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Tankgutschein vom Arbeitgeber beitragspflichtiges Arbeitsentgelt?

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg – Az.: L 1 KR 86/17 – Urteil vom 01.12.2017

Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 9. Februar 2017 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Verfahren wird auf 1.310,29 € festgesetzt.

Tatbestand

Streitig ist die Beitragserhebung.

Der Kläger ist Inhaber eines Elektroanlagenbaubetriebs. Nach einer am 16. November 2010 für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2009 vorgenommenen Betriebsprüfung setzte die Beklagte durch Bescheid vom 23. Dezember 2010 eine Nachforderung von 1.310,29 € einschließlich 99,00 € Säumniszuschläge fest. Anlässlich einer Lohnsteueraußenprüfung (Bescheid der Finanzbehörde vom 4. Dezember 2009 für den Zeitraum 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2009) hätten sich Steuernachforderungen ergeben, die auch beitragsrechtliche Konsequenzen hätten. Die Ausführungen der Finanzverwaltung zum Sachverhalt Tankgutscheine seien auch für die Sozialversicherung maßgeblich. Die Beklagte berechnete Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung sowie Umlagebeträge für die Beschäftigung der Beigeladenen zu 6) bis 9) in dem Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2009 nach. Hintergrund der Nachberechnung war, dass das Finanzamt vom Kläger an seine Mitarbeiter ausgegebene Tankgutscheine nicht als bis zur Grenze von 44,- € steuerfreie Sachbezüge, sondern als lohnsteuerpflichtigen Barlohn angesehen hatte.

Tankgutschein vom Arbeitgeber beitragspflichtiges Arbeitsentgelt?
(Symbolfoto: KI-generiert/Shutterstock.com)

Mit Schreiben vom 10. Mai 2011 beantragte der Kläger die Überprüfung des Betriebsprüfungsbescheides und verwies dazu auf Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. November 2010 – VI R 21/09, 27/09, 41/10. Durch Bescheid vom 9. Januar 2012 lehnte die Beklagte die Rücknahme ihres Bescheides vom 21. Dezember 2010 ab. Eine rückwirkende Korrektur könne nur erfolgen, wenn es sich um einen offenen Fall im Sinne des Steuerrechts handele. Dies sei dann anzunehmen, wenn nach einer Lohnsteueraußenprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung noch nicht aufgehoben worden und die Festsetzungsfrist von vier Jahren noch nicht abgelaufen sei. Vorliegend sei der Vorbehalt der Nachprüfung aber aufgehoben worden.

Der Kläger legte Widerspruch ein. Der BFH habe entschieden, dass es sich bei Tankgutscheinen der auch vom Kläger verwendeten Art um steuerfreie Sachbezüge handele. Der vorliegende Bescheid entspreche nicht der materiellen Rechtslage, da Sachbezüge unterhalb der Freigrenze nicht zur sozialversicherungsrechtlichen Bemessungsgrundlage gehörten.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 21. August 2015 zurück. Das Steuerrecht habe Tatbestandswirkung. Der durch die Lohnsteueraußenprüfung festgestellte Sachverhalt entfalte Bindungswirkung für die Sozialversicherung.

Dagegen richtet sich die am 15. September 2015 bei dem Sozialgericht Cottbus eingegangene Klage. Das Sozialgericht hat durch Gerichtsbescheid vom 9. Februar 2017 den Bescheid vom 9. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2015 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Bescheid vom 23. Dezember 2010 aufzuheben. Der Bescheid vom 9. Januar 2012 sei rechtswidrig, weil der Bescheid vom 23. Dezember 2010 im Widerspruch zur Rechtsordnung stehe, wie sie durch die Urteile des BFH vom November 2010 gestaltet worden sei. Die Beklagte sei durch die bestandskräftig gewordenen Steuerbescheide nicht gehindert, einen rechtmäßigen Verwaltungsakt zu erlassen. Es gebe keine Verpflichtung, die steuerliche Falschbewertung im Beitragsverfahren fortzusetzen. Etwas anderes könne sich nur ergeben, wenn sich die Rechtsprechung des BFH erst nach Bekanntgabe des Bescheides vom 23. Dezember 2010 geändert hätte, was aber nicht der Fall sei. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruhe, sei ohne Ausübung von Ermessen aufzuheben.

Gegen den ihr am 20. Februar 2017 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 23. Februar 2017 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung der Beklagten. Es gehe um die Problematik, wie weit die Tatbestandswirkung von Festlegungen zur Lohnsteuerpflicht von Tankgutscheinen reiche. Soweit das Sozialgericht ausgeführt habe, dass es keine Verpflichtung gebe, eine steuerliche Falschbewertung im Beitragsverfahren fortzuführen, sei auf die Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (SvEV) hinzuweisen. Aus dieser ergebe sich, dass für den Rentenversicherungsträger die tatsächliche Beurteilung durch das Finanzamt maßgebend sei und nicht die bloße Rechtslage nach dem Lohnsteuerrecht. Das sei in der Drucksache 18/3699 des Deutschen Bundestags zum Fünften Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze ausdrücklich so formuliert worden.

Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 9. Februar 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Aus den von der Beklagten angeführten Rechtsgrundlagen ergebe sich die von ihr gesuchte Rechtsfolge nicht. Der Hinweis auf die Kompliziertheit des Steuerrechts sei abgeschnitten, weil die Rechtslage hinsichtlich der Tankgutscheine höchstrichterlich geklärt sei.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 9. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch darauf, dass die Beklagte ihren Bescheid vom 23. Dezember 2010 zurücknimmt.

Nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt worden ist und deshalb Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2010 ist fehlerhaft, weil die Beklagte die von dem Kläger an seine Mitarbeiter in der Zeit vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2009 ausgegebenen Tankgutscheine zu Unrecht als beitrags- und umlagepflichtigen Arbeitslohn angesehen hat.

Zum beitrags- und umlagepflichtigen Arbeitsentgelt gehören nach § 14 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Die von dem Kläger an seine Mitarbeiter ausgegebenen Tankgutscheine stellten für die Beschäftigten Einnahmen dar, die sie im Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung für den Kläger hatten. Insoweit sind sie mit ihrem Wert grundsätzlich zu Recht der Beitragsberechnung unterworfen worden.

Indessen ist nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates u.a. zur Vereinfachung des Beitragseinzugs zu bestimmen, dass einmalige Einnahmen oder laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse oder ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gezahlt werden, und steuerfreie Einnahmen ganz oder teilweise nicht als Arbeitsentgelt gelten. In Ausübung dieser Ermächtigung ist die Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (Sozialversicherungsentgeltverordnung) erlassen worden, nach deren § 1 Abs. 1 Nr. 1 dem Arbeitsentgelt nicht zuzurechnen sind einmalige Einnahmen, laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen und Gehältern gewährt werden, soweit sie lohnsteuerfrei sind. Danach gehören die von dem Kläger an seine Mitarbeiter ausgegebenen Tankgutscheine nicht zum beitragspflichtigen Arbeitslohn. Denn es handelt sich bei ihnen jedenfalls um „ähnliche Einnahmen“ im Sinne der Sozialversicherungsentgeltverordnung, die zusätzlich zu Lohn oder Gehalt gewährt wurden und die auch lohnsteuerfrei sind.

Die Lohnsteuerfreiheit der Tankgutscheine ergibt sich aus § 8 Abs. 2 Satz 9 Einkommenssteuergesetz. Danach sind Sachbezüge mit Wert unterhalb von 44,- € nicht steuerpflichtig. Tankgutscheine gehören zu den Sachbezügen, ohne dass es darauf ankommt, dass die zugewandte Menge an Treibstoffen nicht durch ein Litermaß abgegrenzt, sondern durch den für ihren Erwerb erforderlichen Geldbetrag bestimmt wird. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des BFH an (BFH Urt. v. 11. November 2010 – VI R 21/09, 27/09 und 41/10).

Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten sind die Tankgutscheine auch nicht deswegen wie steuerpflichtiger Barlohn der Beitragsbemessung zu unterwerfen, weil die Finanzverwaltung durch Nachforderungsbescheid vom Dezember 2009 Lohnsteuern und weitere Abgaben auf die ausgegebenen Tankgutscheine festgesetzt und von dem Kläger nachgefordert hat. Die von der Beklagten geltend gemachte Tatbestandswirkung steuerlicher Entscheidungen der Finanzbehörden gilt nämlich nicht uneingeschränkt. § 1 Abs. 1 Satz 2 Sozialversicherungsentgeltverordnung bestimmt dazu ausdrücklich, dass dem Arbeitsentgelt die in Satz 1 genannten Einnahmen, Zuwendungen und Leistungen nur dann nicht zuzurechnen sind, soweit sie vom Arbeitgeber oder von einem Dritten mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum lohnsteuerfrei belassen oder pauschal besteuert worden sind. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich das Ziel dieser Regelung, dass Einnahmen, Zuwendungen und Leistungen nur dann beitragsfrei sein sollen, wenn sie rechtlich zulässig und tatsächlich auch im Rahmen der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum vom Arbeitgeber steuerfrei oder pauschalbesteuert abgerechnet worden sind (BT-Drucks. 18/3699, S. 48). Diese Voraussetzungen sind vorliegend aber gegeben. Der Kläger hat die Tankgutscheine in den seinen Mitarbeitern erteilten Entgeltabrechnungen als lohnsteuerfreie Leistungen behandelt. Sonst hätte die Finanzverwaltung nämlich keinen Anlass für eine Nacherhebung gehabt. Er hat die Tankgutscheine auch zu Recht lohnsteuerfrei belassen, was sich aus den Grundsätzen der schon erwähnten Rechtsprechung des BFH ergibt.

Der Senat sieht keine Rechtsgrundlage für ein allgemeines Prinzip des Inhalts, dass Entscheidungen der Finanzverwaltung jedweder Art auch ohne besondere gesetzliche oder auf Gesetz beruhende Anordnung stets Tatbestandwirkung für die Beitragserhebung in der Sozialversicherung haben müssen. Dagegen spricht schon die hier einschlägige Sonderregelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 Sozialversicherungsentgeltverordnung, wonach es (nur) auf die vom Arbeitgeber oder einem Dritten dem Arbeitnehmer erteilte Entgeltabrechnung ankommen soll. Die Problematik von eventuellen Nachforderungsbescheiden der Finanzverwaltung gegen den Arbeitgeber wird gerade nicht erfasst. Dann muss sich die Beklagte aber außerhalb der ausdrücklich angeordneten Folgewirkung an der wahren Rechtslage orientieren und darf die Korrektur ihrer in der Sache falschen Entscheidung über die Beitragserhebung nicht mit Hinweis auf eine andere ihrerseits sachlich falsche Entscheidung der Finanzverwaltung ablehnen.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 52, 63 Gerichtskostengesetz.

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