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Voraussetzungen für die Zahlung einer Erwerbsminderungsrente

Bayerisches Landessozialgericht – Az.: L 1 R 301/09 – Urteil vom 08.02.2012

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 24. März 2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1962 geborene Klägerin hat nach ihren Angaben den Beruf der Bekleidungsfertigerin erlernt, in dem sie bis 1982 arbeitete. Von 1983 bis 1995 arbeitete sie als Montiererin bei der Firma B., von 1995 bis 1997 folgte eine Beschäftigung als Prüferin und Musternäherin bei der Firma K.. Danach war die Klägerin nur mehr geringfügig beschäftigt als Reinigungskraft, Zimmermädchen und Küchenhilfe. Das letzte Arbeitsverhältnis endete zum 31.12.2005.

Die Klägerin absolvierte vom 19.01. bis 16.02.2006 eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in Bad W. wegen rezidivierender Wirbelsäulenbeschwerden und Asthma bronchiale. Im Entlassungsbericht wurde das Leistungsvermögen für mittelschwere Tätigkeiten auf über sechsstündig eingeschätzt.

Den streitgegenständlichen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung stellte die Klägerin am 07.06.2006. An Gesundheitsstörungen nannte sie: Seelische Probleme, Konzen-trationsschwäche, Asthma, Allergien, Wirbelsäulen- und Magen-Darm-Probleme, Unterleibs-Operation.

Eine Begutachtung auf Veranlassung der Beklagten erfolgte am 14.07.2006 durch Dr. G., Arzt für physikalische und rehabilitative Medizin. Dieser führte aus, dass sich das Beschwerdebild der Klägerin am ehesten als ein psychophysisches Erschöpfungssyndrom in einem soziofamiliären Spannungsfeld beschreiben lasse. Nötig seien eine bereits eingeleitete Psychotherapie und ein psychosomatisches Heilverfahren. Es sei dann noch ein sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeiten gegeben.

Daraufhin wurde der Antrag mit Bescheid vom 31.07.2006 abgelehnt.

Zu dem Widerspruch wurde ein Attest des Dipl-Psych Dr. H. vom 07.08.2006 vorgelegt. Darin heißt es, dass der Klägerin aufgrund der Erkrankung leichte körperliche Tätigkeit auch vollschichtig zumutbar sei. Nicht zumutbar seien Tätigkeiten im Schichtdienst, mit erheblicher Stressexposition sowie überdurchschnittlicher Verantwortung.

Die Beklagte holte weitere Befundberichte der behandelnden Ärzte ein und veranlasste im Widerspruchsverfahren eine nervenärztliche Begutachtung durch Dr. H. am 23.04.2007. Dieser diagnostizierte Dysthymia, undifferenzierte Somatisierungsstörung, V.a. Mischkollagenose. Internistisch und neurologisch habe sich ein vollständig unauffälliger Befund gezeigt. Es lägen auch keine Gelenkschwellungen oder Funktionseinschränkungen einzelner Gelenke vor, lediglich im Bereich der LWS zeige sich eine leichte Bewegungseinschränkung. Die Diagnose der Mischkollagenose durch Dr. M. stütze sich ausschließlich auf eine positive Labordiagnostik; diese sei nun aber völlig unauffällig gewesen. Es seien keine körperlichen Schwerarbeiten zumutbar und auch keine Tätigkeiten mit Anforderungen an die psychische Belastbarkeit, ansonsten ließen sich keine wesentlichen Leistungseinschränkungen begründen. Mittelschwere Arbeiten seien weiterhin sechs Stunden und mehr zumutbar.

Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2007 zurückgewiesen.

Voraussetzungen für die Zahlung einer Erwerbsminderungsrente
Symbolfoto: Von smolaw/Shutterstock.com

Am 17.07.2007 ist Klage beim Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben worden. Die Kombination der vorliegenden Leiden sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Es sind verschiedene Atteste und Arztberichte vorgelegt worden, insbesondere der Klinik B-Stadt über einen stationären Aufenthalt vom 19.06.-21.06.2007 wegen eines protrahierten Migräneanfalls mit klassischer Hyperventilation und ein Befundbericht über ein CT des Schädels vom 12.06.2006, wonach kein auffälliger Befund vorliegt.

Das SG hat aktuelle Befundberichte eingeholt. Der Nervenarzt Dr. H. hat am 09.10.2007 über ausgeprägte depressive, mnestische Störungen, Migräne und einen Normbefund bei neurologischer Untersuchung berichtet. Die Klägerin habe die ambulante Psychotherapie leider abgebrochen, weil sie keine Effizienz gesehen habe; es lägen eine drastisch reduzierte Alltagsbelastbarkeit und ein resistent chronisches Beschwerdebild vor. Der Psychotherapeut E. hat einen stationären Aufenthalt und eine ambulante psychotherapeutische Gruppe empfohlen; er unterstütze den Rentenantrag nicht, da die Rente nur eine kurzfristige Entlastung bringen würde. Der Allgemeinarzt Dr. O. hat am 16.10.2007 einen unveränderten Befund beschrieben.

Auf Veranlassung des SG ist ein Gutachten bei der Rheumatologin Dr. F. nach § 106 SGG in Auftrag gegeben worden. Diese hat die Klägerin am 09.11.2007 untersucht und sich mit folgenden Diagnosen auseinandergesetzt:

– Mischkollagenose (anamnestisch); zur Zeit der Untersuchung liege kein Hinweis auf eine entzündliche rheumatische Systemerkrankung vor.

– Chronisch rezidivierendes LWS-Syndrom bei mäßiger Fehlhaltung, sekundärem Morbus Baastrup und geringen degenerativen Veränderungen ohne radikuläre Symptomatik.

– Beginnende Fingergelenks-Polyarthrosen, V.a. auf kleines Ganglion linkes Handgelenk.

– Gonalgien bds. bei Patelladysplasie, Z.n. Arthroskopie linkes Kniegelenk.

– Depressives Syndrom mit Somatisierungsstörung ohne tiefergehende depressive Verstimmung.

– Asthma bronchiale; die Klägerin sei mit den Medikamenten gut eingestellt.

Die Befunde hätten sich weitgehend stabilisiert; eine Verschlimmerung sei keinesfalls eingetreten. Die Klägerin könne noch sechs Stunden und mehr erwerbstätig sein. Wegen der Wirbelsäulenbeschwerden sollten Arbeiten überwiegend in Zwangshaltungen, mit häufigem Heben und Tragen, häufiges Treppen- und Leiternsteigen vermieden werden. Wegen der seelischen Störungen sollten keine Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die psychische Belastbarkeit, insbesondere auch keine Tätigkeiten mit Zeitdruck, Einzel- oder Gruppenakkord durchgeführt werden. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liege nicht vor.

Auf Antrag der Klägerin ist am 19.08.2008 ein Gutachten von Dr. A. erstellt worden. Dieser hat die Klägerin am 29.04.2008 und 30.05.2008 untersucht und folgende Diagnosen gestellt:

1. LWS-Syndrom bei Fehlhaltung und degenerativen Veränderungen mit Baastrup-Syndrom,

2. Funktionsminderung des Kniegelenks beidseits, Fußfehlstatik beidseits, Z.n. Fraktur des oberen Sprunggelenks rechts,

3. Fingergelenks-Polyarthrosen,

4. Chronisch somatoformes Schmerzsyndrom unter dem Bild eines Fibromyalgie-Syndroms, Mischkollagenose (Sharp-Syndrom); bis dato habe sich außer einem erhöhten U1-RNP-AK keine Organmanifestation gezeigt, aktuell werde das chronifizierte Schmerzsyndrom vom Fibromyalgie-Typ in den Vordergrund gestellt.

5. Depressives Syndrom mit Somatisierungsstörung,

6. Bronchialasthma, allergische Diathese,

7. Harninkontinenz,

8. Rezidivneigung zu Magenschleimhautentzündungen.

Die Klägerin sei seit Mai 2008 nicht mehr in der Lage, selbst leichte Arbeiten sechs und mehr Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu leisten. Es käme aber eine tägliche Arbeitszeit von vorzugsweise vier Stunden bei Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich, in der industriellen Fertigung und im Einzelhandel in Frage. Insgesamt komme den Befunden mit Blick auf die Feststellungen des Rheuma-Zentrums C-Stadt eine geänderte Wertung bei.

In dem Bericht des Rheumazentrums C-Stadt über den Aufenthalt vom 26.06.2008 – 10.07.2008 wird ein chronisches Schmerzsyndrom vom Fibromyalgie-Typ genannt. Eine immunsupressive Therapie werde nicht mehr für erforderlich gehalten, zumal eine Organbeteiligung nicht festgestellt werden konnte. Die Klägerin sei in leicht gebessertem Allgemeinzustand entlassen worden.

Die Beklagte hat dazu eine ärztliche Stellungnahme des Prof. L. vom 21.10.2008 vorgelegt. Die von Dr. A. angenommene quantitative Leistungseinschränkung lasse sich aus den nicht wesentlich gravierenden Einschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparats sowie den eher leichtgradigen psychischen Beeinträchtigungen nicht herleiten. Auch aus dem Fibromyalgie-Syndrom seien keine gravierenden Beeinträchtigungen abzuleiten gewesen. Trotz der Beeinträchtigung der Handfunktionen, des Asthma und der Dranginkontinenz könnten noch leichte Montier-, Sortier-, Verpacker- oder Kontrolleurstätigkeiten oder auch Tätigkeiten als Pförtner oder Telefonist vollschichtig geleistet werden. Gerade Patienten mit Fibromyalgie-Syndrom würden eher von körperlicher Aktivierung profitieren.

Die Gutachterin Dr. F. hat in einer ergänzenden Stellungnahme nach Aktenlage vom 18.02.2009 den Ausführungen des Prof. L. zugestimmt. Insbesondere beweise auch der Bericht der Rheumaklinik C-Stadt, dass derzeit keine Aktivität der Mischkollagenose bestehe und das chronische Schmerzsyndrom im Vordergrund stehe, welches adäquat behandelt werden sollte.

Auf Veranlassung des Bevollmächtigten der Klägerin hat auch Dr. A. noch einmal ergänzend am 15.03.2009 Stellung genommen. Er beruft sich auf die Ärzte im C., die bei Aufnahme einen reduzierten Allgemeinzustand befundet hatten. Die psychologische Abteilung habe eine schmerzdistanzierende und antidepressive Therapie eingeleitet. Nach all diesen Maßnahmen habe die Klägerin lediglich in leicht gebessertem Allgemeinzustand entlassen werden können. Selbst wenn Fibromyalgie-Patienten von körperlicher Aktivität profitieren könnten, bedeute dies nicht, dass die Klägerin noch zu Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt imstande sei.

Die Klage ist mit Urteil vom 24.03.2009 abgewiesen worden. Das Sozialgericht hat sich auf die Gutachten der Dr. F. sowie Dr. G. und Dr. H. bezogen. Auch das Ergebnis des stationären Aufenthalts in der Klinik in C-Stadt sei berücksichtigt worden. Eine relevante seelische Störung liege nicht vor. Die früheren Belastungen insbesondere wegen der Probleme mit dem ältesten Sohn der Klägerin hätten sich gebessert. Auch Dr. A. habe in seinem Gutachten lediglich eine gesenkte Grundstimmung beschrieben. Eine Vitalstörung oder endogen-depressive Inhalte habe er nicht bestätigen können. Ebenso wenig habe er Umstellungserschwerungen oder Beeinträchtigungen des logisch-kombinatorischen Denkens gefunden. Auch die funktionell-organischen Befunde des Dr. A. könnten die Annahme eines zeitlich verringerten Leistungsvermögens nicht rechtfertigen. Es sei der gerichtlichen Sachverständigen Dr. F. zuzustimmen, dass zunächst eine adäquate ambulante Behandlung durchzuführen sei. Eine schwere spezifische Leistungseinschränkung oder ein Fall der sog. Summierung liege nicht vor.

Gegen das am 31.03.2009 zugestellte Urteil ist am 09.04.2009 Berufung eingelegt worden. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass die Befunde des Dr. H. (therapieresistente Somatisierungsstörung, mittelschwere depressive Episode) und der Rheumaklinik C-Stadt (Fibromyalgie) nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Der Abbruch der Psychotherapie sei deshalb erfolgt, weil der Anfahrtsweg einen zu großen Aufwand für die Familie bedeutet habe.

Die Klägerin hat sich vom 14.07.2009 bis zum 28.07.2009 erneut in der Rheumaklinik C-Stadt (W.Klinik) befunden. Der Entlassungsbericht nennt als Diagnosen u.a. ein chronisches Schmerzsyndrom vom Fibromyalgie-Typ und eine schwere Depression. Es bestünden eine ausgeprägte vegetative Symptomatik mit rascher Erschöpfbarkeit und Merkfähigkeitsstörungen sowie Ängste wegen einer Tumorerkrankung des Ehemannes. Im Vordergrund stünden Schmerzen des rechten Handgelenks, außerdem des Armes und der Gelenke. Eine Röntgenuntersuchung der Hände hat keinen Hinweis für entzündliche Veränderungen ergeben. Es ist eine ambulante psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung als erforderlich angegeben worden. Die Entlassung erfolgte in leicht gebessertem Allgemeinzustand.

Der nach § 106 SGG als Sachverständige beauftragte Dr. J. hat die Klägerin am 18.08.2009 untersucht und folgende Diagnosen gestellt:

1. Leichtgradiges Halswirbelsäulen- und Schulter-Armsyndrom, leichtgradiges allenfalls mittelschweres Lendenwirbelsäulensyndrom mit sich daraus ergebendem Funktionsdefizit ohne Zeichen eines peripher-neurogenen Defekts,

2. Chondropathia patellae bei Senkspreizfüßen beidseits, leichtgradige Arthralgien des rechten oberen Sprunggelenks ohne gravierende Geh- und Stehminderung,

3. Unspezifische Handgelenksarthralgien bei freier Funktion,

4. Beginnende Heberden-Arthrose D-II links bei Ausübbarkeit der Grob- und Feingriffformen.

Die vorgebrachte Schmerzintensität finde keine überzeugende klinische und röntgenmorphologische Erklärung. Die Frage einer Schmerzstörung bleibe dem neurologischen Gutachten überlassen. Es bestehe insgesamt eine leicht- bis mittelgradig zu bezeichnende Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Klägerin. Es sei noch ein mindestens sechsstündiges tägliches Leistungsvermögen für leichte, kurzfristig mittelschwere (zwei bis drei Stunden) Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen gegeben. Nicht zumutbar seien Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord, am Fließband, in Wechselschicht und bei Nacht, Arbeiten in Zwangshaltung, mit Heben und Tragen von Lasten über 10kg sowie häufiges Bücken und Knien und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Arbeiten am Bildschirm seien beim Wechsel der Haltungen möglich. An die Gebrauchsfähigkeit der Hände dürften normale Ansprüche gestellt werden. Hinsichtlich der Wegefähigkeit hat der Gutachter keine Einschränkungen gesehen. Er hat den Eindruck einer durchaus noch bestehenden Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit gewonnen.

Der ebenfalls nach § 106 SGG beauftragte Nervenarzt Dr. H. hat die Klägerin am 18.08.2009 untersucht. Er hat bei der Klägerin eine verfahrensbezogene Darstellungsweise gesehen. Sie habe eine eingeschränkte Beweglichkeit demonstriert, die unter Ablenkung jedoch wesentlich besser gewesen sei. Mimik, Gestik und Psychomotorik seien depressiv leidend gefärbt. Es seien jedoch keine typischen Tagesschwankungen und kein phasenhafter Verlauf angegeben worden. Die neurologischen Untersuchungen hätten einen Normalbefund erbracht. Die für die Diagnose einer Fibromyalgie angegebenen Tenderpoints seien bei unbeobachteter Prüfung nicht nachweisbar gewesen. Dagegen seien willkürlich gewählte Druckpunkte als dolent angegeben worden. Dr. H. hat folgende Diagnosen gestellt:

1. Somatoforme Schmerzstörung,

2. Anpassungsstörung (Angst und Depression gemischt),

3. Einfache Migräne.

Der von Dr. A. erhobene Befund beschreibe keine depressive Episode mittlerer bis schwerer Ausprägung; bei der heutigen Untersuchung sei eine reaktive depressive Symptomatik (Anpassungsstörung, Angst und Depression gemischt) festzuhalten gewesen. Es sei auffällig, dass die Klägerin im Laufe des Verfahrens eine immer ausgeprägtere Symptomatik präsentiert habe; die depressive Symptomatik sei nicht so schwer, dass sie damit nicht mehr arbeiten könne. Der im Labor erhobene Medikamentenspiegel würde den angegebenen Leidensdruck relativieren. Zusammenfassend lägen leichte bis mittelgradige Gesundheitsstörungen vor. Es könnten noch leichte bis kurzfristig mittelschwere Arbeiten in Wechselhaltung, in geschlossenen Räumen ohne Zeitdruck mindestens sechs Stunden verrichtet werden. Vermieden werden sollten Heben und Tragen von Lasten über 10kg, häufiges Bücken, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, häufiges Knien. Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit seien angesichts des laufenden Rentenverfahrens als eher eingeschränkt zu beurteilen. An das Verantwortungsbewusstsein, die Gewissenhaftigkeit, die Ausdauer, Konzentration und Reaktion sollten keinen besonderen Anforderungen gestellt werden. Die Klägerin könne mit Hilfe regelmäßiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Hilfe die psychischen Störungen überwinden. Inwieweit eine Verschlechterung aus dem Bericht der W.Klinikum abzulesen sei, könne aus nervenärztlicher Sicht nicht beurteilt werden.

Der als Sachverständige vom Senat beauftragte Internist und Rheumatologe Dr. A. hat die Klägerin am 25.11.2009 untersucht. Er hat folgende Diagnosen gestellt:

1. Anamnestisch Mischkollagenose, persistierend hohe Titer für antinukleare Antikörper, derzeit kein Nachweis von Anti-RNP-Antikörpern, kein Hinweis für manifeste Organbeteiligung,

2. HWS-, LWS-Syndrom ohne Nervenwurzelbeteiligung,

3. Somatoforme Schmerzstörung, Anpassungsstörung (Angst und Depression gemischt),

4. Anamnestisch Asthma bronchiale, derzeit nicht nachweisbar, V.a. hyperreagibles Bronchialsystem,

5. Z.n. Operation einer Ovarialzyste rechts und Hysterektomie wegen eines Myoms 2004,

6. Z.n. Arthroskopie am linken Kniegelenk wegen Meniskopathie, Z.n. Sprunggelenksfraktur rechts 1989,

7. Hyperlipoproteinämie.

Die Diagnose einer Mischkollagenose könne unter noch laufender Basistherapie mit Resochin nicht mehr gestellt werden. Die Lungenuntersuchung habe einen Normalbefund ergeben. Die Klägerin könne mehr als sechs Stunden noch leichte Arbeiten mit Wechsel der Körperpositionen in geschlossenen Räumen ohne starke Temperaturschwankungen, Zugluft und Nässe ausüben.

Der Psychotherapeut K. hat im Mai 2010 berichtet, dass die Klägerin seit September 2009 u.a. wegen der Diagnosen einer rez. depressiven Störung und einer somatoformen Störung in Behandlung sei. Es habe sich eine leichte Besserung gezeigt. Es hätten sich keine Hinweise auf mnestische Störungen ergeben, die Klägerin sei durchaus schwingungsfähig.

Der auf Antrag der Klägerin mit der Begutachtung beauftragte Dr. I. hat aufgrund seiner Untersuchung am 18.06.2010 auf seinem Fachgebiet folgende Diagnosen gestellt:

1. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Weichteilreizerscheinungen (HWS-Schulter-Arm-Syndrom, LWS-Syndrom),

2. Chondropathia patellae beidseits, arthroskopische Teilentfernung des Innenmeniskus links,

3. Leichte Bewegungseinschränkung Handgelenk links nach Kapselbandverletzung,

4. Epicondylitis humeri radialis beidseits,

5. Polyarthrose der Fingergelenke,

6. Leichte Coxa valga beidseits mit präarthrotischen Veränderungen links,

7. Arthrose der Darmbein-Kreuzbeingelenke beidseits

8. Bewegungseinschränkungen oberes Sprunggelenk rechts nach operativ versorgter Sprunggelenksfraktur,

9. Z. n. OP einer Ovariarzyste rechts, Hysterektomie wegen eines Myoms 2004.

Seit der Begutachtung durch Dr. A. sei die Innenmeniskuserkrankung links, seit 2006 seien Veränderungen der Halswirbelsäule sowie der Kniegelenke hinzugekommen. Auf internistischer Seite bringe die Mischkollagenose eine erhebliche Einschränkung mit sich, da dadurch Schmerzen in vielen Gelenken und Muskelschmerzen verursacht würden. In Anbetracht des Gesamtbildes sei die Klägerin nicht mehr in der Lage, schwere und mittelschwere Arbeiten durchzuführen. Arbeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit der Hände voraussetzen würden, seien nicht möglich, da die ausreichende Fingerfertigkeit und Griffsicherheit nicht gegeben sei. Die Zeitdauer für einen Weg von 500m schätze er auf 20 Minuten. Merkfähigkeit und Auffassungsgabe seien durch die depressive Verstimmung eingeschränkt. Die Klägerin könne täglich weniger als sechs Stunden, jedoch mindestens drei Stunden tätig sein. Durch die Mischkollagenose, die Wirbelsäulenbeschwerden und auch durch die depressive Verstimmung sei eine mehr als sechsstündige Arbeitsbelastung nicht tolerabel. Dieser Zustand bestehe mindestens seit 2008. Alle Therapiemöglichkeiten seien ausgeschöpft.

Die Beklagte hat hierzu am 01.09.2010 ausgeführt, dass der Beurteilung des Dr. I. nicht gefolgt werden könne. Die Beurteilung der psychischen Beeinträchtigungen obliege dem nervenärztlichen Gebiet, das Dr. H. umfassend beurteilt habe. Es lägen nur leicht- bis mittelgradig ausgeprägte Beeinträchtigungen des Stütz- und Bewegungsapparates vor. Eine relevante Einschränkung der Wegefähigkeit bestehe auch angesichts des Gutachtens nicht.

Der Gutachter Dr. J. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 05.10.2010 darauf hingewiesen, dass der altersgemäße röntgenologische Befund von Dr. I. bestätigt worden sei. Angesichts der von Dr. I. erhobenen Befunde könne von einem Leistungsvermögen von sechs und mehr Stunden ausgegangen werden.

In der ergänzende Stellungnahme des Dr. I. vom 06.01.2011 heißt es, dass die psychosomatischen Störungen einen ganz wesentlichen Teil des Problems darstellen und das quantitative Leistungsvermögen einschränken würden. Die Klägerin habe über eine zugenommene Merk- und Konzentrationsschwäche berichtet. Sie sei auf die Medikamente des Psychiaters angewiesen, ohne diese sei sie unruhig und nervös. Sie habe eine psychologische Betreuung begonnen. Diese Ausführungen würden unterstreichen, welchen Stellenwert die psychosomatische Störung erreicht habe.

Radiologisch hätten sich hinsichtlich der Schulter keine Veränderungen ergeben. Dies bedeute aber nicht, dass sich nicht in den Weichteilen Veränderungen finden würden. Es bestehe kein Anlass, die Aussage hinsichtlich der möglichen Arbeitsfähigkeit der Klägerin zu ändern. Auf chirurgischem Gebiet stünden die Wirbelsäulenbeschwerden im Vordergrund, zusätzlich der Schultern und anderer Gelenke. Diese würden wesentlich überlagert durch die somatoformen Störungen und die depressive Erkrankung. Es sei das Gesamtbild heranzuziehen.

Die Klägerin hat eine „Bescheinigung zur Vorlage beim Sozialgericht“ des BKH K. vom 22.03.2011 vorgelegt. Sie sei seit 09.02.2010 in regelmäßiger Behandlung des Dr. K. (Nachfolger Dr. H.). Es bestehe eine rez. depressive Störung zuletzt mit schwerer depressiver Episode mit psychotischen Symptomen. Die Klägerin sei auf unabsehbare Zeit nicht in der Lage, drei Stunden einer täglichen Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Der nach § 109 SGG beauftragte Facharzt für psychotherapeutische Medizin Dr. G. hat die Klägerin am 04.07.2011 untersucht. Die zunehmende Chronifizierung der gesamten Gesundheitsstörungen im Rahmen des langjährigen Rentenverfahrens sei offensichtlich. Psychotherapeutische Behandlungen seien nur kurzfristig durchführbar; eine konsequente stationäre psychiatrische bzw. psychosomatische/psychotherapeutische Behandlung habe offenbar nicht stattgefunden. Die Klägerin leide unter Depressionen, Konzentrationsschwierigkeiten bei den Haushaltsarbeiten und Blasenentleerungsstörungen.

Der Gutachter hat keine Hinweise für Denkstörungen, Sinnestäuschungen oder Fremdbeeinflussungserleben gefunden. Die Klägerin sei nach jahrzehntelanger enormen Leistungen nicht mehr den Anforderungen des Lebens gewachsen. Die depressive Symptomatik, insbesondere die Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen hätten sich verschlimmert.

Diagnostisch handele es sich um rez. depressive Störungen abwechselnd mittelgradig und schwer, derzeit mittelgradig bis schwer ohne psychotische Symptome; daneben bestehe eine somatoforme Schmerzstörung mit multipler Schmerzlokalisierung. Die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit auf technischen Wandel und andere Berufe seien infolge der Einschränkungen und der psychisch-intellektuellen Verfassung deutlich herabgesetzt. Sie könne weniger als drei Stunden tätig sein. Der aktuelle Zustand bestehe seit ca. 2008. Die Minderung könne nicht in absehbarer Zeit behoben werden.

Die Beklagte hat auf die ärztliche Stellungnahme des Prof. L. verwiesen. Es hätten sich bei der Untersuchung keine Hinweise auf kognitive Beeinträchtigungen gefunden; testpsychologische Ergebnisse lägen nicht vor. Eine quantitative Limitierung des Leistungsvermögens auf weniger als drei Stunden erschließe sich nicht – insbesondere nicht seit 2008.

Dr. G. hat auf Antrag des Klägerbevollmächtigten ergänzend ausgeführt, dass die zunehmende Chronifizierung im Rahmen des langwierigen Rentenverfahrens offensichtlich sei. Die Klägerin weise eine typische Biographie als Migrationskind auf (Schlüsselkind, Arbeit). Zusätzliche Belastungen seien durch die Darmkrebserkrankung ihres Ehemannes gekommen, der lange Zeit arbeitsunfähig gewesen sei. Aufgrund des inzwischen eingetretenen Chronifizierungsgrades sowohl der Schmerzsymptomatik als auch der depressiven Störung sei die Klägerin nicht mehr in der Lage, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuführen.

Dazu hat die Beklagte unter Bezug auf Prof. L. ausgeführt, dass lebensgeschichtliche Problemlagen nicht zwangsläufig zu einer quantitativen Leistungsminderung führen müssten. Eine schwere depressive Störung sei weder durch Dr. H. noch durch Dr. H. bestätigt worden. Auch dem Gutachten des Dr. G. sei eine mittelschwere bis schwere Depression nicht zu entnehmen.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat sich mit Schriftsatz vom 07.02.2012 erneut auf das Gutachten und die ergänzende Stellungnahme des Dr. G. bezogen. Das Gutachten des Dr. H. sei veraltet und betreffe das nervenärztliche Gebiet, das sich ganz erheblich von dem hier einschlägigen Fachgebiet der psychotherapeutischen Medizin unterscheide. Dr. G. habe in seinem Gutachten vom 28.07.2011 eher eine schwere depressive Symptomatik angenommen, so dass von einem Leistungsvermögen von weniger als drei Stunden täglich seit 2008 auszugehen sei. Auch Dr. I. habe angegeben, dass die psychosomatischen Störungen ein ganz wesentlicher Teil des Problems der Klägerin seien. Die Klägerin befinde sich laufend in psychotherapeutischer und nervenärztlicher Behandlung im MVZ B-Stadt.

Die Klägerin stellt den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 24. März 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Juni 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Akten des gerichtlichen Verfahrens verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung konnte auf die mündliche Verhandlung am 08.02.2012 auch ohne Anwesenheit der Klägerseite ergehen, worauf in der Ladung hingewiesen worden ist (§ 126 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Ein Vertragungsantrag wurde nicht gestellt.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage gegen den Bescheid vom 31.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2007 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1, 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zu. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI ist schon deshalb nicht begründet, da die Klägerin nach dem Stichtag des 02.01.1961 (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) geboren wurde.

Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin ist nach den überzeugenden Bewertungen des Dr. J., Dr. H. und Dr. A. noch in der Lage, eine sechsstündige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Auch die im erstinstanzlichen Verfahren und Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten der Rheumatologin Dr. F. und des Nervenarztes Dr. H., dessen Gutachten im Rahmen des Urkundsbeweises herangezogen werden kann, sprechen für diese Einschätzung.

Dagegen folgt der Senat nicht der abweichenden Einschätzung der Sachverständigen Dr. A., Dr. I. und Dr. G. und auch nicht dem Attest des Dr. K..

Im Vordergrund des Beschwerdebildes stehen nach der Beweiserhebung die Schmerzstörung und Depression der Klägerin. Daneben liegen Einschränkungen auf orthopädischem und internistischem Gebiet vor:

Die objektiv nachweisbaren Störungen der Wirbelsäule und auch der Gelenke stellen nach der Beweiserhebung im Berufungsverfahren nur einen leichtgradigen, allenfalls mittelschweren Befund dar.

Soweit die Klägerin Beschwerden an den Händen geltend macht, hat der Gutachter Dr. J. festgehalten, dass trotz Angabe eines diffusen Beschwerdebildes die Fingergelenke unauffällig und die Grob- und Feingriffformen bei erhaltener Beuge- und Streckfähigkeit der Langfinger ausübbar waren. Das Kraftmuster war etwas eingeschränkt, jedoch noch ausreichend, so dass an die Gebrauchsfähigkeit der Hände noch normale Ansprüche gestellt werden konnten. Dies wurde durch den Röntgenbefund bestätigt. Dr. I. sah zwar die „volle“ Gebrauchsfähigkeit der Hände nicht gegeben. Eine schwere spezifische Leistungseinschränkung, wie sie im Fall der Einarmigkeit angenommen wird, liegt aber jedenfalls nicht vor.

Die großen Gelenke an den unteren Extremitäten waren bei der Untersuchung durch Dr. J. frei beweglich bei seitengleicher Fußsohlenbeschwielung. An der Vorderseite des linken Kniegelenks fanden sich reizlose Arthroskopienarben. Die Beweglichkeit auch der Knie war seitengleich frei möglich. Laut Dr. A. bestanden im Dezember 2009 nach einem Eingriff am linken Knie mit Therapie des Meniskusschadens keine weiteren Beschwerden. Dr. I. sah bei der Untersuchung des linken Knies einen minimalen Gelenkerguss und hielt ein tastbares Reiben, eine Schmerzangabe bei endgradiger Bewegung sowie bei Druck und Verschiebung der Kniescheibe und ein positives Zohlenzeichen fest. Die Messwerte betrugen seitengleich für Streckung/Beugung 0-0-120. Damit ist – worauf Dr. J. hinweist – jedenfalls noch eine ausreichende Funktion bei schmerzfreiem Bewegungsumfang gegeben. Im Ergebnis hat selbst Dr. I. den Kniebeschwerden nur eine geringere Bedeutung bei den funktionellen Beschwerden beigemessen. Die Wegfähigkeit ist jedenfalls erhalten; die Klägerin hat zuletzt bei Dr. G. selbst bestätigt, dass sie 500m in etwa 10 Minuten gehen könne.

Die Halswirbelsäule war bei Untersuchung durch Dr. J. nur endgradig in den Funktionen eingeschränkt; der Schulter-Nackengürtel stellte sich etwas tonuserhöht dar. Die Beweglichkeit der Schultergelenke war bei der Untersuchung durch Dr. J. ebenso nur leichtgradig eingeschränkt bei seitengleicher und kräftiger Ober- und Unterarmmuskulatur. Bei der Untersuchung durch Dr. A. und Dr. A. kam es in allen Bewegungsrichtungen der HWS auch nur endgradig zur Schmerzangabe. Belastbare Hinweise für eine Nervenwurzelbeteiligung fanden sich auch bei Dr. H. nicht.

Im Entlassungsbericht zu der Anfang 2006 durchgeführten Reha wurden lediglich Verspannungen und eine leichtgradige Einschränkung der LWS-Beweglichkeit angegeben. Bei Entlassung bestand die von der Klägerin geteilte Einschätzung, dass sie noch mittelschwere Tätigkeiten ausüben könne. Dr. H. sah im April 2007 im Bereich der LWS mäßige Verspannungen; neurologisch lag ein vollständig unauffälliger Befund vor. Ähnlich war auch die Einschätzung der Rheumatologin Dr. F. im November 2007. Bei der Untersuchung durch Dr. J. im August 2009 war die Muskulatur der LWS im Bereich L5/S 1 etwas tonuserhöht, nicht rigide. Beim Aufrichten wurden Schmerzen angegeben. Er sah bei zu diskutierender segmentaler Bandscheibenschädigung keinen Hinweis auf Nervenschädigungen. Dr. H. bestätigte den Befund. Er beschrieb bei der neurologischen Prüfung eine verfahrensbezogene Darstellungsweise; ein verwertbarer pathologisch neurologischer Befund ließ sich nicht erheben.

Den ermittelten WS-Beschwerden kann durch qualitative Leistungseinschränkungen nachvollziehbar und ausreichend Rechnung getragen werden. Die Klägerin darf keine Lasten heben oder tragen, muss häufiges Bücken unterlassen und ihre Körperpositionen (Gehen, Stehen, Sitzen) regelmäßig wechseln. Diese Einschränkungen sind aber weder ungewöhnlich, noch begründen sie überzeugend eine quantitative Minderung des Leistungsvermögens.

An dieser Einschätzung ändert auch das Gutachten des Dr. I. nach Überzeugung des Senats nichts. Dieser weist in der Bewertung darauf hin, dass Veränderungen der HWS seit Verfahrensbeginn hinzugekommen sind und führt weiter aus, dass sich die Wirbelsäulenbeschwerden im Vergleich zu den Vorgutachten leicht verstärkt haben. Hierzu beschreibt er einen Klopf-, Bewegungs- und Stauchungsschmerz der HWS bei im Wesentlichen unauffälligem Röntgenbefund. Seine Messdaten zur Rotation der HWS sind eingeschränkter als die zuvor mitgeteilten. Außerdem führt er auch einen unvollständigen Nackengriff sowie Reiben und Krachen der Schulter bei im Wesentlichen unauffälligem Röntgenbefund auf. Er hält einen Druckschmerz für die LWS fest, sowie ein positives Ergebnis der Lasegue-Prüfung bei 70°. Störungen der Reflexe und der Motorik waren nicht erkennbar.

Auch wenn die Funktionsbeeinträchtigungen bei der Untersuchung durch Dr. I. tatsächlich stärker als zuvor ausgebildet waren, lässt sich – worauf auch Prof. L. hingewiesen hat – nicht schlüssig eine quantitative Leistungsminderung ableiten. Dr. J. bezweifelt in der ergänzenden Stellungnahme außerdem bereits den Nachweis einer Verschlimmerung auf orthopädischem Gebiet. Dazu weist er darauf hin, dass die im bei der Begutachtung durch Dr. A. im Dezember 2009 erhobenen Funktionsdaten des Bewegungsapparats mit den von ihm erhobenen Daten im Wesentlichen übereinstimmen. Die Befundverschlimmerung müsste sich daher innerhalb eines halben Jahres von Dezember 2009 bis Juni 2010 ergeben haben; die Röntgenbilder lieferten dafür aber keine Erklärung. Es spricht daher einiges dafür, die angegebenen Bewegungseinschränkungen als Ausdruck der somatoformen Schmerzstörung zu werten. Die Überlegungen des Dr. F. gehen in die gleiche Richtung. In seiner ergänzenden Stellungnahme führt er aus, dass gerade die psychosomatischen Störungen einen ganz wesentlichen Teil des Problems der Klägerin darstellten und das chirurgische Bild durch die somatoforme Störung der Klägerin überlagert werde.

Diese Störung und die Plausibilität ihres Ausmaßes sind in erster Linie von den fachkundigen Sachverständigen zu bewerten; entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten der Klägerin ist dafür die Begutachtung auf nervenärztlichem Fachgebiet sicherlich nicht weniger geeignet als das verwandte Gebiet der psychotherapeutischen Medizin.

Die Beschwerden auf internistischem Gebiet rechtfertigen keine quantitative Leistungseinschränkung.

Hinsichtlich des Asthmas fanden sich bei allen durchgeführten Lungenuntersuchungen Normalbefunde.

Ob es sich bei der geklagten Urininkontinenz um eine dauerhafte Erscheinung handelt, erscheint fraglich. Dr. A. hat lediglich die Angabe der Klägerin festgehalten, dass sie oftmals an Blasenentzündungen erkranke. Im Bericht der W. Klinik wird berichtet, dass ein akuter Harnwegsinfekt antibiotisch saniert wurde und sich hierunter die Stressinkontinenz besserte. Jedenfalls kann auch einer Stressinkontinenz durch qualitative Leistungseinschränkungen (z.B. durch die Erreichbarkeit einer Toilette) hinreichend Rechnung getragen werden.

Der Gutachter Dr. A. hat insbesondere klargestellt, dass die sehr seltene Erkrankung der Mischkollagenose (Sharp-Syndrom) bei der Klägerin nicht hinreichend nachgewiesen ist. Die Diagnose, der u.a. die Glieder- und Gelenkschmerzen zugeordnet wurden, kann mangels klinischer Symptome nicht mehr gestellt werden. Dr. A. hat zudem darauf hingewiesen, dass das serologische Kriterium nur einmal 2006 erfüllt gewesen ist. Insofern mag eine regelmäßige Kontrolle der Labortwerte angezeigt sein, funktionelle Auswirkungen auf rheumatologischem Gebiet sind insoweit aber nicht nachgewiesen.

Dr. I. hat sich mit den Ausführungen des Dr. A. nicht auseinander gesetzt. Seine These, gerade das Gesamtbild der Erkrankungen begründe eine quantitative Leistungseinschränkung, verliert insoweit an Überzeugungskraft, als er zu diesem Gesamtbild auch und insbesondere die Mischkollagenose mit „erheblichen Einschränkungen und Schmerzen“ gezählt hat.

Zur Überzeugung des Senats sind auch die Störungen auf nervenärztlichem Gebiet nicht in einem solchen Umfang nachgewiesen, dass daraus eine quantitative Leistungseinschränkung folgt.

Der Nervenarzt Dr. H. hat im August 2006 eine leichte körperliche Tätigkeit trotz der Erkrankung ausdrücklich vollschichtig für zumutbar gehalten. Er hat im Oktober 2006 über Beschwerden seit dem 25. Lebensjahr berichtet und eine mittelschwere depressive Episode angegeben. Auch der Psychotherapeut E. hat in seinem Bericht vom Juni 2007 den Rentenantrag nicht unterstützt.

Bei der Begutachtung durch Dr. H. im April 2007 hat die Klägerin keine tiefergehende depressive Verstimmung gezeigt. Aktuelle Belastungsfaktoren haben sich insbesondere aus dem familiären Umfeld ergeben. Der Gutachter hat lediglich die Diagnose einer „Dysthymia“ und einer Somatisierungsstörung gestellt. Mnestische Störungen haben nicht bestanden.

Die Gutachterin Dr. F. hat im November 2007 ausdrücklich festgehalten, dass die Klägerin voll orientiert gewesen sei und eine affektive Schwingungsfähigkeit bestanden habe. Mnestische Störungen oder psychotische Inhalte sind nicht erkennbar gewesen.

Dr. H. hat im August 2009 überzeugend nur eine somatoforme Schmerzstörung und eine Anpassungsstörung (Angst und Depression gemischt) diagnostiziert. Die Klägerin hat vermehrte Antriebslosigkeit und Müdigkeit angegeben; ihre Mimik und Psychomotorik sind depressiv leidend gefärbt gewesen. Die Konzentration, Auffassung und Gedächtnisleistung hat der Gutachter vor dem Hintergrund eines durchschnittlichen intellektuellen Ausgangsniveaus gesehen. Bei den von der Klägerin geschilderten Wahrnehmungsstörungen hat es sich nicht um echte Halluzinationen, sondern Pseudohalluzinationen gehandelt. Ein phasenhafter Verlauf der Stimmung war nicht zu erfragen.

Die bisherige Behandlung der Depression und Schmerzstörung ist offenbar nicht ausreichend verfolgt worden. Dies stellt den Leidensdruck der Klägerin in Frage. Insbesondere zeigte die Laborauswertung bei Dr. H., dass die Angabe der eingenommenen Medikamente nicht mit dem Blutspiegel übereinstimmte. Hinzuweisen ist auch auf die Bemerkung der Klägerin bei Dr. I., dass sie ohne (!) die verordneten Tabletten sehr unruhig und nervös sei. Auch Dr. G. weist im Übrigen darauf hin, dass eine wirklich konsequente psychotherapeutische/psychosomatische Behandlung nicht stattgefunden hat.

Die von Dr. A. unter Bezugnahme auf den Bericht des Rheumazentrums C-Stadt in den Vordergrund gestellte Diagnose der Fibromyalgie hat Dr. H. unter Hinweis auf die Prüfung der Tenderpoints angezweifelt. Bei unbeobachteter Prüfung sind die Tenderpoints nicht nachweisbar gewesen; willkürlich gewählte Druckpunkte wurden dagegen als druckdolent angegeben. Unter Hinweis auf die grundsätzlichen Bedenken zur Diagnose der Fibromyalgie hat der Gutachter das Krankheitsbild vielmehr der somatoformen Schmerzstörung zugeordnet. Dies ist nicht zu beanstanden. Allein die Diagnose einer Fibromyalgie ist im Übrigen noch keine Berentungsdiagnose. Entscheidend sind die funktionellen Auswirkungen einer Störung, nicht so sehr Ursachen oder Krankheitsbezeichnungen.

Der Gutachter Dr. G. sieht die Klägerin den Anforderungen des Lebens nicht mehr gewachsen. Diese Wertung begründet er in seinem Gutachten und in der ergänzenden Stellungnahme insbesondere mit der Darstellung der biographischen Belastungen und der Krankheitsentwicklung. Er verweist u.a. auf die Trennung der Eltern, die Rolle als Schlüsselkind, den Verlust der Gebärmutter und die grundlegende Ich-Schwäche der Klägerin. Sämtliche Faktoren mögen eine Erklärung für die Entwicklung der Krankheit geben, sagen aber noch nichts über das Ausmaß der Einschränkungen. Auch Dr. H. hat die biographische Zusammenhänge gesehen und dargestellt, ohne dass daraus eine tiefergreifende Einschränkung abzuleiten war.

Dr. G. selbst hat auch auf die fortschreitende Entwicklung der Störungen im Zusammenhang mit dem Rentenverfahren hingewiesen. Es entsteht in der Tat der Eindruck, dass die Klägerin durch die zahlreichen Begutachtungen und ärztlichen Untersuchungen mit auch z.T. zweifelhaften Diagnosestellungen (Mischkollagenose, Fibromyalgie) in ihrem Krankheitserleben bestärkt worden ist. Zugleich wird auch der Rentenbedarf im Laufe des Verfahrens wegen der Schulden stärker. Diese Entwicklung begründet eher eine Skepsis bezüglich anamnestischer Angaben. Dr. G. hat aber vor allem aus den eigenen Angaben der Klägerin seine Diagnosen abgeleitet. Insoweit fehlen Angaben zur Plausibilität und ein Abgleich mit dem Untersuchungsbefund, zumal Dr. H. darauf hingewiesen hat, dass sich aus der neurologischen Untersuchung eine verfahrensbezogene Darstellung ergeben hat.

Dr. G. hat in den Vordergrund der Beschwerden eine rezidivierende depressive Störung gestellt, wobei er aktuell eine mittelgradig bis schwere Episode angenommen hat. Angesichts der o.g. früheren Begutachtungen überzeugt nicht, dass er dieses Beschwerdebild bereits ab 2008 angesetzt hat. Soweit der Gutachter gerade auf eine Verschlimmerung der Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen der Klägerin abgestellt hat, überzeugt auch dies nicht. Die Klägerin hat ihre Vergesslichkeit in Haushaltsdingen auch bei früheren Begutachtungen immer wieder angegeben, ohne dass das Ausmaß objektiviert werden konnte. Dr. G. hat die schwere Vergesslichkeit erkennbar nur aus den anamnestischen Angaben der Klägerin abgeleitet; über Gedächtnislücken und Aufmerksamkeitsstörungen während der Untersuchung – die bei der behaupteten schweren Störung des Kurzzeitgedächtnisses durchaus bemerkbar werden sollten – hat weder er noch ein anderer Gutachter berichtet. Auch der Psychotherapeut K. hat im Mai 2010 ausdrücklich über die Angabe der Klägerin berichtet, dass sie sehr vergesslich sei. Es haben sich aber bei seinen Therapiestunden keine Hinweise auf psychopathologische Störungen im engeren Sinn ergeben. Hinweise auf mnestische Störungen sind nicht vorhanden gewesen. Er hat auch über eine leichte Besserung der Symptomatik mit Anzeichen von wiedergekehrter Lebensfreude berichtet.

Eine Verschlimmerung oder Veränderung der depressiven Störung lässt sich auch nicht aus dem knappen Attest der Dr. K. vom 22.03.2011 ableiten. Soweit in dem Attest auch erstmals psychotische Symptome genannt werden, hat Dr. G. solche bei seiner Untersuchung nicht gesehen. Er hat festgehalten: „Keine Hinweise für Denkstörungen, für Sinnestäuschungen, Fremdbeeinflussungserleben.“

Zweifel an der Diagnose einer schweren Depression bestehen auch deshalb, weil sich an den Angaben der Klägerin zu ihrem Tagesablauf keine deutliche Änderungen oder gravierende Einschränkung ergeben haben. Die Klägerin steht wegen der schulpflichtigen Kinder offenbar seit Jahren um dieselbe Uhrzeit auf und kümmert sich um das Frühstück. An weiteren Aktivitäten hat sie gegenüber Dr. H. angegeben, dass sie mit dem Ehemann zweimal täglich eine halbe bis dreiviertel Stunde spazieren gehe. Im Urlaub in der Türkei war sie zuletzt im Sommer 2008 für 4 Wochen. Außerdem sind noch Tätigkeiten im Haushalt (Frühstück, Wäsche, Garten) genannt worden. Auch bei Dr. G. hat sie angegeben, dass sie sich über Blumen freuen könne und mit Unterstützung ihres Mannes noch Hausarbeiten verrichte. Sie pflegt auch noch ihren Garten.

Eine quantitative Leistungseinschränkung ist weder bei Betrachtung der einzelnen Fachgebiete noch in der Zusammenschau der Beschwerden zur Überzeugung des Senats begründet.

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Klägerin unter den üblichen Bedingungen des für sie in Betracht kommenden allgemeinen Arbeitsmarktes keine Tätigkeit finden würde. Denn bei ihr liegen weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung (vgl. BSGE 80, 24) vor.

Soweit Dr. H. die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit auf technischen Wandel und andere Berufe vor dem Hintergrund des laufenden Rentenverfahrens und der psychisch-intellektuellen Verfassung als eher eingeschränkt aber überwindbar eingeschätzt hat, stellt dies keine besonders schwere Leistungsbehinderung dar, zumal die Klägerin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit wurde von keinem Gutachter gesehen.

Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG berücksichtigt den für die Klägerin negativen Verfahrensausgang. Gründe dafür, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

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