschlechterung im Allgemeinbefinden und in der Belastbarkeit der Patientin im Alltag gekommen. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. M. hat in seinem Befundbericht vom 18. Dezember 2012 dargelegt, dass die Klägerin auch nach der zweimonatigen stationären Behandlung weiterhin subjektiv und objektiv deutlich eingeschränkt sei. Es bestünden immer wieder deutlich depressive Beschwerden mit zum Teil diffusen körperlichen Beschwerden im Sinne einer Somatisierung. Insgesamt zeige sich eine kontinuierliche Verschlechterung des körperlichen, aber auch neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbildes. Die Klägerin hat sich vom 09. Januar bis zum 21. Januar 2013 in stationärer Behandlung befunden. Im Verlegungsbrief des A.-Klinikums Krankenhaus G. vom 21. Januar 2013 ist ausgeführt worden, dass am 10. Januar 2013 eine zementfreie Hüft-Total-Endoprothese rechts implantiert worden sei. Die Klägerin habe mit reizlosen Wundverhältnissen und bei subjektivem Wohlbefinden in die Anschlussheilbehandlung verlegt werden können. Vom 21. Januar 2013 bis 11. Februar 2013 hat die Klägerin an der Anschlussheilbehandlung teilgenommen. In dem Entlassungsbericht ist angegeben worden, es sei eine zementfreie Hüft-TEP rechts bei Coxarthrose rechts durchgeführt worden. Darüber hinaus bestünden eine Multiple Sklerose und eine Depression. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt körperlich leichte Tätigkeiten mit kurzzeitig mittelschweren Anteilen sechs Stunden und mehr verrichten, wenn sie im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen erfolgten. Zwangsweises Sitzen, einseitiges Stehen oder Gehen sowie Bücken, Hocken, Knien, häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten von mehr als 10 kg sollten vermieden werden. Weiterhin vermieden werden müssten Ganzkörpervibrationen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten mit erhöhten Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie Arbeiten mit Überwachung oder Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge. Das Gehen an zwei Unterarmgehstützen sei für gut 700 bis 1000 m möglich, das Treppensteigen erfolge unauffällig. Nach Abtrainieren der Unterarmgehstützen und bei einem weiteren komplikationslosen Verlauf sei mit einer Wiederaufnahme einer geeigneten beruflichen Tätigkeit vollschichtig ab Mitte Mai 2013 zu rechnen. Auf Grund der neurologischen Begleiterkrankung und der Depression bestünden jedoch Einschränkungen. Die Klägerin hat darüber hinaus noch diverse Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eingereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, weil der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 31. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2010 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Das SG hat die dagegen gerichtete Klage zu Recht abgewiesen.

Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI haben Versicherte, wenn die entsprechenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, dann einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind. Nach Satz 2 der genannten Vorschrift ist derjenige teilweise erwerbsgemindert, der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3, Zweiter Halbsatz SGB VI). Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin seit Dezember 2009 bis heute noch in der Lage war und ist, mindestens sechs Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Sie kann dabei Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten, wobei ein Wechsel zwischen diesen drei Haltungsarten zu bevorzugen ist. Arbeiten im Gehen und Stehen sollten hierbei aber nicht 50 % der täglichen Arbeitszeit überschreiten. Arbeiten überwiegend im Sitzen sind möglich, sie sollten aber durch kurze Phasen stehender oder gehender Tätigkeit unterbrochen werden können. Weiterhin möglich sind Arbeiten mit gelegentlichen einseitigen körperlichen Belastungen bzw. Zwangshaltungen wie Bücken, Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel. Arbeiten im Hocken und Knien sollten vermieden werden, auch Gerüst- und Leiterarbeiten. Arbeiten im Freien müssen unter Witterungsschutz und unter Vermeidung starker Temperaturschwankungen, Zugluft und Nässe verrichtet werden. Die Klägerin kann noch Arbeiten mit geistig einfachen bis gelegentlich mittelschwierigen Anforderungen verrichten. Arbeiten in Wechselschicht ohne Nachtschicht unter Vermeidung besonderen Zeitdrucks sind möglich. Dies gilt auch für Arbeiten mit häufigem Publikumsverkehr.

Insoweit folgt der Senat auf Grund eigener Urteilsbildung den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. V. in dem Gutachten vom 04. April 2012 und der ergänzenden Stellungnahme vom 22. Mai 2012 sowie den Ausführungen im ärztlichen Entlassungsbericht vom 13. Februar 2013 zur Maßnahme der medizinischen Rehabilitation vom 21. Januar 2013 bis zum 11. Februar 2013. Hiernach ist bei der Klägerin von folgenden Diagnosen auszugehen:

anhaltende somatoforme Schmerzstörung,

rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode,

Implantation einer zementfreien Hüft-TEP rechts am 10. Januar 2013 bei Coxarthrose rechts,

Multiple Sklerose.

Der Sachverständige Dr. V. hat überzeugend ausgeführt, dass sich eine quantitative Leistungseinschränkung bei der Klägerin nicht objektivieren lasse. Inwieweit hier die Diagnose Multiple Sklerose zu bestätigen sei, könne offen bleiben, da es allein auf die Funktionseinschränkungen ankomme. Im Untersuchungsverlauf sei eine eher leichte depressive Stimmung feststellbar gewesen. Die Psychomotorik habe sich diskret verlangsamt gezeigt. Es hätten sich keine Anzeichen für Angst oder innere Unruhe gezeigt. Der Affekt sei vermindert schwingungsfähig gewesen. Aufmerksamkeit und Konzentration seien über zwei Stunden nicht gestört gewesen. Zum Tagesablauf habe die Klägerin Hausarbeit, Spaziergänge, Fahrrad fahren und auch einmal wöchentlich Schwimmen und Gymnastik angegeben. Insbesondere der von der Klägerin geschilderte Tagesablauf verdeutlicht, dass die Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht das Maß einer Erwerbsminderung erreicht. Die Klägerin bewohnt mit ihrem Ehemann ein Einfamilienhaus mit Garten. Sie kocht regelmäßig für ihren Ehemann, geht Einkaufen oder auch spazieren. Großeinkäufe werden gemeinsam mit dem Ehemann erledigt. Kleinere Einkäufe erledigt sie selbst mit dem Fahrrad. Einmal in der Woche geht sie zur Gymnastik oder auch zum Schwimmen. Die sozialen Kontakte sind ebenfalls nicht vollständig aufgehoben. So schildert der Ehemann der Klägerin, dass es zu regelmäßigen Doppelkopfspielen im Freundeskreis komme. Es könne lediglich nicht zu lange gespielt werden, da sie nicht lange sitzen könne. Diese Leistungseinschätzung wird durch den ärztlichen Entlassungsbericht vom 13. Februar 2013 gestützt, der ebenfalls davon ausgeht, dass die Klägerin jedenfalls körperlich leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten kann. Im Hinblick auf die diagnostizierte Coxarthrose und die Implantation einer zementfreien Hüft-TEP rechts am 10. Januar 2013 erscheinen auch die qualitativen Leistungseinschränkungen (zu bevorzugende wechselnde Körperhaltung, die Vermeidung von Zwangshaltungen, Ganzkörpervibrationen und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten) plausibel. Den psychiatrischen Erkrankungen der Klägerin werden nach diesem Entlassungsbericht qualitative Einschränkungen im Hinblick auf die Vermeidung von erhöhten Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie von Arbeiten mit Überwachung oder Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge gerecht. Auch in dieser Einschätzung wird davon ausgegangen, dass das psychiatrische Erkrankungsbild der Klägerin zu keiner quantitativen Leistungseinschränkung führt. Hieraus ergibt sich ebenfalls, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin während des Berufungsverfahrens nicht derart verschlechtert hat, dass sich eine quantitative Leistungseinschränkung ergibt. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P. hat in ihrem Befundbericht vom 26. November 2012 ausgeführt, dass die Klägerin bei der letzten Vorstellung am 08. Oktober 2012 angegeben habe, dass seelisch bei ihr alles gut sei. Sie habe Probleme beim Gehen, weswegen sie auch in Behandlung sei. Der Alltag funktioniere mit Hilfe der Familie. Damit wird deutlich, dass das Leistungsvermögen der Klägerin im Alltag nicht aufgehoben ist. Der Verlauf der psychiatrischen Erkrankung lässt keine Verschlechterung erkennen, so dass die Einschätzung des Sachverständigen Dr. V. weiterhin Gültigkeit beanspruchen kann. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren vorträgt, dass Dr. V. die Diagnose der Multiplen Sklerose fälschlicherweise negiert hat, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Dr. V. hat in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt, dass es nicht auf die Diagnosestellung als solche ankommt, sondern auf die damit verbundenen Funktionseinschränkungen. Mit den Funktionseinschränkungen hat sich der Sachverständige ausführlich auseinandergesetzt und kam zu dem überzeugenden Ergebnis, dass jedenfalls eine quantitative Leistungseinschränkung nicht besteht. Dementsprechend ist auch die Einholung eines schmerztherapeutischen Gutachtens entbehrlich, da Dr. V. die somatoforme Schmerzstörung in seiner Betrachtung ausreichend gewürdigt hat. Auch der Hinweis auf die wiederholten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen lässt keine andere Beurteilung zu, da eine Arbeitsunfähigkeit keine Rückschlüsse auf eine Erwerbsminderung zulässt.

Ist die Klägerin danach schon nicht teilweise erwerbsgemindert, so ist sie erst recht nicht voll erwerbsgemindert. Denn dies erfordert gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, dass eine Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Da die Klägerin, wie dargelegt, noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, erfüllt sie dieses Kriterium nicht.

Sie ist auch nicht deshalb voll erwerbsgemindert, weil sie wegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein könnte. Ihr Restleistungsvermögen reicht vielmehr noch für leichte körperliche Verrichtungen wie z. B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählung in dem Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95 –, SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33 f.; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt in BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R –, juris, Rdnr. 14 ff.).

Schließlich ist sie auch nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert, einen Arbeitsplatz aufzusuchen (sog. Wegefähigkeit, vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R –, juris). Eine Einschränkung im Hinblick auf die Wegefähigkeit der Klägerin liegt nicht vor. Der Sachverständige Dr. V. hat überzeugend ausgeführt, dass die Klägerin noch in der Lage ist, vor und nach einer Arbeitsschicht jeweils zum öffentlichen Verkehrsmittel und vom öffentlichen Verkehrsmittel zum Arbeitsplatz ohne unzumutbare Schmerzen und ohne erhebliche Beschwerden jeweils mehr als 500 m zu Fuß in angemessener Zeit (deutlich unter 20 Minuten) zurückzulegen. Auch nach der Implantation der zementfreien Hüft-TEP am 10. Januar 2013 ist nicht von einer signifikanten Einschränkung der Wegefähigkeit der Klägerin auszugehen. In dem Entlassungsbericht vom 13. Februar 2013 wird hierzu angegeben, dass unter Verwendung von zwei Unterarmgehstützen eine Wegstrecke von 700 bis 1000 m zurückgelegt werden könne. Das Treppensteigen erfolge unauffällig. Nach Abtrainieren der Stützen sei bei weiterem komplikationslosen Verlauf mit einer Wiederaufnahme einer geeigneten beruflichen Tätigkeit vollschichtig ab Mitte Mai 2013 zu rechnen. Insoweit ergeben sich auch hieraus keine Einschränkungen im Hinblick auf die Wegefähigkeit, zumal diese durch die Hüftoperation verbessert werden sollte.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

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