SG Marburg – Az.: S 8 AS 159/14 – Urteil vom 14.10.2014
1. Der Bescheid vom 03.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2014 wird abgeändert. Der Beklagte wird verpflichtet an die Klägerin weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 63,30 € zu zahlen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über weitere Kosten der Unterkunft (Kaltmiete).
Die 1982 geborene Klägerin war bis zum 17.02.2014 unter der Anschrift „B-Straße, B Stadt“ gemeldet. Unter dieser Anschrift lebte die Klägerin zunächst bei ihrer Schwester.
Wegen familiärer Streitigkeiten verlies die Klägerin im Februar 2014 die Wohnung der Schwester und wohnte vorrübergehend bei Freunden, um sich eine eigene Wohnung zu suchen.
Die Klägerin beantragte mit Antrag vom 18.02.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Im Hauptantrag war als aktuelle Anschrift „C-Straße“ in C-Stadt (A-Stadt) vermerkt. Zudem wurde ein Wohnungs-Einheitsvertrag vom 15.02.2014 über eine 2 Zimmer Wohnung mit einer Wohnfläche von 36 Quadratmetern im Haus „C-Straße C-Stadt Dachgeschoss links Nr. xx“ vorgelegt. Als Mietbeginn war der 01.03.2014 vermerkt. Die Netto-Kaltmiete beläuft sich für diese Wohnung auf 270,- EUR zzgl. eines Betriebskostenvorschusses vom 100,- EUR, insgesamt 370,- EUR.
Mit Schreiben vom 20.02.2014 forderte die Beklagte zur Vorlage von verschiedenen Unterlagen auf. Nach weiteren Ermittlungen und Berechnungen bewilligte die Beklagte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 03.04.2014 aufgrund des Antrages vom 18.02.2014 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.03.2014 bis 31.07.2014. Neben dem Regelbedarf wurde eine Grundmiete in Höhe von 206,70 EUR sowie ein Bedarf an Heizung in Höhe von 50,- EUR und ein Bedarf an Nebenkosten in Höhe von weiteren 50,- EUR, insgesamt für Kosten der Unterkunft 306,70 EUR bewilligt.
Die Klägerin begehrte die vollständige Übernahme der Kosten der Unterkunft und legte gegen den Bescheid vom 03.04.2014 Widerspruch ein.
Der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 03.04.2014 ist mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.2014 zurückgewiesen worden.
Die Klägerin hat am 02.07.2014 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben.
Die Beteiligten streiten allein über die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (Kaltmiete), konkret um den noch offenen Differenzbetrag in Höhe von monatlich 63,30 EUR.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Differenzbetrag gezahlt werden muss, da eine günstigere Wohnung nicht verfügbar war.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 03.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2014 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, an die Klägerin weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 63,30 € zu zahlen. Zudem wird beantragt, falls die Klage abgewiesen wird, die Berufung zuzulassen und die Auslagen für die Schriftsätze zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Klage und die Anträge abzuweisen.
Die Beklagte hält ihre getroffene Entscheidung weiterhin für zutreffend und vertieft die Argumente aus dem Widerspruchsbescheid. Die Beklagte ist der Ansicht, dass nach dem eigenen Konzept für den Wohnort A-Stadt maximal ein Betrag von 194,40 EUR für einen Einpersonenhaushalt angemessen sei. Insoweit seien der Klägerin bereits höhere Unterkunftskosten bewilligt worden, als ihr tatsächlich nach schlüssigem Konzept zustehen würden. Zudem fehle es für einen Umzug an einer notwendigen Zustimmung des ursprünglichen Leistungsträgers. Insoweit sei auch ein Anspruch nach § 22 Abs.1 Satz 3 SGB II ausgeschlossen.
Die Klägerin hat parallel zum Hauptverfahren beim Sozialgericht Marburg einstweiligen Rechtsschutz begehrt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte mit dem Aktenzeichen S 8 AS 161/14 ER (L 7 AS 636/14 RG) verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 03. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2014 ist teilweise – nämlich soweit der streitige offene Differenzbetrag in Höhe von monatlich 63,30 EUR nicht gewährt worden ist – rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Denn die Klägerin hat im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum (01.03.2014 bis 31.07.2014) einen Anspruch auf diesen offenen Differenzbetrag. Dies ergibt sich insgesamt aus folgenden Erwägungen:
Anspruchsgrundlage für den offenen Differenzbetrag ist § 22 Abs.1 Satz 1 SGB II. Nach dieser Vorschrift besteht ein Anspruch der Klägerin auf Anerkennung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Dazu gehört im vorliegenden Fall auch der Differenzbetrag in Höhe von monatlich 63,30 EUR für den Zeitraum 01.03.2014 bis 31.07.2014.
§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist vorliegend anwendbar. Auf die spezielle Regelung in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, der den Fall eines nicht erforderlichen Umzuges regelt, kommt es nicht an. Denn ein Umzug im Sinne des § 22 Abs.1 Satz 2 SGB II liegt unter Berücksichtigung der individuellen und außergewöhnlichen Umstände im vorliegenden Einzelfall nicht vor.
Die Klägerin hatte vor Anmietung der streitgegenständlichen Wohnung die zuvor bestehende und genutzte Möglichkeit, die Wohnung der Schwester in D-Stadt zu benutzen, zur Überzeugung der Kammer unvorhersehbar und kurzfristig verloren. Die Klägerin konnte in der mündlichen Verhandlung für die Kammer nachvollziehbar, sachlich und glaubhaft konkret darlegen, dass ihr wegen familiären Zerwürfnissen mit der Schwester die weitere (kostenlose) Mitbenutzung der Wohnung der Schwester nicht mehr möglich war und sie sich bis zur Anmietung der streitgegenständlichen Wohnung vorrübergehend in einer persönlichen Notlage sah. Die Kammer hatte nach dem persönlichen Eindruck von der Klägerin, wie er durch die mündliche Verhandlung ermöglicht worden ist, und den konkreten und lebensnahen Angaben der Klägerin zu den Vorfällen im „Februar 2014“ keine Zweifel, dass die Klägerin die Wohnung der Schwester aus persönlichem Druck kurzfristig verlassen hat und sich in Hinblick auf eine nur provisorische Unterbringung bei Freunden der Gefahr einer akuten Obdachlosigkeit ausgesetzt sah. In dieser Situation hat die Klägerin zur Überzeugung der Kammer eine Wohnung gesucht.
Die Kammer ist nach umfassender Würdigung und Beratung und unter Berücksichtigung des Wortlautes und von Sinn und Zweck des § 22 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB II der Rechtsansicht, dass der Zustand der Klägerin keinen Umzug im Sinne des § 22 Abs.1 Satz 2 SGB II darstellt. Denn wer in einer Wohnung nur aus familiärer Bindung ohne ein konkretes Wohnrecht aus Gefälligkeit bzw. familiärer „Verpflichtung“ geduldet wird, ist schon in Hinblick auf einen fehlenden Mieterschutz nicht mit Personen vergleichbar, die einen mietvertraglichen Anspruch auf eine Wohnung haben. Denn während ein mietvertraglicher Anspruch auf eine Wohnung gesetzlich insbesondere durch die Kündigungsfristen geschützt wird und auch gerichtlich ggf. durchgesetzt werden kann (Räumungsschutzklage), besteht bei einer Gefälligkeit oder familiären „Verpflichtung“ weder ein Anspruch auf die Wohnung, noch eine Rechtspflicht auf Bereitstellung der Wohnung. Insoweit kam es nach der Kammer auch nicht auf die weitere Aufklärung der familiären Vorfälle im Februar an. Denn eine Verpflichtung, den Wohnraum von Freunden und Verwandten zu nutzen, existiert nicht. Die Klägerin hat – wie es aus § 22 Abs.1 SGB II hervorgeht – vielmehr einen eigenen Anspruch auf eine Unterkunft.
Im Fall der Klägerin ist der beschriebene Unterschied zum Mieter konkret damit zu beschreiben, dass diese jederzeit – und unerwartet – zum sofortigen Verlassen der Wohnung aufgefordert werden konnte. Dies erfolgte im Februar 2014. Die Klägerin war von einem auf den anderen Tag ohne feste Wohnung, konnte sie nach eigenen Angaben – die ebenfalls für die Glaubhaftigkeit der Darstellung der Klägerin spricht – eine Obdachlosigkeit durch vorrübergehende Unterbringung bei Freuden auch verhindern.
Zusammenfassend liegt in dieser außergewöhnlichen Situation zur Überzeugung der Kammer dann aber kein „geordneter Umzug“ vor, wie er in § 22 Abs.1 SGB II mit der Forderung an eine obligatorische Zusicherung beschrieben wird. Der Klägerin verblieb zur Überzeugung der Kammer weder die Möglichkeit, den Wohnungsmarkt zu beobachten, noch längere Zeit für die Wohnungssuche aufzuwenden. Denn es wurde nicht von einer Wohnung in eine andere planbar umgezogen, sondern aus der besonderen Situation der Wohnungslosigkeit, die in Hinblick auf die Regelungssystematik des § 22 SGB II der atypische Fall ist, eine eigene Wohnung „erstmalig“ wieder gesucht.
Die Kammer kann auch keine Gründe erkennen, warum Leistungsberechtigte, die wegen der kostenlosen Unterbringung bei Familien und Verwandten keinerlei Mieterschutz erfahren, so behandelt werden müssen, als wenn ihnen in Hinblick auf eine gesetzliche Kündigungsfrist ein „geordneter Umzug“ grundsätzlich möglich wäre. Vielmehr spricht der Sinn und Zweck des SGB II dafür, den Leistungsberechtigten, der eine kostenlose Unterbringung bei Verwandten zunächst gefunden hat, dann aber ohne einen rechtlichen Anspruch auf Fortsetzung kurzfristig wieder verliert, in rechtlicher Hinsicht so zu behandeln, als würde ein Erstbezug vorliegen. Denn in beiden Fällen besteht ein sofortiger Bedarf an einer Unterkunft. Dies gilt zumindest dann, wenn – wie vorliegend – der Leistungsberechtigte bzw. die Leistungsberechtigte von einem auf den anderen Tag die Wohnmöglichkeit verliert.
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Bewertung der Situation als Erstbezug kommt es insoweit auch nicht auf eine – ohnehin nur obligatorische – Zusicherung an. Das Gericht sah sich nach Beratung insoweit auch nicht mehr zur weiteren Sachverhaltsaufklärung durch Vernehmung der Sachbearbeiterin gedrängt. Denn die Klägerin hatte ihren Bedarf an einer Unterkunft durch Abschluss des Mietvertrages über die streitgegenständliche Wohnung vor Kontaktaufnahme mit der Sachbearbeiterin bereits selbst gesichert. Bei der Frage, ob die Kosten der Unterkunft im vorliegenden Einzelfall zu übernehmen sind, handelt es sich insoweit nur noch um eine Rechtsfrage.
Nach § 22 Abs.1 Satz 1 SGB II sind die tatsächlichen Kosten der Unterkunft von der Beklagten zu übernehmen.
Der Einwand der Beklagten, dass die Kosten der Unterkunft in Hinblick auf die Kaltmiete von 270,- EUR nur in Höhe von 206,70 EUR bzw. sogar nur in Höhe von 194,10 EUR angemessen seien, dringt nicht durch.
§ 22 Abs.1 Satz 1 SGB II begrenzt den Anspruch auf die Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft zwar auf die angemessenen Kosten. Vorliegend sind die Kosten aber vor dem Hintergrund der individuellen Umstände für den streitgegenständlichen Zeitraum angemessen.
Das Gericht weist aber zunächst darauf hin, dass die Argumentation, 206,70 EUR zu bewilligen, wenn nach dem Konzept tatsächlich nur 194,10 EUR angemessen sind, schon widersprüchlich ist.
Die Kammer hat nach Durchsicht der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Zeitungsanzeigen sowie in Hinblick auf die eigene Kenntnis weiter erhebliche Zweifel, ob der nach dem Konzept der Beklagten als angemessen gehaltene Betrag von 194,10 EUR überhaupt den Anforderungen des Bundessozialgerichts an eine abstrakte Angemessenheit (noch) genügt. Darauf kommt es aber zur vollen Überzeugung der Kammer vorliegend nicht an.
Das Gericht weist insoweit und in aller Deutlichkeit darauf hin, dass allein die argumentative Berufung der Beklagten auf eine „abstrakte Schlüssigkeit“ des eigenen Konzeptes im vorliegenden atypischen Ausnahmefall weder den Aufgaben und Zielen der Grundsicherung für Arbeitssuchende (§ 1 SGB II) gerecht wird, noch der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung genügt. Eine allein auf eine „abstrakte Angemessenheit“ gerichtete Argumentation zielt an der eigentlichen Frage der konkreten Angemessenheit und einer stets am Einzelfall orientierten Prüfung gerade bei atypischen Fallgestaltungen vorbei.
Nach der Konzeption des SGB II und nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung sind drei Prüfungsstufen oder Prüfungsschritte zu beachten. Denn selbst wenn ein Konzept abstrakt schlüssig ist (1. Schritt), muss in Hinblick auf die konkrete Angemessenheit weiter geprüft werden, ob nach der Struktur des Wohnungsmarktes am Wohnort der Hilfebedürftigen tatsächlich auch die Möglichkeit besteht, eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung konkret auf dem Wohnungsmarkt anmieten zu können (z.B. BSG, Urteil vom 13.04.2011, A. B 14 AS 106/10 R; allgemein siehe aber auch Piepenstock in jurisPK-SGB II, 3. Auflage 2012, § 22, Rn. 85 ff. mit Verweis auf die Rechtsprechung). Schließlich sind die Bemühungen des Hilfebedürftigen in einem dritten Schritt zu würdigen. Dabei kann grundsätzlich von einer Einzelperson erwartet und verlangt werden, sich bei der Wohnungssuche nicht nur auf einen speziellen Wohnort zu begrenzen. Insgesamt liegt die Darlegungslast für das Bestehen einer konkreten Unterkunftsalternative grundsätzlich beim Grundleistungsträger (vgl. Hess. LSG, Beschluss vom 28.03.2006, A. L 7 AS 122/05 ER; L 7 AS 121/05 ER, Rn. 32 im Jurisabdruck) und dafür, dass der Hilfebedürftige sich überhaupt bzw. hinreichend um eine solche bemüht hat, bei diesem. Der Leistungsträger muss keine konkrete Unterkunftsalternative aufzeigen, wenn der Hilfebedürftige ersichtlich nichts unternimmt, um eine kostengünstigere bedarfsgerechte Wohnung zu finden (BSG, Urteil vom 19.03.2008, A. B 11b AS 41/06 R).
Vorliegend ist jedoch in Hinblick auf die außergewöhnliche Situation der Klägerin und den besonderen atypischen Umständen des Einzelfalles aber neben diesen Prinzipien weiter zu berücksichtigen, dass die Klägerin nach kurzfristigem Verlust der Unterkunft zwingend und innerhalb eines besonders kurzfristigen Zeitfensters auf eine eigene Wohnung angewiesen gewesen ist. In Hinblick auf die für die Kammer nachvollziehbaren Sorgen der Klägerin vor einer Obdachlosigkeit und den damit verbundenen Ängsten sind insoweit keine zu hohen Anforderungen für die Wohnungssuche an die Leistungsempfängerin zu stellen. Denn insoweit darf weiter nicht unberücksichtigt bleiben, dass insbesondere Wohnungsanzeigen und allgemeine Wohnungsangebote noch keine Gewähr dafür bieten, dass diese Wohnungen tatsächlich noch verfügbar sind, an Leistungsberechtigte überhaupt vermietet werden, konkret auch die Leistungsempfängerin und nicht ein Mitbewerber bzw. eine Mitbewerberin den „Zuschlag“ für die Wohnung dann erhält, die Wohnung auch zu einer nach dem Konzept der Beklagten angemessenen Kaltmiete vermietet wird (z.B. auch ohne Garage, Stellplatz, etc.), die Zusicherung rechtzeitig erfolgt und schließlich auch kurzfristig bezogen werden kann. Denn regelmäßig werden Wohnungen schon vor Ablauf der Kündigungsfrist des Vormieters bereits angeboten. Die Kammer konnte unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Interessen und Belange der Leistungsempfängerin keine sachlichen Gründe erkennen, warum eine Leistungsberechtigte, die sich nachvollziehbar der Gefahr der Obdachlosigkeit ausgesetzt sieht, den Wohnungsmarkt beobachten und sich auf mehrere Wohnungsangebote bewerben muss, wenn eine konkrete Wohnung für sie tatsächlich und sofort verfügbar ist. Denn die Gewähr, dass eine solche Wohnung selbst nach mehreren Tagen des Abwartens noch weiterhin verfügbar ist, besteht nicht. Auch insoweit zeigt sich zur vollen Überzeugung der Kammer erneut der Unterschied zu einem Leistungsbezieher bzw. einer Leistungsbezieherin, der bzw. die von einer vorhandenen Wohnung in eine andere Wohnung umzieht und dem bzw. der mit der gesetzlichen Kündigungsfrist dafür ein vorhersehbarer und planbarer Zeitraum für die Wohnungsmarktsuche zur Verfügung steht.
Die Kammer sieht bei der vorliegenden Fallgestaltung dann eine sachliche Grenze, wenn der Leistungsempfänger bzw. die Leistungsempfängerin sichtbar seine bzw. ihre außergewöhnliche Situation und seinen bzw. ihren akuten Bedarf an einer sofortigen Wohnlösung ausnutzt, um überzogene oder jedenfalls eine für jeden erkennbare unangemessene Wohnung anmietet. An einer derartigen Überzogenheit oder eindeutigen Unangemessenheit der streitgegenständlichen Wohnung hat die Kammer aber keinerlei Anhaltspunkte. Denn die Kaltmiete für die streitgegenständliche Wohnung mit Bad und Küche liegt mit 270,- EUR weder eindeutig über den durchschnittlichen Miettaxen, noch kann von einer erkennbaren Ausnutzung der Situation gesprochen werden. Die Kammer ist vielmehr davon überzeugt, dass die Klägerin in Hinblick auf die besondere Situation und dem konkret und unaufschiebbaren Bedarf an einer eigenen Wohnung gerade nicht davon ausgehen konnte, dass eine noch günstigere Wohnung tatsächlich für Sie kurzfristig verfügbar ist.
Die Kammer hält das gefundene Ergebnis auch nicht für systemfremd oder systemwidrig. Vielmehr geht aus dem Rechtsgedanken des § 22 Abs.1 Satz 3 SGB II ausdrücklich hervor, dass der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der individuellen Umstände die vorübergehende Übernahme selbst von unangemessenen Kosten auch für erforderlich hält, wenn die Gesamtsituation einen anderen Zustand vorübergehend nicht zugelassen hat. § 22 Abs.1 Satz 3 SGB II betrifft zwar konkret den erstmaligen Leistungsfall, in dem der Gesetzgeber den Leistungsberechtigten eine „Schonfrist“ zur Veränderung der bestehenden Wohnsituation eingeräumt hat (vor dem Leistungsfall angemietete unangemessene Wohnung kann bei Eintritt des Leistungsfalles wegen der Kündigungsfristen nicht sofort aufgegeben werden). Mit einer entsprechenden Kostensenkungsaufforderung kann die Beklagte aber auch auf atypische Fallkonstellationen reagieren, in denen – wie vorliegend – die Anmietung einer jedenfalls nicht evident unangemessenen Wohnung jedenfalls vorrübergehend notwendig war. Mit einer Kostensenkungsaufforderung kann dem Leistungsberechtigten bzw. der Leistungsberechtigten dann die Möglichkeit eines geordneten Umzuges ermöglicht werden. Eine Kostensenkungsaufforderung hat die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum nicht erhalten.
Die im Tenor irrtümlich ausgesprochene Kostenentscheidung war durch Beschluss vom 29.10.2014 nach § 138 SGG zu berichtigen. Denn es handelt sich um eine offenbare Unrichtigkeit. Da die Klägerin mit der Klage Erfolg hatte, hat die Beklagte nach § 193 SGG. die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten. Von der Kammer war der Ausspruch, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind, auch nicht gewollt. Die Frage, ob Auslagen des Beistandes zu übernehmen sind, berührt nämlich nicht die Kostenentscheidung zu Lasten der Beklagten, sondern ist eine Frage der Kostenerstattungsfähigkeit.
Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 172 i.V.m. 144 ff SGG. Es liegt eine atypische Fallgestaltung vor, die insoweit noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Die Berufung war daher zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.