Landessozialgericht Baden-Württemberg – Az.: L 5 R 2624/18 – Urteil vom 01.07.2020
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29.05.2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1962 geborene Kläger hat keine abgeschlossene Ausbildung. Eine Lehre zum Fliesenleger brach er ab. Seit 1984 war er bei der D. AG versicherungspflichtig beschäftigt, wo er zuletzt als Gabelstaplerfahrer tätig war. Infolge eines Arbeitsunfalls am 20.04.2010, bei dem sich der Kläger eine offene Zweietagenfraktur am linken Oberschenkel zuzog, war er arbeitsunfähig erkrankt. Er bezog zunächst bis 12.12.2011 Verletztengeld und anschließend bis 11.12.2012 Arbeitslosengeld. Daran anschließend war der Kläger ohne Leistungsbezug arbeitslos. Von Mai bis Ende Dezember 2018 übte der Kläger eine geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung aus. Es sind seit 17.11.2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 und das Merkzeichen „G“ anerkannt.
Erstmalig beantragte der Kläger bei der Beklagten am 04.07.2011 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Seinen Antrag begründete er mit den orthopädischen Folgen des erlittenen Arbeitsunfalls und seither bestehenden schweren Depressionen. Nach Beiziehung der medizinischen Unterlagen der Berufsgenossenschaft (BG) Holz und Metall und Einholung einer Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 11.08.2011 mit der Begründung ab, der Kläger könne unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch zumindest sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Im Widerspruchsverfahren ließ die Beklagte den Kläger durch Dr. W., Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie, Dr. B., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, und Dr. M., Arzt für Innere Medizin, begutachten. Die Gutachter gelangten zu dem Ergebnis, dass der Kläger trotz der Restbeschwerden im linken Oberschenkel und der linken Hüfte, der Blutzuckererkrankung, des Bluthochdrucks und der Anpassungsstörung noch körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung von qualitativen Einschränkungen für längeres Gehen und Stehen, Arbeiten in gebückter Haltung, in Hocke, und mit Rumpfzwangshaltungen, auf Leitern und Gerüsten, auf schwierigem und unebenem Boden, an unmittelbar gefährdenden Maschinen und Nachtschicht im Umfang von sechs Stunden und mehr ausüben könne (fachärztliches Gutachten vom 16.02.2012). Mit Widerspruchsbescheid vom 29.03.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Im sich anschließenden Klageverfahren beim Sozialgericht Reutlingen (SG) wurden die Ärzte des Klägers befragt und von Amts wegen ein Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. W., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, eingeholt. Sie stellte im März 2013 eine leichte depressive Episode, Sensibilitätsstörungen am linken Oberschenkel und eine leichte Gangstörung fest. Unter Berücksichtigung von qualitativen Einschränkungen für Tätigkeiten mit Störungen des Tag-/Nachtrhythmus (häufige Wechselschicht, Nachtschicht), mit hohen Anforderungen an die Verantwortung, die Umstellungsfähigkeit oder das Konzentrationsvermögen, mit häufiger Rumpfvorbeuge und langem Sitzen (über 45 min am Stück) seien leichte Tätigkeiten im Umfang von zumindest sechs Stunden noch möglich. Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG außerdem bei Dr. E., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Medizinischer Direktor im Klinikum N. C. /H., ein Sachverständigengutachten ein. Auch dieser Sachverständige ging diagnostisch von einer leichtgradigen depressiven Episode, bei initial deutlicher Anpassungsstörung aus und erachtete die Ausübung leichter beruflicher Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen für Tätigkeiten in Nacht- oder Wechselschicht, mit hohen Anforderungen an die Verantwortung, die Umstellungsfähigkeit und das Konzentrationsvermögen, in Zwangshaltungen und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten im Umfang von mindestens sechs Stunden für zumutbar (Gutachten vom 17.12.2013). Mit Urteil vom 16.04.2014 wies das SG die Klage ab (Az. S 3 R 1090/12). Der Kläger legte hiergegen Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg ein (Az. L 10 R 2303/14). Das LSG zog den Entlassungsbericht der d. Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in E. über die teilstationäre Behandlung des Klägers im August/September 2014 (anhaltende Schmerzstörung, bei Aufnahme schwere, bei Entlassung mittelschwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, Agoraphobie mit Panikstörung, posttraumatische Belastungsstörung) und die Akten des vom Kläger beim SG geführten Verfahrens gegen die BG (Az. S 7 U 3001/13) bei. In jenem Verfahren wurde der Kläger im November 2014 von Dr. S., Arzt für Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie, und im Mai 2015 von Dr. M., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, begutachtet. Letzterer stellte (unfallbedingt) eine Gefühlsstörung an der linken Oberschenkelaußenseite eher narbenbedingt als durch Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis links, eine Gangbildstörung mit abnormer Beschwielung des rechten Knies (was auf eine sehr hohe Belastung des rechten Knies bei Arbeiten auf dem Boden hinweise) und eine Anpassungsstörung mit leichter ängstlich-depressiver Störung mit Übergang in eine leichte depressive Episode, mittlerweile ohne sicheren Krankheitswert fest. Die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung seien nicht erfüllt (Gutachten vom 18.06.2015). Mit Beschluss vom 23.06.2016 wies das LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurück. Die Leistungsbeurteilungen in den Gutachten von Dr. W., Dr. B., Dr. M., Prof. Dr. W. und Dr. E. werde durch die im Verfahren S 7 U 3001/13 eingeholten Gutachten von Dr. S. und Dr. M. bestätigt.
Am 28.07.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Zur Begründung gab er an, er halte sich seit 20.04.2010 für erwerbsmindert.
Mit Bescheid vom 19.08.2016 lehnte die Beklagte den Antrag. Die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen rechtfertigten keine Rente wegen Erwerbsminderung.
Am 14.09.2016 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, die Vielzahl von Erkrankungen, die in erster Linie orthopädischer Natur seien, beträfen den gesamten Körper. Alle Arten von Bewegungen bereiteten Schmerzen, die sich auch auf seine Psyche auswirkten. Seit dem erlittenen Arbeitsunfall leide er unter schweren Depressionen. Zwischenzeitlich hätten sich die einzelnen Erkrankungen derart verstärkt, dass eine Erwerbstätigkeit nicht mehr vorstellbar sei. Seiner Widerspruchsbegründung fügte der Kläger zahlreiche Arztbriefe, überwiegend aus den Jahren 2010 bis 2014 bei. Die Arztbriefe aus den Jahren 2015 und 2016 betreffen die Diabeteserkrankung des Klägers (Arztbriefe des Dr. G. vom 27.04.2015 und 11.11.2015), eine Kniegelenkserkrankung links (Arztbriefe von Dr. G. vom 14.04.2016 und Dr. S. vom 10.06.2016) und eine Prostataerkrankung (Arztbriefe der Dres. S. und N. vom 18.02.2015, 21.01.2016, 02.08.2016). Außerdem legte er eine ärztliche Stellungnahme des Dr. W., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie vom 30.11.2016 vor, wonach der Kläger aufgrund der Störungen auf nervenfachärztlichem Gebiet in ganz erheblicher Weise beeinträchtigt sei. Seine Erlebnis- und Gestaltungsfreiheit sei stark reduziert und es bestehe eine schwere Störung der sozialen Anpassungsfähigkeit. Die Therapiemaßnahmen hätten keine anhaltende Stabilisierung gebracht. Gegenüber seiner letzten Stellungnahme im Jahr 2014 habe sich der Gesundheitszustand des Klägers nicht gebessert.
Nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme zu den medizinischen Unterlagen wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 20.02.2017 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 20.03.2017 Klage beim SG erhoben und zur Begründung ausgeführt, er sei nicht mehr in der Lage mehr als drei Stunden täglich einer Arbeit nachzugehen. Infolge des Arbeitsunfalles habe er zahlreiche körperliche und seelische Krankheiten entwickelt, die ihn an einer Tätigkeit hinderten. Dies könnten seine behandelnden Ärzte bestätigen. Besonders gravierend seien die psychischen Folgen, die nach dem Unfallereignis verblieben seien. Er legte hierzu eine ärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 16.05.2017 vor, wonach die berufliche Leistungsfähigkeit in massiver Weise eingeschränkt sei. Aufgrund des bisherigen Verlaufs könne auch in Zukunft nicht damit gerechnet werden, dass eine berufliche Tätigkeit in gewinnbringendem Umfang wiederaufgenommen werden könne. Ergänzend hat der Kläger vorgetragen, die Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. (dazu unten) seien nicht nachvollziehbar und basierten zum Teil auf unzutreffenden Erkenntnissen. Dr. H. habe nicht wiedergegeben, dass es ihm kaum möglich sei, die Spülmaschine auszuräumen. Er benötige drei Anläufe, um dies vollständig zu erledigen. Soweit Dr. H. schildere, er sei im Untersuchungsraum wenige Schritte ohne Walkingstöcke gegangen, lasse der Sachverständige unerwähnt, dass sich die Untersuchungsliege ca. einen halben Meter neben dem Stuhl befunden habe. Der Sachverständige habe auch nicht beobachten können, dass sich sein Schonhinken „nach wenigen Schritten“ verliere. Deshalb sei die Behauptung, er habe ein „mäßig flottes, nicht auffällig unsicheres Gangbild“ gezeigt, nicht zutreffend. Dr. H. habe zudem die von ihm mitgebrachten aktuellen Aufnahmen nicht angeschaut. Der Sachverständige scheine auch nicht unvoreingenommen gewesen zu sein, wenn er im Rahmen der Beurteilung ausführe, er könne offenbar noch in einem solchen Umfang Gartenarbeiten im Knien verrichten, dass die Belastung zu Hautveränderungen führten wie bei Fliesenlegern. Weil er nicht mehr in die Hocke gehen könne, müsse er sämtliche bodennahen Alltagsverrichtungen, wie z.B. Schuhe zuschnüren oder das Anheizen des Ofens, im Knien verrichten. Sehr erstaunlich sei, dass Dr. H. mit keinem Wort die arbeitsspezifische Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2011 erwähnt habe. Nach vierwöchiger intensiver Überprüfung seiner Belastbarkeit sei eine Belastbarkeit von zweieinhalb Stunden festgestellt worden. Die Hebefähigkeit habe bei max. 10 kg gelegen, die Sitzfähigkeit max. 10 bis 20 min. Hierfür sei wohl eine Irritation des Nervus peroneus cutaneus lateralis ursächlich. Die Rehabilitationseinrichtung habe ihm geraten, einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung zu stellen. Seit diesem Zeitpunkt habe sich sein Zustand nicht verbessert. Soweit Dr. H. zu seinen Einwendungen Stellung genommen habe (dazu unten), sei zu entgegnen, dass seine Ehefrau bei der Begutachtung durch Dr. H. anwesend gewesen sei und seine Beobachtungen bestätigen könne. Soweit Dr. H. darauf verweise, dass Dr. W. nicht von einer Nervenirritation berichtet habe, liege dies daran, dass er Dr. W. als Psychiater und nicht als Neurologen konsultiert habe. Soweit Dr. H. auf die Autofahrt mit seiner (des Klägers) Tochter nach Spanien verweise, lasse er außer Acht, dass er nur der Länge nach in einem Sitz mit extrem vielen Pausen die Reise bewältigt habe. Der Sachverständige habe nur das aufgenommen, was für ihn nachteilig sei. Der Sachverständige lasse auch unerwähnt, dass er – mit Stöcken – zur Toilette habe gehen müssen und von Dr. H. an das andere Ende des Ganges geschickt worden sei.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat eine sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. B., Fachärztin für Chirurgie, vom 10.08.2017 vorgelegt.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Dr. R., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, teilte im Juni 2017 mit, der Kläger habe sich beim Praxisvorgänger Dr. S., dessen Praxis er zum 01.01.2017 übernommen habe, an drei Terminen im Jahr 2016 in Behandlung befunden. Er habe über Beschwerden im Bereich der Kniegelenke geklagt. Dr. O., der Hausarzt des Klägers, berichtete im Juni 2017 von Kniegelenkserkrankungen, Hüftgelenksarthrose und dem Zustand nach der Oberschenkelfraktur im April 2010. Eine Beschwerdebesserung habe sich leider nicht ergeben. Aufgrund der Erkrankungen könne er nur ca. 100 m beschwerdefrei gehen. Nach ca. 500 m müsse er sich hinsetzen. Er nehme regelmäßig Schmerzmedikamente, da ein chronischer Schmerzzustand vorliege. Der Diabetes Mellitus sei mittelgradig gut eingestellt. Organkomplikationen oder Folgeschäden seien bislang nicht festzustellen. Aufgrund der körperlichen Beschwerden liege eine mittelgradige Depression beim Kläger vor. Die letzte psychiatrische Vorstellung sei am 29.10.2012 erfolgt. Seitdem sei die Depression medikamentös eingestellt und kompensiert (Zymbalta 30 1×1, bei Bedarf Zolpidem 10). Es bestehe außerdem ein noch kompensiertes Prostataadenom, das noch keine wesentlichen Beschwerden verursache. Aufgrund der Diagnosen könne der Kläger auch leichte Tätigkeiten nicht über sechs Stunden täglich verrichten. Dr. W. teilte im Juli 2017 mit, der Kläger habe sich (im erfragten Zeitraum) seit Januar 2016 insgesamt acht Mal in seiner Behandlung befunden. Er habe eine schwere depressive Episode, Agoraphobie mit Panikstörung und eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt. Im Übrigen wiederholte Dr. W. seine Ausführungen aus seiner ärztlichen Stellungnahme vom 16.05.2017.
Das SG hat sodann ein Sachverständigengutachten bei dem Orthopäden Dr. H. eingeholt. Im Sachverständigengutachten vom 08.09.2017 werden die Gesundheitsstörungen schmerzhafte Funktionsstörung in der linken unteren Gliedmaße nach knöcherner Ausheilung einer Mehrfachfragmentfraktur und als Fremddiagnose (Dr. E. vom Dezember 2013) Anpassungsstörung mit depressiver Episode genannt. Zumutbar seien nur noch leichte bis gelegentlich kurzfristige mittelschwere Tätigkeiten in unterschiedlichen Körperhaltungen. Auf einem modernen Arbeitsstuhl könne der Kläger mehrfach arbeitstäglich ein- bis eineinhalb Stunden lang im Sitzen arbeiten, wenn er die Beine nach Belieben ausstrecken könne. Arbeiten im Stehen und Gehen sei mehrfach arbeitstäglich wenigstens 30 Minuten lang zumutbar. Gelegentliches Heben und Tragen von Lasten von bis zu 15 kg in stabilisierter, aufrechter Rumpfhaltung sei ebenfalls möglich. Arbeiten, die mit ausgeprägter Zwangshaltung im linken Hüftgelenk einhergingen (Arbeiten in Hockstellung), seien nicht mehr leidensgerecht. Vermieden werden sollten auch Arbeiten auf sehr unebenem, rutschigem Gelände und Arbeiten, die regelmäßig mit raschem Gehen und mit Sprungbelastung verbunden seien. Auch das Besteigen von Leitern und Gerüsten sei nicht mehr zumutbar. Leidensgerechte Tätigkeiten könne der Kläger sechs Stunden täglich verrichten, ohne dass er Gefahr liefe, den bestehenden Körperschaden richtungsweisend zu verschlimmern, sich selbst oder andere einer erhöhten Gefahr auszusetzen oder sich psychisch zu überfordern. Einschränkungen ließen sich allenfalls unter dem Aspekt einer damit einhergehenden unzumutbaren Schmerzsymptomatik begründen. Aufgrund der Untersuchungsergebnisse zum Zeitpunkt der Begutachtung und der vorliegenden Fremdbefunde sowie der umfassenden anamnestischen Angaben des Klägers über sein verbliebenes Restleistungsvermögen im Privatleben könne er aber keine überzeugende Begründung dafür erkennen, warum der Kläger bei vollschichtiger Ausübung einer leidensgerechten Tätigkeit unzumutbare Schmerzen erdulden müsse. Aus orthopädischer Sicht liege auch kein plausibler Grund dafür vor, warum der Kläger nicht in der Lage sein sollte, eine Wegstrecke von 500 m viermal täglich in ca. 20 min zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel in der Hauptverkehrszeit zu benutzen. Im Übrigen verfüge der Kläger über einen Pkw mit Automatikgetriebe und könne damit im beschriebenen Umfang fahren. Zu den Einwendungen des Klägers hat der Sachverständige ergänzend Stellung genommen. Er hat darauf hingewiesen, dass er die Anamnese laut in Anwesenheit des Klägers diktiert habe. Der Kläger habe jederzeit die Möglichkeit gehabt, Missverständnisse aufzuklären. Die Gehstrecke im Untersuchungsraum habe deutlich mehr als nur einen halben Meter betragen. Auch ein Gesunder benötige mindestens zehn Schritte, um vom einen Ende des Zimmers zum anderen zu kommen. Die vom Kläger vorgelegte Bildgebung habe er durchaus berücksichtigt. Aktuelle Bilder seien aber nicht vorgelegt worden. Sie seien aber auch nicht dringend erforderlich, weil die unfallbedingte Fraktur nachweislich ab Herbst 2011 knöchern ausgeheilt sei. Der Kläger habe in der Tat darauf hingewiesen, dass er nicht mehr in die Hocke gehen könne und deswegen immer wieder Arbeiten im Knien erledigen müsse. Es genüge aber nicht, sich drei, vier oder fünf Mal am Tag kurzfristig hinzuknien, um Hautveränderungen hervorzurufen, wie er sie beim Kläger beobachtet habe. Was den Entlassungsbericht der arbeitsspezifischen Maßnahme aus dem Jahr 2011 anbelange, werde darauf hingewiesen, dass die Begutachtung im Jahr 2017 stattgefunden habe. Manche Dinge änderten sich im Laufe der Zeit. Aus dem Bericht ergebe sich im Übrigen keine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit. Es werde vielmehr eine Begutachtung empfohlen. Es sei auch eigenartig, dass dort von einer maximalen Sitzdauer von 10 bis 20 min berichtet werde, während der Kläger ihm gegenüber von einer Autofahrt mit seiner Tochter nach Spanien im Jahr 2011 berichtet habe. Die Irritation des Nervus peronaeus cutaneus lateralis sei absolut nicht geeignet, die Sitzfähigkeit auf 10 oder 20 min zu begrenzen. Es handele sich hierbei um einen kleinen, rein sensiblen Hautnerven am Unterschenkel bzw. Fuß außenseitig, der im schlimmsten Fall ein örtliches Taubheitsgefühl oder örtliche Schmerzen verursachen könne. Schmerzen im linken Fuß oder Unterschenkel habe der Kläger bei der Begutachtung nicht angegeben. Im Übrigen fänden sich auch in der Aussage von Dr. W. keine Angaben zu einem Nervenschaden. Im Ergebnis bleibe er bei seiner Leistungseinschätzung.
Mit Urteil vom 29.05.2018 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die angefochtene Entscheidung der Beklagten sei rechtmäßig. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente. Er sei in der Lage, leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden arbeitstäglich unter Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen zu verrichten. Der Gesundheitszustand des Klägers sei im letzten Gerichtsverfahren, das mit dem Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 23.06.2016 geendet habe, umfassend geprüft worden. Eine Erwerbsminderung habe nicht festgestellt werden können. Eine wesentliche Verschlechterung sei seither jedoch nicht eingetreten. Die behandelnden Ärzte des Klägers hätten zwar keine Verbesserung, aber auch keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit den Begutachtungen im letzten Verfahren geschildert. Die Beeinträchtigungen auf nervenfachärztlichem Gebiet führten nicht zu einer Erwerbsminderung. Dr. W. gehe zwar von einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit aus. Die von ihm benannten Diagnosen seien jedoch schon im vorherigen Verfahren bekannt gewesen und berücksichtigt worden. Die von Dr. W. angenommene Leistungseinschätzung habe von den Gutachtern Prof. Dr. W. und Dr. E. nicht bestätigt werden können. Eine wesentliche Verschlechterung habe Dr. W. nicht dargestellt, sodass derzeit kein Anhaltspunkt für ein quantitativ eingeschränktes Leistungsvermögen bestünde. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass die Abstände der Vorstellung bei Dr. W. relativ groß seien, was gegen einen erheblichen Leidensdruck spreche. Auch auf orthopädischem Fachgebiet sei nicht von einer rentenrelevanten Erwerbsminderung auszugehen. Dies ergebe sich aus dem von Dr. H. erstatteten Sachverständigengutachten, das für die Kammer nachvollziehbar und schlüssig zu dem Ergebnis komme, dass dem Kläger leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich zumutbar seien. Die Einwendungen des Klägers könnten in Anbetracht der überzeugenden ergänzenden Stellungnahme des Dr. H. nichts daran ändern. Auch der Umstand, dass Dr. H. zur Irritation des Nervus peroneus cutaneus lateralis Stellung genommen habe, beeinträchtige nicht die Neutralität des Sachverständigen. Als medizinischer Sachverständiger verfüge er grundsätzlich auch über Kenntnisse über das konkrete Fachgebiet hinaus. Die Einholung eines neurologischen Gutachtens sei nicht erforderlich. Die Irritation des Nervens werde ausschließlich im Rehabericht von 2011 geschildert, nicht hingegen in den neueren Berichten. Gegebenenfalls sei eine Abheilung eingetreten oder die daraus resultierenden Einschränkungen seien von den Ärzten als zu vernachlässigend betrachtet worden. Auch bei Außerachtlassung des Sachverständigengutachtens von Dr. H. gehe die Kammer nicht von einem in zeitlicher Hinsicht eingeschränkten Leistungsvermögen aus. Der Kläger sei zuletzt 2016 in fachorthopädischer Behandlung gewesen. Dies spreche gegen einen erheblichen Leidensdruck. Hinzu komme, dass Dr. O. eine Verschlimmerung seit dem vorherigen Rentenverfahren nicht dargestellt habe. Der Abschlussbericht der beruflichen Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2011 könne die Einschätzung der Kammer nicht ändern. Der Bericht sei nicht geeignet, eine Erwerbsminderung nachzuweisen und werde durch vielfache Untersuchungen und Begutachtungen in der Folgezeit widerlegt.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 25.06.2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.07.2018 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen seine Argumentation aus dem Verfahren beim SG wiederholt. Die Ausführungen des Sachverständigen seien keine geeignete Grundlage für ein Urteil. Auch die weiteren Schlussfolgerungen des SG seien falsch. Es dürfe nicht aus der Tatsache, dass er, der Kläger, zuletzt 2016 bei Dr. S. und nicht mehr bei dessen Praxisnachfolger in Behandlung gewesen sei, auf einen geringen Leidensdruck geschlossen werden. Er sei fortan bei seinem Hausarzt behandelt worden. Auch die Tatsache, dass seit dem vorherigen Rentenverfahren nach Aussage der Ärzte eine Verschlimmerung nicht eingetreten sei, bedeute nicht, dass keine Rentenberechtigung vorliege. Es bedeute lediglich, dass er im vorangegangenen Rentenverfahren seine Rechte nicht in ausreichendem Umfang dargestellt habe. Dem arbeitsmedizinischen Gutachten aus dem Jahr 2011 komme mehr Gewicht zu als dem Sachverständigengutachten.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29.05.2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.02.2017 zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01.07.2016 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG und ihre Bescheide für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Akte im Verfahren S 3 R 1090/12, S 7 U 3001/13 und L 10 R 2303/14 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündlichen Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig, führt jedoch inhaltlich für den Kläger nicht zum Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 19.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.02.2017, mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abgelehnt hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
Nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.04.2007 (BGBl. I, 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) oder Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeinen Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3).
Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer – unabhängig von der Arbeitsmarktlage – unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Hieraus ergibt sich, dass grundsätzlich allein eine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher (quantitativer) Hinsicht eine Rente wegen Erwerbsminderung zu begründen vermag, hingegen der Umstand, dass bestimmte inhaltliche Anforderungen an eine Erwerbstätigkeit aufgrund der gesundheitlichen Situation nicht mehr verrichtet werden können, einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung grundsätzlich nicht zu begründen vermag.
In Anlegung dieser Maßstäbe ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger in der Lage ist, einer leichten Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich und mehr nachgehen zu können. Die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen bedingen keine quantitative Leistungsreduzierung.
(1) Der Kläger leidet an schmerzhaften Funktionsstörungen in der linken unteren Gliedmaße nach knöcherner Ausheilung einer Mehrfachfragmentfraktur, einer Anpassungsstörung mit leicht- bis mittelgradigen depressiven Episoden, einem Prostataadenom, Bluthochdruck und Diabetes Mellitus ohne Organkomplikationen oder Folgeschäden. Dies entnimmt der Senat den nachvollziehbaren Sachverständigengutachten von Dr. H., Dr. M., Dr. S., Prof. Dr. W. und Dr. E. sowie den Angaben des Hausarztes des Klägers, Dr. O …
Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass auf psychiatrischem Fachgebiet schwerer wiegende Gesundheitsstörungen vorliegen. Bei den Begutachtungen des Gesundheitszustandes des Klägers durch Prof. Dr. W. und Dr. E. im Jahr 2013 konnten nur leichtgradige depressive Episoden festgestellt werden. Auch Dr. M., der Sachverständige im Gerichtsverfahren gegen die BG, konnte im Mai 2015 lediglich eine Anpassungsstörung mit leichter ängstlich-depressiver Störung mit Übergang in eine leichte depressive Episode feststellen. Bei der Befunderhebung zeigte sich ein nur leicht reduzierter Antrieb. Die Stimmung war mürrisch und freudlos, das Affektverhalten schwerfällig. Denken, Wahrnehmung und Kognition waren aber ohne sichere Auffälligkeiten. Die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung waren nicht erfüllt. Vor diesem Hintergrund ist der Arztbericht der d. Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik über die teilstationäre Behandlung des Klägers im August/September 2014, der eine anhaltende Schmerzstörung, schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, Agoraphobie mit Panikstörung sowie eine posttraumatische Belastungsstörung auflistet, nicht nachvollziehbar. Dr. M. legt in seinem Gutachten nachvollziehbar dar, dass die im Arztbericht der d. Klinik genannten Befunde kein Bild der „maximalen“ Störung weder in Bezug auf eine posttraumatische Belastungsstörung noch auf eine Panikstörung und depressive Störung ergeben. Es werde vielmehr eine mäßig depressive Störung beschrieben, welche kaum einen Schweregrad über leicht hinaus annehmen lasse.
Eine relevante Verschlechterung seit der Begutachtung durch Dr. M. im Jahr 2015 auf nervenfachärztlichem Fachgebiet ist nicht nachgewiesen. Dr. W. berichtet zwar bei seiner Befragung als sachverständiger Zeuge im Jahr 2017 von einer schweren depressiven Episode, Agoraphobie mit Panikstörung und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er untermauert diese Diagnosen aber nicht mit entsprechenden, neuen Befunden, sondern bezieht sich auf die Behandlung in der d. Klinik im Jahr 2014 und einen seither unveränderten Zustand. Zu einem schweren Krankheitsbild passt zudem nicht der Umstand, dass sich der Kläger im Zeitraum von Januar 2016 bis Juli 2017 nur insgesamt acht Mal in Behandlung bei Dr. W. befand. Hinzu kommt, dass der Hausarzt des Klägers Dr. O. in seiner Aussage im Juni 2017 davon ausgeht, dass die psychische Erkrankung medikamentös eingestellt und kompensiert sei. Der Senat sieht sich vor diesem Hintergrund nicht zu weiteren Ermittlungen auf psychiatrischem Fachgebiet veranlasst.
Von Seiten des neurologischen Fachgebiets bestehen keine rentenrelevanten Gesundheitsstörungen. Keiner der Sachverständigen berichtet hierüber. Soweit der Kläger im Verfahren beim SG auf den Abschlussbericht der arbeitsmedizinischen Rehabilitationsmaßnahme vom 22.11.2011 verweist, woraus sich eine die Sitzfähigkeit beeinträchtigende Irritation des Nervus peroneus cutaneus lateralis ergebe, kann er damit nicht den Nachweis führen, dass eine diesen Zeitpunkt überdauernde Beeinträchtigung dieses Nerven vorliegt. Alle zeitlich später erstatteten Sachverständigengutachten enthalten keine entsprechenden Feststellungen. Darüber hinaus hat Dr. H., der als Orthopäde auch die den Bewegungsapparat betreffenden Nerven jedenfalls grob prüfen kann, in seiner ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass der Nervus peroneus cutaneus lateralis nicht geeignet ist, die Sitzfähigkeit zu beeinträchtigen, weil es sich um einen rein sensiblen Hautnerven am Unterschenkel bzw. dem Fuß außenseitig handelt.
(2) Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränken das berufliche Leistungsvermögen des Klägers in qualitativer Hinsicht ein. Aus den Sachverständigengutachten von Dr. H., Dr. M., Prof. Dr. W. und Dr. E. ergibt sich, dass der Kläger nur Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung verrichten kann ohne längeres Sitzen am Stück (über 45 min), wobei aber auf einem modernen Arbeitsstuhl mehrfach arbeitstäglich ein- bis eineinhalb Stunden am Stück Arbeiten im Sitzen möglich ist, wenn die Beine ausgestreckt werden können. Arbeiten im Stehen und Gehen ist mehrfach arbeitstäglich wenigstens 30 Minuten lang zumutbar. Ebenso gelegentliches Heben und Tragen von Lasten von bis zu 15 kg in stabilisierter, aufrechter Rumpfhaltung. Arbeiten, die mit ausgeprägter Zwangshaltung im linken Hüftgelenk einhergehen (Arbeiten in Hockstellung), Arbeiten auf sehr unebenem, rutschigem Gelände und Arbeiten, die regelmäßig mit raschem Gehen und mit Sprungbelastung verbunden sind, das Besteigen von Leitern und Gerüsten sowie Tätigkeiten in Nacht- oder Wechselschicht, Tätigkeiten mit hohen Anforderungen an Verantwortung, Umstellungsfähigkeit oder Konzentrationsvermögen sind nicht mehr zumutbar.
(3) Dass die Gesundheitsstörungen eine relevante quantitative Leistungseinschränkung zur Folge haben, kann dagegen nicht festgestellt werden. Der Senat ist vielmehr überzeugt, dass der Kläger unter Berücksichtigung der qualitativen Einschränkungen zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von sechs Stunden und mehr arbeitstäglich ausüben kann. Der Senat stützt seine Überzeugung auf die schlüssigen und nachvollziehbaren Sachverständigengutachten von Dr. H., Dr. M., Dr. S., Prof. Dr. W. und Dr. E … Bestätigt wird die Leistungseinschätzung von den Angaben des Hausarztes des Klägers, Dr. O …
Hinsichtlich der Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet liegen Funktionseinschränkungen lediglich an der linken unteren Gliedmaße vor. Funktionsstörungen an den oberen Gliedmaßen stellte der Sachverständige Dr. H. nicht fest. Der Bewegungsumfang der Wirbelsäule ist nur endgradig schmerzhaft eingeschränkt. Auch an der linken unteren Extremität ist die Beweglichkeit nicht in relevantem Umfang eingeschränkt. Im linken Hüftgelenk besteht nur eine endgradig schmerzhafte Bewegungseinschränkung. Der Bewegungsumfang des linken Kniegelenks liegt wie rechts im Normbereich. Eine Bandinstabilität oder entzündliche Reizung konnte nicht festgestellt werden. Angesichts dieser Befunde kommt Dr. H. nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass aus orthopädischer Sicht keine zeitlichen Einschränkungen für zumindest leichte Tätigkeiten bestehen. Auch unter Berücksichtigung der Schmerzsymptomatik konnte der Sachverständige keine Gründe erkennen, die gegen die vollschichtige Ausübung einer leidensgerechten Tätigkeit sprechen. Diese Schlussfolgerung ist für den Senat ebenfalls nachvollziehbar. Denn das Ausmaß der vom Kläger geklagten Schmerzen in der linken unteren Gliedmaße passen nicht zu den festgestellten Befunden, zumal die Verletzung knöchern ausgeheilt ist. Zwar stellte der Sachverständige eine Verschmächtigung der Muskulatur am linken Oberschenkel fest, was für eine Schonung der linken unteren Extremität sprechen könnte. Allerdings ist die Gesäß- und Unterschenkelmuskulatur annährend seitengleich und auch die Fußsohlenbeschwielung zeigt keine Seitendifferenz. Darüber hinaus stellte Dr. H. eine vermehrte Verschwielung der Haut im Bereich Kniescheibe (rechts mehr als links) fest „wie bei einem Fliesenleger“, was für eine hohe körperliche Aktivität spricht, sei es durch Gartenarbeiten oder andere Verrichtungen. Entsprechende Feststellungen machte auch der Sachverständige im Gerichtsverfahren gegen die BG Dr. M., der darüber hinaus im Rahmen der psychologischen Testverfahren Hinweise auf eine Beschwerdeverdeutlichung fand.
Gegen eine rentenrelevante Schmerzsymptomatik spricht des Weiteren, dass die psychischen Beeinträchtigungen nach den oben aufgezeigten Feststellungen kein relevantes Ausmaß erreichen. Aus der festgestellten Anpassungsstörung mit leicht- bis mittelgradigen depressiven Episoden lässt sich nach übereinstimmender und nachvollziehbarer Einschätzung der Sachverständigen Prof. W., Dr. E. und des Hausarztes der Klägers Dr. O. keine quantitative Einschränkung für zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ableiten.
Die Einwendungen des Klägers, die er gegen das Sachverständigengutachten von Dr. H. erhoben hat, überzeugen den Senat nicht. Dr. H. hat sich eingehend mit den Einwendungen in seiner ergänzenden Stellungnahme auseinandergesetzt und diese überzeugend widerlegt. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus seinen Beobachtungen und Feststellungen – insbesondere hinsichtlich der Hautveränderungen an den Knien – sind zulässig und nachvollziehbar. Um den Grad einer subjektiv geklagten Schmerzsymptomatik festzustellen, ist eine Beschwerdevalidierung, d.h. ein Abgleich mit tatsächlichen Beeinträchtigungen in der Alltagsgestaltung (wozu auch Urlaubsreisen gehören), unabdingbar erforderlich. Zweifel an der Neutralität des Sachverständigen lassen sich damit in keiner Weise begründen.
Hinweise darauf, dass die Gesundheitsstörungen auf internistischem Fachgebiet quantitativ limitierend für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sind, liegen nicht vor. Nach der Aussage von Dr. O. werden der Bluthochdruck und der Diabetes Mellitus medikamentös behandelt. Der Diabetes Mellitus ist mittelgradig gut eingestellt und hat noch keine Organkomplikationen oder Folgeschäden nach sich gezogen. Aus dem „noch“ kompensierten Prostataadenom folgen keine relevanten Leistungseinschränkungen.
(4) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor.
Zwar wirkt, wie oben dargelegt, grundsätzlich nur eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht rentenbegründend, jedoch kann unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer spezifischen Leistungsbehinderung das Erfordernis resultieren, den Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl. BSG, Urteile vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R-, vom 24.02.1999 – B 5 RJ 30/98 R – und vom 11.05.1999 – B 13 RJ 71/97 R -, jew. in juris). Grundlage der Benennungspflicht bildet in diesen Fällen der Umstand, dass von vornherein ernste Zweifel an einer Einsetzbarkeit in einem Betrieb aufkommen. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ist in Betracht zu ziehen, wenn, neben einer qualitativen Leistungseinschränkung auf „leichte Tätigkeiten“, die Leistungsfähigkeit zusätzlich in erheblichem Umfang einschränkt ist (Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 1, § 43 SGB VI, Rn. 47). In diesem Sinne ist unter der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen eine Häufung von Leistungseinschränkungen zu verstehen, die insofern ungewöhnlich ist, als sie nicht regelmäßig bei einer Vielzahl von Personen bis zum Erreichen der Altersgrenze für die Regelaltersrente angetroffen wird.
Eine solche ergibt sich nicht unter dem Aspekt eines etwaig verschlossenen Arbeitsmarktes. Bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es für eine Vollzeittätigkeit hinreichend Arbeitsplätze gibt. Mithin obliegt bei einer vollschichtigen Einsatzfähigkeit das Arbeitsplatzrisiko der Arbeitslosenversicherung bzw. dem Versicherten, nicht aber der Beklagten (vgl. insofern § 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI, der bestimmt, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist).
Ausnahmsweise kann jedoch der Arbeitsmarkt als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbleibende Erwerbsfähigkeit nur möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Der Arbeitsmarkt gilt in Ermangelung einer praktischen Einsatzfähigkeit nach der Rechtsprechung des BSG abschließend als verschlossen, wenn der Versicherte nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen arbeiten kann, der Versicherte entsprechende Arbeitsplätze aus gesundheitlichen Gründen nicht aufsuchen kann, der Versicherte nur in Teilbereichen eines Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Schonarbeitsplätze nicht an Betriebsfremde vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die an Betriebsfremde nicht vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Aufstiegspositionen nicht an Betriebsfremde vergeben werden oder entsprechende Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorkommen.
Keine der genannten Fallkonstellationen ist hier gegeben. Die qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen.
Auch die Wegefähigkeit des Klägers ist zur Überzeugung des Senats nicht eingeschränkt. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG, Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 – GS 2/95 -, in juris). Diese Kriterien hat das BSG zum Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelt, wie ihn § 1247 RVO und § 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) umschrieben hatten (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 – 13/5 RJ 73/90 -, in juris). Diese Maßstäbe gelten für den Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI) unverändert fort (vgl. BSG, Urteile vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R -, vom 28.08.2002 – B 5 RJ 12/02 R -, in juris). Konkret gilt: Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, – auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs – nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z. B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 – 13/5 RJ 73/90 -, in juris). Dazu gehört z. B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (zur Wegefähigkeit vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 12.12.2011 – B 13 R 79/11 R -, in juris). Der Kläger ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Der Senat folgt auch insoweit dem schlüssigen und nachvollziehbaren Sachverständigengutachten von Dr. H … Darüber hinaus verfügt der Kläger über einen Pkw mit Automatikgetriebe. Auch von Seiten des psychiatrischen Fachgebiets ist davon auszugehen, dass der Kläger den Weg zu einer Arbeitsstelle in zumutbarem Zeitaufwand bewältigen kann. Keiner der Sachverständigen auf nervenfachärztlichen Fachgebiet berichtet insoweit über Einschränkungen.
(5) Aus der Anerkennung eines GdB folgt ebenfalls nicht, dass der Kläger erwerbsgemindert wäre. Zwischen der Schwerbehinderung nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) und der Erwerbsminderung nach dem SGB VI besteht keine Wechselwirkung, da die gesetzlichen Voraussetzungen unterschiedlich sind (BSG, Beschluss vom 08.08.2001 – B 9 SB 5/01 B -, in juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 09.12.1987 – 5b BJ 156/87 -, in juris, Rn. 3). Für die Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI sind die Erwerbsmöglichkeiten des Betroffenen maßgeblich, während § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der seit 01.01.2018 geltenden Fassung des Art. 1 Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen [BTHG] vom 23.12.2016 [BGBL. I, S. 3234]) auf die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft abstellt (zuvor § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der bis zum 14.01.2015 geltenden Fassung und § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15.01.2015 geltenden Fassung, eingefügt durch Art. 1a Nr. 3 Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015 [BGBl. II, S. 15], die auf die abstrakten Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) verwiesen; vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001 – B 9 SB 5/01 B -, in juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 09.12.1987 – 5b BJ 156/87 -, in juris, Rn. 3).
b) Ein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit scheidet bereits deswegen aus, weil der Kläger nicht vor dem 02.01.1961 geboren ist (vgl. § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
3. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).