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Widerspruch – zureichender Grund für Nichtbescheidung

Untätigkeitsklage erfolgreich: Behörde muss über Widerspruch entscheiden

Die Pflegebedürftige Klägerin hatte bei dem Beklagten Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII beantragt. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, da es sich um eine vollstationäre Pflegeeinrichtung handele. Die Klägerin legte Widerspruch ein und reichte schließlich eine Untätigkeitsklage ein, da der Beklagte auch nach einem Jahr noch nicht entschieden hatte.

Das Sozialgericht gab der Klage statt. Eine Entscheidung über den Widerspruch steht auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch aus. Der Beklagte konnte jedoch keinen zureichenden Grund für die Nichtbescheidung vorbringen. Die bloße Mitteilung, dass er wegen Personalmangels eine Entscheidung nicht treffen könne, reiche nicht aus. Eine Behörde muss grundsätzlich gewährleisten, dass eine Bescheidung innerhalb der gesetzlichen Fristen erfolgen kann, um effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten.

Direkt zum Urteil: Az.: S 35 SO 138/22 springen.

Der Sachverhalt

Die Klägerin hatte Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII beantragt. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, da er eine vollstationäre Pflegeeinrichtung annahm. Die Klägerin legte Widerspruch ein, der jedoch ein Jahr lang unbeachtet blieb. Schließlich reichte sie eine Untätigkeitsklage ein.

Die Entscheidung

Das Gericht gab der Untätigkeitsklage statt. Eine Entscheidung über den Widerspruch der Klägerin stand zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch aus. Der Beklagte konnte keinen zureichenden Grund für die Nichtbescheidung vorbringen. Eine Behörde muss grundsätzlich gewährleisten, dass eine Bescheidung innerhalb der gesetzlichen Fristen erfolgen kann, um effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten.

Die Kostenentscheidung

Die Kostenentscheidung beruhte auf den §§ 183, 193 SGG und folgte der Entscheidung in der Sache.

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Das vorliegende Urteil

SG Detmold – Az.: S 35 SO 138/22 – Gerichtsbescheid vom 18.04.2023

Der Beklagte wird verurteilt, über den am 31.05.2021 eingelegten Widerspruch zu entscheiden.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Untätigkeit des Beklagten bezogen auf einen Widerspruch der Klägerin im Rahmen der Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Die am 00.00.1983 geborene pflegebedürftige Klägerin befindet sich seit dem 00.00.2020 in der Pflegeeinrichtung „I, N Str. 0, 00000 C P“ zur Pflege. Mit Unterbringung in die Pflegeeinrichtung stellte sie einen Antrag auf Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach den §§ 61ff. SGB XII.

Mit Bescheid vom 04.05.2021 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Zur Begründung führte er an, dass eine stationäre Einrichtung vorliege. Nach § 75 SGB XII könnten Leistungen nach dem 7. bis 9. Kapitel SGB XII bei einer vollstationären Pflege in der Regel nur dann gewährt werden, wenn eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Träger des Leistungserbringers und dem für den Ort der Leistungsberingung zuständigen Träger der Sozialhilfe bestehe. Eine solche liege nicht vor.

Die Klägerin legte am 31.05.2021 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, dass eine vollstationäre Pflege nicht vorliege. Es liege eine Wohngemeinschaft vor.

Die Klägerin hat am 21.06.2022 Untätigkeitsklage erhoben.

Sie trägt vor, dass eine Entscheidung über ihren Widerspruch weiterhin ausstehe. Der Beklagte habe ihr am 02.09.2021 mitgeteilt, dass die Bearbeitung aufgrund Personalmangels weitere Zeit in Anspruch nehme. Die bloße Mitteilung, dass er wegen personeller Überlastung eine Entscheidung nicht treffen könne, stelle keinen zureichenden Grund der Nichtbescheidung dar.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verpflichten, über den am 31.05.2021 eingelegten Widerspruch zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt er an, dass eine Entscheidung über den Widerspruch derzeit nicht möglich sei, da der Sachverhalt aufgrund fehlender Personalressourcen in der Vergangenheit noch nicht ausreichend ausermittelt worden sei. Am 26.07.2022 seien weitere Unterlagen angefordert worden. Aufgrund der Komplexität des Sachverhalts könne die weitere Dauer des Verfahrens nicht abgeschätzt werden.

Die Beteiligten sind gemäß § 105 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtgesetz (SGG) dazu gehört worden, dass das Gericht eine Entscheidung per Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGG beabsichtigt.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes und bezüglich des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Das Gericht hat vorliegend durch Gerichtsbescheid entschieden. Gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 SGG entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Wesentlich ist, dass im Rahmen der Amtsermittlungspflicht entscheidungserhebliche tatsächliche Umstände nicht offenbleiben (Schmidt in: Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, SGG, 13. Auflage 2020, § 105 Rn. 7).

Die Untätigkeitsklage ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Die Klage ist zulässig. Sie ist als Untätigkeitsklage gemäß § 88 Abs. 1, Abs. 2 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere war die dreimonatige Sperrfrist des § 88 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG bei Klageerhebung am 21.06.2022 abgelaufen. Ist ein Widerspruch eingelegt worden, so ist die Klage nach § 88 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG nicht vor Ablauf von drei Monaten seit Widerspruchseinlegung zulässig.

Die Klage hat in der Sache Erfolg. Der Beklagte hat über den am 31.05.2021 eingelegten Widerspruch nicht innerhalb von drei Monaten entschieden. Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung liegt nicht vor. Eine Untätigkeitsklage – bezogen auf einen eingelegten Widerspruch – hat gemäß § 88 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG dann Erfolg, wenn dieser ohne zureichenden Grund in einer Frist von drei Monaten sachlich nicht beschieden worden ist.

Eine Entscheidung über den eingelegten Widerspruch steht im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch aus.

Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung liegt nach Überzeugung der Kammer nicht vor. Der Beklagte nahm allein aufgrund langanhaltender fehlender Personalressourcen bis zum Juli 2022 – und damit mehr als ein Jahr lang – keine Bearbeitung der Angelegenheit vor. Erst nach Ablauf von mehr als einem Jahr forderte er weitere Unterlagen an, um eine abschließende Entscheidung treffen zu können. Er hat weder das Bestehen einer außergewöhnlichen Belastungssituation noch eines nur kurzfristig bestehenden stark erhöhten Arbeitsaufkommens vorgetragen bzw. nachgewiesen. Auch hat er im Klageverfahren nicht nachgewiesen, dass er alles Mögliche zur Verhinderung einer Verfahrensverzögerung getan hat; er hat sich alleinig auf die vorhandene mangelhafte Personalausstattung berufen. Ein zureichender Grund liegt nur dann ausnahmsweise vor, wenn die Behörde aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls objektiv gehindert war, den Widerspruch innerhalb der Regelbearbeitungsfrist zu bescheiden. Das Vorliegen eines zureichenden Grundes muss von der Behörde dargelegt und nachgewiesen werden (Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 88 SGG Rn. 32). Ob ein zureichender Grund für eine bislang unterbliebene Bescheiderteilung vorliegt, ist allein nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung der seit der Antragstellung bzw. Widerspruchseinlegung verstrichenen Zeit zu beurteilen (Claus in: a.a.O. Rn. 33). Zwar kann ein kurzfristig stark erhöhtes Arbeitsaufkommen oder eine vorübergehende besondere Belastung – gegebenenfalls auch aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie – einen zureichenden Grund darstellen, sofern die Behörde dezidiert darlegen kann, alles ihr Mögliche und Zumutbare getan zu haben, um trotz des gestiegenen Geschäftsanfalls die Sachen zeitgerecht erledigen zu können (Claus in: a.a.O. Rn. 38). Ein zureichender Grund kann wertungsmäßig jedoch nur dann noch angenommen werden, wenn tatsächlich vorübergehend besondere, außergewöhnliche Umstände vorliegen, wobei die Behörde nachzuweisen hat, alles Mögliche zur Verhinderung einer Verfahrensverzögerung getan zu haben (Claus in: a.a.O. Rn. 38). Soweit dauerhaft Personalmangel oder dauerhaft eine unzureichende Ausstattung mit sachlichen Mitteln vorliegt, insbesondere wenn der Zustand bereits seit Jahren andauert, kann ein zureichender Grund wertungsmäßig nicht angenommen werden. Die Behörde hat grundsätzlich zu gewährleisten, dass die Abläufe so organisiert sind, dass eine Bescheidung innerhalb der gesetzlichen Fristen erfolgen kann (Claus in: a.a.O. Rn. 41). Dies folgt bereits aus dem aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 Grundgesetz (GG) folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.

 

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