Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Wegeunfall auf dem Arbeitsweg: Rechte und Versicherungsschutz im Fokus
- Der Fall vor Gericht
- Arbeitsunfall durch Sturz beim Taxiaussteigen: LSG verneint Unfallversicherungsschutz
- Schwindelgefühl führte zum Sturz auf dem Arbeitsweg
- Medizinische Befunde bestätigen Synkope als Sturzursache
- Berufsgenossenschaft lehnt Anerkennung als Arbeitsunfall ab
- Landessozialgericht bestätigt: Keine Unfallkausalität bei Sturz durch Synkope
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche Voraussetzungen müssen für die Anerkennung eines Wegeunfalls als Arbeitsunfall erfüllt sein?
- Wann liegt bei einem Unfall eine versicherte Tätigkeit vor?
- Wie wird der ursächliche Zusammenhang zwischen Unfall und versicherter Tätigkeit nachgewiesen?
- Welche Rolle spielen konkurrierende Ursachen bei der Beurteilung eines Wegeunfalls?
- Welche Rechtsmittel stehen bei Ablehnung der Anerkennung eines Wegeunfalls zur Verfügung?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Datum: 06.05.2024
- Aktenzeichen: L 9 U 19/21
- Verfahrensart: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Sozialrecht, Unfallversicherungsrecht
Beteiligte Parteien:
- Klägerin: Eine Service-Assistentin, die am 1. August 2018 einen Sturz erlitt und diesen als Arbeitsunfall anerkennen lassen möchte. Sie argumentiert, dass der Sturz durch ein Stolpern über den Bordstein verursacht wurde.
- Beklagte: Die Unfallversicherung, die die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ablehnt. Sie argumentiert, dass der Sturz auf innere Ursachen wie eine Schwindelattacke zurückzuführen ist.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Die Klägerin erlitt am 1. August 2018 einen Sturz auf dem Weg zur Arbeit, wobei sie sich eine schwere Fraktur zuzog. Der Sturz ereignete sich beim Aussteigen aus einem Taxi vor ihrem Bürogebäude.
- Kern des Rechtsstreits: Die zentrale Frage ist, ob der Sturz als Arbeitsunfall im Sinne eines Wegeunfalls anerkannt werden kann. Streitpunkt ist, ob der Sturz auf äußere Umstände (Stolpern) oder innere Ursachen (Schwindel/Synkope) zurückzuführen ist.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen und die vorherige Entscheidung des Sozialgerichts bestätigt. Das Sturzereignis wird nicht als Arbeitsunfall anerkannt.
- Begründung: Das Gericht befand, dass die Angaben der Klägerin und medizinische Berichte darauf hindeuten, dass das Unfallereignis durch eine innere Ursache (Schwindel/Synkope) und nicht durch die versicherte Tätigkeit (Stolpern über den Bordstein) verursacht wurde. Der volle Beweis für einen Arbeitsunfall im Sinne des Sozialgesetzbuches ist nicht erbracht.
- Folgen: Die Klägerin kann das Ereignis nicht als Arbeitsunfall geltend machen und hat keinen Anspruch auf entsprechende Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Entscheidung des Gerichts ist endgültig, da die Revision nicht zugelassen wurde.
Wegeunfall auf dem Arbeitsweg: Rechte und Versicherungsschutz im Fokus
Wegeunfall: Wenn Arbeit und Weg sich kreuzen
Der Arbeitsweg ist für viele Menschen ein tägliches Risiko. Die Versicherung von Wegeunfällen ist eine komplexe, aber wichtige Absicherung für Arbeitnehmer. Ein Wegeunfall ereignet sich auf dem direkten Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz und unterscheidet sich rechtlich von Unfällen während der Arbeitszeit.
Die gesetzliche Unfallversicherung schützt Beschäftigte grundsätzlich auch außerhalb des unmittelbaren Arbeitsplatzes. Entscheidend sind dabei Faktoren wie Unfallursache, Tätigkeitsbereich und der konkrete Unfallhergang. Die Klärung von Versicherungsschutz und möglichen Entschädigungsansprüchen erfordert eine sorgfältige rechtliche Prüfung jedes einzelnen Falls.
Welche rechtlichen Besonderheiten und Herausforderungen sich in einem konkreten Wegeunfall ergeben können, zeigt der folgende Gerichtsfall.
Der Fall vor Gericht
Arbeitsunfall durch Sturz beim Taxiaussteigen: LSG verneint Unfallversicherungsschutz

Das Hessische Landessozialgericht hat im Fall einer Service-Assistentin, die beim Aussteigen aus einem Taxi vor ihrer Arbeitsstätte stürzte und sich dabei eine Oberarmfraktur zuzog, den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung verneint. Die Richter sahen als Sturzursache eine innere körperliche Ursache – eine sogenannte Synkope – als bewiesen an.
Schwindelgefühl führte zum Sturz auf dem Arbeitsweg
Die 1962 geborene Klägerin arbeitete seit dem Jahr 2000 als Service-Assistentin bei der D. der Bauwirtschaft. Am 1. August 2018 nahm sie aufgrund von morgendlichen Schwindelgefühlen ein Taxi zur Arbeit. Beim Aussteigen aus dem Fahrzeug gegen 7:15 Uhr stürzte sie vor dem Bürogebäude und zog sich eine mehrfragmentäre Oberarmfraktur zu. Eine zufällig anwesende Arbeitskollegin alarmierte den Notarzt.
Medizinische Befunde bestätigen Synkope als Sturzursache
Die unmittelbar nach dem Unfall erstellten medizinischen Berichte dokumentierten übereinstimmend einen Sturz aufgrund von Kreislaufproblemen. Der Notarztbericht vermerkte einen präkollaptischen Zustand, die Krankenhausberichte diagnostizierten eine Synkope als Sturzursache. Auch die Arbeitskollegin berichtete in einer E-Mail am Unfalltag von Kreislaufproblemen als Sturzgrund. Die Klägerin selbst gab im Durchgangsarztbericht an, wegen morgendlicher Schwindelgefühle das Taxi genommen zu haben.
Berufsgenossenschaft lehnt Anerkennung als Arbeitsunfall ab
Die Berufsgenossenschaft lehnte mit Bescheid vom 5. November 2018 die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Als Begründung führte sie an, dass der Sturz nicht durch die versicherte Tätigkeit, sondern durch eine innere Ursache – die Synkope – verursacht wurde. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Sozialgericht Wiesbaden ab.
Landessozialgericht bestätigt: Keine Unfallkausalität bei Sturz durch Synkope
Das Hessische Landessozialgericht bestätigte nun diese Entscheidung. Zwar stand die Klägerin zum Unfallzeitpunkt unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, da sie sich auf dem direkten Weg zur Arbeit befand. Allerdings sei der Sturz nicht „infolge“ dieser versicherten Tätigkeit eingetreten, sondern durch die konkurrierende Ursache der Synkope. Dies ergebe sich aus den übereinstimmenden medizinischen Berichten und den ursprünglichen Schilderungen der Klägerin selbst. Die spätere Darstellung der Klägerin, sie sei über den Bordstein gestolpert, überzeugte das Gericht nicht. Nach den medizinischen Gutachten war die Synkope die rechtlich wesentliche Ursache für den Sturz.
Die Schlüsselerkenntnisse
„Das Urteil verdeutlicht, dass bei der Anerkennung eines Arbeitsunfalls die zeitnahen Erstangaben zum Unfallhergang besonders wichtig sind und ihnen ein höherer Beweiswert zukommt als späteren, abweichenden Darstellungen. Widersprüchliche Aussagen zum Unfallhergang können zur Ablehnung der Anerkennung als Arbeitsunfall führen, besonders wenn die ersten Schilderungen einheitlich auf eine innere Ursache (wie Schwindel oder Kreislaufprobleme) hinweisen. Die Beweislast für alle Ursachenzusammenhänge liegt beim Versicherten und muss mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden.“
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie einen Arbeitsunfall erleiden, ist es entscheidend, den Unfallhergang von Anfang an wahrheitsgemäß und konsistent zu schildern – gegenüber Ersthelfern, Ärzten und der Unfallversicherung. Spätere Änderungen Ihrer Darstellung schwächen Ihre Position erheblich, besonders wenn die ursprünglichen Angaben auf gesundheitliche Eigenprobleme wie Schwindel oder Kreislaufbeschwerden hinweisen. Dokumentieren Sie den Unfallhergang möglichst genau und lassen Sie sich von eventuellen Zeugen bestätigen. Bei der Unfallmeldung sollten Sie besonders sorgfältig sein und alle relevanten Details präzise angeben.
Benötigen Sie Hilfe?
Verloren im Paragraphendschungel nach einem Arbeitsunfall?
Das Hessische Landessozialgericht hat entschieden: Stürzt ein Arbeitnehmer aufgrund von Schwindel, liegt kein Arbeitsunfall vor. Doch was gilt in Ihrem individuellen Fall? Die Rechtslage bei Arbeitsunfällen ist komplex und die Beweisführung im Streit mit der Versicherung oft schwierig.
Wir helfen Ihnen, Ihre Rechte durchzusetzen. Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Arbeitsrecht und unterstützt Sie bei der korrekten Unfallmeldung und der Durchsetzung Ihrer Ansprüche gegenüber der Berufsgenossenschaft.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Voraussetzungen müssen für die Anerkennung eines Wegeunfalls als Arbeitsunfall erfüllt sein?
Ein Wegeunfall liegt vor, wenn Sie einen Unfall auf dem unmittelbaren Weg zwischen Ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte erleiden. Für die Anerkennung als Wegeunfall müssen folgende grundlegende Voraussetzungen erfüllt sein:
Örtliche Voraussetzungen
Der Versicherungsschutz beginnt erst mit dem Verlassen der Außentür Ihres Wohngebäudes und endet dort wieder. Innerhalb des Treppenhauses oder in der Wohnung besteht noch kein Versicherungsschutz. Der Weg muss unmittelbar zur Arbeitsstätte führen, wobei nicht zwingend der kürzeste Weg gewählt werden muss.
Zeitliche Voraussetzungen
Der Unfall muss sich während des Zurücklegens des Weges ereignen. Eine Unterbrechung des Weges aus privaten Gründen führt zum Verlust des Versicherungsschutzes. Der Versicherungsschutz lebt jedoch wieder auf, sobald Sie den direkten Weg wieder aufnehmen, sofern die Unterbrechung nicht länger als zwei Stunden gedauert hat.
Handlungstendenz
Ihre objektive Handlungstendenz muss darauf ausgerichtet sein, Ihre Arbeitsstätte zu erreichen oder nach der Arbeit nach Hause zu gelangen. Dies bedeutet, dass Sie den Weg mit der Absicht zurücklegen müssen, Ihre berufliche Tätigkeit aufzunehmen oder nach Hause zurückzukehren.
Zulässige Abweichungen
In bestimmten Fällen sind auch Umwege versichert:
- Wenn Sie Ihre Kinder in eine Betreuungseinrichtung bringen
- Bei der Teilnahme an einer Fahrgemeinschaft
- Bei verkehrsbedingten Umwegen wie Umleitungen oder Staus
- Bei der Wahl eines längeren, aber verkehrsgünstigeren Weges
Ausschlussgründe
Der Versicherungsschutz entfällt bei:
- Privaten Unterbrechungen wie Einkäufen oder Tankstopps
- Unfällen unter Alkohol- oder Drogeneinfluss
- Vorsätzlich herbeigeführten Unfällen
Nach dem neuen Unfallversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz sind auch weitere Personengruppen bei der Begleitung von Kindern zur Schule und Kita versichert, wie etwa getrenntlebende Elternteile oder deren neue Lebenspartner.
Wann liegt bei einem Unfall eine versicherte Tätigkeit vor?
Eine versicherte Tätigkeit liegt vor, wenn Sie zum Unfallzeitpunkt eine Handlung ausführen, die in einem inneren Zusammenhang mit Ihrer betrieblichen oder versicherten Tätigkeit steht.
Grundsätzlich versicherte Tätigkeiten
Betriebliche Tätigkeiten sind alle Handlungen, die Sie im Rahmen Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten ausführen. Wenn Sie beispielsweise als Schreiner ein Möbelstück montieren und sich dabei verletzen, liegt eine versicherte Tätigkeit vor.
Betrieblich veranlasste Nebentätigkeiten sind ebenfalls versichert, wie:
- Die Verwahrung und Instandhaltung von Arbeitsgeräten
- Die Teilnahme an Betriebssport oder Betriebsausflügen
- Dienstreisen einschließlich notwendiger Tätigkeiten wie Tanken
Wegeunfälle als besondere Form
Der Weg zur und von der Arbeit ist als Wegeunfall versichert. Der Versicherungsschutz beginnt beim Verlassen der Wohnungstür und endet beim Erreichen des Arbeitsplatzes.
Umwege bleiben versichert, wenn sie:
- Zur Kinderbetreuung notwendig sind
- Wegen einer Fahrgemeinschaft entstehen
- Aufgrund von Verkehrsverhältnissen sinnvoll sind
Nicht versicherte Tätigkeiten
Eigenwirtschaftliche Tätigkeiten sind grundsätzlich nicht versichert. Dazu gehören:
- Private Tätigkeiten wie Essen und Trinken
- Einkäufe für den persönlichen Bedarf
- Arztbesuche aus privaten Gründen
Auch wenn sich ein Gesundheitsschaden zufällig während der Arbeit ereignet, ohne dass eine äußere Einwirkung vorliegt – wie etwa ein Herzinfarkt am Schreibtisch – liegt kein Arbeitsunfall vor.
Im Homeoffice gelten besondere Regelungen: Der Versicherungsschutz besteht in gleichem Umfang wie im Betrieb, aber nur für Tätigkeiten, die in direktem Zusammenhang mit der Arbeit stehen. Der Weg zur Haustür, um ein privates Paket anzunehmen, ist beispielsweise nicht versichert.
Wie wird der ursächliche Zusammenhang zwischen Unfall und versicherter Tätigkeit nachgewiesen?
Der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfall und versicherter Tätigkeit erfordert einen Vollbeweis für das Unfallereignis und den Gesundheitserstschaden. Dies bedeutet, dass Sie das Ereignis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachweisen müssen.
Zweistufige Kausalitätsprüfung
Die Prüfung des Ursachenzusammenhangs erfolgt in zwei Stufen:
- Die naturwissenschaftlich-philosophische Kausalität muss festgestellt werden
- Die rechtliche Wesentlichkeit der Ursache wird bewertet
Für den Nachweis der Kausalzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit – es muss nach Würdigung aller Umstände mehr für als gegen einen Zusammenhang sprechen.
Erforderliche Dokumentation
Um den Zusammenhang nachweisen zu können, sind folgende Dokumentationen unverzichtbar:
- Ort und Zeit des Unfalls
- Name des Verletzten
- Art der Verletzung
- Zeitpunkt der Behandlung
- Namen von Zeugen
- Durchgeführte Erste-Hilfe-Maßnahmen
Beweissicherung
Die unmittelbare Dokumentation ist entscheidend. Wenn Sie einen Arbeitsunfall erleiden, sollten Sie folgende Schritte beachten:
- Orientieren Sie sich an den fünf W-Fragen: Was ist wo passiert? Wann und wie hat sich der Unfall ereignet? Warum ist es zu einem Unfall gekommen?
- Machen Sie nur sachliche Angaben ohne Vermutungen oder ungenaue Aussagen.
- Lassen Sie die Verletzungen vom Durchgangsarzt dokumentieren.
- Nennen Sie alle Zeugen namentlich mit Adresse.
Fehlende oder mangelhafte Dokumentation kann dazu führen, dass der Versicherungsschutz versagt wird, da der Zusammenhang nicht mehr nachweisbar ist. Auch bei zunächst harmlos erscheinenden Verletzungen ist eine sorgfältige Dokumentation wichtig, da sich Spätfolgen entwickeln können.
Welche Rolle spielen konkurrierende Ursachen bei der Beurteilung eines Wegeunfalls?
Bei einem Wegeunfall müssen Sie zwischen der versicherten Tätigkeit (dem Zurücklegen des Arbeitsweges) und möglichen konkurrierenden Ursachen unterscheiden. Eine konkurrierende Ursache liegt vor, wenn neben dem versicherten Arbeitsweg eine weitere Ursache zum Unfall beigetragen hat.
Grundsätzliche Bewertung konkurrierender Ursachen
Wenn Sie sich auf dem versicherten Arbeitsweg befinden und ein Unfall geschieht, wird zunächst vermutet, dass der Unfall durch die versicherte Tätigkeit verursacht wurde. Diese Vermutung gilt jedoch nicht mehr, sobald eine konkurrierende Ursache festgestellt wird.
Konkurrierende Ursachen können sein:
- Innere Ursachen (wie Krankheiten oder körperliche Schwächen)
- Selbstgeschaffene Gefahren
- Eingebrachte Gefahren (wie private Gegenstände)
Rechtliche Wesentlichkeit der Ursachen
Bei der Beurteilung wird eine zweistufige Prüfung vorgenommen:
- Zunächst wird festgestellt, welche Ursachen naturwissenschaftlich zum Unfall geführt haben
- Dann wird bewertet, welche dieser Ursachen rechtlich wesentlich war
Die versicherte Tätigkeit muss dabei eine rechtlich wesentliche Bedingung für den Unfall bleiben. Wenn die konkurrierende Ursache das Unfallgeschehen derart geprägt hat, dass sie die versicherte Ursache verdrängt, entfällt der Versicherungsschutz.
Praktische Auswirkungen
Wenn Sie beispielsweise auf dem Arbeitsweg unter Einfluss von Drogen einen Unfall erleiden, kann dies als konkurrierende Ursache den Versicherungsschutz ausschließen. Anders verhält es sich bei einfacher Unachtsamkeit oder Fahrlässigkeit – diese heben den Versicherungsschutz nicht auf.
Bei einer bestehenden Vorerkrankung wird unterschieden:
- Bei einer reinen Schadensanlage gilt das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“
- Bei einer Vorerkrankung wird nur der unfallbedingte Verschlimmerungsanteil von der Unfallversicherung entschädigt
Welche Rechtsmittel stehen bei Ablehnung der Anerkennung eines Wegeunfalls zur Verfügung?
Widerspruchsverfahren als erster Schritt
Wenn die Berufsgenossenschaft einen Wegeunfall nicht anerkennt, steht Ihnen zunächst das Widerspruchsverfahren zur Verfügung. Der Widerspruch muss innerhalb eines Monats nach Zugang des ablehnenden Bescheids eingelegt werden. Das Widerspruchsverfahren ist kostenlos und muss vor einer möglichen Klage durchgeführt werden.
Ablauf des Widerspruchsverfahrens
Nach Eingang Ihres Widerspruchs prüft die Verwaltung der Berufsgenossenschaft den Fall erneut. Der Widerspruchsausschuss untersucht dabei die vorgebrachten Einwände gegen den ablehnenden Bescheid. Bei einer teilweisen Anerkennung des Widerspruchs erhalten Sie einen sogenannten Abhilfebescheid.
Klageweg bei erfolglosem Widerspruch
Wird der Widerspruch zurückgewiesen, können Sie innerhalb eines Monats nach Erhalt des Widerspruchsbescheids Klage beim zuständigen Sozialgericht erheben. Das Sozialgericht prüft dann unabhängig, ob die Voraussetzungen für einen Wegeunfall vorliegen.
Beweisführung und Dokumentation
Für ein erfolgreiches Rechtsmittelverfahren ist die sorgfältige Dokumentation des Unfallhergangs entscheidend. Dabei sind folgende Aspekte wichtig:
- Der innere Zusammenhang zwischen dem Unfall und der versicherten Tätigkeit muss nachgewiesen werden
- Die Handlungstendenz zum Unfallzeitpunkt muss auf das Erreichen der Arbeitsstätte oder den Heimweg gerichtet gewesen sein
- Zeugenaussagen und andere Beweismittel sollten zeitnah gesichert werden
Bei unklarer Unfallursache oder fehlendem Nachweis des Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit kann die Anerkennung des Wegeunfalls auch im Rechtsmittelverfahren schwierig sein.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Wegeunfall
Ein Wegeunfall liegt vor, wenn sich ein Unfall auf dem direkten Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ereignet. Er ist durch § 8 Abs. 2 SGB VII gesetzlich geschützt und gilt als Arbeitsunfall, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem versicherten Weg und dem Unfall besteht. Der Versicherungsschutz beginnt mit dem Verlassen des häuslichen Bereichs und endet mit Erreichen der Arbeitsstätte. Beispiel: Ein Arbeitnehmer verunglückt auf dem direkten Weg zur Arbeit bei einem Verkehrsunfall – dies wäre ein typischer Wegeunfall.
Synkope
Eine Synkope ist ein plötzlicher, kurzzeitiger Bewusstseinsverlust aufgrund einer vorübergehenden Minderdurchblutung des Gehirns. Im Unfallversicherungsrecht gilt sie als „innere Ursache“ und damit als unversichertes Risiko aus der eigenen Gesundheitssphäre der versicherten Person. Wenn eine Synkope die wesentliche Ursache eines Unfalls ist, besteht in der Regel kein Versicherungsschutz. Dies ist durch § 8 Abs. 1 SGB VII geregelt. Beispiel: Ein Arbeitnehmer stürzt aufgrund einer Synkope auf dem Arbeitsweg – der Sturz wäre nicht versichert.
Unfallkausalität
Die Unfallkausalität beschreibt den rechtlich erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII muss der Unfall „infolge“ der versicherten Tätigkeit eingetreten sein. Innere Ursachen wie Krankheiten oder körperliche Schwächen unterbrechen diesen Zusammenhang. Die Kausalität wird anhand der „Theorie der wesentlichen Bedingung“ geprüft. Beispiel: Stolpert jemand über eine Stufe, liegt Unfallkausalität vor; stürzt er wegen Schwindels, fehlt sie.
Durchgangsarztbericht
Der Durchgangsarztbericht ist ein standardisiertes medizinisches Dokument, das bei Arbeitsunfällen vom erstbehandelnden Durchgangsarzt (D-Arzt) erstellt wird. Er ist gemäß § 48 SGB VII verpflichtend und dokumentiert den Unfallhergang, die Diagnose und die eingeleitete Behandlung. Der Bericht dient als wichtige Entscheidungsgrundlage für die Berufsgenossenschaft zur Beurteilung des Versicherungsfalls. Beispiel: Nach einem Arbeitsunfall muss der Verletzte einen speziell zugelassenen D-Arzt aufsuchen, der den Bericht erstellt.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 8 SGB VII): Dieser Paragraf regelt den Wegeunfall, also Unfälle, die sich auf dem unmittelbaren Weg von oder zur Arbeitsstätte ereignen. Ein Unfall wird als versichert betrachtet, wenn er während der Hin- oder Rückfahrt passiert und der Weg dem Arbeitsweg entspricht. Dabei ist der kürzeste und ungefährlichste Weg maßgeblich.
Im vorliegenden Fall stürzte die Klägerin auf dem Weg zur Arbeitsstelle. Die genaue Route und ob der Weg dem verkehrsüblichen entspricht, sind entscheidend für die Anerkennung als Wegeunfall. - § 6 SGB VII): Dieser Paragraf definiert das versicherte Unfallereignis, welches jede plötzliche, von außen verursachte Gewalteinwirkung auf den Körper umfasst. Ein Unfall muss dabei einen unmittelbaren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufweisen.
Die Klägerin erlitt durch den Sturz eine Humerusfraktur. Es ist zu prüfen, ob der Unfall in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit stand und somit unter § 6 SGB VII fällt. - § 9 SGB VII): Hier werden die versicherten Tätigkeiten näher erläutert, einschließlich der Zeit und des Ortes, die als Arbeitstätigkeit gelten. Dazu gehören auch Nebenzeiten wie Hin- und Rückwege.
Die Beklagte argumentiert, dass der Unfall nicht im Rahmen einer versicherten Tätigkeit, also auf dem Weg zur Arbeit, stattfand. Die genaue Betrachtung der Zeiten und Orte ist daher wesentlich für die Entscheidung. - § 165 SGB X): Dieser Paragraf behandelt die Ermessensausübung der Behörden bei Leistungsentscheidungen und legt fest, dass bei Verständnisfragen der Sachverhalt umfassend zu klären ist.
Die Ablehnung des Unfallanspruchs basiert auf der Annahme, dass kein Versicherungsfall vorliegt. Eine gründliche Prüfung aller Umstände des Sturzes ist erforderlich, um die Entscheidung rechtlich zu überprüfen. - Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG): Die Rechtsprechung des BSG bietet Leitlinien zur Auslegung der Vorschriften des SGB VII und zur Anwendung auf konkrete Fälle. Entscheidungen des BSG helfen, unklare Tatbestandsmerkmale zu konkretisieren und einheitlich anzuwenden.
Im vorliegenden Fall orientiert sich das Landessozialgericht an bestehenden Urteilen des BSG, um zu entscheiden, ob der Unfall als Arbeitsunfall anerkannt wird. Die Analyse früherer Fälle ist dabei entscheidend für die Urteilsfindung.
Das vorliegende Urteil
Hessisches Landessozialgericht – Az.: L 9 U 19/21 – Urteil vom 06.05.2024
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