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Verletztenrente – Anspruch auf Neufeststellung

Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 2 U 7/21 – Urteil vom 06.10.2021

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob sich der gesundheitliche Zustand der Klägerin, die eine Rente wegen der Folgen eines Arbeits- bzw. Schulunfalls bezieht, wesentlich verschlechtert hat.

Die im Jahre 1960 geborene Klägerin erlitt am 10. November 1989 als MTA-Schülerin einer Berufsfachschule in M. einen Unfall, als sie im Klassenzimmer ausrutschte und dabei auf ihr rechtes Knie fiel. Der Durchgangsarzt Dr. W. diagnostizierte mit Bericht gleichen Datums eine Patellafraktur rechts, die operativ versorgt werden musste.

Auf der Grundlage eines Ersten Rentengutachtens von Dr. K. vom 11. Mai 1993 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. August 1994 einen Anspruch auf Rente zunächst ab, da der Arbeitsunfall eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Grade nicht hinterlassen habe. Als Folgen des Arbeitsunfalls erkannte die Beklagte eine geringe Muskelminderung des rechten Beines und minimale Bewegungseinschränkungen des rechten Kniegelenkes nach Kniescheibenbruch rechts an. Eine Senk- und Spreizfußbildung mit Hallux valgus beidseits sowie ein beginnendes Krampfaderleiden erkannte die Beklagte nicht als unfallbedingt an.

Im Rahmen eines vor dem Landessozialgericht Hamburg (Aktenzeichen L 3 U 19/98) anhängigen Berufungsverfahrens schlossen die Beteiligten einen außergerichtlichen Vergleich, wonach die Beklagte einen Rentenanspruch aufgrund einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 v.H. ab dem 22. Januar 2001 anerkannte. Auf der Grundlage des Gutachtens des Unfallchirurgen Dr. P. vom 16. März 2001 stellte die Beklagte als Folgen des Arbeitsunfalls deutliche arthrotische Veränderungen des rechten Kniegelenkes mit Bewegungseinschränkung (Streckung/Beugung: 0/0/110°), geringe Muskelverschmächtigung am rechten Oberschenkel, Umfangsvermehrung des rechten Kniegelenkes und des körperfernen rechten Unterschenkels sowie eine mäßige Ergussbildung des rechten Kniegelenkes fest.

Mit Schreiben vom 3. November 2016 beantragte die Klägerin eine Neubewertung der MdE. Die Funktion des rechten Kniegelenkes habe sich verschlechtert. Der Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie Dr. M1 erstellte am 17. März 2017 einen „Orthopädischen Befundbericht“ und ermittelte eine Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes in der Streckung/Beugung von 0-0-110°. Zudem führte er die schwere Femoropatellar- und mittelgradige Gonarthrose, einhergehend mit chronischer Schwellneigung und Bewegungseinschränkung auf den Unfall zurück und bewertete die MdE mit 30 v.H.

Dr. O. schätzte in seinem Rentengutachten (Tag der Untersuchung: 13. Juli 2017) die MdE mit 25 v.H. ein, aufgrund einer Zunahme des bildgebenden Arthroseausmaßes und deutlicher Zunahme des Bewegungsdefizits in der Beugung. Die Streckung und Beugung des rechten Kniegelenkes stellte er mit 0/0/95° fest. Ein auffälliges muskuläres Defizit habe nicht bestanden.

Mit Bescheid vom 23. Januar 2018 lehnte die Beklagte eine Neufeststellung und Erhöhung der MdE ab, da eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen nicht vorliege.

Die Klägerin legte am 14. Februar 2018 Widerspruch gegen die Ablehnung ein und begründete diesen u.a. damit, dass die zwischenzeitlich aufgetretenen freien Gelenkkörper, welche wesentliche Beschwerden verursachten, nicht in der MdE-Einschätzung berücksichtigt worden seien. Insgesamt sei eine erhebliche Zunahme ihrer Beschwerden eingetreten, die zu einer Erhöhung der MdE führen müsse.

Dr. P. erklärte in seinem fachärztlichen Sachverständigengutachten vom 19. August 2018, dass zum jetzigen Zeitpunkt hinsichtlich der Einschränkungen des Kniegelenks rechts eine MdE von zumindest 25 v.H. angemessen erscheine. Unter Berücksichtigung einer beginnenden Hüftgelenksarthrose rechts (mit geringer Bewegungseinschränkung und Schmerzhaftigkeit), bei „bereits bestehender scheinbarer Beinverkürzung durch die Streckhemmung im Bereich des Kniegelenkes“, schätzte der Gutachter die MdE mit 30 v.H. ein und ging von einer wesentlichen Verschlimmerung der Unfallfolgen im Vergleich zum 24. Januar 2001 aus.

In ihrem Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2019 führte die Beklagte aus, dass die Einschätzung von Dr. O. einer MdE von 25 v.H. aufgrund der Zunahme der arthrotischen Veränderungen sowie des Bewegungsdefizits durch das Ergebnis der weiteren Begutachtung durch Dr. P. ihre Bestätigung finde. Die von Dr. P. beschriebenen Hüftgelenksbeschwerden seien jedoch nicht auf die Folgen des Arbeitsunfalls zurückzuführen. Die Streckhemmung des rechten Kniegelenkes bestehe erst seit kurzer Zeit, so dass die radiologischen Veränderungen im rechten Hüftgelenk nicht auf die funktionelle Beinverkürzung zurückgeführt werden könnten. Außerdem bestehe keine stärkere Abnutzung des rechten Hüftgelenkes im Vergleich zur Gegenseite. Ohne Berücksichtigung der Hüftgelenksbeschwerden bewerte Dr. P. die MdE in Übereinstimmung mit Dr. O. mit 25 v.H. Eine wesentliche Verschlimmerung liege bei einer Änderung um 5 v.H. damit nicht vor, so dass kein Anspruch auf eine Rentenerhöhung bestehe.

Die Klägerin hat am 18. März 2019 Klage erhoben, in der sie sich im Wesentlichen auf die Einschätzung und Beurteilung von Dr. P. in seinem Gutachten vom 19. August 2018 bezogen hat. Im weiteren Verlauf hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass das Sozialministerium der Landesstelle Oberösterreich (erstellt durch Dr. F.) bei ihr einen Grad der Behinderung von 40 v.H. festgestellt habe. Zudem liege bei ihr ein wechselndes Erscheinungsbild der Erkrankung vor, welches Berücksichtigung finden müsse.

Die Beklagte ist der der Klage entgegengetreten und hat sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden bezogen.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung medizinischer Befundberichte sowie durch Beiziehung des Sachverständigengutachtens von Dr. F. vom 28. Oktober 2019, erstellt im Auftrag des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, B. Landesstelle S. in Ö.. Die Gutachterin hat im Rahmen der Untersuchung eine Funktionseinschränkung mittleren Grades, einseitig, am Kniegelenk, bei deutlicher Arthrose, mit Belastungsschmerzen, ohne Reizerguss und Überwärmung festgestellt und die Funktionseinschränkung mit einem GdB von 30 v.H. eingeschätzt. Darüber hinaus hat die Gutachterin Funktionseinschränkungen mittleren Grades an der Wirbelsäule mit rezidivierenden Schmerzepisoden, über Wochen andauernd, radiologische Veränderungen, einen andauernden Therapiebedarf, ohne sensomotorisches Defizit diagnostiziert und die Funktionsbeeinträchtigungen ebenfalls mit einem GdB in Höhe von 30 v.H. bewertet. Für das rechte Kniegelenk hat Dr. F. ein Bewegungsausmaß in der Streckung und Beugung von aktiv 0/0/90° und passiv 0/0/130°, bei schmerzhafter endgradiger Beugung und bandstabilen Kniegelenken festgestellt.

Der von dem Sozialgericht beauftragte Sachverständige Z. hat in seinem fachchirurgischen Gutachten vom 27. Januar 2020 ausgeführt, dass die jetzigen Funktionsstörungen des rechten Kniegelenkes Unfallfolge seien. Nicht auf das Ereignis seien die verschleißbedingten Veränderungen an den Hüftgelenken zurückzuführen. Eine Verschleißumformung des rechten Hüftgelenkes als Unfallfolge zu werten, sei nicht korrekt. Es liege keine Achsfehlstellung und keine Beinverkürzung vor. Auch zeigten sich Verschleißumformungen an beiden Hüftgelenken in etwa seitengleich, womit von einem schicksalhaften Verschleißleiden beider Hüftgelenke auszugehen sei. Allein Dr. P. habe erklärt, dass das von ihm gemessene Streckdefizit von 15° zu einer Beinverkürzung von minus 1,5 cm führe. In den anderen Gutachten sei ein Streckdefizit jedoch nicht vermerkt. Selbst bei einer Beinverkürzung von 1 cm sei ein Verschleiß des rechten Hüftgelenkes nicht zu begründen. Auch die Verschleißumformungen an der Lendenwirbelsäule seien keine Unfallfolge. Im Hinblick auf das maßgebliche Vergleichsgutachten von Dr. P. vom 16. März 2001, mit welchem eine MdE von 20 v.H. anerkannt worden sei, könne nach Aktenlage eine Änderung der Unfallfolgen nicht festgestellt werden. Im Hinblick auf die von den Gutachtern und Ärzten festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen am rechten Kniegelenk, durch Dr. M1 in seinem Gutachten vom 17. März 2017 mit 0/0/110°, durch Dr. O. in seinem Gutachten vom 17. Juli 2017 mit 0/0/95°, durch Dr. P. in seinem Gutachten vom 19. August 2018 mit 0/15/100° sowie der Chirurgin Dr. F. in ihrem Gutachten von 7. Oktober 2019 mit aktiver Streckung/Beugung von 0/0/90° und passiver Streckung/Beugung von 0/0/130° liege eine wesentliche Verschlimmerung der Funktionsbeeinträchtigung nicht vor. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass bei Vergleich der Befunde auffällig sei, dass das von Dr. P. angenommene Streckdefizit von 15° im Hinblick auf die kurz davor sowie danach erhobenen Befunde keinen Bestand haben könne, da zwei Gutachter im Jahr 2017 kein Streckdefizit feststellen konnten und auch nach der Untersuchung durch Dr. P. kein Streckdefizit festgestellt worden sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 1. Februar 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, da die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung einer höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund der Folgen ihres Arbeitsunfalls vom 10. November 1989 habe, da eine wesentliche Änderung bzw. Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes medizinisch nicht vorliege.

Bereits Dr. O. habe als Gutachter im Verwaltungsverfahren in seinem Gutachten vom 13. Juli 2017 festgestellt, dass sich zwar eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes im Hinblick auf eine Zunahme der Arthrose im rechten Kniegelenk eingestellt habe. Diese Verschlechterung sei jedoch nicht „wesentlich“ im Sinne des § 73 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), da lediglich eine Veränderung der MdE um 5 v.H., aber nicht um mehr als 5 v.H. festgestellt worden ist. Zu diesem Ergebnis komme bezüglich der Funktionsbeeinträchtigung des rechten Knies schließlich auch Dr. P., hier unter Außerachtlassung der Kausalitätsbetrachtung der ebenfalls festgestellten Hüftgelenksarthrose. Eine wesentliche Änderung hatte auch der gerichtliche Sachverständige Z. in seinem Gutachten nicht feststellen können. Die andauernden Unfallfolgen hinsichtlich der unstreitig unfallbedingten Funktionsbeeinträchtigung am rechten Kniegelenk seien weiterhin mit einer MdE von 20 v.H. zu bewerten Die von den einzelnen Gutachtern dokumentierten Bewegungseinschränkungen bedingen im Hinblick auf das hier maßgebliche Vergleichsgutachten von Dr. P. vom 16. März 2001 keine Veränderung der MdE um mehr als 5 v.H., da der Gutachter in der Streckung und Beugung des rechten Kniegelenkes ein Bewegungsausmaß von 0/0/110° zugrunde gelegt habe, bei ebenfalls nicht wesentlicher Verschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur. Die Einschätzung der MdE durch den Gutachter Z. entspreche auch in ihrer Einzelfeststellung der ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung, wonach eine MdE von 30 v.H. erst festgestellt werden könnte, wenn das Knie nur bis 30° gestreckt und bis maximal 90° gebeugt werden kann. Diese Funktionsbeeinträchtigung sei von keinem Gutachter beschrieben worden, selbst wenn bei der Klägerin ein von Dr. P. gemessenes Streckdefizit von 15° und eine Beugefähigkeit von 100° der MdE-Bewertung zugrunde gelegt würde. Im Übrigen rechtfertige dieser Befund im Vergleich zur ursprünglichen Feststellung im Jahre 2001 (= Streckung bis 0° und Beugung bis 110°) keine Erhöhung der MdE von mehr als 5 v.H. auf 30 v.H., da in den neueren, hier zu bewertenden ärztlichen Untersuchungen auch keine beeinträchtigende Muskelverschmächtigung des rechten Oberschenkels, Umfangsvermehrung des rechten Kniegelenkes und des körperfernen rechten Unterschenkels oder eine Ergussbildung des rechten Kniegelenkes habe festgestellt werden können. Der Einschätzung der MdE mit 30 v.H. durch Dr. P., unter spezieller Berücksichtigung der beschriebenen Hüftgelenkarthrose auf der rechten Seite, könne nicht gefolgt werden, da diese nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als Unfallfolge anerkannt werden könne und daher bei der Bemessung der MdE außer Betrachtung bleiben müsse. Es sprächen mehr Umstände gegen die Annahme einer Hüftgelenkarthrose rechts als Unfallfolge als dafür. Insbesondere halte der Sachverständige Z. diese für unfallunabhängig. Zu Recht und plausibel habe der Sachverständige gegen eine unfallbedingte Hüftgelenkarthrose auf der rechten Seite ausgeführt, dass an beiden Hüftgelenken die Verschleißumformungen in etwa gleich ausgeprägt seien, womit in der Regel von einem schicksalhaften Verschleißleiden beider Hüftgelenke auszugehen sei. Darüber hinaus habe der Sachverständige nachvollziehbar kritisch das von Dr. P. gemessene Streckdefizit von 15° als Ursache für die Ausbildung einer Hüftgelenkarthrose am rechten Kniegelenk betrachtet und zu Recht darauf hingewiesen, dass in den anderen gutachterlichen Befunden, sowohl vor als auch nach der Begutachtung durch Dr. P., ein solches Streckdefizit nicht vermerkt worden und selbst bei einer durch das Streckdefizit angenommenen Beinverkürzung um 1 cm ein Verschleiß des rechten Hüftgelenkes nicht zu begründen sei. Die von Dr. F. in ihrem Gutachten vom 28. Oktober 2019, erstellt im Auftrag des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, B. Landesstelle S. in Ö., abgegebene Einschätzung des „Grades der Behinderung“, könne nicht ungeprüft von der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen der Einschätzung der „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ übernommen werden, sondern müsse im Licht der für die gesetzliche Unfallversicherung geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Bewertungskriterien gesehen und vorgenommen werden.

Gegen den ihr am 8. Februar 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 5. März 2021 Berufung eingelegt. Die erstinstanzliche Entscheidung berücksichtige nicht den kausalen Zusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und der daraus resultierenden Beeinträchtigung des gesamten Bewegungsapparates mit wechselhaftem Schmerzbild und Schädigung benachbarter Organsysteme. Es bestehe eine in Progredienz begriffene Schädigung und eine Streckhemmung des rechten Kniegelenks sowie eine funktionelle Beinverkürzung zusätzlich zu der Muskelabschwächung. Unfallchirurgisch sei ein signifikanter Zusammenhang zwischen der derzeit noch mäßigen Einschränkung des Hüftgelenks mit der massiven unfallkausalen Gonarthrose gutachtlich festgestellt und als wesentliche Verschlimmerung des Körperschadens vom 10. November 1989 bewertet worden. Der Chirurg Z. sei für die hier zu beurteilende Frage nicht zertifiziert.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid vom 1. Februar 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 10. November 1989 eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 30 v.H. in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und wendet ein, dass auch nach der einschlägigen Literatur die bei der Klägerin von sämtlichen Gutachtern seit 2017 festgestellten Beweglichkeitseinschränkungen eine MdE von 30 v.H. nicht begründen könnten.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf ihn übertragen hatte. Die Entscheidung konnte auch ohne mündliche Verhandlung ergehen, da sich die Beteiligten übereinstimmend hiermit einverstanden erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die zulässige kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen.

Der Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30 Januar 2019, mit dem die Gewährung einer höheren Verletztenrente abgelehnt worden ist, beschwert die Klägerin nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Ein Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE von 30 v. H. besteht nicht, weil sich die Unfallfolgen nicht wesentlich geändert haben.

Ein Anspruch auf Neufeststellung einer Verletztenrente setzt voraus, dass in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei ihrer Feststellung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist (§ 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch < SGB X>). Nach der für das gesetzliche Unfallversicherungsrecht geltenden Sondervorschrift des § 73 Abs. 3 SGB VII ist bei der Feststellung der MdE eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X nur wesentlich, wenn sich ihr Ausmaß um mehr als 5 v. H. ändert und diese Veränderung länger als drei Monate andauert. Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist jede Änderung des für die getroffene Regelung relevanten Sachverhalts. In Betracht kommen für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere Änderungen im Gesundheitszustand der Betroffenen. Ob eine wesentliche Änderung vorliegt, ist durch Vergleich zwischen den tatsächlichen Verhältnissen zur Zeit der letzten verbindlichen Rentenfeststellung und den aktuellen Verhältnissen zu ermitteln (Kranig in: Hauck/Noftz, SGB, 02/17, § 73 SGB VII, Rn. 23).

Die Klägerin erfüllt dafür bereits nicht die medizinischen Voraussetzungen, da ihre Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls vom 10. November 1989 nicht um mehr als 20 v. H. gemindert ist. Das Gericht folgt den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Z. in dessen Gutachten vom 27. Januar 2020. Der Sachverständige, dem die Akten der Beklagten, weitere Befundberichte über den Gesundheitszustand der Klägerin und das für die Beklagte erstellte Gutachten des Unfallchirurgen Dr. P. vom 19. August 2018 sowie die Röntgenaufnahmen insbesondere der Kniegelenke der Klägerin vorlagen, kam zu dem Ergebnis, dass die Verschleißumformungen des rechten Kniegelenks der Klägerin unfallbedingt seien. Diese Verschleißumformungen führten zu Bewegungseinschränkungen, der Kniescheibenbruch sei knöchern in mäßiger Fehlstellung ausgeheilt, Unfallfolge sei auch eine Muskelminderung des rechten Beines. Gegenüber den bereits 2001 anerkannten Folgen des Arbeitsunfalles könne eine Änderung der Unfallfolgen aber nicht festgestellt werden. Es seien funktionell keine höheren Funktionsbeeinträchtigungen des rechten Kniegelenks als damals vorhanden, die nun zu einer Änderung der MdE führen könnten.

Auf den Vortrag der Klägerin, bei ihr bestehe eine in Progredienz begriffene Schädigung und eine Streckhemmung des rechten Kniegelenks sowie eine funktionelle Beinverkürzung zusätzlich zu der Muskelabschwächung, war bereits der Sachverständige Z. in seinem Gutachten eingegangen. Dieser hat darauf hingewiesen, dass nur der Gutachter Dr. P. ein Streckdefizit festgestellt habe während alle anderen Gutachter kurz vor der Untersuchung durch Dr. P. bzw. danach dies nicht vermerkt hätten. Die Befunde ließen auch offen, wann es möglicherweise unter Belastung zu einer Streckhemmung gekommen sein soll.

Mit dem weiteren Einwand der Klägerin, unfallchirurgisch sei ein signifikanter Zusammenhang zwischen der derzeit noch mäßigen Einschränkung des Hüftgelenks mit der massiven unfallkausalen Gonarthrose gutachtlich festgestellt und als wesentliche Verschlimmerung des Körperschadens vom 10. November 1989 bewertet worden, hat das Sozialgericht sich ausführlich auseinandergesetzt. Es hat auf Basis der Bewertung des Sachverständigen Z. zutreffend darauf abgestellt, dass an beiden Hüftgelenken die Verschleißumformungen in etwa gleich ausgeprägt seien. Eine Achsfehlstellung am rechten Oberschenkel durch einen Kniescheibenbruch, die eine Verschleißumformung des Hüftgelenks begründen könnte, liege nicht vor. Damit sei von einem schicksalhaften Verschleißleiden beider Hüftgelenke auszugehen.Der Sachverständige weist zudem darauf hin, dass das von Dr. P. gemessene Streckdefizit von 15° in den anderen gutachterlichen Befunden nicht enthalten sei. Selbst bei einer durch das Streckdefizit angenommenen Beinverkürzung um 1 cm sei ein Verschleiß des rechten Hüftgelenkes nicht zu begründen. Dies deckt sich mit Veröffentlichungen in der Fachliteratur: Beinlängendifferenzen dieser Größenordnung („Beckenschiefstand“) sind weit verbreitet. Nach einer amerikanischen und einer schwedischen Studie soll ein Drittel der Bevölkerung eine Beinlängendifferenz von 1 cm und mehr haben. In Kohortenstudien wurde bei einer Beinlängendifferenz erst von mehr als 1 cm sowohl für das kürzere als auch für das längere Bein ein erhöhtes Arthroserisiko gegenüber gleichlangen Beinen festgestellt (vgl. Vogt u. a,, Deutsches Ärzteblatt 2020, 405 ff.).

An der Sachkunde des Chirurgen Z. ist entgegen der Vermutung der Klägerin nicht zu zweifeln. Die Klägerin begründet diese Zweifel damit, dass der Sachverständige zwar Chirurg aber nicht Orthopäde sei. Die fachliche Nähe dieser beiden früher getrennten Facharztgruppen wird aber schon daran deutlich, dass 2005 der Facharzt für Orthopädie und der Facharzt für Unfallchirurgie zu einer gebündelten Facharztausbildung zusammengefasst wurden. Ihre Tätigkeit ist auf den menschlichen Stütz- und Bewegungsapparates spezialisiert. Die Tätigkeiten umfassen die Vorbeugung, das Erkennen, die Behandlung, Nachsorge und Rehabilitation von Erkrankungen. Auch die Weiterbildungsordnungen für Orthopäden und Unfallchirurgen sind gleich. Es besteht deshalb kein Anlass daran, an der Fachkunde des Chirurgen Z., der über eine große Erfahrung als gerichtlicher Sachverständiger verfügt, für die hier im Vordergrund stehenden orthopädischen Fragestellungen zu zweifeln.

Der Sachverständige Z. hat sich schließlich auch mit der Einschätzung des Sachverständigen Dr. P. auseinandergesetzt, der in seinem Gutachten vom 19. August 2018 eine MdE der Klägerin von zumindest 25 v.H. für angemessen hält. Der Sachverständige Z. hat anschaulich dargelegt, dass bei der Klägerin keine Versteifung des Kniegelenkes vorliege, die dann allerdings eine MdE von 30 v.H. gerechtfertigt hätte. Die Klägerin sei auch deutlich bessergestellt als ein Patient mit einer Bewegungseinschränkung des Knies von 0 – 30 – 90°, für die ebenfalls eine MdE von 30 v.H. vorgeschlagen werde. Unter diesen Voraussetzungen könne man nicht, so wie Dr. P. dies tue, allein darauf abstellen, dass die Einschränkungen der Klägerin stärker als bei einer gut funktionierenden Knieprothese sei, die für sich auch eine MdE von 20 v. H. rechtfertige.

Der Senat hat sich deshalb nicht von einer wesentlichen Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes der Klägerin überzeugen können, sodass die Berufung zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits. Gründe, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

 

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