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Vorliegen eines Arbeitsunfalls bei unaufklärbarem Geschehensablauf

Bayerisches Landessozialgericht – Az.: L 18 U 13/06 – Urteil vom 25.05.2011

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 06.12.2005 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Unfalles vom 21.10.2003, den der verstorbene Ehemann und Vater der Kläger A. (HS) auf dem eigenen landwirtschaftlichen Hof erlitt.

HS war zu dem Zeitpunkt als landwirtschaftlicher Unternehmer (Nebenerwerbslandwirt) bei der Beklagten zu Beiträgen versichert. Im Übrigen war er als Landmaschinenmechaniker abhängig beschäftigt.

Laut der Aufnahmeanzeige des Klinikums L. vom 22.10.2003 wurde HS am 21.10.2003 dort als Notaufnahme in der Unfallchirurgie eingeliefert. Der Durchgangsarzt stellte eine ausgedehnte, stark blutende Kopfplatzwunde rechts, einen Alkoholrausch sowie einen Verdacht auf SHT fest und vermerkte in seinem Bericht, der Patient habe anfangs unterschiedliche Angaben zum Unfallhergang gemacht. Zunächst sei von einem Holzspalter die Rede gewesen, später habe er berichtet, dass beim Melken im Stall eine junge Kuh ausgetreten und ihn am Kopf getroffen habe. Er sei nach eigenen Angaben nicht bewusstlos gewesen und nach dem Unfall selbst ins Haus zur Ehefrau (Klägerin zu 1) gelaufen.

Vorliegen eines Arbeitsunfalls bei unaufklärbarem Geschehensablauf
Symbolfoto: Von ESB Professional/Shutterstock.com

Mit Unfallanzeige der Klägerin zu 1) vom 03.11.2003 wurde mitgeteilt, der Ehemann befände sich zurzeit im Koma, der exakte Unfallhergang könne deshalb nur nach den Aussagen gemacht werden, die vom Verletzten zuvor noch getätigt worden seien. Der Verletzte habe sich im Stall befunden und habe Tiere umhängen wollen. Er sei deshalb mit einer blutenden Kopfwunde in die sog. „Schmutzschleuse“ gekommen und habe noch gesagt, dass ihn eine Kuh getroffen habe. Die Ehefrau habe ihm einen Verband angelegt und den Rettungswagen bestellt. Am 28.10.2003 sei der Verletzte ins Koma gefallen.

Ausweislich des Befundberichts des L.-Krankenhauses Sch. vom 11.12.2003 (SG 90) wurde HS am 28.10.2003 dort eingeliefert und noch in der Nacht operiert (Entlastung eines Subduralhämatoms). Diagnostiziert wurde eine Mittelhirneinklemmung sowie ein Totalinfarkt des Versorgungsgebietes des rechten A. cerebri posteriori und ein kleinerer vorderer Stammganglieninfarkt. HS wurde dann in die Neurologische Klinik Bad N. zur neurologisch-neurochirurgisch-frührehabilitativen Behandlung verlegt. Dort zeigte sich ab 16.12.2003 ein symptomatisches zerebrales Anfallsleiden. Nach den Angaben der Klinik und des Arztes für Neurologie Dr. F. zeigte sich HS bei späteren Untersuchungen zeitlich und autopsychisch nur teilweise, situativ nicht orientiert bei vermindertem Sprachverständnis und Hinweisen für eine Sprachstörung; verbale Äußerungen seien nicht zu erhalten, die Orientierung nicht prüfbar bei schwerer hirnorganischer Schädigung.

Die Klägerin zu 1) wurde mit Beschluss des Amtsgerichts L. vom 24.11.2003 als Betreuerin für die Gesundheitsfürsorge, die Aufenthaltsbestimmung, die Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen und die Vermögenssorge bestellt.

Mit Bescheid vom 02.02.2004 stellte die Beklagte fest, dass ein landwirtschaftlicher Arbeitsunfall nicht vorliege.

Hiergegen wurde durch die Klägerin zu 1) für HS Widerspruch erhoben mit der Begründung, der Versicherungsschutz sei nicht wegen Volltrunkenheit entfallen. Der Blutalkoholgehalt spiele dabei keine allein entscheidende Rolle. Da HS als Spiegeltrinker trotz der bestehenden Blutalkoholkonzentration weiterhin wirtschaftlich sinnvolle Tätigkeiten habe verrichten können, habe im Zeitpunkt des Unfalls keine Lösung vom Betrieb vorgelegen. In diesem Zusammenhang sei zu beachten, dass die zu verrichtenden Arbeiten (das Melken der Kühe) routinemäßig und ohne hohe geistige Konzentration zu erledigen gewesen sei. Zwischen der versicherten Tätigkeit, nämlich dem Melken und dem Unfallereignis, dem Austreten einer Kuh, bestehe ein ursächlicher Zusammenhang.

Die Beklagte führte Ermittlungen durch insbesondere zu den Vorerkrankungen des HS sowie zu den Örtlichkeiten auf dem Hof. Bei einer Inaugenscheinnahme der Unfallstelle am 15.11.2004 wurde festgestellt, dass sich die Klägerin zu 1) zum Zeitpunkt des Unfalles in der Waschküche des bäuerlichen Anwesens befunden habe. Ihren Mann habe sie wie üblich im Kuhstall vermutet. An seinem freien Tag habe er sich meistens vormittags im Stall aufgehalten, um zum Beispiel Kühe umzustellen. Sie habe gehört, wie der Verletzte die Schmutzschleuse betreten und in den Spiegel gesehen habe und dann dabei auch bemerkt, dass sich ihr Ehemann eine stark blutende Kopfwunde zugezogen habe. Anlässlich des Augenscheins wurde weiter festgestellt, dass die Holzspalte-Maschine nicht einsatzbereit gewesen sei. Die Kühe seien zum Unfallzeitpunkt (circa 10:00 Uhr) schon alle gemolken gewesen, da das Milchauto immer schon um 6:00 Uhr die Milch abhole. Der Eingang zum Kuhstall befinde sich ca. 3 m gegenüber der Schmutzschleuse. Da die Wunde stark geblutet habe, schließe sich ein längerer Fußweg fast von selbst aus. Zum Alkoholkonsum habe die Ehefrau ausgeführt, der Verletzte sei selten aufgrund des Alkohols auffällig gewesen. Eine Entziehungskur 2000 sei leider erfolglos geblieben. Nach dem Unfall seien 5 Kästen Bier in der Scheune gefunden worden. „Offiziell“ habe es im Haus nur einen Kasten Bier gegeben. Die Ehefrau habe weiter angegeben, dass sich der Verletzte zum Unfallzeitpunkt fast normal gegeben habe.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.01.2005 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin zu 1) für HS am 25.02.2005 Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. Das SG hat Akten der zuständigen Sozialversicherungsträger sowie Unterlagen der behandelnden Ärzte und Kliniken beigezogen und eine Stellungnahme des Deutschen Wetterdienstes zum Wetter am Unfalltag eingeholt. Am 18.05.2005 hat das SG zudem die Klägerin zu 1) sowie den Rettungssanitäter J. W. (J. W.) und die technische Aufsichtsbeamtin P. K. (K.) der Beklagten, die den Augenschein am 15.11.2004 durchgeführt hatte, als Zeugen vernommen.

Mit Gerichtsbescheid vom 06.12.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist in dem Gerichtsbescheid folgendes ausgeführt: Es stehe weder nach den eigenen Angaben des HS noch nach der durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass HS zum Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit verrichtet habe. Seinen ursprünglichen Angaben in der Klinik zufolge habe er sich an einem Holzspalter verletzt. Diese Angaben habe er dann dahingehend korrigiert, dass beim Melken im Stall eine junge Kuh ausgetreten und ihn am Kopf getroffen habe. Beide Darstellungen seien unzutreffend, da die Kühe zum Unfallzeitpunkt schon gemolken gewesen seien und nicht ersichtlich sei, dass etwa eine erkrankte Kuh später hätte gemolken werden müssen. Der Holzspalter sei nachweislich am Unfalltag nicht in Betrieb gewesen. Ein Umhängen der Kühe durch HS sei unwahrscheinlich, da er bei seiner Aufnahme in die Klinik eine solche Angabe nicht gemacht habe und die Ehefrau insoweit unglaubhaft sei. Sie habe nämlich bei ihrer Einvernahme durch das Gericht andere Angaben dazu gemacht, wann ihr HS mitgeteilt habe, dass ihn eine Kuh getroffen habe, als in ihrer Unfallanzeige. Auch habe sie die Zeugin K. im Rahmen der von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen nicht auf den von ihr selbst bereits noch am Unfalltag in der Scheune aufgefunden Blutfleck hingewiesen. Ein Blutfleck sei ein bedeutsamer Umstand, der für die Aufklärung des Geschehensablaufes eine wichtige Funktion habe, gerade weil er sich nicht im Stall befunden habe. Derzeit sei nach eigenen Angaben der Blutfleck am Unfalltag bekannt geworden, was auch durch einen Eintrag des behandelnden Arztes in die beigezogenen Krankenblätter bestätigt werde. Es hätte daher nahe gelegen, bereits in der Klagebegründung auf diesen Umstand hinzuweisen. In der Betreuungssache habe die Ehefrau gegenüber dem zuständigen Richter des Amtsgerichts L. am 10.05.2004 angegeben, HS habe sich die Kopfverletzung auf nicht bekannte Weise zugezogen. Insgesamt sei durch die Ehefrau und Zeugin nicht bewiesen, welche Tätigkeit HS zum Unfallzeitpunkt verrichtet habe. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass HS etwa zum Unfallzeitpunkt Stroh zum Einstreuen habe holen wollen. Es hätte nahe gelegen, auf diese Möglichkeit von Anfang an hinzuweisen. Zudem seien weder am Hubwagen noch an der Rundballengabel Blutspuren vorhanden gewesen, die als Hinweis für Vorbereitungshandlungen für den Transport der Strohballen hätten dienen können. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass sich HS im Stall verletzt und dann in die Scheune begeben habe. Es fehlten Blutspuren im Stall. Es sei ebenfalls nicht davon auszugehen, dass HS zu diesem Zeitpunkt bereits so verwirrt gewesen sei, dass er orientierungslos umhergeirrt sei und deswegen erst in die Scheune und dann in die Schmutzschleuse gegangen sei. Dagegen spreche, dass HS nach Angaben der Zeugin sehr zielgerichtet den Spiegel aufgesucht habe, um sich die Verletzung anzuschauen. Zudem sei er im Erstbefund als zeitlich und örtlich orientiert beschrieben worden. Es sei daher die Verrichtung einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt in gleicher Weise und mit derselben Wahrscheinlichkeit denkbar wie die einer versicherten Tätigkeit. HS habe auf dem Anwesen Alkohol versteckt und es sei genauso wahrscheinlich, dass er dabei verunglückt sei, als er nach Alkohol gesucht habe. Die Zeugin habe wörtlich ausgeführt, dass HS die Angewohnheit gehabt habe, von seinem Alkoholkonsum abzulenken und diesen zu verbergen. Auch wenn in bestimmten Fällen besondere Beweisschwierigkeiten des Versicherten bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen seien und dem Erinnerungsverlust Rechnung zu tragen sei, könne nicht davon ausgegangen werden, dass das Vorliegen einer versicherten Tätigkeit mit der notwendigen Gewissheit festgestellt sei. Anhaltspunkte für eine echte Beweislastumkehr seien nicht ersichtlich. Es liege auch nicht deshalb ein Beweisnotstand vor, weil HS aufgrund des Schädel-Hirn-Traumas nicht mehr zum Unfallgeschehen habe befragt werden können. Es sei auch nirgendwo eine Verschmutzung der Wunde beschrieben worden. Am Huf einer in einem Stall mit einer Schwemmentmistung stehenden Kuh hafteten Verunreinigungen. Da nicht vorgetragen worden sei, dass die Wunde noch in der „Schmutzschleuse“ ausgewaschen worden sei, sei nicht von dieser Möglichkeit auszugehen.

Dagegen hat die Klägerin zu 1) für HS Berufung eingelegt. Zur Begründung wurde zusammengefasst folgendes ausgeführt: Es sei zwar richtig, dass die Grundsätze der so genannten Wahlfeststellung nicht eingriffen, da nicht alle denkbaren Unfallhergänge unter Versicherungsschutz fallen. Es sei aber ein Beweisnotstand anzuerkennen, da HS nicht mehr vernehmungsfähig sei und voraussichtlich auch nicht mehr werde. Als Ausgangspunkt sei der Blutfleck in der Garage zwischen der hinteren Wand und zwei aufeinandergestapelten Heuballen anzunehmen. Es sei nicht davon auszugehen, dass HS diesen Ort nach dem Unfall aufgesucht habe. Er müsse vielmehr gewisse Zeit da gelegen haben. Die Wunde lasse auf einen Anprall auf einen scharfkantigem Gegenstand schließen. Dass keine Blutanhaftungen gefunden worden seien, sage nichts aus, da Blutanhaftungen an scharfkantigen Gegenständen nicht zwingend feststellbar seien. Außerdem sei ein Strohballen am Unfalltag im Stall benötigt worden. Daraus lasse sich nur der Schluss ziehen, HS habe einen Strohballen aus der Garage holen wollen, er habe das Gleichgewicht verloren, als er den oberen Strohballen Richtung Schlepper herunterziehen wollte und sei mit dem Kopf an den Hubwagen geprallt. Die früheren Angaben des HS seien nicht verwertbar, da eine Bewusstseinsstörung infolge Schädel-Hirn-Traumas mit entsprechender anamnestischer Lücke bei ihm bestanden habe. Andere Unfallursachen würden ausscheiden, insbesondere gebe es keinen Hinweis darauf, dass Alkohol gesucht worden sei. Zudem habe das Sozialgericht den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt; es habe psychopathologische Auffälligkeiten im Sinne einer qualitativen Veränderung der Bewusstseinslage des HS außer Acht gelassen. Hinsichtlich des Blutflecks sei nicht aufgeklärt, ob die Garage allein möglicher Unfallort sei. Es seien keine Rückschlüsse aus Verletzungen des Opfers auf den Unfallhergang erfolgt; z.B. sei das Hämatom am rechten Ellenbogen unbeachtet geblieben, hinsichtlich der Kopfwunde spreche vieles für eine scharfe Kante als Ursache. Ein Sturz auf glattem Boden sei unwahrscheinlich. Es sei auch unzutreffend, dass eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit mit der gleichen Wahrscheinlichkeit denkbar sei. Die vom SG herangezogenen Hinweise (versteckter Alkohol, Alkoholabusus des HS, unzutreffende Angaben zum Unfallgeschehen) hätten näher aufgeklärt werden müssen. Aufgedrängt hätten sich z.B. Nachforschungen zum Trinkverhalten des HS in seiner Arbeitsstätte; es fehlten medizinische Feststellungen dafür, durch welches Trinkverhalten sich eine BAK von 2,2 Promille erkläre; erst dann rechtfertige sich die These, dass HS früh um 10 Uhr nach Alkohol gesucht habe. Alkohol habe HS zudem allein in der Scheune gelagert, nicht aber in der Garage.

2010 ist HS verstorben; die Kläger haben erklärt, als Erben den Rechtsstreit fortzusetzen.

Die Kläger beantragen, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth sowie den Bescheid der Beklagten vom 2.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2005 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 21.10.2003 ein versicherter Arbeitsunfall war.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen

Sie verweist in mehreren Schriftsätzen darauf, dass die Klägerseite zwar vielfältige Aussagen zum möglichen tatsächlichen Unfallhergang und zu weiteren umfangreichen, wenig Erfolg versprechenden Ermittlungen gemacht habe, jedoch lediglich die bloße Möglichkeit bestehe, dass der Unfall beim Strohholen passiert sei. Das SG habe ausreichend ermittelt. Weitergehende Ermittlungen zum Trinkverhalten des HS seien angesichts des laufenden Verfahrens von eher geringem Beweiswert.

Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakte, der Akte des Sozialgerichts Bayreuth (S 11 U 5023/05) sowie der Akte des Landessozialgerichts verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) Berufung des 2010 verstorbenen HS, die durch seine Rechtsnachfolger fortgeführt wird, ist unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG), mit der unter Aufhebung der Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 02.04.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2005 die gerichtliche Feststellung begehrt wird, dass das Ereignis vom 21.10.2003 ein Arbeitsunfall ist.

Die Berufung ist unbegründet, weil der angefochtene Gerichtsbescheid zu Recht festgestellt hat, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Ereignis vom 21.10.2003 nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) handelte.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3, 6 des SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit), § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (dem Unfallereignis) geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 27/07 R ).

Der innere Zusammenhang zwischen dem konkreten unfallbringenden Verhalten und dem generell versicherten Tätigkeitsbereich des Versicherten ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu der nach dem Gesetz der Unfallversicherungsschutz reicht (vgl. BSG, Urteil vom 10.10.2006, B 2 U 20/05 = SozR 4-2700 § 8 Nr 19). Für die tatsächlichen Grundlagen der anzustellenden Wertentscheidung ist der volle Nachweis zu erbringen; bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss also der volle Beweis für das Vorliegen der versicherten Tätigkeit als erbracht angesehen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 20.02.2001,

B 2 U 6/00 R = EzS 40/627und BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 13/07 R, SozR 4-2700 § 8 Nr 26 mit weiteren Nachweisen). Der geringere, mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit umschriebene, z.B. für Kausalitätsfragen geltende Überzeugungsgrad reicht insofern nicht aus. Eine Tatsache ist zur vollen Überzeugung bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen, d.h. wenn ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse überschauender Mensch keine Zweifel hat (vgl. z.B. BSG vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B 4; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 118 Rn 5, § 128 Rn 3 mwN; Bereiter-Hahn, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 Rn 10.1 mwN). Für die wertende Entscheidung, ob die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, kommt der Handlungstendenz des grundsätzlich Versicherten, so wie sie durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird, besondere Bedeutung zu (vgl. BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 11/04 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 14). Denn aufgrund der Handlungstendenz kann beurteilt werden, ob der Versicherte mit seiner konkreten Verrichtung zur Zeit des Unfalls eine dem Versicherungsschutz unterfallende Tätigkeit ausüben wollte.

Diese Voraussetzungen für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls liegen nicht vor, da weder nach den eigenen Angaben des Klägers noch nach der Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen zur vollen Überzeugung des Senats feststeht, dass HS zum Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit verrichtet hat. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen weist der Senat die Berufung daher aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids des SG vom 06.12.2005 zurück (§ 153 Abs. 3 SGG). Ergänzend ist lediglich auf das Folgende hinzuweisen.

Auch die im Berufungsverfahren in den Mittelpunkt der klägerischen Argumentation gerückten Überlegungen vermögen die Zweifel des Senats an dem Tatbestandsmerkmal „Ausübung einer versicherten Tätigkeit“ nicht zu beseitigen. Diese Argumentation baut auf dem in der „Garage“ hinter einem Heuballen gefundenen Blutfleck auf, aus dem geschlossen wird, HS sei bei einer versicherten Tätigkeit verunglückt. Wo sich HS seine Verletzungen beigezogen hat und wie der Blutfleck in die Garage kommt, ist indes aus dem Blutfleck nicht zweifelsfrei zu erklären und auch nicht aufklärbar. Selbst wenn HS an der fraglichen Stelle in der Garage gelegen und dort den Blutfleck hinterlassen hat, ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass er in der Garage bei Verrichtung einer versicherten Tätigkeit gestürzt ist und sich dabei die Verletzungen zugezogen hat. Im Gegensatz zu den Ausführungen im klägerischen Schriftsatz vom 10.10.2007 ist keinesfalls aufgrund der vorliegenden Anhaltspunkte eine Verunfallung des HS beim Strohholen die einzig wahrscheinliche und überzeugende Möglichkeit, sondern verbleibt ebenso spekulativ wie andere Möglichkeiten, zu denen gerade auch eigenwirtschaftliche Tätigkeiten gehören (z.B. Alkoholkonsum, vgl. dazu S. 15 der angefochtenen Entscheidung).

Auch ist der angefochtenen Entscheidung in vollem Umfang zu folgen, wenn sie ausführt, dass die Erstangaben des HS bei seiner Einlieferung in das Klinikum L. nicht als Nachweis für eine versicherte Tätigkeit dienen können, da sie zum einen widersprüchlich sind – als Ursache für die Kopfverletzung nannte HS den Holzspalter oder einen Tritt einer Kuh beim Melken – zum anderen aber auch diese Sachverhaltsvarianten jeweils für sich betrachtet unzutreffend sind, wie im Gerichtsbescheid richtig ausgeführt wird (vgl. S. 9 der Entscheidung). Diese Ausführungen im Gerichtsbescheid setzen sich mit den Ermittlungsergebnissen, insbesondere den Aussagen der Ehefrau des Klägers und den tatsächlichen Feststellungen der Beklagten vor Ort intensiv auseinander.

Auch aufgrund der Angaben der Klägerin zu 1) lässt sich eine Überzeugung von einer versicherten Tätigkeit des HS zum Unfallzeitpunkt nicht gewinnen. Wie das SG insofern in nachvollziehbarer Weise ausgeführt hat, sind die Angaben der Ehefrau zunächst widersprüchlich. In der Unfallanzeige hatte die Ehefrau davon gesprochen, ihr Ehemann habe ihr unmittelbar nach Betreten der sog. Schmutzschleuse mitgeteilt, eine Kuh habe ihn getroffen, während sie in ihrer Zeugenaussage vor dem SG erklärte, der Ehemann habe zunächst keine Angaben gemacht und sie habe ihn erst am Folgetag befragt, was passiert sei. Das SG hat zu Recht darauf verwiesen, dass bedeutsame Situationen bei Betroffenen ein präzises Detailwissen hinterließen, so dass die Abweichungen nicht erklärbar seien. Auch hinsichtlich der sonstigen Ungereimtheiten, die das SG an der Glaubwürdigkeit der Zeugin zweifeln ließ, kann auf die Ausführungen im Gerichtsbescheid verwiesen werden. Insgesamt ergibt sich aus den Angaben der Klägerin zu 1) kein zur vollen Überzeugung des Senats vorliegender Sachverhalt, aus dem auf eine versicherte Tätigkeit des HS geschlossen werden könnte. Da die Zeugin keine eigene Wahrnehmungen vom Unfall gemacht und allenfalls wiedergegeben hat, was sie von ihrem Ehemann gemeint hat, über die Unfallursache gehört zu haben, kann die Glaubwürdigkeit der Zeugin letztlich ohnehin dahingestellt bleiben, da sie nur eine dritte Version des HS wiedergibt, die im Widerspruch zu den schon genannten Versionen steht und deshalb nicht geeignet ist, eine Überzeugung vom tatsächlichen Unfallhergang zu tragen.

Da der mittlerweile verstorbene HS schon zuvor wegen des am 28.10.2003 erlittenen Hirninfarkts auch nach den Angaben der Klägerbevollmächtigten keine Angaben mehr zum Unfallgeschehen machen konnte und der Unfall auch nicht mit Hilfe von Zeugen oder eindeutiger, gesicherter Spuren und Hinweise rekonstruiert werden kann, steht nicht eindeutig fest, dass es sich um einen Unfall bei einer versicherten Tätigkeit handelte. HS hat zwar den Unfalltag nach den insoweit glaubhaften Angaben der Klägerin zu 1) beim SG mit Stallarbeit, insbesondere dem Melken der Kühe begonnen, diese Tätigkeit war aber nach den erkennbaren Umständen, insbesondere der Tatsache, dass die Milch um 6:00 Uhr abgeholt wurde, längst beendet, als die Ehefrau die Verletzung des HS gegen 10:00 Uhr bemerkte. Womit sich HS in der Zwischenzeit beschäftigte, kann nicht mehr aufgeklärt werden. Angesichts der starken Alkoholisierung bei der Einlieferung ins Krankenhaus (2,2 Promille) erscheint es als zumindest nicht fernliegend, dass der Kläger nach Beendigung der Stallarbeit und demnach vor dem Bemerken der Verletzung durch die Klägerin zu 1) die Ausübung von versicherten Tätigkeiten einstellte und sich dem Konsumieren alkoholischer Getränke zuwandte. Dies gilt gerade dann, wenn man davon ausgeht, dass – wie der Klägerbevollmächtigte ausführt – HS „Spiegeltrinker“ war. Es ist mithin nicht unwahrscheinlich, dass dieser darauf aus war, „seinen“ Alkoholspiegel zu erreichen. Jedenfalls musste er, um eine BAK von 2,2 Promille zu erreichen, erhebliche Mengen an Alkohol konsumiert haben, was im Hinblick auf den zwischen Beendigung der Stallarbeit und dem Bemerkung der Verletzung liegenden Zeitraum gegen die Ausübung von versicherten Tätigkeiten zum Zeitpunkt der Verletzung spricht.

Den Klägern kommen auch nicht die Überlegungen zur sogenannten Wahlfeststellung (vgl. BSGE 13, 51, 53) zugute. Nach den auch im Unfallversicherungsrecht anzuwendenden Regeln (vgl. BSG v. 30.06.1999, B 2 U 28/98) dieser Rechtsfigur ist Unfallversicherungsschutz dann zu bejahen, ohne dass es einer bis ins einzelne gehenden Sachaufklärung bedarf, wenn bei nicht aufklärbarem Unfallverlauf alle denkbaren Unfallverläufe und -zusammenhänge zu dem Ergebnis führen, dass die versicherte Tätigkeit – ursächlich im Sinne der unfallversicherungsrechtlichen Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung waren (vgl. auch BayLSG vom 16.09.2009, L 2 U 84/07). Da vorliegend auch Tätigkeiten des HS im Unfallzeitpunkt denkbar sind und nicht ganz fernliegen, die nicht dem Unfallversicherungsschutz unterliegen, sind die Voraussetzungen für die Wahlfeststellung nicht zu bejahen.

Schließlich ist auch bei Anerkennung eines sog. Beweisnotstandes und Anwendung der insoweit von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Beweiserleichterungen eine Anerkennung des Unfalls vom 21.10.2003 als versicherter Arbeitsunfall nicht möglich. Einen Beweisnotstand hat die Rechtsprechung bei einer unfallbedingten Erinnerungslücke (BSG v. 12.06.1990, 2 RU 58/89) oder einem unaufklärbaren Todesfall (BSGE vom 29.03.1963, 2 RU 75/61) anerkannt, weil aufgrund der Eigentümlichkeiten des Sachverhalts in besonders gelagerten Einzelfällen Anlass bestehen kann, verminderte Anforderungen an den Beweis zu stellen (vgl. BSG v. 07.09.2004, B 2 U 25/03 R). Auch in solchen Fällen besteht jedoch keine „Rechtsvermutung“ für einen Arbeitsunfall. Vielmehr hat das Gericht auch in solchen Fällen in freier Beweiswürdigung zu entscheiden (vgl. BSG; aaO, juris Rn.21, 23 f).

Die Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts sind vorliegend erschöpft. Selbst bei einem herabgesetzten Beweismaß reichen die feststellbaren tatsächlichen Anhaltspunkte nicht aus, um eine Überzeugung zu begründen, die die Annahme einer versicherten Tätigkeit rechtfertigt. Auch wenn man berücksichtigt, dass nach dem Tod des HS keine Angaben zum Unfallhergang erhalten werden können, führt die vorzunehmende Beweiswürdigung aber nicht dazu, die Voraussetzungen für das Vorliegen einer versicherten Tätigkeit anzunehmen. Der Sachverhalt ist ausermittelt. Das SG hat nicht nur alle erdenklichen Auskünfte und Beweismittel beigezogen, sondern insbesondere die Ehefrau als die Person vernommen, die dem Geschehensablauf an diesem Morgen am nächsten stand. Im Rahmen des Berufungsverfahrens wurden nochmals umfangreiche medizinische Unterlagen vorgelegt, die aber allesamt nichts über den Geschehensablauf aussagen. Die vom Klägerbevollmächtigten stammenden Beweisanregungen sind nicht geeignet, weiterführende Erkenntnisse zu gewinnen. Die dahinterstehenden Behauptungen, insbesondere die Behauptungen zur Verletzung am Ellenbogen und zur Art der Kopfverletzung können als wahr unterstellt werden oder sie drehen sich um Fragestellungen, die nach den obigen Ausführungen für den Geschehensablauf irrelevant sind wie z.B. die Fragen in Bezug auf das Trinkverhalten. Als tatsächlicher Anhaltspunkt steht daher letztlich nur fest, dass sich HS vor dem Unfall in stark alkoholisiertem Zustand auf dem landwirtschaftlichen Anwesen befand. Sonstige Eigentümlichkeiten des Sachverhalts, die die Annahme eines besonders gelagerten Einzelfalls im Sinne der in Bezug genommenen höchstrichterlichen Rechtswahrung begründen könnten, sind nicht ersichtlich.

Nach den oben dargelegten Grundsätzen hat das SG zu Recht die Anerkennung des Ereignisses vom 21.10.2003 als Arbeitsunfall versagt, so dass die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 06.12.2005 zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Revisionszulassungsgründe (§ 162 SGG) sind nicht ersichtlich.

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