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Gesetzlicher Unfallversicherungsschutz bei Gefälligkeitsleistungen und Nachbarschaftshilfe

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: L 4 U 685/10 – Urteil vom 30.09.2011

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 21.10.2010 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen. Im übrigen sind auch im zweiten Rechtszug Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist insbesondere das Vorliegen einer versicherten Tätigkeit im Rahmen der Frage, ob der Kläger einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Der 1964 geborene Kläger ist gelernter Tischler und war von 1982 bis 2008 als Zimmermann beschäftigt. Am 11.7.2008 (Freitag) stürzte er gegen 16:20 Uhr auf dem Grundstück des Beigeladenen von einem Baugerüst und zog sich erhebliche Verletzungen, unter anderem im Kopf- und Wirbelsäulenbereich, zu.

Mit Schreiben vom 15.7.2008 wandte sich der – anwaltlich vertretene – Kläger an die BG Bau und gab an, er sei auf der Baustelle des Beigeladenen beschäftigt gewesen. Nach Weiterleitung an die Beklagte berichtete die Schwester des Klägers, dieser habe an das Unfallgeschehen und an die Vorgeschichte keinerlei Erinnerung. Es könne nicht einmal mit Sicherheit rekonstruiert werden, ob er sich am Unfalltag erstmals auf der Baustelle aufgehalten oder schon einige Tage vorher dort gearbeitet habe (Schreiben vom 16.10.2008).

Die Kreispolizeibehörde Q nannte in der Erstmeldung (11.7.2008, 17:40 Uhr) als Kurzsachverhalt, der Kläger sei „bei einer privaten Baustellenbegehung von einem Baugerüst“ gestürzt. PHK H. führte im „Sachverhalt“ vom Unfalltag aus, der Beigeladene habe angegeben, bei dem Kläger handele es sich um einen guten Freund. Er habe diesen um Rat gefragt, da er im Moment eine Reparatur am Dach seines Hauses vornehmen wolle. Beide seien auf das Baugerüst gestiegen. Der Kläger habe ihm die notwendigen Arbeiten erklärt. Durch eine Unaufmerksamkeit bedingt sei der Kläger dann vom Gerüst gefallen. Der „Tatortbefundbericht“ vom 13.7.2008 enthält die Angabe, der Beigeladene habe seinen langjährigen Freund, den Kläger, um Rat gefragt. Dieser habe ihm vor Ort mit Hilfe eines Holzbrettes demonstriert, wie es aussehen müsste beziehungsweise würde. Während des Gespräches sei der Kläger bis zum Ende des Gerüstes gegangen und dort herunter gefallen. Bevor sie auf das Gerüst geklettert seien, hätten sie zunächst noch eine Zigarette zusammen geraucht. Ein weiterer Zeuge sei nicht vor Ort gewesen.

Der Beigeladene gab – anwaltlich vertreten – gegenüber der Staatsanwaltschaft Q an, er selbst sei von Beruf Schlosser. Mit dem Kläger, der von Beruf Zimmermann sei, sei er seit sicherlich 20 Jahren oder länger befreundet. Er habe diesen in seine Planungen mit einbezogen und ihn gefragt, ob er die Dachrinnen anbringen könne. An „diesem Tag“ sei er gekommen, um das Ganze zu inspizieren, insbesondere zu beurteilen, ob die Abstände ausreichten. Zu diesem Zeitpunkt sei das Gerüst noch gar nicht fertig aufgestellt gewesen. Die Arbeit hätten sie circa eine Woche später gemeinsam erledigen wollen (Schreiben vom 7.10.2008).

Gesetzlicher Unfallversicherungsschutz bei Gefälligkeitsleistungen und Nachbarschaftshilfe
Symbolfoto: Von Gulliver20/Shutterstock.com

Der Kläger ließ – vermittelt über seine Schwester – mitteilen (Schreiben vom 23.10.2008 und 6.11.2008), diese Angaben des Beigeladenen seien weitgehend falsch. Zwischenzeitlich könne er sich daran erinnern, dass der Beigeladene ihn am Unfalltag angerufen und um Unterstützung gebeten habe. Er sei dann hingefahren. Das Gerüst sei bereits aufgebaut gewesen. Der Beigeladene habe beabsichtigt, Dachrinnen selbst anzubringen. Er, der Kläger, habe anschließend die Verkleidung verschiefern sollen. Bei dem Gespräch auf dem Gerüst sei es um die notwendigen Abstände zwischen der Dachrinne und der Schieferverkleidung gegangen. Gemeinsam habe man aus einem Holzbrett eine Schablone als Vorlage bauen wollen. Die Schieferplatten hätten dann am nächsten Tag angebaut werden sollen. Sein Arbeitgeber, V I, habe sich bereit erklärt gehabt, einen Bulli zu leihen.

Der Bevollmächtigte des Klägers vermerkte am 5.11.2008 nach einem ersten Gespräch mit dem Kläger, von dem Vater des Beigeladenen sei bereits ein Modell fertig gestellt und am Haus angebracht gewesen. Entsprechend dieser Vorlage habe er dann weitere Balken bei der Firma I zuschneiden und am nächsten Tag mit dem Bulli zum Beigeladenen bringen und dort einbauen wollen.

Der Vater des Beigeladenen (T H) erklärte bei einer Zeugenvernehmung (12.11.2008), der Kläger sei nur an dem Tag, als der Unfall passiert sei, bei ihnen gewesen. Er sei nur kurz da gewesen, bis der Unfall passiert sei. Er, der Zeuge, sei selbst mit draußen bei der Arbeit gewesen und habe eine Schablone zurecht schneiden sollen. Nachdem er dies getan habe, sei er ins Haus und erst wieder nach draußen gegangen, als der Kläger verletzt auf dem Boden gelegen habe.

Die Beklagte verneinte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls und sah eine Leistungspflicht als nicht gegeben an (Bescheid vom 11.3.2009). Der Kläger habe nicht zu dem in der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 2 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) geschützten versicherten Personenkreis gehört. Der Sachverhalt spreche gegen die Annahme einer arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit und vielmehr für ein unternehmerähnliches Tätigwerden.

Mit seinem Widerspruch trug der Kläger vor, entgegen der Auffassung der Beklagten habe es sich nicht um einen geradezu selbstverständlichen Hilfsdienst angesichts der bestehenden sozialen Beziehungen gehandelt. Er sei mit dem Beigeladenen nicht befreundet, wohl aber seit vielen Jahren bekannt. Private Kontakte hätten sich darauf beschränkt, dass man anlässlich des örtlichen Schützenfestes zufällig in größerer Runde zusammen gestanden und ein Bier getrunken habe. Er selbst sei an der Beschaffung und dem Aufbau des Gerüstes nicht beteiligt gewesen. Die ursprünglich vorhandene Dachrinne sei bereits abmontiert gewesen. Die neue Dachrinne habe der Beigeladene selbst und ohne seine Beteiligung anbringen wollen. Am Unfalltag habe der Beigeladene ihn unmittelbar vorher angerufen und gebeten, die Arbeiten an diesem Tag zu beginnen. Dazu hätten exakte Messungen erfolgen müssen. Der Unfall habe sich in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Anbringen des Schablonenbrettes ereignet, welches ihm vorab vom Vater des Beigeladenen übergeben worden sei. Allein seine speziellen Fachkenntnisse als „gelernter Zimmermann“ begründeten nicht, dass er unternehmerähnlich tätig geworden sei.

Auf Nachfrage der Beklagten ergänzte der Kläger (Schreiben vom 5.6.2009), er habe das Aufmaß der seitlichen Dachkonstruktion nehmen und das notwendige Material beschaffen sollen. Am Unfalltag sei das Aufmaß genommen worden. Bei dieser Tätigkeit sei es zu dem Unfall gekommen. Wäre es nicht zum Unfall gekommen, hätte er noch mit dem Zuschnitt des Holzes begonnen. Diese Tätigkeit hätte voraussichtlich noch zwei Stunden erfordert. Die Arbeiten hätten am Unfalltag und voraussichtlich am Folgetag, dem Sonnabend, ausgeführt werden sollen. Er sei nicht im eigenen Interesse tätig geworden, sondern im Auftrag des Beigeladenen. Dieser habe ihn am Unfalltag telefonisch auf die Sache angesprochen. Bis zum Eintritt des Unfalls habe seine Tätigkeit etwa eineinhalb bis zwei Stunden in Anspruch genommen. Vergütungsabsprachen seien nicht getroffen worden. Er habe in der Vergangenheit ähnliche Tätigkeiten weder angeboten noch für andere durchgeführt.

Für den Beigeladenen teilten dessen Bevollmächtigten mit, der Kläger habe „lediglich im Rahmen eines Bekanntschaftsverhältnisses eine Besichtigung vorgenommen“ und sei von dem noch nicht fertig gestellten Gerüst gestürzt (Schreiben vom 3.6.2009). Der Beigeladene erklärte, bis zu seinem Unfall habe der Kläger die Sparrenverlängerung gemessen. Er habe diesen „um Mithilfe gebeten“. Kurze Zeit nach dem Beginn der Arbeiten gegen 16:00 Uhr sei es zu dem Unfall gekommen. Wegen „Freundschaft“ sei keine Bezahlung vereinbart worden. Die von dem Kläger ohne Eintritt des Unfalls noch zu erledigenden Arbeiten seien in Eigenleistung von circa zehn Stunden erbracht worden. Die gesamte Arbeit hätte circa 22 Stunden beansprucht.

Anlässlich der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts E in der Strafsache (5 Ds-261 Js 829/08-413/08) erklärte der als Zeuge gehörte Kläger, der Beigeladene und er seien „gute Bekannte“. Er habe etwas ausmessen wollen und sei dann gefallen (Sitzungsniederschrift vom 29.4.2009).

Die Beklagte wies den Rechtsbehelf zurück (Widerspruchsbescheid vom 21.10.2009). Unstreitig scheide ein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nummer 1 SGB VII aus, weil der Kläger nicht aufgrund eines Arbeitsverhältnisses tätig geworden sei. Für eine Tätigkeit als „Wie-Beschäftigter“ sei entscheidend, ob die Tätigkeit nach ihrem Gesamtbild wie von einem Beschäftigten oder einem Unternehmer ausgeübt worden sei. Vorliegend könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit verrichtet habe. Vielmehr ließen die Umstände des Falles sein Tätigwerden als unternehmerähnlich erscheinen. Der Widerspruchsausschuss sei der Auffassung, dass der Beigeladene dem Kläger einen Auftrag mit Werkvertragscharakter erteilt habe, den dieser nicht als weisungsabhängiger Helfer, sondern eigenverantwortlich habe ausführen sollen, so dass die Unternehmerähnlichkeit zu bejahen sei.

Mit der am 18.11.2009 erhobenen Klage hat der Kläger ergänzend vorgetragen, er habe einen „weitläufigen Bekannten“ anlässlich eines geplanten Dachumbaus bei den Vorbereitungen beraten und diesem geholfen. Im Zusammenhang mit dem Anbringen einer Schablone sei es zu dem Unfall gekommen. Da der Bauherr gewusst habe, dass er über gewisse Fachkenntnisse verfüge, sei er um Ratschlag und Unterstützung gebeten worden. Es habe sich weder um einen geradezu selbstverständlichen Hilfsdienst noch um eine unternehmerähnliche Tätigkeit gehandelt. Beide hätten nie jemals einen Gedanken daran verschwendet, dass zwischen ihnen ein schuldrechtlicher Vertrag bestehen solle. Vorliegend handele es sich „um einen typischen Fall der Nachbarschaftshilfe, die in aller Regel davon geprägt“ seien, „dass einige Personen beteiligt sind, die von bestimmten Dingen mehr Ahnung haben als andere“.

Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide unter Hinweis auf Entscheidungen des Landessozialgerichts (LSG) NRW (Urteil vom 2.3.2007 – L 4 U 47/06 -) und des Bayerischen LSG (Urteil vom 5.12.2006 – L 17 U 166/04 -) für rechtmäßig gehalten.

Das Sozialgericht (SG) hat die Akten der Staatsanwaltschaft Q (XXX) beigezogen, den Kläger ergänzend gehört und den Beigeladenen als Zeuge vernommen.

Der Kläger hat angegeben, er sei vor dem Unfalltag einmal bei dem Beigeladenen gewesen und habe sich das Dach angeschaut. Am Unfalltag habe er dann einen Anruf von dem Beigeladenen erhalten, ob er noch einmal bei ihm vorbeikommen und sich das Dach ansehen könne. Seine Aufgabe habe im Wesentlichen darin bestanden, die von dem Beigeladenen vorgesehene Konstruktion auszumessen und eine von dessen Vater angefertigte Schablone anzubringen. Außerdem habe er später noch eine Blende und ein Stirnbrett anbringen sollen. Ob er die Verkleidung auch noch hätte verschiefern und vertäfeln sollen, wisse er heute nicht mehr genau. Für den Einsatz des Bullis seines Chefs hätte der Beigeladene nichts bezahlen müssen, wohl aber das Material für den Zuschnitt der Balken. Dafür habe sein Chef eine Rechnung direkt für den Beigeladenen schreiben wollen. Über eine Vergütung für ihn selbst sei nicht gesprochen worden. Bis zu dem Sturz sei er circa eine bis eineinhalb Stunden auf dem Dach mit Ausmessen und Anbringen der Schablone beschäftigt gewesen. Für den am Unfalltag noch vorgesehenen Zuschnitt der Balken habe er circa zwei Stunden, für die nachfolgende Dachreparatur den gesamten Samstag eingeplant gehabt. Seit über 20 Jahren sei er mit dem Beigeladenen bekannt. Er kenne ihn praktisch schon ewig, unter anderem aus dem Schützenverein. Aus seiner Sicht seien sie nicht befreundet gewesen. Er habe dem Beigeladenen bei der Dachausbesserung geholfen, weil dieser ein guter Bekannter von ihm gewesen sei. Andererseits habe er auch eine gewisse Vergütung für seine Tätigkeit erwartet, obwohl im Vorfeld darüber nicht gesprochen worden sei. Das Verhältnis zueinander sei auch nach dem Sturz problemlos.

Der Beigeladene hat ausgesagt, er kenne den Kläger, den er als Freund, nicht als guten Freund bezeichnen würde, schon seit seiner Schulzeit. Dieser habe ihm wegen der Fachkenntnisse helfen sollen. Bei der Entfernung der alten Dachrinne habe er Bedenken bekommen, dass die vorgesehene Dachverlängerung zu weit nach unten komme. Deshalb habe er den Kläger am Unfalltag angerufen und ihn gebeten, „sich das mal anzusehen und auszumessen“. Die eigentliche Tätigkeit des Klägers am Dach, das Ausmessen und das Anbringen der Schablone, habe nach seiner Erinnerung etwa 10-15 Minuten gedauert. Dann sei der Kläger von dem Gerüst gefallen. Der Kläger habe anschließend die Sparrenverlängerung im Betrieb seines Arbeitgebers zuschneiden und diese dann am nächsten Tag ebenso wie das Stirnbrett anbringen sollen. Ob darüber gesprochen worden sei, dass der Kläger auch die Verschieferung anbringen solle, wisse er heute nicht mehr genau. Für die noch zu erledigenden Arbeiten habe er dann alleine, eventuell mit Hilfe seines Vaters, circa 20 Stunden gebraucht. Darin sei allerdings auch die Montage der Dachrinne enthalten gewesen, die er auf jeden Fall habe alleine anbringen wollen. Über eine Vergütung sei auch bei einem einmaligen Vorgespräch nicht gesprochen worden. Er habe auch nicht vor gehabt, dem Kläger Geld für dessen Tätigkeit zu geben. Er habe eventuell erwogen, sich später einmal durch eine Gegenleistung zu revanchieren, zum Beispiel durch den Bau eines Geländers. Er habe den Kläger um Hilfe gebeten, da er ihn einerseits als Freund betrachtet habe und noch betrachte, und da der Kläger andererseits als Zimmermann ein Fachmann für Dachreparaturen sei. Sie hätten sich nicht gegenseitig in ihre Häuser eingeladen. Allerdings hätten sie sich häufiger bei einem dritten Bekannten in dessen Hütte getroffen und dort auch gefeiert beziehungsweise mal zusammen ein Bierchen getrunken.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 26.5.2010 Bezug genommen.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 21.10.2010, zugestellt am 29.10.2010). Der Kläger sei bei der zur Zeit des Unfalls ausgeübten Verrichtung weder als Beschäftigter des Beigeladenen noch als „Quasi-Beschäftigter“ gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII unfallversichert gewesen. Seine Tätigkeit habe auf einer Sonderbeziehung, nämlich einem Freundschaftsverhältnis, zumindest einem Bekanntschaftsverhältnis, beruht (Hinweis auf LSG NRW, Urteil vom 12.7.2006 – L 4 U 49/05). Das ergebe sich auch aus der Klagebegründung, in der auf einen typischen Fall der Nachbarschaftshilfe hingewiesen worden sei. Jedenfalls habe die unfallbringende Tätigkeit keinen arbeitnehmerähnlichen Charakter gehabt. Der Kläger habe wie ein Unternehmer im Rahmen des von dem Beigeladenen vorgegebenen Rahmens den entscheidenden Einfluss auf die Art und Weise der auszuführenden Arbeiten gehabt. Eher habe der Beigeladene als Hilfsarbeiter des Klägers tätig werden sollen (Hinweis auf LSG NRW, Urteil vom 20.5.2008 – L 15 U 188/07 -). Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides Bezug genommen.

Mit der am 15.11.2010 eingelegten Berufung vertritt der Kläger die Auffassung, bei der unfallbringenden Tätigkeit habe es sich nicht um eine Gefälligkeit unter Freunden gehandelt. Er und der Beigeladene seien niemals miteinander befreundet gewesen. Sie seien Mitglieder in unterschiedlichen Schützenvereinen. Bis zu den Gesprächen anlässlich des streitgegenständlichen Unfalles hätten sie niemals privaten Kontakt gehabt. Einen gemeinsamen Bekanntenkreis gebe es nicht. Ab und zu sei es zu zufälligen Zusammentreffen in der Hütte eines guten Bekannten gekommen. Der Unfall habe sich „gleich zu Beginn der Tätigkeit am Unfalltag ereignet“. Er sei nicht wie ein Unternehmer tätig geworden und genieße deshalb Versicherungsschutz. Im Rahmen von § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII könne auch einmaliges Handeln versichert sein. Wenn er nicht abgestürzt wäre, wäre die Tätigkeit „unter arbeitnehmerähnlichen Umständen vorgenommen worden“. Dem stehe auch nicht entgegen, dass kein Entgelt vereinbart worden sei. Zivilrechtliche Ansprüche gegen den Beigeladenen seien bislang nicht geltend gemacht worden. Wegen der Einzelheiten seines Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 3.2.2011 und 2.9.2011 verwiesen.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 21.10.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 11.3.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 11.7.2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und meint, die Angaben des Klägers im Berufungsverfahren betreffend seine Beziehung zu dem Beigeladenen ständen in Widerspruch zu seinen eigenen früheren Ausführungen. So habe der Kläger in einem – vom Gericht in Kopie übersandten – Ermittlungsfragebogen der Deutschen Rentenversicherung Westfalen am 12.3.2009 angegeben, er sei mit dem Beigeladenen seit vielen Jahren gut bekannt und habe ihm helfen wollen.

Der Beigeladene schließt sich dem Antrag der Beklagten an.

Das Gericht hat neben den Akten der Beklagten die Akten der Deutschen Rentenversicherung Westfalen, des Kreises Q in der Schwerbehindertenrechtsangelegenheit des Klägers, der Staatsanwaltschaft Q (XXX) sowie Unterlagen der B-klinik X und des Klinikums E und der M Versicherung beigezogen.

Letztere umfassen unter anderem Gutachten des Arztes für Chirurgie Dr. C (28.7.2011) und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D (7.6.20111), der auf eine – sich aus einem neuropsychologischen Gutachten ergebende – mittelschwere Beeinträchtigung der normalen geistigen Leistungsfähigkeit hinweist und einen Demenzverdacht erwähnt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Akten und Unterlagen, der insgesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 11.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2009 ist rechtmäßig. Der Kläger ist dadurch nicht beschwert i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Zutreffend hat die Beklagte das Vorliegen eines Versicherungsfalles nach § 8 SGB VII verneint.

Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach i.d.R. erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheits-(erst-)Schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität).

Dass der Kläger am 11.7.2008 bei einer Tätigkeit einen Unfall mit Verletzungen erlitten hat, steht fest. Jedoch hat er zum Unfallzeitpunkt keine versicherte Tätigkeit ausgeübt.

Eine Versicherung des Klägers kraft Gesetzes als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nummer 1 SGB VII scheidet aus, da ein Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis zu dem Beigeladenen nicht bestanden hat, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist.

Ebenso ist der Kläger am 11.7.2008 bei der unfallbringenden Tätigkeit nicht im Rahmen seines bei Herrn I bestehenden Beschäftigungsverhältnisses tätig geworden. Anhaltspunkte dafür sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Entgegen der Auffassung des Klägers besteht auch kein – ansonsten lediglich in Betracht kommender – Versicherungsschutz kraft Gesetzes nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII, wonach Personen versichert sind, die „wie“ nach § 2 Abs. 1 Nummer 1 SGB VII Versicherte tätig werden. Der ständigen Rechtsprechung des BSG folgend, legt der Senat die Vorschrift des § 2 Abs. 2 SGB VII ebenso wie die Vorgängervorschrift des § 539 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) dahingehend aus, dass aus sozialpolitischen und rechtssystematischen Gründen Versicherungsschutz auch dann gewährt werden soll, wenn die Voraussetzungen eines Beschäftigungsverhältnisses nicht vollständig erfüllt sind und bei einer gegebenenfalls nur vorübergehenden Tätigkeit die Grundstruktur eines Beschäftigungsverhältnisses gegeben ist. Dies kommt in Betracht, wenn eine ernstliche Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert vorliegt, die von der Handlungstendenz her einem fremden Unternehmen dienen soll, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht, einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist und nicht auf einer Sonderbeziehung zum Unternehmer zum Beispiel als Familienangehöriger oder als Vereinsmitglied beruht (vergleiche BSG, Urteil vom 31.5.2005 – B 2 U 35/04 R – mit weiteren Nachweisen); Urteile des erkennenden Senats vom 28.2.2011 – L 4 U 484/10 -, vom 3.9.2010 – L 4 U 140/09 – und vom 2.3.2007 – L 4 U 47/06 -).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Die zum Unfall führende Tätigkeit des Klägers war einer solchen aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses bereits nicht ähnlich. Er wurde von dem Beigeladenen, mit dem er jedenfalls langjährig bekannt war, am Unfalltag kurzfristig um Rat gefragt bzw. um Hilfe gebeten. Aufgrund der bei ihm vorhandenen und der beim Beigeladenen offenbar fehlenden Fachkenntnisse bestand seine Aufgabe nach eigenen Angaben im wesentlichen darin, die von dem Beigeladenen vorgesehene Konstruktion auszumessen und eine bereits vorhandene Schablone anzubringen. Nach seinen Angaben gegenüber dem SG hat er dem Beigeladenen geholfen, weil dieser ein guter Bekannter von ihm gewesen sei. Es habe sich um einen „typische“ Fall der Nachbarschaftshilfe“ gehandelt. An einen schuldrechtlichen Vertrag habe man nicht gedacht. Über eine Vergütung für die Tätigkeit des Klägers wurde nicht gesprochen.

Zudem beruhte die Tätigkeit des Klägers für den Beigeladenen auf der zwischen beiden bestehenden Sonderbeziehung.

Bei Gefälligkeitsleistungen, die ihr gesamtes Gepräge durch ein verwandtschaftliches oder freundschaftliches Verhältnis zwischen den beteiligten Personen erhalten, besteht kein Versicherungsschutz. Dabei sind die gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu beachten, insbesondere Art, Umfang und Zeitdauer der verrichteten Tätigkeit sowie die Intensität der tatsächlichen verwandtschaftlichen bzw. freundschaftlichen Beziehungen. Je enger eine Gemeinschaft ist, umso größer wird regelmäßig der Rahmen sein, innerhalb dessen bestimmte Tätigkeiten ihr Gepräge daraus erhalten. Dabei können im Rahmen eines engsten verwandtschaftlichen bzw. freundschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses auch Tätigkeiten von erheblichem Umfang und größerer Zeitdauer diesem Gemeinschaftsverhältnis ihr Gepräge geben (vergleiche Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.1.2009 – L 31 U 369/08 – mit weiteren Nachweisen). Nach der Rechtsprechung besteht keine feste Stundengrenze für die Beurteilung einer Versicherungspflicht bei Gefälligkeitsdiensten (vergleiche Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 28. 5. 2008 – L 2 U 28/08 -). Als Kriterien kommen insbesondere in Betracht, ob eine besonders nahe verwandtschaftliche oder freundschaftliche Beziehung besteht, in häuslicher Gemeinschaft gelebt wird, besondere Fachkenntnisse bestehen, eine gefährliche, anstrengende oder länger dauernde Tätigkeit verrichtet wird, beziehungsweise ob aufgrund konkreter sozialer Beziehungen ein geradezu selbstverständlicher Hilfsdienst geleistet wird. Nicht arbeitnehmerähnlich sind auf Kameradschaft und Gegenseitigkeit beruhende kleinere Handreichungen (vergleiche Juris Praxiskommentar, § 2 SGB VII Rn. 271 ff; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 2 Anmerkung 34.18 ff, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Unter Berücksichtigung dessen ist nach Auffassung des Senats insgesamt bei der zum Unfall führenden Tätigkeit des Klägers von einer nicht versicherten Gefälligkeitsleistung auszugehen. Zwar besteht zwischen ihm und dem Bauherrn kein verwandtschaftliches Verhältnis, wohl aber ein langjährig bestehendes freundschaftliches Verhältnis, zumindest eine – wie auch der Kläger bei wechselnden Angaben zugestanden hat – gute Bekanntschaft; dies ist für die vom Kläger verrichtete Tätigkeit i.S. einer Gefälligkeitsleistung prägend gewesen. Kläger und Beigeladener kennen sich seit der Schulzeit, sind Mitglieder örtlicher Schützenvereine und trafen sich gelegentlich bei einem guten Bekannten. Unabhängig von dem vorliegenden Rechtsstreit führte der Kläger gegenüber der Deutschen Rentenversicherung Westfalen zum Unfallhergang aus, er und der Beigeladene seien „seit vielen Jahren gut bekannt“, er habe „ihm helfen“ wollen. Die Dauer der an einem Freitagnachmittag und Samstag vorgesehenen Arbeiten war für den Kläger jedenfalls mit weit weniger als 20 Stunden geplant. Der Kläger selbst hat gegenüber dem SG seine Hilfeleistung als „typischen Fall der Nachbarschaftshilfe“ bezeichnet. In Reaktion auf einen Telefonanruf stand er kurzfristig aufgrund seinerseits vorhandener Fachkenntnisse dem Kläger beratend zur Seite, jedenfalls auch, weil dieser „ein guter Bekannter“ von ihm war. Über eine Vergütung war im Vorfeld nicht gesprochen worden. Eine solche war vom Beigeladenen auch nicht beabsichtigt. Dieser hatte lediglich erwogen, sich „später einmal durch eine Gegenleistung zu revanchieren“.

Ergänzend nimmt der Senat gem. § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil sowie gem. §§ 153 Abs. 1, 136 Abs. 3 SGG auf die Begründung in den angefochtenen Bescheiden Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.

 

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