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Rentenversicherung – Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente

Bayerisches Landessozialgericht – Az.: L 19 R 613/17 – Urteil vom 28.11.2018

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 01.09.2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 28.07.2016 Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Die 1970 geborene Klägerin beantragte mit Schreiben ihres Betreuers und Vaters vom 25.07.2016, eingegangen bei der Beklagten am 28.07.2016, unter Vorlage eines Betreuungsbeschlusses des Amtsgerichts A-Stadt vom 18.07.2016 die Gewährung von Erwerbsminderungsrente.

Die Beklagte lehnte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 09.08.2016 eine Rentengewährung ab, weil die Klägerin die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht erfülle. Ausgehend von einem möglichen Leistungsfall im Zeitpunkt der Antragstellung lägen keinerlei Pflichtversicherungsbeiträge in der Vergangenheit vor. Aus dem dem Bescheid beigefügten Versicherungsverlauf ist zu entnehmen, dass die Klägerin lediglich Anwartschaftszeiten wegen Schul- bzw. Fachschulausbildung zurückgelegt hat, nämlich in der Zeit vom 29.06.1987 bis 26.07.1989. Anschließend findet sich eine zeitliche Lücke im Versicherungsverlauf. Ab dem 01.12.2005 sind durchgängig bis zum 31.12.2015 freiwillige Beiträge entrichtet worden.

Zur Begründung des hiergegen am 16.08.2016 eingelegten Widerspruchs hat der Betreuer der Klägerin darauf hingewiesen, dass die Klägerin bei Abschluss der freiwilligen Versicherung nicht darauf hingewiesen worden sei, dass sie bei ihren Beitragszahlungen keinen Rentenanspruch habe. Infolge dessen würde er als Betreuer der Klägerin eine Rückerstattung der Beiträge erbitten. Des Weiteren wies der Betreuer der Klägerin darauf hin, dass die Klägerin bereits im 20. bzw. 22. oder 23. Lebensjahr unter starken Depressionen gelitten habe. Sie habe ihre Fachschulausbildung abbrechen müssen, nachdem die ganze Familie nach Italien verzogen war, damit der Betreuer der Klägerin hier eine Erwerbstätigkeit als Textilingenieur habe ausüben können. In ihrer Zeit in Italien habe sie Sprachkurse in Englisch und in Italienisch absolviert. Leider habe sich der Zustand der Klägerin kontinuierlich verschlimmert, so dass sie keine Ausbildung und auch keine Berufstätigkeit habe aufnehmen können. Im August 2005 sei eine Rentenversicherung abgeschlossen worden, um eines Tages eine Altersrentenabsicherung erwarten zu können. Dass sie nun eine Rente wegen Arbeitsunfähigkeit habe beantragen müssen, damit hätte die Klägerin nicht gerechnet. Sie habe einer Tätigkeit nachgehen wollen, sei aber immer leider wegen Depressionen gescheitert. Als Diagnose sei eine chronifizierte paranoide Schizophrenie zu benennen.

Nach einem Schreiben der Beklagten vom 24.08.2016, in dem die Beklagte darauf hingewiesen hatte, dass für eine Erwerbsminderungsrente Pflichtbeiträge vorliegen müssten und aus den freiwilligen Monatsbeiträgen eine Erwerbsminderungsrente nicht begründet werden könne, dass aber andererseits auch eine Beitragsrückerstattung nach § 210 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VI – nicht in Betracht komme, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Widerspruch gegen die Ablehnung der Erwerbsminderungsrente aufrechterhalten.

Die Beklagte wies sodann den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2016 als unbegründet zurück.

Zur Begründung der hiergegen am 16.11.2016 zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben Klage hat der Betreuer der Klägerin mit Schreiben vom 26.12.2016 im Wesentlichen seinen Sachvortrag im Widerspruchsverfahren wiederholt und ergänzend darauf hingewiesen, dass die Klägerin bereits definitiv seit 1992 erwerbsgemindert gewesen sei. Im Übrigen müsse die Klägerin so gestellt werden, als ob sie Pflichtbeiträge entrichtet hätte, da die vorzeitige Wartezeiterfüllung nach §§ 43 und 53 SGB VI zwar eine Pflichtbeitragszeit von einem Jahr vorschreibe; dies sei aber eine unzutreffende Unmöglichkeit, denn es sei einfach nicht gegangen. Hingewiesen wurde ferner auf den europäischen Aspekt der Freizügigkeit. Beigefügt war der Klagebegründung ein neurologisches Gutachten von Dr. W. für das Amtsgericht A-Stadt im Betreuungsverfahren vom 11.11.2016. Vorgelegt wurde ferner ein Bescheid des Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) – Region Oberfranken Versorgungsamt – vom 20.10.2016, mit dem der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 zuerkannt wurde.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG sodann mit Gerichtsbescheid vom 01.09.2017 die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin erfülle nicht die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Egal, welchen Zeitpunkt eines Leistungsfalles man zugrunde lege, könne die Klägerin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen offensichtlich nicht erfüllen, weil die Klägerin in ihrer gesamten Biografie keinen einzigen Monat an Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt habe. Auch Tatbestände der vorzeitigen Wartezeiterfüllung (§ 43 Abs. 5 SGB VI iVm § 53 SGB VI) seien offensichtlich nicht erfüllt.

Hiergegen hat der Betreuer der Klägerin am 14.09.2017 Berufung beim Sozialgericht Bayreuth eingelegt, die am 21.09.2017 an das Bayer. Landessozialgericht weitergeleitet wurde. Zur Begründung trägt der Betreuer der Klägerin vor, dass die Klägerin einen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente haben müsse, weil ihre Erkrankung dazu geführt habe, dass sie niemals eine versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit habe aufnehmen können. Für den Fall, dass eine solche Rente nicht möglich sei, bitte er um Rückerstattung der Beiträge, weil die Klägerin nie darauf hingewiesen worden sei, dass sie keine Erwerbsminderungsrente bekommen könne. Mit weiterem Schreiben vom 15.09.2017 hat der Betreuer der Klägerin darauf hingewiesen, dass er nicht nur eine Erwerbsminderungsrente beantragt habe, sondern ebenso eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Seine Tochter sei erwerbsunfähig infolge ihrer depressiven Erkrankung. Er sei der Auffassung, dass letzteres vom SG übersehen worden sei und bitte insoweit um Überprüfung. Das „Ganze, Einzahlungen und Herleitung unseres Anspruchs laut Antrag sei eine natürliche Gewissensfrage und absolut keine kalte berechenbare Vernunftsache“. Sollte es beim Ablehnungsbescheid verbleiben müssen, bitte er um Rückerstattung der Einzahlungen.

Mit Schreiben vom 24.04.2018 weist der Betreuer der Klägerin nochmals darauf hin, dass zwei Ärztinnen im Jahr 2017 rückwirkend für wenigstens 1992 seiner Tochter eine Arbeitsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit attestiert hätten. Vorgelegt wurde hierzu ein ärztliches Attest von Dr. S. vom 31.01.2018. Danach sei die Klägerin im Alter von etwa 18 Jahren erstmals an einer Psychose erkrankt. Aufgrund dieser Krankheit und aufgrund der Chronifizierung habe sie keinen Beruf erlernen oder eine Erwerbstätigkeit ausüben können. Die Klägerin befinde sich seit 2009 in ihrer Behandlung. Der Grad der Behinderung von 100 habe bereits zu Beginn der Behandlung bei ihr bestanden, auch wenn er erst später vom Versorgungsamt anerkannt worden sei.

Der Betreuer der Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 01.09.2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin auf ihren Antrag vom 28.07.2016 hin Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 01.09.2017 zurückzuweisen.

Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Sie ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI.

Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise erwerbsgemindert sind,

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und

3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens

6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43

Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Die Klägerin erfüllt offensichtlich nicht die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente. Nach § 43 SGB VI müssen sowohl für eine volle als auch für eine teilweise Erwerbsminderungsrente die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben sein, d.h. in einer Rahmenfrist von fünf Jahren müssen mindestens 36 Monate mit Pflichtbeitragszeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 SGB VI zurückgelegt worden sein. Aus dem dem Bescheid vom 09.08.2016 beigefügten Versicherungsverlauf ist ersichtlich, dass die Klägerin lediglich Anrechnungszeiten wegen Schul- bzw. Fachschulausbildung in ihrem Versicherungskonto vermerkt hat. Der Betreuer der Klägerin hat auch bestätigt, dass dies so zutreffend ist, weil die Klägerin im Alter von spätestens 20 bis 24 Jahren an einer Schizophrenie erkrankt war, die ihr das Aufnehmen einer Berufsausbildung oder auch einer beruflichen versicherungspflichtigen Tätigkeit unmöglich gemacht habe.

Entgegen der Auffassung des Betreuers der Klägerin ist eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht bereits dann zu gewähren, wenn eine Person nicht in der Lage ist, krankheitsbedingt eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Eine Versicherungsleistung – und dabei handelt es sich bei der Rente nach § 43 SGB VI – setzt voraus, dass entsprechende Pflichtbeiträge entrichtet wurden. Das Gesetz sieht hier nur Ausnahmetatbestände durch die vorzeitige Wartezeiterfüllung nach § 43 iVm § 53 SGB VI vor. In Betracht käme hierbei § 53 Abs. 2 SGB VI. Die Klägerin hat aber nie eine Berufsausbildung aufgenommen und sie hat auch das im Rahmen des § 53 Abs. 2 SGB VI notwendige eine Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung nicht nachgewiesen. Eine Absicherung der Klägerin für den Fall der Erwerbsminderung ohne entsprechende Beitragsleistungen zur gesetzlichen Rentenversicherung könnte deshalb allenfalls über die Regelungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – SGB XII – in Betracht kommen, als Hilfe bei Erwerbsminderung nach § 41 SGB XII. Hierfür ist aber die gesetzliche Rentenversicherung der falsche Ansprechpartner. Auf § 46 SGB XII wird vorsorglich hingewiesen.

Soweit der Betreuer der Klägerin darauf hinweist, dass er ab dem Jahr 2005 freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat, spielen diese für eine Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI zunächst keine Rolle. Diese Beiträge würden im Rahmen einer Altersrente der Klägerin Berücksichtigung finden. Zudem hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass nach § 43 Abs. 6 SGB VI diese Beiträge künftig zum Tragen kommen könnten, weil die Klägerin bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert war und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert ist. Hier muss dann eine Wartezeit von 20 Jahren zurückgelegt werden, für die nach §§ 50, 51 Abs. 1 SGB VI auch freiwillige Beiträge angerechnet werden könnten.

Soweit der Betreuer der Klägerin eine Beitragserstattung der entrichteten freiwilligen Beiträge für den Fall einer negativen Entscheidung geltend gemacht hatte, hat er dies in der mündlichen Verhandlung vom 26.11.2018 nicht aufrechterhalten. Dies wäre aber auch nicht Streitgegenstand dieses Verfahrens. Die Beklagte hatte insoweit aber auch bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Beitragserstattung nach § 210 SGB VI nicht in Betracht kommt. Die Klägerin ist nicht versicherungspflichtig, weil sie nicht in der Lage ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben und ein anderer Versicherungspflichttatbestand nicht vorliegt. Sie hat deshalb aber das Recht zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 7 SGB VI, so dass eine Beitragserstattung ausgeschlossen ist (§ 210 Abs. 1 Nr 1 SGB VI).

Nach alledem war die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 01.09.2017 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 161 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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