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Krankenversicherung – Rückzahlung des Zahnarzt-Festzuschusses bei Behandlungsabbruch?

SG Bremen, Az.: S 7 KR 53/11, Urteil vom 13.06.2016

Der Bescheid der Beklagten vom 27.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2011 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

Krankenversicherung – Rückzahlung des Zahnarzt-Festzuschusses bei Behandlungsabbruch?
Symbolfoto: denisfilm /Bigstock

Die Klägerin wendet sich gegen einen Zahlungsbescheid der Beklagten.

Die am 13.05.1953 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich im Wege der Familienversicherung krankenversichert.

Mit Heil- und Kostenplan des Zahnarztes Dr. Ma aus A-Stadt-L. vom 11.12.2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Kostenübernahme für Zahnersatz. Es sollte sich um eine kombinierte Variante aus festsitzenden und herausnehmbaren Zahnersatz handeln.

Mit Schreiben vom 05.02.2007 sagte die Beklagte der Klägerin die Kostenübernahme für den Zahnersatz in Höhe von 2678,62 € zu. Hierbei handelte es sich um den doppelten Festzuschuss im Sinne von § 55 Abs. 2 SGB V.

Am 08.05.2007 teilte die Zahnarztpraxis Dr. Ma der Beklagten mit, dass sich die Klägerin die Arbeit nicht einsetzen lassen wolle und man über Teilleistungen abrechnen werde.

Am 14.06.2007 erstellte die Zahnarztpraxis Dr. Ma einen neuen Heil- und Kostenplan für die Klägerin für festsitzenden Zahnersatz. Die Klägerin trat etwaige Erstattungsansprüche gegenüber der Beklagten an den Zahnarzt Dr. Ma ab.

Die Beklagte sagte daraufhin eine Kostenübernahme in Höhe von 2691,38 € zu. Hierbei handelte es sich erneut um den doppelten Festzuschuss im Sinne von § 55 Abs. 2 SGB V.

Mit Schreiben vom 12.07.2007 ließ die Klägerin durch ihren damaligen Bevollmächtigten mitteilen, dass ihr Vertrauensverhältnis in Dr. Ma erschüttert sei und sie beabsichtige eine Zahnversorgung bei einem anderen Zahnarzt vornehmen zu lassen.

Am 19.07.2007 beauftragte die Beklagte daraufhin einen Gutachter. Dieser stellte auf Grundlage einer Untersuchung der Klägerin am 07.08.2007 fest, dass die Versorgung im Wesentlichen nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt sei, jedoch kleinere Nachbesserungen erforderlich wären.

Mit Schreiben vom 25.03.2008 überreichte die Klägerin ein Gutachten des Sachverständigen Zahnarztes K.. Dieser hatte festgestellt, dass die Anfertigung lege artis erfolgt sei, sich jedoch mittlerweile nicht mehr eingliedern lasse, da nicht die identische Situation mit der Modellsituation, bei welcher die Arbeit einwandfrei passe, vorgelegen habe. Es sei zu einem Behandlungsabbruch seitens der Klägerin gekommen. Sie habe dem Behandler die Möglichkeit der Nachbesserung und Korrektur der herausnehmbaren Prothese genommen.

Mit Datum vom 17.04.2008 überreichte die Klägerin einen neuen Heil- und Kostenplan hinsichtlich des von ihr geplanten Zahnersatzes.

Mit Schreiben vom 19.05.2008 teilte die Beklagte der Klägerin daraufhin mit, dass als Festzuschuss i.H.v. 2698,88 € übernommen werde. Hierbei handelte es sich wiederum um den doppelten Festzuschuss

Die Beklagte zahlte zu Beginn des Jahres 2010 an den Zahnarzt Dr. Ma einem Betrag für die von ihm erbrachten Teilleistungen i.H.v. 2082,48 € aus.

Mit Schreiben vom 27.12.2010 forderte die Beklagte die Klägerin zur Rückzahlung des Betrages i.H.v. 2082,48 € auf. Dieser Betrag habe als Teilleistung des auf Grundlage des Heil- und Kostenplanes vom 14.06.2007 erstellten, jedoch aufgrund des Behandlungsabbruchs der Klägerin nicht bei dieser eingegliederten Zahnersatzes an den Zahnarzt gezahlt werden müssen. Dieser Betrag sei daher von der Klägerin zu erstatten.

Mit Schreiben vom 30.12.2010 ließ die Klägerin durch ihren jetzigen Bevollmächtigten mitteilen, dass sie zu einer Rückzahlung nicht bereit sei. Der Beklagten sei bekannt gewesen, dass es zu einer Eingliederung des Zahnersatzes nicht gekommen sei, so dass die Beklagte den von der Klägerin geforderten Betrag gar nicht an den Zahnarzt Dr. Ma habe auszahlen dürfen. Es sei der Klägerin nicht zuzumuten gewesen, weitere Nachbesserungsarbeiten durch den Zahnarzt hinzunehmen.

Die Beklagte wertete das Schreiben vom 30.12.2010 als Widerspruch und erließ am 22.02.2011 einen Widerspruchsbescheid, mit welchem sie den Widerspruch als unbegründet zurückwies.

Die Klägerin hat durch ihren Prozessbevollmächtigten am 10.03.2011 Klage beim Sozialgericht Bremen erhoben.

Zur Begründung der Klage trägt die Klägerin vor, die vom Zahnarzt Dr. Ma ausgearbeitete Unterkieferprothese habe trotz mehrfacher Anproben und Nachbearbeitungen nicht gepasst. Vielmehr sei das Tragen der Prothese mit unzumutbaren Schmerzen verbunden gewesen. Die Anproben und mehrmaligen Überarbeitungen, die sämtlich nutzlos gewesen seien, hätten bei der Klägerin den zutreffenden Eindruck erweckt, der Zahnarzt Dr. Ma sei der Sache nicht gewachsen. Die Klägerin habe daher schließlich die Abnahme des Gebisses abgelehnt, so dass es insbesondere nicht zu einer Eingliederung der Arbeit des Zahnarztes gekommen sei. Dies alles sei der Beklagten auch bekannt gewesen. Man habe sie mehrfach aufgefordert, nicht an Dr. Ma zu zahlen.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte hätte den Teilleistungsbetrag nicht an den Zahnarzt Dr. Ma auszahlen dürfen. Ein Rechtsanspruch des Zahnarztes auf Zahlung habe nicht bestanden, da es nicht zu einer Eingliederung des Zahnersatzes gekommen sei. Zudem sei die Klägerin auch berechtigt gewesen die Zahnbehandlung aufgrund der Mangelhaftigkeit der Arbeiten des Zahnarztes abzubrechen.

Darüber hinaus habe sie auch zu keinem Zeitpunkt dem Zahnarzt Dr. Ma den Auftrag erteilt, eine andersartige Versorgung vorzunehmen und zu diesem Zweck einen neuen Heil- und Kostenplan für festsitzenden Zahnersatz zu erstellen. Vielmehr habe sie im Juni 2007 jeglichen Kontakt zum Zahnarzt abgebrochen. Insofern könne Dr. Ma gar nicht auf Grundlage des Heil- und Kostenplans vom 14.06.2007 abrechnen, da sie diesem niemals zugestimmt habe.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 27.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt die Beklagte im Wesentlichen Bezug auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren.

Zwischen dem Zahnarzt Dr. Ma und der Klägerin fand zwischenzeitlich ein zivilgerichtliches Verfahren hinsichtlich des Eigenanteils der Klägerin an der Zahnversorgung statt.

Mit Urteil vom 18.07.2014 verurteilte das Landgericht Bremen die Klägerin zur Zahlung von 5201,56 € Zug um Zug gegen Herausgabe der von Dr. Ma angefertigten Zahnprothese.

Die Berufung der Klägerin wurde vom Oberlandesgericht A-Stadt mit Urteil vom 11.12.2014 abgewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage der Klägerin ist begründet.

Die von der Klägerin erhobene Klage ist als reine Anfechtungsklage im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Klägerin mit der beantragten Aufhebung des Bescheides vom 27.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2011 die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsaktes begehrt. Zwar bestehen seitens des Gerichts gewisse Bedenken, ob die Beklagte mit dem Schreiben vom 27.12.2010 ursprünglich einen Verwaltungsakt erlassen wollte, weil das vorgenannte Schreiben nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet worden war und auch keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt. Das Schreiben setzte allerdings in der Rückforderung des Betrages i.H.v. 2082,48 € eine Rechtsfolge, so dass in dem Schreiben eine Regelung im Sinne von § 31 SGB X vorgelegen hat. Darüber hinaus brachte die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 12.01.2011 (Bl. 78 der Verwaltungsakte), mit welchem sie das Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 30.12.2010 als Widerspruch wertete, zum Ausdruck, dass sie ihr Schreiben vom 27.12.2010 als formellem Bescheid verstanden wissen wollte. Andernfalls wäre ein Widerspruch gar nicht zulässig gewesen.

Darüber hinaus erließ die Beklagte am 22.02.2011 ausdrücklich einen Widerspruchsbescheid, so dass allein deswegen die Anfechtungsklage der statthafte Rechtsbehelf gewesen ist.

Die Klage ist auch begründet, da die Beklagte keinen Erstattungsanspruch gegenüber der Klägerin hat, welchen sie im Wege des Erlasses eines Verwaltungsaktes durchsetzen könnte, so dass der Verwaltungsakt vom 27.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2011 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.

Das Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) enthält keine Rechtsgrundlage, auf welche die Beklagte die Erstattung des an den Zahnarzt Dr. Ma gezahlten Betrages von 2082,48 € durch die Klägerin, für die vom Zahnarzt erbrachten Teilleistungen, stützen könnte.

Nach § 55 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte nach den Vorgaben in den Sätzen 2-7 Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse bei einer medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (zahnärztliche und zahntechnische Leistungen) in den Fällen, in denen eine zahnprothetische Versorgung notwendig ist und die geplante Versorgung eine Methode entspricht, die gemäß § 135 Abs. 1 anerkannt ist. Diese umfassen nach § 55 Abs. 1 S. 2 SGB V 50 vom Hundert der nach § 57 Abs. 1 S. 6 und Abs. 2 S. 5 und 6 festgesetzten Beträge für die jeweilige Regelversorgung.

Versicherte haben nach § 55 Abs. 2 SGB V bei der Versorgung mit Zahnersatz zusätzlich zu den Festzuschüssen nach Abs. 1 S. 2 Anspruch auf einen Betrag in jeweils gleicher Höhe, angepasst an die Höhe der für die Regelversorgungsleistungen tatsächlich anfallenden Kosten, höchstens jedoch in Höhe der tatsächlichen entstandenen Kosten, wenn sie ansonsten unzumutbar belastet würden.

Weder in § 55 SGB V, noch in den sich anschließenden gesetzlichen Regelungen zum Zahnersatz ist eine Vorschrift enthalten, aufgrund derer die bereits an den Zahnarzt ausgezahlten Festzuschüsse nach einem Behandlungsabbruch durch den Patienten von diesem an die Krankenversicherung zurückzuzahlen sind. Es existiert somit im SGB V keine Rechtsgrundlage, auf welche die Beklagte ihre Erstattungsforderung stützen und sie mittels Erlass eines Verwaltungsaktes durchsetzen könnte.

Auch das Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) und das Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) enthalten keine Regelung, auf welche ein derartiger Erstattungsanspruch gestützt und mittels Verwaltungsakt durchgesetzt werden könnte.

Da sich weder im SGB V, noch im SGB I oder SGB IV eine Rechtsgrundlage findet, auf die eine Durchsetzung eines möglicherweise bestehenden Erstattungsanspruchs der gezahlten Festzuschüsse mittels Erlass eines Verwaltungsaktes gestützt werden könnte, stellt sich der von der Beklagten am 27.12.2010 erlassene Verwaltungsakt als rechtswidrig dar, weil er in Ermangelung einer Befugnis zum Erlass des Verwaltungsaktes gegen den Gesetzesvorbehalt aus Art. 20 Abs. 3 GG verstößt.

Es ist im Sozialgesetzbuch nicht vorgesehen, dass die bereits ausgezahlten Festzuschüsse im Falle eines Behandlungsabbruchs vom Patienten zu erstatten sind. Zwar ist es grundsätzlich denkbar, dass insoweit unter Heranziehung entsprechender zivilrechtlicher Grundsätze, etwa aus dem Bereicherungsrecht oder des Rechts der Störung der Geschäftsgrundlage, ein Erstattungsanspruch der Beklagten bestehen könnte. Dieser wäre jedoch von der Beklagten im Wege der Leistungsklage gegenüber der Klägerin durchzusetzen und berechtigt nicht zum Erlass eines Verwaltungsaktes. Damit muss das Gericht auch nicht über die Frage entscheiden, ob die Beklagte tatsächlich einen Erstattungsanspruch aus zivilrechtlichen Grundsätzen hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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