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Bildung des Gesamtgrades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht

Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 4 SB 20/09 – Urteil vom 12.04.2011

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) im Streit.

Der Klägerin war am 14. Juli 1998 durch Segmentresektion links mit Axilladissektion ein perimenopausales Mammacarcinom (invasives ductales Mammacarcinom) links von 16 mm Durchmesser entfernt worden. Dabei hatte sich ergeben, dass drei von 17 untersuchten Lymphknoten im Level I befallen waren. Die behandelnden Ärzte hatten daraufhin entschieden, eine brusterhaltende Therapie durchzuführen, in deren Verlauf die Klägerin sowohl Chemo- als auch Strahlentherapie und anschließend für die Dauer von fünf Jahren eine Behandlung mit Tamoxifen erhalten sollte.

Auf den Antrag der Klägerin vom 14. Juli 1998 zuerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 20. November 1998 einen GdB von 60 und legte hierbei einen Teilverlust der linken Brust bei chronischer Erkrankung im Stadium der Heilungsbewährung sowie ein wiederkehrendes Magen- und Zwölffingerdarmgeschwürsleiden zugrunde.

Bildung des Gesamtgrades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht
Symbolfoto: Von Freedom Studio/Shutterstock.com

Einen unter Hinweis auf das zwischenzeitlich erfolgte Hinzutreten einer weiteren Erkrankung in Gestalt von Rückenbeschwerden gestellten Neufeststellungsantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 3. September 2001 ab. Der GdB betrage auch unter zusätzlicher Berücksichtigung eines chronischen Wirbelsäulensyndroms 60.

Im Jahre 2006 leitete die Beklagte ein Überprüfungsverfahren ein. Sie kündigte an, dass beabsichtigt sei, den GdB auf der Grundlage der zuletzt berücksichtigten Erkrankungen auf 20 herabzusetzen, weil in den letzten acht Jahren seit der Erkrankung Rückfälle nicht aufgetreten seien und der Gesundheitszustand sich insoweit stabilisiert habe. Die Klägerin wies auf einen im Januar 2006 bei Skifahren erlittenen, operativ versorgten Bruch des linken Oberarms, einen bei gleicher Gelegenheit erlittenen, ebenfalls operativ versorgten Knieseitenbandriss und ein beginnendes Lymphödem im linken Arm hin. Mit Neufeststellungsbescheid vom 14. August 2006 setzte die Beklagte den GdB mit Wirkung ab 21. August 2006 auf 20 herab und berücksichtigte hierbei ein chronisches Wirbelsäulensyndrom, einen Teilverlust der linken Brust, ein Magengeschwürsleiden sowie ein Zwölffingerdarmgeschwürsleiden, ein Lymphödem nach Ausräumung der linken Achselhöhle und eine Minderbelastbarkeit des linken Kniegelenks. Nicht zu berücksichtigen gewesen sei ein Armleiden nach Unfall. In dem daraufhin von der Klägerin betriebenen Widerspruchsverfahren berichtete der Frauenarzt P. (Befundbericht vom 30. August 2007) von einer Vollremission beim Zustand nach Mammacarcinom links und einer postklimakterischen Störung. Es gebe keine Anhaltspunkte für ein lokales Rezidiv, die Narben seien reizlos, ein Lymphödem liege nicht vor. Der Facharzt für Orthopädie Dr. R. teilte (Befundbericht vom 25. September 2007) die Diagnosen chronisches pseudoradikales und radikuläres Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule bei Spondylolisthesis L5/S1, Neuroforamenstenose L5, Osteochondrose der Lendenwirbelsäule, Zustand nach LCA-Ruptur und LCA-Plastik links sowie Zustand nach Oberarm-Trümmerbruch linksseitig mit verbliebenen Funktionseinschränkungen und einem Streckdefizit von 15 Grad mit. Der Facharzt für Chirurgie Dr. S. gab als Diagnosen eine supracondyläre Humerusfraktur links sowie eine vordere Kreuzbandruptur und eine Innenbandruptur jeweils des linken Knies an. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. A. teilte die Diagnosen Wirbelsäulensyndrom, Ulcera ventriculi, Lymphödem links bei Mammacarcinom 1998, Zustand nach Chemo- und Strahlentherapie, Bandruptur linkes Knie und Oberarmfraktur links mit. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2008 zurück. Zu berücksichtigen sei eine Funktionsstörung der Wirbelsäule mit einem Teil-GdB von 20, ein Lymphödem des linken Arms mit einem Teil-GdB von 10, eine Funktionsstörung des linken Beins mit einem Teil-GdB von 10, ein Magengeschwürsleiden mit einem solchen von 10 und der Teilverslust der linken Brust mit einem Teil-GdB von 10. Mit einem GdB von 20 sei die festgestellte Behinderung angemessen beurteilt worden.

Mit ihrer daraufhin fristgerecht erhobenen Klage hat die Klägerin ihr auf Zuerkennung eines GdB von wenigstens 50 über den 21. August 2006 hinaus gerichtetes Begehren weiterverfolgt und vorgetragen, sie leide unter einer Schwellung des linken Arms und den damit verbundenen häufigen Lymphdrainagen. Auch sei die Beweglichkeit des linken Arms deutlich eingeschränkt. Sie leide unter Knie- und Rückenbeschwerden, habe Angst vor einer Neuerkrankung und häufige Bauchschmerzen bei einem Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür und einer Reizdarmsymptomatik. In der mündlichen Verhandlung hat sie noch geltend gemacht, nunmehr wegen Mobbings am Arbeitsplatz, wegen eines Hörsturzes und wegen einer Gürtelrose auch in neurologisch-psychiatrischer Behandlung zu sein. Durch Urteil vom 21. Oktober 2009 hat das Sozialgericht die Klage nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der Ärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. S1 und Erläuterung desselben in der mündlichen Verhandlung abgewiesen. Zur Begründung heißt es, die Beklagte habe die Leiden der Klägerin entsprechend den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht (AHP) bzw. entsprechend der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung der §§ 1 Abs. 1 und 3, 30 Abs. 1 und 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) und damit zutreffend eingeschätzt. Für eine Erkrankung auf dem neurologisch psychiatrischen Fachgebiet sei gegenwärtig ein GdB nicht festzusetzen, weil diese Gesundheitsstörung noch nicht wenigstens sechs Monate vorliege. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen. Sie ist den seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17. November zugestellt worden.

Mit ihrer fristgerecht eingelegten Berufung trägt die Klägerin vor, bei den Gutachten werde jeweils nur die Tagesform bewertet. Nicht in Betracht gezogen werde indessen die alltägliche Situation, d.h. wie es ihr im täglichen Leben gehe. Die angegebenen Beschwerden wie Narben-, Oberarm-, Gelenk- und Gliederschmerzen bestünden noch immer. Es seien Magen- und Darmbeschwerden vorhanden, ebenso fast ständige Kopfschmerzen und Migräneanfälle, die bekannten Lendenwirbelsäulenbeschwerden „usw“.

Das Berufungsgericht hat einen Befundbericht des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. eingeholt, in dessen Behandlung sich die Klägerin am 20. September 2009 begeben hatte. Dieser berichtet unter dem 14. September 2010, die Patientin habe bei Erstkontakt angegeben, dass sie sich ausgebrannt fühle, dann einen Hörsturz bekommen habe und später noch eine Gürtelrose. Sie habe eine Tumorerkrankung gehabt und sei dann bei der ARGE beschäftigt gewesen, da sie in ihrem alten Beruf berufsunfähig gewesen sei. Im neurologischen Befund hätten sich Herd- oder Seitenzeichen nicht erheben lassen. Im psychiatrischen Befund sei sie im ersten Kontakt gereizt und vorwurfsvoll gewesen, im Längsschnitt habe ein etwas vertrauensvolleres Verhältnis, aber immer wieder eine Neigung zu Gereiztheit bestanden. Er diagnostizierte eine depressive Verstimmung bei beruflicher Überlastungssituation und einen Zustand nach Hörsturz. Daraufhin hat die Beklagte mit Neufeststellungsbescheid vom 2. November 2010 ab Behandlungsbeginn bei Dr. G. zusätzlich zu den bisher berücksichtigten Gesundheitsstörungen eine psychische Minderbelastbarkeit mit einem Teil-GdB von 20 berücksichtigt und einen GdB von 30 festgestellt.

Mit Blick auf die Neufeststellung trägt die Klägerin vor, sie habe nach wie vor starke Schmerzen und Beschwerden im Oberarm und im Narbenbereich; der linke Arm sei nicht voll funktionsfähig. Durch Mobbing habe sie noch immer starke Schlafstörungen und sei psychisch stark belastet. Sie halte die Herabsetzung des GdB auf 30 nicht für angemessen und sei damit nicht einverstanden.

Dem Vorbringen der Klägerin ist sinngemäß der Antrag zu entnehmen, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Oktober 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheids vom 14. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 2008 und des Neufeststellungbescheids vom 2. November 2010 zu verurteilen, ab 21. August 2006 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die von ihr getroffenen Feststellungen für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Klägerin entscheiden, weil diese am 10. Februar 2011 gemäß § 110 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von dem Termin benachrichtigt und auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Zu Recht hat die Beklagte ausgehend von der Annahme, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse mit Blick auf die ausweislich der eingeholten Stellungnahmen der behandelnden Ärzte erfolgte Heilungsbewährung der bei der Klägerin aufgetretenen Brustkrebserkrankung wesentlich geändert haben, durch den angefochtenen Bescheid mit Wirkung ab 21. August 2006 einen GdB von nur noch 20 festgestellt und das Sozialgericht hat unter zutreffender Würdigung der von ihm erhobenen Beweise die dagegen gerichtete Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen. Auf die Entscheidung wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen. Auch nach dem Erkenntnisstand des Berufungsverfahrens ist die Feststellung eines höheren GdB nach erfolgter Heilungsbewährung nicht gerechtfertigt. Nicht gerechtfertigt ist eine solche Feststellung auch mit Blick auf weitere geltend gemachte Erkrankungen. Vielmehr ist der GdB bei der Klägerin durch die angefochtenen Bescheide und hier namentlich durch den nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gewordenen Neufeststellungsbescheid vom 2. November 2010 zutreffend festgestellt worden, nachdem sich die Klägerin erst am 20. September 2009 in neurologisch-psychiatrische Behandlung begeben hat und insoweit durch den behandelnden Arzt lediglich eine depressive Verstimmung festgestellt wurde. Soweit die Klägerin auch noch im Berufungsverfahren behauptet, dass ihre Leiden auf chirurgischem Fachgebiet fehlerhaft bewertet seien, ist dem schon das Sozialgericht unter Hinweis auf das Gutachten von Frau Dr. S1 zu Recht entgegengetreten. Hiervon ausgehend entsprechen sämtliche festgestellten Teil-GdB den Maßgaben der Versorgungsmedizinverordnung. Auch der Gesamt-GdB wird der Behinderung gerecht, zumal hier die beiden höchsten Teil-GdB-Werte (jeweils 20 für eine Funktionsstörung der Wirbelsäule und eine psychische Minderbelastbarkeit) in der Zusammenschau mit den anderen Leiden, für die jeweils ein Teil-GdB von 10 festgestellt wurde, einer Erhöhung um insgesamt 10 auf einen GdB von 30 zugeführt wurden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.

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