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Anerkennung einer Gesundheitsstörung als entschädigungspflichtiger Impfschaden

Hessisches Gericht erkennt Impfschaden nach FSME-Impfung an

In einem wegweisenden Urteil hat das Hessische Landessozialgericht entschieden, dass eine Gesundheitsstörung infolge einer FSME-Impfung als entschädigungspflichtiger Impfschaden anerkannt wird, wenn diese über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgeht und keine andere Ursache für die Erkrankung gefunden werden kann; dies gilt auch bei seltenen Krankheitsverläufen und unabhängig von der üblicherweise angenommenen Latenzzeit, sofern die Kausalität wahrscheinlich ist.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: L 1 VE 12/09 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Eine entzündliche Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems nach einer FSME-Impfung kann als entschädigungspflichtiger Impfschaden anerkannt werden, wenn keine andere Ursache für die Erkrankung festgestellt werden kann.
  • Die übliche Latenzzeit von 42 Tagen für die Kausalität zwischen Impfung und Krankheitsausbruch ist nicht zwingend, insbesondere wenn das periphere Nervensystem betroffen ist; eine längere Zeitspanne bis zu 53 Tagen kann im Einzelfall wahrscheinlich sein.
  • Die Diagnose eines spezifischen Syndroms (z.B. Miller-Fisher-Syndrom) ist für die Anerkennung eines Impfschadens nicht entscheidend, solange die impfbedingte entzündliche Erkrankung des Nervensystems belegt ist.
  • Die Feststellung eines direkten Kausalzusammenhangs basiert auf einer Gesamtbewertung aller Umstände, einschließlich des zeitlichen Zusammenhangs und des Fehlens anderer Ursachen.
  • Die Anerkennung eines Impfschadens erfordert den Vollbeweis der Impfung, der gesundheitlichen Schädigung als Impfkomplikation und des daraus resultierenden dauerhaften Leidens.
  • Das Fehlen vergleichbarer dokumentierter Fälle schließt die Wahrscheinlichkeit eines Impfschadens nicht aus, insbesondere bei seltenen oder ungewöhnlichen Krankheitsverläufen.
  • Die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs muss auf dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft basieren und kann eine Einzelfallentscheidung erfordern.

FSME-Impfungen und mögliche Komplikationen

Impfungen gehören zu den größten Errungenschaften der modernen Medizin und haben zahlreiche Krankheiten weitgehend eindämmen können. Dennoch sind Nebenwirkungen und Komplikationen auch bei den wirksamsten Impfstoffen nie vollständig auszuschließen.

Insbesondere bei Impfungen gegen virale Erreger des Zentralnervensystems wie die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) werden gelegentlich Fälle schwerer Nebenwirkungen beobachtet. Die Anerkennung derartiger gesundheitlicher Beeinträchtigungen als entschädigungspflichtiger Impfschaden ist Gegenstand kontroverser Debatten. Entscheidend sind eine sorgfältige Abwägung aller Umstände und die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit der Impfung.

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➜ Der Fall im Detail


Rechtsstreit um Impfschaden nach FSME-Impfung entschieden

Im Mittelpunkt des juristischen Interesses stand kürzlich der Fall einer jungen Klägerin, die nach einer Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)-Impfung eine schwere Gesundheitsstörung entwickelte.

Impfschaden
(Symbolfoto: Numstocker /Shutterstock.com)

Die 1996 geborene Klägerin, die vor der Impfung als gesund galt, erhielt im April und Juni 2003 zwei FSME-Impfungen. 53 Tage nach der zweiten Impfung traten bei ihr erstmals schwere neurologische Symptome auf, darunter Tremor, Gleichgewichtsstörungen und eine Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustands, die schließlich zu einem komatösen Zustand führten. Die medizinische Diagnose ergab ein hirnorganisches Psychosyndrom mit Sprach- und Bewegungsstörungen als Folge der Impfung.

Die gerichtliche Entscheidung

Das Hessische Landessozialgericht gab der Klägerin recht und verurteilte den Beklagten zur Gewährung einer Beschädigtenversorgung ab 1. August 2003. Das Gericht hob hervor, dass die Klägerin an einem entschädigungspflichtigen Impfschaden leidet. Die umfangreichen medizinischen Untersuchungen und die daraus resultierenden Befunde stützten die Annahme, dass die neurologischen Schäden direkt auf die FSME-Impfung zurückzuführen sind.

Wesentliche Überlegungen des Gerichts

Das Gericht stellte fest, dass keine andere plausible Ursache für die Erkrankung der Klägerin festgestellt werden konnte. Die zeitliche Nähe zwischen der Impfung und dem Auftreten der Symptome sowie die Art der Erkrankung sprachen deutlich für einen ursächlichen Zusammenhang. Interessanterweise berücksichtigte das Gericht auch die Seltenheit des Krankheitsbildes und die Schwierigkeit, direkte kausale Verbindungen zu ähnlichen Fällen herzustellen. Nichtsdestotrotz wurde die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen Impfung und Krankheitsbild als ausreichend erachtet, um den Anspruch der Klägerin zu begründen.

Rechtliche Bedeutung des Urteils

Das Urteil verdeutlicht die Wichtigkeit sorgfältiger Abwägung medizinischer und juristischer Aspekte in Fällen von mutmaßlichen Impfschäden. Es zeigt, dass auch in Fällen, in denen die spezifische Krankheit selten ist und direkte Vergleichsfälle fehlen, ein Anspruch auf Entschädigung bestehen kann, sofern die Gesamtheit der Beweise einen plausiblen Zusammenhang nahelegt. Die Entscheidung betont die Notwendigkeit einer individuellen Betrachtung jedes Falles und unterstreicht die Rolle des Gerichts bei der Beurteilung komplexer medizinischer Sachverhalte.

Schlussbetrachtung

Dieser Fall illustriert die Herausforderungen, die sich bei der Beurteilung von Impfschäden ergeben können, und die zentrale Rolle, die juristische und medizinische Expertise dabei spielen. Er unterstreicht die Bedeutung einer gründlichen Untersuchung und Dokumentation im Vorfeld, um im Streitfall eine fundierte rechtliche Auseinandersetzung zu ermöglichen. Die Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts stellt einen wichtigen Beitrag zur Rechtsprechung im Bereich der Impfschäden dar und dient als Orientierungshilfe für ähnliche Fälle in der Zukunft.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was ist ein entschädigungspflichtiger Impfschaden?

Ein entschädigungspflichtiger Impfschaden ist eine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung, die durch eine öffentlich empfohlene Schutzimpfung verursacht wurde. Dabei muss eine sogenannte Impfkomplikation vorliegen, die mindestens sechs Monate nach der Impfung noch immer andauert.

Entscheidend ist, dass nach gesicherten medizinischen Erkenntnissen ein kausaler Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Gesundheitsschaden feststeht. Eine bloße Möglichkeit, dass der Impfstoff eine schädigende Wirkung gehabt haben könnte, reicht nicht aus. Der Nachweis muss durch ein medizinisches Gutachten erbracht werden.

Zu den anerkannten Impfschäden zählen beispielsweise Hirnschäden mit Störungen des Bewegungsvermögens und der geistigen Entwicklung nach einer Polio-Impfung, Anfallsleiden mit Entwicklungsverzögerungen nach einer Sechsfach-Impfung oder Epilepsie nach einer Pertussis-Impfung. Auch für Schäden durch die Covid-19-Impfstoffe kann eine Entschädigung beantragt werden.

Liegt ein entschädigungspflichtiger Impfschaden vor, haben die Betroffenen Anspruch auf Leistungen wie Heilbehandlung, Rentenzahlungen, Hinterbliebenenversorgung oder Leistungen zum Ausgleich wirtschaftlicher Folgen. Die Entschädigung erfolgt nach dem Infektionsschutzgesetz durch den Staat.

Wie wird der Zusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitsstörung festgestellt?

Um einen Zusammenhang zwischen einer Impfung und einer aufgetretenen Gesundheitsstörung festzustellen, müssen mehrere Kriterien erfüllt sein:

  1. Es muss eine zeitliche Nähe zwischen der Impfung und dem erstmaligen Auftreten der Symptome bestehen. Dabei wird geprüft, ob es einen engen zeitlichen Zusammenhang gibt.
  2. Die Gesundheitsstörung muss über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehen und mindestens sechs Monate andauern. Vorübergehende Beschwerden reichen nicht aus.
  3. Es muss nach aktuellem medizinischen Kenntnisstand ein kausaler Zusammenhang zwischen der Impfung und der Gesundheitsstörung wahrscheinlich sein. Dafür müssen mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs genügt nicht.
  4. Andere Ursachen für die Gesundheitsstörung müssen ausgeschlossen werden. Es wird geprüft, ob Vorerkrankungen oder sonstige Faktoren ursächlich gewesen sein könnten.
  5. Der Zusammenhang muss durch medizinische Gutachten und Auswertung wissenschaftlicher Studien belegt werden. Dafür werden Befunde und Behandlungsunterlagen vom zuständigen Versorgungsamt eingeholt und begutachtet.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann die Gesundheitsstörung als Impfschaden anerkannt werden. Dabei reicht es aus, wenn die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs gegeben ist. Eine völlige Gewissheit ist nicht erforderlich, insbesondere wenn über die genaue Ursache in der medizinischen Wissenschaft noch Unklarheit besteht.

Welche Rolle spielen medizinische Gutachten im Verfahren zur Anerkennung eines Impfschadens?

Die Erläuterung dieser Frage soll den Lesern die Bedeutung und das Gewicht medizinischer Expertisen im rechtlichen Verfahren verdeutlichen. Sie gibt Aufschluss darüber, wie und warum medizinische Gutachten eingeholt werden und welchen Einfluss sie auf die Entscheidungsfindung haben.

Wie lange nach der Impfung kann ein Impfschaden geltend gemacht werden?

Medizinische Gutachten spielen eine zentrale Rolle im Verfahren zur Anerkennung eines Impfschadens. Sie sind in der Regel ausschlaggebend dafür, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und der geltend gemachten Gesundheitsstörung festgestellt werden kann.

Das zuständige Versorgungsamt holt die erforderlichen medizinischen Unterlagen wie Befunde und Behandlungsunterlagen ein und lässt diese durch Versorgungsärzte begutachten. Bei komplexen Fragestellungen können auch externe Fachgutachter, z.B. von Universitätskliniken, beauftragt werden.

Die Gutachter müssen anhand der vorliegenden Informationen beurteilen, ob nach aktuellem medizinischem Kenntnisstand ein kausaler Zusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitsschaden wahrscheinlich ist. Dafür prüfen sie insbesondere:

  • Die zeitliche Nähe zwischen Impfung und Auftreten der Symptome
  • Ob die Gesundheitsstörung über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgeht
  • Ob andere Ursachen für die Beschwerden ausgeschlossen werden können
  • Ob der Zusammenhang durch wissenschaftliche Studien belegt ist

Nur wenn die Gutachter zu dem Ergebnis kommen, dass die Wahrscheinlichkeit für einen ursächlichen Zusammenhang gegeben ist, kann der Impfschaden anerkannt werden. Eine völlige Gewissheit ist dafür nicht erforderlich, insbesondere wenn die genaue Ursache medizinisch noch nicht vollständig geklärt ist.

Kommen die Gutachter zu einem negativen Ergebnis, wird der Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens in der Regel abgelehnt. Die Betroffenen haben dann noch die Möglichkeit, ein eigenes Gutachten einzuholen, um ihre Position zu stärken. Letztlich entscheiden aber die Verwaltungsgerichte auf Basis der vorliegenden Expertisen.

Insgesamt kommt den medizinischen Gutachten damit häufig eine Schlüsselrolle zu. Sie bilden die fachliche Grundlage für die rechtliche Bewertung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung eines Impfschadens erfüllt sind. Ohne einen gutachterlich belegten Kausalzusammenhang ist eine Entschädigung in der Regel nicht möglich.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 60 Abs. 1 IfSG (Infektionsschutzgesetz) Bestimmt die Voraussetzungen für Ansprüche auf Versorgung nach einem Impfschaden. Relevant für den Fall, da es um Entschädigung nach einer FSME-Impfung geht.
  • § 2 Nr. 11 IfSG Definiert Impfschaden als gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Maß hinausgehenden Schädigung durch die Impfung. Wesentlich für die Anerkennung der Gesundheitsstörung als Impfschaden.
  • Bundesversorgungsgesetz (BVG) Die entsprechende Anwendung seiner Vorschriften wird durch § 60 Abs. 1 IfSG für die Versorgung im Falle eines Impfschadens vorgesehen. Dies bildet die Grundlage für die Entschädigungsansprüche.
  • Ständige Impfkommission (STIKO) Die Empfehlungen und Kriterien der STIKO sind maßgeblich für die Beurteilung von Impfreaktionen und Impfschäden. Ihre Arbeitsergebnisse bestimmen den aktuellen wissenschaftlichen Stand.
  • Sozialgerichtsgesetz (SGG), insbesondere § 109 SGG Ermöglicht im sozialgerichtlichen Verfahren die Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dies ist zentral für die Feststellung eines Impfschadens.
  • Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) und Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit Bieten Richtlinien für die medizinische Begutachtung von Impfschäden. Die VersMedV löste die bisherigen Anhaltspunkte ab und regelt die Bewertung von Gesundheitsstörungen und deren Folgen.


Das vorliegende Urteil

Hessisches Landessozialgericht – Az.: L 1 VE 12/09 – Urteil vom 26.06.2014

Auf die Berufung der Klägerin wird der Bescheid vom 25. Juli 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2006 sowie das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 26. Februar 2009 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. August 2003 unter Anerkennung eines hirnorganischen Psychosyndroms mit Sprach- und Bewegungsstörungen als Folgen der am 2. Juni 2003 erfolgten FSME-Impfung Beschädigtenversorgung in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin unter einem entschädigungspflichtigen Impfschaden leidet.

Die 1996 geborene Klägerin wurde angesichts eines geplanten Urlaubsaufenthalts in Österreich am 29. April 2003 durch den Kinderarzt Dr. E. mit dem Impfserum Encepur®Kinder (0,25) gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) geimpft. Eine zweite Impfung erfolgte am 2. Juni 2003.

Die zuvor gesunde und altersentsprechend entwickelte Klägerin war lediglich im Alter von vier Jahren an einer Varizelleninfektion (Windpocken) mit schwerem Verlauf erkrankt. Danach bestand eine latente Neurodermitisneigung.

Am 25. Juli 2003, d.h. 53 Tage nach der zweiten Impfung äußerte die Klägerin Unwohlsein und Kopfschmerzen sowie starke Müdigkeit. Am Morgen des 26. Juli 2003 litt die Klägerin unter einem starken Tremor der linken Hand und Gleichgewichtsstörungen mit ausgeprägter Fallneigung.

Die Klägerin wurde noch am 26. Juli 2003 im Klinikum Fulda stationär aufgenommen. Trotz Therapie mit Antibiotika und Virostatika verschlechterten sich sowohl die Ataxie als auch der Tremor; eine motorische Sprachstörung trat hinzu. Nach einer Woche kam es zudem zu einer Vigilanzverschlechterung bis hin zu einem komatösen Allgemeinzustand mit Unruhezuständen. Anfang August 2003 wurde die Klägerin aufgrund eines krampfanfallartigen Zustands einige Tage intensivmedizinisch versorgt.

Die im Klinikum Fulda durchgeführte Infektionsdiagnostik in Liquor und Serum war unter Berücksichtigung der vorrangig zu beachtenden viralen und bakteriellen Erreger negativ.

Folgende auffällige Laborbefunde wurden erhoben: Im Blut wurden Antikörper vom Typ IgG als Nachweis einer Immunreaktion gefunden. Ferner wurden antinukleäre Antikörper (ANA) im Serum mit einem Titer von 1:320 festgestellt. Die Lymphozyten im Liquor lagen bei Aufnahme bei 40 (bei positiven oligokonalen Banden), am 6. August 2003 bei 56 und am 26. August 2003 bei 0 bei jeweils normaler Eiweißkonzentration. Die FSME-Antikörper-Konstellation entsprach dem Zustand nach Impfung. Das Stoffwechselzentrum der Universität Heidelberg stellte im Rahmen einer zusätzlichen durch das Klinikum Fulda veranlassten Diagnostik eine Erhöhung einzelner Aminosäuren sowohl im Blut als auch im Liquor fest.

Mehrere EEG-Untersuchungen zeigten pathologische Muster wie bei einer Enzephalitis üblich. Untersuchungen auf neurologisch relevante Stoffwechselanomalien verliefen ebenso negativ wie weitere bildgebende Verfahren von Gehirn oder Rückenmark. Okulomotorik und Pupillenmotorik waren bei der Aufnahmeuntersuchung in Fulda regelgerecht (Entlassungsbericht vom 8. September 2003, Bl. 44-50 der Verwaltungsakte).

Die Klägerin wurde am 8. September 2003 mit der Diagnose „Enzephalitis (ohne Keimnachweis)“ in das Sozialpädiatrische Zentrum im Kinderzentrum München zur weiteren Therapie und Rehabilitation entlassen und dort stationär bis zum 22. November 2003 behandelt. Es folgten weitere ambulante Kontrolltermine, u.a. am 3. Februar 2004, am 18. Juli 2004 und am 14. November 2004; behandelnder Arzt war Prof. Dr. D.

Bereits bei Aufnahme der Klägerin wurde eine auffallende neurologische Veränderung der Augenbeweglichkeit festgestellt. Auf Veranlassung des Kinderzentrums München erfolgte am 10. September 2003 eine Untersuchung der Klägerin durch Prof. Dr. G. vom Friedrich-Baur-Institut (Neurologische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München), der eine Störung der Okulomotorik bestätigte (Behandlungsberichte vom 10. September 2003, Bl. 436 der Gerichtsakte und vom 17. November 2003, Bl. 454 der Gerichtsakte).

Im Kinderzentrum München wurden im Rahmen von Laboruntersuchungen Campylobacter jejuni-Immunantiglobulin-Antikörper vom Typ IgG im Serum positiv nachgewiesen. Weitere umfassende Untersuchungen blieben wiederum ohne Befund. Im Rahmen einer MRT-Aufnahme erschien lediglich das Kleinhirn etwas volumengemindert.

Prof. Dr. D. stellte vor dem Hintergrund dieser Befunde in Zusammenschau mit der Erhöhung der ANA-Antikörper, der mittelgradigen Erhöhung von Lymphozyten im Liquor und dem schweren neurologischen Krankheitsbild (Ataxie, Dysarthrie und teilweiser Ophtalmoplegie) – in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Neuropädiaters Prof. I. – die Verdachtsdiagnose eines Miller-Fisher-Syndroms in Kombination mit einer Bickerstaff-Enzephalitis (Entlassungsbericht vom 13. April 2004, Bl. 61 der Verwaltungsakte). Bei einem Miller-Fisher-Syndrom handelt es sich um eine seltene Erkrankung des peripheren Nervensystems, die insbesondere die Hirnnerven betrifft und als Variante des Guillain-Barré-Syndroms, bei welchen die für Rumpf und Extremitäten verantwortlichen Nerven betroffen sind, eingeordnet wird. Die Bickerstaff-Enzephalitis ist eine seltene Form der Enzephalitis, bei der vermutlich Autoantikörper gegen den Hirnstamm gerichtet sind und diesen anschwellen lassen.

Bereits mit Bescheid vom 10. Dezember 2003 hatte der Beklagte den Grad der Behinderung (GdB) mit 100 sowie die Nachteilsausgleiche mit den Merkzeichen „G“, „B“, „aG“ und „H“ bei der Funktionsbeeinträchtigung „Hirnorganisches Psychosyndrom, Sprach- und Bewegungsstörungen“ festgestellt. Der Beklagte änderte diesen Bescheid zwischenzeitlich nach einer Überprüfung von Amts wegen mit Bescheid vom 16. Juli 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2014 ab und stellte nunmehr einen GdB von 80 sowie die Merkzeichen G und B fest. Ein Klageverfahren ist insoweit bei dem Sozialgericht Fulda anhängig ().

Am 27. Juni 2004 beantragte die Klägerin, vertreten durch ihre Eltern, bei dem Beklagten Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens in Form eines Miller-Fisher-Syndroms in Kombination mit einer Bickerstaff-Enzephalitis als Folge einer FSME-Impfung.

Der Beklagte zog die Entlassungsberichte des Klinikums Fulda sowie des Kinderzentrums München bei und holte Auskünfte des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI) ein. Das PEI teilte u.a. mit, dass mehrere Fälle einer Enzephalitis nach FSME-Impfung vorlägen, allerdings ein Miller-Fisher-Syndrom als Sonderform eines Guillain-Barré-Syndroms bisher noch nicht gemeldet worden sei. Grundsätzlich sei zu sagen, dass Erkrankungen des zentralen Nervensystems in seltenen Fällen nach FSME-Impfungen auftreten könnten, so dass, sofern keine andere Ursache der Enzephalitis gefunden werden könne, der Kausalzusammenhang als „möglich“ einzustufen sei.

Stellungnahme vom 6. Juli 2005 einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der zweiten FSME-Impfung am 2. Juni 2003 und dem Auftreten der neurologischen Symptome am 25. Juli 2003. Nach einer Impfung könne es zu Komplikationen, auch im Sinne entzündlicher Nervenschäden, nur in einem eng umschriebenen Zeitraum zwischen dem 7. und dem 14. Tag nach der Impfung kommen. Ein über das übliche Ausmaß einer normalen Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden sei nicht bewiesen.

Mit Bescheid vom 25. Juli 2005 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die Klägerin verwies in ihrem Widerspruch vom 12. August 2005 u.a. darauf, dass ein Zeitfenster von 14 Tagen zwischen Impfung und Auftreten von Impfkomplikationen willkürlich und wissenschaftlich nicht belegt sei. Der Beklagte wies den Widerspruch nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des Medizinaldirektors F. mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2006 mit der Begründung zurück, das Intervall von 53 Tagen schließe einen Kausalzusammenhang aus. Auch der behandelnde Arzt Prof. Dr. D. habe entsprechend bestätigt, dass kein klarer zeitlicher Zusammenhang zur FSME-Impfung bestanden habe.

Auf die hiergegen am 20. Februar 2006 erhobene Klage hat das Sozialgericht Gießen auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über die Entstehung eines Impfschadens Beweis erhoben durch die Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage bei dem Sachverständigen Prof. Dr. X. (Arzt für Kinder- und Jugendmedizin, Arzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, Infektiologe). Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 1. Mai 2007 (Bl. 42 – 76 der Gerichtsakte) zu der Einschätzung gelangt, dass die neurologische Symptomatik, die bei der Klägerin 53 Tage nach der zweiten Dosis FSME-Impfstoff aufgetreten sei, nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die verabreichte Impfung zurückzuführen sei. Nach Auswertung wissenschaftlicher Aufzeichnungen sei eine biologische Plausibilität zwar grundsätzlich zu bejahen. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Impfung und neurologischer Symptomatik sei eher in einem begrenzteren Zusammenhang zu erwarten gewesen. Impfstudien seien so angelegt, dass der Gipfel der Antikörperproduktion nach etwa vier Wochen erfasst werde. Demnach sei zu erwarten, dass eben auch Antikörper mit autoimmuner Wirkung innerhalb dieses Zeitraums gebildet würden. Als Antwort auf die zweite Impfdosis sei das Immunsystem „schneller“; die Antikörperproduktion sei deutlich früher als nach vier Wochen zu erkennen. Insgesamt sei es theoretisch wenig plausibel von einer Kausalität auszugehen, wenn die klinische Symptomatik erst 53 Tage nach der zweiten Dosis einsetze. In der Literatur fänden sich keine Hinweise auf eine Symptomatik wie die der Klägerin nach einer FSME-Impfung, also keine Fälle des Miller-Fisher-Syndroms oder einer Bickerstaff-Enzephalitis. Es fänden sich jedoch Fallserien mit Guillain-Barré-Syndrom nach Influenza-Impfungen. In diesen Fällen erscheine auch der zeitliche Zusammenhang von 53 Tagen noch plausibel. Ein Zusammenhang von Influenza-Impfung und Guillain-Barré-Syndrom habe sich jedoch nicht für Kinder gefunden. Im Fall der Klägerin gebe es zudem auch Hinweise für eine andere Genese der Erkrankung. Denn im Kinderzentrum München habe sich eine erhöhte IgG-Konzentration für Campylobacter jejuni als Hinweis für eine (asymptomatisch) abgelaufene Infektion mit diesem Bakterium feststellen lassen. Am 2. August 2008 hat der Sachverständige Prof. Dr. X., der mit Wirkung zum 1. Juli 2007 zum Pharma-Hersteller K., dem Hersteller des hier streitigen Impfstoffs wechselte, zu einem klägerseits vorgelegten Schreiben des behandelnden Arztes Prof. Dr. D. vom 12. Oktober 2007 (Bl. 100-103 der Gerichtsakte) ergänzend Stellung genommen (Bl. 144-157 der Gerichtsakte). Aus seiner Sicht sei der erhöhte ANA-Titer im Serum für die vorliegende Beurteilung belanglos. Der ANA-Titer sei ein Hinweis auf eine rheumatische Erkrankung. Auch wenn die Klägerin bisher nicht an einer rheumatischen Erkrankung leide, liege mit der an Polyarthritis erkrankten Großmutter eine entsprechende Disposition vor. Die Erhöhung von Lymphozyten im Liquor könne auch auf eine ohne Symptome verlaufene Campylobacter jejuni-Infektion zurückgeführt werden.

Ergänzend hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. J. Der Sachverständige Prof. Dr. J. hat in seinem Gutachten vom 18. November 2008 (Bl. 182 – 227 der Gerichtsakte) ebenfalls eine ursächliche, teilursächliche oder gelegenheitsursächliche Verknüpfung zwischen der FSME-Impfung und der neurologischen Erkrankung der Klägerin verneint. Zunächst hat sich der Sachverständige Prof. Dr. J. gegen die Diagnose eines Miller-Fisher-Syndroms als Sonderform des Guillain-Barré-Syndroms ausgesprochen. Gegen eine solche Diagnose sprächen zum einen die hohe Zellzahl (Lymphozyten) im Liquor bei gleichzeitig niedrigem Liquoreiweiß und zum anderen der Verlauf der Erkrankung. Aber auch bei der Annahme eines Miller-Fisher-Syndroms könne angesichts der Zeitspanne von 53 Tagen zwischen Impfung und Auftreten des neurologischen Krankheitsbildes die Wahrscheinlichkeit einer impfbedingten Verursachung nicht angenommen werden. Zwar erkenne die Ständige Impfkommission (STIKO) grundsätzlich einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der FSME-Impfung bei Kindern und einem Guillain-Barré-Syndrom – und damit wohl auch analog bei der Sonderform des Miller-Fisher-Syndroms – an. Jedoch sei bei einem Guillain-Barré-Syndrom von einer postvakzinalen Inkubationszeit von 1-3 Wochen, ausnahmsweise von 5-6 Wochen auszugehen. Bei einem Zeitraum von über 6 Wochen bestehe jedoch wahrscheinlich kein Zusammenhang. Eine Infektion mit Campylobacter jejuni sei lediglich eine Möglichkeit der Erkrankung, jedoch liege auch diesbezüglich kein Nachweis vor.

Die Klägerin ist beiden Gutachten entgegen getreten und hat zur Klagebegründung ergänzend ausgeführt, dass beide Sachverständige einen Beweis für die Hypothese, eine Zeitspanne von 53 Tagen liege außerhalb einer zu akzeptierenden Latenzzeit, schuldig geblieben seien.

Das Sozialgericht Gießen hat mit Urteil vom 26. Februar 2009 die Klage abgewiesen. Nach Würdigung aller Umstände sei eine außergewöhnliche Impfreaktion im Sinne des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VwVfG) durch die Befunde des Klinikums Fulda für den 26. Juli 2003 glaubhaft gemacht. Im Hinblick auf die zeitliche Distanz zwischen der Impfung am 2. Juni 2003 und der Glaubhaftmachung einer außergewöhnlichen Impfreaktion stehe jedoch zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsschäden jedenfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit wesentlich auf die durchgeführte Impfung zurückgeführt werden könnten. Der Sachverständige Prof. Dr. J. habe nachvollziehbar die Wahrscheinlichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen der Impfung und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen abgelehnt, weil es aufgrund der Impfung am 2. Juni 2003 erst 53 Tage später zu außergewöhnlichen gesundheitlichen Reaktionen gekommen sei. Dabei habe der Sachverständige die Prüfung einerseits unter der von ihm in Zweifel gezogenen Diagnose eines Miller-Fisher-Syndroms als auch unter der von ihm als zutreffender angesehenen Diagnose einer Enzephalitis durchgeführt. In beiden Fällen sei eine zeitlich wesentlich früher einsetzende Impfreaktion zu fordern, um den Ursachenzusammenhang zur Impfung wahrscheinlich zu machen. Es komme daher auch nicht darauf an, dass die Klägerin die von Prof. Dr. X. als mögliche Ursache für die Erkrankung durchgemachte Infektion mit Campylobacter jejuni als nicht bewiesen ansehe. Ein Anspruch auf Versorgung wegen eines Impfschadens sei nicht bereits dann gegeben, wenn der Nachweis für eine andere Ursache nicht geführt werden könne, sondern es sei vielmehr die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zu der Impfung herzustellen. Die letztendliche Ursache derartiger Gesundheitsschäden bleibe in einer Vielzahl von Fällen offen, ohne dass diese aber nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) zu entschädigen seien.

Die Klägerin hat gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 6. April 2009 zugestellte Urteil am 30. April 2009 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.

Im Rahmen der Berufungsbegründung ergänzt die Klägerin zunächst den Sachverhalt und trägt vor, dass es bereits vor dem 25. Juli 2003, d.h. vor dem Auftreten eines neurologischen Krankheitsbildes, zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Sinne von Brückensymptomen gekommen sei. Entsprechend bestätige ein Bademeister, bei dem sie am 20. Juli 2003 ihr Freischwimmerabzeichen abgelegt habe, dass sie aufgrund großer Erschöpfung nach dem Ausdauerschwimmen von 15min am 19. Juli 2003 nicht mehr in der Lage gewesen sei, beim Tieftauchen den Tauchring heraufzuholen (Schreiben vom 22. März 2010, Bl. 344 der Gerichtsakte). Auch die Klassenlehrerin und ein weiterer Lehrer der Klägerin bestätigten mit Schreiben vom 13. Februar 2010, dass ihrerseits in der Zeit vor den Sommerferien 2003 eine Veränderung bei der Klägerin beobachtet worden sei (Bl. 343 der Gerichtsakte). Ergänzend verweist die Klägerin auf Schriftproben vor der Impfung sowie vom 17. bzw. 18. Juli 2003 (Bl. 321 und 322 der Gerichtsakte) und reicht hierzu ein privates graphologisches Gutachten (ohne Datum) der Graphologin L. nach, die anhand von Schriftproben Störungen in der Handschrift der Klägerin verstärkt ab dem 18. Juli 2003 festgestellt habe (Bl. 526-531 der Gerichtsakte). Im Übrigen entspreche das von Prof. Dr. J. angenommene Zeitintervall nicht mehr dem neuesten Stand. Es werde insoweit auf eine Veröffentlichung im Gesundheitsblatt des PEI von 2009 verwiesen. In der dort zitierten wissenschaftlichen Arbeit werde als plausibler Zeitabstand für einen möglichen Kausalzusammenhang zwischen einer Impfung und dem Auftreten eines Guillain-Barré-Syndroms ein Intervall von bis maximal acht Wochen angenommen (Blatt 326 der Gerichtsakte). Die Klägerin weist weiter darauf hin, dass im Rahmen nachgehender MRT-Aufnahmen ihres Gehirns am 1. Dezember 2008 sowie am 8. Mai 2009 im Vergleich zu den Aufnahmen in 2003 eine massive progrediente Kleinhirnvolumenminderung festgestellt worden sei. Die Klägerin legt hierzu einen Arztbrief vom 1. Dezember 2008 (Bl. 315 und 316 der Gerichtsakte) und ein radiologisches Fachgutachten vom 8. Mai 2009 (Bl. 317 – 320 der Gerichtsakte) der Radiologin Dr. M. vor. Die Radiologin äußere sich dahingehend, dass diese Kleinhirnvolumenminderung die Folge einer Zerebellitis sein könne, wie sie in seltenen Fällen gemäß der Literatur auch mit einer abgelaufenen Impfung in Zusammenhang gebracht würde. Ergänzend verweist die Klägerin auf Filmaufnahmen ihrer Behandlungsfortschritte aus dem Zeitraum von September 2003 bis März 2012 (Bl. 539 der Gerichtsakte).

Auf Anfrage des Gerichts hat das PEI mit Schreiben vom 20. April 2010 mitgeteilt, dass in den Lehrbüchern die Latenzzeit für die Entstehung einer postvakzinalen Enzephalitis mit 7-14 Tagen angenommen werde. Da die beginnende Symptomatik einer Enzephalitis nicht immer akut und dramatisch sein müsse, werde für die Kausalitätsbewertung eine großzügigere Latenz von 7 – 42 Tagen angesetzt (Bl. 337 der Gerichtsakte).

Der Senat hat im Rahmen von Sachermittlungen von Amts wegen ein Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. H. eingeholt.

Professor Dr. H. gelangt in seinem Gutachten vom 20. Dezember 2011 (Bl. 466 – 501 der Gerichtsakte) zunächst zu dem Ergebnis, dass die bei der Klägerin im Juli 2003 aufgetretene Zerebellitis und Enzephalitis unter Berücksichtigung des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft und der zeitlichen Plausibilität in keinem Zusammenhang mit den am 29. April 2003 und 2. Juni 2003 durchgeführten Impfungen stünden und daher nicht als Impfschaden zu werten seien. Dabei hat der Sachverständige zunächst die Auffassung vertreten, dass alle klinischen und paraklinischen Befunde, insbesondere die fehlende Ophtalmoplegie aus neuropädiatrischer Sicht eindeutig gegen die Verdachtsdiagnose eines Miller-Fisher-Syndroms mit Bickerstaff-Enzephalitis sprächen. Anhand der Schriftproben der Klägerin könnten Symptome einer neurologischen Erkrankung ebenso wenig festgemacht werden wie anhand der wenig spezifischen Beobachtungen der Lehrer. Konkreter seien die Beobachtungen des Bademeisters 6 Tage vor Beginn der Erkrankung bzw. 47 Tage nach der zweiten Impfung. Es sei daher nicht auszuschließen, dass zu diesem Zeitpunkt bereits erste, sehr diskrete Symptome vor der Manifestation der Hirnentzündung bestanden hätten. Auch im Rahmen der verlängerten Latenz von 42 Tagen für die Annahme eines plausiblen zeitlichen Zusammenhangs, ergebe die zeitliche Latenz erster fraglicher Symptome nach 47 Tagen keinen möglichen Zusammenhang.

Auf eine durch die Klägerin veranlasste gutachterliche Stellungnahme des sachverständigen Zeugen Prof. Dr. D. vom 15. März 2012 (Bl. 546 – 684 der Gerichtsakte), in welcher dieser ausdrücklich an der von ihm ursprünglich gestellten Diagnose eines „Miller-Fisher-Syndroms in Kombination mit einer Bickerstaff-Enzephalitis“ festgehalten und vor dem Hintergrund der Äußerungen der Eltern, der Graphologin, der Lehrer und des Schwimmlehrers auch einen zeitlichen Zusammenhang bejaht hat, hat der Sachverständige Prof. Dr. H. nach körperlicher Untersuchung der Klägerin am 22. Juni 2012 sein Gutachten im Rahmen einer ergänzenden Stellungnahme vom 17. August 2012 modifiziert und ergänzend ausgeführt: Vor dem Hintergrund, dass sowohl Prof. Dr. D. als auch Prof. Dr. I. Anfang September 2003 eine links betonte Ophtalmoplegie, einen Nystagmus horizontal und vertikal sowie deutliche Schwierigkeiten bei Blick-Folge-Bewegungen beschrieben hätten, bestehe nun auch seinerseits kein Zweifel an einer entzündlichen Zentral-Nervensystem(ZNS)-Erkrankung mit Zerebellitis und Enzephalitis sowie mit Großhirn- und Hirnstammbeteiligung, so dass das akute Erkrankungsbild mit einer Variante eines Miller-Fisher-Syndroms zu vereinbaren sei. Eine konkrete Ursache der akuten neurologischen Erkrankung der Klägerin habe im Rahmen der umfangreichen Diagnostik nicht nachgewiesen werden können. Der Nachweis vorübergehend niedrig-titriger positiver antinukleärer Antikörper (ANA) bei der Klägerin sei für sich genommen jedoch kein Hinweis auf ein Guillan-Barré-Syndrom, Miller-Fisher-Syndrom oder eine Bickerstaff-Enzephalitis. Auch sei der Nachweis sog. oligoklonaler Banden kein eine Impfreaktion oder einen autoimmunologischen Prozess beweisender Befund (Bl. 719 der Gerichtsakte). Über die Ursache des bei der Klägerin festgestellten Leidens bestehe Ungewissheit. Da Erkrankungen des Nervensystems in seltenen Fällen nach FSME-Impfungen auftreten könnten, sei, da keine andere Ursache der Enzephalitis habe gefunden werden können, ein Kausalzusammenhang zur Impfung als möglich einzustufen. Aufgrund der Schilderungen der Eltern der Klägerin in Zusammenschau mit den von den Lehrern und dem Bademeister beschriebenen Auffälligkeiten könne von diskreten und unspezifischen Symptomen als Hinweise auf eine beginnende entzündliche Gehirnerkrankung der Klägerin innerhalb einer Frist von 42 Tagen nach der zweiten FSME-Impfung ausgegangen werden. Wegen weiterer Ausführungen wird auf das schriftliche Gutachten vom 17. August 2012 (Bl. 710-725 der Gerichtsakte) verwiesen.

Auf Anfrage des Gerichts hat Prof. Dr. H. in einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 20. Januar 2013 erläutert, dass es sich bei den von den Eltern im Rahmen der ambulanten Untersuchung am 22. Mai 2012 angegebenen unspezifischen Symptomen ab Pfingsten 2003 mit verstärkter Müdigkeit, Konzentrationsproblem und neu aufgetretenen feinmotorischen Problemen nicht um eine übliche Impfreaktion, sondern um Vorboten der dann am 25. Juli 2003 akut aufgetretenen Erkrankung gehandelt haben könnte. Nach der aktuellen herrschenden Lehrmeinung in der Kinderheilkunde könne das Guillain-Barré-Syndrom bei Kindern einen Krankheitsbeginn allmählich und voranschreitend über Tage oder Wochen zeigen. Die Ungewissheit eines Zusammenhangs zwischen FSME-Impfung und der sich bei der Klägerin manifestierenden Variante eines Miller-Fisher-Syndroms mit Zerebellitis und Enzephalitis resultiere überwiegend aus der ungeklärten Ursache ihrer Erkrankung. Die Erkrankung und der Erkrankungsverlauf der Klägerin seien außergewöhnlich. Das Auftreten einer Miller-Fisher-Syndrom-Variante mit Zerebellitis und Enzephalitis sei so selten, dass zunächst kein statistisch zu untermauernder Zusammenhang zwischen der Erkrankung der Klägerin und der FSME-Impfung herzustellen sei. Über die Ursache der bei der Klägerin diagnostizierten Erkrankung bestehe daher Ungewissheit im Sinne des § 61 Satz 2 IfSG. Alle diesbezüglich durchgeführten Untersuchungen hätten keine wegweisenden Ergebnisse erbracht. Eine zusätzliche Unsicherheit habe sich bei ihm im Verlauf der Erstellung des Gutachtens aufgrund der erst Jahre nach der Erkrankung beschriebenen möglichen Frühsymptome ergeben, die ihm erst nach dem Gespräch mit den Eltern deutlich geworden seien. Ergänzend wird auf die Ausführungen des Sachverständigen in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. Januar 2013 (Bl. 749 – 751 der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Der Senat hat ergänzend einen Befundbericht bei dem Sachverständigen Zeugen Prof. Dr. D. eingeholt. Wegen Einzelheiten wird auf den Befundbericht vom 21. Oktober 2013 (Bl. 802-811 der Gerichtsakte) verwiesen.

Das PEI hat auf Anfrage des Gerichts in einem Schreiben per eMail vom 23. Juni 2014 bestätigt, dass es sich bei den bei ihm unter den Ordnungsziffern Nr. 3680 und Nr. 3332 gelisteten Fällen jeweils um den Fall der Klägerin handelt (Bl. 892 und 893 der Gerichtsakte).

Die Klägerin sieht ihr Begehren durch die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. in seinem Gutachten vom 14. August 2012 im Ergebnis bestätigt. Sie verweist im Übrigen auch auf die gutachterliche Stellungnahme des sachverständigen Zeugen Prof. Dr. D., u.a. vom 15. März 2012 und vom 7. Mai 2013. Außerdem habe auch der erstinstanzlich beauftragte Sachverständige Prof. Dr. X. die biologische Plausibilität eines Kausalzusammenhangs zwischen der FSME-Impfung und den neurologischen Leiden der Klägerin bestätigt und eine Wahrscheinlichkeit lediglich aufgrund des von ihm zu kurz bemessenen zeitlichen Intervalls verneint. Jedenfalls sei sie im Rahmen der sog. Kann-Versorgung gemäß § 61 Satz 2 IfSG zu entschädigen. Ergänzend verweist die Klägerin auf die zu berücksichtigenden Zusatzstoffe im Impfserum, insbesondere auf Aluminiumhydroxid, Thiomersal und Hühnereiweiß, die im Rahmen einer Überempfindlichkeitsreaktion zusätzlich zu berücksichtigen seien.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 26. Februar 2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 25. Juli 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr ab 1. August 2003 unter Anerkennung eines hirnorganischen Psychosyndroms mit Sprach- und Bewegungsstörungen als Folgen der am 2. Juni 2003 erfolgten FSME-Impfung Beschädigtenversorgung in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte sieht sich durch das erstinstanzliche Urteil sowie durch die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. in dessen erstem Gutachten vom 20. Dezember 2011 bestätigt.

Die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Impfschaden erfordere den Nachweis der Impfung, einer gesundheitlichen Schädigung in Form einer unüblichen Impfreaktion und eines Dauerleidens als Schädigungsfolge und nicht nur deren Wahrscheinlichkeit. Für das Vorliegen der Tatsachen müsse eine hohe Wahrscheinlichkeit sprechen; erforderlich sei ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass kein Mensch mehr daran zweifle. Die Prüfung einer so genannten Kann-Versorgung nach § 61 S. 2 IfSG könne erst dann erfolgen, wenn tatsächlich feststehe, welche Erkrankung bei der Klägerin vorliege. Diese Frage sei von den Gutachtern nicht eindeutig beantwortet worden; Verdachtsdiagnosen und sich überschneidende Krankheitsbilder seien insoweit nicht hinreichend bestimmt. Ungewissheiten im Sachverhalt, die von der Ungewissheit in der medizinischen Wissenschaft über die Ursache des Leidens unabhängig seien, rechtfertigten die Anwendung der Kann-Vorschrift nicht. Dies sei insbesondere der Fall, wenn rechtserhebliche Zweifel über den Zeitpunkt des Leidensbeginns bestünden, weil die geltend gemachten Erstsymptome mehrdeutig seien oder wenn das Leiden diagnostisch nicht ausreichend geklärt sei. Die von der Klägerin angeführten Brückensymptome wie z.B. allgemeine Schwäche oder Verschlechterung des Schriftbildes seien möglicherweise Ausdruck einer Infektion. Im Übrigen sei die nachträgliche Konstruktion des zeitlichen Zusammenhangs nach fast 10 Jahren bedenklich. Auch die mögliche Toxizität der Zusatzstoffe des Impfstoffs bedürfe keiner weiteren Prüfung, da auch hier der immunologische Reaktionszeitraum von 53 Tagen nicht passend sei. Im Übrigen hat sich der Beklagte auf einzelne Stellungnahmen seiner medizinischen Berater Dr. N. vom 20. Dezember 2009 (Bl. 328 ff. der Gerichtsakte), vom 16. Januar 2012 (Bl. 509 – 510 der Gerichtsakte), vom 18. April 2012 (Bl. 693 – 695 der Gerichtsakte) sowie der Ärztin O. vom 15. April 2013 (Bl. 759 und 761 der Gerichtsakte), vom 9. August 2013 (Bl. 771 – 773 der Gerichtsakte) und vom 7. Dezember 2013 (Bl. 842 – 844 der Gerichtsakte) bezogen.

Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. H. im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2014 angehört. Wegen Einzelheiten seiner Äußerungen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 26. Juni 2014 (Bl. 883 – 891 der Gerichtsakte) Bezug genommen. Auf den Antrag der Klägerin hat der Senat ergänzend den im Termin der mündlichen Verhandlung präsenten sachverständigen Zeugen Prof. Dr. D. vernommen; wegen des Inhalts der Aussage wird ebenfalls auf die Sitzungsniederschrift vom 26. Juni 2014 (Bl. 883 – 891 der Gerichtsakte) verwiesen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die aus dem Verfahren vor dem Sozialgericht Fulda () beigezogene Schwerbehindertenakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens infolge einer FSME-Impfung.

Der Anspruch der Klägerin, der für die Zeit ab 1. August 2003 zu prüfen ist, richtet sich nach § 60 Abs. 1 IfSG, dessen Satz 1 bestimmt:

Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

– von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,

– aufgrund dieses Gesetzes angeordnet wurde,

– gesetzlich vorgeschrieben war oder

– aufgrund der Verordnungen zur Ausführung der internationalen Gesundheitsvorschriften

durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.

Nach § 2 Nr. 11, 1. Halbsatz IfSG ist im Sinne dieses Gesetzes ein Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.

Die zitierten Vorschriften des IfSG verlangen für die Entstehung eines Anspruchs auf Versorgungsleistungen die Erfüllung mehrerer Voraussetzungen: Es müssen eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IFSG erfolgte – öffentlich empfohlene – Schutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine – dauerhafte – gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (siehe zur abweichenden Terminologie in der Rechtsprechung des BSG nach dem Bundesseuchengesetz , wonach als Impfschaden die über die übliche Impfreaktion hinausgehende Schädigung, also das zweite Glied der Kausalkette, bezeichnet wurde: BSG Urteile vom 19. März 1986 – 9a RVi 2/84 – BSGE 60, 58, 59 = SozR 3850 § 51 Nr. 9 S. 46 und – 9a RVi 4/84 – SozR 3850 § 51 Nr. 10 S. 49; ebenso auch Nr. 57 AHP 1983 bis 2005).

Als anspruchsbegründende Tatsachen müssen die schädigende Einwirkung (die Impfung), die gesundheitliche Schädigung (Impfkomplikation) und der Impfschaden (Dauerleiden) im Vollbeweis nachgewiesen sein, das heißt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können, dass kein vernünftiger Mensch noch Zweifel hat (BSG, Urteil vom 7. April 2011, B 9 VJ 1/10 R – juris -). Für den Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis (Impfung) und der Primärschädigung (Impfkomplikation) sowie zwischen dieser und den Schädigungsfolgen genügt es allerdings, wenn die Kausalität wahrscheinlich gemacht ist, § 61 Satz 1 IfSG (BSG, Urteil vom 7. April 2011, B 9 VJ 1/10 R – juris).

Vorab ist als unstreitig festzustellen, dass die Klägerin am 29. April 2003 und am 2. Juni 2003 jeweils mit dem Impfstoff Encepur®Kinder 0,25 (Ch.-B.: 024021E; CH.-B.: 023021E) geimpft wurde und dass diese Schutzimpfung angesichts eines geplanten Aufenthalts in Österreich als FSME-Hochrisikogebiet auch öffentlich empfohlen wurde.

Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind. Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales ) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog. antizipierte Sachverständigengutachten (s. nur BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 9). Die AHP sind in den Bereichen des sozialen Entschädigungs- und des Schwerbehindertenrechts generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm („normähnlich“). Für den Fall, dass sie nicht mehr den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergeben, sind sie allerdings nicht anwendbar (BSG a.a.O.). Dann haben Verwaltung und Gerichte auf andere Weise den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu ermitteln.

Die AHP enthalten in allen hier zu betrachtenden Fassungen seit 1983 unter den Nrn. 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben. Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als „Impfschaden“ bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr. 57 AHP 1983 bis 2005 sind allerdings Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats „Versorgungsmedizin“ beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden (Rundschreiben des BMAS vom 12.12.2006 – IV.c.6-48064-3; vgl. auch Nr. 57 AHP 2008):

„Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete STIKO entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar.

Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr. 11 IfSG und Nr. 56 Abs. 1 AHP) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kann-Versorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60 f IfSG durchzuführen. Siehe dazu auch Nr. 35 bis 52 (Seite 145 bis 169) der AHP.“

Die seit dem 1. Januar 2009 an die Stelle der AHP getretene Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung, die indes, sofern sie Verstöße gegen höherrangige, etwa gesetzliche Vorschriften aufweist, jedenfalls durch die Gerichte nicht angewendet werden darf (BSG, Urteil vom 23. April 2009 – B 9 SB 3/08 R m.w.N. – juris -). Anders als die AHP 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern (s. BMAS , Einleitung zur VersMedV, S. 5), sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP von 2008 zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen.

Alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, sind auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten. Dies entspricht der Rechtsprechung des BSG im Sozialen Entschädigungsrecht, insbesondere im Impfschadensrecht, und Schwerbehindertenrecht (s. BSG, Urteil vom 17.12.1997 – 9 RVi 1/95 – SozR 3-3850 § 52 Nr. 1 S 3, Urteil vom 24.4.2008 – B 9/9a SB 10/06 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 9 RdNr. 25) sowie im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG, Urteil vom 9.5.2006 – B 2 U 1/05 R – BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17; Urteil vom 27.6.2006 – B 2 U 20/04 R – BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr. 7). Ein bestimmter Vorgang, der unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefunden hat, muss, wenn über ihn erst jetzt abschließend zu entscheiden ist, nach dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft beurteilt werden. So kann auch die vor Jahrzehnten bejahte Kausalität aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden als fehlend erkannt werden, mit der Folge, dass Anerkennungen unter Umständen zurückzunehmen oder nur aus Gründen des Vertrauensschutzes (§ 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X) zu belassen sind (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 V 1/10 R – juris -).

Unter Beachtung vorstehender Grundsätze steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin am 25. Juli 2003, d.h. 53 Tage nach der 2. FSME-Impfung am 2. Juni 2003 akut an einer entzündlichen Erkrankung sowohl des zentralen als auch des peripheren Nervensystems einhergehend mit Zerebellitis und Enzephalitis sowie mit Großhirn- und Hirnstammbeteiligung erkrankt ist.

Nach Auffassung des Senats lässt sich diese Erkrankung aufgrund des umfassend dokumentierten Krankheitsgeschehens sowie anhand der Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. in seinem Gutachten vom 17. August 2012 und seinen Erläuterungen im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2014 sowie anhand der Angaben des sachverständigen Zeugen Prof. Dr. D. in seiner (durch die Klägerin vorgelegten) gutachterlichen Stellungnahme vom 15. März 2012 sowie in seinem Befundbericht vom 21. Oktober 2013 sicher belegen.

Die entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems zeigte sich bereits am 25. Juli 2003 und wurde während der stationären Behandlung der Klägerin im Klinikum Fulda in der Zeit vom 26. Juli 2003 bis zum 8. September 2003 nachgewiesen. Dort belegten mehrere EEG-Untersuchungen pathologische Muster wie bei einer Enzephalitis üblich. Ausgehend von den klinischen Symptomen der Ataxie, der Sprach- und Bewusstseinsstörung sowie der durch nachfolgende MRT-Aufnahmen dokumentierten Kleinhirnatrophie ist nach der überzeugenden Darstellung des Sachverständigen Prof. Dr. H. auch von einer Zerebellitis (Kleinhirnentzündung) mit Großhirn- und Hirnstammbeteiligung auszugehen (Gutachten vom 20. Dezember 2012, Bl. 476 der Gerichtsakte).

Nach zusätzlicher Auswertung insbesondere der Arztbriefe des Prof. Dr. D. und Prof. Dr. I., bestätigt der Sachverständige Prof. Dr. H. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17. August 2012 zudem, dass die spätestens Anfang September 2003 bei der Klägerin beobachteten deutlichen Schwierigkeiten bei Blick-Folge-Bewegungen, die Einschränkung des Blicks nach rechts sowie die sakkadierte Blick-Folge-Bewegung zur Seite und nach oben nicht nur für eine zerebelläre Blick-Folge-Störung, sondern auch für eine zusätzliche Ophtalmoplegie, d.h. Augenmuskellähmung spricht (ergänzende Stellungnahme vom 14. August 2012, Bl. 717 der Gerichtsakte). Der Sachverständige hat hierzu im Rahmen der mündlichen Verhandlung erläutert, dass es sich dabei um eine Teillähmung der für die Augenbeweglichkeit verantwortlichen Hirnnerven handelt, die wiederum dem peripheren Nervensystem zuzuordnen sind.

Die Feststellung des Sachverständigen Prof. Dr. H., dass auch eine Entzündung des peripheren Nervensystems vorlag, steht aus Sicht des Senats der Einschätzung des sachverständigen Zeugen Prof. Dr. D. in seiner (durch die Klägerin) vorgelegten Stellungnahme vom 15. März 2012 nicht entgegen. Der behandelnde Arzt bestätigt zwar das Folgebild einer schweren zentralnervösen Erkrankung (Bl. 551 der Gerichtsakte), beschreibt jedoch nachfolgend ausführlich die Beeinträchtigung der Hirnnerven III, IV und VI, die nach den überzeugenden Erläuterungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. dem peripheren Nervensystem zugeordnet werden.

Das nach der Impfung aufgetretene Krankheitsgeschehen in Form einer entzündlichen Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems ist nach Auffassung des Senats auch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch die Impfung verursacht worden.

Zunächst ist festzustellen, dass die Möglichkeit einer Impfreaktion in Form einer entzündlichen Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems nach einer FSME-Impfung unstreitig gegeben ist.

In den AHP 2008 Nr. 57 ist zur FSME-Schutzimpfung unter Punkt 18 hierzu ausgeführt:

Übliche Impfreaktion: 12-48 h Lokalreaktion, geringe Allgemeinbeschwerden

Impfschäden: Extrem selten periphere Nervenschäden

In den zuvor gültigen AHP 1996, 2004 – 2007 finden sich identische Formulierungen.

Auch die Ständige Impfkommission (STIKO) akzeptiert grundsätzlich das Vorkommen impfbedingter Enzephalitis sowie eines Guillain-Barré-Syndroms, einer entzündlichen Erkrankung des peripheren Nervensystems, nach einer FSME-Impfung. Im Epidemiologischen Bulletin vom 22. Juni 2007 (dort Bl. 216, Bl. 895 der Gerichtsakte) ist zum FSME-Impfstoff für Kinder (1. – 12. Lebensjahr) ausgeführt:

Lokal- und Allgemeinreaktionen:

Als Ausdruck der normalen Auseinandersetzung des Organismus mit dem Impfstoff kann es innerhalb von 1-3 Tagen, selten auch länger anhaltend, an der Impfstelle zu Rötung, Schmerzhaftigkeit und Schwellung kommen, gelegentlich mit Anschwellung der Lymphknoten. Vor allem nach der ersten Impfung können Temperaturerhöhung (<38°C bei 5% der 3-11jährigen und bei 15% der 1-2-jährigen Kinder) und grippale Symptome, gelegentlich auch Übelkeit und Erbrechen auftreten. Arthralgien und Myalgien im Nackenbereich können mit meningitischen Zeichen verwechselt werden. In der Regel sind diese genannten Lokal- und Allgemeinreaktionen vorübergehender Natur und klingen rasch und folgenlos wieder ab.

Komplikationen:

In Einzelfällen wurden allergische Reaktionen (Urtikaria, Stridor, Dyspnoe, Bronchospasmus, Hypertension) beobachtet. Ebenfalls wurde nach FSME-Impfstoffen bei Kindern über Einzelfälle von Erkrankungen des Nervensystems berichtet (Neuritis, Polyneuritis, Guillain-Barré-Syndrom, Enzephalitis).

Im Unterschied hierzu war im Epidemiologischen Bulletin vom 6. Februar 2004 (dort: Bl. 39, Bl. 102 der Verwaltungsakte) die Enzephalitis noch nicht ausdrücklich als Komplikation aufgeführt.

Im vorliegenden Fall bestätigt das PEI mit Schreiben vom 2. September 2009 überdies ausdrücklich, dass Erkrankungen jedenfalls des zentralen Nervensystems, in seltenen Fällen nach FSME-Impfung auftreten können, sofern keine andere Ursache der Enzephalitis gefunden werden könne.

Zudem ist auch der Gebrauchsinformation des Herstellers (K. GmbH) des Impfstoffs Encepur®Kinder Stand 2009 unter der Rubrik Nebenwirkungen zu entnehmen:

„Nach FSME-Impfungen wurden in Einzelfällen Erkrankungen des zentralen oder peripheren Nervensystems, einschließlich aufsteigender Lähmungen bis hin zu Atemlähmung (z.B. Guillain-Barré-Syndrom), beschrieben.“

Schließlich bestätigen dem Grunde nach alle im Verfahren gehörten Gutachter die biologische Plausibilität und damit die Möglichkeit einer Impfreaktion nach FSME-Impfung in Form einer entzündlichen Erkrankung des Nervensystems.

Darüber hinaus ist der Senat auch davon überzeugt, dass sich die nach dem Vorgesagten wissenschaftlich anerkannte Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einer FSME-Impfung und einer entzündlichen Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems im Falle der Klägerin auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit realisiert hat.

Angelehnt an die durch das Bundessozialgericht zu § 2 BVG entwickelte Definition ist eine solche Wahrscheinlichkeit des kausalen Zusammenhangs dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. Fehl in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl., RdNr 65 m.w.N.). Diese Definition des Beweisgrades ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Wahrscheinlich ist nach anderer Definition diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden (BSGE 45, 9 ff = SozR 3900 § 40 Nr. 9; vgl. auch für das Unfallversicherungsrecht: BSGE 45, 285, 287; s. a. Urteil vom 1. Februar 1996 – 2 RU 10/95 USK 96198 m.w.N.). Für die Wahrscheinlichkeit ist ein „deutliches“ Übergewicht für die in Betracht kommende Möglichkeit zu fordern; die Wahrscheinlichkeit entfällt hingegen bei (ernsten) Zweifeln hinsichtlich einer anderen Möglichkeit (BSG, Beschluss vom 8. August 2001, B 9 V 23/01 – juris -).

Eine entsprechende Beurteilung hat in einer Gesamtabwägung aller relevanten Umstände zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 1977, 10 RV 15/77 – juris -). Zu berücksichtigen sind vorliegend insbesondere die Pathogenese in Bezug auf mögliche Alternativursachen, der beobachtete zeitliche Abstand zwischen Impfung und Auftreten relevanter Symptome und die Ätiologie des bei der Klägerin vorhandenen Krankheitsbildes, ferner bisherige Beobachtungen und wissenschaftliche Erkenntnisse in Bezug auf den Impfstoff (vgl. auch Teil C Nr. 3 a – c VersMedV).

Der Senat gelangt nach Auswertung der Sachverständigengutachten und der schriftlichen Stellungnahmen des Prof. Dr. D. zunächst zu der Überzeugung, dass anhand der seit dem 26. Juli 2003 durchgeführten umfangreichen virologischen, bakteriologischen und bildgebenden Untersuchungen der Klägerin, veranlasst durch das Klinikum Fulda und das Kinderzentrum München, eine konkrete Ursache der entzündlichen Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems der Klägerin nicht nachgewiesen werden konnte.

Prof. Dr. H. verneint in seinem Gutachten vom 17. August 2012 zudem nachvollziehbar eine neurodegenerative Kleinhirnerkrankung, eine Energiestoffwechselstörung sowie eine neurometabolische und neurogenetische Erkrankung als Ursachen der Entzündung des Nervensystems.

Die zunächst durch den in erster Instanz beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. X. als mögliche Ursache in Betracht gezogene Infektion mit Campylobacter jejuni scheidet nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. J. im Gutachten vom 18. November 2008 als ursächlich aus. Der Nachweis des entsprechenden Antikörpers vom Typ IgG ist lediglich ein Hinweis auf eine (irgendwann einmal) abgelaufene Infektion; der Nachweis von IgM-Antikörpern als Beleg für eine frische Infektion fehlt indes.

In diesem Zusammenhang ist es aus Sicht des Senats nicht entscheidend, ob das Krankheitsgeschehen als „Verdacht auf Miller-Fisher-Syndrom in Kombination mit einer Bickerstaff-Enzephalitis“ (so Prof. Dr. D. im Entlassungsbericht vom 13. April 2004, Bl. 57 – 62 der Verwaltungsakte) oder lediglich als eine „Variante des Miller-Fisher-Syndroms“ (so Prof. Dr. H., Bl. 717 der Gerichtsakte) zu qualifizieren ist. Bei der Frage der Zuordnung der unstreitigen Symptome (entzündliche Erkrankung sowohl des Zentralnervensystems als auch peripherer Hirnnerven einhergehend mit Zerebellitis und Enzephalitis sowie mit Großhirn- und Hirnstammbeteiligung) zu einem „Syndrom“ handelt es sich um eine Diskussion von akademischem Interesse. Jedenfalls ist eine entsprechende Zuordnung einzelner Krankheitszeichen zu einem konkreten Krankheitsbild für die Annahme eines infolge einer Impfung aufgetretenen Krankheitsgeschehens nach Auffassung des Senats nicht erforderlich.

Der Beklagte kann daher auch nicht damit gehört werden, es bestehe Ungewissheit über die Art des bestehenden Leidens, da Verdachtsdiagnosen und sich überschneidende Krankheitsbilder insoweit nicht hinreichend bestimmt seien. Wie bereits ausgeführt, ist das Krankheitsgeschehen als entzündliche Erkrankung sowohl des Zentralnervensystems als auch peripherer Hirnnerven einhergehend mit Zerebellitis und Enzephalitis sowie mit Großhirn- und Hirnstammbeteiligung zu qualifizieren und ausreichend belegt.

Soweit der Beklagte vorträgt, das Krankheitsgeschehen sei möglicherweise nicht ausreichend geklärt, sieht sich der Senat dadurch jedenfalls nicht veranlasst, weitere Sachermittlungen von Amts wegen durchzuführen. Weder der Beklagte noch einer der beauftragten Sachverständigen geben konkrete Hinweise darauf, welche Untersuchungen noch durchgeführt werden könnten, zumal weder Serum noch Liquor der Klägerin aus der Zeit der akuten Erkrankung im Jahr 2003 aufbewahrt wurden.

Ferner haben zur Überzeugung des Senats die Sachverständigen Prof. Dr. H. und Prof. Dr. X. bestätigt, dass mangels dokumentierter Fälle mit einem wie im Fall der Klägerin vergleichbaren schweren neurologischen Krankheitsgeschehen nach einer FSME-Impfung bzw. nach einer anderen Impfung auf kein statistisches Material zurückgegriffen werden kann.

So führt der Sachverständige Prof. Dr. H. in seinem Gutachten vom 20. Dezember 2012 nach Auswertung einschlägiger Literatur aus, dass keine Fallbeschreibungen in der Fachliteratur zu einer FSME-Impfung und einem wie im Fall der Klägerin vergleichbaren seltenen Krankheitsgeschehen dokumentiert sind. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. Januar 2013 ergänzt er diese Einschätzung dahingehend, dass ausschließlich aufgrund der Seltenheit des komplexen Krankheitsgeschehens im besonderen Fall der Klägerin ein statistisch zu untermauernder Zusammenhang zwischen einer FSME-Impfung und einem Krankheitsgeschehen wie bei der Klägerin aufgetreten, nicht herzustellen ist.

Entsprechend bestätigt auch der Sachverständige Prof. Dr. X. in seinem Gutachten für das Sozialgericht vom 1. Mai 2007 (Bl. 59 ff. der Gerichtsakte), dass lediglich Fälle von Guillain-Barré-Syndrom, nicht aber Fälle des Miller-Fisher-Syndroms nach einer FSME-Impfung von Kindern und Erwachsenen aufgetreten sind. Kontrollierte Studien zur Kausalität eines Guillain-Barré-Syndrom oder eines Miller-Fisher-Syndroms existierten nicht; vorhandene Studien zur Sicherheit verschiedener FSME-Impfstoffe böten angesichts so seltener Ereignisse wie der eines Miller-Fisher-Syndroms keine ausreichende „statistische Power“. Im Übrigen gebe es in der Literatur keine Fälle mit ähnlich schwerer neurologischer Symptomatik wie der der Klägerin auch nach Impfungen mit anderen Impfstoffen. Insbesondere würden keine Fälle von Miller-Fisher-Syndrom mit einer Impfung in Zusammenhang gebracht. Allein das Guillain-Barré-Syndrom würde in einen kausalen Zusammenhang mit verschiedenen Impfungen diskutiert.

Nach Auffassung des Senats schließt die fehlende Dokumentation vergleichbarer Fälle nach FSME-Impfung und die Seltenheit eines schweren neurologischen Krankheitsgeschehens nach einer Impfung die Wahrscheinlichkeit der Kausalität jedoch nicht aus (vgl. auch Ehrengut, Fehlerquellen bei der Begutachtung von Impfschäden, MedSach1994, S. 9 – 14). Vielmehr spricht aus Sicht des Senats im vorliegenden Einzelfall der Klägerin die zeitliche Nähe des Krankheitsgeschehens zu der FSME-Impfung mehr für als gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der zweiten FSME-Impfung am 2. Juni 2003 und dem Auftreten eines Primärschadens 53 Tage nach der Impfung am 26. Juli 2003.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Bestimmung der Latenzzeit auf eine insoweit bestehende herrschende medizinische Lehrmeinung abzustellen (BSG, Urteil vom 19. März 1986, 9a RVi 2/84 und Urteil vom 17. Dezember 1997, 9 RVi 1/95 – juris -). Angesichts der Seltenheit des Krankheitsgeschehens im Falle der Klägerin kann jedoch vorliegend auf eine solche „herrschende medizinische Lehrmeinung“ nicht zurückgegriffen werden.

Während die STIKO für einzelne Impfungen Latenzzeiten für das Auftreten von Primärschäden nach Impfungen angibt (z.B. Masern: 5 Wochen bis 8 Monate für eine Masern- Einschlusskörperchen- Enzephalitis), fehlt im Falle der FSME-Impfung für Kinder die Angabe einer Latenzzeit (Epidemiologisches Bulletin vom 22. Juni 2007, a.a.O.).

Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass bei Beschränkung des Krankheitsgeschehens auf eine Enzephalitis als Teil des zentralen Nervensystems von einer 42-tägigen Latenzzeit ausgegangen werden kann. Der Senat verweist hierzu sowohl auf die Angaben des PEI im Schreiben vom 20. April 2010 (Bl. 337 der Gerichtsakte), als auch auf die Feststellungen des Prof. Dr. H. in seinen Gutachten vom 20. Dezember 2011 (Bl. 488 der Gerichtsakte) und vom 17. August 2012 (Bl. 723 der Gerichtsakte).

Der Senat sieht sich vorliegend an eine Latenzzeit von maximal 42 Tagen jedoch nicht gebunden, da eine entsprechende herrschende medizinische Lehrmeinung bei Beteiligung auch des peripheren Nervensystems nach einer FSME-Impfung nicht dokumentiert ist (vgl. auch: LSG Saarland, Urteil vom 3. März 2004, L 5 VJ 8/03 – juris -: Überschreiten der Latenzzeit bei Influenza-Impfung als statistische Variation). Vielmehr ist vorliegend nach Auffassung des Senats angelehnt an einzelne Fallbeschreibungen zum Auftreten eines Guillain-Barré-Syndroms (als Erkrankung des peripheren Nervensystems) nach Influenza-Impfungen eine Latenzzeit von maximal 56 Tagen zu Grunde zu legen. Dabei stützt sich der Senat auf die Angaben des Prof. Dr. H. insbesondere im Rahmen seiner Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2014 (Bl. 886 – 888 der Gerichtsakte).

Prof. Dr. H. differenziert in seinem Gutachten vom 20. Dezember 2011 bei der Bestimmung der Latenzzeit zunächst zwischen Erkrankungen des zentralen und des peripheren Nervensystems und verneint noch ausdrücklich die Übertragbarkeit der Ergebnisse einer im Bundesgesundheitsblatt 2009 (Bl. 326 der Gerichtsakte) zitierten kanadischen Studie zum Auftreten des Guillain-Barré-Syndroms nach Influenza-Impfung mit der Begründung, im Fall der Klägerin sei das periphere Nervensystem nicht betroffen. In seiner nachfolgenden ergänzenden Stellungnahme vom 17. August 2012 hat Prof. Dr. H. diese Einschätzung nach Auswertung der Arztberichte des Prof. Dr. D. und des Prof. Dr. I. revidiert und im Fall der Klägerin die Beteiligung peripherer Hirnnerven ausdrücklich bejaht. Im Rahmen seiner Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung führt Prof. Dr. H. ergänzend aus, dass er vor dem Hintergrund der Beteiligung peripherer Nerven im Falle der Klägerin an einer 42-tägigen Latenzzeit nicht strikt festhält. Entsprechend habe er auch die Fallberichte diskutiert, die eine 56-tägige Latenzzeit für das Auftreten einer Entzündung des (peripheren) Nervensystems vorsähen. Auch die von ihm in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. Januar 2013 zitierte Studie von Souayah aus dem Jahr 2012 widerlegt nach seiner Auffassung nicht die älteren Fallberichte in einer Studie von Weißer, die im Bundesgesundheitsblatt 2009 (Bl. 326 der Gerichtsakte) zitiert wird. Vielmehr zeigt sich Prof. Dr. H. zu Folge angesichts dessen gerade die Unsicherheit bei Bestimmung der Latenzzeit. Es ist danach nicht auszuschließen, dass eine längere Latenzzeit in Betracht kommt. Bei Kindern ist es demnach im Falle einer FSME-Impfung durchaus möglich, dass Entzündungen des Nervensystems auch später als nach 42 Tagen auftreten.

Der Senat folgt diesen nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. und gelangt zu der Einschätzung, dass es mangels statistischer Daten zu Entzündungen des peripheren Nervensystems nach Impfungen bei Kindern im Allgemeinen und nach einer FSME-Impfung bei Kindern im Besonderen auch keine herrschende medizinische Lehrmeinung zu einer Latenzzeit bei Entzündungen sowohl des zentralen als auch des peripheren Nervensystems gibt, auf die vorliegend abzustellen wäre. Mangels anderer Daten erscheint es dem Senat angesichts des vorliegenden außergewöhnlich seltenen Krankheitsverlaufs angebracht, auf die im Bundesgesundheitsblatt 2009 veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit zum Guillain-Barré-Syndrom nach Influenza-Impfung und die dort beschriebene 56-tägige Latenzzeit zurückzugreifen, gerade weil – wie im Falle eines Guillain-Barré-Syndroms – auch im besonderen Einzelfall der Klägerin das periphere Nervensystem betroffen war.

Der Senat weist in diesem Zusammenhang erneut darauf hin, dass die Möglichkeit, im Falle einer FSME-Impfung sowohl an einer Entzündung des zentralen Nervensystems als auch des peripheren Nervensystems zu erkranken, unstreitig bejaht wird und auch die Wahrscheinlichkeit der Ursächlichkeit unstreitig angenommen wird, sofern die Erkrankung ausschließlich das zentrale Nervensystem betrifft und binnen 42 Tagen nach einer FSME-Impfung auftritt, wenn eine andere Ursache nicht nachgewiesen werden kann. Das Auftreten einer Entzündung auch des peripheren Nervensystems innerhalb von 53 Tagen nach einer FSME-Impfung macht nach Auffassung des Senats die Kausalität zwischen der FSME-Impfung am 2. Juni 2003 und der Impfkomplikation am 25. Juli 2003 hinreichend wahrscheinlich.

Aus Sicht des Senats kommt es daher nicht darauf an, ob es bei der Klägerin bereits vor dem 25. Juli 2003 zu Auffälligkeiten wie allgemeine Schwäche, Unkonzentriertheit, Abgeschlagenheit und Störungen der Feinmotorik gekommen war und ob diese als über eine übliche Impfreaktion hinausgehende Vorboten einer entzündlichen neurologischen Erkrankung einzustufen sind. Entsprechende Aussagen der Eltern, der Lehrer und des Bademeisters sind daher vorliegend nicht maßgeblich.

Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. mit Gutachten vom 17. August 2012 (Bl. 710 – 725 der Gerichtsakte) nach körperlicher Untersuchung am 22. Juni 2012 besteht bei der Klägerin aufgrund einer entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems und peripherer Hirnnerven mit Zerebellitis und Encephalitis, mit Großhirn- und Hirnstammbeteiligung auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Folgeschaden in Form einer deutlichen zerebellären Bewegungsstörung mit Sprachstörung sowie deutlicher Stand- und Bewegungsataxie mit ausgeprägten Einschränkungen in der Grobmotorik und Feinmotorik sowie Hinweisen auf eine pyramidale Bewegungsstörung sowie einer zusätzlichen kognitiven Beeinträchtigung mit Konzentrationsproblematik und verringerter Arbeitsgeschwindigkeit. Seitens des Beklagten wird im Übrigen auch nicht bestritten, dass die bei der Klägerin bestehenden Folgeschäden durch die ab 25. Juli 2003 aufgetretene entzündliche Erkrankung des Nervensystems hervorgerufen wurden.

Die Umschreibung des Folgeschadens als „hirnorganisches Psychosyndrom mit Sprach- und Bewegungsstörungen“ entspricht einerseits der bisherigen Formulierung im bindenden Bescheid des Beklagten vom 10. Dezember 2003 über die Feststellung der Schwerbehinderung und andererseits den Vorgaben der VersMedV, welche die Folgen eines entsprechenden organischen Hirnleidens allgemein als „Hirnschäden mit schwerer Leistungsbeeinträchtigung“ umschreiben.

Die Höhe des GdS ab 1. August 2003 ist seitens des Beklagten nach entsprechend durchzuführenden Sachermittlungen festzustellen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

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