Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: L 17 U 221/17 – Urteil vom 06.07.2020
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 07.02.2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die neuropathischen Gesundheitsbeschwerden des Klägers Folgen einer als Arbeitsunfall anerkannten Borreliose sind.
Der 1969 geborene Kläger ist Geschäftsführer des E -Landesgrenze. Am 15.8.2010 stellte er sich im St. X-Spital in E vor. Dort berichtete er, dass er seit zwei Tagen Rücken- und Beinschmerzen links habe. Nach Röntgen der LWS lautete die Diagnose Radikulopathie (Nervenwurzelreizung) L5 bei Protrusio in L4/5. Eine weitere Abklärung wurde dringend empfohlen. Der Kläger sprach deshalb am 16.8.2010 bei dem Arzt für Allgemeinmedizin C vor. Hier beklagte er eine Taubheit und Kribbeln in Händen und Füßen. Der Neurologe Dr. C1 diagnostizierte in seinem Bericht vom 24.8.2010 ebenfalls eine Radikulopathie L5 links. Durch ein MRT der LWS im St. B-Hospital in K vom 18.8.2010 konnte ein Bandscheibenprolaps ausgeschlossen werden. Ein serologischer Laborbefund vom 20.8.2010 zeigte einen positiven IgM- (nachweisbar+) und IgG-Antikörperbefund (89 U/ml) auf Borrelien. Eine Bestätigung der Antikörperspezifität durch einen Westernblot wurde nicht durchgeführt. In der Zeit vom 25.8.2010 bis zum 8.9.2010 befand sich der Kläger dann in stationärer neurologischer Behandlung in der F-Klinik der Kliniken B. Bei der Aufnahme berichtete er, dass er vor ca. 14 Tagen ein Kribbeln im linken Bein und ein Taubheitsgefühl sowie einen Muskelschmerz verspürt habe, auch seien Hypalgesien (Schmerzempfindlichkeit) an Beinen und Armen und Dysaesthesien (Missempfindungen) am Rumpf. Ein Zeckenbiss sei ihm nicht erinnerlich. Bei einer Liquorpunktion vom 25.8.2010 fanden sich Hinweise auf einen entzündlichen Prozess im Zentralnervensystem (erhöhte Leukozytenzahl (220/3) im Liquor mit Eiweißerhöhung und ein positiver Antikörperindex IgG (93,2 mg/l) und IgM (8,2 mg/l) für Borrelien. Der Borrelien-ASI (Antikörper-Spezifitäts-Test) zeigte einen IgG von 2,8 und einen IgM von 1,3.) Es wurde eine Schrankenfunktionsstörung/verminderter Liquorfluss festgestellt. Die Elektroneurografie der Beine vom 1.9.2010 habe motorisch eine verlangsamte Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus tibialis beidseits gezeigt. Die behandelnden Ärzte (u.a. der Chefarzt Dr. C2) hielten den Befund bei entsprechender Klinik mit einer bestehenden Neuroborreliose für vereinbar. Der Kläger wurde deshalb zwei Wochen intravenös antibiotisch mit Rocephin 2 g (Wirkstoff Cefriaxon) behandelt. Im Zuge dieser Behandlung zeigte sich eine ausreichende Besserung des Befindens. Auch konnte in einer Kontrollpunktion vom 6.9.2010 eine deutliche Abnahme der Leukozytenzahl (95/3) im Liquor beobachtet werden. Ab dem 13.09.2010 war der Kläger wieder arbeitsfähig.
Am 30.8.2010, also während der stationären Behandlung des Klägers in der F-Klinik, erstattete der E-Landesgrenze eine Unfallanzeige, in der weder Unfallort noch Unfallzeit angegeben waren. Zum Unfallhergang wurde ausgeführt: Zeckenbiss während der Besichtigung eines Deichkörpers (Deichschau). Zeugen wurden nicht angegeben. Am 21.9.2010 teilte der Kläger der Beklagten mit. Er habe in Erinnerung, nach einer Deichschau im Juni oder Juli eine Rötung im Genitalbereich festgestellt zu haben. Wie er inzwischen wisse, sei dies die typische Rötung nach einem Zeckenstich gewesen. Am 8.11.2010 konkretisierte er seine Angaben dahingehend, die Deichschau sei am 29.6.2010 gewesen.
Mit Bescheid vom 28.1.2011 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 26.9.2010 als Arbeitsunfall an. Sie führte aus, die Behandlung sei seit dem 10.9.2010 abgeschlossen, die Erkrankung sei folgenlos abgeheilt. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er meinte, die Erkrankung sei nicht folgenlos abgeheilt, seit Mitte Januar stehe er wieder mit Ärzten in Verbindung, da er Beschwerden aufweise, die dem damaligen Krankheitsbild der Borrelioseerkrankung gleichkämen. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.4.2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Eine Borrelienserologie vom 9.2.2011 ergab: „Borrelien-AK (IgG/EIA) 9, Borrelien AK (IgM/EIA) nicht nachweisbar“. In der Zeit vom 4.5.2011 bis zum 10.5.2011 befand sich der Kläger erneut in stationärer neurologischer Behandlung in der F-Klinik. Der Kläger stellte sich dort zur Abklärung von seit Dezember 2010 erneut bestehenden Kribbelmissempfindungen in beiden Füßen und seit März 2011 aufgetretenen Schmerzen im LWS-Bereich vor. Der behandelnde Arzt Dr. C2 diagnostizierte in seinem Bericht vom 10.5.2011 eine sensible Ataxie bei distal-symmetrischer Polyneuropathie, einen Zustand nach Neuroborreliose und eine arterielle Hypertonie. Er ordnete die vom Kläger geklagten Beschwerden mit Taubheitsgefühl in beiden Füßen und leicht unsicherem Barfußgang auf unebenem Boden einer sensiblen Ataxie bei distal-symmetrischer Polyneuropathie zu. Die Ursache habe nicht anschließend geklärt werden können. Inwieweit die aktuellen Beschwerden Ausdruck einer residualen Symptomatik zentralen Ursprungs nach Borreliose seien, lasse sich nicht mit Sicherheit klären. Zur Neuroborreliose hätten insgesamt rückläufige Befunde erhoben werden können. Hinweise auf eine Exazerbation der Neuroborreliose hätten sich bei der Liquorpunktion vom 4.5.2011 nicht ergeben. (Leukozyten 7/3, Borrelien-ASI (IgG) 3.3, Borrelien-ASI (IgM) negativ). Es habe sich eine altersentsprechend normale Schrankenfunktion gefunden. Der immer noch pathologische IgG-Befund könne noch lange nach Ausheilung ohne klinische Relevanz als „Liquornarbe“ persistieren.
Auf Veranlassung der Beklagten nahm die Fachärztin für Mikrobiologie, Venerologie und Infektionsepidemiologie Dr. I vom Universitätsklinikum D am 14.9.2011 Stellung zu dem Versicherungsfall. Sie vertrat die Auffassung, durch die Liquoruntersuchung vom 25.8.2010 in der F-Klinik und den klinischen Befund sei die Diagnose einer Neuroborreliose gesichert. Es sei jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einer vollständigen Abheilung der Neuroborreliose auszugehen, da ausweislich der Kontrollliquoruntersuchung vom 4.5.2011 die Entzündungsparameter (Leukozyten, Schrankenstörung) im Liquor zurückgegangen und bei den Borrelienantikörpern lediglich eine „Liquornarbe“ zurückgeblieben sei. Da die Diagnose der Neuroborreliose relativ schnell gestellt und die Erkrankung sofort sachgerecht behandelt worden sei, sei wahrscheinlich nicht von einer Neuroborreliose des Gehirns mit den vom Kläger beschriebenen Beschwerden auszugehen. Es fehlten die zusätzlichen Symptome für eine zentrale Neuroborreliose sowie die bei dieser Erkrankung erhöhten Entzündungswerte im Serum und im Liquor. Der Nachweis Borrelien-spezifischer Antikörper allein beweise keine aktive Infektion mit Borrelien. Über Jahre anhaltende erhöhte IgG und IgM Antikörper in Serum und Liquor nach ausreichend behandelter Borreliose (hier Rocephin 2,0 g über 14 Tage) stellten keine Seltenheit dar. Eine Polyneuropathie als Ausdruck einer Borrelieninfektion werde bei europäischen Patienten meist in Assoziation mit einer atrophischen Hauterkrankung, der Acrodermatitis atrophicans (ACC) im Stadium III gesehen. Hierzu könne es in seltenen, unbehandelten, Fällen nach Monaten bis Jahren kommen. Die im Mai 2011 bei dem Kläger noch festgestellten neurologischen Symptome könnten nicht eindeutig zugeordnet werden, schlössen eine Borreliose des zentralen Nervensystems aber nicht aus. Zum endgültigen Ausschluss einer unwahrscheinlichen Borreliose-Beteiligung des Zentralnervensystems werde eine neurologische Diagnostik empfohlen.
Am 9.2.2012 teilte der Neurologe Dr. Q dem Arzt für Allgemeinmedizin C über eine Vorstellung des Klägers vom 8.2.2012 mit, er habe wenig Zweifel, dass die Polyneuropathie durch die Borreliose ausgelöst worden sei. Er halte eine erneute antibiotische Therapie für sinnvoll.
Mit Bescheid vom 26.3.2012 lehnte die Beklagte eine Anerkennung der polyneuropathischen Beschwerden als Folgen des Zeckenbisses mit Behandlungsbedürftigkeit seit Mai 2011 ab. Zur Begründung führte sie aus, die seit Mai 2011 bestehende Behandlungsbedürftigkeit sei nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen. Im Wesentlichen stützte sie sich hierbei auf die Stellungnahme der Dr. I vom 14.9.2011.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Den Bericht der Dr. I halte er für fehlerhaft. Die von ihm kontaktierten Ärzte hätten die Borrelioseerkrankung als ursächlich für seine Beschwerden angesehen, da eine andere Begründung nicht erkennbar sei. Nach der Rocephintherapie habe er zwar eine Linderung verspürt, nach Beendigung der Therapie seien die Symptome aber wieder zurückgekehrt. Auch die in unregelmäßigen Abständen auftretenden Gelenkschmerzen seien auf die Borreliose zurückzuführen. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.8.2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Am 17.9.2012 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Duisburg (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen seinen bisherigen Vortrag wiederholt. Die Stellungnahme der Dr. I sei unzutreffend. Von einer relativ schnellen Diagnose könne keine Rede sein, da die Borrelioseerkrankung zunächst nicht erkannt worden sei. Er sei auch nicht sofort sachgerecht behandelt worden. Die antibiotische Therapie während des ersten Aufenthalts in der F-klinik sei auch nur für 2 Wochen durchgeführt worden, obwohl in der medizinischen Wissenschaft die Ansicht vertreten werde, es sei eine längere Behandlung mit Medikamenten angezeigt, um eine Ausbreitung der Krankheit im Körper sicher zu verhindern. Da die Neuroborreliose nie ganz ausgeheilt gewesen sei, sei sie auch die Ursache dafür, dass er ab Dezember 2010 eine Polyneuropathie entwickelt habe.
Der Kläger hat beantragt, den Bescheid vom 26.3.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.8.2012 aufzuheben und festzustellen, dass seine polyneuropathischen Gesundheitsbeschwerden, insbesondere die sensible Ataxie bei distal-symmetrischer Polyneuropathie, Kribbelmissempfindungen und Taubheitsgefühlen in beiden Füßen sowie Gelenkschmerzen Folge des Arbeitsunfalls vom 29.6.2010 sind.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten und sich im Wesentlichen auf die Stellungnahme der Dr. I gestützt.
Das SG hat zunächst Befundberichte eingeholt von dem Neurologen und Psychiater Dr. Q, der Neurologin Dr. Q1, dem Orthopäden Dr. B sowie dem Arzt für Allgemeinmedizin C. Dem Bericht der Dr. Q1 waren u.a. Laborberichte über Lymphozytentransformationstests (LTT) Borrelien vom 24.8.2011 und 7.12.2011 sowie ein serologischer Laborbefund vom 24.8.2011 beigefügt. In dem LTT von August 2011 fanden sich positive LTT-Reaktionen auf Borrelien-Antigene. In dem LTT von Dezember 2012 zeigte sich ein Rückgang der Borrelien-spezifischen T-Helferzellenaktivität im Patientenblut bei allerdings noch vorhandener sehr geringer Restaktivität. Diese könne allerdings auch nach erfolgreicher Therapie über einige Wochen bestehen bleiben. Der Laborbefund vom 24.8.2011 zeigte einen negativen Borrelia IgG und einen grenzwertigen Borrelia IgM.
Anschließend hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. E, Kliniken G. Dieser ist in seinem Gutachten vom 10.3.2014 aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers vom 2.12.2013, einer Laboruntersuchung vom 2.12.2013 sowie eines fachradiologischen Zusatzgutachtens von Dr. M, ebenfalls Kliniken G, vom 20.12.2013 zu dem Ergebnis gelangt, dass die beim Kläger im Vordergrund stehenden Beschwerden einer sensomotorischen peripheren Polyneuropathie mit prosperierendem Verlauf ohne nachhaltige Beeinflussung durch verschiedene antibiotische Behandlungen (08-09/2010, 08-09/2011 und 02-03/2012) nicht mit Wahrscheinlichkeit durch die Neuroborreliose verursacht worden seien. Bereits am 1.9.2010 hätte die Elektroneurografie der Beine motorisch eine verlangsamte Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus tibialis beidseits gezeigt. Dies sei nicht mit einer akuten Krankheitserscheinung im Rahmen einer Borreliose vereinbar. Hinweise für eine noch aktive bzw. chronische Borreliose lägen nicht vor. Der im Rahmen der Begutachtung eingeholte serologische Befund habe ein negatives Ergebnis bezüglich der Borrelien IgM-und IgG-Antikörper ergeben. Er stimme der Beurteilung der Dr. I zu. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten des Prof. Dr. E verwiesen.
Der Kläger hat beanstandet, Prof. Dr. E sei Internist und nicht Neurologe. Dessen Einschätzung sei aber auch unschlüssig. Bereits sein behandelnder Neurologe Dr. Q habe einen kausalen Zusammenhang zwischen der Borreliose und der Polyneuropathie festgestellt. Im Übrigen sei er auch im November 2014 erneut im neurologischen Zentrum der F-Klinik von Dr. C2 untersucht worden. Auch dieser habe festgestellt, dass aus neurologischer Sicht ein Zusammenhang zwischen der Polyneuropathie und der Neuroborreliose möglich und wahrscheinlich sei. Zum Beleg hat er einen Bericht des Dr. C2 vom 2.12.2014 eingereicht, in dem Dr. C2 ausgeführt hat, klinisch und anamnestisch zeige sich weiterhin eine distal-symmetrische, sensomotorische Polyneuropathie. Es sei erneut besprochen worden, dass vor der diagnostizierten Neuroborreliose keine Beschwerden im Sinne der Neuroborreliose bestanden hätten. Aus neurologischer Sicht sei der Zusammenhang der Polyneuropathie mit der Neuroborreliose möglich und wahrscheinlich. Er halte es deshalb für erforderlich, noch ein neurologisches Gutachten einzuholen. Er schlage hierfür Prof. Dr. B2 von der Klinik in D vor.
Das SG hat sodann eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. E eingeholt. In seiner Stellungnahme vom 24.2.2015 hat dieser erklärt, die deutschen und internationalen Leitlinien sprächen gegen einen möglichen Zusammenhang. Da die neurologische Symptomatik Kernpunkt der Auseinandersetzung sei, sehe er eine neurologische Zusatzbegutachtung als zielführend an.
Daraufhin hat das SG ein neurologisches Gutachten von Prof. Dr. B2, Klinik D, eingeholt. Diese ist in ihrem Gutachten (ohne Datum) aufgrund einer Untersuchung des Klägers vom 8.6.2015 und unter Berücksichtigung der aktenkundigen medizinischen Unterlagen zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Kläger eine chronische Polyneuritis bei Lyme-Borreliose vorliege. Die Krankheit sei – wie der Liquorbefund und die anlässlich Ihrer Untersuchung durchgeführte Neurografie auswiesen – nicht vollständig ausgeheilt und erkläre die subjektiven Beschwerden des Klägers. Die erste antibiotische Behandlung in der F-Klinik (vom 25.8.2010 bis zum 8.9.2010) habe die Symptome des Klägers zwar gebessert, aber nicht vollständig beseitigen können. Das entzündliche Liquorsyndrom habe sich nicht vollständig zurückgebildet. Bei der Lumbalpunktion in der F-Klinik im Mai 2011, also ein knappes Jahr nach dem Zeckenbiss, habe nach wie vor ein pathologischer Befund vorgelegen. Bei nach wie vor vorhandener, aber sehr diskreter Pleozytose (7/3 Zellen) und positiven oligoklonalen Banden sei der Borrelien-spezifische IgG-Index mit 3,3 noch pathologisch gewesen. Demnach habe also auch ein knappes Jahr nach der Infektion noch ein entzündliches Liquorsyndrom bestanden. Die Ausführungen der Dr. I, dass chronische Polyneuritiden bei europäischen Borreliosepatienten überwiegend in Zusammenhang mit der ACA aufträten, würden nur für Patienten ohne entzündliches Liquorsyndrom gelten. Es bestehe „bei der ersten unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit eine MdE von 60 % aus neurologischer Sicht und 50 % insgesamt.“ Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten der Prof. Dr. B2 Bezug genommen.
Die Beklagte ist unter Berufung auf eine beratungsärztliche Stellungnahme der Neurologin Q2 vom 26.10.2015 der Kausalbeurteilung der Prof. Dr. B2 entgegengetreten. Eine Polyneuropathie sei für eine akute Neuroborreliose nicht typisch, sondern trete erst in späteren Krankheitsstadien auf. Die Ursachen für eine Polyneuropathie seien vielfältig und zum Teil auch ungeklärt. Im Ergebnis könne die Ursache für die Polyneuropathie nicht benannt werden.
Das SG hat daraufhin eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. B2 vom 18.11.2015 eingeholt. Diese hat ausgeführt, es sei überwiegend wahrscheinlich, dass die Polyneuropathie mit der Infektion zusammenhänge, falls sie im Umfeld oder sogar zeitgleich zu einer infektiösen Erkrankung zusammen mit einem entzündlichen Liquorsyndrom auftrete. Borrelia burgdorfi könne bekanntermaßen peri-infektiöse Polyneuropathien hervorrufen. Dass eine Polyneuropathie erst in späteren Stadien einer Neuroborreliose auftrete, sei ihrer Ansicht nach eine antiquierte Auffassung. Da es zu einem chronisch-entzündlichen Prozess im Nervensystem gekommen sei, dessen Auswirkungen mit Hinblick auf die Zukunft derzeit noch gar nicht abschätzbar seien, sei von einer MdE von 50 % auszugehen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahme der Prof. Dr. B2 verwiesen.
Die Beklagte hat sodann eine beratungsärztliche Stellungnahme der Neurologin Q2 vom 28.2.2016 vorgelegt. Diese hat die Kausalbeurteilung der Prof. Dr. B2 weiterhin für unzutreffend gehalten. Polyneuropathien als Folge einer Borrelieninfektion träten typischerweise nur in Assoziation mit einer ACA, d. h. in einem späten Stadium der Erkrankung auf. Bei einem sehr frühen Auftreten einer Polyneuropathie nach Eintritt einer Borrelieninfektion, das heiße wenige Wochen nach Zeckenstich, handele es sich nicht um den typischen Verlauf einer Borreliose. Insoweit sei es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Polyneuropathie mit der Infektion im Zusammenhang stehe. Die Diagnose könne zwar als Verdacht geäußert werden, wenn andere häufigere Ursachen einer Polyneuropathie ausgeschlossen würden. Insoweit ein Behandlungsversuch mit geeigneten Antibiotika über 3 Wochen keinen Erfolg zeige, müsse die Borrelien-Ätiologie der Beschwerden jedoch sehr stark angezweifelt werden, insbesondere wenn andere Symptome der Borreliose – wie beim Kläger – gut rückläufig seien. Auch die MdE Einschätzung durch Prof. Dr. B2 sei unzutreffend. Unterstellt, dass die Polyneuropathie Folge der Borrelieninfektion wäre, sei die MdE allenfalls mit 20 v.H. einzuschätzen.
Schließlich hat das SG zwei weitere Stellungnahmen des Prof. Dr. E eingeholt. Dieser hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18.3.2016 zu dem Gutachten der Prof. Dr. B2 erklärt, der Liquorbefund vom 4.5.2011 sei – entgegen der Auffassung der Prof. Dr. B2 – als Beweis für ein nach fast einem Jahr nach Zeckenstich persistierendes entzündliches Liquorsyndrom nicht geeignet. Prof. Dr. B2 habe in ihrem Gutachten selbst darauf hingewiesen, dass die Liquoruntersuchung vom 4.5.2011 ausweislich des Arztbriefes stark blutig tingiert und somit im Prinzip nicht verwertbar sei. Dies sei zu unterstreichen, da die leicht erhöhte Leukozytenzahl mit Wahrscheinlichkeit Folge der Blutbeimengung gewesen sei. Auch ein erhöhter Antikörper-Index sei nicht als Beweis zu verwerten, da er über Jahre persistieren könne. Bezüglich der erstmals am 1.9.2010 diagnostizierten motorischen Polyneuropathie der Beine mit symmetrischer Ausbreitung sei festzuhalten, dass dieser Befund nicht typisch für eine Neuroborreliose sei. Hier träten mehr schmerzhafte Nervenwurzelreizerscheinungen mit Lähmungserscheinungen und Hirnhautentzündungszeichen auf. Da bei der ersten neurologischen Untersuchung nach dem Zeckenstich durch den Neurologen Dr. C1 als Befund eine „geringere ältere motorische Radikulopathie L5 links“ festgestellt worden sei, gebe es keinen Beleg für eine vorbestehende symmetrische Polyneuropathie. Damit sei bei dem neurologischen Erscheinungsbild des Klägers unter Berücksichtigung des zeitlichen Zusammenhanges mit der unzweifelhaften Neuroborreliose eine klinische Manifestation der Neuroborreliose nicht ausgeschlossen. Da bei dem Kläger auch keine anderen Gründe für eine periphere Polyneuropathie gefunden werden konnten, könne er an dieser Stelle der neurologischen Fachbegutachtung folgen, die den Zusammenhang hier als überwiegend wahrscheinlich eingestuft habe. In seiner Stellungnahme vom 11.6.2016 hat Prof. Dr. E schließlich noch Stellung genommen zu den Ausführungen der Neurologin Q2 vom 26.10.2015 und vom 28.2.2016. Er habe zwar auf die fehlerhafte Deutung des Liquorbefundverlaufes im neurologischen Gutachten der Prof. Dr. B2 hingewiesen. Was aber einen möglichen Zusammenhang der polyneuropathischen Beschwerden des Klägers mit der Neuroborreliose überwiegend wahrscheinlich mache, sei, dass bei der ersten neurologischen Untersuchung durch Dr. C1 nach dem Zeckenstich (Bericht vom 24.8.2010) eben keine Polyneuropathie diagnostiziert worden sei, sondern lediglich eine geringe ältere motorische Radikulopathie L5 links. In der F-Klinik habe sich dann aber während des stationären Aufenthaltes vom 25.8.2010 bis 8.9.2010 unstrittig elektroneurografisch das Bild einer motorischen Polyneuropathie gezeigt. In dieser kurzen Zeitspanne sei nach menschlichem Ermessen bei dem Kläger nichts Anderes erfolgt, als eben die akute Neuroborreliose. Konkurrenzursachen seien in diesem Zeitfenster nicht festzustellen. Daher folge er trotz Ungereimtheiten an anderen Stellen doch der neurologischen Zusammenhangsbeurteilung. Soweit die Neurologin Q2 die fehlende Verbesserung der neurologischen Symptome unter antibiotischer Behandlung als Begründung gegen einen Ursachenzusammenhang heranziehe, sei dem zu widersprechen. Gerade neurologische Manifestationen könnten trotz effektiver antibiotischer Therapie persistieren.
Mit Urteil vom 7.2.2017 hat das SG den Bescheid vom 26.3.2012 und den Widerspruchsbescheid vom 28.8.2012 aufgehoben und festgestellt, dass die Polyneuropathie der Beine mit ataktischer Gangstörung, Kribbelmissempfindungen und Taubheitsgefühl der Füße Folgen des Arbeitsunfalls vom 29.6.2010 sind. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei hinreichend wahrscheinlich, dass die in der Zeit vom 25.8.2010 bis zum 8.9.2010 vor allem in der F-Klinik antibiotisch behandelte Neuroborreliose zu dem Auftreten der ab Mai 2011 stationär behandelten distal-symmetrischen Polyneuropathie der Beine einen wesentlichen ursächlichen Beitrag geleistet habe. Dies ergebe sich aus den Gutachten von Prof. Dr. B2 und den ergänzenden Stellungnahmen des Prof. Dr. E. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen.
Gegen das ihr am 1.3.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.3.2017 Berufung eingelegt. Sowohl Dr. I, die Neurologin Dr. Q1 (Berichte vom 16.8.2011 und 19.8.2011), die Neurologin Q2 und auch Prof. Dr. E in seinem ersten Gutachten hätten keinen Ursachenzusammenhang für wahrscheinlich gehalten. Das Gutachten der Prof. Dr. B2 sei nicht geeignet, eine andere Einschätzung zu begründen. Ihre Ausführungen zum Kausalzusammenhang seien kurz und knapp gehalten und ließen eine dezidierte Auseinandersetzung mit den Gründen, die für oder gegen einen Ursachenzusammenhang sprächen, vermissen. Auch Prof. Dr. E habe einige Unstimmigkeiten in deren Darlegungen aufgedeckt. Dass Prof. Dr. E einen Ursachenzusammenhang schließlich doch für wahrscheinlich gehalten habe, weil Dr. C1 lediglich eine geringe ältere motorische Radikulopathie L5 links festgestellt habe, was gegen eine vorbestehende Polyneuropathie spreche, sei nicht überzeugend. Denn nur aufgrund des Fehlens einer diagnostizierten Polyneuropathie könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine solche zum damaligen Zeitpunkt bereits bestanden habe. Im Ergebnis habe sich Prof. Dr. E dem Gutachten der Prof. Dr. B2 auch nur deshalb angeschlossen, weil ihm keine andere Ursache für die Polyneuropathie bekannt gewesen sei. Das Ursachenspektrum einer Polyneuropathie sei aber vielfältig und für einen nicht unerheblichen Teil der Polyneuropathien unklar. Daher könne aufgrund der fehlenden Feststellung einer anderen Ursache nicht automatisch der Versicherungsfall vom 29.6.2010 wegen seines zeitlichen Zusammenfallens mit der Polyneuropathie als Ursache herangezogen werden.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 7.2.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des SG für zutreffend. Unter Vorlage eines Befundberichtes der Neurologin Dr. Q1 vom 23.3.2017 (erstellt für den Kreis L im Rahmen eines Schwerbehindertenverfahrens) weist er erneut darauf hin, dass seine behandelnden Ärzte Dr. C2, Dr. Q und zuletzt auch Dr. Q1 unter dem 23.3.2017, die Auffassung vertreten würden, ein Ursachenzusammenhang zwischen der Polyneuropathie und der Neuroborreliose sei wahrscheinlich. Außerdem habe Prof. Dr. B2 anhand der Liquorbefunde nachgewiesen, dass die Neuroborreliose gerade nicht ausgeheilt gewesen sei. Nach dem Gutachten der Prof. Dr. B2 bedürfe es auch nicht eines wie auch immer gearteten zeitlichen Mindestabstands zwischen Neuroborreliose und Polyneuropathie, um die Polyneuropathie als kausale Folge der Neuroborreliose anzuerkennen. Bei dieser Sachlage und dem Fehlen anderer denkbarer Ursachen für die Polyneuropathie hätten die beiden vom Gericht bestellten Gutachter dem wissenschaftlichen Standard entsprechend einen überwiegend wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen der Neuroborreliose und der Polyneuropathie zu Recht bestätigt.
Die Beklagte hat sodann einen Auszug der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Neuroborreliose übersandt. Auch danach könne bei Patienten mit Polyneuropathie und positiver Borrelienserologie im Blut nicht ohne Weiteres von einem kausalen Zusammenhang zwischen neurologischer Symptomatik und einer Borrelieninfektion ausgegangen werden. Die Wahrscheinlichkeit eines kausalen Zusammenhangs sei vielmehr davon abhängig, ob typische Liquorveränderungen und weitere klinische Symptome einer Lyme-Borreliose (insbesondere eine ACA) vorlägen. Typische Liquorveränderungen hätten sich vorliegend jedoch nicht feststellen lassen. Eine ACA sei beim Kläger ebenfalls nicht festgestellt worden, sodass die Diagnose einer Polyneuropathie nach den zitierten Fachmeinungen nicht als gesichert angesehen werden könne. Da die Fachliteratur die bisherigen Ausführungen der Prof. Dr. B2 stark in Zweifel ziehen würde, rege sie an, zur Klärung der medizinischen Fragen ein weiteres Fachgutachten von einer qualifizierten Person mit vertieften und aktuellen Kenntnissen im Bereich der Borreliose und Polyneuropathie erstellen zu lassen.
Der Senat hat daraufhin Dr. E1 vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Nationales Referenzzentrum für Borrelien, mit einer Begutachtung des Klägers aufgrund einer ambulanten Untersuchung unter Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts beauftragt. Dr. E1 hat der Berichterstatterin telefonisch mitgeteilt, er könne nur Aktengutachten erstatten. Soweit ihm dies nach Aktenlage möglich erschien, hat er sich sodann unter dem 18.4.2018 zu den Fragen der Beweisanordnung geäußert. Unter Berücksichtigung der Entzündungszeichen in den drei Liquorbefunden vom 25.8.2010, 6.9.2010 und 4.5.2011 sei von einer erfolgreichen Therapie der Neuroborreliose auszugehen. In den verfügbaren serologischen Befunden vom 20.8.2010 vor Therapie und vom 9.2.2011 nach Therapie sei bei eingeschränkter Verwertbarkeit wegen fehlender Grenzwerte und fehlender Immunoblots jedoch eindeutig kein Anstieg, sondern ein Rückgang der IgG Antikörper gegen Borrelien burgdorfi nachweisbar. Weitere Befunde vom 24.8.2011 (nur Immunoblot) und vom 10.3.2014 hätten dann gar keine nachweisbaren IgG-Antikörperproduktion gegen Borrelien burgdorfi mehr ergeben. Somit ergäben sich aus serologischer Sicht keine Hinweise auf eine weiterbestehende Infektion mit Borrelien. Dies schließe auch eine periphere Polyneuropathie mit ein. Unter der Hypothese, die bei dem Kläger nachgewiesene Polyneuropathie wäre durch eine weiterbestehende Infektion mit Borrelien verursacht, wäre auch in diesem Fall mit einem deutlichen Anstieg der IgG-Antikörper im Serum zu rechnen. An dieser Stelle könne eine weiterbestehende Neuroborreliose als Ursache der bei dem Kläger aufgetretenen Beschwerden mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Die Fragen, ob die neu aufgetretenen Beschwerden als Folge der stattgehabten oder ausgeheilten Neuroborreliose zu interpretieren seien oder ob es sich bei den neu aufgetretenen Beschwerden um ein von der Neuroborreliose unabhängiges Erkrankungsbild handele, könne ohne Untersuchung nicht beantwortet werden.
Auf Anregung des Dr. E1 hat der Senat sodann ein neurologisches Gutachten von Prof. Dr. Q3, Neurologische Klinik und Poliklinik der L-Universität in M, Klinikum G eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 30.7.2018 aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers vom 24.7.2018 und unter Berücksichtigung der aktenkundigen medizinischen Unterlagen sowie von Befundberichten, die der Kläger zur Untersuchung mitgebracht hatte, bestätigt, dass es bei dem Kläger im August 2010 zu einer akuten Neuroborreliose gekommen sei. Ein kausaler Zusammenhang der sensiblen Polyneuropathie mit der mit Antibiotika behandelten akuten Neuroborreliose von August 2010 lasse sich jedoch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit herstellen. Die seit März/April 2011 neu aufgetretenen Beschwerden (wie z.B. Kribbelparästhesien, ein Taubheitsgefühl in den Füßen und Missempfindungen und Schmerzen in den Füßen) seien nicht Ausdruck einer weiterbestehenden Neuroborreliose. Eine Chronifizierung der Borrelieninfektion, d. h. eine chronische Neuroborreliose, könne nicht festgestellt werden, da der entscheidende Krankheitsaktivitätsmarker einer Neuroborreliose, nämlich die Liquorzellzahlerhöhung im weiteren Verlauf schon bei der Liquoruntersuchung vom 04.5.2011 nicht mehr nachweisbar gewesen sei (Zellzahl war 7/3, normal bis 12/3) Auch die Liquor-Eiweißerhöhung habe sich damals schon normalisiert gehabt; außerdem habe sich eine altersentsprechend normale Schrankenfunktion gefunden. Im weiteren Verlauf seien auch die Borrelien-IgG-Antikörper-Befunde im Blut in den Befunden vom 24.8.2011, 2.12.2013 und in dem aktuellen Befund, der anlässlich der Begutachtung erhoben wurde, negativ gewesen. Bei chronischen Krankheitsmanifestationen müsse aber ein eindeutig positiver Serum-Borrelien-IgG-Antikörper-Befund erwartet werden. Die vorliegende serologische Konstellation spreche deshalb gegen das Vorliegen einer chronischen Lyme-Borreliose. Bei einer Spätborreliose an der Haut, der sogenannten ACA, kämen Polyneuropathien vor. Eine ACA liege aber bei dem Kläger nicht vor. Ferner sei auch bei der ACA ein positiver Borrelien-IgG-Antikörper-Befund im Serum zu erwarten. Auch fänden sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer chronischen Lyme-Arthritis, da die hierfür typische Konstellation mit Krankheitsschüben von Gelenksschwellungen und Gelenkergussbildungen großer Gelenke, vorzugsweise der Kniegelenke, sowie beschwerdefreien Intervallen, bei dem Kläger nicht vorliege. Auch die schon von der F-Klinik am 10.5.2011 beschriebenen Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich passten nicht zu einer Lyme-Arthritis. Auch in der Diagnosestellung einer chronischen Lyme-Arthritis sei ein positiver Borrelien-Antikörper-Befund im Serum zu fordern. Bei dem Kläger seien zwar positive Ergebnisse das Borrelien LTT vom 24.8.2011 und vom 7.12.2011 berichtet worden. Der wissenschaftliche Beleg für die Relevanz des Borrelien-LTT in der Diagnostik der Borreliose sei allerdings bislang nicht erbracht. Es bestehe keine entsprechende Empfehlung in den Leitlinien wissenschaftlicher Gesellschaften, den Borrelien-LTT in der Diagnostik der Borreliose einzusetzen. Auch die fehlenden dauerhaften klinischen Effekte der erneuten Antibiotikatherapien (über vier Wochen im Sommer 2011 und im Februar 2012) unterstützten nicht einen kausalen Zusammenhang der Beschwerden mit einer Borrelieninfektion. Die Anfang 2011 neu aufgetretenen Beschwerden könnten auch nicht als Folge der stattgehabten, aber ausgeheilten, alten Neuroborreliose interpretiert werden, da die genannten Beschwerden, nämlich Kribbelparästhesien und ein Taubheitsgefühl in den Füßen sowie die daraus resultierenden Gleichgewichtsstörungen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung einer Neuroborreliose im August/September 2010 nicht vorhanden gewesen seien. Diese hätten sich erst im Verlauf entwickelt. Neue Beschwerden könnten aber nicht als Residuum (Restsymptome) einer stattgehabten Erkrankung eingeordnet werden. Auch spreche die Progredienz der Beschwerden klar gegen Residuen der stattgehabten Neuroborreliose. Bei den neu aufgetretenen Beschwerden handele es sich vielmehr um ein von der Neuroborreliose unabhängiges Krankheitsbild einer sensiblen Polyneuropathie. Eine eindeutige Ursache der Polyneuropathie lasse sich bislang nicht finden. Die Ursachen einer Polyneuropathie blieben aber oft unklar. Er teile die Auffassung des Prof. Dr. E in dem Gutachten vom 10.3.2014. Die Einschätzung des Kausalzusammenhangs zwischen der Neuroborreliose und den polyneuropathischen Beschwerden des Klägers durch Prof. Dr. B2 sei falsch. Sie beruhe auf der unzutreffenden Annahme, dass im Liquor im Mai 2011 mit einer Zellzahl von 7/3 noch eine entzündliche Zellzahlerhöhung vorgelegen habe. Bei einer Zellzahl von 7/3 handele es sich aber um einen Normalbefund (der Normalbereich der Zellen gehe bis 12/3 Zellen). Dementsprechend habe auch keine Pleozytose (Zellzahlerhöhung) mehr vorgelegen. Der weitere Nachweis von positiven oligoklonalen Banden und einem erhöhten Borrelien-spezifischen IgG-Index sei nach akuter Neuroborreliose im Verlauf häufig zu beobachten und zwar jahrelang oder jahrzehntelang. Entscheidend für die Beurteilung der Krankheitsaktivität sei aber die Liquorzellzahl, die normal gewesen sei. Auch der ergänzenden Stellungnahme des Prof. Dr. E könne nicht gefolgt werden, da dieser, genau wie Prof. Dr. B2, den Fehler gemacht habe, die Leukozytenzahl im Liquor von 7/3 als erhöht anzusehen. Zuzustimmen sei allerdings dessen Ausführungen, dass ein erhöhter Antikörper-Index im Sinne der Fragestellung nicht zu verwerten sei, da er über Jahre persistieren könne. Einverständnis bestehe mit der Stellungnahme des Dr. E1. Auch dieser habe deutlich erklärt, dass die Entzündungsparameter mit einer Zellzahl von 7/3 am 4.5.2011 normalisiert gewesen seien.
Der Kläger hat auch hiergegen Einwände erhoben. Beanstandet hat er insbesondere, dass Prof. Dr. Q3 einfach behaupte, dass eine Liquorzellzahl bis 12/3 normal und entscheidend sein solle. Tatsächlich gebe es keine einheitliche Ansicht, welche Liquorzellzahl vorliegen müsse, um von einem pathologischen Wert auszugehen. Vielmehr hingen die Ansichten von dem jeweiligen Labor ab, welches mit der Sache befasst sei. In dem Labor, das von Prof. Dr. B2 beauftragt worden sei, sei eine Zellzahl ab 4 als pathologisch angesehen. Zu widersprechen sei auch der Behauptung, dass die neu aufgetretenen Beschwerden nicht Ausdruck einer weiterbestehenden Borreliose seien. Der Sachverständige habe seine Ansicht im Wesentlichen auf fehlende Zellzahlerhöhungen im Liquor gestützt. Tatsächlich seien Zellzahlerhöhungen im Liquor aber nur ein Anzeichen für akut entzündliche Veränderungen. Bei ihm hätten sich jedoch chronisch entzündliche Veränderungen entwickelt, für deren Vorliegen die Zellzahl im Liquor nicht entscheidend sei. Gerade das Vorliegen einer chronischen Entzündung im Anschluss an eine von allen bislang tätigen Ärzten und Gutachtern festgestellte Neuroborreliose begründe die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die jetzigen Gesundheitsbeschwerden eine Folge der Neuroborreliose seien. Es sei auch nicht erkennbar, aus welchem Grunde die Erkenntnisse von Professor Dr. Q3 besser oder richtiger sein sollten, als die Erkenntnisse der Gutachter, die vor ihm mit der Sache befasst gewesen seien.
Der Senat hat hierzu noch eine ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. Q3 vom 4.1.2019 eingeholt. Dieser ist bei seiner Einschätzung geblieben und hat erneut darauf hingewiesen, dass nach der akuten therapierten frühen Neuroborreliose von August 2010 im Verlauf neue Beschwerden aufgetreten seien, die eine Progredienz zeigten. Dies sei in den Unterlagen dokumentiert und auch so vom Kläger bei der Untersuchung angegeben worden. Neu aufgetretene und progrediente Beschwerden nach durchgeführter früherer Neuroborreliose seien mit Residualsymptomen nicht vereinbar. Sie seien auch nicht Ausdruck einer chronischen Borreliose, da eine solche nicht mehr nachweisbar gewesen sei. Bezüglich der Liquor-Zellzahl hat er ausgeführt, dass diese früher in Einheiten von Drittel-Zellen angegeben worden sei. Die beim Kläger bei der Liquoruntersuchung vom 4.5.2011 festgestellte Liquor-Leukozyten-Zellzahl von 7/3 Zellen entspreche etwa 2,3 ganzen Zellen. Zur Frage der Normwerte der Liquorzellzahl werde in verschiedenen Lehrbüchern der Neurologie angegeben, dass der normale Liquor bis zu 4-5 Zellen enthalte. Die Liquorzellzahl von 7/3 (also etwa 2,3 ganze Zellen) gelte dementsprechend grundsätzlich als eine Zellzahl im Normbereich. Hierauf habe auch Dr. E1 schon hingewiesen. Die Interpretation der 7/3 Zellen als Liquorzellzahlerhöhung im Gutachten der Professor Dr. B2 sei ein Fehler gewesen. Auch der Klägerbevollmächtigte habe im Übrigen selbst darauf hingewiesen, dass ein pathologischer Bereich erst ab vier ganzen Zellen als pathologisch beurteilt werde. Anhand der S3-Leitlinie für die Borreliose der Deutschen Gesellschaft für Neurologie könne bei dem Kläger auch keine späte (chronische) Neuroborreliose diagnostiziert werden, denn die Liquoruntersuchung vom 4.5.2011 habe eine normale Zellzahl und ein normales Gesamteiweiß, also keine entzündlichen Veränderungen, wie sie für die Diagnosestellung einer chronischen Neuroborreliose erforderlich seien, erbracht. Die Borrelien-IgG-Antikörper-Befunde im Blut seien im Verlauf negativ gewesen, ein eindeutig positiver Borrelien-IgG-Antikörper-Befund im Serum sei aber Voraussetzung für das Vorliegen einer chronischen (späten) Neuroborreliose. Wegen der Einzelheiten wird auf die ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. Q3 Bezug genommen.
Auch diese Ausführungen des Sachverständigen haben den Kläger nicht überzeugt. Abgesehen davon, dass er seinen Körper besser kenne als alle anderen Verfahrensbeteiligten könne er die Einschätzung des Prof. Dr. Q3 nicht nachvollziehen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Ihre Inhalte sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Zu Unrecht hat das SG den Bescheid vom 26.3.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.8.2012 aufgehoben und festgestellt, dass die Polyneuropathie der Beine mit ataktischer Gangstörung, Kribbelmissempfindungen und Taubheitsgefühl der Füße Folgen des Arbeitsunfalls vom 29.6.2010 sind. Der Kläger ist durch diesen Bescheid nicht beschwert, da dieser nicht rechtswidrig ist (§ 54 Abs.2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Zu Recht hat es die Beklagte vielmehr abgelehnt, die polyneuropathischen Beschwerden des Klägers als Folgen des als Arbeitsunfall anerkannten Zeckenbisses vom 29.6.2010 anzuerkennen. Der Kläger hat hierauf keinen Anspruch, da seine polyneuropathischen Beschwerden weder unmittelbar noch mittelbar auf den als Arbeitsunfall anerkannten Zeckenbiss zurückzuführen sind. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle wiederum sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Erforderlich ist zunächst eine Verrichtung der Verletzten vor dem fraglichen Unfallereignis, das „infolge“ also u.a. nach dieser Verrichtung eingetreten sein muss, die den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat. Nur dies begründet ihre Versichertenstellung in und ihren Versicherungsschutz aus der jeweiligen Versicherung. Diese (versicherte) Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis), kurz gesagt: eine Einwirkung, objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität). Diese (versicherte) Einwirkung muss einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die den Versicherungsschutz in der jeweiligen Versicherung begründende „Verrichtung“, die (möglicherweise dadurch verursachte) „Einwirkung“ und der (möglicherweise dadurch verursachte) „Erstschaden“ müssen (vom Richter im Überzeugungsgrad des Vollbeweises) festgestellt sein, während für die Kausalzusammenhänge jeweils der Maßstab der Wahrscheinlichkeit ausreichend ist (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 24.7.2012 – B 2 U 9/11 R – , juris Rn. 24 ff.). Gleiches gilt für etwaige Folgeschäden: Auch hier ist der Gesundheitsschaden im Vollbeweis festzustellen, während für die (haftungsausfüllende) Kausalität der Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt. Da die Beklagte den Zeckenbiss vom 29.6.2010 sowohl mit Bescheid vom 28.1.2011 als mit dem angefochtenen Bescheid als Arbeitsunfall anerkannt hat, geht der Senat bei seiner Entscheidung von einem Arbeitsunfall aus, obwohl er dessen Anerkennung durch die Beklagte für wenig nachvollziehbar hält. Sowohl der Unfallhergang als auch der Unfallzeitpunkt und der Unfallort sind nach Aktenlage völlig unklar. Bei der stationären Aufnahme in der F-Klinik im August 2010 hatte der Kläger noch erklärt, ein Zeckenstich sei ihm nicht erinnerlich. Auch die vom Kläger behauptete Rötung in der Leiste ist von keinem Arzt festgehalten worden. Die Unfallanzeige vom 30.08.2010, die erst während des stationären Aufenthalts des Klägers in der F-Klinik erstattet wurde, enthält keinerlei Angaben zum Unfallzeitpunkt und zum Unfallort. Zeugen für das Ereignis gibt es danach nicht.
Überdies geht der Senat aufgrund der insoweit übereinstimmenden Einschätzungen aller behandelnden Ärzte und Sachverständigen davon aus, dass sich infolge des Arbeitsunfalls (Zeckenstich) zunächst eine Neuroborreliose entwickelt hatte, da die Beklagte auch dieses mit Bescheid vom 28.1.2011 und auch mit dem angefochtenen Bescheid anerkannt hat.
Der Kläger hat jedoch gleichwohl keinen Anspruch auf Feststellung seiner polyneuropathischen Beschwerden als Unfallfolge. Denn diese sind weder Ausdruck einer noch bestehenden Neuroborreliose noch Folgeschäden dieser Erkrankung. Bei den neu aufgetretenen Beschwerden handelt es sich vielmehr um ein von der Neuroborreliose unabhängiges Krankheitsbild einer sensiblen Polyneuropathie.
Dies steht zur Überzeugung des Senats aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren fest.
Die beiden im Berufungsverfahren beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. Q3 und Dr. E1 sind übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, dass die im Dezember 2010/Januar 2011 aufgetretene neuropathischen Gesundheitsbeschwerden weder Ausdruck einer Neuroborreliose sind noch auf eine Neuroborreliose zurückgeführt werden können, da beim Kläger schon seit der Liquorpunktion vom 4.5.2011 in der F-Klinik keine Neuroborreliose mehr vorlag. Zur Begründung haben die Sachverständigen – bei denen es sich um ausgewiesene Experten auf dem Gebiet der Borrelioseforschung handelt, übereinstimmend dargelegt, dass die Liquorpunktion vom 4.5.2011 keinen pathologischen Befund mehr ergeben hatte (im Gegensatz zu den Liquorpunktionen vom 25.8.2010 und 6.9.2010 fand sich keine pathologische Erhöhung der Zellzahl: 7/3 bzw. 2,3 ganze Zellen – Normalbefund bis 12/3 bzw. 4 ganze Zellen; Liquoreiweißerhöhung war normalisiert, Schrankenfunktion war nun altersentsprechend normal) und auch die in Folge durchgeführten serologischen Untersuchungen (seit August 2011 keine IgG-Antikörper gegen Borrelien mehr nachweisbar) keine Hinweise mehr auf eine weiterbestehende Infektion mit Borrelien gezeigt hatten. Ein für den Kläger günstigeres Ergebnis lässt sich auch nicht aus den Ergebnissen der Lymphozytentransformationstests (LTT) Borrelien vom 24.8.2011 und 7.12.2011 herleiten, bei denen sich rückläufige „positive LTT-Reaktionen auf Borrelienantigene“ festgestellt wurden. Beim LTT handelt es sich nach der aktuellen S3-Leitlinie zur Neuroborreliose, 2018, der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (S3-Leitlinie) nicht um einen wissenschaftlich anerkannten Test zur Diagnose einer Neuroborreliose. Hierauf haben Dr. E1 und Prof. Dr. Q3 zu Recht hingewiesen.
Auch der im sozialgerichtlichen Verfahren beauftragte Sachverständige Prof. Dr. E hat in seinem Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18.3.2016 bereits ausgeführt, dass aufgrund des Ergebnisses der Liquoruntersuchung vom 4.5.2011 und des anlässlich seiner Untersuchung im erhobenen serologischen Befundes ohne Nachweis von Borrelien IgM- und IgG-Antikörpern von einer Ausheilung des entzündlichen Liquorsyndroms auszugehen sei. Explizit ist er der insoweit gegenteiligen Auffassung der Prof. Dr. B2 entgegengetreten und hat erklärt, dass das Ergebnis der Liquoruntersuchung vom 4.5.2011 als Beweis für ein nach fast einem Jahr nach Zeckenstich entzündliches Liquorsyndrom jedenfalls nicht geeignet ist.
Dr. E1 und Prof. Dr. Q3 sind ferner übereinstimmend und für den Senat überzeugend zu der Auffassung gelangt, dass die zunächst vorliegende akute Neuroborreliose nicht chronisch geworden ist, da, wie dargelegt, der entscheidende Krankheitsaktivitätsmarker einer Neuroborreliose, die Liquorzellzahl im weiteren Verlauf nicht mehr nachweisbar war und sich auch die Liquoreiweißerhöhung wieder normalisiert hatte. Darüber hinaus wäre für eine chronische Neuroborreliose aber auch ein positiver IgG-Antikörper Befund erforderlich, der beim Kläger ebenfalls nicht vorgelegen hat. Prof. Dr. Q3 hat bei der Untersuchung des Klägers auch keine Spätfolgen einer Neuroborreliose im Sinne eines ACA oder einer Lyme-Arthritis festgestellt und außerdem erklärt, dass auch bei der Diagnosestellung einer ACA und einer Lyme-Arthritis ein positiver Borrelien-IgG-Antikörper-Befund im Serum zu fordern sei. Da der Borrelien-IgG-Antikörper-Befund negativ war, erübrigen sich auch Ausführungen über die im gerichtlichen Verfahren immer wieder aufgeworfene Frage, ob eine Polyneuropathie nur in Verbindung mit einer ACA oder einer Lyme-Arthritis als Folge einer Neuroborreliose angesehen werden kann. Wegen der weiteren Begründung der Sachverständigen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die im Tatbestand dargelegten Ausführungen der Sachverständigen Bezug, denen sich der Senat anschließt.
Bei den im Dezember 2010/Januar 2011 neu aufgetretenen Beschwerden handelt es sich schließlich auch nicht um Folgen der stattgehabten, aber ausgeheilten Neuroborreliose. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Prof. Dr. Q3 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 4.1.2019. Prof. Dr. Q3 hat ausgeführt, dass neu aufgetretene und progrediente Beschwerden nach früherer Neuroborreliose nicht mit Residualsymptomen vereinbar seien. Sowohl nach den Angaben des Klägers als auch nach den aktenkundigen Unterlagen seien die aufgetretenen Beschwerden des Klägers, nämlich Kribbelparästhesien und ein Taubheitsgefühl in den Füßen sowie die daraus resultierenden Gleichgewichtsstörungen, zum Zeitpunkt der Diagnosestellung der Neuroborreliose im August/September 2020 aber noch nicht vorhanden gewesen, sondern hätten sich erst im weiteren Verlauf progredient entwickelt hätten. Bei den neu aufgetretenen Beschwerden handele es sich vielmehr um ein von der Neuroborreliose unabhängiges Krankheitsbild einer sensiblen Polyneuropathie.
Der Senat hat an der Auffassung der Sachverständigen auch deswegen keine Zweifel, da diese im Einklang mit der aktuellen S3-Leitlinie zur Neuroborreliose (AWMF-Registernr.: 030/071), Stand 21.03.2018, der Deutschen Gesellschaft für Neurologie steht, worin unter anderem festgestellt wird, dass sich die klinische Verdachtsdiagnose einer sowohl einer frühen als auch einer späten Neuroborreliose nur durch den Nachweis entzündlicher Liquorveränderungen in Verbindung mit einer borrelienspezifischen intrathekalen Antikörpersynthese bestätigen lässt. Es wird vom Kläger weder vorgetragen, dass diese Diagnosekriterien nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen, noch ist dies für den Senat ersichtlich. Vielmehr erscheint dies fernliegend, da die Leitlinie erst jüngst überarbeitet wurde und es sich bei dieser, im Gegensatz zur vorausgegangenen Version (S1-Leitlinie), nunmehr um eine qualitativ hochwertige, konsens- und evidenzbasierte, S3-Leitlinie handelt.
Das im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholte Gutachten der Prof. Dr. B2, auf das das SG seine Entscheidung gestützt hat, begründet keine Zweifel an den Feststellungen von Dr. E1 und Prof. Dr. Q3. Dieses Gutachten ist bezüglich der Einschätzung des Kausalzusammenhangs nicht ansatzweise überzeugend, da Prof. Dr. B2 ihre Einschätzung auf die unzutreffende Feststellung gestützt hat, dass bei der Liquorpunktion am 4.5.2011 noch ein pathologischer Befund vorgelegen hat. Begründet hat Prof. Dr. B2 dies mit der damals festgestellten Liquorzellzahl von 7/3 und dem Borrelien-spezifischen IgG-Index mit 3,3. Wie Dr. E1 und Prof. Dr. Q3, dieser unter Hinweis auf verschiedene Lehrbücher der Neurologie, ausgeführt haben, handelt es sich aber bei einer Zellzahl von 7/3, also 2,3, um einen völlig normalen Befund (Normalbefund: bis zu 12/3 bzw. 4 Zellen). Soweit der Kläger meint, dieser Befund sei pathologisch, widerspricht er sich selbst, da er ebenfalls darauf hingewiesen hat, dass erst ab einer Zellzahl von 4 von einem pathologischen Befund auszugehen sei. Auch der bei der Liquorpunktion noch nachweisbare Borrelien-spezifischen IgG-Index mit 3,3 ist kein Nachweis für eine weitere Infektion. Bereits im Bericht der F-Klinik (Dr. C2) vom 10.5.2011 wurde ausgeführt, dass der immer noch pathologische Borrelien-IgG-ASI von 3,3 noch lange nach Ausheilung ohne klinische Relevanz als „Liquornarbe“ persistieren könne. Dies haben auch Dr. I, Prof. Dr. E, Dr. E1 und Prof. Dr. Q3 bestätigt. Auch aus der aktuellen S3-Leitlinie ergibt sich, dass über Jahre anhaltende erhöhte IgG- und IgM-Antikörpertiter (in Serum und/oder Liquor) nach ausreichend behandelter Borreliose bei gesunden Personen keine Seltenheit darstellen.
Soweit sich Dr. E in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18.03.2016 – entgegen seiner noch im Gutachten vertretenen Auffassung – nach Kenntnis des Gutachtens der Prof. Dr. B2 deren Zusammenhangsbegutachtung angeschlossen hat, vermag dies nicht ansatzweise zu überzeugen. Seine geänderte Auffassung hat er lediglich darauf gestützt, dass bei der Untersuchung durch den Neurologen Dr. C1 nur eine Radikulopathie L5 links, aber noch keine vorbestehende symmetrische Polyneuropathie diagnostiziert wurde, in der kurzen Zeitspanne bis zur elektrografischen Sicherung einer motorischen Polyneuropathie am 1.9.2010 während des stationären Aufenthalts in der F-Klinik aber keine Konkurrenzursachen festzustellen seien. Dem kann der Senat nicht folgen. Prof. Dr. E hat in seinem Gutachten selbst festgestellt, dass die am 1.9.2010 elektroneurografisch festgestellte verlangsamte Nervenleitgeschwindigkeit der Beine nicht mit einer akuten Krankheitserscheinung im Rahmen einer Borreliose vereinbar sei. Auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8.3.2016 hat er noch bekräftigt, dass es sich bei der am 1.9.2010 diagnostizierten Polyneuropathie der Beine mit symmetrischer Ausbreitung nicht um einen typischen Befund einer Neuroborreliose handelt. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, dass er sich trotz einer für eine Borreliose völlig untypischen Krankheitserscheinung schließlich der Zusammenhangsbeurteilung der Prof. Dr. B2 angeschlossen hat. Berücksichtigt man ferner, dass die Ursachen einer Polyneuropathie vielfältig und oft auch unbekannt sind (so die F-Klinik und Neurologen und Psychiater im Netz zu Ursachen und Risikofaktoren einer Polyneuropathie. Es sind über 200 verschiedene Ursachen einer Polyneuropathie bekannt, wobei Diabetes mellitus und Alkoholismus an erster Stelle stehen. Aber auch Infektionskrankheiten oder Stoffwechselkrankheiten, Mangelernährung (z.B. Vitaminmangel), Gift- oder Medikamenteneinwirkungen und Erbkrankheiten können eine Polyneuropathie zur Folge haben. Erworbene Polyneuropathien sind wesentlich häufiger als angeborene. Bei etwa 20 % der Patienten bleiben die Ursachen allerdings ungeklärt), handelt es sich eher um einen nicht ganz auszuschließenden, nicht aber um einen wahrscheinlichen Zusammenhang. Genau so hat es auch Prof. Dr. E in seiner Stellungnahme vom 18.3.2016 auch selbst formuliert und darauf hingewiesen, dass ein Zusammenhang zwischen der Neuroborreliose und der Manifestation der klinischen Neuroborreliose nicht auszuschließen sei. Da die Ursachen einer Polyneuropathie oftmals unbekannt bleiben ist es auch völlig unerheblich, ob schon bei der Untersuchung durch Dr. C1 Zeichen für eine Polyneuropathie vorlagen. Auch die Auffassung Prof. Dr. Es, in der kurzen Zeitspanne seien keine Konkurrenzursachen erkennbar, entspricht nicht den Beweismaßstäben in der gesetzlichen Unfallversicherung. Denn allein das Fehlen oder das nicht Feststellen von Konkurrenzursachen macht den ursächlichen Zusammenhang vorliegend nicht wahrscheinlich.
Der Vortrag des Klägers, seine behandelnden Ärzte hätten einen Ursachenzusammenhang angenommen, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Dr. Q hat zwar in seinem Bericht vom 9.2.2012 geäußert, er habe wenig Zweifel, dass die Polyneuropathie durch die Borreliose ausgelöst worden sei. Seine Einschätzung hat er aber nicht begründet. Die Einschätzung des Dr. C2 in seinem Bericht vom 2.12.2014, aus neurologischer Sicht sei der Zusammenhang zwischen der Polyneuropathie und der Neuroborreliose „möglich und wahrscheinlich“, ist nicht nur zumindest missverständlich, sondern widerspricht auch seinen eigenen Ausführungen in dem Bericht vom 10.5.2011. Hier hatte er, ebenso wie Prof. Dr. E, Dr. E1 und Prof. Dr. Q3 ausgeführt, dass es keine Hinweise für eine Exazerbation der Neuroborreliose gebe und die Ursache der Polyneuropathie völlig ungeklärt sei.
Soweit der Kläger schließlich auch noch meint, er sei während seines ersten Aufenthaltes in der F-Klinik nicht leitliniengerecht behandelt worden, ist dies zum einen unerheblich, da die Erkrankung im Anschluss an die Behandlung ausgeheilt war, zum anderen auch unzutreffend. Nach der S3 Leitlinie aus dem Jahr 2018 handelt es sich bei der vom Kläger durchgeführten 14-tägige Behandlung mit Rocephin (Ceftriaxon) im Regelfall sowohl für Früh- als auch für Spätborreliosen weiterhin um die dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende Behandlungsart.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die in § 160 Abs. 2 SGG genannten Zulassungsgründe nicht vorliegen.