SG Darmstadt – Az.: S 18 KR 314/16 – Urteil vom 25.06.2018
1. Der Bescheid vom 24. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2016 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01. Oktober 2015 bis 09. Oktober 2015 Krankengeld zu gewähren.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Krankengeld über den 30. September 2015 hinaus.
Die Klägerin war ab dem 6. September 2012 arbeitsunfähig erkrankt mit der Diagnose „depressive Episode“ und „Neurasthenie“. Vom 21. bis 29. April 2015 wurde sie aufgrund einer schweren depressive Episode stationär behandelt und war vom 8. Juni 2015 an aufgrund einer Operation auf Grundlage der Diagnose Hallux valgus arbeitsunfähig erkrankt. Aufgrund dieser Diagnose war die Klägerin bis zum 28. August 2015 und anschließend wegen der Diagnose Arthritis bis zum 9. Oktober 2015 krankgeschrieben. Ab dem 9. Oktober 2015 bis zum 19. Oktober 2015 wurde Arbeitsunfähigkeit (AU) aufgrund der Diagnose “rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode“ und wegen derselben Diagnose erneut vom 23. Dezember 2015 „bis auf weiteres“ festgestellt sowie ebenfalls wegen derselben Diagnose vom 20. Januar 2016 bis 12. Februar 2016.
Mit Schreiben vom 9. Juni 2015 beantragte die Klägerin während des Bezugs von Arbeitslosengeld I die Zahlung von Krankengeld ab 15. Juni 2015, da der Anspruch auf Arbeitslosendgeld I am 14. Juni 2015 ende.
Mit Bescheid vom 3. Juli 2015 lehnte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld ab dem 8. Juni 2015 ab. Die Klägerin befinde sich laufend aufgrund der Diagnose „schwere depressive Episode“ in ärztlicher Behandlung. Eine stationäre Behandlung aufgrund dieser Diagnose sei zuletzt vom 21. April 2015 bis 5. Juni 2015 erfolgt. Die AU aufgrund der Erkrankung „Hallux valgus“ habe daher parallel bestanden. Die maßgebliche Blockfrist dauere vom 6. September 2012 bis 5. September 2015, weshalb der Anspruch auf Krankengeld mit dem 15. März 2014 Ende und für die Erkrankung ab dem 8. Juni 2015 kein neuer Anspruch auf Krankengeld bestehe.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch mit der Begründung ein, dass sie bis zur Operation am 8. Juni 2015 voll arbeitsfähig gewesen sei trotz der Diagnose „schwere depressive Episode“. AU habe nur im Zeitraum der stationären Behandlung bestanden, die sich vom 21. bis zum 29. April 2015 erstreckt habe. Die AU nach der OP am 8. Juni 2015 habe unabhängig davon bestanden.
Die Beklagte forderte eine sozialmedizinische Stellungnahme beim MDK an. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 10. September 2015 nach Auswertung der medizinischen Unterlagen zu dem Ergebnis, dass 3 Monate nach der Operation wieder ein positives Leistungsvermögen zumindest für eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gegeben sei. Weiter stellte der MDK fest, dass nicht davon auszugehen sei, dass die schwere depressive Episode seit der Krankenhausbehandlung am 29. April 2015 fortbestehe.
Mit Bescheid vom 24. September 2015 wurde dem Widerspruch abgeholfen und AU bis zum 30. September 2015 anerkannt.
Dagegen legte die Klägerin erneut Widerspruch ein. Sie sei seit dem 8. Juni 2015 ununterbrochen arbeitsunfähig. Zum Beweis verwies sie auf die Auszahlscheine. Nach Besserung der orthopädischen Erkrankung sei sie ab dem 9. Oktober 2015 in ambulanter psychiatrischer Behandlung gewesen aufgrund massiver Existenzängste.
In einer erneuten Stellungnahme des MDK vom 3. Dezember 2015 führte dieser aus, dass die chirurgische Diagnose mit dem Monat Ende August/Ende September nicht mehr führend und nicht arbeitsunfähigkeitsbegründend gewesen sei. Der Bericht des Operateurs am 14. August 2015 habe mit dem Wunsch einer Kontrolle am 26. August 2015 geendet.
Sodann reichte die Klägerin am 4. Dezember 2015 einen ärztlichen Befundbericht der Praxis C. vom 1. Dezember 2015 ein mit den Diagnosen Reizzustand linkes Kniegelenk im Sinne einer Arthritis bei Fehlbelastung, Zustand nach Hallux valgus OP am 8.6.2015, chron. rez. Wirbelsäulensyndrom, somatoforme Schmerzstörung, Verdacht auf Depression.
In seiner Stellungnahme vom 7. Januar 2016 gelangte der MDK zu dem Ergebnis, dass der Befund vom 1. Dezember 2015 vereinbar sei mit dem Leistungsbild für den allgemeinen Arbeitsmarkt mit Einschränkungen hinsichtlich stark kniebelastender Tätigkeiten.
Mit Schreiben vom 14. Januar 2016 lehnte die Beklagte die weitere Zahlung von Krankengeld über den 30. September 2015 hinaus ab.
Da die Klägerin ihren Widerspruch aufrechterhielt, wies die Beklagte diesen mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 2016 zurück. Da ab dem 1. Oktober 2015 mit Blick auf die chirurgische Diagnose ein positives Leistungsbild auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestanden habe, habe ab dem 1. Oktober 2015 kein Anspruch auf Krankengeld mehr bestanden. Die Mitgliedschaft der Klägerin, die nur aufgrund des Bezugs von Krankengeld fortbestanden habe, habe daher geendet. Daher habe aufgrund der psychischen Diagnose ab dem 9. Oktober 2015 kein Anspruch auf Krankengeld mehr bestanden.
Ergänzend führt die Beklagte aus, dass auch bei Annahme weiterer AU kein Anspruch auf Krankengeld bestünde. Denn der letzte Dreijahreszeitraum aufgrund der psychischen Erkrankung sei mit dem 5. September 2015 abgelaufen. Innerhalb dieser Zeit sei Krankengeld für 78 Wochen aufgrund der Erkrankung an Depressionen und Ängsten bezogen worden. Vom 21. April bis 29. April 2015 habe sich die Klägerin aufgrund von Depressionen in stationärer Behandlung befunden, es habe also AU bestanden, auch wenn kein Krankengeld in dieser Zeit bezogen worden sei. Zwischen der erneuten Erkrankung mit der Diagnose depressive Störung am 9. Oktober 2015 und dem stationären Aufenthalt vom 21. April 2015 bis zum 29 April 2015 lägen somit weniger als 6 Monate. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 SGB V für den erneuten Beginn des Dreijahreszeitraums aufgrund derselben Erkrankung seien daher nicht erfüllt.
Am 17. Mai 2016 hat die Klägerin Klage erhoben. Die Beklagte sei verpflichtet, ihr auch ab dem 1. Oktober 2015 Krankengeld zu zahlen. Die Klägerin verweist darauf, dass sie vom 11. September 2015 bis 9. Oktober 2015 wegen einer Arthritis krankgeschrieben gewesen sei. Außerdem sei sie in dem Dreijahreszeitraum bis zum 5. September 2015 mindestens 17 Monate erwerbstätig gewesen und erfülle damit die Voraussetzungen nach § 48 Abs. 2 SGB V für einen neuen Anspruch auf Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit wegen Depressionen. Der Zeitraum von 6 Monaten müsse nicht ununterbrochen verlaufen sein, er könne sich auch aus mehreren Teilabschnitten zusammensetzen.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 24. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2016 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin über den 30. September 2015 hinaus Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie bringt dasselbe vor wie im Widerspruchsverfahren und weist insbesondere darauf hin, dass die Blockfristberechnung ab dem 6. September 2012 richtig sei, da die Klägerin aufgrund derselben Erkrankung im Dreijahreszeitraum davor nicht AU gewesen sei.
Zur selben Frage der Fortzahlung von Krankengeld über den 30. September 2015 hinaus ist bereits ein Eilverfahren geführt worden (Az. S 18 KR 128/16 ER). In diesem hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 11. April 2016 festgestellt, dass ein Anspruch auf Krankengeld wegen der erneuten Erkrankung an Depressionen schon deshalb nicht bestehe, weil die Klägerin angesichts des stationären Aufenthalts im April wegen derselben Erkrankung AU gewesen sei. Der Beschluss des Sozialgerichts ist durch das Hessische Landessozialgericht im Beschwerdeverfahren bestätigt worden (Beschluss vom 11. Mai 2016, L 1 KR 126/16 B ER).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, derjenigen des Eil- sowie des Beschwerdeverfahrens und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Darüber hinaus war sie abzuweisen.
Die Klägerin war bis zum 9. Oktober 2015 wegen der Diagnose Arthritis krankgeschrieben. Bis zu diesem Zeitpunkt hat sie Anspruch auf Gewährung von Krankengeld.
Über den 9. Oktober 2015 hinaus hat sie allerdings keinen Anspruch auf Gewährung von Krankengeld, in dieser Zeit wurde Arbeitsunfähigkeit erneut aufgrund der Diagnose “rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode“ attestiert.
Nach § 48 Abs.1 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit jedoch für längstens achtundsiebzig Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an.
Nach § 48 Abs. 2 SGB V besteht für Versicherte, die im letzten Dreijahreszeitraum wegen derselben Krankheit für achtundsiebzig Wochen Krankengeld bezogen haben, nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums ein neuer Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Krankheit, wenn sie bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krankengeld versichert sind und in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate
1. nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig waren und
2. erwerbstätig waren oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung standen.
Ziel der Regelung ist es, die Zahlung von Krankengeld als unterbrochene Dauerleistung mit Rentenersatzfunktion auszuschließen (vgl. BSG, Urteil vom 29.09.1998, B 1 KR 2/97 R, juris Rnr. 19).
Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen nach § 48 Abs. 2 SGB V, um für die Arbeitsunfähigkeit wegen Depressionen einen neuen Anspruch auf Krankengeld zu begründen.
Zwar war der letzte Dreijahreszeitraum am 9. Oktober 2015 abgelaufen. Der letzte Dreijahreszeitraum begann am 6. September 2012 mit der Zahlung von Krankengeld wegen Depressionen und Ängsten und endete am 5. September 2015. Innerhalb dieses Dreijahreszeitraums hat die Klägerin für 78 Wochen wegen dieser Erkrankung Krankengeld bezogen.
Am 9. Oktober 2015 lag die letzte Arbeitsunfähigkeit begründende Erkrankung wegen Depressionen aber noch keine sechs Monate zurück. Die Beklagte war vom 21. bis 29. April 2015 wegen Depressionen in stationärer Behandlung. In diesem Zeitraum war sie offensichtlich nicht arbeitsfähig. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 48 Abs. 2 SGB V kommt es auch nicht darauf an, dass in dieser Zeit für die Erkrankung Krankengeld gezahlt wurde, sondern allein darauf, ob wegen der gleichen Erkrankung Arbeitsunfähigkeit bestand. Dass die Klägerin im April 2015 kein Krankengeld bezogen hat wegen dieser Erkrankung, ist deshalb nicht entscheidend.
Bis zum 29. Oktober 2015 hätte die Klägerin nicht mehr wegen Depressionen arbeitsunfähig erkranken dürfen, um nach § 48 Abs. 2 SGB V in einem neuen Dreijahreszeitraum einen erneuten Anspruch auf Krankengeld wegen Depressionen begründen zu können.
Die vorstehenden Ausführungen, die denjenigen im Eilverfahrensbeschluss entsprechen, sind durch das Landessozialgericht im Beschwerdeverfahren ausdrücklich bestätigt worden.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Zeit der Arbeitsfähigkeit – worauf die Klägerin mehrfach hingewiesen hat – nicht zusammenhängend zu verlaufen braucht. Der Zeitraum von 6 Monaten beginnt jedoch erst zu laufen, wenn die zum Ablauf des Krankengeldanspruchs führende Arbeitsunfähigkeit beendet ist. Auf den Zeitpunkt der Einstellung der Krankengeldzahlungen wegen Erschöpfung des Leistungsanspruchs (78 Wochen) sowie auf den Lauf des Dreijahreszeitraums kommt es hingegen nicht an (siehe dazu etwa Hauck/Noftz, SGB V, § 48 Rnr. 54). Entsprechend ist es im Fall der Klägerin allein entscheidend, ob sie nach dem stationären Aufenthalt vom 21. bis 29. April 2015 für mindestens 6 Monate nicht wegen Depressionen arbeitsunfähig war. Dies ist vorliegend zu verneinen.
Im Übrigen scheitert ein Wiederaufleben des Anspruchs auf Krankengeld auch daran, dass die Klägerin bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit nicht mit Anspruch auf Krankengeld versichert war. Insoweit kann auf die Ausführungen des Landessozialgerichts im Beschluss vom 11. Mai 2016 verwiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das Obsiegen der Klägerin betrifft einen derart geringen Anteil ihrer Klageforderung, dass eine Kostenquotelung nicht gerechtfertigt war.