Skip to content
Menü

Absenkung des festgestellten Grades der Schädigung

LSG Berlin-Brandenburg – Az.: L 13 VE 63/14 – Urteil vom 23.11.2016

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Oktober 2014 sowie der Bescheid des Beklagten vom 15. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2013 aufgehoben.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten gerichtlichen Verfahrens in vollem Umfang zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Absenkung des bei ihm festgestellten Grades der Schädigungsfolge (GdS).

Mit Bescheid vom 22. März 2002 hatte der Beklagte bei dem Kläger, der als Elfjähriger von einem unbekannt gebliebenen Mann körperlich misshandelt und sexuell missbraucht worden war, eine posttraumatische Belastungsstörung als Schädigungsfolge anerkannt, und zwar hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) nach einem Grad der Schädigungsfolge (seinerzeit noch als MdE, Minderung der Erwerbsfähigkeit, bezeichnet) von 40. Dieser Entscheidung lag das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D vom 16. Januar 2002 zugrunde.

Im Nachprüfungsverfahren holte der Beklagte das Gutachten der Ärztin für Psychiatrie Dr. M vom 27. Februar 2007 ein, die nach Untersuchung des Klägers eine chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung mit einem GdS von 30 feststellte. Der Schweregrad sei nunmehr in den unteren Bereich der stärker behindernden Störungen einzuordnen, da mit Unterstützung die soziale Eingliederung weitgehend gelinge und der Leidensdruck im Verlauf der Störung abgenommen habe. Gleichwohl teilte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 27. März 2007 mit, dass die Untersuchung keine Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse ergeben habe, die eine Neufeststellung des Versorgungsanspruchs bedinge.

2012 leitete der Beklagte ein weiteres Nachprüfungsverfahren ein. In dem hierbei erstatteten Gutachten nach Aktenlage vom 19. November 2012 schlug der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K vor, als Schädigungsfolge weiterhin unverändert eine chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung mit einem GdS von 30 anzuerkennen. Daraufhin setzte der Beklagte mit Bescheid vom 15. Januar 2013 bei dem Kläger den GdS mit Wirkung ab 1. März 2013 auf 30 herab und änderte die Bezeichnung der Schädigungsfolge in chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung. Den Widerspruch des Klägers wies er mit Widerspruchsbescheid vom 11. März 2013 zurück.

Hiergegen hat der Kläger bei dem Sozialgericht Berlin Anfechtungsklage erhoben. Neben Befundberichten hat das Sozialgericht das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. St vom 23. Januar 2014 eingeholt, der die Schädigungsfolgen mit einem GdS von 30 bewertet hat. Hierbei hat er – fast wortgleich – die Begründung der Vorgutachterin Dr. M herangezogen. Dem Gutachten folgend hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 7. Oktober 2014 mit der Begründung zurückgewiesen, bei dem Kläger liege nunmehr lediglich ein GdS von 30 vor.

Mit der Berufung gegen diese Entscheidung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie T vom 17. Juli 2016.

Der Kläger beantragt seinem schriftlichen Vorbringen zufolge, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Oktober 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass die angefochtene Entscheidung zutreffend sei.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin verhandeln und entscheiden (vgl. § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Denn der angegriffene Herabsetzungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Absenkung des festgestellten Grades der Schädigung
(Symbolfoto: fizkes/Shutterstock.com)

Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X), wonach ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist. Hierbei sind die zum Zeitpunkt der Aufhebung bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung vorhanden gewesen sind, zu vergleichen.

Die von der Beklagten mit dem hier angefochtenen Bescheid teilweise aufgehobene Entscheidung über die Feststellung eines GdS von 40 ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Der Senat hat allerdings auch nach weiterer Sachverhaltsaufklärung im Berufungsverfahren nicht die Überzeugung gewinnen können, dass sich die maßgeblichen Verhältnisse in dem zwischen der ursprünglichen Festsetzung des GdS von 40 und der Herabsetzung auf 30 liegenden Zeitraum geändert hätten. Vorliegend erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die von den verschiedenen Sachverständigen vorgenommene differierende Einstufungen des GdS bei dem Kläger nicht – wie erforderlich – auf einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse beruhen, sondern auf gutachterliche unterschiedliche Bewertungen zurückzuführen sind, ohne dass sich die gesundheitliche Zustand des Klägers geändert hätte. Die Einschätzung der Gutachterin Dr. M im Gutachten vom 27. Februar 2007, „mit Unterstützung“ gelinge die soziale Eingliederung des Klägers nunmehr „weitgehend“, lässt nicht erkennen, aus welchen Gründen der Schweregrad dessen psychischer Erkrankung in den unteren Bereich der stärker behindernden Störungen einzuordnen ist. Die von ihr angeführte Ausbildung zur Gastronomiefachkraft hat später aus Gründen, die auf die psychische Erkrankung des Klägers zurückzuführen sind, zu keiner Festanstellung geführt. Auch ist nicht zu erkennen, inwieweit der Umstand, dass der damals zwanzigjährige Kläger noch immer bei seiner Mutter lebte, für dessen soziale Eingliederung sprechen sollte. Die weitere Einschätzung der Gutachterin, dass der Leidensdruck im Verlauf der Störung abgenommen habe, lässt sich aus Darlegungen im Gutachten nicht erschließen. Eine nach der Feststellung des GdS von 40 eingetretene Änderung des Gesundheitszustands des Klägers im Sinne einer Verbesserung seiner psychischen Erkrankung ergibt sich auch nicht aus dem Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K vom 19. November 2012, der die Schädigungsfolgen „weiterhin unverändert“ mit einem GdS von 30 bewertet hat. Im Übrigen ist dieser Gutachter im Gegensatz zu der der Ärztin für Psychiatrie Dr. M ausdrücklich von einem zunehmenden Leidensdruck auf den Kläger ausgegangen. Auch dem im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. S vom 23. Januar 2014 kann eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht entnommen werden. Seine – fast wortgleich – aus der Begründung der Vorgutachterin Dr. M übernommene Einschätzung, dass mit Unterstützung die soziale Eingliederung weitgehend gelungen sei und der Leidensdruck im Verlauf der Störung abgenommen habe, ist schon deshalb nicht überzeugend, weil der Gutachter sie nicht begründet hat. Für die Annahme, dass bereits im Zeitpunkt der ursprünglichen Festsetzung der GdB bei dem Kläger lediglich 30 betragen habe, eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen also nicht eingetreten ist, spricht, dass die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie T in dem durch den Senat eingeholten Sachverständigengutachtens der vom 17. Juli 2016 ausdrücklich zu dem Schluss gelangt ist, dass im März 2002 die posttraumatische Belastungsstörung des Klägers mit einem GdS von 30 zu bewerten gewesen sei. Für darüber hinausgehende Versuche, die mehr als 14 Jahre zurückliegenden Vorgänge aufzuklären, sieht der Senat keine Rechtfertigung. Die verbleibenden Zweifel gehen zu Lasten des Beklagten, da ihn die materiell Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der (teilweisen) Aufhebung des Bescheides trifft.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Sozialrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Sozialrecht. Wir beraten uns vertreten Sie in sozialrechtlichen Fragen. Jetzt Ersteinschätzung anfragen.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile und Beiträge aus dem Sozialrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!