Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Handgelenksverletzungen und MdE-Bewertung: Ein Beispiel aus der Praxis
- Der Fall vor Gericht
- Gericht verneint Anspruch auf höhere Verletztenrente nach Arbeitsunfall
- Unfallhergang und Verletzungsfolgen
- Streit um die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit
- Gerichtliche Bewertung der Funktionseinschränkungen
- Schmerzangaben nicht ausreichend für höhere MdE
- Keine besondere berufliche Betroffenheit
- Rechtskräftige Entscheidung
- Die Schlüsselerkenntnisse
- FAQ – Häufige Fragen
- Wie wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach einer Handgelenksverletzung berechnet?
- Ab welcher MdE-Höhe besteht ein Anspruch auf Verletztenrente?
- Welche Rolle spielen Schmerzen bei der MdE-Bewertung von Handgelenksverletzungen?
- Wie wird eine „besondere berufliche Betroffenheit“ bei der MdE-Bewertung berücksichtigt?
- Welche Möglichkeiten gibt es, gegen eine als zu niedrig empfundene MdE-Einstufung vorzugehen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- In dem Fall geht es um die Ablehnung einer Verletztenrente aufgrund eines Arbeitsunfalls, der 2017 stattfand und das Handgelenk des Klägers betraf.
- Der Kläger erlitt eine distale Radius-Trümmerfraktur, die operativ behandelt wurde und die daraufhin Schmerzanzeichen aufwies.
- Es wurden verschiedene Untersuchungen durchgeführt, die eine geringe Einschränkung der Beweglichkeit und eine minimale Erwerbsfähigkeit nach der Behandlung zeigten.
- Der Kläger war zwischenzeitlich arbeitsunfähig, nahm jedoch nach einer Belastungserprobung seine Arbeit wieder auf.
- Die behandelnden Ärzte schätzten die Erwerbsminderung nach der Operation als nicht erheblich ein und empfahlen die Entfernung der Metallplatte.
- Trotz anhaltender Beschwerden wurde die Minderung der Erwerbsfähigkeit schließlich auf null Prozent festgelegt.
- Das Gericht wies die Berufung des Klägers zurück, was die Entscheidung des Sozialgerichts bestätigte.
- Es wurden keine außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren übernommen.
- Die Entscheidung des Gerichts beruht auf den ärztlichen Einschätzungen, die keine relevante Erwerbsminderung nachwiesen.
- Die Auswirkungen betreffen die Finanzierung und die Unterstützung für Personen in ähnlichen Situationen, die möglicherweise einen Anspruch auf eine Verletztenrente prüfen möchten.
Handgelenksverletzungen und MdE-Bewertung: Ein Beispiel aus der Praxis
Handgelenksverletzungen sind häufige Folgen von Unfällen und können stark beeinträchtigende Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen haben. Der Heilungsverlauf solcher Verletzungen variiert je nach Schweregrad und kann zu einer Einschränkung der Beweglichkeit und Gelenkfunktion führen. Oft ist eine umfassende Rehabilitation des Handgelenks notwendig, um die Restfunktionen wiederherzustellen und die Teilhabe am Berufsleben zu ermöglichen. Hierbei spielen sowohl chirurgische Eingriffe als auch physiotherapeutische Maßnahmen eine zentrale Rolle.
Die MdE-Bewertung, das Maß der Erwerbsminderung, ist ein entscheidender Aspekt bei der Beurteilung von Unfallfolgen. Sie berücksichtigt neben dem Bewegungsmaß des Handgelenks auch die Schmerzempfindlichkeit und die funktionelle Beeinträchtigung, die durch die Verletzung verursacht werden. Ein Gutachten über den Verletzungsgrad ist oft notwendig, um die krankheitsbedingten Kosten zu ermitteln und die Möglichkeiten zur Schmerztherapie zu evaluieren. Die konkrete Bewertung der Handgelenksverletzung ist somit nicht nur für die medizinische Behandlung, sondern auch für die finanziellen Aspekte einer möglichen Berufsunfähigkeit von großer Bedeutung.
Im folgenden Abschnitt wird ein spezifischer Fall vorgestellt, der die Komplexität der MdE-Bewertung und die Herausforderungen bei der Rehabilitation nach Handgelenksverletzungen verdeutlicht.
Der Fall vor Gericht
Gericht verneint Anspruch auf höhere Verletztenrente nach Arbeitsunfall
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat die Berufung eines Malers gegen ein Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe zurückgewiesen. Der Kläger hatte nach einem Arbeitsunfall im Juni 2017 eine höhere Verletztenrente gefordert.
Unfallhergang und Verletzungsfolgen
Der 1961 geborene Rechtshänder war als Malergeselle tätig, als er am 12.06.2017 bei einem Gerüstaufbau auf einer Baustelle stürzte und sich dabei das linke Handgelenk verletzte. Im Krankenhaus wurde eine distale Radius-Trümmerfraktur links diagnostiziert und operativ versorgt. Nach mehrmonatiger Arbeitsunfähigkeit nahm der Kläger im Oktober 2017 seine Tätigkeit wieder auf.
Streit um die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit
Die zuständige Berufsgenossenschaft erkannte in einem Bescheid vom Juli 2019 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 Prozent an, was unterhalb der Schwelle für eine Rentenzahlung liegt. Der Kläger forderte hingegen eine MdE von mindestens 20 Prozent und damit eine Verletztenrente.
Gerichtliche Bewertung der Funktionseinschränkungen
Das Landessozialgericht stützte sich in seiner Entscheidung auf mehrere medizinische Gutachten. Dabei kam es zu dem Schluss, dass beim Kläger zwar eine Einschränkung der Beweglichkeit des linken Handgelenks mit beginnender Arthrose vorliegt. Diese Funktionseinschränkungen seien aber nicht so gravierend, dass sie eine MdE von 20 Prozent oder mehr rechtfertigen würden.
Die Richter verwiesen auf unfallmedizinische Erfahrungswerte, wonach für eine MdE von 20 Prozent in der Regel deutlich stärkere Einschränkungen vorliegen müssen. So sei etwa eine erhebliche Achsenabknickung oder eine Einschränkung der Handgelenksbewegungen um insgesamt 80 Grad erforderlich. Solche schwerwiegenden Funktionsstörungen lägen beim Kläger nicht vor.
Schmerzangaben nicht ausreichend für höhere MdE
Auch die vom Kläger angegebenen Schmerzen reichten nach Ansicht des Gerichts nicht aus, um eine höhere MdE zu begründen. Es lägen keine Anhaltspunkte für außergewöhnliche Schmerzen vor, die gesondert zu bewerten wären. Übliche Schmerzen seien bereits in den Bewertungstabellen für die jeweilige Schädigung berücksichtigt.
Keine besondere berufliche Betroffenheit
Das Gericht sah auch keine besondere berufliche Betroffenheit, die zu einer Erhöhung der MdE hätte führen können. Die Tätigkeit als Maler stelle keine außergewöhnlich günstige Stellung im Erwerbsleben dar, sondern sei eine übliche qualifizierte Facharbeitertätigkeit.
Rechtskräftige Entscheidung
Mit der Zurückweisung der Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe rechtskräftig. Der Kläger hat damit keinen Anspruch auf eine höhere Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom Juni 2017.
Die Schlüsselerkenntnisse
Die Entscheidung unterstreicht die hohe Schwelle für eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 Prozent nach einem Arbeitsunfall. Für die Beurteilung sind primär objektive funktionelle Einschränkungen maßgeblich, nicht subjektive Schmerzangaben. Die Richter betonen die Bedeutung standardisierter medizinischer Erfahrungswerte bei der MdE-Bemessung und die enge Auslegung einer besonderen beruflichen Betroffenheit. Dies schafft Rechtssicherheit, begrenzt aber auch den Ermessensspielraum in Einzelfällen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie nach einem Arbeitsunfall eine Handgelenksverletzung erlitten haben, ist für die Gewährung einer Verletztenrente primär der Grad Ihrer funktionellen Einschränkungen entscheidend, nicht die subjektiv empfundenen Schmerzen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20% ist für eine Rente erforderlich. Dabei werden objektive Kriterien wie das Bewegungsausmaß Ihres Handgelenks im Vergleich zur unverletzten Seite und zur Norm herangezogen. Selbst bei einer Bewegungseinschränkung um bis zu 40° und leichten Kraftminderungen wird in der Regel keine rentenberechtigende MdE angenommen. Für Ihren konkreten Fall bedeutet dies, dass Sie Ihre Ansprüche realistisch einschätzen und bei Bedarf fachkundige Beratung in Anspruch nehmen sollten.
FAQ – Häufige Fragen
In der folgenden FAQ-Rubrik finden Sie wertvolle Informationen zur MdE-Bewertung nach Handgelenksverletzung. Hier beantworten wir häufige Fragen zu den rechtlichen und medizinischen Aspekten der Minderung der Erwerbsfähigkeit, damit Sie gut informiert sind und die bestmöglichen Entscheidungen treffen können. Tauchen Sie ein in unsere Antworten und erhalten Sie hilfreiche Einblicke, die Ihnen in Ihrer Situation weiterhelfen.
Wichtige Fragen, kurz erläutert:
- Wie wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach einer Handgelenksverletzung berechnet?
- Ab welcher MdE-Höhe besteht ein Anspruch auf Verletztenrente?
- Welche Rolle spielen Schmerzen bei der MdE-Bewertung von Handgelenksverletzungen?
- Wie wird eine „besondere berufliche Betroffenheit“ bei der MdE-Bewertung berücksichtigt?
- Welche Möglichkeiten gibt es, gegen eine als zu niedrig empfundene MdE-Einstufung vorzugehen?
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie spezielle Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Wie wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach einer Handgelenksverletzung berechnet?
Die Berechnung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach einer Handgelenksverletzung erfolgt anhand verschiedener objektiver Kriterien und Messgrößen. Zentral für die Bewertung sind das Bewegungsausmaß des verletzten Handgelenks sowie die daraus resultierenden funktionellen Einschränkungen.
Bewegungsausmaß und Funktionseinschränkungen
Bei der Begutachtung wird das Bewegungsausmaß des verletzten Handgelenks in allen Ebenen gemessen. Dazu gehören:
- Dorsalextension (Streckung nach oben)
- Palmarflexion (Beugung nach unten)
- Radialabduktion (Bewegung zur Daumenseite)
- Ulnarabduktion (Bewegung zur Kleinfingerseite)
Je stärker die Bewegungseinschränkungen, desto höher fällt in der Regel die MdE aus. Dabei werden die gemessenen Werte mit Normwerten und dem gesunden Handgelenk verglichen.
Kraftminderung und Belastbarkeit
Neben dem Bewegungsausmaß spielt auch die Kraftminderung eine wichtige Rolle. Hierbei wird die Griffkraft der verletzten Hand im Vergleich zur gesunden Seite gemessen. Eine deutliche Kraftminderung kann die MdE-Einschätzung erhöhen.
Röntgenologische Befunde
Auch die Ergebnisse bildgebender Verfahren fließen in die MdE-Berechnung ein. Röntgenaufnahmen können Aufschluss über knöcherne Veränderungen, Arthrosen oder Fehlstellungen geben. Ausgeprägte degenerative Veränderungen können zu einer höheren MdE-Einschätzung führen.
Berücksichtigung der Händigkeit
Bei der MdE-Berechnung wird berücksichtigt, ob die dominante oder die nicht-dominante Hand betroffen ist. Eine Verletzung der dominanten Hand führt in der Regel zu einer höheren MdE-Einschätzung, da sie stärkere Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit hat.
Tabellenwerte und Erfahrungssätze
Für die konkrete MdE-Berechnung greifen Gutachter auf etablierte Tabellenwerte und Erfahrungssätze zurück. Diese dienen als Orientierung, um eine einheitliche und gerechte Bewertung zu gewährleisten. Typische MdE-Werte für Handgelenksverletzungen liegen je nach Schweregrad zwischen 10 und 30 Prozent.
Individuelle Faktoren
Trotz der Orientierung an Tabellenwerten erfolgt die MdE-Einschätzung immer individuell. Dabei werden auch Faktoren wie Ihr Beruf, Ihr Alter und mögliche Anpassungsfähigkeiten berücksichtigt. Wenn Sie beispielsweise in einem Beruf arbeiten, der eine hohe Handgelenksbeweglichkeit erfordert, kann sich dies auf die MdE-Einschätzung auswirken.
Zeitlicher Verlauf
Die MdE-Einschätzung kann sich im Laufe der Zeit ändern. In der Regel wird eine endgültige Einschätzung erst vorgenommen, wenn der Heilungsprozess abgeschlossen ist und sich ein stabiler Zustand eingestellt hat. Dies kann mehrere Monate oder sogar Jahre nach dem Unfallereignis der Fall sein.
Ab welcher MdE-Höhe besteht ein Anspruch auf Verletztenrente?
Ein Anspruch auf Verletztenrente besteht ab einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 Prozent, die über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus andauert. Diese Regelung gilt auch für Handgelenksverletzungen.
Bedeutung für Betroffene mit Handgelenksverletzungen
Bei Handgelenksverletzungen spielt das Ausmaß der Bewegungseinschränkung eine entscheidende Rolle für die MdE-Bewertung. Folgende Richtwerte sind zu beachten:
- Eine Einschränkung der Handgelenksbewegungen um insgesamt 40 Grad führt in der Regel zu einer MdE von 10 Prozent.
- Erst bei einer Einschränkung um insgesamt 80 Grad wird üblicherweise eine MdE von 20 Prozent oder mehr angenommen.
Wenn Sie also eine Handgelenksverletzung erlitten haben, ist es wichtig, dass Sie die genauen Bewegungseinschränkungen ärztlich dokumentieren lassen.
Berücksichtigung weiterer Faktoren
Die MdE-Bewertung beschränkt sich nicht nur auf die reine Bewegungseinschränkung. Auch andere Aspekte können eine Rolle spielen:
- Schmerzbelastung
- Funktionelle Einschränkungen im Alltag und Beruf
- Eventuelle Komplikationen oder Folgeschäden
Besonderheiten bei der MdE-Bewertung
Es ist wichtig zu wissen, dass bei der MdE-Bewertung keine Unterscheidung zwischen der dominanten und der nicht-dominanten Hand gemacht wird. Das bedeutet, dass es für die Höhe der MdE grundsätzlich keine Rolle spielt, ob Ihre rechte oder linke Hand betroffen ist.
Wenn Ihre MdE knapp unter 20 Prozent liegt, lohnt es sich, alle Aspekte Ihrer Verletzung genau zu dokumentieren. Manchmal können zusätzliche Faktoren dazu führen, dass die 20-Prozent-Schwelle doch noch erreicht wird.
Welche Rolle spielen Schmerzen bei der MdE-Bewertung von Handgelenksverletzungen?
Bei der MdE-Bewertung von Handgelenksverletzungen spielen Schmerzen eine untergeordnete Rolle. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wird primär anhand objektiv messbarer Funktionseinschränkungen beurteilt. Für die Bewertung der MdE sind vor allem die objektivierbaren Funktionsdefizite ausschlaggebend, nicht allein das Vorliegen von Diagnosen oder Schmerzen.
Berücksichtigung von Schmerzen in der MdE-Bewertung
Schmerzen fließen in der Regel nicht gesondert in die MdE-Bewertung ein, da sie als häufiges Symptom bereits in den Unfallfolgen inkludiert sind. Die in der Literatur und Rechtsprechung anerkannten Erfahrungswerte für die MdE-Einschätzung berücksichtigen bereits ein gewisses Maß an Schmerzen.
Ausnahmen bei der Schmerzberücksichtigung
In besonderen Ausnahmefällen können Schmerzen, die über das übliche Maß hinausgehen und einer speziellen ärztlichen Behandlung bedürfen, zu einer Erhöhung der MdE führen. Dies ist jedoch die Ausnahme und nicht die Regel.
Bedeutung objektiver Messungen
Für die MdE-Bewertung von Handgelenksverletzungen sind objektive Messungen von großer Bedeutung. Der Bewegungsumfang des verletzten Handgelenks, gemessen nach der Neutral-Null-Methode, spielt eine zentrale Rolle. Auch andere messbare Faktoren wie Kraftminderung oder Umfangsunterschiede der Muskulatur werden berücksichtigt.
Chronisches Schmerzsyndrom als Sonderfall
In einigen Fällen kann ein chronisches Schmerzsyndrom als eigenständige Unfallfolge anerkannt werden. Dies ist möglich, wenn die Schmerzen das vorherrschende Leitsymptom darstellen und zu einer zusätzlichen wesentlichen Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit führen. Die Kausalität muss jedoch durch ein medizinisches Gutachten nachgewiesen werden.
Wenn Sie eine Handgelenksverletzung erlitten haben, ist es wichtig zu verstehen, dass bei der MdE-Bewertung vor allem die messbaren Einschränkungen Ihrer Handfunktion im Vordergrund stehen. Ihre subjektiv empfundenen Schmerzen werden zwar berücksichtigt, sind aber nicht der Hauptfaktor für die Bemessung der MdE.
Wie wird eine „besondere berufliche Betroffenheit“ bei der MdE-Bewertung berücksichtigt?
Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) kann eine „besondere berufliche Betroffenheit“ in bestimmten Fällen zu einer Erhöhung der MdE führen. Dies ist in § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII geregelt.
Voraussetzungen für die Berücksichtigung
Eine besondere berufliche Betroffenheit liegt vor, wenn Sie aufgrund des Versicherungsfalls bestimmte erworbene berufliche Kenntnisse und Erfahrungen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt nutzen können. Dabei müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
- Sie üben einen qualifizierten und sehr spezifischen Beruf mit engem Betätigungsfeld aus.
- Die Unfallfolgen führen dazu, dass Sie gezielte Fähigkeiten, die zum Lebensberuf geworden sind, nicht mehr ausüben können.
- Eine Nichtberücksichtigung Ihrer Ausbildung und Ihres Berufs bei der MdE-Bewertung würde zu einer unbilligen Härte führen.
Auswirkungen auf die MdE-Bewertung
Wenn eine besondere berufliche Betroffenheit festgestellt wird, kann dies zu einer Erhöhung der MdE führen. Die konkrete Erhöhung hängt vom Einzelfall ab und wird individuell bemessen. In der Regel führt dies zu einer Anhebung der MdE um 5 bis 10 Prozentpunkte.
Beispiele aus der Rechtsprechung
Gerichte haben eine besondere berufliche Betroffenheit in folgenden Fällen anerkannt:
- Ein 60-jähriger Geiger nach einer Handverletzung
- Ein Flugzeugführer mit spezifischen Einschränkungen
- Ein Eishockeyspieler mit unfallbedingten Beeinträchtigungen
Hingegen wurde bei einem Verkaufsleiter oder einem Bauarbeiter keine besondere berufliche Betroffenheit angenommen, da diese Berufe als nicht ausreichend spezialisiert gelten.
Bedeutung für Handgelenksverletzungen
Bei Handgelenksverletzungen spielt die besondere berufliche Betroffenheit eine wichtige Rolle, insbesondere wenn Ihr Beruf feinmotorische Tätigkeiten erfordert. Die MdE-Bewertung richtet sich hier primär nach den Bewegungsmaßen des verunfallten Handgelenks im Vergleich zur unverletzten Hand. Wenn Sie einen Beruf ausüben, der besondere Anforderungen an die Handgelenksfunktion stellt, könnte dies als Grund für eine besondere berufliche Betroffenheit gewertet werden.
Beachten Sie, dass die Anerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit eine Ausnahme vom Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung darstellt. Sie wird nur in eng begrenzten Fällen gewährt, um unbillige Härten zu vermeiden.
Welche Möglichkeiten gibt es, gegen eine als zu niedrig empfundene MdE-Einstufung vorzugehen?
Gegen eine als zu niedrig empfundene MdE-Einstufung können Sie folgende Schritte unternehmen:
Widerspruch einlegen
Sie haben das Recht, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheids Widerspruch bei der Unfallversicherung einzulegen. Der Widerspruch muss schriftlich erfolgen oder zur Niederschrift bei der Behörde erklärt werden. In Ihrem Widerspruchsschreiben sollten Sie detailliert darlegen, warum Sie die MdE-Einstufung für zu niedrig halten.
Klage vor dem Sozialgericht
Wird Ihr Widerspruch abgelehnt, können Sie innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids Klage beim zuständigen Sozialgericht erheben. Die Klage kann schriftlich eingereicht oder zur Niederschrift bei der Rechtsantragsstelle des Sozialgerichts aufgenommen werden.
Beweismittel sammeln
Um Ihre Argumentation zu untermauern, ist es wichtig, aussagekräftige Beweismittel vorzulegen. Dazu gehören:
- Aktuelle ärztliche Gutachten
- Befundberichte von Fachärzten
- Dokumentation von Therapieverläufen
- Fotos oder Videos, die Ihre Einschränkungen zeigen
Bei Handgelenksverletzungen spielt das Bewegungsmaß des verunfallten Handgelenks eine entscheidende Rolle. Lassen Sie sich von Ihrem Arzt die genauen Bewegungseinschränkungen dokumentieren und vergleichen Sie diese mit den Richtwerten für MdE-Einstufungen.
Gesamtbetrachtung der Unfallfolgen
Achten Sie darauf, dass nicht nur einzelne Symptome, sondern die Gesamtheit aller Unfallfolgen berücksichtigt wird. Wenn Sie beispielsweise neben der Handgelenksverletzung auch Schmerzen oder psychische Belastungen haben, sollten diese ebenfalls in die MdE-Bewertung einfließen.
Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit darstellen
Schildern Sie konkret, wie sich die Unfallfolgen auf Ihre berufliche Tätigkeit auswirken. Wenn Sie z.B. als Handwerker arbeiten und durch die Handgelenksverletzung bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausführen können, ist dies für die MdE-Bewertung relevant.
Fristen beachten
Halten Sie unbedingt die genannten Fristen für Widerspruch und Klage ein. Versäumen Sie diese, wird der Bescheid in der Regel bestandskräftig und kann nur noch in Ausnahmefällen angefochten werden.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE): Die Minderung der Erwerbsfähigkeit, abgekürzt MdE, beschreibt, wie stark eine Person durch eine Verletzung oder Krankheit in ihrer beruflichen Tätigkeit eingeschränkt ist. Dieser Wert wird in Prozent angegeben. Beispielsweise bedeutet eine MdE von 20 Prozent, dass die betroffene Person ihre Arbeitskraft um 20 Prozent weniger einbringen kann als vor der Verletzung.
- Berufsgenossenschaft: Die Berufsgenossenschaften sind Träger der gesetzlichen Unfallversicherung in Deutschland. Sie sind zuständig für die Absicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Im Falle einer Verletzung prüft die Berufsgenossenschaft, wie stark die Erwerbsfähigkeit gemindert ist, und entscheidet über mögliche Rentenzahlungen oder andere Entschädigungen.
- medizinisches Gutachten: Ein medizinisches Gutachten ist ein ausführlicher Bericht, der von einem Arzt oder spezialisierten Sachverständigen erstellt wird. Es bewertet den Gesundheitszustand einer Person hinsichtlich einer bestimmten Fragestellung, wie zum Beispiel die Schwere einer Verletzung und deren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit. Diese Gutachten sind oft entscheidend für die Feststellung der MdE und somit auch für Ansprüche auf Rentenzahlungen.
- Arthrose: Arthrose ist eine degenerative Gelenkerkrankung, bei der der Knorpel in den Gelenken abgenutzt wird, was zu Schmerzen und Bewegungseinschränkungen führt. Im Kontext von Arbeitsunfällen kann Arthrose als langfristige Folge einer Verletzung auftreten und wird bei der Bewertung der MdE berücksichtigt.
- Verletztenrente: Die Verletztenrente ist eine regelmäßige Zahlung, die an Arbeitnehmer nach einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit geleistet wird, wenn ihre Erwerbsfähigkeit dauerhaft gemindert ist. Um Anspruch auf eine Verletztenrente zu haben, muss die MdE in der Regel mindestens 20 Prozent betragen.
- Funktionseinschränkung: Funktionseinschränkungen beziehen sich auf die Einschränkungen der Bewegungs- und Gebrauchsfähigkeit eines Körperteils, die durch eine Verletzung oder Krankheit bedingt sind. Bei der Beurteilung einer MdE wird bewertet, wie stark diese Einschränkungen die berufliche Tätigkeit beeinflussen. Beispiele können eine verminderte Beweglichkeit eines Gelenks oder Muskelkraftverlust sein.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 47 SGB VII (Gesetzliche Unfallversicherung): Dieser Paragraph regelt den Anspruch auf Verletztenrente. Er besagt, dass Versicherte, die aufgrund eines Arbeitsunfalls eine dauerhafte Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit erlitten haben, eine Verletztenrente erhalten. Die Höhe der Rente richtet sich nach dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), der in Prozent ausgedrückt wird.
- § 48 SGB VII (Gesetzliche Unfallversicherung): Dieser Paragraph legt die Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente fest. Die Rente wird nur gewährt, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit mindestens 10 Prozent beträgt. Zudem muss die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sein. Im konkreten Fall geht es um die Frage, ob dem Kläger aufgrund des Arbeitsunfalls vom 12.06.2017 eine dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 10 Prozent entstanden ist.
- § 56 SGB VII (Gesetzliche Unfallversicherung): Dieser Paragraph regelt die Berechnungsgrundlage für die Verletztenrente. Die Rente wird auf Basis des sogenannten „Verletztenrenten-Entschädigungswerts“ berechnet, welcher jährlich vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales festgesetzt wird. Die Höhe der Rente richtet sich nach dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit und dem Lebensalter des Versicherten. Im vorliegenden Fall ist die Verletztenrente von 0% anzusetzen, da der Kläger in den Arztberichten nach der OP keine dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit mehr aufwies.
- § 8 SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen): Dieser Paragraph regelt die Grundsätze der Rehabilitation. Er beinhaltet das Ziel, Menschen mit Behinderungen zu helfen, ein möglichst selbstständiges Leben zu führen und an der Gesellschaft teilzuhaben. Im konkreten Fall hat der Kläger eine Operation erhalten, um seine Handfunktionalität zurückzugewinnen. Die Rehabilitation ermöglicht dem Kläger die größtmögliche Teilhabe am Arbeitsleben und somit ein selbstbestimmtes Leben.
- § 16 SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen): Dieser Paragraph regelt den Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und die Voraussetzungen für die Gewährung dieser Leistungen. Im vorliegenden Fall kann die Entfernung der Platte im Rahmen des §16 SGB IX als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben angesehen werden, da die Operation dem Kläger ermöglichen soll, wieder ohne (erhebliche) Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit seine Tätigkeit als Malergeselle auszuüben.
Das vorliegende Urteil
Landessozialgericht Baden-Württemberg – Az.: L 10 U 961/21 – Beschluss vom 27.06.2023
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