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Anrechnung einer abgefundenen Verletztenrente auf wiederaufgelebte Rente

Ex-Fußballprofi klagt gegen Rentenanrechnung: Streit um Abfindungshöhe

Ein ehemaliger Berufsfußballspieler, der nach mehreren als Arbeitsunfälle anerkannten Sportverletzungen eine Verletztenrente bezog, hat Klage gegen die Anrechnung einer Abfindung auf seine Rente erhoben. Die Rentenversicherung hatte dem Kläger 2017 eine Abfindung von über 73.000 Euro gewährt und seine Rente später wieder aufleben lassen, nachdem sich seine gesundheitliche Situation verschlechtert hatte. Dabei wurde die Abfindung zur Hälfte auf die wieder aufgelebte Rente angerechnet.

Der Kläger argumentiert, dass die Anrechnung nur auf den ehemals abgefundenen Teil der Rente und nicht auf den gesamten Rentenanspruch abzustellen sei. Die Rentenversicherung wies den Widerspruch zurück und verwies darauf, dass der Wortlaut des Gesetzes sich auf eine Rente und nicht auf einen Rentenanteil beziehe.

Die Klage wurde vor dem Sozialgericht Köln erhoben. Die Entscheidung in dem Fall bleibt abzuwarten.


SG Köln – Az.: S 30 U 493/20 – Urteil vom 12.05.2022

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Höhe der Anrechnung einer abgefundenen Verletztenrente auf die seit dem 01.09.2019 wiederaufgelebte Rente.

Der 1977 geborene Kläger war ehemals als Berufsfußballspieler berufstätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit erlitt er mehrere Sportverletzungen, die durch die Beklagte als Arbeitsunfälle anerkannt wurden. Hinsichtlich einer am 29.11.2003 erlittenen Teilruptur des rechten Außenbandes mit Knochenprellung und Teilriss des Kniegelenkmuskels leistete die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 20.04.2017 seit dem 04.07.2016 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 vom Hundert (v.H.). Daneben bezog der Kläger weitere Renten von der Beklagten wegen anerkannten Arbeitsunfällen vom 17.09.2005 und vom 29.06.2008, für die die Beklagte jeweils eine MdE von 10 v.H. berücksichtigte.

Auf dessen Antrag leistete die Beklagte dem Kläger für die diesem wegen des Arbeitsunfalls vom 29.11.2003 gewährte Rente durch Bescheide vom 07.07.2017 und vom 12.07.2017 eine Abfindung in Höhe von 73.465,67 EUR.

In der Folge stellte die Beklagte bei dem Kläger durch Bescheid vom 25.10.2018 eine wesentliche Änderung bezüglich der Folgen des Arbeitsunfalls vom 29.11.2003 fest. Mit Wirkung zum 01.06.2018 sei wegen der diesbezüglichen Folgen von einer MdE von 20 v.H. auszugehen. Unter Berücksichtigung der geleisteten Abfindung bestehe ein laufender Rentenanspruch bei Zugrundelegung einer MdE von 10 v.H. Mit Wirkung zum 14.08.2019 erkannte die Beklagte beim Kläger zudem eine Erhöhung der MdE von 10 v.H. wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.09.2005 an.

Am 21.02.2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die abgefundene Rente wegen des Arbeitsunfalls vom 29.11.2003 wiederaufleben zu lassen. Diesbezüglich verwies er darauf, dass durch die zuletzt von der Beklagten anerkannte Verschlimmerung der Folgen des Unfalls vom 17.09.2005 nunmehr Schädigungsfolgen vorlägen, die Ansprüche auf Verletztenrenten nach einer MdE von insgesamt 50 v.H. begründeten und er daher als Schwerverletzter im Sinne der Unfallversicherung anzusehen sei.

Durch Bescheid vom 15.04.2020 entsprach die Beklagte dem Antrag des Klägers und ließ die Rente für den Arbeitsunfall vom 29.11.2003 mit Wirkung zum 01.09.2019 in vollem Umfang wiederaufleben. Dabei rechnete sie den Anteil der dem Kläger geleisteten Abfindungssumme, der die Summe der Rentenbeiträge, die dem Kläger während des Abfindungszeitraums zugestanden hätten, überstieg, auf die Hälfte der zu leistenden Rente an.

Hiergegen erhob der Kläger mit anwaltlichem Schreiben am 06.05.2020 Widerspruch. Mit diesem machte er in der Folge geltend, dass ihm die Rente für den Arbeitsunfall vom 29.11.2003 monatlich zu einem Anteil von 75% auszuzahlen sei und lediglich für den darüber hinausgehenden Anteil eine Anrechnung gerechtfertigt sei. Soweit gesetzlich geregelt sei, dass die zu leistende Rente im Falle eines Wiederauflebens bei Anrechnung verbleibender Abfindungsanteile in mindestens hälftiger Höhe zu gewähren sei, sei allein auf den wiederauflebenden ehemals abgefundenen Anteil und nicht den gesamten Rentenanspruch abzustellen. Dies folge aus einer Auslegung des maßgeblichen § 77 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII). So laute die Überschrift der maßgeblichen Norm „Wiederaufleben der abgefundenen Rente“, sodass von einer Beschränkung auf den abgefundenen Teil auszugehen sei. Auch die Gesetzessystematik indiziere eine Beschränkung auf den von der Abfindung betroffenen Teil der Rente, da der Gesetzesabschnitt, in dem sich die Norm befinde, die Abfindungen der Renten behandele. Sinn und Zweck der Norm sei zudem, die Rechtslage wiederherzustellen, die ohne die Abfindung bestehen würde, da der Gesetzgeber davon ausgehe, dass Schwerverletzte auf die Rente als laufende Leistung angewiesen seien.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 26.11.2020 zurück. Begründend verwies sie im Wesentlichen darauf, dass sich der Wortlaut der maßgeblichen Gesetzesnorm auf eine Rente und nicht auf einen Rentenanteil beziehe. Gesetzlich angeordnet sei, dass ein Zustand wiederherzustellen sei, der ohne die Abfindung bestehen würde „- also ein Zustand mit einem einzigen Rentenanspruch aus einem Versicherungsfall“. Eine Anrechnung der geleisteten Abfindung nur im Hinblick auf einen Teil der maßgeblichen Rente sei hingegen nicht möglich. Das bei Erlass des angefochtenen Bescheides unterlassene, gesetzlich angeordnete Ausüben von Ermessen werde bei der Entscheidung über den Widerspruch nunmehr nachgeholt. Unter Berücksichtigung der regelmäßigen Einkünfte des Klägers sei nicht davon auszugehen, dass er auf eine höhere Rentenzahlung angewiesen sei, sodass es bei der hälftigen Einbehaltung verbleibe.

Am 23.12.2020 hat der Kläger hiergegen Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben.

Er verweist unter Wiederholung seines Widerspruchsvorbringens ergänzend darauf, dass in seinem Fall der gesetzliche Zweck des Wiederauflebens der Rente angesichts dessen, dass der neu hinzugekommene Teil ihm unabhängig vom Wiederaufleben laufend geleistet werde, nicht erreicht würde.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2020 zu verpflichten, bei der Anrechnung der ihm geleisteten Abfindungssumme für die ihm wegen des Arbeitsunfalls vom 29.11.2003 geleisteten Rente allein den der Abfindung zugrunde gelegten Rentenanteil und nicht die wiederaufgelebte volle Rente zugrunde zu legen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf ihre im Widerspruchsbescheid ausgeführten Gründe.

Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 25.03.2022 sowie vom 07.04.2022 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil bereit erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

A. Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten diesbezüglich ihr Einverständnis erteilt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

B. Streitgegenständlich ist unter Auslegung des im Schriftsatz vom 26.01.2021 ausgeführten schriftlichen Klageantrags des Klägers die im Bescheid vom 15.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2020 festgesetzte monatliche Höhe der Anrechnung der dem Kläger zuvor geleisteten Abfindungssumme.

C. Die hiergegen erhobene statthafte kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG ist zulässig, aber unbegründet.

Der angefochtene Bescheid vom 15.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2020 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht gemäß § 54 Abs. 2 SGG. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf geringere Anrechnung der zuvor wegen des Arbeitsunfalls vom 29.11.2003 gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB VII abgefundenen Rente. Die Höhe der gemäß § 77 Abs. 2 SGB VII erfolgenden Anrechnung der geleisteten Abfindungssumme begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Gemäß § 77 Abs. 1 SGB VII lebt auf Antrag der Anspruch auf Rente in vollem Umfang wieder auf, wenn Versicherte nach einer Abfindung Schwerverletzte werden. § 77 Abs. 2 Satz 1 SGB VII regelt ergänzend, dass die Abfindungssumme auf die Rente angerechnet wird, soweit sie die Summe der Rentenbeträge übersteigt, die den Versicherten während des Abfindungszeitraumes zugestanden hätten. Satz 2 regelt darüber hinaus, dass die Anrechnung so zu erfolgen hat, dass den Versicherten monatlich mindestens die halbe Rente verbleibt.

Ausgehend von diesen Grundsätzen begegnet der Bescheid der Beklagten im Hinblick die mit der Klage angefochtene Verfügung über die Höhe der Anrechnung der dem Kläger zuvor gezahlten Abfindungssumme keinen rechtlichen Bedenken. Zurecht hat die Beklagte bei ihrer Entscheidung über die Höhe der Anrechnung der dem Kläger geleisteten Abfindungssumme den gesamten wegen des gemäß § 7 Abs. 1 Variante 1 SGB VII einen Versicherungsfall darstellenden Arbeitsunfalls des Klägers vom 29.11.2003 bestehenden Rentenanspruch gemäß § 56 Abs. 1 SGB VII unter Berücksichtigung einer MdE von 20 v.H. – und nicht lediglich den ehemals zum Zeitpunkt der erfolgten Abfindung bestehenden Rentenanspruch unter Berücksichtigung einer MdE von 10 v.H. – zugrunde gelegt.

Diesbezüglich nimmt die Kammer zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 26.11.2020, soweit in dieser die Höhe der verfügten Anrechnung, insbesondere im Hinblick auf das ausgeübte Ermessen, erläutert wird. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Kläger auf Interessen berufen kann, die im Vergleich zum Interesse der Versichertengemeinschaft auf eine möglichst frühe Tilgung der geleisteten Abfindungssumme eine geringere Anrechnung begründen können.

Soweit der Kläger zudem der Auffassung ist, dass die gesetzlich angeordnete Mindestauszahlung der „halben Rente“ sich allein auf den ehemals bestehenden, abgefundenen Rentenanspruch bezieht, dringt er mit dieser Auffassung nicht durch. Zur Überzeugung der Kammer besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die wegen eines Versicherungsfalles im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB VII zu leistende Rente im Anwendungsbereich von § 77 SGB VII teilbar wäre. Im Gegenteil folgt aus den maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften, dass ohne ergänzende Formulierungen bei der Verwendung des Begriffs „Rente“ im SGB VII grundsätzlich auf den vollständigen, aus einem Versicherungsfall folgenden Rentenanspruch abgestellt wird. Soweit in Ausnahme zu diesem Grundsatz der hier maßgebliche vierte Unterabschnitt „Abfindung“ des Abschnitts „Renten an Versicherte“ Regelungen enthält, in denen Rentenansprüche lediglich teilweise durch gesetzliche Regelunge betroffen sein sollen (so regelt etwa § 76 Abs. 3 SGB VII: „wird insoweit Rente gezahlt“; in § 79 Satz 3 SGB VII heißt es: „Der Anspruch auf den Teil der Rente, an dessen Stelle die Abfindung tritt, erlischt (…)“) folgt daraus, dass die in § 77 Abs. 2 SGB VII enthaltenen Regelungen sich mangels entsprechender Konkretisierung gerade nicht auf lediglich einen Teil einer Rente beziehen sollen. Der Kläger verkennt im Übrigen, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf § 77 SGB VII zugrunde legt, dass eine wesentliche Änderung gerade im Hinblick auf den vollen Rentenanspruch eingetreten ist, wie sich aus der Formulierung in Abs. 1 („lebt auf Antrag der Anspruch auf Rente in vollem Umfang wieder auf“) sowie unter ergänzender Berücksichtigung von § 76 Abs. 3 SGB VII erkennen lässt. Soweit der Kläger zur Bestätigung seiner gegenüber der Ansicht der Kammer sowie der Beklagten divergierenden Rechtsauffassung unter anderem auf die Kommentierung von Jung, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl, § 77 SGB VII (Stand: 15.03.2014), Rn. 12 verweist, ergibt sich aus einer vollständigen Betrachtung der Kommentierung, dass durch den Satz „Nur die abgefundene und wiederaufgelebte Rente ist von der Anrechnung betroffen“ eine Eingrenzung der Anrechnung auf die betroffene Rente im Verhältnis zu weiteren Renten aus anderen Versicherungsfällen zum Ausdruck gebracht werden soll, wie sich aus dem direkt anschließenden Satz „Renten wegen weiterer Versicherungsfälle, die zum Eintritt der Schwerverletzteneigenschaft beigetragen haben, bleiben unberührt“ schlussfolgern lässt (Jung a.a.O., ebenso in der aktuellen 3. Aufl., § 77 SGB VII (Stand: 15.01.2022), Rn. 12 unter Verweis auf die Kommentierung in Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 77 SGB VII Rn. 7; ebenso Kranig in: Hauck/Noftz SGB VII, § 77 Wiederaufleben der abgefundenen Rente, Rn. 7).

Für eine darüber hinausgehende Berücksichtigung systematischer und zweckbezogener Aspekte im Wege der Auslegung besteht angesichts der Formulierung von § 77 SGB VII kein Raum.

Die Klage war daher abzuweisen.

D. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt, dass die Klage keinen Erfolg gehabt hat.

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